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Ein unbestimmtes, nicht auszumessendes Ver­missen von ich weiß nicht was. Nichts scheint dann richtig. Weder mein Be­ fasst-sein und heilig Arbei­ten noch mein Befreundet-sein und wild Aus­gehen, weder mein Pray’n’Work noch mein Rock’n’Roll. Nichts davon. We­der dieses Viertel noch ein anderes. Jedes Handeln, Reden, Tan­zen, Fühlen wie aus Pappe. Schlecht ge­spielt. Und falscher Film außerdem. So als ob ich bereits jetzt irgendwo­anders ein schöneres, richtigeres Leben führen würde, aber ich weiß nicht, wo das ist. Nichts ist da – das große Fehlen. Qloster­stüffjen. Klick-Klack-Aah-Klack macht der Ki­cker. Wir hier am Holztisch sind alle nicht oder nur so mittel erfolg­ reich. Die Freun­ din hat den Agenturjob bekommen und wir machen uns lustig. Ohne die Designer, kontert die Freun­din, hätte es weder The Velvet Under­ground noch die Sex Pistols noch Cabaret Vol­ taire noch die Monks gegeben. Tor. Da ist was dran, alles Bands, hinter denen ein Gestal­tungskonzept stand. Viel­leicht, sagt ein Freund, hät­te es was Bes­seres gegeben. Was kann es denn Bes­seres geben als die Monks, die nach Liebe rufen? Soft and blue, I‘ll kiss you / So much glory, not the story / Roar of star, it‘s so far … Vielleicht, sagt er, etwas so völlig anderes, dass du es dir nicht mal vorstellen kannst, weil du, um es dir vorzustellen, schon ein völlig anderes Leben führen müsstest, ein so viel weiteres Leben oder mehr als nur ein Leben, sodass– – – Der Freund hält inne und wir sehen ihn er­staunt an. Sollte da etwas sein, in ihm, dem allseits Gelas­senen, eine Sehn­sucht, von deren Heftig­keit keiner etwas ahnte? Oh, sage ich, das große Fehlen. Aber an der Theke sagt uns einer das Re­ zept für Vodka-Litschi und einer erzählt vom Kölner Gangs­ter­rap, meine Ant­wort auf Bil­dung ist meine Kampf­­sport­aus­ bildung, und alles kommt vom Hölz­chen aufs Stöckchen, sodass wir erst mal wieder gerettet sind aus dem großen Fehlen. Schock am Morgen. Das halbe rechte Bein mit Kaffee verbrannt. Un­ ter panischen Schmerzen die Vogel­sanger runter

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Gangsterrap Vom Kölner Gangstarap ganz ohne Gangsta berichten wir auf Seite 66

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zum 4711-Platz. Um die Hüften bloß ein weißes Bettlaken, auf das ich immer wieder Was­ser gieße zum Kühlen. Es tut so weh. Ich tropfe den Hinweg und das ganze Wartezimmer voll. Egal. Zweiten Gra­des, sagen sie in der Pra­xis. Der Kranken­wagen nach Mer­­heim, Ver­brennungs­station, hält mitten vor der Eis­diele, es tut so weh, ich werde links und rechts eskor­tiert und das Volk schaut, auf die Evita Peròn von Ehrenfeld, ich zucke tapfer mit den Schultern, don’t cry for me, Argen­tina. Neu: Die Venloer Straße ist keine Linie mehr, sondern ein langes Recht­eck. Keine Straße mehr, sondern ein Platz. Weil wir unser Büro jetzt hinterm Le Saveurs de Provence haben und wir mittags so oft drau­ßen vor den Lokalen sitzen. Ich rauche im Büro­hof. Nicholas, kannst du mir einen Milch­kaffee durchs Fenster rausgeben. Madame, das ist ‘ier nicht McDrive. Den Kaffee bekomm ich trotzdem. Ich lege mein Bein auf ein dickes Rohr, ver­brannte Fläche: zwei Din-A5-Sei­ten, wow, das soll mir erst mal einer nachmachen.

Jede Ver­liebtheit ist wohl ein Beispiel für soziale Ansteckung und eine Neue-Ära-Story. This time it’s different, diesmal wird es *nicht* aufhören, sagt sich der Zo­cker an der Ge­fühls­börse. IV. Soziale Ansteckung

Ich wohne weiter in der Piusstraße und es geht nicht recht voran mit mir, es fehlt der Kick im Leben. Der Ökonom Robert Shiller sagt, dass es Geschichten sind, die das wirtschaftliche Handeln motivieren. Sehn­ sucht, soziale An­ste­ckung, Boom-Denken, irrationaler Überschwang, Neue-Ära-Storys. Jede Ver­liebtheit ist wohl ein Beispiel für soziale Ansteckung und eine Neue-ÄraStory. This time it’s different, diesmal wird es *nicht* aufhören, sagt sich der Zo­cker an der Ge­fühls­börse. Bis es aufhört. Selbst die besten Dinge und Räusche hören auf. Und der soziale Kater kommt. Das beste Konzert meines Lebens war ein ausgefallenes Konzert im Under­ground. Es war nicht richtig angekündigt, die finnische Band war spät dran und nur noch ein knappes Dut­zend Leute da. Die Freunde und ich halfen, die Instru­ mente in das Häus­chen schräg vor der Halle zu tragen,


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