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Die Ehrenfelderin Serna Caner boxt samstags über das ehrenamtliche Gewaltpräventionsprojekt Mitternachtsboxen für Jugendliche in Köln-Rondorf. Samstagabend, 22 Uhr, eine Sporthalle in Rondorf. „Murat, sprich deutsch, sonst fliegst du raus!“ und „Hört auf mit dem Mist oder ihr kriegt Ärger mit mir!“ – wenn Serna Caner mit den Jungs spricht, nimmt sie kein Blatt vor den Mund. Wie jeden Samstag steht die 35-jährige Ehrenfelderin in der Turnhalle der Anne-FrankGrundschule, um „die Jungs“ zu trainieren: Die Jungs, das sind Kinder und Jugendliche, die sich sonst um diese Uhrzeit auf der Straße aufhalten. Die einfach rumhängen. Mist machen. Heute sind sie stattdessen hier. Von den Streetworkern Mona und Gabor, die die einschlägigen Plätze der Stadt kennen und sie regelmäßig besuchen, wissen die Kids, dass das Mitternachtsboxen stattfindet. Zehn sind an diesem Abend zum Training gekommen. Manchmal sind es 15 oder 20. Manchmal auch nur fünf. Das Boxtraining ist kostenlos und freiwillig. Regelmäßiges Erscheinen ist keine Pflicht – Pünktlichkeit schon. Wer zu spät kommt, der kann gleich wieder gehen. Klare Regeln wie diese gehören für die Trainerin unbedingt dazu: „Durch Boxen kann man vieles lernen – auch Disziplin. Und die haben die Kids hier besonders nötig, auch in ihrem eigenen Interesse.“ Doch es geht nicht um Drill bei diesem Training: „Ich zwinge niemanden, bis zum Umfallen zu trainieren, aber jeder sollte sein Bestes geben. Wer nicht mehr kann, hört auf – das ist okay.“ Serna Caner und den anderen ehrenamtlichen

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Mist machen auch Kleinviecher. Siehe Titel.

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Projektbeteiligten geht es darum, den Kindern und Jugendlichen eine Alternative zum Rumhängen auf der Straße anzubieten. Eine Möglichkeit, sich gemeinsam sportlich zu engagieren und so Aggressionen abzubauen. „Die Jungs lernen hier etwas über den gezielten Einsatz von Körperkraft, aber

„Die müssen erst mal den Frust rauslassen, um überhaupt wieder einen klaren Kopf zu kriegen.“ auch über Kommunikation, über gewaltfreien und demokratischen Umgang miteinander.“ Und auch noch für eine andere Sache steigt Serna Caner aus Überzeugung mit den Jugendlichen in den Ring: das Thema Ernährung. „Zu uns kommen Kinder, die schaffen keine zwei Sit-ups. Es gibt übergewichtige Kinder, aber auch welche, die sind größer als ich und wiegen nur 40 Kilo. Wenn ich die frage, wann hast Du heute zuletzt etwas gegessen, dann kriege ich keine Antwort. Inzwischen habe ich die Kids so weit, dass sie mir abends beim Training stolz erzählen, dass sie eine Banane, eine Mandarine oder einen Salat gegessen haben. Chips und Cola bringen die kaum mehr mit.“ Doch der Abbau von Aggression steht für Serna Caner an vorderster Stelle: „An dem Spruch mit

dem gesunden Körper und dem gesunden Geist ist viel dran.“ Beim Boxtraining schlagen die Kids allerdings nicht aufeinander ein, sondern auf den Boxsack oder die Weichmatte – und das unter sportlich-pädagogischer Aufsicht. Dank ihrer Ausbildung als Kommunikations- und Verhaltenstrainerin und aufgrund ihrer eigenen Geschichte weiß Serna Caner, dass der Großteil der Jugendlichen durchaus zugänglich ist, wenn man sich ihnen richtig nähert. „Ich habe es als junger Mensch auch nicht leicht gehabt. Aber ich habe schon früh geboxt und viel trainiert – da lernt man alle möglichen Leute aus unterschiedlichen Bereichen kennen und kommt mit vielem in Kontakt. Natürlich gibt es sehr, sehr aggressive Jugendliche, bei denen man merkt: Hier komme ich so nicht weiter. Dann ändere ich mein Verhalten – und sage vielleicht auch erst mal gar nichts. Aber irgendwann kommen wir ins Gespräch.“ Die Jugendlichen treffen sich häufig beim Mitternachtsboxen zum ersten Mal – und bauen allmählich neue soziale Kontakte auf, die über Stadtteilgrenzen hinausreichen. „Bei uns interessiert es nicht, wer welche Klamotten trägt oder woher er kommt. Das wird von Anfang an geklärt, der respektvolle Umgang miteinander.“ Der doppelt positive Effekt: Die Jugendlichen sind nicht nur am Samstagabend von der Straße. Es gibt unter ihnen anschließend auch draußen weniger Ärger. Denn: „Wenn die Gruppen sich untereinander kennen, respektieren sie sich.“


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