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KOMMENTAR

3G, 2G, 1G

Countdown. Die hochansteckende Delta-Variante treibt die Zahlen nach oben. Viel Zeit zum Gegensteuern hat die Politik nicht mehr. An einer Impfpflicht – direkt oder indirekt – führt kein Weg vorbei.

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Erinnern wir uns: Vor knapp einem Jahr gab es heftige Vorwürfe an die Bundespolitik, dass sie nicht jede Möglichkeit zur Bestellung von Impfstoffen bis ins Letzte ausgereizt hatte. Dann kam die Sache mit den „Impfvordränglern“. Inzwischen hat sich die Situation komplett umgekehrt. Impfstoff ist genug da, aber die Impfwilligen fehlen. Und so nimmt das Virus gerade Anlauf für die vierte Welle. Die Politik bettelt die Bevölkerung geradezu zur Impfung. Sie öffnet Impfzentren ohne Voranmeldung und fährt ihren Bürgern mit dem Impfbus nach. Auch mit Prämien, Gewinnspielen und sonstigen Zuckerln sollen Impfmüde gekauft werden. Das ist ja alles schön und nett und könnte die Goldmedaille in der Disziplin Bürgerservice bekommen, wenn der Hintergrund nicht so ernst wäre. Wenn wir wegen mangelnder Durchimpfung in den nächsten Lockdown rasseln, löst das einen Milliardenschaden aus, den – wie die jetzigen Kosten der Pandemie – noch unsere Kinder und Enkelkinder zurückzahlen müssen. Was also tun?

Der direkte Weg wäre eine Impfpflicht, zumindest für bestimmte Berufsgruppen. Wenn Ärzte und Pfleger das Virus in Krankenhäuser und Altenheime schleppen, gefährden sie „vulnerable Gruppen“ wie es so schön heißt, also die Schwächsten. Und wenn verschwörungsaffine Lehrer das Virus von einer Klasse in die andere tragen, steht wieder Homeschooling auf dem Programm, also jene Unterrichts-Schmalspurvariante, die Bildungsdefizite produziert. Wer aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden kann oder zu jung dafür ist, soll selbstverständlich (mit entsprechender Testung) gleich behandelt werden wie Geimpfte. Hier braucht es eine klare Differenzierung zwischen „nicht können“ und „nicht wollen“. Das öffentliche Interesse liegt mittlerweile derart klar auf der Hand, dass das Bitten und Betteln ein Ende haben muss. Oft wird der Begriff „Aufklärung“ strapaziert. Doch wer sich über die Impfung (seriös) informieren will, konnte das schon

längst tun. Rechtlich wäre eine Impfpflicht möglich – aber VON KLAUS SCHEBESTA die Politik (nicht nur in Österreich) will sich nicht an dieser heißen Kartoffel die Finger verbrennen. Wenn sich schon die Politik nicht traut, durch die Vordertüre zu gehen, dann eben mit sanftem Druck. Ja, Herr Kickl, das ist dann eine „Impfpflicht durch die Hintertüre“ – aber anders ist euch Verharmlosern, Verweigerern und Verschwörern nicht beizukommen. Ab dem Zeitpunkt, da jeder die Chance auf zumindest den ersten Stich hatte (also jetzt), besteht kein Grund mehr, den Impfmuffeln nachzurennen und auch noch zig Millionen für Gratis-Testungen auszugeben. Solange die Regierung Nachtschwärmern die teuren PCR-Tests finanziert, entsteht null Anreiz, sich impfen zu lassen. Und so hüpfen weiterhin Superspreader durch die Nacht, die zum Zeitpunkt der Testung gerade noch nicht als solche zu erkennen waren. Immerhin, jetzt bewegt sich etwas: Seit kurzem traut sich sogar der Gesundheitsminister, das bislang tunlich vermiedene Reizwort „1G“ in den Mund zu nehmen. Soll heißen: Wer in die Disco will, muss sich impfen lassen oder daheimbleiben. In diesem Stil lassen sich weitere Bereiche des Lebens regeln: Restaurantbesuche, Großevents, Fitnesscenter, Reisen. Umfragen belegen, dass die Mehrheit der Österreicher (derzeit 55 Prozent) diese Linie unterstützt und endlich einen Strich unter die leidige Pandemie ziehen will. Klar, diese Art des sanften Drucks hat etwas Feiges an sich. Aber wenn der Staat es nicht mit einer Impfpflicht geradeheraus sagen will, dann halt hinten herum. So oder so: Der Handlungsbedarf ist akut. 61 Prozent der Bevölkerung haben ihren Beitrag mit einer Immunisierung geleistet. Zieht man Kinder unter zwölf Jahren und medizinische Ausnahmen ab, bleiben rund 25 Prozent, die sich „aus Prinzip“ gegen die Impfung stemmen. Die Pandemie muss ein Ende haben – und das hat sie nur, wenn das viel strapazierte Wort „Solidarität“ auch in diesem Viertel der Bevölkerung ankommt.