Magazin «umwelt» 2/2015 - Leben mit Naturgefahren

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2014 wird als Jahr ohne Sommer in die Geschich­ te eingehen. Anfänglich sah es zwar überhaupt nicht danach aus, denn die ersten Juniwochen waren warm und trocken. Doch dann sanken die Temperaturen, und der Regen setzte ein. Die meisten Regionen der Schweiz erhielten über den gesamten Sommer Regenmengen zwischen 110 und 140 Prozent der Norm, lokal waren es gar 200 Prozent. Die anhaltenden Niederschläge führten zu Hochwassern, da und dort auch zu Überschwemmungen und Erdrutschen. Mehrfach betroffen waren das Emmental (BE) und das Entlebuch (LU). Gesamtschweizerisch hielten sich die Schäden aber in Grenzen. Gemäss Schätzungen der Eidgenössischen Forschungs­ anstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) lag die Schadenssumme der Ereignisse im Juli 2015 bei etwas mehr als 80 Millionen Franken. Es war auch eine Portion Glück dabei: Vielerorts gingen die Niederschläge im Einzugsgebiet von bedrohlich angeschwollenen Fliessgewässern just dann zurück, als die Lage kritisch wurde.

Mobile Hochwassersperren – sogenannte Beaver-Schläuche – entlang der Reuss in Luzern. Bild: Beaver Schutzsysteme AG, Grosswangen

Ereignisanalyse 2005 2014 kamen aber auch die Massnahmen zum Tra­ gen, die nach den Ereignissen vom August 2005 getroffen worden waren. Nach jenem Jahrhundert­ hochwasser hatte der damalige Bundesrat Samuel Schmid das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) mit einer Ereignisanalyse beauftragt. Des­ sen Bericht lag 2007 vor. «Die Behörden wussten mehr als die Bevölkerung, war seine zentrale Aussage», sagt Martin Buser von der Sektion Risi­ komanagement im BAFU. Wäre die Bevölkerung besser und rechtzeitig informiert worden, hätten sich viel Schaden und Leid verhindern lassen. Die Schadenssumme von total 3 Milliarden Franken wäre um eine halbe Milliarde tiefer ausgefallen. So hätten zum Beispiel mehrere Tausend Autos in Sicherheit gebracht werden können – allein dies eine Ersparnis von 90 Millionen Franken. Früher warnen und alarmieren Stürme, Lawinen und Überschwemmungen künden sich an, und zwar meist Tage oder zu­ mindest Stunden im Voraus. Es bleibt also Zeit, um Sicherheitsvorkehrungen zu treffen: Keller und Erdgeschoss räumen, Autos umparkieren, Sand­säcke abfüllen und verteilen oder sich in Sicherheit begeben. Vorausgesetzt, man wird rechtzeitig gewarnt. Gestützt auf den erwähnten Bericht lancierte der Bundesrat daher das Projekt zur Optimierung von Warnung und Alarmierung

bei Naturgefahren (OWARNA). Das Ziel ist, die Schäden mit rechtzeitiger Information um 20  Pro­ zent zu verringern – vor allem bei Hochwasser, dem weitaus häufigsten Naturereignis. Martin Buser leitet das Teilprojekt «Durchhalte­ fähigkeit und Krisenmanagement». Am 9. August 2007 trat er seine Stelle beim BAFU an. Drei Tage danach setzte ein zweitägiger Starkregen ein. Der Pegel des Bielersees übertraf alle seit der zweiten Juragewässerkorrektion in den 1960er-Jahren beob­ achteten Werte – «wie um die Dringlichkeit von OWARNA zu bestätigen», bemerkt Martin Buser. In den darauffolgenden Jahren wurden Schritt für Schritt die Organisation und die Strukturen der Krisenbewältigung definiert und umgesetzt. Besser und stärker vernetzt Die Naturgefahrenfachstellen auf Ebene Bund und Kantone wurden vernetzt. Zudem wurde eine Infrastruktur geschaffen, die es erlaubt, im Notfall zu agieren. Im BAFU gibt es heute einen speziel­ len Führungsraum, ausgerüstet mit modernster Technik. Hier trifft sich bei grösseren Ereignissen der Kernstab und schliesst sich mit den zustän­ digen Stellen von Bund und Kantonen kurz. Der Stabschef informiert den Entscheidungsträger auf Bundesebene über die Lage und bereitet für ihn die Entscheidungsgrundlagen für eine Warnung der kantonalen Behörden oder der Bevölkerung zeitgerecht vor. Unterstützt wird der Kernstab durch die Natur­ gefahrenfachstellen des Bundes. Nebst dem BAFU sind dies: das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (MeteoSchweiz), die Forschungs­ anstalt für Wald, Schnee und Landschaft mit dem Institut für Schnee- und Lawinenforschung (WSL/ SLF) sowie der Schweizerische Erdbebendienst (SED). Sie beobachten und beurteilen laufend die Gefahrensituation in ihrem Fachbereich. Droht ein Ereignis, sprechen sie sich gemäss einem ein­ gespielten Ablauf untereinander ab und schlies­sen sich, sobald vordefinierte Kriterien erfüllt sind, zum Fachstab Naturgefahren zusammen. Die­ ser erarbeitet Prognosen, verfasst Bulletins und Warnungen, gibt Verhaltensempfehlungen und verschickt Medienmitteilungen. Gemeinsame Informationsplattform «Die Kommunikation mit allen Ebenen ist heute sichergestellt», versichert Martin Buser. Eine zen­ trale Rolle für die Fachstellen der Kantone und Gemeinden spielt dabei die Gemeinsame Informa­ tionsplattform Naturgefahren (GIN). Hier sind zum

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