Magazin «umwelt» 2/2015 - Leben mit Naturgefahren

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Die Industriezone von Preonzo wird verlegt hjb. Dass das Gelände am Fuss des Valegión bei Preonzo (TI) ein unsicherer Ort ist, war schon lange bekannt. Die Felsformationen in diesem Steilhang sind labil. 1702 verschüttete ein Bergsturz das Dorf. Preonzo wurde danach an anderer Stelle neu auf­ gebaut. Der Dorf kern ist deshalb nicht mehr gefährdet – wohl aber derjenige Teil der Gemeinde, in dem sich in den 1960er-Jahren Industriebetriebe niederliessen. Heute würden diese nicht mehr bewilligt: Das Areal ist auf der Gefahrenkarte rot markiert. 1990 bildete sich auf der Alpe di Ròscera direkt über dem Valegión ein Riss. Seither steht der Hang unter Dauerbeobachtung. Sonden messen die Erdbewegungen und lösen Alarm aus, wenn sich diese beschleunigen. In der Folge wurde die Industriezone wiederholt evakuiert, und es ereigneten sich auch mehrere Bergstürze und Murgänge, die aber keine oder nur geringe Schäden anrichteten. Im Mai 2012 kam erneut Bewegung in den Valegión. Zur besseren Überwachung des Hangs­ ­ wurde zusätz­lich eine Radaranlage installiert, die es erlaubt, Be­wegungen aus der Ferne millimetergenau zu beo­bachten – ohne dass Messgeräte in der Felswand montiert werden mussten, was viel zu gefährlich gewesen wäre. Am 13. Mai wurde die Industriezone geräumt. Zwei Tage später donnerten 300 000 Kubikmeter Fels zu Tal. Wiederum gab es keine Schäden. Eine Woche danach nahmen die ansässigen Betriebe die Arbeit wieder auf – diesmal aber nur noch vor­übergehend: Im April 2013 bewilligte die Tessiner ­Kantonsregierung den Plan für einen freiwilligen Umzug in die Industriezonen von Castione und Carasso südlich von Preonzo. Bund und Kanton bezahlen 70 Prozent der auf knapp 13 Millionen Franken veranschlagten Kosten der Verlagerung. Der alte Standort wird ausgezont. «Es handelt sich um die erste Auszonung von Industrieland aufgrund von Naturgefahren», weiss Arthur Sandri, Chef der Sektion Rutschungen, Lawinen und Schutzwald im BAFU. 5 Firmen mit insgesamt 80 Arbeitsplätzen nahmen das Angebot an. 2 Betriebe, die zusammen 23 Personen beschäftigen, wollen vorläufig bleiben. Sie müssen mit Arbeitsunterbrüchen rechnen, wenn die Situation wieder kritisch wird. Grossen Felsstürzen folgt in den Jahren danach meist eine Serie von Murgängen. Arthur Sandri vermutet deshalb, dass auch die beiden letzten Firmen Alternativstandorte prüfen werden.

Valegión bei Preonzo (TI). Bilder oben: Ausschnitte aus einem Video des Felssturzes vom 15. Mai 2012. Das zweite und das dritte Bild von oben zeigen die Anrissstelle unterhalb der Alpe di Ròscera kurz vor dem Ereignis. Unten: Blick auf die Industriezone Preonzo unterhalb des Schuttkegels.

Bilder: Giorgio Valenti, Kantonsgeologe, Tessin

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