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Elternalltag

TEXT Ursel Nendzig

Autorin Ursel Nendzig, Mutter zweier Söhne, berichtet live aus der Achterbahn.

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EIN SCHMALER GRAT

Elternsein war schon einmal leichter als heute. Wie gut, dass Optimismus im Lieferumfang enthalten ist.

Im Sommer haben wir eine Woche auf einer Almhütte verbracht, es war herrlich. Dort oben gibt es kein bisschen Komfort, aber den vollen Luxus: Blick übers Tal, muhende Kühe nebendran, knisterndes Feuer, auf dem das Wasser für den Kaffee langsam, sehr langsam heiß wird, und eine Quelle, aus der kaltes, klares Wasser plätschert. Die Buben waren dort im Glück, ohne es gesagt zu haben, aber ich habe es gesehen. Wie sie morgens aus dem schon ziemlich verranzten Matratzenlager hüpfen, sich die dreckigen Klamotten vom Vortag überziehen und zuerst einmal die Kühe begrüßen, bevor sie Holz hacken, Wasser holen, auf Heidelbeerjagd gehen und das Ganze wieder von vorn. Sie sind auf eine so gute Art und Weise aktiv, dass mir das Herz ganz schwer wird.

Ja, schwer. Weil das so ist für Eltern. Die Kinder in dieser heilen Welt zu sehen ist nämlich so trügerisch. Weil: Zu wissen, dass die Quelle heuer so wenig Wasser führt wie in all den Jahren zuvor nie, macht mir das Herz unheimlich schwer. Auch, dass ich weiß, dass normalerweise Kühe nicht so herumstehen und den ganzen Tag frische Luft und frisches Gras bekommen und ihre Kälber allzeit zum Säugen ankommen können. Auch, dass ich sehe, wie hoch hinauf sich die Baumgrenze schon geschoben hat und auf den ganz, ganz hohen Gipfeln nur noch ein kleines bisschen Schnee liegt.

Eltern waren schon lange nicht mehr in einer so schwierigen Situation wie heute. All diese Annehmlichkeiten – tausend Sorten Windeln, mehr als genug Säuglingsnahrung, warme, weiche

Babybetten, denkbar beste medizinische Versorgung – und Vernetzung mit anderen Müttern und Vätern, Informationen zu jeder Kleinigkeit nur einen Mausklick entfernt. Und gleich-

»Wir müssen unseren Kindern, die im Paradies leben, klarmachen, dass dieses Paradies ein Ende haben wird.«

zeitig eine so unsichere Zukunft vor Augen zu haben. Als ich so alt war wie der kleine Sohn, das war 1990, ist für meine Eltern immer alles besser geworden, der Wäschetrockner, das geräumige Auto, Karriere für Frauen. Und das haben sie uns auch so weitergegeben: Alles wird gut. Wir Eltern müssen dagegen heute diesen schmalen Grat gehen: unseren Kindern, die im Paradies leben, klarmachen, dass dieses Paradies ein Ende haben wird. Dass wir eine gravierende Klimaveränderung in Gang gesetzt haben, dass wieder Krieg in Europa ist und wir unseren Planeten an den Rand der Bewohnbarkeit wirtschaften. Die Söhne wachsen auf mit dem Wissen »There is no Planet B« und dessen unsicherer Zukunft und ich kann nicht viel dagegenhalten. Außer vielleicht das: Wenn ich sie mir so ansehe, wie sie hacken und schleppen und gschafteln, wie sie lachen und sich kümmern, regt sich tief drin mein unerschütterlicher Optimismus und ein

Vertrauen in die Kinder, mit dem alle Eltern ausgestattet sind (sein müssen!). Und dann denk ich mir: Es mag keinen »Planet B« geben, aber eine Zukunft, die diese Kinder in die Hand nehmen werden. Mit genau dem Eifer, den ich da oben auf der Alm gesehen habe.