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Elternalltag

PANDEMÜDE

Diese Kolumne hat sich ein ganzes Jahr lang tapfer gegen das Coronavirus gewehrt. Jetzt aber: Elternalltag in der Pandemie.

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TEXT Ursel Nendzig

Autorin Ursel Nendzig, Mutter zweier Söhne, berichtet live aus der Achterbahn. Die Söhne sind acht und elf Jahre alt, sprich: dritte Volksschule und erste Gymnasium. Ich werde euch nicht mit Schreibschrift-zu-Hause-Beibringen langweilen oder mit Gejammer über klebrige Kinderfinger-Spuren auf meiner von mir heiliggesprochenen Tastatur. Denn die Bedingungen für schonungslosere elternalltägliche Mikroanalysen waren in den letzten Monaten ideal. Wohin hätten sie schließlich flüchten sollen? Eben.

Analyse 1: die Verkürzung meiner eigenen Zündschnur. War ich vor dieser verkackten Pandemie, sagen wir es freundlich, impulsiv, bin ich jetzt das reinste Pulverfass. Zündschnur aktuell nicht mehr mit freiem Auge wahrnehmbar, so kurz ist sie geworden. Es reicht ein einziges falsches Wort, ein Kipferl-Krümel im Badezimmer oder ein nasses Handtuch auf der Couch und ich zucke aus. Spannend dabei: Die Kinder gewöhnen sich daran, es ist gruselig. »Mama, chill« oder ein leichtes Augenrollen, mehr gibt es nicht, wenn ich wieder durchs ganze Haus schreien muss, weil mir wegen einer solchen – aus ihrer Sicht – Kleinigkeit das Pulverfass unterm Arsch explodiert.

Analyse 2: das Ignorieren allgemeingültiger Mindeststandards zur Körperhygiene. Die Buben haben irgendwann beschlossen, dass sich Waschen einfach nicht lohnt. Manchmal rubbeln sie, unter lautestem Protest, mit einem leicht feuchten Waschlappen an ihren völlig eingesauten grünbraunen Knien oder dreckigen Zechen herum, und immer, wenn ich eine Dusche anordne, weil ein Montag ansteht, wird laut geweint und mit seinem Schicksal gehadert. »IMMER müssen wir duschen!« oder »Es sind eh bald

Sommerferien, dann gehen wir sowieso jeden Tag schwimmen!«. Ich verstehe es nicht. Hängt es mit der Pandemie zusammen? Ist es in Korrelation mit der einsetzenden Frühpubertät? Oder eine Art Rückzug der Körperpflege, wie bei einer Welle, um dann, wenn die richtige Pubertät kommt, mit neuer Kraft über uns zu schwappen, die Burschen dann tagelang ins Badezimmer zu spülen, wo sie verschwinden, sich einseifend, peelend, frisierend, beduftend? Analyse 3: Ich habe den Kampf gegen die Bildschirme aufgegeben. Wo früher jeden zweiten Tag eine halbe Stunde Netflix-Schauen war, ist heute eine Stunde pro Tag. Nicht eingerechnet: die Handys, Playstations, Fernseher und Tablets von NachbarInnenkindern,

»Soweit ich das beobachte, werden alle Kinder zurzeit gleichermaßen verdummt, insofern haben meine keinen Wettbewerbsnachteil.«

deren Eltern ebenfalls das Handtuch geworfen haben. Es war vermutlich ein nasses Handtuch. Auf die Couch. Es ist mir jedenfalls zunehmend egal geworden. Soweit ich das beobachte, werden alle Kinder zurzeit gleichermaßen verdummt, insofern haben meine keinen Wettbewerbsnachteil. Analyse 4: Ich bin pandemüde. Es ist genau das Wort, das meinen körperlichen und geistigen Zustand am besten beschreibt. Ich bin schon so pandemüde, dass mich bereits die Aussicht auf eine Party überfordert. Ich soll wieder abends die Glitzerjacke anziehen und rausgehen?

Raus, wie in »draußen«? Dazu müsste auch mich erst eine

Welle erfassen, die mich wieder raus ins Leben spült.