TRAFFIC News to-go #2

Page 1

A usga b e 0 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

NEWS TO GO

WHAT ARE YOU PLANNING TO DO TODAY TO MAKE THE WORLD A better place or at least make it worthwhile to hang in there a bit longer ?

zeitgeschehen 06 Der Tanz um den Schleier: Attentat auf die Privatsph채re Wirtschaft

08 Same same but different: Falsche Originale und originale F채lschungen aus China

sport

10 Haushohe Wellen

das wetter

12

style

16 Valentino 체ber Tr채ume von Kleidern und das Leben als Rentner 18 MaSSgeschneidert: Oliver Sinz folgt seinem eigenen roten Faden 19 Holly- What ? Der Celebrity-Knigge 20 Genug! Wir sind weder gaga, noch im Dominastudio 22 Eine junge Frau im Hotel. Sie schreibt. 40 Kulturnews

angezogen

fiktion 42 Der Abendfresser. Ein Miniroman von Thomas Glatz Kolumne

4 4 Ralph Martin ist der Arrogant Bastard

english appendix

46 Valentino on dreams, inspiration and life as senior citizen

original und Kopie, valentino, julia zange, anita tillmann


Eine Marke der Daimler AG

BlueTEC Motoren. Hinterlassen

594x420MagnetBlauGrun.indd 1


ssen kaum Spuren im Gr端n.

11.01.2010 17:23:07 Uhr


4

A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

vor dem hinaustreten sind die kleider zu ordnen.

j ahrgang 0 1


A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

contributors

Lydia Harder, 1982 in Apolda geboren, wuchs als Pfarrerstochter in sieben verschiedenen Orten in Thüringen und Sachsen-Anhalt auf. Sie studierte an der Universität der Künste in Berlin Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation, im Nebenfach Politologie und Soziologie. Seit 2005 arbeitet sie als Autorin für das Nachrichtenportal des Bundestags. Sie machte Praktika beim SPIEGEL in Hamburg und Jerusalem, bereiste den Nahen Osten und schreibt seit 2009 für den Politikteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der F.A.S.

Uta Schwarz wurde am 29. Januar 1975 in Leipzig geboren, wuchs in WestBerlin auf und machte ihr Abitur in Hamburg. Das Studium der Geschichte, Nordamerikastudien, Politik und Afrikanistik brach sie ab, um Jura mit Schwerpunkt Europa- und Völkerrecht in Berlin und Madrid zu studieren. Nach dem Studium lebte sie für anderthalb Jahre in Mosambik und arbeitete als Rechtsberaterin für eine Mikrokreditbank, bevor sie für das Wochenmagazin Vanity Fair vor allem Crime Stories schrieb. Heute arbeitet sie frei, der Schwerpunkt Verbrechen und Recht ist geblieben.

Danijela Pilic, geboren in Split, Kroatien, studierte zunächst International Business und anschließend Writing in London. Seit ihrer Rückkehr nach Deutschland im Jahr 2001 schreibt sie über Mode, Menschen und Zeitgeist, unter anderem für die deutsche Vanity Fair, Neon und die Süddeutsche Zeitung. Außerdem schreibt sie eine Kolumne für den Playboy und bloggt täglich über Modesünden der Prominenz auf www.style.de/glamslam. Sie lebt in Berlin und arbeitet im Moment an ihrem ersten Roman.

Miriam Rauh ist 1973 im Wald- und Wiesenstaat Oregon an der amerikanische Westküste geboren, in einer deutschen Kleinstadt aufgewachsen und sucht seit 1992 konsequent die Nähe großstädtischer Umgebungen. Sie studierte Modedesign und lernte das Goldschmiedehandwerk, um sich Ende der Neunziger Jahre der Schreiberei zuzuwenden, der sie seit Jahren komplett verfallen ist. Als freie Werbetexterin für internationale Agenturen und Redakteurin für Print und Online lebt Miriam Rauh mit ihrer Familie in Berlin.

traffic news to-go “Constituting a new read”

TNTG UG Torstraße 223 D -10115 Berlin http://trafficnewstogo.de

VERLEGER Jacques C. Stephens V.i.S.d.P. Co-VERLEGER Murat Suner CHEFREDAKTEURIN Ophelia Abeler DESIGN Doublestandards 8-PAGE-EDITOR Bruce Hamilton BILDREDAKTION Ivan Cottrell SCHLUSSREDAKTION Carlina Rossée

MITARBEITER DIESER AUSGABE Sean Arkin, Jan Friese, Thomas Glatz, Michael Hoelzl, Tina Maier, Ralph Martin, Danijela Pilic, Miriam Rauh, Chris Rehberger, Benedikt Reichenbach, Peter Richter, Andreas Rosenfelder, Tex Rubinowitz, Merten Sansovino, Uta Schwarz, Jochen Starz, Elvira Veselinovic, Andreas Vitt, Antje Wewer, Anne Zdunek Druck: Druckhaus Schöneweide Für Abonnementanfragen schreiben Sie bitte an abo@trafficnewstogo.de

Cover Foto: Jan Friese

5


zeitgeschehen

A usga b e 2

lasst die hüllen fallen!

E

igentlich ist es ein Wunder, daß noch keiner den Kleiderscanner gefordert hat. Denn die Stoffe, in die sich Leute kleiden, werden nicht nur immer bedeutsamer, sie werden vor allem immer mehr. Die Menschheit verhüllt sich mit blickdichten Textilien. Nicht nur im Orient. Kleidung ist verdächtig geworden. Das gilt nicht nur für die Schuhe, die jeder Fluggast in Amerika ausziehen und aufs Band stellen muß, weil ein dilettantischer Terrorist Sprengstoff im Futter seines Schuhwerks versteckt hatte. Auch die „Kopftuchmädchen“, von denen Sarrazin sprach, wirkten plötzlich wie eine politische Fraktion. Wahrscheinlich gibt es seit Braunhemden und Jesuslatschen kaum ein Kleidungsstück, das so ein starkes Statement darstellt. Dabei sind auf den türkischen Märkten am Berliner Maybachufer gar keine Burkas im Angebot. Die Ganzkörperzelte mit Sehgitter sind in Deutschland genauso selten wie in der Schweiz, wo die Gemeindeverwaltung des Städtchens Grenchen kürzlich beschlossen hat, keine Burka-Trägerinnen mehr zu bedienen. Die konservative Kreuzköllnerin trägt sowieso lieber Pardesüs, jene bodenlangen Polyestermäntel, die mit bunten Kopftüchern kombiniert werden. Beim Burkini, einer Kreation der libanesisch-australischen Designerin Aheda Zanetti, ist das Kopfteil schon integriert. Dieser Schwimmschlaf-

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

www.sxc.hu

6

Wozu über den Nacktscanner diskutieren? Verschleierung ist der Megatrend der Saison. Ein Blick auf den Wühltisch der meistdiskutierten Textilien von lydia harder und andreas rosenfelder

anzug wurde erfunden, um muslimischen Rettungsschwimmerinnen in Australien schariakonforme Arbeitskleidung zu stellen. Im Prinzenbad dagegen wird der Burkini, der den Overalls der Teletubbies ähnelt, dem Bikini bestimmt keine Konkurrenz machen. Denn die strengen Kleidervorschriften des radikalen Islam haben weder Ästhetik noch Erotik zum Verschwinden gebracht, sie haben sie nur verdeckt. Anders als in der Genesis dient Oberbekleidung bei muslimischen Frauen oft nicht mehr dazu, den nackten Körper zu verhüllen. Stattdessen verbirgt die Kleidung ihrerseits Kleidung: Es gibt Geschäftsfrauen, die im Chanel-Kostüm zur Arbeit gehen. Nur sieht man das auf der Straße nicht, denn sie tragen darüber den Tschador. Auch das Angebot an Lingerieware ist in der arabischen Welt riesig und läßt die durchschnittliche deutsche Unterwäsche nach Orthopädiemode aus dem Sanitätshaus aussehen. Während deutsche Feministinnen die Iranerinnen bemitleiden, tun den iranischen Frauen die deutschen leid, weil die immer nur Hosen und Multifunktionskleidung tragen. Wer allerdings genau das im Sudan tut, muß mit Prügelstrafen rechnen, wie die Journalistin Lubna Ahmed el Hussein im Herbst erfuhr. Sie wurde von der Religionspolizei verhaftet, weil sie in einem sudanesischen Restau-

rant Hosen trug. Für diesen Verstoß gegen die Scharia sollte sie vierzig Peitschenhiebe erhalten und kam nur durch den öffentlichen Druck mit einer Geldstrafe davon. Die westliche Männerphantasie träumte jahrhundertelang vom Striptease im Harem des Sultans, aber Entschleierung ist im Orient heute ein gefährlicher Befreiungsakt. Das überraschendste Dokument, das die grüne Revolution im letzten Sommer hervorbrachte, war das Youtube-Video einer jungen Iranerin, die im Spaghetti-Träger-Top zwischen hupenden Autos hindurchlief. Schon 1998 schickte der britische Designer Hussein Chalayan seine Models im Tschador auf den Laufsteg, wobei die schwarzen Schleier immer kürzer wurden. Zum Schluß der Schau bedeckten sie nur noch das Gesicht und entblößten den gesamten Körper. Ein Bodyscanner hätte den Unterschied nicht bemerkt.


A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

z eitges c hehen

eins, zwei, drei Nicht unbedingt schön anzusehen, aber unterhaltsam wurde es am 10. Januar, als die Piratenpartei in Unterwäsche durch deutsche Flughäfen marschierte, um gegen den Nacktscanner zu protestieren. Eine Piratenbraut hatte sich das Wort „Piercing?“ auf die Brüste schreiben lassen und über einem käsigen Bauarbeiterdecolleté hieß es: „Hosen runter“. Der Schrecken dieser Bilder kann aber nicht mit dem Schrecken mithalten, der einen 49-jährigen Slowaken kurz nach Weihnachten packte. Der hatte gerade seine Familie besucht und flog zurück nach Dublin, wo er seit drei Jahren lebt. Drei Tage später bekam er Besuch von einem riesigen Polizeiaufgebot. In seinem Koffer fanden sie 90 Gramm Militärsprengstoff, den der Mann durch Flughafenkontrollen transportiert hatte – unwissentlich. Er wurde festgenommen, aber gleich wieder freigelassen. Die slowakische Polizei hatte seinen Koffer heimlich gepackt, um die Flugsicherheit zu testen. Da sollte man lieber mal überprüfen, wie sinnvoll die neuen Sicherheitsvorkehrungen für Flüge in die Vereinigten Staaten wirklich sind. Nach dem gescheiterten Attentat des Unterhosenbombers werden die Reisenden nicht nur gründlicher durchsiebt als bisher. Sie dürfen in der Stunde vor der Landung ihren Platz nicht mehr verlassen und nicht mehr an ihr Gepäck. Und der Höhepunkt des Wahnsinns: Auf Transatlantik-Flügen darf man sich ab sofort nicht mehr zudecken. Soll der Terrorist erfrieren, bevor er sein Attentat verüben kann?

Panisch In Roland Emmerichs Katastrophenfilm „2012“ geht die Erde kaputt. Also, bis auf die Kaaba in Mekka. Der Regisseur bekannte, daß eine Szene geplant war, bei der Leute vor einer Moschee gen Mekka beten, bevor die Welle sie erfaßt. Aber das hat er sich anders überlegt.

Bizarr In den Morgenstunden des 18. Dezembers schlichen sie zum Haupttor des früheren Konzentrationslagers in Auschwitz, rissen das Schild mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ herunter und zersägten es im nahegelegenen Wald in drei Teile. Kurz darauf nahm die Polizei die Täter fest. Der bizarre Diebstahl hatte offenbar ausländische Drahtzieher: Erst wurde ein britischer Trophäensammler verdächtig, dann brachte sich ein ehemaliger RechtsextremistenFührer aus Schweden ins Gespräch. Erleichtert wurde der Diebstahl durch das schlechte Überwachungssystem der Gedenkstätte. In Erfurt geht es derweil um den Umgang mit einem anderen Kapitel der deutschen Geschichte. Drei Männer harrten tagelang ohne Nahrung auf Holzpritschen im einstigen Stasi-Gefängnis aus. Eine Erfahrung, die sie schon früher einmal machen mußten, denn sie sind ehemalige Stasi-Häftlinge. Heute wollen sie eine stärkere Beteiligung an der künftigen Arbeit der Gedenkstätte erzwingen, ihr Verein strebt sogar die Trägerschaft an. Zwischen 1952 und 1989 hat die Staatssicherheit etwa 5000 Menschen psychisch und physisch gefoltert. Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen, sagte dazu: „Ein ehemaliger Stasi-Häftling muß schon sehr verzweifelt sein, wenn er freiwillig in sein Gefängnis zurückkehrt.“ Lydia Harder

Foto: PREBEN HUPFELD/AFP/Getty Images

Wahnsinnig

Man will ja keinen Besuch vom Mann mit der Axt. So wie Kurt Westergaard, der am Neujahrsabend mit seiner kleinen Enkelin in das zum Panikraum umgebaute Bad flüchten mußte. Ein Somalier, der Kontakte zum Terrornetzwerk al-Qaida haben soll, war in sein Haus im dänischen Århus eingebrochen. Vergeblich schlug er mit der Axt auf die Stahltür ein, bis Minuten später die Polizei kam. Seit 2005 die Mohammed-Karikaturen erschienen und die islamische Welt erzürnten, muß der Däne um sein Leben fürchten. Sogar Kurt Westergaards Namensvettern bekamen Polizeischutz. Jetzt ist er wieder untergetaucht, der 74 Jahre alte Mann mit dem kaputten Knie, Haßobjekt der Islamisten.

Foto: www.auschwitz.org.pl

DER winter IN DREI AKTEN

J’accuse (2) In China werden jährlich Tausende Menschen hingerichtet, mehr als in jedem anderen Land der Welt. Das mag zum einen daran liegen, daß die chinesische Justiz die Todesstrafe sehr schnell ausführt, zum anderen aber auch daran, daß man in China für etwa 68 Delikte hingerichtet werden kann. Darunter sind Mord und Drogenschmuggel, aber auch Steuerhinterziehung und das Entwenden oder Beschädigen nationaler Heiligtümer, beispielsweise das Töten eines Pandabären. Wer einmal in die Mühlen dieser Justiz gerät, wird schnell zum Opfer. So wie Akhmal Shaikh. Der aus Pakistan stammende Brite wurde am 29. Dezember 2009 in China wegen Drogenbesitzes hingerichtet. Aber Shaikh ist in mehr als nur einer Hinsicht Opfer. Der 53-jährige Vater dreier Kinder ist nicht nur ein Opfer der chinesischen Justiz, sondern auch eines internationaler Politik geworden. Man könnte auch sagen: Shaikh hat

einfach sehr viel Pech gehabt und war zur falschen Zeit am falschen Ort. Die meisten Menschen, die Shaikh kennengelernt haben, sagen, daß er eine bipolare Störung hatte. Nach einer gescheiterten Ehe verläßt Shaikh London und zieht nach Polen, wo er lange Zeit mittel- und obdachlos herumirrt. Doch Shaikh will Sänger werden und die Welt mit einem Lied erlösen. „Come little rabbit“ heißt sein Song, den man auf Youtube noch finden kann. Damit möchte er im chinesischen Fernsehen auftreten. Wer ihm diese Idee eingeflüstert hat, ist Spekulation. Seine Angehörigen behaupten, er habe polnische Drogenhändler kennengelernt, die seine mentale Instabilität auszunutzen wußten. Tatsache ist, daß Shaikh mit einem Bekannten von Polen nach Kirgisien reist, von dort aber allein weiterfliegt. Aus irgendeinem Grund nimmt er einen Koffer seines Bekannten mit.

Als Shaikh im September 2007 am chinesischen Flughafenzoll steht, entdecken die Beamten 4,3 Kilogramm Heroin in eben jenem Koffer. Shaikh wird sofort festgenommen. Sein Gerichtsverfahren dauert eine halbe Stunde, sein Verteidiger darf ihn nicht sehen und sagt später, die Übersetzung während des Verfahrens war nicht ausreichend. Shaikh hat den Prozeß, in dem es um sein Leben ging, gar nicht verstanden. In den zwei Jahren zwischen Verhandlung und Hinrichtung gab es zahlreiche Gnadengesuche. Seine Familie reiste nach China, die britische Botschaft schaltete sich ein, der britische Außenminister und zum Schluß sogar Gordon Brown persönlich, baten China um Gnade für Shaikh. Hätten sie sich alle auch so ins Zeug gelegt, wenn Shaikh tatsächlich Drogen geschmuggelt oder beispielsweise einen Panda getötet hätte? Es ist zu hoffen. Denn die Todesstrafe sollte weltweit geächtet werden, sie ist keine

adäquate, staatliche Strafe für Verbrechen. Aber es ist einfacher, um Gnade für jemanden zu bitten, der offensichtlich unschuldig, zumindest aber nicht schuldfähig ist. Doch auch dabei hatte Shaikh noch einmal, ein allerletztes Mal in seinem Leben, Pech: Im Dezember 2009 fand in Kopenhagen die Klimakonferenz statt. Sie scheiterte. Und das, so sagten die Briten hinterher, lag vor allem an China. Die Vorwürfe, die zwischen beiden Nationen ausgetauscht wurden, trugen nicht dazu bei, das ohnehin fragile politische Gleichgewicht beider Länder zu stärken. Eines aber ist sicher: Das Gnadengesuch Browns für Shaikh hatte nach der Klimakonferenz keine Chance mehr. China wollte Stärke und Unabhängigkeit demonstrieren. Und das hat letztlich Shaikh das Leben gekostet. Uta Schwarz

Kriegsleute in seligem Sande Da stand mal wieder eine Protestantin und konnte nicht anders. Es war die Bischöfin Käßmann, Oberhaupt aller Evangelischen in Deutschland, es war die Dresdner Frauenkirche, der Petersdom der Lutheraner, und es war die Neujahrspredigt, also die Zeit der ganz grundsätzlichen Einlassungen. Käßmann sprach sich gegen den Krieg in Afghanistan aus. Und seitdem ist, wie man in der Kirche wahrscheinlich so eher nicht sagen würde, der Teufel los. Margot Käßmann steht, wie man das wiederum bei Militär so vermutlich lieber nicht formulieren würde, voll im Kugelhagel. Aber warum eigentlich? Ist es wirklich so überraschend, daß in der Kirche der Frieden gepredigt wird? In der evangelischen offenbar schon. Käßmann hätte natürlich auch in den Worten Martin Luthers „das weltliche Schwert rühmen“ können: „Denn weil das Schwert von Gott eingesetzt worden ist, um die Bösen zu bestrafen, die Gerechten zu beschützen und den Frieden zu bewahren.“ Sie hätte, von ihrer schönen Kanzel in Dresden herab den Leuten froh zurufen können: „Obwohl es nicht so aussieht, daß Töten und Rauben Werke der Liebe sind, weshalb ein einfältiger Mensch denkt,

das sei kein christliches Werk und gezieme sich nicht für einen Christen, so ist es in Wahrheit doch auch ein Werk der Liebe.“ Und sie hätte, vor dem Amen noch klarstellen können, daß man „dem Amt des Soldaten oder des Schwertes mit männlichen Augen zusehen“ müsse, „dann wird es selber beweisen, daß es ein durch und durch göttliches Amt ist und für die Welt so nötig und nützlich wie Essen und Trinken oder sonst ein anderes Tun.“ Aber wäre das besser gewesen? Früher hat man den deutschen Protestanten immer vorgeworfen, Kanonen zu segnen, Obrigkeitshörigkeit zu predigen und eigentlich überhaupt weniger eine Religion zu sein als vielmehr theologisch armierte Tagespolitik. Später hieß es dann immer: zu wenig Mystik, zu karg, zu weltlich. Und jetzt ist da eine Bischöfin, die weltfremd genug ist, auf die Vertracktheit der Lage in Afghanistan gar nicht weiter einzugehen, sondern einfach ganz grundsätzlich und prinzipiell und weil das so in der Bibel steht, den Frieden zu verlangen, als stures, unhintergehbares Prinzip, denn eine Kirche ist ja nicht der Bundestag. Aber prompt ist das auch wieder nicht recht. Die einzigen, für die diese Debatte mehrheitlich komplett gegenstandslos sein dürfte, sind vermutlich diejenigen, die in den Bundes-

wehrcamps in Afghanistan sitzen. Gemessen am überproportional hohen Anteil an Ostdeutschen in den Reihen der Zeitsoldaten muß man sich über die Zahl derer, die auch ohne konfessionellen Segen bei ihrem Job auskommen, vermutlich keine Sorgen machen. Peter Richter

7


Wirtschaft

8

A usga b e 2

fake in china

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

Zwischen Kreativität und Kreation besteht ein Unterschied. Aber was ist, wenn Ideen ausspioniert und ganze Waren kopiert werden? Wann ist Kunst original, wann Fälschung? Ein Essay über Wirtschaftsspionage und Produktpiraterie von uta schwarz

V

ieles, was man in diesen Tagen auf den Berliner Laufstegen zu sehen bekommt, wird man schon bald in ähnlicher Form auf den Kleiderstangen einiger Modehausketten wie H&M oder Zara und Mango wiederfinden können. Aktuelle Trends aus weniger teuren Stoffen nachzunähen, davon leben Highstreetmodehäuser. Immerhin sind sie geschickt genug, niemals zu nah am Original zu sein, sondern lediglich bestimmte Strömungen aufzugreifen, um nicht dem Plagiatsvorwurf ausgesetzt zu werden. Wie schnell diese Grenzen verschwimmen können, zeigt jedoch der Fall Dior gegen Deichmann. Das französische Modeunternehmen Dior strengte im vergangenen Jahr einen Prozeß gegen die Billig-Schuhhauskette Deichmann an, da diese Handtaschen aus der Serie „Dior Street Chic“ kopiert haben soll. Während die Originaltaschen aus Krokodilleder etwa 7900 Euro kosten, gab es den „Deichmann Street Chic“ schon für 14,90 Euro. Die Frankfurter Richter gaben Dior Recht und Deichmann mußte einen Teil des Gewinns, der mit den überaus erfolgreichen Taschen erzielt wurde, an das französische Modehaus auszahlen. Designdiebstahl ist ein globales Phänomen, dem man sich von mehreren Seiten nähern kann, von einer juristischen, einer wirtschaftlichen, aber auch von einer philosophischen. Je nach Betrachtungsweise mag man zu unterschiedlichen Bewertungen dieses Phänomens kommen. Und selbstverständlich kommt es auch auf das Produkt selber an. Eine Tasche von Dior ist leichter zu kopieren, als beispielsweise ein Mercedes Coupé. Dafür ist ein Unternehmen wie der Stuttgarter Automobilkonzern wesentlich anfälliger für Wirtschaftsspionage, also das nachrichtendienstliche Ausspähen technologischer Ideen. Das Ergebnis ist oftmals das gleiche: Eine fremde Idee wird als eigene ausgegeben.

Kein Wunder! Daß vor allem China so viele Fälschungen herstellt, ist nicht verwunderlich. Viele Firmen lassen in China produzieren, China drängt mit Macht auf den Weltmarkt und will bald kein Schwellenland mehr sein. Wenn beispielsweise Apple seine Computer in chinesischen Fabriken bauen läßt, dann ist die Gefahr groß, daß genau hingeguckt wird, wie die Herstellung funktioniert. Und daß dieses Wissen dann für eigene Zwecke genutzt wird. China ist neben Russland nach einem Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz einer der Hauptakteure für Wirtschaftsspionage, zumindest in Deutschland. In dem Bericht heißt es: Es geht China „um die endgültige Plazierung als Wirtschaftsmacht ersten Ranges bis 2020. Dieses ehrgeizige Ziel wird nur mit massivem – auch illegalem – Transfer von Spitzentechnologie aus den hochentwickelten Industriestaaten zu meistern sein.“ Der chinesische Geheimdienst setzt dafür vor allem zivile Personen ein, das heißt Studenten, Gastwissenschaftler und Praktikanten, die nach dem Staubsaugerprinzip alle irgendwie verwertbaren Informationen einsammeln. Das ist aus unserem Verständnis heraus zwar verwerflich, aber keineswegs ein neues Phänomen. Wir alle lernen dadurch, daß wir zunächst imitieren. Erst wenn wir die Kopie beherrschen, können wir die gewonnenen Erkenntnisse für uns umdeuten und etwas Eigenes entwickeln. Christian von Borries sieht den Grund für die Aufregung über Produktpiraterie in der Unterbrechung der „kapitalistischen Verwertungskette“. Der Komponist und Dirigent klassischer Musik verficht schon seit Jahren im musikalischen Bereich das Aufheben jeglicher Urheberrechte. Das, was im Theater möglich ist, nämlich klassische Stücke neu zu interpretieren, reklamiert von Borries auch für Musik. Sampling, Neuverwertung, Interpretation: das war und ist Kunst und darf im digitalen Zeitalter nicht eingeschränkt werden, so lautet seine Forderung. Übertragen auf Produktdesign kann er auch an Plagiaten nicht viel Schlechtes finden. Vor allem nicht, wenn es zu Hybriden kommt, also etwas Eigenes entsteht: „Wann ist eine Idee originär?“, fragt er. „Ist sie nicht immer eine Synthese aus schon Vorhandenem, aus einer kulturellen Gemengelage?“ Auf einer Chinareise hat er sol-

che Dinge entdeckt: Beispielsweise ein Louis- Vuitton-Mobiltelefon. Louis Vuitton gehört zu den meist kopierten Modehäusern der Welt. Das liegt, so darf man mutmaßen, vor allem an seinem plakativen Design. Die großen Initialen „L“ und „V“, die bunten Designs, die Kirschen auf den Taschen der vergangenen Saisons haben einen hohen Wiedererkennungswert und sind leicht nachzumachen. Ein Handy jedoch hat Louis Vuitton nie herausgebracht. Warum nicht, müssen sich die chinesischen Fälscher gedacht haben und haben es selbst kreiert. Original oder Fälschung? Das ist in dem Fall keine leicht zu beantwortende Frage. Das Gleiche gilt für das iPhone Air, das von Borries ebenfalls in China fand. Dieses Telefon unterscheidet sich in mehreren Punkten vom Original: Es ist klappbar und es hat für zwei SIM-Karten Platz. Eine gute Idee, doch von Apple ist sie nicht.

Nokla und Channel Die Frage nach Original und Fälschung berührt einen der wesentlichen Punkte unserer westlichen Kultur. Es wäre schön, wenn damit jetzt das Erbe der Aufklärung, die Suche nach dem Grund, nach der absoluten Wahrheit gemeint wäre – ist es aber nicht. Vielmehr geht es um das uns allen verinnerlichte Prinzip von Angebot und Nachfrage. Im Idealfall darf derjenige, der mit seinem Angebot die Nachfrage zu schüren und hernach zu befriedigen weiß, am Ende kassieren. Genau dieses Prinzip wird aber durch Produktpiraterie unterlaufen. Der ursprüngliche Anbieter stimuliert mit seinem Produkt zwar eine Begierde, doch befriedigen tut diese ein anderer. Damit wird das System de facto mit den eigenen Waffen geschlagen. Angebot und Nachfrage existieren nach wir vor, doch da die Begierde so viel größer als das Portemonnaie ist, wird sie mit einem Fake-Produkt gestillt. Die gerade vergangene Dekade ist ein gutes Beispiel für solche geweckten Begehrlichkeiten. PR- Berater großer Modefirmen hängten ihre sogenannten ­It-Bags an die Arme sogenannter It-Girls; quasi im Minutentakt war eine neue Tasche en vogue. Das alles wurde dann mit mehr oder weniger gestellten Paparazzi-Fotos in die Medien transportiert. Wer „it“ sein wollte, mußte das anhand einer bestimmten Tasche, eines bestimmten T-Shirts oder eines bestimmten Halstuches demonstrieren. Doch nur die wenigsten können es sich leisten, jede Saison eine andere Tasche im Wert von mehreren hundert, wenn nicht tausend Euro, zu erstehen. Ein kühler Kopf ignoriert solche Modediktate. Andere befriedigen sie mit einem Plagiat. In China werden teilweise ganze Produktpaletten von Luxusartikeln nachgebaut. Die meisten davon sind schnell als billige Kopien zu entlarven: Statt Leder wird Plastik benutzt, statt echten Swarowskisteinen minderwertiger Strass, und oftmals wird auch der Markenname leicht verändert. Ein NokiaHandy wird zum Nokla-Telefon, ein Chanel-Parfüm zu Channel N°5. Doch wird sich niemand von einem solchen Produkt täuschen lassen. Der Käufer eines „Nokla-Handys“ weiß, daß er eine Fälschung erstanden hat. Spätestens am Preis wird er das merken. Deswegen erscheint das Urteil der Frankfurter Richter im Fall Dior gegen Deichmann auch so absurd, denn keiner wird behaupten wollen, daß Kunden, die bei Deichmann eine Tasche für knapp 15 Euro kauften, glaubten, sie hätten gerade einen Luxusartikel verbilligt erstanden. Die angesprochenen Kundenkreise sind nicht deckungsgleich. Und damit hat Dior, um bei diesem Beispiel zu bleiben, auch keinen Kunden verloren oder einen Verlust gemacht.

„Same same but different“ Doch auch bei Plagiaten gibt es Qualitätsunterschiede. Was ist, wenn die gefälschte Ware vom gleichen Laufband kommt wie das Original? Das klingt zunächst paradox, doch mit zunehmender Globalisierung werden ganze Produktionszweige ins Ausland verlagert, lediglich der Endschliff erfolgt dann noch so, daß zum Beispiel die Behauptung „made in Germany“ nicht gänzlich

gelogen ist. Wer wollte es einem unterbezahlten, chinesischen Fabrikarbeiter verdenken, wenn er einen Teil der Ware quasi als Original weiterverkaufte? Und wie sehr unterscheidet sich dann dieses Plagiat von dem tatsächlichen Markenprodukt? Urheberrechtsverletzungen werden immer verbreiteter. Das liegt zum einen an den angesprochenen Herstellungswegen, sicherlich aber auch am Internet. Das Kopieren von Musikstücken, von Design und von Texten ist in den vergangenen Jahren immer leichter geworden. Informationen sind auf elektronische Weise schnell zu beschaffen. Gleichzeitig verschärft sich der rechtliche Umgang mit solchen Verletzungen. Je mehr das Unrechtsbewußtsein der Masse in diesen Fragen schwindet, desto stärker halten große Firmen an ihrem Urheberrecht fest. Das ist zunächst einmal ein klassisches Muster, doch es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Gesetzgebung dem gesellschaftlichen Trend wird folgen müssen. Eine Lösung dafür ist zur Zeit noch nicht in Sicht. Und das liegt vor allem an der wirtschaftlichen Seite. Wenn Markenhersteller gegen billige Kopien vorgehen, dann geht es vordergründig oft um „Prestige“ und um das „Wohl der Kunden“. Eigentlich geht es aber natürlich um Geld. Und um das Prinzip. Es wäre schon viel gewonnen, wenn man in diesen Fragen graduelle Unterschiede zulassen würde. Wenn man einen Unterschied zwischen Kreativität und Kreation, zwischen Kunst und Kunstfertigkeit annimmt, dann ist beispielsweise ein billiges Imitat weniger schwerwiegend als der Diebstahl einer kreativen (technologischen) Idee. Man darf diese Ausführungen hier nicht falsch verstehen: Produktpiraterie und Wirtschaftsspionage sind keine Kavaliersdelikte. Wer jemals kreativ tätig war, weiß, wie viel Arbeit darin steckt, eine Idee umzusetzen. Vielleicht hilft da ein Vorbild aus der Kunst: Was wir bei Bildern von Lucas Cranach dem Älteren oder bei Drucken von Andy Warhol als selbstverständlich hinnehmen, nämlich daß viele dieser Werke keineswegs von der Hand der beiden Künstler stammen, sondern lediglich auf ihren Ideen gründen, sollte uns auch bei Markenprodukten helfen. Eine kunstfertige Fälschung kann auch ein Kompliment für den eigentlichen Künstler sein. Marc Jacobs beispielsweise soll einmal gesagt haben, erst die Tatsache, daß Kopien seiner Produkte existieren, hat ihn seine eigene Arbeit wirklich verstehen lassen.


j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

wirts c ha f t

Foto: Christian von Borries

A usga b e 2

Ein Handy hat Louis Vuitton nie herausgebracht. Warum nicht, m체ssen sich die chinesischen F채lscher gedacht haben und haben es selbst kreiert.

9


sport

1 0

A usga b e 2

Die junge Frau und das Meer von Merten Sansovino

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1


j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

sport

Event: Maya Gabeira in Cape Town, Photocredit: (c)Kolesky/SanDisk/Red Bull Photofiles, Location: Hout Bay, Cape Town, South Africa

A usga b e 2

A

nderswo würde man die Polizei holen. Anderswo würde die Feuerwehr ein Tuch aufspannen, um die Frau aufzufangen, die sich aus dieser Höhe in die Tiefe stürzt. Aber im Fall von Maya Gabeira würden die Feuerwehrleute ziemlich naß werden, und ob sie es da unten alle überleben würden, ist auch sehr die Frage - denn die 22-jährige Brasilianerin stürzt sich nicht von Häusern, sondern in Wellen, die so hoch sind, daß der Traufhöhenpapst Hans Stimmann sie in Berlin garantiert verbieten würde. Sie ist eine der wenigen Frauen, die Wellen bis zu 14 Metern Höhe und mehr reiten, eine Domäne, in der man lange nur Typen wie The Bull, den legendären Surfer Greg Noll, oder Laird Hamilton fand, der in die Geschichte des Wellenreitens einging, als er am 17. August 2000 Teahupoo, eine lange als unreitbar geltende Welle vor der Küste von Tahiti, bezwang.

Und jetzt Maya Gabeira: Seit sie den Billabong „XXL Big Wave Award“ vor drei Jahren gewann, ist sie der neue Star der Branche und die legitime Nachfolgerin der Filmheldin „Gidget“, die am weltweiten Surfboom schuld ist. Die Geschichte eines jungen, wellenbegeisterten Mädchens machte zusammen mit Taschenbüchern wie George Snyders „Surfside Sex - Living with Savage Passions and Raw Desire“ das Surfen zum Ausdruck absoluter, unüberbietbarer Coolness. Vor „Gidget“ gab es weltweit rund fünftausend Surfer, 1964 war ihre Zahl auf zwei Millionen angewachsen. Damit wurde demokratisiert, was auf Hawaii einmal ein Privileg der Adligen und der Herrscher war: König Kamehameha I. beeindruckte sein Volk durch seine Wendigkeit in den Wellen und verbot, daß das gemeine Volk sich neben ihm tummeln durfte. Auch den Calvinisten war der Rausch der Wellenreiter zuwider: Sie untersagten 1821 das Surfen aus sittlichen

Erwägungen - was jemanden wie Maya Gabeira damals sicher nicht abgeschreckt hätte. Die 1987 geborene Surferin aus Rio de Janeiro ist vielleicht die angstfreieste gutaussehende Frau der südlichen Hemisphäre, sie brach sich ein Dutzend Mal ihr Nasenbein, schlug sich auf der Insel Sumatra den Kopf auf und ließ die Wunde auf einem Boot von einem anderen Surfer nähen und unterbrach ihr gnadenloses Training nur einmal, am Strand von Dungeons in Südafrika, als sich ihr ein weißer Hai mit sehr eindeutigen Absichten näherte. Diese Unverwüstlichkeit liegt in ihrer Familie: Ihr Vater Fernando Gabeira verlor gerade nur knapp die Wahl zum Bürgermeister von Rio de Janeiro und hat eine Vergangenheit, bei der amerikanischen Sicherheitsdiensten ebenso die Haare zu Berge stehen wie allen, die seine Tochter in den blauen Fluten sehen: Er war Mitglied einer Untergrundgruppe während der Militärdiktatur und in dieser Funktion an der

Entführung des amerikanischen Botschafters Charles Elbrick beteiligt, wobei er angeschossen, festgenommen und später als einer von vielen inhaftierten Oppositionellen gegen den ebenfalls entführten deutschen Botschafter Ehrenfried von Holleben ausgetauscht wurde. Dem folgte er in gewisser Weise sehr viel später in seine politische Heimat - als Journalist war Gabeira 1989 BerlinKorrespondent der Tageszeitung „Folha de São Paulo“. Liegt wohl in der Familie, Wellen zu machen.

11


das WETTER

1 2

A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

leicht bedeckt

strahlend

es kickt

frisch

washington dc Mehr Falten, bitte

london Bling Bling

basel Dandy Galore!

Berlin Vorfrühling in Mitte

Rei Kawakubo, Issey Miyake, Yohji Yamamoto... drei Namen, die sowohl für radikale Neuerungen der westlichen Modewelt, wie für traditionell inspirierte und gleichzeitig avantgardistische Designs stehen. Die US amerikanische Kunsthändlerin und Kuratorin Mary Baskett, die bereits seit den 60er Jahren japanische High Fashion trägt, stellt noch bis zum 11. April 2010 ihre umfangreiche Sammlung im Textile Museum in Washington DC aus. Wenn das kein guter Grund ist, mal wieder einen kleinen Ausflug über den Teich zu machen!

Kannst du bitte mal richtig teuer gucken, Schatz? Mit den Pretiosen und Accessoires der Londoner Designerin Lara Bohinc ist das überhaupt kein Problem. Mit leichter Hand entwirft sie Schmuck und Taschen, Lederaccessoires und Sonnenbrillen, die aus jeder Frau ein At-Least-OneMillion-Dollar-Girl machen. Da wird selbst der Imbiß bei Butter Lindner zu einem Happening mit geradezu royalen Format... Achtung! Jetzt ist bei Lara Bohinc Sales-Zeit!

Die Schuhe der Schweizerin Anita Moser haben Lieblingsstück-Potential. In höchster Qualität wird feines Leder in Basel und in Gwatt bei Thun verarbeitet, und das vom Entwurf bis zum letzten Stich, in über 100 Arbeitsschritten. Das halbhohe Modell Andrej B aus Kalbsleder kommt mit Gamaschen daher und ist wie gemacht für den gepflegten Dandy, der auch vor der einen oder anderen Tour in abwegiges Gelände nicht zurückschreckt... Wie gut, daß alle Herrenmodelle von Anita Moser über viele Saisons zu haben sind, denn ist das gute Stück mal abgetragen, bekommt man garantiert ein neues!

In Mitte was Neues: Bei KONK, in der Kleinen Hamburger Strasse 15, ist die Kollektion The Gardener des britischen Schmuckdesigners Alex Monroe eingetroffen. Seine von Natur und Landleben inspirierten Kreationen finden ihre vorwiegend feminine Anhängerschaft über den ganzen Erdball verteilt. Erbsenschoten und Bienen, Gießkannen und Federn... schier unerschöpflich ist die Vielfalt der Monroeschen Motive. Ist da nicht im Februar so ein Feiertag? Für Romeos und Julias mit etwas knapperem Budget hat Alex Monroe übrigens auch einen Bildband zu The Gardener herausgebracht, mit einer Geschichte zum Vor- und Selberlesen. Davon hat dann auch der Nachwuchs was.

Dress, Fall/Winter 1990/91. Issey Miyake. The Collection, of Mary Baskett. Photo by Scott Hisey.

© www.larabohinc.com

© Christian Knörr for Anita Moser

© Alex Monroe


heisse strömung

heavy weather

zart benebelt

elementar

chÂteau-d’oex Zum Abheben schön

venedig Fette Hütte

amsterdam Blaue Stunde

eindhoven Gut gewickelt

Die Schweizer wieder. Ja, haben die denn sonst nichts zu tun? Etwas neidvoll mag der arbeitsame Piefke auf die Eidgenossen blicken, lassen doch die Waadtländer zwischen dem 23. und dem 31. Januar 2010 hunderte zum Teil von internationalen Künstlern gestaltete Heißluftballons in die Luft steigen. Den Neid sollte man sich sparen und lieber rechtzeitig in ein Zugticket zum Ballonfestival investieren - allein die Strecke von Montreux nach Château-d‘Oex, vorbei am Genfer See und mitten durch die verschneiten Schweizer Alpen bietet wahrhaft atemberaubende Perspektiven.

Im Herzen Venedigs, direkt am Canal Grande, hat ein neues Designhotel geöffnet: das Palazzina Grassi. Wo jahrhundertelang Adlige und Angehörige der HauteBourgeoisie lebten, finden nun Liebhaber von modernminimalistischem Luxus ein temporäres Domizil. Das schön gestaltete Kleinod hat 26 Gästezimmer, die sich in einer Weise in die antike Umgebung einfügen, daß alles zu einer wunderbaren Einheit verschmilzt. Ein Genuß für romantische Ästheten - und auch eine Verheißung für Gourmets. Die Küche verspricht sagenhaftes, in einem von Philippe Starck gestalteten Interieur...

Mitten im Amsterdamer Vondelpark steht eines der wohl schönsten Teehäuser der Stadt, in Form einer chinesischen Pagode. ,T blauwe Theehuis heißt der leicht verwunschen wirkende Ort, der selbst von Einheimischen als Geheimtip gehandelt wird. Nach einem langen Spaziergang im Park oder nach einer durchtanzten Nacht im wilden Amsterdamer Nachtleben findet man hier die nötige Ruhe und kulinarischen Support, um seine Reserven wieder aufzutanken. Übrigens: Wer es schafft, mit dem Rezept für Bitterballen aus Amsterdam zurückzukommen, darf sich von der Redaktion was wünschen.

Die aus Portugal stammende Designerin Daniela Pais entwirft unter dem Namen Elementum schicke Schlauchkleider, die sich in immer neuen Varianten um den Körper ihrer Trägerinnen wickeln lassen und multiple Drapiermöglichkeiten schaffen. Eine Wohltat für jeden Frequent Traveller, denn so spart man sich das eine oder andere Teil der üblichen Garderobe im Gepäck. Ein Segen für die Umwelt sind die Kleider der Absolventin der Design Academy Eindhoven noch dazu. Daniela Pais arbeitet fast ausschließlich mit Reststoffen, die sonst in den Abfalltonnen der Produktionen landen.

www.chateau-doex.ch © Fabrice Wagner

© www.designhotels.com

© www.blauwetheehuis.nl

Photography Yoad David Luxembourg © Daniela Pais


SPH00019_SantecJuwelier.indd 1


12.01.2010 14:52:45 Uhr


„Ich bin Valentino“ Interview von Johannes Bonke Ein schickes Restaurant in Torontos Sudberry Street, etwas weiter entfernt von der Hektik der Innenstadt und des Filmfestivals. Es war nicht einfach, diesen Interview- und Fototermin zu bekommen, aber es war die Mühe wert. Die Ankunft Valentino Garavanis, bekannter unter seinem Vornamen, und seines langjährigen Partners Giancarlo Giammetti erscheint wie eine perfekt inszenierte Modeaufnahme: Schwarze Limousine, dunkle Sonnenbrille und eine Verspätung von 20 Minuten belegen, daß der Designer in Ruhestand noch immer weiß, sich ins Rampenlicht zu setzen. Mr. Valentino, möchten Sie etwas trinken? Valentino: Ein Glas Wasser, ohne Eis. Als Sie Ihre Karriere als junger Mann in Paris anfingen, dachten Sie, daß Sie eines Tages eine so brillante, international anerkannte Legende werden würden? Mein Freund, wenn man anfängt, ist es für jedermann schwer, davon zu träumen. Aber nach und nach wurde mir klar, daß ich gut war. 1968 präsentierte ich eine wichtige Kollektion. Ich wurde von Magazinen und aller Welt aufgesucht. Es ist hilfreich, bekannt zu sein, denn ich kleidete Jackie Kennedy ein, wie auch große Filmstars. Darüber hinaus wurde ich für mein Glamour and meine feminine Note bekannt. Warum, glauben Sie, lieben Frauen Ihre Kleider dermaßen? Was hat Ihr Design? Ich versuche immer, Frauen schön aussehen zu lassen. Sie schätzen die klassische Routine und lieben die Weiblichkeit. Und sie lieben es, sich glamourös und sexy in meinen Kleidern zu fühlen. Verglichen mit der Zeit Ihrer Anfänge, hat sich die Modeindustrie in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Sie hat zum Beispiel einen stärkeren unternehmerischen Zug bekommen. Würden Sie sagen, daß es früher mehr Spaß gemacht hat? Die Mode hat sich mit jedem Jahrzehnt stark verändert. Ich mag die 60er Jahre ziemlich und die 70er sehr. Ich mochte nicht, ich haßte sogar die 80er. Das war etwas außerordentlich vulgäres. Frauen, die wie verrückt Kleider kauften und nicht schön aussahen: breite Schultern, kurze Kleider, die Haare wie Berge…Ich beginne, das Ende der 80er und die 90er Jahre sehr zu mögen.

Als Künstler: Woher nehmen Sie die Inspiration, diese großen Ideen? Träumen Sie manchmal von Kleidern? Das kann passieren. Man kann manchmal von Kleidern träumen. Man kann einen Traum haben von Kleidern und völlig neuen Ideen. Dann schalte ich das Licht an und zeichne. Oder ich erinnere mich am nächsten Morgen. Aber es ist schwer zu erklären, weil ein Designer zeichnen kann. Das ist sehr wichtig. Was die Inspiration betrifft…Ich habe nie versucht, an eine Frau oder Mädchen zu denken, um mich inspirieren zu lassen, nie. Ich lasse mich inspirieren von einem Museumsbesuch, z.B. von der Eremitage in St. Petersburg, wo ich viele Details, schöne Dinge gesehen habe. Oder ich bin nach China fahren und habe dort die alten Kostüme des chinesischen Theaters gesehen. Wenn man eine Kollektion vorstellt, versucht man natürlich, die schönsten Models zu finden. Weil sie dein Team sind und weil du deiner Kollektion Auftrieb geben mußt. Aber nach der Schau werden die Kleider vertrieben und von den Massen gekauft, außer in der Couture. Manchmal, glauben Sie mir, sehe ich meine Kleider lieber von einer Frau getragen, die nicht die Schönste ist aber Mut und Charakter hat – dann sehe ich meine Kleider leben. Denn Kleider müssen am Körper leben und sich gut bewegen. Ich erinnere mich an Kundinnen, die einem Holzstück glichen und die Kleider wie Marionetten trugen – ich hasse das. Giancarlo Giammetti ist seit mehr als 40 Jahren Ihr Partner. Es tut heutzutage gut zu sehen, daß es eine langlebige Beziehung wirklich geben kann. In der Rückschau: Wie schwer war es, diese stabile Beziehung in einer so instabilen Welt – in der schnelllebigen Modebranche obendrein – aufrechtzuerhalten? Die Beziehung besteht fort, selbst wenn es in der Welt stürmisch zugeht. Es gab Diskussionen und Probleme, aber Herr Giammetti war immer lieb zu mir. Er gibt mir die Möglichkeit, in Ruhe und ohne Angst zu arbeiten. Ich war immer in meinem Atelier, machte meine Entwürfe und bereitete meine Kollektionen sorgenfrei vor. Selbstverständlich haben Sie wichtige Beziehungen zu Filmgrößen, Hollywooddiven und Gesellschaftsdamen. Wer hat Sie am meisten inspiriert? Niemand. Wenn ein Entwurf fertig war, habe ich natürlich mal gesagt, dieses oder jenes wäre fantastisch für Frau XY. Aber es ist so: ICH muß meine Kollektion lieben, Kleider, die dann den Filmstars und den anderen Damen gefallen. Die Presseabteilung und die Manager riefen bei uns an und sagten, Frau Soundso möchte ein Valentinokleid tragen, weil sie es im Fernsehen oder in der Kollektion gesehen hat. Und selbstverständlich habe ich Kleider für große Hochzeiten gemacht...

Kurz bevor Sie in den Ruhestand gegangen sind, sagten Sie: Ein Designer muß heutzutage mehr Manager denn kreativer Künstler sein. Sind Sie immer noch dieser Meinung? Sie wollen alle Geld machen jetzt. Wenn man eine Menge Geld machen möchte, muß man ein Produkt machen, das sich überall verkauft. Doch tut man dies, nimmt die Produktivität automatisch ab, in dem Sinne, daß es billig wird. Die Produkte werden billig gemacht, weil das Mate- Ist Schönheit das Wichtigste für Sie? rial nicht teuer ist. Unglücklicherweise… Für einen Schöpfer ist Schönheit das Allerwichtigste. Seit meiner Kindheit liebe ich die Art, wie ein Kleid aussieht, bewundere ein großartiges Gesicht, einen schönen Körper. Ich genieße die Schönheit in einer Frau, einem

Mann, einem Kind, einem Gemälde. Schöne Dinge sind Fotograph. Ich bin ein großer Bewunderer Yves Saint wichtig für das Leben. Laurents. Welches ist das schönste Kleid, das Sie jemals entworfen haben? Das schönste (lacht)…Ich habe viele, viele schöne Kleider entworfen, es tut mir leid. Sie müssen rechnen: In jeder Kollektion die ich in der Vergangenheit gemacht habe, gab es 188 Auftritte, zuletzt waren es etwa 70 Modelle. Gibt es nichts, das herausragt? Wenn mir ein berühmtes Exemplar gelang, wiederholte ich es mehrfach. Das erste machte ich 1965 und wiederholte es in den 80er und 90er Jahren und in der letzten Kollektion. Es war ein trägerloses Kleid, ein riesiger roter Kubus, zu sehen auch in der letzten Retrospektive.

Wenn Sie zurückschauen, was hätte der junge Valentino gedacht, wenn er den reifen Valentino von heute gesehen hätte? Ich glaube, er würde sehr glücklich sein, denn ich war immer ein großer Träumer, immer von Schönheit träumend. Meine Mutter sagte, du denkst immer an dumme Dinge.

Ihr Leben und das Design waren immer so eng miteinander verzahnt, daß es Ihnen schwergefallen sein muß, aufzuhören. Machen Sie weiter für sich? Wie strukturieren Sie Ihr Leben jetzt, vermissen Sie etwas? Ich habe aufgehört, für die Kollektion zu arbeiten, aber ich habe immer Ideen. Nichts hat sich verändert, vielZu welchem Supermodel haben Sie die engste leicht weil ich glaube, daß ich Kostüme fürs Theater Beziehung, welches ist Ihr Favorit? und für die Oper entwerfen werde. Also nein, ich verIch mag viele, weil sie meine Kollektionen trugen. Ein misse nichts. besonderes Gefühl hege ich für Gisele, für mich die schönIhr Name und Ihr Status sind überlebensgroß ste Frau der Welt. Und Claudia liebe ich auch sehr. geworden. War es schwer, als eine Ikone betrachWelchen Star haben Sie am häufigsten einge- tet zu werden, als sähe man nur das Modegenie Valentino und nicht den Menschen? kleidet? Ich habe viele Kleider für den roten Teppich gemacht: für Das ist schwer zu sagen. Ich habe immer gern die Namen die Academy Awards. Zwei Kleider für Cameron Diaz, und die Titel angenommen, die man mir gegeben hat: am Anfang Kleider für Nicole Kidman, Sandra Bullock, „Der König“, „der Kaiser, „Ikone“ und so weiter. Ich bin für viele junge Schauspielerinnen. Valentino und wie Herr Giammetti sagt, immer noch der, der ich früher war. Mein Leben ist immer dasselbe geweSie haben auch viele für Elisabeth Taylor ent- sen. Wenn sie mich „Ikone“ nennen wollen, okay. worfen. Ja, ja, ungefähr acht. Haben Sie immer noch Kontakt zu ihr? Ja, manchmal, wenn ich nach Los Angeles fahre, besuche ich sie. Sie ist immer so reizend und schickt mir Blumen zum Valentinstag. Wie ist die perfekte „Valentino-Frau“? Eine Frau, die Geschmack hat und weiß, was sie will. Es ist sehr frustrierend, wenn jemand sagt, hören Sie, machen Sie, was Sie wollen, ich stehe hier wie ein Stück Holz. Sie müssen etwas nettes für mich entwerfen. Es ist besser, eine Frau diskutiert mit einem und hat Persönlichkeit. Dann fühlt man sich zu ihr hingezogen und möchte für sie Kleider machen. Wer ist Ihr bester Freund in der Modebranche? Sie sind merkwürdig…Ich habe vielleicht Tausende. Wer ist Ihr Lieblingsdesigner, von Ihnen selbst mal abgesehen? Es gibt viele Leute mit vielen Fähigkeiten. Ich möchte keine Namen nennen. Für welchen Kollegen haben Sie den meisten Respekt? Mit Karl Lagerfeld bin ich eng befreundet. Ich mag was er macht. Er ist talentiert und mutig, auch ein guter


Fotos: Alex de Brabant / COLORSTORM

A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

17


style

1 8

A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

Der Teufel steckt im Knopf足loch

Fotos: Alexander Malecki

Von Sean Arkin


A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

style 1 9

W

arum einen Maßanzug schneidern lassen, wenn auch einer von der Stange paßt? Oliver Sinz, der in Berlin ein Maßatelier betreibt, würde gar nicht groß versuchen, einen Skeptiker zu überzeugen. Zumindest – und das soll es durchaus geben – wenn dem Skeptiker das Kleidungsstück von der Stange perfekt paßt. Es wäre also Unsinn, zu behaupten, ein Mann müsse einen maßgeschneiderten Anzug haben, findet er. Die typischen Dogmen der klassischen Maßkonfektion kommen ihm nicht über die Lippen, schon gar nicht, wenn es sich bei dem, der einen Anzug sucht, zum Beispiel um einen Studenten handelt, der nur selten einen braucht. Oliver Sinz enerviert es eher, wenn die ehernen Regeln der Savile Row („Die Manschette muß soundsoviele Zentimeter aus dem Jackettärmel gucken“, „No brown in town“ oder: „Abends keine Kombination“) heruntergeleiert werden. Der Slogan seines Ateliers, „Berlin statt Mailand London Paris“ klingt zwar ironisch, hat aber einen Hintergrund: Viele Maßschneider, wie eben beispielsweise aus der Londoner Savile Row, verweigern sich beharrlich jeglichem Design und damit einer zeitgemäßen Silhouette. Sie glauben daran, daß so etwas wie „der klassische Anzug“ existiere – was natürlich ein Irrtum ist, weil es immer nur eine Form gibt, die gegenwärtig als klassisch empfunden wird. Viele von ihnen sind irgendwo in einer der zurückliegenden Gegenwarten hängengeblieben, meistens in der, in der sie selber ihr Handwerk gelernt haben. Dabei geht es bei dem, was sie als modernes Design ablehnen, eigentlich nur um Interpretationen bestimmter Evergreens: Um die Frage, ob zwei oder drei Jackettknöpfe, um wenige Zentimeter an Länge oder Weite. Aber die haben es in sich. Da die Silhouette in den letzten Jahren nun einmal sehr viel schmaler geworden ist, besonders seit Hedi Slimanes dekadenprägender Kol-

lektionen für Dior Homme, sehen manche Protagonisten des höheren Gesellschaftslebens trotz Maßanzug plötzlich schlecht angezogen aus. Früher als makellos wahrgenommene Tweedsakkos wirken dann plötzlich wie Kartoffelsäcke. Auch die klassische Mode ist eben nur Mode – und das erkannt zu haben, ist einer der Vorzüge von Oliver Sinz. Er fing als Fünfzehnjähriger mit einem Nähkurs in einer Familienbildungsstätte an. Später arbeitete er bei Hanns Friedrichs, dem letzten deutschen Couturier alter Schule, ging für zwei Jahre nach Hongkong und studierte schließlich Modedesign in Bremen. Natürlich interessieren ihn Labels wie Dolce & Gabbana, Yves Saint Laurent oder Balenciaga, und wenn er einen Kunden hat, der sich Teile aus deren Kollektionen ändern läßt, schaut er genau hin und studiert Form und Verarbeitung. Und wenn sich Kunden, die nirgendwo anders fündig geworden sind, schüchtern in den Laden am Monbijouplatz schleichen, sind sie überrascht, daß ein maßgeschneiderter Anzug schon ab 700 Euro zu haben ist. Das ist weniger als vieles von der Stange, und individueller ist es sowieso. Man kann es sich ja alles aussuchen: Farbe, Material, Muster, Schnitt, Futter. Details wie eine Billettasche (eine zweite, kleinere Tasche über der eigentlichen Tasche). Bunte Kragenfilze (das ist der Stoff, mit dem die Unterseite des Kragens verstärkt wird und der hervorblitzt, wenn man den Kragen hochstellt). Pikierstiche (kleine, von Hand gestochene Stiche am Revers, die Form und Textur geben). Knöpfe, Kissing Buttons (sich leicht überlappende Knöpfe am Ärmel, auch Schuppenknöpfe genannt) oder nicht, farbiges oder monochromes Knopfgarn – und der Stich, mit dem die Knöpfe angenäht werden (überkreuz oder parallel). Paspeliertes Futter und dieses vielleicht sogar

in Kontrastfarben gepaspelt. Hose mit oder ohne Aufschlag. Echte und nicht nur aufgestickte Knopflöcher an den Ärmeln, von denen man auch mal den untersten offenlassen kann (um ein wenig anzugeben, denn hier zeigt sich wahre Qualität) – die Liste der Details, in denen der Teufel steckt (und dabei nicht einmal Prada trägt), ist endlos. Manschetten- und Jackettknöpfe läßt Sinz von einem Goldschmied anfertigen und ein Schuhmacher liefert farblich abgestimmte Maßschuhe. Dessen Preise liegen allerdings etwa beim Fünffachen eines Schuhherstellers wie Ludwig Reiter, Ferragamo oder Church’s. Dafür kriegt, wer will, auch Elefantenlederschuhe. Die braucht vielleicht wirklich kein Mensch; aber was jeder braucht, ist eine gute Beratung. Oliver Sinz möchte verhindern, daß Kunden sich etwas anfertigen lassen, von dem sie glauben, das trage man jetzt so. Sein Ehrgeiz besteht darin, den Kunden zu sich selbst zu führen, etwas aus ihm herauszuschälen, das er vielleicht bisher nicht zu zeigen gewagt hat. Manchmal gilt es auch, klaffende Lücken zwischen Selbstbild und Fremdbild diskret zu schließen. Dabei kann es passieren, daß der Designer, der selbstverständlich über diverse maßgefertigte Garnituren Arbeitskleidung verfügt, auch mal einen gewagten Mustermix aus Fischgratsakko, Streifenhemd und Paisleytuch trägt, um zu zeigen, wie gut das nämlich zusammen aussieht und was für ein Unfug es ist, zu behaupten, man könne keine drei verschiedenen Muster miteinander kombinieren. Ungefähr derselbe Unfug, den Visagisten Frauen erzählen, wenn sie sagen, man könne beim Make-up nur entweder die Augen oder den Mund betonen. Für Frauen fertigt Oliver Sinz übrigens auch an; und, mal ganz ehrlich, welche Frau träumt nicht von einem rasant weiblich geschnittenem Anzug mit allen maskulinen Features?

Der Celebrity-Knigge. Diesmal: Botox & Co. sind vor allem peinlich, wenn man sie verheimlicht

K

eine Frage: Schauspielerinnen werden auch für ihr Aussehen bezahlt. Doch sie werden trotz allem, immer noch, vor allem dafür bezahlt, Rollen zu spielen. Ohne vorhandene Mimik geht das schlecht, und trotzdem scheint es einigen weiblichen Vertreterinnen dieser Zunft immer wichtiger zu sein, ihr Gesicht so unbeweglich wie möglich werden zu lassen. Nicole Kidman, immerhin Oscarpreisträgerin, hat sich eine straffe, wächserne Plastikvisage zusammenspritzen lassen, die kaum noch etwas mit ihrem Gesicht vor zwanzig Jahren zu tun hat. Das Schlimmste daran ist, daß sie weder Botox in der Stirn noch Kollagen in den Lippen noch Hyaluronsäure in den Nasolabialfalten zugibt, die chemischen Peelings und den Rest auch nicht. Nicole Kidman hat tatsächlich die Frechheit zu behaupten, ihre freakige Faltenfreiheit nur mit „viel Wasser und Sonnenschutzfaktor“ zu erreichen, trotz visueller Beweise, trotz VorherNachher-Fotos. Damit hält sie alle, die sie sehen können, zum Narren, und die meisten Menschen mögen es eben nicht, wenn man sie verarscht. Deshalb ist im Jahr 2010 die erste Assoziation, die man mit Nicole Kidman hat, nicht „Oscarpreisträgerin“ sondern „freakige Plastikfresselügnerin“, und schuld daran ist nur sie selbst.

© www.sxc.hu

HollyWhat?

Schlimmer noch ist, daß sich Kidman damit zum Pendant von Chiara Ohoven macht, jener Industriellentochter, die, auf ihre grotesk aufgespritzten Karpfenlippen angesprochen tatsächlich behauptete, diese würden voller wirken, weil sie nun auch helle Strähnchen hätte. (Die Logik hinter dieser Behauptung ist sehr schwer nachzuvollziehen, aber immerhin hat Ohoven inzwischen zugegeben, daß es nicht an den Strähnchen lag.) Es scheint fast so, als ob Botox und all das andere Zeug bei manchen Frauen die Nebenwirkung auslösen, ihre Umwelt für Vollidioten zu halten. Hallo? Ihr habt neue Lippen und Nasen, aber wir haben immer noch unsere alten, funktionierenden Augen und Gehirne.

beiseite gelassen, scheint vor allem das weibliche Hollywood auf Botox abzufahren – ein Effekt, den die großartige Tina Fey so beschrieb: „Menschen, die zu viel davon haben, sehen aus, als ob sie Kerzen im Gesicht haben – ein leuchtendes, leuchtendes Gesicht.“ Da lobt man sich ausgerechnet ehemalige Models wie Linda Evangelista und vor allem Cindy Crawford, der man das viel-Wasser-trinken, den Sport und die gesunde Ernährung abnimmt, und die trotzdem kein Problem damit hat, Botox zuzugeben, obwohl es bei ihr so gut gemacht und so wohl dosiert ist, daß sie durchaus versuchen könnte, es zu leugnen. Gerade ihre Ehrlichkeit weckt Sympathie. Danijela Pilic

Das Gejammere über den Druck, in Hollywood gut aussehen und jung bleiben zu müssen, kann auch niemand mehr hören – man hat sich seinen Beruf ausgesucht, und jeder hat sein Päckchen zu tragen. Es ist längst normal geworden, sich ab und zu warten zu lassen; nicht-invasive Eingriffe sind inzwischen (ein) Teil des Lifestyles, und – wenn man sich dafür entscheidet – erkennt man guten Stil und Geschmack inzwischen auch daran, wieviel man sich wohin und wie häufig spritzen läßt. Die grotesken Jocelyn Wildensteins mal


2 0 style

A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

FRANCOIS GUILLOT/AFP/Getty Images

Hört auf! Von Danijela Pilic In dem traurigen Film „Dancer in the Dark“ von Lars von Trier singt Björk, kurz vor ihrer vollständigen Erblindung: „I‘ve seen it all - there is no more to see!“ Modeanalystin Danijela Pilic möchte zwar nicht blind, aber verschont werden: von Schuhen, die aussehen wie satanische Hufe, Sachbearbeiterinnen aus WanneEickel in Bondagekleidern und Teenagern in Swingerclublatex. Sonst überlegt sie sich noch, ob sie sich nicht doch lieber die Augen verbindet – und das würde, zumindest von auSSen, gleich wieder so nach dem 80-er Jahre-Pornoalbtraum aussehen, aus dem jetzt bitte ganz dringend aufgewacht werden muSS. Die Suche nach einem Weg zurück in die Normalität, der interessantesten modischen Herausforderung in dieser Saison.

B

ei der letzten Fashion Week in Paris trieb schließlich Alexander McQueen die Sache auf die Spitze. Er schickte seine Models in Schuhen auf den Laufsteg, die als solche nicht zu erkennen waren: 30 Zentimeter hoch, von einer solch grotesken Häßlichkeit, daß sie umgehend „Armadillo“ getauft wurden, machten sie aus den Models stampfende, wackelige Kreaturen, denen man endlich abnahm, daß ihr Beruf harte Arbeit ist. (Zumindest denen, die sich auf den Laufsteg trauten: Topmodels Sasha Pivovarova und Natasha Poly weigerten sich angeblich, was sie zu den Lässigsten der Branche machen würde.) Wie vorauszusehen war, trug sie Miss „Ich-bin-ja-so-verrückt“ (alias Lady Gaga) sofort in einem ihrer Videos und dann Daphne Guinness, die zwar eine der größten Couture-Sammlungen der Welt besitzt, sich mit diesem Zug aber als totales, bemitleidenswertes Modeopfer outete. Das Erstaunliche an der Sache ist, daß McQueens Büro nach der Schau mit Anrufen bombardiert wurde, denn scheinbar wollen sehr viele nicht berühmte Modeopfer diese Schuhe haben - manche, wie McQueens Pressesprecher sagt, um sie wie Kunstobjekte in Vitrinen auszustellen. Das bedeutet gleichzeitig, daß alle anderen sie tatsächlich zu tragen gedenken.

Die manifestierte sich in kurzen Kleidchen, mit digitale Reptildrucke. Das ist zwar düster und interessant, doch manche von uns möchten immer noch Kleider kaufen, die unseren Hintern gut aussehen lassen – und das wurde uns in den letzten Jahren nicht gerade einfach gemacht. Selbstverständlich sind Laufstege eine Inszenierung, eine übertriebene Darstellung einer Idee und einer Stimmung, und niemand erwartet, dass man das Gezeigte eins zu eins umsetzt. Trotzdem war McQueens Schau ein guter Gradmesser für den zunehmenden Gehirnverlust der aktuellen Mode. Es steht fest: Die Mode ist offiziell verrückt geworden, und alle machen mit. Die Besessenheit mit immer höherem und immer pornomäßigerem Schuhwerk war ein erstes Symptom dafür. Irgendwann im Jahr 2007 ersetzten Schuhe Taschen als „It“- oder „Must have“- Objekte. Plötzlich waren die Pagoda-Schuhe von McQueen (ja, er schon wieder!) angesagt, die Lacklederteile von Chloé, die aussahen, als ob man mit ihnen versuchen wollte, einen Bänderriß zu heilen, die scheußlichen Teile von Antonio Berardi, die vorne ein Plateau und hinten gar keinen Absatz hatten, die kniehohen halb-Bondage-halb-Gladiator-Sandalen von Givenchy, die geschnürten Domina-Versionen von Balenciaga. Während nur Victoria Beckham reich, bescheuert und Trendroboter-programmiert genug war, alle aufzukaufen, schwappten die Gaga- und PornoElemente schnell in den Mainstream über: Wer sich die echten crazy Hufe nicht leisten konnte, kaufte sich eben Kopien oder abgeschwächte, günstigere Alternativen. Letztes Jahr kamen dann Overknees in Mode – ein ehemals mit Prostituierten assoziiertes Schuhwerk, das sich aber in der Wildlederversion als erstaunlich tragbar herausstellte. Trotzdem: Das, was wir heute an unseren trendy Füßen tragen, nimmt seine Inspiration aus einem Beate-Uhse-Katalog von 1988. Normal ist das nicht.

Die McQueen-Hufe machten in all ihrer Absurdität die seit ein paar Saisons grassierende Verrücktheit-als-Normalzustand und die daraus resultierende Lächerlichkeit der Modewelt deutlich. Gleichzeitig stimmte einen das Bild optimistisch, denn nun kann man zu Recht hoffen, daß bald neue, normalere Zeiten anbrechen. (Wenn es nur eine einzige konsequente Regel in der Mode gibt, ist es die, daß sie sich per definitionem ändert.) Natürlich ist Alexander McQueen ein zu intelligenter Designer, um nicht zu wissen, daß er mit den Hufen schockieren und polarisieren würde, und auch daß darüber viel geschrieben werden würde (Q.E.D.). Übrigens ging der Rest seiner Kollektion mit den Armadillos einher: Er zeigte Kleider, die, wie seine Pressemitteilung erklärte, Ich bin von Berufs wegen von Trends gelangweilt, sobald eine apokalyptische Zukunftsvision von Menschen, die sie den Mainstream erreichen. Früher lachte ich über wie ihre Urform wieder im Meer leben müßten, darstellt. Mode vergangener Jahrzehnte - wie merkwürdig meine

Eltern in den 60er-Jahren aussahen, wie kurz ihre Ärmel waren, und wie cool sie sich damals vorkamen. Jetzt lache ich darüber, wie ich in den 80er-Jahren aussah, aber – und das taten Generationen vor mir nie – ich lache jetzt schon über die Trends von heute. Mein Zeitintervall zwischen Trend erkennen und Trend auslachen wird immer kürzer: Letztes Jahr vergingen mir meine spitzen BalmainSchultern – als Ausdruck der Avantgarde gemeint - endgültig, als sie eine Gruppe kichernder 14-jähriger bei Zara anprobierte und ich danebenstand. Diese Demokratisierung der Mode ist durchaus ein Problem, denn Mode ist nicht nur ein äußerer Ausdruck des inneren Befindens, sondern im besten Falle auch der eigenen Individualität. Wenn aber alle Zugang zu allem haben, wird es immer schwieriger, sich abzuheben. Das liegt auch daran, daß es in einer Saison immer mehr Trends gibt. Goth-Punk, 80er-Revival, Space-Look, Spitze, Preppy Chic, Haremshosen, Paillettenblazer, Blümchenkleider – letzte Saison ging alles. Selbst wenn man gegen den Strom schwimmen will, schwimmt man wahrscheinlich mit, und sei es nur in einem Revival. Madonna jedenfalls muß sich bald etwas Neues einfallen lassen: die dumm-dröge, bewundernde Behauptung, sie würde sich immer wieder neu erfinden – als ob das eine Leistung für sich wäre – ist unser aller Recht geworden. Wir können uns jeden Tag neu erfinden, für 29,99 Euro. Wir sind Madonna. Gut ist das nicht. Fast alles, was auf dem Laufsteg gezeigt und als wegweisend empfunden wird, wird in immer schnellerer Manier kopiert und den Massen verfügbar gemacht. Das ist zwar irgendwo Diebstahl, aber nicht nur verwerflich, denn 9000 Euro für eine Jacke ausgeben können die wenigsten. Andererseits schneidet sich die Modewelt ins eigene Fleisch, wenn die Massen das werden, was man auf Englisch fashion savvy nennt. Fashion savvy sollen ein paar Insider, Avantgardisten, Tonangeber und Individualisten sein, und der Rest soll gefälligst zu ihnen aufschauen, versuchen, sie zu kopieren, aber dann bitte doch schei-

tern, weil ihnen das entscheidende Quentchen Stylorama fehlt. Das ist nicht mehr gegeben: Eine Sachbearbeiterin in Wanne-Eickel kann für einen Bruchteil des Budgets den Look eines Filmstars nachkaufen. (Natürlich garantiert ähnliche Kleidung noch lange keinen ähnlichen Stil, doch es wird ihr wesentlich einfacher gemacht.) Vielleicht ist deshalb die einzige Möglichkeit sich abzuheben, die Rihanna & Co. (oder ihre Stylisten) sehen, ihre immer schriller werdende Garderobe – schließlich ist es noch nicht so einfach, sich ein Korsett aus Spiegelmosaik oder einen Catsuit aus Latexstreifen zu kaufen. (Wobei: Im Beate-Uhse-Katalog von 1988 habe ich welche gesehen.) Was auf der Oberfläche verrückt und eigenwillig scheint, ist aber längst vorhersehbar geworden. Der einzige Schocker, den Lady Gaga noch bringen kann, sind T-Shirt, Jeans und Turnschuhe. Wo soll das alles enden? Sehen wir bald 15jährige in LatexCatsuits auf dem Weg zur Schule? Kaum. Die Schauspielerin Rachel Weisz sagt in der Januar-Ausgabe der britischen Vogue, daß sie für das nächste Jahrzehnt auf die Rückkehr von Simplizität und Minimalismus hoffe. Die Zeichen stehen gut: Jogginghosen – das normalste, unabgehobenste Kleidungsstück aller Zeiten – werden 2010 ein Renner, wenn auch in luxuriösen Ausführungen aus Seide oder Kaschmir. Man verspürt außerdem Lust auf gut geschnittene, simple Blazer, wie sie Helmut Lang früher entwarf, Kleider ohne Hüftvolant, mit zwei Schultern und Ärmeln, Säume, die gerade sind, Schuhe ohne Nieten und Plateau und Bondage-Assoziationen. Stendhal schrieb einst, daß sich nur ein großer Geist einen einfachen Stil erlauben kann. Niemals hörte sich das wahrer an als jetzt. Normal ist das neue Verrückt, Darling.


HERR VON EDEN.COM I PHOTO: DANIEL JOSEFSOHN.COM


2 2 style

A usga b e 2

radi c al roman c e

Es ist schwierig, etwas über Julia Zange zu sagen, ohne gleich von ihrer elfenhaften Schönheit anzufangen. Von der Unwirklichkeit ihrer Erscheinung und der überraschenden Bestimmtheit, von der ihre Sängerknabenstimme durchdrungen ist, wenn sie ihre Texte liest. Julia Zange wurde 1983 in Darmstadt geboren, studierte Germanistik in München und dann – aus Trotz, sagt sie – Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation in Berlin. Sie gewann zwei wichtige Literaturwettbewerbe und hat mit 25 Jahren einen Roman bei Suhrkamp veröffentlicht, der Ende Januar in der Taschenbuchausgabe erscheint. „Die Anstalt der besseren Mädchen“ handelt von einem Mädchen, das sich ohne Instruktionen von außen kaum verorten kann. Ihr Leben ist eine einzige Abschweifung, getarnt als Suche nach dem Kern. Ein Lebensnebenschauplatz, abstrakt und absurd teilweise – und doch kommt Julia Zange der Realität damit besonders nah. Die Frage nach dem Aushalten schmerzt wie ein Schnitt, den man sich beim Öffnen eines Briefumschlags zugezogen hat: klein, unblutig, aber nicht heilen wollend. Dabei verficht Julia Zange in ihrer sich weit zum Fenster hinauslehnenden Sprache angstfrei eine radikale Romantik, nachzulesen in drei hier abgedruckten Gedichten aus der Reihe „Bunte Steine“. LaLa Berlin Strickjacke: Tasche: Hecking

Fotografiert haben wir Julia Zange an einem uns passend erscheinenden Ort: In der Hotel-Pension Funk in der Charlottenburger Fasanenstraße. Aus der Zeit gefallen, voller blumiger und auch blutiger Geschichten. Der Stummfilmstar Asta Nielsen lebte in den 1930er Jahren in einer der beiden weitläufigen Wohnungen, die in den 1950er Jahren von den Schwestern Funk zum Hotel zusammengelegt wurden. Für kurze Zeit war sie Ernst Udets Zuhause, im Ersten Weltkrieg Jagdflieger in Manfred von Richthofens Geschwader und dessen Nachfolger, als Richthofen fiel. Udet war das Vorbild für den General Harras in Carl Zuckmayers Stück „Des Teufels General“. Von seiner Rolle als Generalluftzeugmeister während des Zweiten Weltkriegs überfordert, nahm er sich 1941 das Leben. Heute kämpft der Geschäftsführer Michael Pfundt um den Erhalt der Hotel-Pension: Erdrückende Mieten – andere Hotels in der Umgebung erleben in der Krise ein Entgegenkommen ihrer Vermieter – gefährden das Kleinod in der Fasanenstraße. Eigentümer ist ein Privatier, der die Treue seiner Mieter und die Historie des Hauses nicht zu schätzen scheint. Schade, wenn diese Geschichte so unromantisch zu Ende ginge. www.hotel-pensionfunk.de

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1


A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

style 2 3

Kleid: Mongrels in Common Gelbgoldohrring mit rosa Turmalin: Dreigold


2 4 style

Kleid: Allude Silberkette mit Katzenmedaillon: bastian inverun

A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1


A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

Flitter I c h ha b e die K larheit gehen sehn heute morgen um z ehn im H o c hne b el z u W est b erlin . S ie hinterlie S S ein Federkleid es stand und stau b te E insamkeit . i c h ste c kte meinen K รถ rper rein und merkte : es war v iel z u weit .

style 2 5


2 6 style

A usga b e 2

K at z engold matt s c himmert ein kat z ener z in meiner hand pulst als w 채 re es heim ins M uttergestein f unkens c hlagend nur z u z wein .

Bluse: .Dimitri Perlenette F채cher: Christopher / Spreeglanz Ringe: Dreigold

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1


A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

style 2 7

Kleid: Allude Silberohrring mit Aquamarin: Dreigold


2 8 style

Kleid: RenĂŠ Lezard Ring: Lina / Spreeglanz Fotograf: Jan Friese Assistant: Christian Hair + make up: Mo Oturak / blossom berlin Fashion: Bruce Hamilton / agentur FAUDE Location: Hotel-Pension Funk Berlin

A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1


A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

style 2 9

K ar f unkel U nd immer st รถ S S t das Biest mir seine S c hnau z e in den S c ho S S als wollte es z ergehen sein helles S eidenraupen f ell es st รถ b ert den S c hnee au f . I n der U mna c htung ha b en wir uns einges c hlossen um e v entuell einen S c hat z z u f inden .


A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

Š Anita Tillmann

3 0 style


A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

style 3 1

„mix and match!“ Anita tillmann, chefin der premium, im interview mit miriam rauh Busy ist sie. Die Kinder wollen raus und zwar sofort, das Telefon klingelt und in ihrer Mailbox reißt der Strom des „Sie haben eine neue Nachricht“ gar nicht ab. Kein Wunder, schließlich laufen die Vorbereitungen der Premium jetzt auf vollen Touren. In wenigen Tagen wird es soweit sein, schon zum 15. Mal wird sie die riesigen Messehallen am Berliner Gleisdreieck für Einkäufer, Presse und Designer aus allen Teilen der Welt öffnen. „What comes around, goes around“ ist das Motto dieser Frau, die zu einer Schlüsselfigur des deutschen Modebusiness geworden ist. Eine pseudo-buddhistische-Karma-Floskel, die ihr von cleveren PR Beratern ins hübsche Ohr geflüstert wurde? In Anita Tillmanns Fall sicher nicht, auch nicht aus beruflicher Perspektive. Als Geschäftsführerin der PREMIUM Exhibitions GmbH, die sie gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner Norbert Tillmann betreibt (dessen gleicher Nachname übrigens Zufall ist) stellt sie ihr Motto Jahr für Jahr unter Beweis. Früh hat Anita Tillmann gesehen, daß Berlin die Aufmerksamkeit der internationalen Modewelt nur dann langfristig gewinnen kann, wenn alle ortsansässigen Kollegen gemeinsam an einem Strang ziehen. Wie kaum eine zweite setzt sie sich unermüdlich dafür ein: Sie verhandelt mit starken Partnern, schafft mit dem „Fashion Week Magazine“ ein gemeinsames Medium für alle Teilnehmer der Mercedes Benz Fashion Week, und sie vermittelt. Immer wieder. Sie entdeckt junge Talente nicht nur, sondern fördert sie konsequent, spürt Marktlücken auf, und immer wieder reicht sie anderen Messen die Hand, um gemeinsam im internationalen Wettbewerb mithalten zu können. Anita Tillmann ist eine schöne Frau, die genau weiß, was sie will. Und im Gegensatz zu vielen anderen weiß sie auch sehr genau, was sie tut. Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben, wie hat er sich über die Jahre, auch während Ihrer Tätigkeit im Modebusiness verändert? Hat er sich eher deutlicher ausgeprägt? Ist es schwieriger geworden, weil Sie so viel Auswahl haben? Mix and Match! Oder auch: Heritage meets Progressive meets Luxury meets Contemporary. Ich trage heute zum Beispiel eine Jeans von Stella Mc Cartney, einen Hermèsgürtel, eine Bluse von By Marlene Birger, einen Lala Schal, Marc Jacobs Ankleboots und einen Mantel von Bernadett Penkov. Meine Tasche? Ist eine Vintage Chanel aus den 70ern. Wir haben Sie häufiger in eleganten Lederjacken gesehen - welche Bedeutung hat Leder für Sie? Ist es eine zweite Haut? Eine Art Schutzkleidung? Hm... Weder noch. Leder hat eine jahrtausendealte Geschichte und die Entwicklung geht weiter: es gibt etwas Neues – Nanaileder. Und zwar ist das Lachshaut, die ja bisher nur ein Nebenprodukt der Lachsverarbeitung war und die auf höchstem Niveau veredelt und auf ökologischer Basis gegerbt und gefärbt wird. Durch die hohe Qualität und die exotische Optik – es erinnert an Reptilhaut! – hat es gute Chancen am Markt. Nebenbei wird es vielfach auch den Einsatz von Reptilleder einschränken. Und im Gegensatz zu industrieller Schlangenoder Krokodilzüchtung wird hier kein Tier nur der Haut wegen gezüchtet... Dazu gibt es übrigens am 21. Januar einen Vortrag auf der Premium und wir unterstützen das Projekt, wo wir nur können. Was war denn das erste heißgeliebte Kleidungsstück, an das Sie sich erinnern? Ich bin in Düsseldorf geboren und mein TanzmariechenOutfit wollte ich gar nicht mehr ausziehen... da war ich vielleicht 3 Jahre alt... Und das erste richtig teure Kleidungsstück, das Sie sich selbst gekauft haben? Ich habe Nachhilfeunterricht gegeben, ich habe gespart und meine Mutter täglich angefleht, weil ich mir eine Lederjacke à la Michael Jackson kaufen wollte. Und weil ich Billy Idol auch so toll fand, ein paar Westernboots gleich hinterher... Erinnern Sie sich noch daran, was Sie beim ersten Kuss getragen haben? Den Mantel der Naivität.

Was verändert sich als Mutter am Kleidungsstil? Vorsprung, insofern ist Geduld und Beständigkeit sicher Ich habe mir neulich eine Woolrich-Jacke und Adidas- eine unserer Stärken. Sneakers für den Spielplatz gekauft... Es muß zu gewissen Anlässen nicht nur schön, sondern auch praktisch sein. Was bedeutet Berlin für Sie? Berlin ist meine Heimat. Wie kleiden Sie Ihre Kinder? Stylish, warm und bequem. Was würden Sie ändern, am Standort, an den Gegebenheiten... was ist blockierend, was ist hilfHat sich durch Ihre Kinder auch etwas an Ihrer reich? Auswahl für die Premium verändert? Sind zum Was wir demnächst benötigen, ist eine Art „Camera Beispiel ökologische Textilien verstärkt Thema? della Moda“ oder „Chambre Syndicale“, ein unabhängiNein, das war auch schon vorher wichtig. Premium Green ges Komitee bzw. eine Einrichtung, die die Entwicklung Luxury ist ein weiteres Engagement in diesem Bereich. der Berliner Schauen und Events steuert, koordiniert und Wir nutzen einfach die Glaubwürdigkeit und die Beliebt- auch kontrolliert. Das ist für die weitere Entwicklung heit der Premium, um auf das Thema Nachhaltigkeit hin- Berlins wichtig! zuweisen und dafür zu sensibilisieren. Finden Sie, daß sich der Stil in Berlin verändert Wie oft sortieren Sie Ihre Gardarobe denn aus, hat, seitdem die Stadt mehr ins Zentrum des Modeinteresses gerückt ist? wohin kommen die Sachen? Ich sortiere sehr viel und häufig aus. Mal abgesehen von Was sich verändert hat, sind die Menschen in Berlin. Es meinen beiden Schwestern und meiner jungen Mutter sind so viele Neuzugänge aus der ganzen Welt... aus New ist mein Büro voller Mädels, die sich total freuen, wenn York, London, Mailand. Zürich, Barcelona, und so weiich etwas abdrücke! Ich kann sowieso nicht alles auf ein- ter... die haben das Straßenbild verändert. mal tragen. Für die Modestrecke in dieser Ausgabe mit in BerIrgendein Tick? Schuhe? lin lebenden Designern haben Sie uns vier Labels, Schuhe, Taschen, Schals, Schmuck, Jeans, Jacken, Män- die auch auf der Premium vertreten sind, vorgetel, Kleider... schlagen. Geben Sie uns zu jedem von ihnen noch ein kurzes Statement? Die Premium geht ins siebte Jahr, das ist ein langer Weg in einem harten Business. Irgendwie konnte Ich fange mit Sam Frenzel an: man von Anfang an sehen, daß es die Premium ...Futuristisch, innovativ und erhaben. lange geben wird... wie sind Sie vorgegangen, was war Ihre Motivation, Ihr Konzept? Und wo stehen Dawid Tomaszewski: Haute Couture... sehr talentiert. Sie heute? Mein Geschäftspartner Norbert und ich hatten von Anfang die Vision, Berlin als internationalen Mode- Bernadett Penkov: standort zu etablieren, das war auch der Grund, warum Modern! Bernadett spielt gerne mit Gegensätzen. Niewir die Premium gegründet haben. Das Bild vom großen mand schafft es, maskuline Themen wie z.B. Uniformen Ganzen und unser Konzept für Berlin hat auch IMG in so feminin und elegant umzusetzen wie sie. New York überzeugt. Am Anfang, im August 2002, gab es nichts außer der Premium. Wir haben mit 70 Labels Frida Weyer: angefangen, jetzt präsentieren wir mehr als 900 Kollek- Extravagante Kleider für große Auftritte. tionen. Inzwischen geht die Fashion Week bereits in die neunte Saison und hat sich zu einem wichtigen Termin Zum Schluss habe ich noch zwei ganz private Fraim internationalen Modegeschäft entwickelt... Das waren gen: Was bedeutet Glück für Sie? Was ist Ihnen PREMIUM | International Fashion Trade Show | 20. ein harter Weg und viel Arbeit. Es gibt da ein chinesisches wichtig? Sprichwort, das sagt: Gras wächst nicht schneller, wenn Meine Familie! Und meine Freunde. bis 22. Januar 2010 | Luckenwalder Strasse 4-6 | 10963 man daran zieht. Paris und Mailand haben Jahrzehnte Berlin | www.Premiumexhibitions.com


3 2 style

PREMIERE

A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1


A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

style 3 3

Crèmefarbenes Chiffonkleid: Frida Weyer


3 4 style

weiĂ&#x;er Paillettenblazer, graue Sweatpants und Collier: Sam Frenzel

A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1


A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

style 3 5

Ă„rmelloses Chiffonkleid: Frida Weyer


3 6 style

Paillettenensemble: Dawid Tomaszewski

A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1


A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

style 3 7

Kleid mit paillettenbesetzten Trägern: Bernadett Penkov Fotograf: Michael Hoelzl Š 2010 VG-Bildkunst-Bonn Foto-Assistenz: Katja Renner Konzept: Miriam Rauh & Michael Hoelzl Hair + Make-up: Linda Frohriep / nina-klein.de Styling: Bruce Hamilton / alexander-faude.com Model: Kady / Seeds


Circleculture Gallery | Gipsstrasse 11 | Berlin-Mitte

Poster_297x420_final.indd 1

In cooperation with

15.01.2010 11:06:25 Uhr

Poster_2


1:06:25 Uhr

Opening Reception January 20th 2010, 5 pm Exhibition from January 21st to March 6th 2010 Tue - Sat 2-6 pm www.circleculture-gallery.com

Poster_297x420_final.indd 2

Danish artist Helle Mardahl makes us experience an opulence of material and structure as the technical essence of her art. Her remarkable visual acuity references her background as avant-garde fashion designer and the extraordinary level of details (assisted by seven couturiers) encompasses a complex network of political and socio-critical themes.

15.01.2010 11:06:26 Uhr


kulturnews

4 0

A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

für immer

der von drüben

von ganz oben

Nur wenigen Frauen ist es gelungen, in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts in der internationalen Architekturszene mitzumischen und an der Entstehung der Moderne teilzuhaben. Eine von ihnen war die Designerin und Architektin Eileen Gray. Lange Zeit verkannt, zählen die Möbel der gebürtigen Irin heute zu den Klassikern des modernen europäischen Design. Ihre ersten Stahlrohrmöbel entstanden nahezu zeitgleich mit denen Marcel Breuers, der als der Vater dieser damals bahnbrechend neuen und aus der Verarbeitungstechnik abgeleiteten Ästhetik gilt. Eileen Grays Baupläne haben im Gegensatz dazu bislang ein Schattendasein geführt. Nur drei davon konnte sie realisieren, gerade jedoch ihr architektonisches Debut, die Villa „E-1027 – Maison en Bord de Mer“ an der Küste Südfrankreichs, enthielt so bedeutende modernistische Elemente, daß sogar Le Corbusier nachhaltig beeindruckt war. Von der Architektur Eileen Grays angezogen, bebaute der Stararchitekt das Nachbargelände in stilistischer Anlehung daran und verbrachte die letzten Jahre seines Lebens überwiegend an diesem Ort. In der Neuauflage der Biographie „Eileen Gray – Leben und Werk“ dokumentiert Peter Adam reich illustriert das Leben und das vielschichtige Werk der Designerin und Architektin. AZ

„Am 9. November 1989 hat in Deutschland die Konterrevolution gesiegt. Ich glaube nicht, daß man ohne diese Kenntnis in der Zukunft wird Bücher schreiben können. Vielen Dank.“ So schloß der seltsame junge Mann mit den langen Haaren sein Referat. Begonnen hatte er es mit den Worten „Ich bin Ronald M. Schernikau, ich komme aus Westberlin, ich bin seit 1. September 1989 DDR-Bürger, ich habe drei Bücher veröffentlicht, und ich bin Kommunist.“ Das war im März 1990, auf dem letzten Schriftstellerkongress der DDR. Die Mehrheit seiner Zuhörer konnte es nicht fassen. Und ein Jahr später war Schernikau tot. Ronald M. Schernikau wurde 1960 in Magdeburg, DDR, geboren, wuchs aber auf in Hannover, BRD. Später zog er nach Westberlin – und von dort schließlich weiter, zurück in den Osten. Natürlich galt er vor allem als Kuriosium. Ein sehr dünner, sehr schwuler, sehr kommunistischer und sehr ernsthafter Schriftsteller. Aber die Ronald-M-Schernikau-Renaissance rollt. Und vom Verbrecher-Verlag gibt es jetzt auch das Handbuch dafür: kurze Texte zu allem, was wichtig ist: Das Sonett. Schlager in der DDR. Können Tunten ernst sein? Ficken in Zeiten von AIDS. Der Kommunist Schernikau hatte gehofft, der Kapitalismus werde noch ein Mittel gegen diese Krankheit hervorbringen. Ebenfalls vergeblich. RIP Ronald M. Schernikau: Königin im Dreck. Verbrecher Verlag Berlin, 303 S., 15 €

PRADA – das sind fünf magische Buchstaben des 21. Jahrhunderts. Als Miuccia Prada 1978 das Unternehmen ihres Großvaters erbt und ihren Mann Patrizio Bertelli dazuholt, bricht eine neue Ära für das 1913 in Mailand gegründete Handelshaus für Reiseutensilien an. Diese Ära ist nun in einem Prachtband, einer regelrechten Bibel, dokumentiert. Opulent und natürlich in im Schuber. Die akribische Miuccia Prada hat die 708 Seiten immer wieder überarbeitet. Wahrscheinlich, damit zum einen kein wichtiges Detail bei der Werkschau fehlt, zum anderen aber auch deutlich wird, daß Prada sich schon lange nicht mehr nur für Kleider interessiert, sondern auch für den Austausch mit Architekten wie Rem Koolhaas und Herzog & de Meuron oder Regisseuren wie Ridley Scott. Die Frau, die kaum Interviews gibt und auch keine Lust hat, mit Pressetexten ihre Kollektionen zu erklären, setzt auf Bilder. Das Vorwort ist knapp gehalten und endet mit der These, daß Prada eine „modelose Mode“ erschaffen hat. Wie das? Egal! Prada-Liebhaber fühlen einfach, was sie meint, und werden das Buch sowieso bedingungslos lieben. Emsige Modestudenten wissen nach der Lektüre, warum Prada immer wieder schamlos kopiert wird und zum bedeutendsten Modelabel der Welt wurde. Das Geheimnis ihres Erfolges? Behält Miuccia Prada natürlich für sich - schließlich muss der Mythos weiterleben. AW

Peter Adam: „Eileen Gray – Leben und Werk“. Schirmer/Mosel, 360 S., 78 €

Hitlers horst

auf der Suche „Es geht um das religiöse Streben nach Wahrheit,“ sagt der Autor. Große Worte, wenn man bedenkt, dass wir hier von einem schmucken Coffeetablebook der alten Schule sprechen. Hat man das großformatige Buch mit der matt-schwarz lackierten Diskokugel auf dem Cover erst mal aufgeklappt, wird schnell klar, daß es dem Autor mit seinem Anliegen ernst, seine Auseinadersetzung mit dem Thema jedoch oft ironisch ist.

Miuccia Prada: Prada. Collection Rolf Heyne, 708 S., 98 €

haucht ihnen Leben ein – dem Betrachter eröffnen sich so ganze Bilderwelten mit verblüffend dynamischem Effekt. Gleichermaßen reduziert, beinahe simpel und gerade daher kunstvoll arrangiert. Entstanden ist ein Buch, dessen klare Schönheit durchwoben ist von feinem Humor. Miriam Rauh

Mit „The Fiction of Science“ hat der in Berlin lebende Fotograf Frank Hülsbömer (Wallpaper, Beaux Arts Magazine) einen bemerkenswerten Bildband veröffentlicht. Auf 144 erfrischend schlicht gestalteten Seiten beschäftigt er sich, teils in Anlehnung an sein ästhetisches Vorbild László Moholy-Nagy, mit der visuellen Darstellung der Erzählkunst der Geisteswissenschaften sowie der Verbildlichung wissenschaftlicher Thesen. So setzt er sich zum Beispiel in „Anatomy of the Surface“ mit der Theorie über die Zeitkrümmung im Raum auseinander; in „The Tennis Speed of Light“ entsteht die Illusion eines bewegten Matches nur mit Hilfe von Licht. Virtuos spielt Hülsbömer mit strengen, geometrischen Frank Hülsbömer: The Fiction of Science. Gestalten Formen, verschiedenen Materialien und Farben und Verlag, 144 Seiten, 39,90 €

Am Abend des 14. Januar 1930 betrat eine aufgebrachte Frau die Gaststätte in der Dragonerstraße 48, heute Max-Beer-Straße, in Berlin-Mitte. Sie wandte sich an die dort trinkenden Anhänger des Rotfrontkämpferbundes und beklagte sich über ihren Untermieter. Das interessierte die Straßenkämpfer zunächst nicht. Erst als die Frau den Namen des Mannes erwähnte, kam Bewegung in die Männer: Horst Wessel. Der NaziHäuptling des Berliner Ostens; der SA-Mann, der als erster in die Reviere der Kommunisten eingebrochen war; der Faschist, der den Kommunisten ihr Liedgut, ihre Kneipen und schließlich ihre Stadtviertel streitig machte. Kurz darauf standen die Männer in der Wohnung der Frau, in der Großen Frankfurter Straße 62, in der heutigen Karl-Marx-Allee. So lautet jedenfalls die Version der Polizei. Sicher ist nur, daß der 22 Jahre alte Horst Wessel am Ende eine Kugel in seinem Kopf hatte, die medizinische Erstversorgung ablehnte, weil der Arzt Jude war, und schließlich im Krankenhaus Friedrichshain an einer Blutvergiftung starb. Sicher ist, daß Joseph Goebbels, als Berliner Chef der Nazis, vor Begeisterung außer sich war. Der junge Historiker Daniel Siemens beschreibt nun erstmals, wie planmäßig der Pfarrerssohn Horst Wessel nach allen Regeln der christlichen

Hagiografie zum Märtyrer der Nationalsozialisten gemacht wurde. Wer wieviel an dem nach ihm benannten Lied („Die Fahne hoch...“) verdiente. Woher Horst Wessel kam. Und wie seine Familie solange Kapital aus seinem Tod zu schlagen versuchte, bis es sogar den Nazis zuviel wurde. Noch interessanter als die Frage, wer Horst Wessel war, ist dabei nur eine andere: Wer war Albrecht Höhler? Der Mann, der Wessel erschossen haben soll. Was hatte die Kommunistische Partei mit einem stadtbekannten Zuhälter zu schaffen? Vor allem: Was kann ein Zuhälter von der kommunistischen Partei gewollt haben? Die KPD versuchte erfolglos, die Sache als Mord im Rotlichtmilieu von sich zu schieben. Die Täter wurden ihr zum Risiko. Siemens beschreibt akribisch ihre Fluchtwege, ihre Gefangennahme, ihre Hinrichtungen. Siemens hat sogar die Biografien derer recherchiert, die die Mörder von Horst Wessel ermordeten und von vielen, die mit in den Strudel der Ermittlungen gerissen wurden. Erst 2009 wurden die letzten Urteile revidiert. Ohne Übertreibung das spannendste Buch des letzten Jahres. Peter Richter Daniel Siemens: Horst Wessel. Tod und Verklärung eines Nationalsozialisten. Siedler. 325 S., 19,95 €


do you read me?! – Magazine und Lektüre der Gegenwart Auguststraße 28

s

10117 Berlin-Mitte

www.doyoureadme.de

s

Deutschland


fiktion

4 2

A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

Der Abendfresser. Ein Miniroman von Thomas Glatz 1. Eine literarische Figur, nennen wir sie der Einfachheit halber Herr M., sitzt in einem Zugabteil.

8. Herrn M. könnte man als kauzig bezeichnen. Herrn M. könnte man auch als unauffällig bezeichnen. Besondere Fähigkeiten: Hm ...

2. Als Herr M. aus dem Zugfenster blickt, zieht ein Sonnenblumenfeld im frühen Abendlicht an seinem Gesichtsfeld vorbei. Herr M. denkt dabei an etwas Weiches.

Als Herr M. jüngst beim Zahnarzt war, wurde er von seiner attraktiven Zahnärztin gefragt, ob er denn Musiker sei. „Leider nein“, gab M. zur Antwort, so gut es ihm durch seinen, von Spritzen betäubten und von Speichelabsauggeräten und Bohrern belagerten Mund möglich war. Nun, er hätte eine starke, trainierte Backenmuskulatur. Ob er ein Bläser sei? Ob er nicht Posaune spiele? „Leider nein“, gab M. zur Antwort, so gut es ihm durch seinen von Spritzen betäubten und von Speichelabsauggeräten und Bohrern belagerten Mund möglich war. Vielleicht sollte M. ein Instrument erlernen? Dazu sei man schließlich nie zu alt. Beethoven hätte noch im hohen Alter Metronomspielen gelernt.

3. Der Schatten eines Nicht-Hinauslehnen-Piktogramms auf dem Polstersitzbezug vis-à-vis. Der Zugführer läßt seine raue, dumpfichte Stimme ertönen und gibt den Streckenverlauf bekannt. Der Ortsname „Mindelheim“ belustigt ein Kind. „Windelheim. Da sind die Windeln in einem Heim“, sagt es. Dann betrachtet es wieder eine Tomcat F-14 easy kit Modellflugzeugverpackung und freut sich laut, daß das zu bastelnde Flugzeug vier Bomben hat und nicht zwei. Ach, Kind müßte man sein, denkt Herr M. 4. Die Bahn stoppt. Die Zugtür öffnet sich, und die Luft von draußen, von der Sonnenblumenwiese, vermischt sich für kurze Zeit mit der stickigen, muffigen Luft des Abteils. Herr M. hat aufgehört, an etwas Weiches zu denken. Geräusche sich für den Ausstieg zurechtmachender Mitmenschen sind zu hören. 5. Die Langeweile ist etwas, was man nicht so recht in Worte kleiden kann, nicht einmal in sehr langweilige Worte, denkt Herr M. 6. Im Mantelsack vibriert es. Herr M. zückt sein Taschentelefon. „KnM“, meldet er sich. Wörter mit dem Anlaut „Kn“ beziehen sich etymologisch gesehen auf Verdickungen: Knödel, Knolle, Knorren, Knospe ... So hat Herr M. seinen Spitznamen weg. Als Knabe war er nämlich ein wenig pummelig. In der Pubertät hat sich das allerdings verwachsen. Herr M. ist von unauffälliger Erscheinung, braune, kurze Haare, mittelgroß. Herr M. trägt eine cappuccinobeige Cordhose und ein cappuccinobeiges Sakko. Darunter trägt er ein basmatireisweißes Hemd. Der Anrufer hat sich verwählt. 7. Der Zug hält jetzt an einem Vorortbahnhof. Ein Graumelierter mit grüner Fliege, dessen Bauch sich aus dem Jackett kreisförmig zur grünen Schürze hin wölbt, die seine Hüften umspannt und ihn als Bord-Bistro-Bediensteten ausweist, steigt bedächtig aus dem Wagen. Er wird von einem jungen Punk nach der Uhrzeit gefragt. Wasser entleert sich aus einer Klappe auf die Gleise wie aus der Pechnase eines Wehrtürmchens in einen Burggraben. Der Graumelierte mit der grünen Fliege nennt die Uhrzeit. Ein Rentner im Abteil mustert den Zug, der auf dem Nebengleis einfährt. „Der hat ja die Tür offen!“ – „Der ist leer!“, antwortet seine Frau. „DB Regio Bayern Regio Allgäu“ steht auf dem leeren Zug. Und darunter „whzküös klimae“. Ob das Allgäuerisch sei, fragt der Mann. „whzküös klimae. Wir haben eine gute Luft, also ein gesundes Klima.“ Die Frau erwidert nichts darauf. Herr M. denkt, daß er wieder an etwas Weiches denken könnte.

9. Von seinem Hausarzt ist Herr M. noch nie gelobt worden. Er solle wiederkommen, wenn sein Auswurf die Farbe Kasachstans hätte, so der hausärztliche Rat. Der Allgemeinmediziner hatte dabei auf eine laminierte Weltkarte auf seinem Schreibtisch gedeutet. M.s Sputum hatte nie die Farbe von Kasachstan angenommen. Sein Auswurf, den M. morgens sorgfältig in seinem Taschentuch zu prüfen pflegte, hatte mal die Farbe der Wüste Gobi, das Safrangelb Liechtensteins, manchmal war es so elfenbeinweiß wie das schwarzafrikanische Obervolta auf der Schreibunterlage des Arztes. Hätte sein Auswurf die Farbe Kasachstans angenommen, wäre sein viraler grippaler Infekt in einen bakteriellen umgeschlagen, und Herr M. hätte seinen Hausarzt noch einmal aufsuchen müssen. Das tat M. nicht und kurierte seine Grippe zu Hause aus. 10. Ein Schwarzafrikaner läßt sich auf dem freien Sitz nieder. Er holt aus einem Stoffbeutel eine Avocado und verspeist sie aus der hohlen Hand. Andere Länder, andere Sitten, denkt M. Er denkt an einen Mitreisenden, der sich mit seinem Nachbarn russisch unterhielt, während er in eine noch gefrorene Tiefkühlpizza biß wie unsereins in eine Leberkässemmel oder ein Radieschenschneesandwich. Herr M. mutmaßte damals, daß sein Mitreisender aus Sibirien stammte. Das ihm angebotene Stück Tiefkühlpizza Funghi hatte er dankend abgelehnt. Der Schwarzafrikaner hat M. nichts von seiner kasachstangrünen Avocado angeboten und ist, nachdem er sie verspeist hat, wieder im benachbarten Raucherabteil verschwunden. Manchmal ist Zugfahren ein folkloristisches Spektakel, denkt Herr M. Dann denkt er: Immer und überall bereitet Essen und Trinken dem Menschen Vergnügen. 11. Herrn M. gegenüber nimmt nun ein anderer Mann Platz. Ein älterer Mann mit einem Haarkranz wie ein Nest, darin die Glatze wie ein angepecktes Straußenei, doch röter. Der Mann blickt aus dem Fenster. Manchmal denkt sich Herr M. Bücher aus, die Mitreisende, die vor sich hindösen und aus dem Fenster blicken oder an einer Käsestulle kauen, lesen könnten. Herr M. überlegt:

Mein Ständer reicht von Ostrava bis in die Walachei und andere Slam Stories von Jaromir Konecny. Kaputt.Dings.Krank.Pieks., die neue Romantetralogie von Rainald Goetz. Guido Knopp und Anton G. Leitner (Hg.): Die schönsten Kriegserklärungen von der Antike bis zur Gegenwart. Maskenball der Seele von Sylvie Brimsl-Dubois. Machs gut und danke für den Butt. Ein Nachruf auf Literaturnobelpreisträger Grass von Douglas Adams im Feuilletonteil der SZ. Nein, keines der erfundenen Bücher könnte man dem Mitreisenden in die dicht behaarten Hände legen. Herr M. fängt an zu grübeln. Mehdorn u.a.: Die schönsten Bahnstrecken Süddeutschlands. M. schmunzelt still in sich hinein, so wie der Dichter Max Goldt möglicherweise über einen Nebensatz in einem Laufturnschuh­Produkt-Informationszettel schmunzeln mag. Der Mitreisende mit der Straußeneiglatze bekommt von M.s stiller Freude nichts mit. 12. Herr M. hat auch Lektüre dabei. Einen utopischen Roman, den er in braunes Packpapier gewickelt hat, weil das den Umschlag schont und er es nicht leiden kann, wenn Mitreisende sehen, was er gerade liest. Herrn M. ist im Moment nicht nach Lesen. 13. Manchmal malt sich M. auch aus, daß seine Mitreisenden Künstler sind. Er versucht sie sich in einem Atelier vorzustellen. In einem farbverkrusteten Kittel, die Staffelei mit einem Leintuch verhüllt. Was hätte der Mann mit dem dicht behaarten Handrücken zuletzt gemalt? Ein Bild mit dem Titel: Der erste Schritt auf der Erde und die glückliche Mutter? Die Erde, von der Zugspitze aus betrachtet? Der erste Blick nach einem Friseurbesuch in den heimischen Spiegel auf die neue Frisur (ohne Gemütsäußerung (zunächst))? Alle Mädchen wollen Hochzeit machen? Die nostalgische Unrast der Mühlräder? Leimspuren auf Graupappe mit feinen Spachtelstrichen schräg s/w? Leimspuren auf Graupappe mit kleinem Plastikleimkamm gegenläufig auslappend s/w?

Das Nasentröpferl und andere heitere weißblaue Geschichten von Joseph Maria Lutz.

P-2007?

Wie man eine Dame vögelt von Umberto Eco.

P-0909?


A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

f iktion 4 3

Zweimal Hilde (1)? Fragment eines Mädchenreigens? Befehle des Rokoko (Stoff für eine Busenfreundin)? Vertikal in viermal Sieben aufgeklappt in Weiß? oder postmoderner Madonna mit dem Kinde und Feuchtigkeitsfühler?

Früher spielte man „Das Veilchen, das im Verblühen borgt“ oder „Der Briefträger von Tripsdrill“, „Ochs am Berg“ oder „Bäumchen, wechsle Dich!“, denkt M. 22. Herr M. hat in der Innentasche seines Jacketts einen Kugelschreiber gefunden und notiert: „Ich bin kein Nähmaschinenbauer!“

Der Herr mit dem behaarten Handrücken tauft sein Bild bestimmt „Ohne Titel“, denkt Herr M. und denkt, daß er jetzt etwas lesen könnte. 14. Herr M. kratzt sich an der Nasenwurzel. Er bemerkt, wie der Mann mit dem behaarten Handrücken bemerkt, wie er sich an seiner Nasenwurzel kratzt, und hört schnell wieder damit auf. 15. Ob der Mitreisende komponiert? Eine Elektronische Tanzsuite für Mixtrautonium Solo und Rundfunktanzorchester (Tonband) in fünf Sätzen? Ein Konzert für Chor, Oboe, Klappspaten und präpariertes Klavier? Kontroverse für präpariertes Klavier, Ukulele und Singende Säge? Oder: P-2007? Oder: Waldeinsamkeit. Für Männerchor und Klavierbegleitung zu vier Händen? Oder: Waldzweisamkeit. Komischer Chor für Männerstimmen u. Bariton – Solo mit Begleitung des Pianoforte? 16. Abends im Zug lesen manche Reisende schon die morgige Zeitung, andere noch die heutige. Wieder andere lesen auf Wartebänken liegengebliebene gestrige Zeitungen. Letzte Busse. Späte Reisende. Das klingt poetisch, denkt Herr M. 17. Vom Gespräch des älteren Ehepaars vis-à-vis dringt ein Fetzen an M.s Ohr. „Ich bin kein Nähmaschinenbauer.“ – „Nein, das bist du wirklich nicht.“ 18. Herr M. wird unruhig und kramt in seiner Aktentasche, findet schließlich zwischen Aktenmappe und Excel-Schulungsunterlagen ein Schulheft. M. öffnet das karierte Heft mit dem Bildnis eines Fabeltiers auf der Vorderseite. Nun sucht er einen Stift. Wenn er jetzt nur einen Stift bei sich hätte! Das ist ja zum Läusemelken! Zum Krebseniesen! Zum Flußpferdfußpediküren! Zum Giraffenhalskettenperlenzählen! Zum Pantoffeltierchendomestizieren ist das!

Zug M-Lindau auf Höhe Fürstenfeldbruck, 20:45 Uhr, am 05.05.05. Über dem Eintrag steht: „Wenn ein Roboter mit einer Pflanze, beispielsweise einer Bromelie, in Symbiose lebt, entwickelt er dann so etwas wie ein Bewußtsein? München, Augustinerbiergarten, 22:30 Uhr, am 07.08.00. „Who ate witches?” Israelischer Tourist am Lagerfeuer, Göreme, Kappadokien, 0:20 Uhr, am 12.09.99. Bis auf die drei Einträge ist sein Schulheft leer. Nicht ganz. Auf die erste Seite hat M. geschrieben: „Es gibt Sätze, die sehr selten sind. Ich kenne nicht viele. Sätze, die man vielleicht nur ein einziges Mal in seinem Leben hören wird, weil der Gedankengang, der hinter dem ausformulierten Satz steht, selten gedacht wird.“ 23. „Sind Sie Dichter?“, fragt der Mann mit dem behaarten Handrücken. „Leider nein“, entgegnet M. 24. Aus dem benachbarten Raucherabteil hört M. leises Husten. Herr M. lauscht dem Klanggeschehen.

25. Der Zug hält erneut in einem Vorortbahnhof. Herr M. verabschiedet sich flüchtig von seinem Mitreisenden, steigt aus und geht zu seinem Wagen, der auf dem für die vielen Pendler eingerichteten Großparkplatz steht. Er entriegelt den Wagen, legt seine Aktentasche auf den Beifahrersitz und reißt einen Schokoriegel auf, den er zerkaut, während er das Radio einschaltet und den Wagen startet. Eine Stimme im Radio sagt: „Die Marsoberfläche ist der weltgrößte Friedhof unbemannter Raumsonden.“ Herr M. fährt nach Hause in die Stadtwohnanlage, Busbahnhofblick in der Schlachthofstraße. Citynah. Toplage. Ein erbsengrünes Feldkreuz grüßt, und die Sonne steht tief über einem Weizenfeld. Der frühe Mond wirkt wie sein eigenes Gegenteil. Die Sonne versinkt, und Herr M. blickt dem morgigen Tag in die Augen. Er trägt noch keinen Namen. Herr M. summt.

19. Ärgerlich, wenn man etwas aufschreiben möchte und keinen Stift dabei hat. Da ärgert man sich und versucht, sich seinen Geistesblitz zu merken. Wenn man endlich in den Besitz eines Stiftes gelangt ist, versucht man, den verglimmenden Geistesblitz endlich auf Papier zu bannen. Meist ist es dann zu spät. 20. Da muß man sich eine Eselsbrücke bauen. In seiner Jugend konnte sich M. das Wort „Eselsbrücke“ nie merken. Er half sich mit einem mnemotechnischen Kniff. Das Wort „Ochsenunterführung“ konnte er sich gut merken. Also dachte er an „Ochsenunterführung“, und bald fiel ihm auch der Begriff „Eselsbrücke“ wieder ein. 21. Der Zug hält erneut an einem Vorortbahnhof. Aus dem Abteilfenster sieht M. spielenden Kindern zu, die einen Fußball immer wieder in einen Baum schießen. Wenn er oben hängen bleibt, scheint der Schütze das Spiel verloren zu haben, und die Kinder werden nach Hause gehen, denkt M.

Thomas Glatz: „Der Abendfresser. Ein Miniroman“ (25 Kurzkapitel mit 25 Zeichnungen und einer Titelillustration des Autors) ist im Black Ink Verlag erschienen. www.blackink.de / (c) 2010 bei Vogel & Fitzpatrick Verlag GbR Black Ink


kolumne

4 4

A usga b e 2

arrogant bastard von ralph martin

D

er Ausdruck „fashion victim“ wird gelegentlich von den Bescheidwissern fallengelassen, aber ich war mir nie sicher, was er bedeutet. Ich denke, es bezieht sich auf jemanden, der immer sklavisch die letzten Styles adaptiert, sei es von Zeitschriften oder Modeketten, ohne die Fähigkeit, zwischen großartiger und furchtbarer Kleidung zu unterscheiden. Das fashion victim ist eine normale Person, die zu sehr versucht, wie die Menschen auf den Fotos auszusehen; jemand, der die Kluft zwischen den Eingeweihten auf den Zeitungsseiten und dem Rest von uns nicht wahrnimmt. Aber seit ich in Berlin wohne, bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß es eine andere Definition gibt. Deutschland ist bekannt dafür, daß Modekonzepte hier, zehn Jahre nachdem sie woanders populär waren, wiedergeboren werden. Als ich 2003 aus New York hierherzog, trugen Studenten, junge Journalisten, Architekten – sozusagen jeder mit einem Anspruch darauf, kein langweiliges Mitglied der Gesellschaft zu sein – Kapuzenpullis, Jeans und Adidas- oder Puma-Sneaker. Aber der Look war zu vollständig, die Schränke zu voll von grauen Einheits-Kapuzenshirts und abgewetzten Cargo-Hosen, die Gesichter zu universell unrasiert, das Haar zu perfekt im Topfschnitt und mit fettigem Glanz. Zu sehr bemüht. Die ganze Jugend des Landes war ein Modeopfer, aber mit einem Unterschied: Anstatt den Abstand, der sie von der Mode-Elite trennte, nicht wahrzunehmen, waren sie einfach der Zeit hinterher. Kurt Cobain war 1994 gestorben, aber niemand schien über das von ihm geschaffene Modemoment hinweggekommen zu sein. Das Problem in Berlin ist geographisch. Die Welt des Angesagten ist keine Insel: sie hat eine durchlässige Grenze. Das Mitte der Münzstraße und Alten Schönhauser Straße liegt in Spuckweite zum Einzugsgebiet des proletarischen Alexanderplatzes, nur durch die Karl-Liebknecht-Straße getrennt. Das als „Apartment“ bekannte Geschäft hat seine eigene Lösung gefunden: es befindet sich unter dem Bürgersteig, wo die Prolls nicht reingucken können, und bietet schwarze Fußböden und Wände und ein paar minimale Lichter, die €2400 teure Rick Owen „Minimalist Goth“ Jacken anstrahlen. Aber die großen, uncoolen kommerziellen Einzelhändler sind immer einen Schritt hinterher. Sie bieten den Leuten eine Chance, auch cool zu sein, für weit weniger als €2400. Ed Hardy hat eine Boutique gegenüber von Apartment und bietet dort proletarische Barock-Accessoires an. Aber dies ist ein anderes Konzept von cool. Könnte es sein, daß Deutschland der einzige Ort auf der Welt ist, wo die Eliten nicht wirklich etwas anführen? Wenn ich die Minimalist-Goth-Jacke demnächst an meinen Tram-Mitreisenden aus Weißensee sehe, kaufe ich Rick Owen einen Bentley. Die Gleichgültigkeit der Massen gegenüber dem, was die Hipster gerade tragen, läßt mich vermuten, daß Berlins Status als coole Hauptstadt nicht von Dauer sein wird. Die Hippen haben das Bedürfnis, Abstand zum Lumpenproletariat zu halten, und gewiß sind sie verzweifelt bemüht, die Vergangenheit stets durcheinanderzubringen und wieder neu zu verzwecken und versuchen so, aus dem Leben eine Collage aus Schallplatten und digitalen Beats zu machen. Aber in ihrem Vorhaben, alles mit Maximalgeschwindigkeit zurückzubringen, aufzumischen und passend zu machen, immer der Masse voraus, werden die hippen Insider schizophren. Ein Auge muß man immer auf dem Pöbel halten, um sich zu vergewissern, daß er noch nicht aufholt, während das andere verzweifelt nach neuen Trends und Fusionen sucht. In letzter Zeit denke ich, daß die großen Marken eigentlich in diesem Spiel ganz vorne sind. Denn auf der Karl-Liebknecht-Straße sah ich eine Plakatwand, die für Guess Jeans warb. Das Model hatte glatte Haare, aber ansonsten war der Look geradeheraus der der frühen Neunziger: Sie trug eine verwaschene, gebleichte Jeansweste, weiße Jeans und gebleichte Jeans-Leggings. Ich konnte nicht zuordnen, ob sich die Werbebotschaft an die Prolls vom Alexanderplatz oder die Hipster von der Mulackstraße richtete. Beide hätten es mit gleicher Autorität und Ungezwungenheit tragen können. Das Problem mit dieser nostalgie de la boue ist, daß säuregebleichte Jeans nie wirklich aus der Mode gekommen sind. Ich kann nicht sagen, ob das ironisch ist. Vielleicht ist es referenziell. Aber ich sehe die Chance, daß etwas magisches passiert: Einmal in meinem Leben könnten die Hipster und die Prolls letztendlich exakt das gleiche tragen.

Aus dem Amerikanischen von Elvira Veselinovic

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1


A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

tex rubinowitz

45


english Appendix

4 6

A usga b e 2

arrogant "I am Valentino" bastard by Ralph Martin

The expression “fashion victim” is tossed around casually by the in-the-know, but I’ve never been sure what it means. I think it refers to someone who slavishly adopts the latest styles, whether it be from magazines or chain stores, with no capacity to differentiate between great and terrible clothing. The fashion victim is a normal person who is trying too hard to look like those people in the pictures, who doesn’t realize the gap between the insiders on the page and the rest of us. But since I’ve lived in Berlin, I’ve come to think there’s another definition. Germany is, famously, where fashion concepts come into their afterlife, 10 years after they’ve been popular elsewhere. When I moved here from New York in 2003, students, young journalists, architects, everyone with a claim to not being a boring old member of society, wore hooded sweatshirts and jeans and vintage Adidas and Puma sneakers. But the look was too complete, the closets too full of uniformly gray hoodies and dingy cargo pants, the faces too universally unshaven, the hair too perfectly bowl-cut and greasy. Trying too hard. The whole country’s youth was a fashion victim, but with a difference: rather than failing to realize the distance that separated them from the fashion elite, they were just behind the times. Kurt Cobain had died in 1994, but no one seemed to have gotten over the fashion moment he defined. The problem, in Berlin, is geographical. The hip world isn’t an island: it has a vulnerable frontier. The Mitte of Münzstraße and Alte Schönhauserstraße lies smack against the proletarian reaches of Alexanderplatz, divided only by Karl-Liebknechtstraße. The store known as Apartment has its own solution: it’s located under the sidewalk, where the proles can’t see in, and features black floors and walls and a few minimal lights that show off €2400 Rick Owen “minimalist goth” jackets. But the big, uncool commercial retailers are always just one step behind, offering the people the chance to be cool too, for a lot less than €2400. Ed Hardy has a boutique across the street from Apartment, offering Proletarian Baroque accessories. But it’s a different conception of cool. Could Germany be the one place in the world where the elites don’t actually lead anything? If I see Minimalist Goth showing up on the backs of my fellow tram riders from Weissensee, I’ll buy Rick Owen a Bentley. The indifference of the masses to what the hipsters are wearing makes me think that Berlin’s status as a Cool Capital won’t last forever. The hip need to maintain distance from the lumpen masses, and sure enough, they rescramble and repurpose the past frantically, trying to make life into a collage of LP records and digital beats. But in their quest to bring back everything at maximum speed, to mix and match, always ahead of the crowd, the hip insiders are going schizophrenic. One eye must be kept on the mass of dummies to make sure they haven’t caught on yet, while the other desperately searches out new trends and fusions. Recently, I started to think that the big brands may actually be ahead in the game. For on Karl-Liebknecht-Strasse I saw a billboard for Guess jeans. The model had straight hair, but otherwise the look was straight early-1990s: she was wearing a faded, bleachedout denim vest, white jeans and bleached denim leggings. I couldn’t tell if they were pitched at the proles of Alexanderplatz or the hipsters on Mulackstrasse; either could wear them with equal authority and ease. The problem with this fashion nostalgie de la boue is that acid-washed jeans never really went away. I can’t tell if it’s ironic. Maybe it’s referential. But I see a chance of something magical happening: for once in my life, the hipsters and the proles may end up wearing exactly the same thing.

A fancy restaurant in Toronto‘s Sudberry Street, a bit further away from the bustle of downtown and the film festival itself. It was quite an effort to get this interview and photoshoot, but it was definitely worth it: The arrival of Valentino and his longtime partner Giancarlo Giammetti itself feels like a perfectly arranged fashion shoot. A black limousine, dark sunglasses and a delay of 20 minutes prove that the retired designer still knows how to put himself into the spotlight. Interview by Johannes Bonke Picture: Alex de Brabant / Colorstorm Would you like something to drink, Sir? A glass of water, without ice.

When you started your career as a young man in Paris, did you ever think that you would become such a brilliant, internationally recognized legend? Did you ever aspire for that? My dear, when you start it‘s quite difficult to dream it for everybody. But of course you have aspirations. Little by little I realized - after a few years of confusion – I did a very important collection in 1968 and I realized that I was quite good. All the magazines and everybody came to visit me. From then on I went on and on to do good collections – and automatically I became international. It helps me a lot to be well-known because I dressed Jackie Kennedy, then I often dressed important ladies from New York and also movie stars. I became quite well-known among others for my glamour and my femininity. . Why do you think that women love your clothes so much? What is it about your design? I always try to make women look beautiful. They appreciate this classic routine. Mostly it‘s the femininity they love. And they love that they feel extremely glamorous with my clothes, and sexy! Compared to the time when you started, the fashion industry has changed a lot in the last decades, if you think back, how would you sum that up? How did it change? Of course it became much more corporate. Would you say it was more fun back in the days or is it still the same? Fashion has changed every decade very strongly. I like the 60s quite a bit, I like the 70s very much. I didn‘t like - I hated the 80s, I think that was something extremely vulgar. We were used to ladies that were crazy to buy clothes but the look was not beautiful: big shoulders, short dresses, hair like mountains, ... So I never liked it. I start to very much like the end of the 80s and the 90s. Shortly before your retirement you said: a designer nowadays has to be more like a manager than a creative artist. Do you still agree? They want to make money now. If you want to make lots of money you try to make a product that sells everywhere. But automatically when you do something like this your productivity goes down - in the sense that it becomes cheap. The products are made cheap, because the materials are not really expensive. Unfortunately... As an artist: how do you get inspired? How do you get all these great ideas? Do you sometimes dream of dresses? That can happen. Sometimes you have a dream and you think about lots of clothes and totally new ideas. Then I turn the light on and start drawing. Or I remember it the morning after. But it‘s very difficult to explain because when you are a designer then you are able to draw. That‘s very important to design. The inspiration... I never tried to think about some girl or some lady to be inspired to make clothes, never. I‘m inspired to make clothes if I go to a museum, for instance of course I‘d go to the Eremitage in St. Petersburg and I saw many details, and many beautiful things and I got an inspiration to do a new collection. Or I‘d go to China and do the same thing because I‘ve seen for instance the old costumes of the Chinese theatre. Of course, when you present a collection, you always try to find the most beautiful models because they are your team and they are the first ones to show your collection, so you have to give a bash to it. But after the show when the dresses are distributed, they are bought by the masses. Sometimes, believe me, I prefer to see my clothes on a woman - and may be she is not the most beautiful– but she has guts and character, and I see my clothes coming to life. Because the dresses have to live on the body of a person. They have to move. I remember some customers who were like a piece of wood, wearing the dress like a puppet – this I hated.

Giancarlo Giametti is your longtime companion, for more than 40 years. Looking back: how difficult was it to hold this constant relationship in a world that is so inconsistent – especially in the fast living fashion industry? The relationship goes on and on and on. Also being in the storm of the fashion world. We had discussions, we had problems, but Mr. Giammetti was always very nice to me, he gives me the possibility to work in peace and without any disturbance. I was always in my creative studio doing my design, preparing my collections without any worries at all. Obviously, you have great relationships with some of the biggest movie stars of film history, Hollywood divas and society ladies. Who was the most inspiring to you? Honestly, I was never inspired by anybody. No. I did my own drawings, I did my own creations. Automatically when they were finished for the collection or for something else I would say may be this would be fantastic for this lady XY. The thing is, I have to love my collection, I have to create my things for the season - clothes that happen to be liked a lot by movie stars and other ladies. The press office, the managers they used to call and say, Mrs. so and so, she‘d love to wear a Valentino dress because she has seen it on television or in the collection. Of course I did clothes especially for big weddings. Is beauty the most important thing to you? As a creator, beauty is the most important. But since I was a child I loved the way a dress looks, I admired a great face, a lovely body. I enjoy the beauty in a woman, in a man, in a child, in a painting. Beautiful things are important and make life important. What do you think is the most beautiful dress you‘ve ever designed? The most beautiful (laughs)... I did many, many beautiful dresses, I am sorry. You have to calculate, in every collection I did in the past I used to do 188 exits, so lately in the collection there were around seventy pieces. There is nothing that stands out? There were really extremely famous dresses once in a while, and when I liked them, I repeated and varied the design through all the decades. One for example was a red strapless cube shaped dress. It also was in the last retrospective. Which is the supermodel that you have the closest relationship with, your favourite one? I love many of them because they did many collections. I have a special feeling and I love very much Gisele. For me she is now the most beautiful woman in the world. I love Claudia a lot. Which is the star that you dressed the most? I did many dresses lately for all the red carpets: for the Academy Awards, I did two dresses for Cameron Diaz, I did dresses at the beginning for Nicole Kidman, for Sandra Bullock, for lots of young actresses. You did also quite some for Elizabeth Taylor. Yes, yes. I did eight or so. Are you still in touch with her? Yes, sometimes when I go to Los Angeles I go to visit her. She is always so nice, she always sends me flowers for Valetine‘s day. Who is a perfect „Valentino woman“? A perfect „Valentino woman“ is a woman who must have taste and she must know what she wants, because it‘s very frustrating if somebody says, listen, I let you do what you want, I ‚m here like a piece of wood and you have to do something nice for me. I think it‘s better if a woman comes and discusses with you. If she has personality, you are more attracted to making clothes for her. Who is your favourite designer, apart from yourself, of course? I have a bunch of favourite designers: People who have great talent. But I never want to mention a name. Which competitor do you feel the most respect for? You know, I‘m very close friends with Karl Lagerfeld. I like what he does, he has lots of talent, also guts, he is a very good photographer. I was a great admirer of Yves Saint Laurent.

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

What was the wildest party you‘ve ever attended? I am not somebody who is crazy for partys. It depends. But if we want to speak about a big ball, with five- or sevenhundred people where there is a tent with decoration, the balls that cost millions of dollars, with the most amazing dresses in the world, I can say, yes I went to many . But I think the best one was the last one which I did last year. When you look back and you see the young Valentino, before all this happened, what would you think he would be thinking if he saw the matured Valentino today? I think he would be very, very happy because I was always a very big dreamer. I say it also in the film, I was always dreaming of beauty. My mother used to say, you think of stupid things all the time. How many times do you think you‘ve said: „Bella, Bellissima“? I say it when I see the truth, when I come along something beautiful. Does that happen every day? I try to put my eyes on things like this. Karl Lagerfeld came to your three day celebration in Rome 2007 and you were showing him all the dresses of your last decades. He said according to our sources: Valentino, you have to promise me that you don‘t stop. If you stop, I will be really angry. And you said: I won‘t. But you announced to retire a few months later, your last collection was in January 2008. What happened inbetween, what made you change your mind? To be honest, the decision to stop working was made before any celebration took place. It was made when we signed the contract. So it was made more than three years ago, but we knew exactly that we would stop six months later. But there was so much pressure. We were still in the stock market and we couldn‘t do any announcement until the new designer was chosen. As your life and designing is so connected with each other it must be hard for you not to do it anymore. Are you still doing it in your own way, only for yourself? How do you structure your life now, do you miss anything? I stopped to make clothes for the collection. But in my system I have always ideas, I‘ve always ... Nothing has changed. May be because I know that for the future I am going to do some costumes for the theatre and the opera. So no, I don‘t miss anything. Don‘t you miss Haute Couture? Do you like where the trend is going? Haute Couture isn‘t a big world. They still have very few people: three, that‘s it. I don‘t know until when they want to go on with Haute Couture. Which is a pity because over the last ten years, believe me or not, it was very important and the first row in every collection was a crowd full of unbelievable ladies. They loved to see the shows, they were potential buyers. It would be a pity to kill beauty. Your name and your status became larger than life at a certain point. Was it difficult from time to time to be considered as an icon? Like people would see only the fashion genius Valentino, but not the person? That‘s very difficult to say. I always accepted all the names and the titles that I have been given: „The King“, „The Emperor“, „icon“. I am Valentino. I am, as Mr. Giammetti says, still the way I am and have been all my life. My life didn‘t change, it‘s always been the same. If the want to call me ‚icon’, okay, then I am an icon. But I can‘t tell.


A usga b e 2

j anuar 2 0 1 0

j ahrgang 0 1

Fotos: Alexander Malecki

Traffic Launch Party, 19. Dezember 2009, Amano Bar

47


MUSÉE D’IXELLES | MUSEUM VAN ELSENE

CUBISM AND ITS CONTEXT FROM THE FUNDACIÓN TELEFÓNICA ART COLLECTION 05|02 > 25|04|2010 MUSÉE D’IXELLES M U S E U M VA N E L S E N E T + 32 2 515 64 21/22 www.museedixelles.be www.museumvanelsene.be www.museumofixelles.be

sponsored by:

A l‘initiative de Willy Decourty, Bourgmestre; de Yves de Jonghe d‘Ardoye, Echevin de la Culture et des membres du Collège des Bourgmestre et Echevins d‘Ixelles Op initiatief van Willy Decourty, Burgemeester; van Yves de Jonghe d‘Ardoye, Schepen van Cultuur en de leden van het College van Burgemeester an Schepenen van Elsene

Juan Gris, Guitare et compotier, 1926-27


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.