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Weiterentwicklung

Man muss sich stetig weiterentwickeln, denn wie wir wissen: Stillstand ist Rückschritt. So habe ich mir gedacht, ein bisschen Philosophie könne mir bestimmt nicht schaden. Vielleicht finde ich bei dieser Gelegenheit bei einem der vielen Philosophen ausserdem ein paar treffliche Sätze, welche ich während meiner Arbeit als Surprise-Verkäufer in der Bahnhofunterführung zu Rapperswil verkaufsfördernd bei Frau und Mann anbringen kann. Kurz entschlossen lese ich die «Kritik der reinen Vernunft» von Immanuel Kant, der Titel scheint mir vielversprechend, in der Reclam-Ausgabe immerhin knapp tausend Seiten umfassend.

Und tatsächlich. Ich staune nicht schlecht, was der Mann so alles zu sagen hat. Ich nehme an, er wird auch in allem recht haben. So genau beurteilen kann ich das allerdings nicht, denn ich verstehe kein Wort von dem, was er da schreibt. Ich lese von der Apperzeption, der Inhärenz, der Rezeptivität, vom Kathartikon, vom mundus indelligibilis, von der natura materialiter spectata, der Apprehension, dem Correlatum, von der elenden Tautologie, den heuristischen Fiktionen, um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen. Ich verstehe nur Bahnhof und mache mir um meine Weiterentwicklung grosse Sorgen, denn selbst im Fremdwörterlexikon von Konrad Duden sind längst nicht alle Kantschen Begriffe zu finden.

So wie zum Beispiel das Kathartikon. Ich überlege mir: Könnte Kathartikon etwas mit Karthago, der antiken phönizischen

Stadt nordöstlich von Tunis zu tun haben? Sie wurde in den Punischen Kriegen zwar von den Römern erobert, hat aber vor Christus im Mittelmeerraum ein paar hundert Jahre lang eine wichtige Rolle gespielt. Demnach könnte Kathartikon also Aufstieg und Fall bedeuten.

Nur, mit Ableitungen gerät man leicht auf Irrwege. Die Tautologie zum Beispiel erinnert mich an die Schlacht im Teutoburger Wald, wo im Jahre 9 nach Christus die Cherusker mit Verbündeten ein römisches Heer unter Publius Quinctilius Varus besiegt haben. Nur, die Tautologie von Immanuel Kant hat mit dieser Schlacht rein gar nichts zu tun, sie ist dafür im Duden zu finden und bedeutet: einen Sachverhalt doppelt wiedergebende Fügung, zum Beispiel schwarzer Rappe oder alter Greis. Uff!

Ich ziehe Fazit und sehe ein: So wird das mit meiner Weiterentwicklung nichts. Meine lieben Kundinnen und Kunden in der Bahnhofunterführung zu Rapperswil müssen sich also wohl oder übel auch im 2023 mit ihrem altbekannten Surprise-Verkäufer zufriedengeben. Sorry.

URS HABEGGER, 66, verkauft Surprise seit 14 Jahren in der Bahnhofunterführung von Rapperswil. Als Nächstes will er zur Förderung seiner Weiterentwicklung Arthur Schopenhauer lesen. Charles Lewinsky zitiert ihn oft im Buch «Der Stotterer». Das hat ihm gefallen.

Die Texte für diese Kolumne werden in Workshops unter der Leitung von Surprise und Stephan Pörtner erarbeitet. Die Illustration zur Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern – Design & Kunst, Studienrichtung Illustration.

Moumouni …