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Verhängnisvolle Schubladen

Wir machen uns ständig Bilder von anderen und malen uns zugleich aus, was für Bilder die anderen wohl von uns haben. Diese Stereotypen ergeben angeblich auch evolutionsbiologisch Sinn. Wir Menschen sind nämlich nicht in der Lage, die Fülle von Informationen, die immerzu auf uns hereinprasseln, zu verarbeiten. Stereotypen funktionieren da wie Filter, sie machen die Welt für uns überschaubarer, berechenbarer, und schaffen so Sicherheit.

Doch haben diese Bilder in unserem Kopf auch eine Kehrseite. Sie können leicht in Vorur teile umschlagen. Dann wird’s bisweilen schlimm. Vor allem, wenn wir sie dazu brauchen, das Gegenüber abzuwerten, zu stigmatisieren, zu verhöhnen und in seiner Integrität zu verletzen – freilich immer auch mit dem Ziel, uns selbst über die anderen zu stellen. Welche Macht Vorurteile haben und wie sie unser Zusammenleben prägen, lesen Sie ab Seite 8.

Diese Sache mit den Vorurteilen begegnet uns in unserer Arbeit eigentlich auf Schritt und Tritt. Auch die Geschichte von Kathy M. handelt davon. Schon früh musste sie Gewalt erfahren, Alkohol und andere Drogen gaben ihr vorerst Halt. Doch dann lösten Scham, Stigmatisierung und fehlende Unterstützung eine Abwärtsspirale aus. Wie die Surprise Stadtführerin damit umzugehen lernte, lesen Sie ab Seite 16.

Um die Wirkung von Bildern geht es auch in einer Ausstellung über Fotografien aus psychiatrischen Einrichtungen aus den Jahren 1880 bis 1935, ab Seite 22. Gezeigt werden Porträtaufnahmen, die nicht den einzelnen Menschen in den Fokus nehmen. Vielmehr geht es um angeblich typische Gesichtsmerkmale, anhand derer die betreffenden Personen schubladisiert und pathologisiert wurden. Damals zementierten diese Bilder wie selbstverständlich den Blick auf Kranke – heute lösen sie, hoffentlich, im Minimum Befremden

Auf g elesen

News aus den 100 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Ehrenamtlich tätig

Jüngere Menschen engagieren sich häufiger ehrenamtlich: 44,7 Prozent der 30- bis 49-Jährigen sind unbezahlt sozial aktiv, bei den über 65-Jährigen sind es nur noch 31,2 Prozent. Das sagt der deutsche Freiwilligen-Survey 2019. Zwischen den Geschlechtern gibt es kaum signifikante Unterschiede, mit 40 Prozent lagen deutsche Männer 0,8 Prozent vor den ehrenamtlich engagierten Frauen. Gut die Hälfte der Ehrenamtlichen setzt sich für Kinder und Jugendliche ein, 18,1 Prozent für finanziell oder sozial schlechter Gestellte, 17,8 Prozent für Hilfe- oder Pflegebedürftige und 16,1 Prozent für Menschen mit Migrationshintergrund. Dabei engagieren sich Menschen mit einem Monatseinkommen ab 2000 Euro netto aufwärts deutlich häufiger als Menschen, die netto mit monatlich unter 1000 Euro auskommen müssen.

Fluchtstation Calais

Nachts versuchen die Geflüchteten bei Calais in Nordfrankreich auf einen der vorbeifahrenden Lastwagen in Richtung Grossbritannien aufzuspringen und sich dort zu verstecken. Das ist gefährlich, Verletzungen sind an der Tagesordnung. Die Autobahn liegt nur ein paar hundert Meter vom Camp entfernt, das Geräusch der Fahrzeuge ist ein konstantes Dröhnen, die Fahrer wissen, dass sie hier nicht langsamer werden dürfen. Die Abzweigung zum Hafen ist nah. Ein einzelner Esszimmer-Stuhl steht auf einer Anhöhe, damit man den Verkehr beobachten kann. Er erinnert auf bizarre Weise an ein solides Zuhause inmitten all der Zelte im mannshohen Gras. So wie auch die sorgfältig aufgereihten Schuhe vor einem Zelteingang oder die Zahnbürsten- und Zahnpasta-Stationen.

In die Armut entlassen Mindestens 40 Prozent der Haftentlassenen in Österreich leben im Alter unter der Armutsgrenze. Wer keinen Pensionsanspruch hat, muss mit der Mindestpension auskommen, die derzeit bei 1030,49 Euro liegt. Die Armutsgrenze befindet sich etwa 340 Euro darüber. Von den Inhaftierten mit österreichischem Pass lebten 11 Prozent vor der Inhaftierung von der Mindestsicherung, in Freiheit tun das gerade mal 2,2 Prozent. Weitere 18,4 Prozent bezogen Arbeitslosengeld, rund 13 Prozent waren einkommenslos, vermeldet das Österreichische Justizministerium. Auch der deutsche Rechtswissenschaftler Ronen Steinke stellt fest: Menschen aus einkommensschwachen Verhältnissen landen schneller in Haft, haben schlechteren anwaltschaftlichen Beistand, bekommen höhere Strafen und erfahren weniger Hafterleichterungen.

Kein Rassismus in diesem Hause

Wo man wohnt, da möchte man sich zuhause fühlen können. So weit, so klar. Was aber, wenn «sich zuhause fühlen» für einen bedeutet: andere rassistisch zu behandeln?

Ein Haus, irgendwo in der Schweiz. Einer der Mieter*innen belästigt den Hausmeister regelmässig rassistisch. Als der Eigentümer und Vermieter dies erfährt, möchte er mit dem Mann sprechen. Doch dieser geht nicht ans Telefon, wenn er anruft, und reagiert nicht auf die E-Mails.

Um herauszufinden, wie die Situation rechtlich aussieht, meldet sich der Vermieter bei der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR). Zwei Gesetzesartikel helfen ihm weiter. Erstens, Art. 257f OR: Wenn ein Mieter sich so verhält, dass es für die anderen Mieter*innen und den Vermieter nicht akzeptabel ist, kann dies ein Grund für eine Kündigung sein. Und zweitens, Art. 261bis StGB: Rassistisches Verhalten kann strafbar sein. Unterstützt von der EKR schreibt der Vermieter eine Abmahnung an den Mieter und lädt ihn zu einem Gespräch ein. Doch weder das eine noch das andere führt zu etwas, der Mieter bleibt uneinsichtig.

Der Vermieter überlegt, dem Mieter tatsächlich zu kündigen. Aus Sicht der EKR ist eine ordentliche Kündigung möglich und angemessen. Wenn Mieter*innen missbräuchlich gekündigt wird, können sie dies anfechten – das wäre hier, argumentiert die EKR, aber nicht der Fall. Also kündigt der Vermieter dem Mieter den Mietvertrag, in seinem Haus will er keinen Rassismus haben. LEA