ÖGFLA Sondermagazin Mai 2011

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ÖGFLA Sondermagazin Österreichische Gesellschaft der Freunde Lateinamerikas (ÖGFLA)

Asociacíon Austriaca d´Amistad con América Latina (AAAAL)

Österreichische Bauern in der „grünen Hölle“ von Paraguay (Berichte auf den Seiten 12-16)

Freunde von Paraguay Larissa Riquelme ist der bekannteste Fußballfan in Paraguay. Sie ist in der Welt sogar berühmter als die paraguayanische Nationalmannschaft. Hunderte Bilder von ihr kursieren im Internet, speziell dann, wenn wieder ein Sport-Großereignis auf dem Programm steht. Dass man ein Fan dieses schönen Landes in Südamerika werden kann, konnte eine Politiker- und Wirtschafts-Delegation im März dieses Jahres erleben. Lesen Sie auf den Seiten 4 bis 9, warum die Begeisterung der Teilnehmer so euphorisch ausfiel.


Vorwort

Europas logischer Partner heißt Südamerika Ein Plädoyer von Martin Graf für eine Kooperation auf Augenhöhe

links oder rechts – die meisten Staaten jahrzehntelang beherrscht haben. Die Förderung der bilateralen Beziehungen zwischen den Staaten Südamerikas und Österreich hat sich daher der 2009 gegründete Verein „Österreichische Gesellschaft der Freunde Lateinamerikas“ (ÖGFLA) zum Ziel gesetzt. Gemeinsam mit dem Obmann, NAbg. DI Gerhard Deimek, versuche ich als Präsident, die Zusammenarbeit anzustoßen und zu verstärken. Wir wollen Gemeinsamkeiten auf wirtschaftlichem, kulturellem, gesellschaftlichem, sportlichem, wissenschaftlichem und schulischem Gebiet fördern. Neben regelmäßigen Gesprächsterminen mit den Botschaftern in Österreich versuchen wir, auf Delegationsreisen einen Input zu geben, um konkrete Projekte auf Schiene zu bringen. Nach Venezuela und Argentinien im Jahr 2009 haben wir im Vorjahr Costa Rica besucht sowie heuer Pararguay und Argentinien.

ÖGFLA-Aufnahmeantrag Ich möchte ordentliches Mitglied der ÖGFLA werden.

Mitglied: € 10,Juristische Person als Mitglied: € 100,-

Ich möchte förderndes Mitglied der ÖGFLA werden (€ 50,-).

Bitte einsenden an die: Österreichische Gesellschaf der Freunde Lateinamerikas (ÖGFLA) Trautsongasse 2/6 A-1080 Wien oder per E-Mail an: verein@oegfla.at

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Schuster

üdamerika ist ein Kontinent der Hoffnung. Bei allen Problemen, die dort insbesondere im Bereich der Kriminalität bestehen, lohnt es sich für Europa, die Zusammenarbeit mit vielen Ländern zu verstärken, denn die Völker Südamerikas haben sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer mehr von den USA emanizpiert und sind daher auf der Suche nach neuen Freunden. Europa drängt sich für eine verstärkte Zusammenarbeit geradezu auf, gibt es doch sowohl kulturell als auch politisch unübersehbare Parallelen. Südamerika ist ebenso wie Europa vom Christentum geprägt und die Demokratie ist auf einem unaufhaltsamen Vormarsch. Trotz der nach wie vor grassierenden Korruption (die, wie jüngst sichtbar wurde, auch Europa und Österreich nicht fremd ist), setzt sich der Trend Richtung Rechtstaatlichkeit und gefestigter demokratischer Strukturen fort. Länder wie Argentinien, Brasilien, Chile, Paraguay, Peru oder Uruguay haben sich weg entwickelt von jenen Diktaturen, die – ob von

Dr. Martin Graf ist Dritter Nationalratspräsident und Präsident der ÖGFLA.

Die ÖGFLA Die Österreichische Gesellschaft der Freunde Lateinamerikas (ÖGFLA) ist ein Verein, dessen Tätigkeit nicht auf Gewinn gerichtet ist. Die ÖGFLA bezweckt die Förderung der bilateralen Beziehungen zwischen den Staaten Südamerikas und Österreich vor allem auf wirtschaftlichem, kulturellem, gesellschaftlichem, sportlichem, wissenschaftlichem & schulischem Gebiet. Herausgeber: Österreichische Gesellschaft der Freunde Lateinamerikas (ÖGFLA) Asociacíon Austriaca d´Amistad con América Latina (AAAAL) ZVR: 189076111 Trautsongasse 2/6, A-1080 Wien E-Mail: verein@oegfla.at • www.oegfla.at BIC: BAWAATWW IBAN: AT081400003210914390

Titelseite: Unzensuriert.at & DBarefoot / flickr

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Revolution

200 Jahre Unabhängigkeit Lateinamerikas Lateinamerika erkämpfte sich vor rund 200 Jahren seine Unabhängigkeit von den europäischen Kolonialmächten Spanien, Portugal und Frankreich – ein Ereignis, das als „Bicentenario“ ausgiebig gewürdigt und gefeiert wird.

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on der Sklavenrevolution von Haiti über die langwierigen Unabhängigkeitskriege im spanischen Amerika bis hin zur unblutigen Emanzipation Brasiliens spannte sich vor 200 Jahren ein Bogen der Ereignisse, der im Einzelnen große Unterschiede aufwies, aber doch auch in einem größeren Zusammenhang stand. Stärker noch als während der Kolonialzeit war die Geschichte Lateinamerikas mit den Entwicklungen im atlantischen Raum, mit der US-amerikanischen und der Französischen Revolution verflochten. Die Staatsgründungen, die sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinzogen, wurden zwar durch den antikolonialen Widerstand geeint. Durch die Ausgrenzung breiter sozialer und ethnischer Gruppen, den Aufstieg des Caudillismus und die Ausbildung einer „Guerrilla“ zeichneten sich aber bereits Probleme ab, die Lateinamerika zum Teil bis heute prägen. Vor dem Hintergrund des Aufstiegs neuer indigener Bewegungen, zum Beispiel in Bolivien, und der Wiederentdeckung des Bolivarismus im Venezuela des Hugo Chávez gewinnt diese dramatische Epoche neue Bedeutung und politische Aufmerksamkeit. Die ehemaligen spanischen Kolonien

begannen im 19. Jahrhundert den Unabhängigkeitskrieg von Spanien, angef ühr t v o n S i -

Bolivar führte dann aber zur Unabhängigkeit des Landes, das später seinen Namen tragen sollte.

Als Simón Bolívar 1830 auf den Unabhängigkeitskampf zurückblickte, nannte er die Herstellung von Stabilität und Legitimität der politischen Ordnung in multikulturellen Gesellschaften als zentrale Probleme Lateinamerikas. Heute anlässlich der zweihundertjährigen Jubiläen der Unabhängigkeiten stehen Fragen nach der Ausgestaltung der Demokratie in Lateinamerika erneut im Mittelpunkt. In vielen Ländern gilt der Bicentenario als Bezugspunkt für die Neuausrichtung der mon ZukunftsproBojekte der Nation und l i v a r, für die Schaffung von u n d sozialer Gerechtigkeit. n a c h Auch dort, wo die ofwww.auswandern-info.com und nach verlor das fiziellen Jubiläen erst später Mutterland eine Kolonie nach der begangen werden, haben die DiskusAnderen in Übersee. Am Ende waren sionen darüber längst begonnen. Benur noch Kuba und die Philippinen einträchtigt durch das koloniale Erbe übrig, diese Kolonien gingen 1898 und eine problematische Ausgangslaauch noch verloren. ge zu Beginn des 19. Jahrhunderts haben die lateinamerikanischen Staaten Der Kampf um die Unabhängigkeit seit rund 200 Jahren in langen Kämpbegann 1809 in Bolivien. Das Land fen Antworten auf die Frage gesucht, blieb allerdings bis 1825 spanische wie das Versprechen der Revolution Kolonie. Eine Offensive von Simon eingelöst werden kann. 3


Hintergrund: Unzensuriert.at

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Eine der größten Touristenattraktionen Paraguyas liegt streng genommen im Ausland. Die Wasserfälle von Iguassú im Dreiländereck mit Brasilien und Argentinien sollen den Tourismus dennoch beflügeln. Zwanzig Prozent der Besucher des Naturschauspiels möchte man über die Grenze locken – zum Beispiel mit einem Indianer-Erlebnisdorf, das derzeit in Planung ist.


PARAGUAY

Vergängliches Paradies der deutschen Aussiedler Paraguay – das unbekannte Südamerika. Größer als Deutschland und die BeneluxLänder zusammen, aber mit nur 6,4 Millionen Einwohnern, tritt das Binnenland bis dato nur als Teilnehmer bei Fußball-Weltmeisterschaften nennenswert in Erscheinung. Selbst politisch ist es ruhig geworden im einst von Diktator Alfredo Strössner jahrzehntelang beherrschten Land. Die demokratisch gewählten Parteien sind akzeptiert und lassen eine erneute Militärdiktatur undenkbar erscheinen. Was es gibt, sind Korruption und Kriminalität. Aber damit reiht sich Paraguay wieder unauffällig in die lateinamerikanischen Länder ein. Alfred Dohr begleitete eine vom Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf angeführte Delegationsreise nach Paraguay. Dabei bekam er nicht nur die Naturschönheiten des Landes zu Gesicht, sondern auch tiefe Einblicke in die politische und wirtschaftliche Verfasstheit des Landes.

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as bewegt also so viele Österreicher, in ein Land auszuwandern, wo korrupte Behörden und Politiker wirken und wo man stets in Gefahr ist, überfallen zu werden? Sicher, das subtropische Klima entschädigt für vieles, auch das freie Leben ohne all zu starre Reglementierungen, die für europäische Verhältnisse niedrigen Preise und eine Einkommenssteuer von nur zehn Prozent. Wie viele Österreicher und überhaupt deutschstämmige Menschen in Paraguay leben, kann nicht mit Sicherheit eruiert werden. Es sind aber eine Menge, einige Hunderttausend, die aus unterschiedlichen Gründen in Paraguay landeten. Ein Großteil kam in den 30er Jahren, als Wirtschaftsflüchtling, Zigtausende zogen zuerst nach Brasilien und erst später nach Paraguay, als Strössner das Land führte. Heu-

te sind es immerhin so viele, dass Deutsch die drittstärkste Sprache nach Spanisch und Gurani ist. Die meisten Auswanderer sind Viehzüchter. Wie die Mennoniten im heißen Chaco. „Die Österreicher arbeiten, um zu leben, die Deutschen leben, um zu arbeiten und die Paraguayaner wollen leben, ohne zu arbeiten“, sagt General Lino Oviedo, Chef der Oppositionspartei UNACE. Tatsächlich sind es die deutschsprachigen Gruppen, die das Land nach vorne bringen möchten. Allerdings finden sie sich dabei in guter Gesellschaft mit praktisch allen Parteiführern des Landes, die zumindest in Wahlreden nicht müde werden zu versprechen, gegen Korruption und Kriminalität streng vorgehen zu wollen. Die Frage ist nur, ob Paraguay für Zuwanderer weiterhin

so attraktiv bleibt, wenn sich der Staat an europäische Verhältnisse anpasst. Ohne Steuerbelastung für die Bevölkerung, ohne bessere Kontrollsysteme wird das nicht gehen. Die Bevölkerung befindet sich in einem Zwiespalt, insbesondere die deutsche. Entwickelt sich das Land ähnlich wie etwa Brasilien, ist es womöglich aus mit dem Steuerparadies und gewissen Vorteilen, die man heute genießen kann. Der immense Nachholbedarf in Paraguay ist aber gleichzeitig eine große Chance für Zuwanderer und Investoren. In der Infrastruktur fehlt es an allem, es werden Straßen, Bahnverbindungen, ausgebaute Wasserwege benötigt, um mit dem Rekordwachstum von 14,5 Prozent Schritt halten zu können. (Fortsetzung auf Seite 7) 5


Fakten

Hintergrund: Wikimedia

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ie Österreich – Paraguay Gesellschaft wurde am 29. Februar 2004 gegründet. Im Februar 2011 kam es zu einer Assoziation mit der Gruppe A.R.P.A. (Asociación de Residentes Paraguayos en Austria), die sich auf Facebook zusammengefunden hat und nun in den zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten der Österreich-Paraguay Gesellschaft am Rennweg in 1030 Wien (HTL3R) ein regelmäßiges Treffen durchführt. Anlässlich des 200. Unabhängigkeits-Jubiläums finden mehrere Feierlichkeiten statt, die zum Teil auch von der Botschaft von Paraguay unterstützt und geführt werden. Mehr dazu auf: www.paraguay.at

Unzensuriert.at berichtet täglich über ausgewählte Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die von den großen Mainstream-Medien gar nicht oder nur ungenügend behandelt werden.

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Österreich-Paraguay Gesellschaft e.V.

Wahlspruch: Paz y justicia (Frieden und Gerechtigkeit) Amtssprachen: Guarani und Spanisch Staatsform: Präsidialrepublik Staatsoberhaupt und Regierungschef: Fernando Lugo Méndez Fläche: 406.752 Quadratkilometer Einwohnerzahl: 6.375.830 Bevölkerungsdichte: 16 Einwohner pro Quadratkilometer Währung: Guarani Nationalfeiertag: 15. Mai (Unabhängigkeit von Spanien am 14./15. Mai 1811)


Als Mitglied der Handelsfreizone MERCOSUR, der auch Brasilien, Argentinien und Uruguay angehören, hat Paraguay in den vergangenen Jahren vor allem vom Aufschwung der Nachbarstaaten profitiert. Laut dem österreichischen Generalkonsul in Paraguay, Jorge Miguel Brunotte, der selbst Franchise-Nehmer von zehn McDonalds-Filialen und Chef einer Spedition ist, wären die größten Renditen derzeit zu erzielen, wenn jemand in die Industrialisierung der Fleisch- und Soja-Verarbeitung investiere. Für Touristen ist Paraguay anziehend genug. Pro Jahr besuchen etwa 400.000 Urlauber den Binnenstaat und geben rund 145 Millionen Dollar aus. Die Meisten kommen aus den Nachbarländern Argentinien und Brasilien und sind eigentlich mehr „Kauftouristen“, d.h. sie bleiben weniger als 24 Stunden im Land und haben es auf bekannte Whisky-, Parfumund Zigarettenmarken abgesehen, sowie auf Textilien und auf asiatische Elektronik. Davon profitiert die Grenzstadt zu Brasilien, Ciudad del Este, wo sich mit Itaipú auch das größte Wasserkraftwerk der Welt und auf brasilianischer Seite die berühmten Wasserfälle von Iguassú befinden, am meisten. Vorsichtig geschätzt lassen diese Einkauftouristen etwa 600 Mill. US$ im Land und das bindet etwa 300.000 Arbeitsplätze. Etwa 17% der Reisenden kommen aus Europa und weitere 3% aus den USA. Ein Erlebnis und Erholung zu gleich ist der Besuch einer Estancia, ausreiten, mit den Cowboys am Lagerfeuer sitzen und grillen, dazu die nächtlichen Geräusche einer noch intakten Natur. Eine Reise wert sind die Jesuitenruinen im Süden des Landes, die stummen Zeugen einer sagenhaften Blütezeit Paraguays.

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(Fortsetzung von Seite 5)

Ein typisches Straßenbild in der 600.000-Einwohner-Hauptstadt Asuncion.

Eine politische Blütezeit erlebt im Land zur Zeit die Colorado-Partei. „Im Moment sind wir in der Oppostition, jedoch von der Wählerschaft her die wichtigste und größte Partei“, so die Chefin, Lilian Samaniego. Man habe auch die Mehrheit im Parlament, bei den Kommunalwahlen 2010 konnten von 238 Gemeinden 138 gewonnen werden, in 14 von insgesamt 17 Bundesstaaten stellt die Colorado-Partei den Gouverneur. Da kann Samaniego selbstbewusst behaupten, dass ihre Partei 2013 die Präsidentschaftswahlen gewinnen wird. Die Colorado-Partei herrschte auch aufgrund der Diktatur von General Alfredo Strössner (er war von 1954 bis 1989 Staatschef) 61 Jahre lang in Paraguay. Im Jahr 2008 kam der Wechsel. Die lebende politische Legende ist General Lino Oviedo. Er war 1989 der Adjutant jenes Generals Rodriguez, der den Präsidenten Strössner nach 61 Jahren Diktatur stürzte. Rodriguez wurde dann selbst Präsident, Oviedo immer mächtiger. Wegen eines Streits über einen Brückenbau kam es 1996 zum Bruch mit der Colorado-Partei. Gerüchten zufolge soll Oviedo den damaligen Präsidenten Wasmosy eine Ohrfeige verpasst haben. Als Wasmosy daraufhin Oviedo als

Kommandant der Kavallerie – offenbar widerrechtlich – absetzte, wurden Gerüchte gestreut, Oviedo würde einen Putsch anzetteln. Der damalige Präsident Wasmosy nahm dies zum Anlass, seinen politischen Widersacher in der eigenen Colorado-Partei zu verhaften. Von den zehn Jahren verhängter Haftsstrafe saß Oviedo aber nur dreieinhalb Jahre ab, der neue Präsident, Graus, begnadigte ihn. Doch die Gegner ließen ihn nicht in Ruhe, weshalb er zuerst nach Argentinien, später nach Brasilien flüchtete. Ungeklärt bleibt bis heute, ob Oviedo an der Ermordung seines Feindes Argania beteiligt war. Im Jahr 2008 trat Oviedo mit einer neuen Partei namens UNACE bei den Präsidentschaftswahlen an und wurde auf Anhieb drittstärkste Kraft. Als Sieger ging der katholische Bischof Fernando Lugo mit seiner mitte-links gerichteten Patriotischen Allianz, APC, hervor. Er erhielt 41 Prozent der Stimmen, die Colorado-Partei nur 31 Prozent, die Oviedo-Partei 22 Prozent. Seinen Sieg konnte Fernando Lugo mit Hilfe der Mitte-Links-Partei PLRA (Partido Liberal Radical Autentico) erreichen, wofür Lugo den PLRA-Chef Federico Franco zu seinem Vize machte. 7


Rundreise

Österreich-Delegation in Paraguay auf Heimatspuren U

nter der Leitung des Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf besuchte eine österreichische Delegation vom 11. bis 21. März 2011 die südamerikanischen Länder Paraguay und Argentinien. Politische Gespräche sowie die Intensivierung wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen standen auf dem umfassenden Programm der Teilnehmer.

Der österreichische Botschafter, DDr. Robert Zischg, kommt aus Erpfendorf nahe St. Johann in Tirol und sitzt in Buenos Aires in Argentinien. Von hier aus betreut er auch die Länder Paraguay und Uruguay. Der Botschafter und sein Team sind im Dauerseinsatz, stellen Pässe aus, machen Staatsbürgerschafts-Feststelllungen, betreuen österreichische Häftlinge in den Gefängnissen oder helfen, wenn jemand in Not gerät, z.B. in einen Unfall verwickelt wird. Geholfen wird ganz nach dem Motto des Botschafters: „Unmögliches wird sofort erle-

digt, Wunder dauern etwas länger, auf Wunsch wird auch gehext.“ Die Delegierten haben einen wahren Marathon absolviert, was die Reisekilometer und Termine betrifft. So gab es Gespräche mit allen wichtigen Politikern, Wirtschaftsvertretern, Universitäts-Rektoren, ja sogar mit dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofes. Dem nicht genug, besuchte die Delegation die größte Auslandskolonie Österreichs in Paraguay, die Carlos Pfannl Colonia Independencia, wo man die Landsleute mit Blasmusik und Trachten-Volkstanzgruppe begrüßte, und die Mennoniten im heißen Chaco, wo es u.a. zum Treffen mit dem Gouverneur des Bundesstaates, Walter Stöckl, kam, dessen Vorfahren aus Tirol stammen. Werbung

„Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann eine österreichische Delegation nach Paraguay kam. Es muss länger als zwölf Jahre her sein“, sagte Generalskonsul Jorge Miguel Brunotte, der die Gruppe von Politikern und Wirtschaftsleuten gemeinsam mit Botschafter DDr. Robert Zischg, Vizegeneralkonsul Gerhard Ackert und

dem Leiter des Außenwirtchaftcenters Buenos Aires, Mag. Josef Hofer, auf dem Flughafen Asuncion herzlich willkommen hieß.

Als Obmann der sozialen Heimatpartei FPÖ liegen mir die vielen Botschafter unserer Heimat im Ausland besonders am Herzen. Ich habe auf vielen Reisen erlebt, dass die Auslandsösterreicher ein besonderes Verhältnis zu ihrem Heimatland Österreich und zu ihrer Kultur pflegen, auf die Wahrung der Traditionen und die Pflege der Muttersprache großen Wert legen. Wir setzen uns dafür ein, dass dies auch von offiziellen Stellen in Österreich stärker als bisher unterstützt wird, etwa durch die Finanzierung deutschsprachiger Schulen und Kulturinitiativen, und leisten auch gerne unseren Beitrag dazu. Bewahren Sie stets Ihre Heimat Österreich im Herzen!

Ihr HC Strache

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Colorado-Parteichefin Lilian Samaniego mit Martin Graf und Gerhard Deimek.

Vizepräsident Franco (re.) von der liberalen Schwesterpartei der FPÖ.

Gerhard Deimek ist über die Ankündigung eines Jodler-Abends erstaunt.

Generalkonsul Brunotte begrüßt die Besucher im VIP-Klub des Flughafens.

Die FPÖ-Delegation zu Besuch bei Parlamentspräsident Oscar Gonzales Daher (2. v. r.).

Maler Helmut Ditsch (li.) und Botschafter Robert Zischg (re.) mit Gattin in der Residenz.

Martin Graf (re.) im Small-Talk mit Auslands-Österreichern in Buenos Aires. Österreich-Vertreter in Südamerika: Botschafter Zischg, Generalkonsul Brunotte, WK-Mann Hofer.

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Men in Black: Martin Graf und Mathias Reichhold vor der Casa Rosada in Buenos Aires.

Die Österreich-Delegation mit den Bayers (li.) vor dem Hotel Austria in Ciudad del Este.

Willkommens-Foto vor dem Flughafengebäude in der Hauptstadt Asuncion.

Martin Graf informierte Paraguays Gerichtshof-Präsident Luis Maria Benitez Riera über die internationale Anti-Korruptions-Behörde in Laxenburg. 9


Energie

eran / Fotolia.com

Paraguay kommt dank Itaipú ganz ohne Atomstrom aus

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ie Atomkatastrophe in Japan bestätigt einmal mehr, dass Paraguay schon vor Jahrzehnten auf das richtige Pferd bei der Wahl der Stromversorgung gesetzt hat: auf Wasserkraft. Dies wurde der Österreich-Delegation, der Politiker und Vertreter der Wirtschaft angehören, beim Besuch des größten Wasserkraftwerkes der Welt, Itaipú, einmal mehr bewusst. Mathias Reichhold, Ex-Infrastrukturminister und heute im Dienste eines deutsch-österreichischen Energieunternehmens, konnte es kaum fassen: „Eine Turbine von Itaipú erzeugt mehr Strom als die Kelag in Kärnten“, so Reichhold, der die Leistung der insgesamt 20 Turbinen mit 14.000 Megawatt nicht glauben konnte. Im Vergleich: Die Kelag produziert 400 Megawatt. Jeder Vergleich hinkt freilich. Itaipú mit einem Energieversorger eines österreichischen Bundeslandes in Konkurrenz zu stellen, ist vermessen, zeigt andererseits aber auch die Dimension jenes Wasser10

kraftwerkes, das imstande ist, ganz Paraguay mit der notwendigen Energie zu versorgen. Strom fließt ins Ausland Warum dies in der Praxis nicht funktioniert, liegt am schlechten Verteilernetz. Die 20 Turbinen gehören je zur Hälfte Paraguay und Brasilien, aber für den eigenen Stromhaushalt nützt Paraguay bisher nur eine einzige Turbine. Der Großteil des Stroms fließt ins Ausland, wird in die umliegenden Länder exportiert. Die Entscheidung, Itaipú zu bauen, fiel mit dem „Protokoll von Iguazú“ im Jahr 1966, in dem sich Brasilien und Paraguay über die Errichtung einigten. Der endgültige Vertrag zwischen den beiden Ländern wurde aber erst 1974 unterzeichnet, 1975 war Baubeginn, die Fertigstellung des Staudammes erfolgte im Jahr 1992. Während der Errichtung gab es einen Beschäftigungs-Höchststand mit 32.000 Mitarbeitern, heute arbeiten

So gigantisch wie die Wassermassen ist der Staudamm insgesamt: mit einer Höhe von 196 Metern und einer 35 Meter dicken Mauer

permanent 4000 Menschen in Itaipú, einem Wunderwerk der Technik, das sich die Wasserkraft der beiden Flüsse Parana und Foz de Iguazú zunutze machte. Was Itaipú für jeden, der den Staudamm näher betrachtet, so einmalig und sensationell macht, sind die Zahlen: So hat der Staudamm eine Breite von sage und schreibe acht Kilometern, misst an der höchsten Stelle 196 Meter, und die Mauer ist 35 Meter dick. Kaum zu glauben: Ein einziger Generator kann 1,5 Millionen Einwohner versorgen. Damit wird klar, warum selbst das riesige Brasilien seinen Strombedarf mit dem ItaipúKraftwerk zu 25 Prozent abdecken kann, die Paraguayer – trotz der bekannten Netzprobleme – zu 75 Prozent. Ein großer Wettbewerbsvorteil in dieser krisengeschüttelten Welt!


Wirtschaft

Paraguay: Ein idealer Partner für Österreich elch riesiges wirtschaftliches Potenzial in Lateinamerika, dem früheren „vergessenen Kontinent“ schlummert, darüber sind sich Experten längst einig. Wegen der geplanten Modernisierung der Infrastruktur und des Energiesektors sind europäische Partner und Technologie gleichermaßen gefragt. Mit den deutschen Kolonien haben Deutschland und Österreich „Brückenköpfe“ in der Region. Lässt man diese Chance jetzt verstreichen, werden die beiden Länder später das Nachsehen haben, zumal mit China eine aufstrebende Weltmacht bereitsteht, die ihren Einfluss in Lateinamerika beständig erhöht. Österreichs Generalkonsul in Paraguay, Jorge Miguel Brunotte, selbst ein erfolgreicher Geschäftsmann, sagt, warum das 6,4 Millionen Einwohner zählende Land, das flächenmäßig so groß wie Deutschland und die Benelux-Länder zusammen ist, so interessant für Investoren sein kann. Bei einem Rekordwachstum von 14,5 Prozent im vergangenen Jahr habe Paraguay in Bezug auf Infrastruktur

Nachgefragt Für den Ex-Infrastrukturminiser Mathias Reichhold, der jetzt für ein Energie-Unternehmen arbeitet, hat sich die Reise mit der ÖsterreichDelegation im März 2011 ausgezahlt. Denn sein Software-Angebot für die Stromwirtschaft stieß beim Treffen mit Vize-Handelsminister Salvador Invernizzi in Paraguay auf größtes Interesse. Reichhold war bereits wieder in Paraguay. Zwecks einer zweiten Verhandlungsrunde. Wir wollten wissen, wie es ihm dabei ging.

großen Aufholbedarf. „Wenn man bedenkt, dass 30 % der Bevölkerung unter 15 Jahren, 50 % unter 21 Jahren sind und dass die Wachstumsrate der Bevölkerung bei drei Prozent liegt, fängt der Markt erst an“, so Brunotte. Weiters weist er darauf hin, dass Paraguay gemeinsam mit Brasilien, Uruguay und Argentinien die Handelszone Mercosur schuf, womit Paraguay der Eingang zu einem Markt für 300 Millionen Menschen sein kann. Wer hier produziert, dem stehe ein wahrliches Steuerparadies zur Verfügung mit der niedrigsten Einkommensteuer des Kontinents. Gemeinsam mit Bolivien führe Paraguay auch die Liste Südamerikas bei den niedrigsten Löhnen an: Ein Arbeiter verdient durchschnittlich nur 250 Dollar im Monat. Eine Milliarde für Infrastruktur Wer in Paraguay Geschäfte machen will, kann das derzeit wohl am besten in der Hauptstadt Asuncion. Der Bürgermeister der 600.000 Einwohner zählenden Stadt, die zusammen mit den Umlandgemeinden auf 1,7

Millionen Menschen kommt, Armaldo Samaniego, kündigte gegenüber einer österreichischen Delegation an, in den nächsten fünf Jahren eine Milliarde Dollar in Infrastrukturprojekte zu stecken. Aus diesem Grund wurden bereits die Steuern erhöht. Die „Mutter aller Städte“, wie Asuncion in Südamerika genannt wird, hat viel nachzuholen. Samaniego muss Straßen bauen, alte Straßen sanieren, die Müllentsorgung organisieren und vieles mehr. Der Mann hat viel vor, um eine saubere, besser funktionierende Stadt zu schaffen. Aber auch seine Expansionslust ist groß: Über den Fluss Paraguay soll eine Brücke gebaut werden, um das Stadtgebiet um zumindest 10.000 und bis zu 20.000 Hektar zu erweitern. Im Plan ist auch ein neuer Flughafen auf diesem Areal. Doch wer baut, wer bezahlt? „Alles ist möglich“, spricht Armaldo Samaniego in der Lotto-Sprache und macht allen Geschäftsleuten Hoffnung auf gute Renditen. Er will vor allem Investoren, aber auch Firmen, die sich um einen Auftrag bewerben, die Türen öffnen.

Können Sie uns verraten, welche Geschäfte Sie in Paraguay machen? Software für Netzwerkmanagement im Energiesektor. Wie sind die Fortschritte und ist mit einem Erfolg zu rechnen? Die Konkurrenz der Spanier und Amerikaner ist groß, das Interesse an österreichischer und deutscher Technologie aber enorm.

Ex-Minister Mathias Reichhold steht vor einem Wirtschaftserfolg.

Gibt es einen Unterschied bei den Verhandlungen im Vergleich mit europäischen Partnern? Ein Ja ist noch lange kein Ja und ein Nein noch lange kein Nein.

Welche Tipps würden Sie Unternehmern geben, die in Paraguay investieren wollen? Ein zuverlässiger lokaler Partner ist der Schlüssel zum Erfolg.

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Mennoniten

Die Herren des Gran Chaco Mennoniten als Kolonisten in der „grünen Hölle“ von Paraguay

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enn sich ein Nationalratspräsident, ein EU- und ein Nationalrats-Abgeordneter sowie ein Zweiter Landtagspräsident sieben Stunden Autobusfahrt auf unwegsamen Straßen antun, muss das Ziel etwas Besonderes sein: Martin Graf, Andreas Mölzer, Gerhard Deimek und Johann Herzog besuchten auf ihrer ParaguayReise die Mennoniten im dünn besiedelten Chaco. Ursprünglich 1525 in der Schweiz gegründet, wurde diese Glaubensgemeinschaft nach der Abspaltung von der Katholischen Kirche verfolgt, weshalb die Mitglieder zuerst nach Preußen, später nach Russland auswanderten. Die Mennoniten gehören der evangelischen Kirche an. Ihre Überzeugung ist es, Kirche und Staat zu trennen, sie lehnen Waffengewalt und den Schwureid ab. Als man den Men12

noniten nach der bolschewistischen Revolution die Religionsfreiheit und das Privateigentum untersagte, siedelten sie sich in anderen Ländern an: Viele zogen nach Kanada und in die USA, sehr viele aber auch nach Paraguay, weil es gelang, unter dem Sondergesetz Nr. 514 Religionsfreiheit und die Befreiung vom Militärdienst zu erreichen. Die paraguayische Regierung freute sich damals über die Zuwanderung im praktisch unbesiedelten Chaco, in einem Gebiet, das zwar unbeschreiblich schön in seiner außergewöhnlichen Natur ist, doch für Ackerbau und Viehzucht scheinbar kaum geeignet war. Genossenschaftssystem mit sozialen Einrichtungen Also entstanden im mittleren Chaco drei Mennoniten-Kolonien: 1927

wurde Menno gegründet, 1930 Fernheim, 1947 Neuland. Heute leben in den drei Gemeinden auf 1,9 Millionen Hektar 15.000 deutschstämmige Menschen, die ein vorbildliches Genossenschaftssystem aufgebaut haben. In dieser Organisation werden private Schulen, Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime, ja sogar ein Supermarkt betrieben. Die einmalige Einschreibgebühr bei der Genossenschaft beträgt pro Familie umgerechnet 3500 Dollar, dafür gibt es 50 bis 70 Prozent Ermäßigung in genossenschaftlichen Einrichtungen wie Spitälern und Schulen. Kinder von Genossenschaftern müssen, um Mitglied zu werden, nur 100 Dollar als Einmalzahlung leisten. Neben dem Genossenschaftsbeitrag zahlen die Mitglieder der Kooperative für Allgemeinleistungen zwischen zehn und 15 Prozent ihres Einkommens, das jeder selbst bekannt gibt


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Zebu-Rinder der Rasse Brahman (Bild) eignen sich besonders für heiße Gegenden wie den Chaco.

– also Abgaben nach Vertrauensprinzip. 13 Prozent an Steuern liefern die Mennoniten dem Staat Paraguay ab. Allerdings werden die Steuern nur von Einnahmen geleistet, die außerhalb der Genossenschaft erwirtschaftet werden. Die „Kooperative“, wie sich die Genossenschaft nennt, ist wie eine Aktiengesellschaft aufgebaut. Am Ende des Geschäftsjahres werden Gewinne ausgezahlt. Ein Defizit wurde übrigens noch nie eingefahren. Lebten die Mennoniten anfangs zu 95 Prozent von Ackerbau und zu fünf Prozent von Viehzucht, so hat sich das Bild heute völlig umgekehrt. Die Fleischproduktion ist eindeutig die Haupteinnahmequelle der Region. Die Kooperative bietet Kredite, technische Beratung und die Vermarktung des Fleisches durch den eigenen Schlachthof unter der Marke „Frigochaco“ an. Angebaut werden Erdnüsse, Sesam, Weidegrassamen, vor allem Gatton Panic, die Weizenart Sorghum und Rizinus - Produkte, die im Export Absatz finden. Regenwasser wird gespeichert, reicht jedoch nicht immer 
 Was fehlt, ist Wasser. Jenes im Boden ist zu salzhaltig, um es als Trinkwasser zu verwenden. Also haben sich die Mennoniten ein ausgeklügeltes Zisternensystem zurechtgelegt, das

Dorothea Eid vom genossenschaftseigenen Radiosender mit Nationalratspräsident Graf und Europaabgeordnetem Andreas Mölzer.

In der Buchhandlung der Stadt Filadelfia findet man ausschließlich deutsche Zeitschriften und Magazine.

Regenwasser speichert. „Wir warten ständig auf den Regen von oben“, sagt Adeline Friesen, bei Agrochaco für Qualitätsmanagement zuständig. In den Sommermonaten habe es bis zu 45 Grad, „da kann es schon hart werden“. Dass man zu diesen trockenen Zeiten Wasser aus anderen Gebieten holen muss, sei auch schon vorgekommen. Frau Friesen kennt Tulln, weil die Genossenschaft mit der universitären Forschungseinrichtung in Österreich zusammenarbeitet. Indianer wollen mitnaschen Die drei Mennoniten-Kolonien liegen im 17. Bundesstaat von Paraguay, Boqueron. In der gepflegten Hauptstadt Filadelfia ist der Österreich-Bezug allgegenwärtig. Bürgermeister Berthold Doerksen erzählt der Delegation, dass er sich Videobänder mit ZDF-Sendungen schicken lässt. Seine Lieblingssendung sei der Musikantenstadl mit Karl Moik. Martin Graf klärt auf, dass dieser nun von einem Wiener, Andy Borg, moderiert wird. Blasmusik sei hier sehr beliebt, es gebe auch eine eigene Blasmusik-Kapelle, die eine Tracht aus Deutschland trägt. Eine Volkstanzgruppe gibt es nicht, dies lasse sich mit dem strengen Glauben der Mennoniten nur schwer vereinbaren. Augenzwinkernd gibt Do-

erksen aber zu, dass sich die Regeln in der Vergangenheit gelockert haben. Auch die Situation der Mennoniten im Chaco hat sich geändert. Gouverneur Walter Stöckl, dessen Vorfahren aus Tirol stammen, schildert, dass immer mehr Indianer in die Gegend ziehen. Waren die Mennoniten früher praktisch unter sich, so hat sich die Bevölkerungszahl komplett gedreht: 40 Prozent Mennoniten stehen 60 Prozent paraguayischen Indianern gegenüber, was soziale Probleme mitbringt, betont Stöckl. Die meisten Indianer würden nicht gerne arbeiten, bei der Allgemeinheit aber mitnaschen wollen. Radiostation als Stimme des paraguayischen Chacos Des sozialen Friedens Willen habe man ihnen gratis Land zur Verfügung gestellt, sie versucht, in den Arbeitsprozess und in die Gesellschaft zu integrieren. Keiner weiß, wie lange das noch funktioniert. Der eine oder andere denkt da bereits schon wieder ans Auswandern. Aber wohin? Die weißen Flecken auf der Welt werden immer weniger, wohl auch die Bereitschaft, irgendwo wieder ganz von vorne zu beginnen. Was die Medien betrifft, so haben sich die Mennoniten mit den neuen Zuwanderern bereits arrangiert. In der genossenschaftseigenen Radiostation ZP30 gibt es Nachrichten auf deutscher Sprache nur noch zu 24 Prozent. 13


Neue Heimat

Als die „Koffer-Deutschen“ nach Paraguay kamen N

Hier beginnt nun die erste größere Auswanderungswelle aus dem deutschsprachigen Raum (darin sind nicht nur Deutsche aus dem Deutschen Reich des Kaisers, sondern auch Ardennen-Deutsche bis zum Banat bzw. Wolga-Deutsche, Österreicher und Schweizer inkludiert). All diese Gruppen besiedelten Argentinien, Südbrasilien, teilweise Chile und Uruguay und auch Paraguay. Argentinien und Uruguay hatten in der Zwischenzeit eine große britische und italienische Gemeinde, also blieben die Anden und die Ebene von Paraguay noch über. Man nannte sie in Paraguay die „Koffer-Deutschen“, da sie immer bei sich einen Koffer mit ihren Habseligkeiten trugen (etwas Unbekanntes in diesem Binnenland). Nach dem Ersten Weltkrieg und der Neuordnung von Europa startete in den 20er Jahren die 2. Welle der Einwanderer in Paraguay. Diesmal waren hauptsächlich die Kriegsgegner vertreten, ganz stark davon die Mennoniten. Diese ließen sich hauptsächlich in Landregionen nieder, so wie die Amishpeople in den USA. Hier konnten sie ungestört ihrem Glauben und ihren Bräuchen nachgehen. In den 30er Jahren folgte dann die 3. Welle der, meist jüdisch stämmigen, Deutschen/Österreichern, die jedoch anders als die vorherigen eher dem gebildeten Mittelstand angehörten und urban ausgerichtet waren. Nach dem Krieg zwischen Paraguay und 14

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ach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870 war die Lage in Europa schwierig und viele friedliebende Bürger fassten eine Auswanderung ins Auge. Deutschland begann eine mäßige Kolonialpolitik in den afrikanischen und pazifischen Raum, nicht jedoch nach Lateinamerika.

Jugendchor in Tracht: In der Österreich-Kolonie wird Brauchtum gepflegt.

Bolivien Mitte der 30er Jahre waren gerade diese Flüchtlinge sehr willkommen. Diese neue Stadtbevölkerung sollte das kommende Jahrzehnt der teilweise sehr unterentwickelten Städte prägen. Es bildete sich eine kleine Akademikerschicht, unterstützt durch Industrie und Gewerbe. Gleichzeitig war man von Importen aus Europa abgeschnitten, sodass sich eine Inlandsstruktur schaffen konnte. Die 4. Einwandererwelle begann nach 1945, als der Krieg in Europa zu Ende war und viele Flüchtlinge auf der Suche nach einer neuen Heimat waren. Es war eine Mischung aus politischen und auch Wirtschaftsflüchtlingen, die sich in das Land der Guaraní begaben und sich quer über das ganze Land verteilten. Anfang der 50er Jahre kamen dann noch als Nachzügler jene Einwanderer, die von dem sich anbahnendem deutschen und österreichischen Wirtschaftswunder benachteiligt waren. Sie kamen zum Teil mit veralteten technischen Ausrüstungen

und waren die erste Grundlage der Industrialisierung des Landes. Jene, die bessere Ausrüstung bei sich hatten, zog es eher in die größeren Länder Argentinien und Brasilien. Nach der Stabilisierung der Wirtschaft in Europa in den 60er und 70er Jahren kamen nur noch ausgesuchte Einwanderer ins Land. Meist suchten sie ein „ruhiges Plätzchen“ und waren zum Teil auf Grund von Wirtschaftsdelikten gesuchte Bürger. Dieser Umstand, neben dem Vorhandensein einer Militärdiktatur unter Alfredo Stroessner, sorgte für einen eher schlechten Ruf des ganzen Landes in Europa. Walter Haasler Zum Autor: Dipl.-Ing. Dr. Walter Haasler, geb. 1946 in Wien, lebte von 1951 bis 1965 in Paraguay. Er ist derzeit Präsident der Österreich-Paraguay Gesellschaft. Erreichbar unter: walter@haasler.at


Interviews

Der Herr Doktor aus Paraguay r. José Luis Baumann, 44, ist Facharzt für Gynäkologie & Geburtshilfe. Sein Geburtsort Ciudad del Este liegt in Paraguay, wo er auch aufgewachsen ist. Trotzdem würde keiner auf die Idee kommen, dass der Doktor ein Ausländer ist. Er spricht perfekt deutsch, sieht gar nicht aus, wie ein typischer Südamerikaner. Warum auch? Stammen seine Vorfahren doch aus dem Salzburger Pinzgau (Großvater) und aus Strobl am Wolfgangsee (Großmutter). Sie wanderten 1932 nach Paraguay aus, fanden in der Österreicher-Kolonie „Carlos Pfannl“ eine neue Heimat. Wie alle in der Siedlung besuchte auch Luis Baumann die Deutsche Schule und kam 1989 zum Medizinstudium nach Wien. Haben Sie ständiges Heimweh, je nachdem, wo Sie gerade sind? Ich würde lügen, wenn das nicht so wäre.

Ich bin in Wien glücklich, weil ich hier einen guten Job habe. Aber das Heimatgefühl wird mit der Zeit immer stärker, daher muss ich mindestens zwei Mal pro Jahr nach Paraguay, sonst würde ich es nicht aushalten.

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Paraguay bleibt also Ihre Heimat? Ja. Vernünftiger Weise bleibe ich aber in Wien, hier gibt es eine gute Ausbildung für meine Kinder und hier ist ein sicheres Land.

Dr. José Luis Baumann ist Facharzt für Gynäkologie & Geburtshilfe in Wien.

Denken Sie an eine Rückkehr? Mein Ziel ist es, eine wirtschaftliche Basis zu schaffen, um hier und dort leben zu können. In Winter in Paraguay, im Sommer hier.

Und wie ist es mit der Freundschaft? Ich habe in Österreich kaum Freunde, weil sich die Menschen immer messen wollen. In Paraguay unterhält man sich einfach und hat Spaß.

Wie würden Sie den Unterschied zwischen den Menschen beschreiben? Die Paraguayaner freuen sich, wenn es anderen wirtschaftlich gut geht und sie Erfolg haben. Da ist der Motivationsfaktor gleich ein anderer.

Hier tut man sich schwer, sich mit dem Erfolg der anderen mitzufreuen.

Was schätzen Sie an Österreich? Die Verlässlichkeit und die Organisation. Wenn man sich was ausmacht, hält das in der Regel. Und ich genieße das kulturelle Niveau hier.

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olfgang Zimmerling, 48, ist im Führungsreferat der Staatsoper tätig. Und keiner würde vermuten, dass er ein Ausländer ist. Dabei wurde er im chilenischen Concepción geboren, als Sohn eines Tiroler Vaters aus Reutte und einer steirischen Mutter aus Aflenz. Die Eltern haben sich erst in Chile kennen und lieben gelernt, Wolgang Zimmerlings Mutter wanderte schon mit acht Jahren nach Südamerika aus. Zimmerling, der in Temuco die Deutsche Schule besuchte, kommt 1984 in die Heimat seiner Eltern, in Wien studiert er Betriebswirtschaft, arbeitet zuerst in der Zentralsparkasse, heute in der Staatsoper. Wir trafen den Auswanderer im Café Prückl. Haben Sie nicht ständiges Heimweh, nach Chile, wenn Sie in Österreich sind, nach Österreich, wenn

Sie in Chile sind? Heimweh würde ich nicht sagen. Klar, ich habe Sehnsucht nach Chile, weil dieses Land meine Heimat ist, Wien ist mein Zuhause. Wenn ich nicht hier bin, geht mir aber die schöne Stadt und die Kultur schon ein bisschen ab. Was ist der gravierendste Unterschied zwischen Chile und Österreich? Vielleicht kann ich das am besten mit einem Beispiel erklären: Wenn ich in Wien Freunde treffen möchte, muss ich zwei Wochen vorher einen Termin fixieren. In Chile klopfe ich an die Tür und sage, hallo, hier bin ich! Die beiden Länder haben eine andere Art der Gastfreundschaft. Wollen Sie irgendwann zurück nach Chile? Nein. Ich kann Ihnen auch sagen, warum. Chile ist ein gut entwickeltes Land, wo es alles schon gibt. Dagegen sind Paraguay, Peru und Bolivien Länder, die jetzt großen Aufschwung

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Ein Chilene in der Staatsoper

Wolfgang Zimmerling landete in der Führungsetage der Staatsoper.

haben und wo man vieles bewegen kann. Hätte ich eine gute Geschäftsidee, würde ich in eines dieser Länder selbständig etwas machen. Derzeit sind Sie nur Tourist in Ihrer Heimat? Ja, sozusagen. Meine Sehnsucht nach Chile befriedige ich damit, dass ich jedes Jahr im Winter drei Monate in Südamerika verbringe, um dann wieder mit vollem Elan nach Östererich zurück zu kehren, wo ich nicht nur eine zweite Heimat gefunden habe, sondern mich auch sehr wohl fühle. 15


Deutsche Kolonien in Paraguay

Ein neues Stück Heimat im Urwald Österreicher, Deutsche und Schweizer gründen ein Stück Heimat in den Urwäldern von Paraguay und nennen diese „Independencia, Carlos Pfannl und Sudetia“!

Orte Es ist gar schön an einem twendig, fremd sein, und doch so no eine Heimat zu haben. ethe Johann Wolfgang von Go

Gründung der Kolonie „Independencia“ im Jahre 1920:

9-jährige Hubert Fröch, dieser legte mit 32 anderen zumeist deutschstämmigen Familien den Grundstein für die heute noch existierende Kolonie. Die Kolonie „Carlos Pfannl“, benannt nach dem Gründer, liegt östlich der Kolonie „Independencia“. Schon nach kurzer Zeit – auch begünstigt durch die grassierende wirtschaftliche Not im alten Europa – meldeten sich immer mehr einwanderwillige Familien. Auch hier gelang es durch Fleiß und unbändigen Glauben an Gott, ein Paradies im Urwald zu schaffen.

Gründung der Kolonie „Carlos Pfannl“ im Jahre 1932:

Gründung der Kolonie „Sudetia“ im Jahre 1933:

Jenseits des Flusses Arroyo Guazú wurde im Jahr 1932 die zweite Kolonie von Deutschen, Österreichern und Schweizern gegründet. Einer der neu eingewanderten war der damals

Als letzte der Siedlungen wird 1933 die „Sudetia“ von Einwanderern aus dem Sudetenland gegründet. Wie auch bei den anderen Siedlungen gelang es auch hier, durch harte Arbeit

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Die 1920 gegründete Colonia Independencia (Kolonie der Unabhängigkeit) kann heute eine Fläche von ca. 250.000 Hektar aufweisen und einen aktuellen Einwohnerstand von 5.000 deutschstämmigen Einwohnern. Offiziell wurde die Kolonie Independencia während der Präsidentschaft des Don Jose Montero am 17. Januar 1920 per Dekret gegründet. Nur kurze Zeit darauf begann man mit der Vermessung der Ländereien und schon bald wurde das vermessene Land zu gleichen Teilen an die Siedler verteilt. Die große Mehrheit bildeten Auswanderer aus Österreich und Deutschland. Nach einer mehrtätigen Dampferfahrt erreichte die erste Gruppe der „Kolonisten“ ihre neue Heimat. Mit typisch schwäbischer Gründlichkeit wurde auch gleich mit dem Aufbau eines Verwaltungsapparates begonnen. Ein Gremium setzte sogleich die Preise für Lebensmittel und die Transportkosten für die meist nur wenigen Habseligkeiten der Einwanderer fest. Der Staat Paraguay sorgte für die allernötigste Ausrüstung für den Ackerbau und stellte auch den ersten Satz an Saatgut für die arbeitsamen Kolonisten.

Bei Jorge Baumann in der Kolonie Carlos Pfannl schaute sich die Österreich-Delegation die Produktion von Mate-Tee an.

eine neue Heimat für die Ausgewanderten zu schaffen. Abschließend sei noch gesagt, dass sich in Paraguay, wie auch in allen anderen Ländern, wo sich Menschen des deutschen Kulturkreises niedergelassen haben, eine blühende Wirtschaft entwickelte und auch das kulturelle Leben des Gastlandes bereichert wurde. Die drei Kolonien „Independencia“, „Carlos Pfannl“ und „Sudetia“ stehen nun als Eckpfeiler der deutschen Kultur in den Ländern Lateinamerikas. Die Bewohner zählen zu den fleißigsten und treuesten Staatsbürgern des Gastlandes.


Bildung

Wissen als Schlüssel für Paraguays Zukunft Uni in Asuncion: Modernes Bildungszentrum mit Spital

Ein Wiener baut eine deutschsprachige Schule

Was Rektor Pedro Gerardo Gonzales, ein Agrar-Ingenieur, der ÖsterreichDelegation unter Führung des Dritten Parlamentspräsidenten Martin Graf vorstellte, war beeindruckend: Die größte Uni des Landes in der Hauptstadt Asunción hat 41.000 Studenten, denen 70 Studienrichtungen angeboten werden. Der Grund für die hohe Anzahl an Beschäftigten - hier arbeiten 6000 Menschen - ist ein Spital, das sich auf dem Campus befindet und von der Universität betrieben wird.

Renate und Gerhard Bayer betreiben das Hotel Austria in Ciudad del Este, der östlichsten Stadt Paraguays und Grenzstadt zu Brasilien.. Gerhard Bayer hat seine Wurzeln in Wien. Sein Großvater, der den Ersten Weltkrieg mitmachte und 1934 nach Südamerika ging, stammt aus dem Bezirk Meidling. Bayer ist aber nicht nur Gastronom, sondern macht sich auch Sorgen um die Bildung. Er ist 2. Vorsitzender der Mozart-Schule, sein Freund Manfred Roswang 1. Vorsitzender. Gemeinsam haben sie ein großes Ziel: Sie wollen in den nächsten Jahren eine deutschsprachige Schule eröffnen. Auf einem zwei Hektar großen Grundstück wird 14 km außerhalb der Stadt schon fleißig daran gearbeitet, der Rohbau ist so gut wie fertig. Weitergebaut wird, wenn Geld da ist. 80.000 Euro fehlen noch, 30.000 um das Notwendigste fertig zu stellen.

Rektor Gonzales, Dienstherr von 6.000 Beschäftigten, empfängt Martin Graf und die österreichische Delegation.

FPÖ übergibt 1000 Euro an Deutsche Schule

24 Lehrer, ein Schuldirektor und eine Sekretärin müssten bezahlt werden, klagt Loidol. Das sei bei einem Schulgeld von 28 Euro in der unteren Stufe bis 70 Euro in den oberen Stufen nicht immer leicht. Der Staat würde lediglich eine einzige Klasse finanziell unterstützen. Spontan sagte Martin Graf, zu, sich für eine Art Patronanz in Österreich einzusetzen. Als Soforthilfe wurden von der FPÖ tausend Euro übereicht. Der Nationalratsabgeordnete Gerhard Deimek und der Zweite Wiener Landtagspräsident Johann Herzog übergaben gemeinsam mit Graf den Scheck.

Johann Herzog, Gerhard Deimek und Martin Graf (v.r.n.l.) unterstützten die Deutsche Schule Independencia mit einer Spende von 1000 Euro. Links: Direktor Matias Loidol.

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Die Deutsche Schule Independencia ist Herzstück und der ganze Stolz der gleichnamigen Kolonie mit rund 2000 deutschstämmigen Bürgern. Sie wurde 1956 gegründet und kämpft seit damals um das finanzielle Überleben. Derzeit werden rund 150 Schüler von der Grundschule bis zur zwölften Klasse unterrichtet, nie mehr als zwölf Schüler pro Klasse, erzählt Direktor Matias Loidol, dessen Vorfahren aus Oberösterreich stammen.

Der Wiener Gerhard Bayer führt in Ciudad del Este ein Hotel, ist Funktionär der Mozart-Schule und Bauherr einer deutschsprachigen Schule. 17


Kultur

Helmut Ditsch im Interview:

Ich sage nicht Adieu, sondern Argentinien feiert ihn, Österreich meidet ihn. Helmut Ditsch, 1962 in Buenos Aires als Sohn einer argentinischen Mutter und eines österreichischen Vaters geboren und daher auch Doppelstaatsbürger, malt Landschaften wie kein anderer. Seine gemalten Berge, Wüsten und das Eis sind so realistisch, dass die Betrachter die Werke oft mit Fotografien verwechseln. Kürzlich hat Ditsch eines dieser Bilder einem Sammler um 600.000 Euro verkauft. sterreich mag den Mann, den ein argentinisches Magazin aktuell zu den hundert wichtigsten Personen des Landes zählt, nicht. Als die Botschaft der Argentinischen Republik zum krönenden Abschluss ihrer Feierlichkeiten anlässlich der Unabhängigkeitserklärung vor 200 Jahren Ditschs Werke in einem Wiener Museum zeigen wollte, gab es dem Vernehmen nach durchwegs Ablehnung. Ohne den Namen des Künstlers im Vorfeld zu nennen, bekam die Botschaft dann die Erlaubnis, am Heldenplatz ein Zelt aufzustellen. Dort eröffnete Botschafter Eugenio Curia eine beeindruckende Schau – die letzte Ausstellung von Helmut Ditsch auf österreichischem Boden. Dessen Credo lautet: „Je einfacher der Mensch, desto größer sind die Empfindungen für die Kunst!“ Sie haben gesagt, dass die wirkliche Kunst außerhalb der Galerien stattfindet, in Fußballstadien und in Bars. Man muss vorweg sagen, dass es zwei grundsätzliche Welten gibt, die aufeinander prallen. Das ist die nihilistische Welt und eine Lebenswelt, die ja zum Leben sagt. Diese nihilistische Welt dominiert leider die gesamte Kunstszene. Auf der ganzen Welt oder speziell in Österreich? Besonders im Westen. Aber das ist eine globale Tendenz. Ich sehe eine starke Parallele zur Finanzwirtschaft in der Welt, zwischen den Bankensystemen und dem Kulturbetrieb. Es ist selbstverständlich für mich – es hängt an den selben Tröpfen. Wenn 18

www.helmut-ditsch.com

Ö

Die Werke von Helmut Ditsch sind photorealistisch und optisch einzigartig.

es nicht im politischen Kanon ist, dann ist es nicht förderbar. Weil es nicht nutzbar ist als Waffe. Und Kunst war immer eine Waffe. Für mich ist Kunst das Wort des Volkes in der höchsten Form. Ich sage es noch einmal: Kunst ist das Wort des Volkes in der höchsten Form. Es kommt aus dem gesamten Volk heraus und nicht aus einer exzentrischen Elite, nicht aus einer exzentrischen Finanzelite und nicht aus einer exzentrischen pseudointellektuellen Elite. Sie gehörten also nie zu dieser von Ihnen beschriebenen Elite? Nein. Ich gehörte wenn, dann zu einer anderen Elite. Aber Sie leben ja auch von der Kunst, muss man da nicht Kompromisse eingehen? Ich habe nie Förderungen bekommen von diesen Institutionen.

Noch nie. Ich habe auch noch nie eine verlangt. Wie stehen Sie grundstätzlich zu Förderungen? Ich finde sie sehr wichtig. Die Frage ist nur, was wird gefördert. Die Förderung ist eine Waffe. Ich würde sofort Kunst fördern, mach ich auch. Weil ich mache meine eigene Stiftung und bewege eine ziemlich große Gruppe von Künstlern in Südamerika. Man braucht aber nicht für alles Geld. Kunst braucht nicht Geld, um zu entstehen. Es braucht ein sensibles Herz, eine Intelligenz. In Argentinien zum Beispiel sehe ich immer mehr, dass die Künstler die gleiche Sprache sprechen wie ich, als hätten sie dasselbe erfahren. Gibt es in Argentinien mehr Freiheit als bei uns? Ja, das kann man schon


„Gehts sch...“ Was soll der Staat denn fördern? Die ganze Kunst. Nur, wie macht man das: Man stellt ein Kuratorium her, ein Expertenteam, und diese Arschlöcher das können sie ruhig so schreiben - vertreten nur ihre eigenen Interessen. Die meisten von diesen selbsternannten Kunstexperten wurden selbst ernannt. Ich möchte jetzt keine Namen sagen, aber die meisten dieser Experten sind Egomanen und frustrierte Künstler. Reden Sie jetzt von Österreich? Ich rede von den ganzen Institutionen, aber besonders im deutschsprachigen Raum ist es besonders arg. Das sind sehr intelligente und clevere Leute, die wissen ganz genau, dass man mit Eloquenz und mit rhetorischen Waffen zum Ziel kommt... ...und mit politischer Hilfe? Nein, ich würde sagen, dass diese Leute über der Politik stehen. Erstens: Wir Künstler stehen über die Politik, wir sind mächtiger als die Politik. Wir können über ein Werk reden, das auch das Wort an sich übertrifft. Deshalb sind auch die Kulturmanager so mächtig, weil sie auch eine Intelligenz entwickeln, die jene der Politiker übertrifft. Das heißt: Sie verwenden dann den Politiker für ihre Zwecke. Es hat sich eine Lobby entwickelt, die die Politik nützt, um sich selbst als Star zu verwirklichen. Auf den Punkt gebracht: Wer ist heute der Star? Nicht der Künstler, sondern der Kunstmanager. In Österreich ist das die linke Lobby? Würde ich nicht sagen. Die linke Lobby habe ich immer als viel kunstaktiver gesehen als die rechte. Weder die linke, noch die rechte Lobby vertreten das, was auf der Straße passiert. Wie würde Ihre persönliche ideale Kunstförderung aussehen? Man muss Künstlerprojekte fördern. Aber

mit einer richtigen Ausschreibung und mit demokratischen Entscheidungen. Diese sollen aber nicht selbsternannten Experten überlassen werden, sondern der Bevölkerung. Wie soll das in der Praxis funktionieren? Es müssen Vertreter der gesamten Bevölkerung in diesen Gremien sitzen, auch Arbeiter, auch Bauern. Insbesondere Menschen, die wirklich was leisten. Bauern und Arbeiter haben eine unbefleckte Empfindung. Kritiker könnten sagen, Arbeiter und Bauern haben kein Kunstverständnis. Selbstverständlich haben sie ein Kunstverständnis. Da würde überhaupt kein Blödsinn passieren, sondern da würde Kunst passieren. Sie sprachen davon, Kunst den einfachen Leuten näher zu bringen, sie sogar in Favelas zu zeigen. Aber diese Menschen werden sich einen Ditsch nicht leisten können. Haben Sie schon genug verdient? Ja, ich habe genug verdient. Kunst war für mich aber nie Zweck, um Geld zu machen, ganz im Gegenteil. Ich kann mich noch erinnern, wie ich meinem Vater mit 19 oder 20 Jahren gesagt habe, dass ich Maler sein möchte. Seine Antwort war sehr pädagogisch und bis heute noch beeindruckend für mich: Schau, du wirst nie Geld haben, aber du wirst glücklich sein! Er hat unrecht gehabt. Nein, er hat recht gehabt. Ich wurde glücklich.

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sagen. Auf jeden Fall.

Ditsch: „Ich musste einen subversiven Weg gehen außerhalb des Systems. Ich werde immer noch von den Museen gemieden.“

Aber Geld haben Sie auch. Ja, das kam, weil ich meine positive Energie in die Bilder steckte und diese positive Energie kam dann in Form von Geld wieder heraus. Warum nehmen Sie endgültigen Abschied aus Österreich? Ich habe meine Chance in Österreich gehabt. Viele Österreicher haben auch eine Chance gehabt mit mir. Meine Zeit aber ist auch begrenzt. Und es gibt eine Heimat, die ich sehr liebe und die ich sehr vermisse. Und zu der kehr ich zurück. Das ist ein Abschied für mich, vielleicht kehr ich einmal zurück. Jedenfalls sage ich der nihilistischen Kulturszene Adieu. Nicht Adieu, sondern „Geht’s sch......“, denn das sind keine feinen Menschen, also kann man sich auch so von ihnen verabschieden. Sollte ich zurückkehren, dann nicht in die Museen, sondern in Zelten oder auf der Straße, wo die Menschen sind. 19


Reiselust

Südamerika ins Herz geschlossen J

Costa Ricas Parlamentspräsident Luis Gerardo Villanueva (re.) empfing Nationalratspräsident Dr. Martin Graf und Honorar-Generalkonsul Manfred Maurer (li.) im Blauen Salon.

Venezuela/Argentinien. Die Delegation konnte vor Ort wahrnehmen und feststellen, inwieweit traditionelle österreichische Beiträge in diesen Ländern umgesetzt werden und wie das Bild Österreichs wahrgenommen wird. Der neuntägige intensive Gedankenaustausch bot u.a. Gespräche mit staatlichen Verwaltungsbehörden sowie Universitäts-Repräsentanten. Auf dem Programm standen Besichtigungen des VW-Werkes und des Standortes von Böhler-Uddeholm in Argentinien sowie Gespräche mit Vertretern der Humboldtschule in Caracas und deutschsprachigen Auswanderverbänden. Costa Rica. Martin Graf reiste 2010 mit einer Delegation nach Costa Rica, wo unter anderem die Plantage der Linzer Firma Teak-Austria besichtigt wurde. Aus einem Termin mit dem Parlamentspräsidenten Luis Gerardo Villanueva sowie bildungspolitischen Gesprächen mit der Rektorin der Universität sowie dem Leiter der deutschen Humboldt-Schule nahm Graf einige Anregungen mit nach Hause. So besteht etwa in Costa Rica großes Interesse an der dualen Berufsausbildung in Österreich.

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edes Jahr ein Land in Südamerika besuchen. Das steht auf der Arbeits-agenda des Dritten Nationalratspräsidenten Dr. Martin Graf, der auch Präsident der Österreichischen Gesellschaft der Freunde Lateinamerikas (ÖGFLA) ist. Gestartet wurde die Besuchs-Reihe im Jahr 2006. 2009 reiste eine hochkarätige parlamentarische Delegation mit Wirtschaftsleuten in die Länder Venezuela und Argentinien, ein Jahr später war Costa Rica dran sowie 2011 Paraguay und Argentinien. Im nächsten Jahr soll es nach Chile gehen.

Flagge und Wappen Paraguays

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ie Flagge Paraguays besitzt eine Besonderheit, die sonst nur die Flaggen der ehemaligen Sowjetunion und der Westsahara aufweisen: eine unterschiedliche Vorder- und Rückseite. Die Grundfarben der Flagge sind der französischen „Tricoleur“ nachempfunden, haben jedoch für die Bevölkerung anderen Symbolwert. Die eine Erklärung lautet: Rot für das Blut der Paraguayer, Weiß für die Reinheit des Herzens und Blau für den Himmel über dem Land. Eine andere Erklärung ist, dass während des Krieges die Truppen diese Farben als ihr Kennzeichen

trugen. Bis heute hat eine der größten politischen Parteien, die „Colorados“, die Farbe Rot als ihr Symbol, zum Unterschied zu den „Liberalen“ bzw. „Febreristas“, die Blau gewählt haben. Das Staatswappen „Escudo de Armas“ auf dem weißen Flaggenteil der Vorderseite zeigt im runden weißen Schild einen roten Ring mit der Inschrift: „República del Paraguay“. In der Mitte ist ein gelber Stern, der umgeben ist von einem grünen Palmenzweig auf der einen Seite und einem grünen Olivenzweig auf der anderen Seite. Auf der Rückseite befindet sich anstelle des Staatswappens das Emblem des Finanzministeriums. Es zeigt einen sitzenden gelben Löwen vor einer braunen Stange, die eine rote Jakobinermütze trägt. Über der Mütze befindet sich der Wahlspruch „Paz y Justicia“ (Friede und Gerechtigkeit). Walter Haasler


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