nahdran. 2|2013

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nahdran. Aus Branche und Unternehmen. Juni 2013

Auf Herz und Nieren

Vorsorge ist besser als Nachsorge

Echter Jungbrunnen

Trinkwassergewinnung und -aufbereitung in Deutschland Seite 8

'End-of-pipe'-Umweltschutz ist aufwändig – was nicht ins Wasser gerät, muss auch nicht herausgefiltert werden Seite 12

Berliner Forscher kommen der Brunnenalterung auf die Spur Seite 16

»Vorsicht, empfindlich!« Sensibles Gut Trinkwasser: Ist seine Qualität in Gefahr? Seite 4


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Aus der Branche VKU entwickelt Marktmodell für mehr Wettbewerb Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) hat im März ein Gutachten zur zukünftigen Ausgestaltung des Energiemarktes vorgestellt. Das Gutachten wurde von enervis und BET im Auftrag des VKU erarbeitet.

Weltwasserwoche 2013 – Zusammenarbeit im Wasserbereich Vom 1. bis zum 6. September trifft sich in Stockholm die internationale Fachwelt zum Gedankenaustausch rund um das Thema Wasser. Wie das Internationale UN-Jahr wird auch die diesjährige Weltwasserwoche unter dem Titel »Zusammenarbeit im Wasserbereich« laufen. Thematische Eckpunkte bilden die Zusammenarbeit der Sektoren Energie, Nahrungsmittel und Wasser, die Versorgung der Menschen mit sicherem Trinkwasser, das Management zur Vermeidung von Katastrophen, grenzüberschreitende Kooperationen auf allen administrativen Ebenen sowie eine stärkere Einbindung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in politische Entscheidungsprozesse. www.worldwaterweek.org

Was kostet die Anpassung an den Klimawandel? Neue Homepage zu BMBF-Forschungsprojekt Der Klimawandel trifft die verschiedenen Regionen und Wirtschaftssektoren in Deutschland in verschiedener Weise und unterschiedlichem Ausmaß. Die privaten und institutionellen Akteure stehen damit vor individuellen Herausforderungen, sich auf den Klimawandel einzustellen. Über die Kosten dieser Anpassung liegen bislang nur wenige Erkenntnisse vor. Hier setzt das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt »Ökonomie der Anpassung an den Klimawandel« an. Auf der neuen Projektwebsite werden wirtschaftliche Auswirkungen des Klimawandels und damit einhergehende Anpassungsstrategien in Deutschland vorgestellt, Kosten und Nutzen des Anpassungsprozesses analysiert sowie Rahmenbedingungen untersucht. www.oekonomie-klimawandel.de

Kernaussage: Die Energiewende könne nur durch einen grundlegenden Systemumbau in Richtung Markt und Wettbewerb gelingen. Dieser Umbau brauche einen integrierten Ansatz, der erneuerbare Energien, konventionelle Erzeugung und Netze sowie deren Wechselwirkungen gleichermaßen berücksichtigt. Das vom VKU entwickelte Marktmodell solle ein Höchstmaß an volkswirtschaftlicher Effizienz generieren, Versorgungssicherheit bieten und dabei nachhaltig sein. Zentrale Elemente sind ein Leistungsmarkt, ein neues und wettbewerbliches Fördersystem für die erneuerbaren Energien mit Hilfe eines Auktionsverfahrens sowie eine Neugestaltung der Regulierungsbedingungen für die Stromnetze. www.vku.de

Energieverbrauch und Energieerzeugung in Thüringer Kläranlagen Betreiber kommunaler Kläranlagen in Thüringen können deutlich an Energie und Kosten sparen: Wenn alle Kläranlagen in Thüringen Energie effizient nutzen würden, ließen sich pro Jahr rund 14.500 Megawattstunden Strom einsparen. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie »Energieverbrauch und Energieerzeugung in Thüringer Kläranlagen«, die Thüringens Umweltminister Jürgen Reinholz (CDU) im April in Erfurt vorstellte. www.thueringen.de > Publikationen > »Energieverbrauch und Energieerzeugung in Thüringer Kläranlagen – Bestandserhebung und Abschätzung von Einsparpotenzialen«

Zahlen und Fakten 2013: Erneuerbare Ressourcen und das EEG Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW stellt aktualisierte interaktive Karten zu den Erneuerbaren Energien für 2013 online zur Verfügung. Die Stromerzeugung durch Wasserkraft, Windkraft, Biomasse sowie Klär- und Deponiegas ist nach regionaler Verteilung der Anlagen und nach EEG-Zahlungsströmen der Bundesländer einsehbar. www.bdew.de > Daten/Grafiken > Energie allgemein > Erneuerbare Energien


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Auf ein Wort Stillstand wäre Rückschritt.

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aum ein anderes Heftthema könnte derart »mitten ins Herz« unserer Tätigkeit gehen: Die Versorgung mit sicherem und sauberem Trinkwasser steht seit 160 Jahren im Mittelpunkt der Arbeit von Veolia. Die Grundlage dieser Versorgung, die natürlichen Ressourcen, zu schützen und zu bewahren – das war dabei von Beginn an zentraler Bestandteil unserer Arbeit.

Ihr Michel Cunnac, Vorsitzender der Geschäftsführung Veolia Wasser

Die Wasserversorger als Dienstleister in der Daseinsvorsorge können stolz auf die hochwertige Trinkwasserqualität sein, die sie heute flächendeckend anbieten können; und auch der vorbeugende Ressourcenschutz in Deutschland genügt hohen Standards. Aber: Stillstand wäre Rückschritt, denn es gibt noch große Verbesserungsmöglichkeiten und auch neue Herausforderungen, die zu bewältigen sind – ein Schwerpunkt in diesem Heft.

Die Aufgabe, die Trinkwasserversorgung der Zukunft zu sichern, ist letztlich eine Aufgabe des Umwelt- und Naturschutzes. Die möglichst gute Klärung von Abwasser oder auch die Verringerung des Gebrauchs schädlicher Dünge- und Pflanzenschutzmittel sind wichtige Maßnahmen, damit unsere Gewässer einer möglichst großen Artenvielfalt Heimat geben können. Diese Vielfalt verbessert ihrerseits die Wassergüte und damit auch die Trinkwasserqualität – dort, wo Oberflächenwasser genutzt wird, sogar ganz unmittelbar. Bodenschutz wiederum ist immer auch »Die Trinkwasserversorgung der Zukunft ist Schutz des Grundwassers – denn die natürlieine Aufgabe des Umwelt- und Naturschutzes.« chen Filterleistungen des Bodens sind die wichtigste »Aufbereitungsanlage« überhaupt. Deutschland, obwohl oft Vorbild in Sachen Umweltschutz, kann beim Schutz der Gewässer noch besser werden. Der ,gute ökologische Zustand‘ der gemäß der EU-Wasserrahmenrichtlinie 2015 überall erreicht sein müsste, ist noch längst nicht flächendeckend gegeben. Wir als Wasserversorger ziehen mit Umweltverbänden an einem Strang, wenn es darum geht die Gewässerqualität nachhaltig zu verbessern. So beteiligt sich Veolia an verschiedenen Orten in Europa an der Renaturierung von Flüssen, hier in Deutschland unterstützen wir den Naturschutzbund NABU bei einem der europaweit größten Projekte zur Fluss-Renaturierung im Bereich Untere Havel. Ebenfalls mit dem NABU aber auch mit anderen Partnern wie der Stiftung Naturschutz und dem Ökowerk in Berlin arbeiten wir zu Themen des Artenschutzes und der biologischen Vielfalt. International unterstützt Veolia den Gewässerschutz auch mit einer Vielzahl von Forschungsprojekten. So erforscht das gemeinnützige Kompetenzzentrum Wasser Berlin beispielsweise Wege zur Reduktion der Gewässerbelastung durch Stickstoff, Nitrat oder Pestizide. Nicht nur Staat und Kommunen, auch Industriebetriebe tragen große Verantwortung für den Schutz des Wassers. Als führendes Fachunternehmen unterstützt Veolia sie auf der ganzen Welt dabei, ihren 'Water Footprint' zu verringern, Wasser konsequent wiederzuverwenden und die Abgabe von Schadstoffen in den Wasserkreislauf zu minimieren. Auch darin liegt ein wichtiger Schlüssel für den nachhaltigen Schutz unseres Trinkwassers. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre!


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Vorsicht, empfindlich! Was unser Trinkwasser so gut macht und was wir tun müssen, damit es so bleibt.

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er in Deutschland den Wasserhahn aufdreht, erwartet kühles Nass in Topqualität. Zu Recht, denn Deutschlands Trinkwasser ist eines der qualitativ hochwertigsten und am strengsten kontrollierten weltweit. Dennoch wäre es falsch, sich auf dem Erreichten auszuruhen. Denn die Rahmenbedingungen verändern sich und sorgen für neue Herausforderungen.

Die hohe Wasserqualität in Deutschland muss gehalten werden, darüber besteht Einigkeit. Komplizierter wird es, wenn es konkret wird: Wenn Wasserversorger, Gesetzgeber, Wissenschaftler und eine aufmerksame Öffentlichkeit sich darüber verständigen müssen, welche Kriterien die gewünschte Reinheit definieren. Und darüber, welcher Aufwand dafür gerechtfertigt ist, bei einer sorgfältigen Abwägung der gesundheitlichen, ökologischen und ökonomischen Aspekte. Eine Diskussion, die es mit Umsicht, Voraussicht und Augenmaß zu führen gilt. Trinkwasser ist das am meisten kontrollierte Lebensmittel in Deutschland: Als Nahrungsmittel Nummer eins muss es höchsten Anforderungen genügen. Dies stellen die deutsche Trinkwasserverordnung (TWVO) und entsprechende EU-Vorschriften mit verbindlichen Grenzwerten sicher. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Qualität durch eine kontinuierliche Verschärfung der Grenzwerte und Prüfungsvorgaben konsequent gesteigert. Ende 2011 wurde das Gesetz novelliert, bereits Ende 2012 wurde die 2. Änderung zur neuen TWVO beschlossen. Mit der Überarbeitung wurden erstmals Grenzwerte für Uran und Coli-Bakterien festgelegt, ein Legionellen-Richtwert und die Pflicht zur Legionellenprüfung eingeführt sowie die Betreiber von Wasserversorgungsanlagen zur jährlichen Information über die Wasserqualität gegenüber den Verbrauchern verpflichtet. Die Entwicklung zeigt, welche Sensibilität auch auf Seiten der Gesetzgebung in Sachen Ressourcenschutz und Zukunft der Wasserversorgung besteht. Diese oftmals belächelte »deutsche Gründlichkeit«

ist in diesem Zusammenhang vorbildlich. Denn die hohe Güte und flächendeckende Verfügbarkeit des Trinkwassers hierzulande ist nicht selbstverständlich – andere Länder haben wesentlich mehr Probleme: Rund 800 Millionen Menschen weltweit haben überhaupt keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.


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Schweden

Dänemark

Wasserverbrauch inkl. Industrie und Landwirtschaft pro Jahr

Polen Portugal Bulgarien Deutschland Niederlande Dänemark Frankreich Österreich Griechenland UK Italien Schweden

102 l 107 l 139 l 155 l 184 l 191 l 196 l 214 l 239 l 241 l 267 l 302 l

Bulgarien

Anschlussgrad an öfftl. Wasserversorgung

87 % 92 % 99 % 99 % 100 % 97 % 99 % 90 % 94 % 99 % 98 % 85 %

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind rund 80 Prozent der globalen Infektionskrankheiten auf verunreinigtes Wasser zurückzuführen. Und, so prognostizieren Experten, der Mangel an sauberem Trinkwasser wird sich in weiten Teilen der Erde in den nächsten Jahrzehnten drastisch verschärfen, weil die vorhandenen Ressourcen vielerorts nicht nachhaltig bewirtschaftet werden. Dabei steht global betrachtet vor allem die landwirtschaftliche Nutzung in einer problematischen Konkurrenz zur öffentlichen Trinkwasserversorgung. Deutschland ist, gemeinsam mit insbesondere Österreich und den USA, weltweit prägend für die Standards der Trinkwasserqualität, andere Länder übernehmen die strengen Vorschriften häufig. So ist Deutschland oft Vorreiter bei Richtlinien und Grenzwerten: Während die USA beispielweise für Uran einen Grenzwert von 30 Mikrogramm (μg) pro Liter festlegen, empfiehlt die WHO einen Wert von nicht mehr als 15 μg, das deutsche Umweltbundesamt sogar nur 10 μg. Ein vorsichtiger, aber vorausschauender Weg, um die empfindliche Ressource Trinkwasser auf Dauer auf höchstem Niveau zu schützen. Dafür müssen Wasserwirtschaft, Forschung und Gesetzgebung die sich verändernden Rahmenbedingungen immer wieder aufs Neue prüfen und sich über die notwendigen Anpassungen verständigen.

UK

Niederlande

Polen

Deutschland

Frankreich

Österreich

Italien Portugal

Griechenland

Flasche oder Leitung? Auch eine Frage des Klimaschutzes Trinkwasser aus dem Hahn und Mineralwasser in der Flasche unterliegen zwar nicht denselben Qualitätsanforderungen, doch strenge Kontrollen unterlaufen beide Lebensmittel. Unterschiede sind trotzdem spürbar – sowohl im Trinkverhalten als auch in den Umweltauswirkungen. Obwohl sie in den meisten Fällen Zugang zu bedenkenlos trinkbarem Leitungswasser haben, bevorzugen Europäer oft das Wasser aus der Flasche: 105 Liter Mineralwasser konsumiert der durchschnittliche Europäer im Jahr. Spitzenreiter sind die Südeuropäer, wie etwa die Italiener mit rund 200 Litern pro Person pro Jahr, während der Finne mit 16 Litern jährlich am wenigsten Mineralwasser trinkt. Abgefülltes Wasser unterscheidet sich erheblich in seiner Umweltwirkung: Produktion, Transport, Reinigung und Entsorgung der Flaschen verbrauchen Ressourcen und Energie, und auch der Transport des abgefüllten Produktes bis in den Haushalt verursacht Lärmund Schadstoffemissionen. Die Berliner Wasserbetriebe ließen 2009 in einer Studie den CO2Fußabdruck von Flaschen- und Leitungswasser untersuchen: Unter Annahme des durchschnittlichen deutschen Konsums von 138 Litern Mineralwasser pro Jahr ergibt sich eine CO2-Belastung von ca. 99.000 Tonnen allein durch den Flaschenwasserkonsum der Berliner Bevölkerung. Würden alle Berliner stattdessen Leitungswasser trinken, läge die CO2-Belastung bei nur 164 Tonnen im Jahr – eine Entlastung für das Klima von über 99 Prozent. > www.gut-cert.com > »CO2-Fußabdruck, Verifizierung der vorhandenen Zahlen zum Vergleich von Leitungs- und Mineralwasser« (November 2009)


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»Wir müssen das gesamte System in den Blick nehmen.« Deutschland gilt als Trinkwasser-Vorbild – also alles bestens? Interview mit Dr. Ingrid Chorus, Abteilungsleiterin Trinkwasser und Badebeckenwasser-Hygiene am Umweltbundesamt. Frau Dr. Chorus, warum ist es um die Qualität des deutschen Trinkwassers so gut bestellt? Dr. Ingrid Chorus: Ausschlaggebend ist, dass es in Deutschland trotz der hohen Siedlungsdichte vielfach gelingt, die Rohwasserressourcen zu schützen. Insbesondere, wo Grundwasser als Quelle dient, ist das Trinkwasser in der Regel von sehr guter Qualität und bedarf nicht viel Aufbereitung. Denn der Boden dient als hervorragender Filter, der Krankheitserreger zurückhält und viele Stoffe eigenständig abbaut. In Regionen, in denen nur Oberflächenwasser zur Nutzung zur Verfügung steht – dies betrifft etwa 20 Prozent des Trinkwassers in Deutschland – sind zusätzliche technische Aufbereitungsmethoden notwendig.

In den letzten Jahren sind Spurenstoffe, zum Beispiel Rückstände von Medikamenten, stark in die Diskussion geraten. Welche Gefahr besteht für die Trinkwasserqualität? Dr. Ingrid Chorus: Bei diesem Thema wird leider eher skandalisiert. Der Eindruck täuscht, dass die Situation schlimmer geworden ist – wir »sehen« nur mehr: Die Analysemethoden sind wesentlich sensibler geworden, man kann inzwischen auch sehr geringe Stoff-Konzentrationen nachweisen. Außerdem muss dringend differenziert werden zwischen Spurenstoffen, die wir im Gewässer finden, und denjenigen, die bis ins Trinkwasser gelangen – das ist keineswegs deckungsgleich. Häufig wird Trinkwasser in speziell ausgewiesenen Wasserschutzgebieten gewonnen, in denen Spurenstoffe maximal in verschwindend geringen Konzentrationen auftauchen. Trotzdem ist die Aufmerksamkeit für das Thema richtig, zumal wir ständig neue Stoffe »erfinden«, die gegebenenfalls in die Umwelt gelangen. Die Trinkwasserverordnung in Deutschland gilt als sehr streng. So wurde sie zum Beispiel 2011 um einen Grenzwert für das Schwermetall Uran erweitert – als erste innerhalb der EU. Müsste nicht eigentlich auch nach Spurenstoffen gesucht werden, also nach Rückständen von Medikamenten? Dr. Ingrid Chorus: Gerade die großen Wasserversorger führen bereits wesentlich mehr Analytik durch, als sie laut Trinkwasserverordnung müssen und das ist auch gut so. Man löst das Problem aber nicht, indem man die Liste der zu prüfenden Parameter noch weiter ausdehnt. Es gibt 50.000 Chemi-

»Bei Spurenstoffen wird eher skandalisiert. Es ist nicht schlimmer geworden, wir sehen nur mehr.« Dr. Ingrid Chorus, Abteilungsleiterin Trinkwasser und Badebeckenwasser-Hygiene am Umweltbundesamt


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kalien, die produziert werden – diese können nicht alle untersucht werden. Der Weg muss ein anderer sein: Wir müssen von vornherein die Trinkwasserquellen vor Kontaminationen schützen und ganz individuell einschätzen, was jeweils vor Ort zum Problem werden könnte. Genau in diese Richtung gehen auch die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation: Nicht in erster Linie das Ende der Wasserleitung, sondern das ganze System muss in den Blick genommen werden. Wir müssen die jeweils vor Ort relevanten Gefährdungen individuell betrachten, Überwachungssysteme und die Maßnahmen zur Verhinderung von Wasserverschmutzung gezielt darauf zuschneiden. Bei aller Diskussion um Spurenstoffe: Was ist mit Krankheitserregern und Keimen – welche Gesundheitsrisiken stellen sie im Trinkwasser dar? Dr. Ingrid Chorus: Hier kann man schon viel eher von einem unterschätzten Risiko sprechen. Ein Beispiel sind die Legio-

»Wir müssen die Verschmutzung an der Quelle verhindern, statt erst am Ende der Leitung zu suchen.« nellen: Seit Ende 2011 verpflichtet die Trinkwasserverordnung die Betreiber größerer Anlagen in gewerblich genutzten Gebäuden und Mietshäusern, ihre Trinkwasseranlagen auf Legionellen untersuchen zu lassen und Überschreitungen zu melden. Leider zeigen sich diverse Mängel. Das Warmwassersystem wird beispielsweise nicht warm genug betrieben. Erst oberhalb von 55 – 60 °C können sich Legionellen nicht mehr vermehren. Außerdem werden die Leitungen nicht genug durchspült, oder es sind falsche Materialien verbaut worden, die nicht zur Wasserqualität passen. Stoffe daraus können so ins Wasser übergehen. Aber mit der neuen Verpflichtung haben wir jetzt ein Instrument, genauer zu überprüfen, inwieweit Installationen in größeren Gebäuden dem technischen Regelwerk entsprechen, und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Wie sieht es mit anderen Erregern aus? Dr. Ingrid Chorus: In Bezug auf Bakterien haben wir hohe Sicherheit im Trinkwasser. Punktuell kann es natürlich Probleme geben, z. B. bei Hochwasser. Das sind aber Einzelfälle. Viren und Parasiten können länger überleben und sind durch vorhandene Prüfindikatoren auch nicht immer ausreichend erfassbar. Insgesamt vermuten wir aber, auch hier auf der sicheren Seite zu sein. Um das zu prüfen, laufen aktuell viele Forschungsvorhaben. Eine Ausnahme bilden hier private Hausbrunnen sowie ganz kleine öffentliche Wasserversorgungen. Die kleinsten »Öffentlichen« werden nur einmal im Jahr überwacht. Auch wenn in vielen Fällen die Qualität dennoch wahrscheinlich sichergestellt ist, ist uns das zu wenig. Wir müssen auch die kleinen Einheiten in die Untersuchung einbeziehen. Welche Herausforderungen sehen Sie in Bezug auf das Trinkwasser in der Zukunft? Dr. Ingrid Chorus: Im Fokus steht, dass wir die Installationen in den großen Gebäuden besser in den Griff bekommen und dass wir uns stärker um die ganz kleinen Versorgungsgebiete kümmern.


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Auf Herz und Nieren Trinkwassergewinnung und -aufbereitung in Deutschland: Strenge Maßstäbe und analytische Kontrolle

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or einem Krieg um die Ressource Süßwasser, der in trockenen Gebieten der Erde langfristig nicht ausgeschlossen ist, muss sich Deutschland nicht fürchten: Klimatisch und geografisch herrschen beste Voraussetzungen für genügend Wasser. Etwa 70 Prozent unseres Trinkwassers stammt direkt aus qualitativ hochwertigem Grundwasser und ist damit bereits vorgefiltert: Der Boden, durch den das Wasser sickert, befreit es von Bakterien, Viren, organischen Feststoffen aber auch chemischen Verbindungen und selbst Arzneimittelrückständen. Eine andere Form, diese Filterung zu nutzen, ist das Prinzip der Uferfiltration: Dabei werden Brunnen eingesetzt, die sich in unmittelbarer Nähe von See- oder Flussufern befinden. Auch das so gewonnene Wasser ist durch die Bodenpassage gründlich gereinigt. Ähnlich funktioniert das Verfahren der Grundwasseranreicherung: Dabei wird Wasser aus einem Gewässer entnommen und andernorts versickert, um es später in gefiltertem Zustand zu fördern. Gemeinsamer Vorteil dieser naturnahen Wege der Wassergewinnung ist, dass technisch aufwändigere Verfahren entfallen können. Denn nicht filtriertes Oberflächenwasser bedarf einer umfangreicheren, oft energieintensiven Aufbereitung, wie etwa mittels Aktivkohle, Chlor, Ozon, Membranfiltersystemen oder UV-Strahlung zur Abtötung von Keimen (> vergleiche auch S. 12/13). Deutschland geht vorsichtig mit den empfindlichen Trinkwasserressourcen um: ausgewiesene Trinkwasserschutzgebiete schirmen die Ressourcen vor Verschmutzungen ab und sorgen gemeinsam mit der sorgfältigen Aufbereitung des Rohwassers im Wasserwerk für größtmöglichen Schutz. Das Aufbereitungsverfahren richtet sich dabei immer nach der Herkunft und Qualität des sogenannten Rohwassers. Dass sich dies über die Jahre verändern kann, zeigt das Beispiel des Görlitzer Trinkwassers: Bis in die 80er Jahre hinein kam dort Grundwasser ohne spezielle Aufbereitung ins Netz. Doch nur der Wandel ist beständig, weiß Uwe Deike, Leiter Trinkwasserversorgung der Stadtwerke Görlitz AG: »Aufgrund der wachsenden Bevölkerung wurde immer mehr Grundwasser entnommen. Daher musste man in tiefere Schichten vorstoßen, in denen andere Stoffe enthalten sein konnten, zum Beispiel Eisen und Mangan.« Das erforderte eine zusätzliche Reinigung. Heute wird in Görlitz das Grundwasser mit Oberflächenwasser angereichert und anschließend in drei Stufen aufbereitet: Zuerst wird Sauerstoff hinzugefügt, der mit den im Wasser gelösten Eisen- und Manganverbindungen reagiert


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8%

Quellwasser

62% Grundwasser

9%

angereichertes Grundwasser

8%

Uferfiltration

1%

Flusswasser

Woher kommt das Trinkwasser in Deutschland?

See- und Tal12% sperrenwasser

Statistisches Bundesamt (2007)

und Flocken bildet. Diese werden zusammen mit weiteren Trübstoffen in der zweiten Stufe, der Filtration, abgetrennt. Im dritten Schritt erfolgt eine chemische Restentsäuerung – fertig ist das »Reinwasser«. Um tageszeitliche Bedarfsschwan- kungen auszugleichen, wird das aufbereitete Wasser in Hoch-behältern oder Wassertürmen zwischengespeichert, bevor es über Rohrnetze zu Haushalten und Industrieanlagen gelangt. Die Qualitätssicherung hat an jeder Stelle dieses Trinkwasserkreislaufs oberste Priorität: Permanent prüfen die Versorger in Zusammenarbeit mit den Gesundheitsämtern die Qualität des Wassers – im Boden, im Brunnen, im Wasserwerk und in den Transportleitungen. Die Proben wandern direkt ins Labor und werden auf mikrobiologische, chemische und physikalische Parameter analysiert. Schwermetalle, Keime und Bakterien, Uran, aber auch pH-Wert, Trübung, Sauerstoffgehalt und Temperatur – das Wasser wird auf Herz und Nieren durchleuchtet. Darüber hinaus greifen die Wasserexperten auch zu kreativen Methoden, um die Trinkwasserqualität in 'Echtzeit' zu überwachen. Mit Saiblingen und Bachforellen in München oder Moderlieschen in Berlin übernehmen sensible Fische die Rolle von 'Vorkostern'. In speziellen Aquarien werden sie mit frischem Trinkwasser versorgt. Auf Veränderungen der Wasserqualität reagieren sie sehr empfindlich und ergänzen so die Standarduntersuchungen, quasi als doppelter Boden. »Eine normale Analyse im Labor kann 24 bis 48 Stunden dauern.

Mit den Fischen haben wir ein zusätzliches Sicherungssystem, das uns umgehend Veränderungen im Trinkwasser signalisiert«, begründet Stephan Natz, Pressesprecher der Berliner Wasserbetriebe, die ungewöhnliche Methode. Und die Berliner Moderlieschen arbeiten schnell: Verändern sich bestimmte Parameter des Wassers, verändert sich sofort auch ihr Verhalten. »Computerverbundene Kameras beobachten die Fische und schlagen Alarm, wenn sie verhaltensauffällig werden«, erläutert Natz. »Dann müssen wir reagieren.« Werden Grenzwerte überschritten, muss der Versorger das Gesundheitsamt informieren, das kurzfristig ein Abkochgebot oder sogar die Unterbrechung der Trinkwasserversorgung verfügen kann. Dabei gilt grundsätzlich das Prinzip: An der Ursache ansetzen statt nur Symptome zu beseitigen. So wird schnellstmöglich die Verschmutzungsquelle aufgespürt und abgestellt, statt nur deren Auswirkungen einzudämmen, etwa durch zusätzliche technische Aufbereitungsschritte. Die Berliner Moderlieschen indes schwimmen nicht mehr lang im Dienst des sauberen Trinkwassers. Das System wird bald abgelöst, da aus Tierschutzgründen der Einsatz der Fische nur für begrenzte Zeit erlaubt wurde. »Wir entwickeln derzeit ein neues biologisches Sicherungsverfahren, das mit Bakterien bzw. Zellen arbeitet: Aquabiotox«, so Natz. Die Methode funktioniere, nun gehe es darum, die notwendigen Geräte zu verkleinern, damit die praktische Anwendung im Trinkwassernetz möglichst praktikabel und kostengünstig wird.


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Sinnvolle Vorsorge oder Aktionismus? Die technische Aufrüstung von Kläranlagen als Möglichkeit, unerwünschte Stoffspuren aus dem Wasser zu entfernen von Univ.-Prof. Dr.-Ing. Johannes Pinnekamp, Institut für Siedlungswasserwirtschaft RWTH Aachen


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»Alle Stoffe, die der Mensch erzeugt und verwendet und die damit in die Umwelt gelangen, werden über den Kreislauf des Wassers und über die Luft global verteilt.« Univ.-Prof. Dr.-Ing. Johannes Pinnekamp, Institut für Siedlungswasserwirtschaft RWTH Aachen

Der Gewässerschutz in Deutschland befindet sich auf einem sehr hohen Niveau. Viele Seen und Flüsse laden zum Baden ein, unser Trinkwasser erfüllt höchste Qualitätsansprüche. Renaturierungsmaßnahmen und die Wiederherstellung der Durchgängigkeit für Fische befinden sich in der Umsetzung. Trotz dieser Erfolge tauchen aber neue Herausforderungen auf. Es handelt sich dabei um die von vielen Seiten erhobenen Forderungen nach einer Reduktion der Mikroverunreinigungen und nach einer Entkeimung des Abwassers an den Gewässern, die tatsächlich zum Baden genutzt werden. Das Problem ist auch deswegen in der Diskussion, weil wir durch die rasante Verbesserung der Analysetechnik heute in der Lage sind oder in wenigen Jahren in der Lage sein werden, praktisch jeden jemals produzierten Stoff im Wasser nachzuweisen. Alle Stoffe, die der Mensch erzeugt und verwendet und die damit in die Umwelt gelangen, werden über den Kreislauf des Wassers und über die Luft global verteilt. Diese Stoffe unterliegen in der Natur zwar Transformations- und Abbauprozessen, sie verlaufen jedoch nie vollständig. Die Bewertung der gemessenen Stoffkonzentrationen und ihrer Wirkung auf lebendigen Organismen ist aber schwierig. Es existieren Modelle für die humantoxikologische (z.B. das GOW-Konzept) oder die ökotoxikologische Bewertung (z.B. das PEC/PNEC-Konzept). Schlussendlich verbleibt ein gewisses Restrisiko, das nicht mehr mit vertretbarem Aufwand reduziert werden kann. Neben diesen grundsätzlichen Fragen besteht Uneinigkeit über die richtige Strategie. Kann die Menge der in die Umwelt gelangenden Stoffe schon an der Quelle reduziert werden? Oder sind technische Anlagen zur Reduzierung der Mikroverunreinigungen über eine »4. Reinigungsstufe« der bessere Weg? Natürlich haben diese »4. Reinigungsstufen« einen zusätzlichen Energieverbrauch. Es muss eine Gesamtbilanz gezogen

werden, die auch die CO2-Emissionen, die z.B. bei der Herstellung von Aktivkohlen auftreten, einbezieht. Selbstverständlich müssen auch hier alle Einsparpotenziale genutzt werden, dennoch gilt, dass der Einfluss unserer Maßnahmen auf den Gewässerschutz groß, ihr Einfluss auf den Klimaschutz aber marginal ist. Bleibt die Frage, ob trotz der zusätzlichen Kosten und des erhöhten Energiebedarfes die Einführung einer »4. Reinigungsstufe« in Angriff genommen werden sollte. Ich meine ja, weil das Vorsorgeprinzip uns zum Handeln auffordert, auch bevor alle Fakten restlos geklärt sind, das Wirksamwerden der Quellenvermeidungsstrategie länger dauert als die Nutzungsdauern jetzt realisierter technischer Anlagen und weil Zusatzkosten und Energiemehrverbrauch gegenüber dem Zusatznutzen für den Gewässer- und Trinkwasserschutz vertretbar erscheinen.


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Die Wahl der Waffen Mit Aktivkohle, Ozon und getrennter Erfassung hoch belasteter Abwässer gibt es mehrere Strategien gegen unerwünschte Stoffe

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as System von Barrieren, das das Trinkwasser vor Verunreinigungen schützt (Schutzgebiete, Filtration durch den Boden, Aufbereitung, kontrollierte Leitungssysteme) hält den größten Teil der unerwünschten Spurenstoffe erfolgreich zurück. Die im Trinkwasser nachgewiesenen Konzentrationen sind so gering, dass nach dem Stand der Forschung heute kein Anlass zu gesundheitlicher Besorgnis besteht. Dennoch wird nach Wegen gesucht, unerwünschte Stoffe möglichst gar nicht erst in den Wasserkreislauf gelangen zu lassen.

Bei den zahlreichen Forschungsprojekten, die sich in Deutschland der Schadstoffreduktion widmen, werden vor allem Aktivkohlefilter und Ozonung getestet. Aktivkohle wird aus kohlenstoffreichen Rohstoffen wie Holz, Steinkohle, Braunkohle oder auch Kokosnussschalen gewonnen und bindet Spurenstoffe über seine poröse Oberfläche. Bei der Ozonung wird das hoch reaktive Gas ins Abwasser eingeleitet und oxidiert vorhandene Schadstoffmoleküle. Ozon kann allerdings auch unerwünschte Reaktionsprodukte bilden, die möglicherweise schädlich sein könnten. Frank Benstöm, Wissenschaftler am Institut für Siedlungswasserwirtschaft der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH Aachen), attestiert beiden Verfahren Tauglichkeit für den großtechnischen Einsatz in der Abwasserreinigung. »Die Erfahrungswerte aus jahrzehntelanger Anwendung in der Trinkwasseraufbereitung sind umfassend«, so Benstöm. Aktuell testet er im Forschungsprojekt AdOx beide Verfahren im direkten Vergleich. »Praktikabel sind beide Methoden. Es muss nur für jede Kläranlage individuell betrachtet werden, was Sinn macht«, so Benstöm.

Früher im Wasserkreislauf setzt das Verbundprojekt »SAUBER+« an. Es versucht Schadstoffe dort zu eliminieren, wo sich die Einträge häufen: im Abwasser medizinischer Einrichtungen. »Die Anzahl älterer Menschen in Altenheimen und Rehakliniken wächst. Dadurch stellen Einrichtungen des Gesundheitswesens sogenannte Hotspots für Medikamentenrückstände im Abwasser dar«, berichtet Wibke Everding, Projektbearbeiterin am Institut für Siedlungswirtschaft der RWTH Aachen. Die Idee: Dieses Abwasser wird vor Ort in einem Membranbioreaktor gereinigt und anschließend durch Ozonung, granulierte Aktivkohle und UV-Bestrahlung von Schadstoffen befreit. Unbekannte organische Spurenstoffe und multiresistente Krankheitserreger zu finden und ihre Wirkung zu analysieren – das gehört zu den Zielen des Forschungsprojektes »Askuris«, welches die Technische Universität Berlin mit den Berliner Wasserbetrieben, dem Kompetenzzentrum Wasser Berlin und dem Umweltbundesamt koordiniert. Projektkoordinator Martin Jekel erforscht seit 2011 mit seinen Mitarbeitern und Projektpartnern die Möglichkeiten zur Entfernung der Stoffe aus dem Abwasser. »In zwanzig oder dreißig Jahren werden wir durch sinkende Niederschläge weniger und dickeres Wasser in Spree und Havel haben«, erläutert Jekel bedeutsame Zukunftsszenarien. »Zudem wird durch die Alterung der Bevölkerung der Medikamentenanteil im Abwasser zunehmen. Das zusammengerechnet führt dazu, dass wir bereits heute für eine höhere Schadstoffkonzentration Vorsorge tragen müssen.«


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Vorsorge ... 'End-of-pipe'-Umweltschutz ist aufwändig – was nicht ins Wasser gerät, muss auch nicht herausgefiltert werden

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ie technische Aufrüstung von Abwasseranlagen kann nicht der einzige Ansatzpunkt sein, um den Trinkwasserkreislauf langfristig vor unerwünschten Stoffen zu schützen. Denn sind diese Stoffe erst einmal im Wasser, so erfordert ihre Entfernung hohen technischen Aufwand und verbraucht viel Energie. Vollständig lassen sich heute selbst mit maximalem Aufwand noch nicht alle Spurenstoffe entfernen.

Auch bei der Aufbereitung von Trinkwasser in den Wasserwerken stellt sich die Frage, ob alles, was machbar ist, auch sinnvoll ist: Die auf dem Vormarsch befindliche UV-Desinfektion zieht erheblich höhere Kosten und steigenden Energieverbrauch nach sich. High-Tech-Nachrüstungen mit Ultrafiltrations- und Membrantechnologie können die Behandlungskosten leicht verdoppeln. Rechtfertigt der Nutzen einen solchen Aufwand? »Dass man überhaupt über die Aufrüstung der Wasserwerke mit einer weitergehenden Rohwasseraufbereitung diskutieren muss, ist Folge einer lang andauernden Vernachlässigung des

Vorsorge- und Verursacherprinzips«, sagt Nikolaus Geiler, Sprecher des Arbeitskreises Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU). »Prioritär müsste über eine signifikante Reduktion des Eintrags von Spurenstoffen in den Wasserkreislauf diskutiert werden – also über Stoffverbote und -substitutionen, eine weitergehende Reglementierung der Indirekteinleitungen sowie der Biozid- und Pestizidanwendungen, über ein anderes Arzneimitteldesign.« Erst wenn diese vorbeugenden Maßnahmen umgesetzt seien, mache die Diskussion über eine energieaufwändige 4. Reinigungsstufe auf kommunalen Kläranlagen Sinn, so Geiler. »Und erst ganz am Schluss lohnt es sich dann vielleicht, über eine Aufrüstung der Trinkwasseraufbereitung zu debattieren.« Diplom-Biologin Sabine Thaler, Fachreferentin der Koordinierungsgruppe Anthropogene Spurenstoffe im Wasserkreislauf der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA), differenziert: »Bislang ist die Datenlage zur Bewertung von anthropogenen Spurenstoffen und ihren Abbauprodukten im Wasserkreislauf noch unvoll-

»Um geeignete Maßnahmen ergreifen zu können, ist die ganzheitliche Betrachtung des Wasserkreislaufes und des Verbleibs der Reaktionsprodukte erforderlich…« Diplom-Biologin Sabine Thaler, Fachreferentin der Koordinierungsgruppe Anthropogene Spurenstoffe im Wasserkreislauf der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V.


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»Dass man überhaupt über die Aufrüstung der Wasserwerke mit einer weitergehenden Rohwasseraufbereitung diskutieren muss, ist Folge einer lang andauernden Vernachlässigung des Vorsorge- und Verursacherprinzips.« Nikolaus Geiler, Sprecher des Arbeitskreises Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V.

ständig, es besteht erheblicher Forschungsbedarf. Die Entscheidung über die sinnvollste Lösung sollte in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung ökonomischer und ökologischer Kriterien getroffen werden. Die technischen Grenzen der Abwasserbehandlung, Bildung von Transformationsprodukten, genau wie Reinigungserfolg und Aspekte des Ressourcen- und Klimaschutzes sind gegeneinander abzuwägen.« Priorität solle es haben, den Eintrag von Spurenstoffen in den Wasserkreislauf zu vermeiden. Daher müsse ein praxistaugliches Bewertungssystem entwickelt werden, welche Stoffe umweltgefährdend bzw. trinkwasserrelevant seien. »Um geeignete Maßnahmen ergreifen zu können, ist die ganzheitliche Betrachtung des Wasserkreislaufes und des Verbleibs der Reaktionsprodukte erforderlich. In erster Linie sind deshalb klare Regelungen zur Chemikalienanwendung auf europäischer Ebene anzustreben«, so Thaler. Ein Beitrag hierzu ist die von der EU-Kommission vorgelegte 'Liste prioritärer Stoffe', deren Eintrag in die Gewässer verringert werden muss. Sie führte zu einer langen und kontroversen Diskussion darüber, ob etwa bestimmte Arzneiwirkstoffe im Gebrauch eingeschränkt werden sollten. Im Kompromiss, der sich zuletzt abzeichnete, werden wichtige Pharma-Wirkstoffe wie das Schmerzmittel Diclofenac zunächst nicht auf dieser Liste geführt, sondern auf einer sogenannten 'Überwachungsliste' mit Substanzen, deren Konzentration im Wasser zunächst weiter beobachtet werden soll. Beim Thema Reduktion an der Quelle pflichtet die Wissenschaftlerin dem Umweltschützer bei: »Verminderungsstrategien

müssen sowohl beim produzierenden Industriebetrieb als auch beim Anwender der Produkte ansetzen. Die Entwicklung weniger bedenklicher Ersatzstoffe muss z.B. durch Schulung von Forschern, Produzenten, Anwendern und Konsumenten vorangetrieben werden.« Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, die Trinkwasserrelevanz als Zulassungskriterium für Arzneimittel aufzunehmen. »Der dabei entstehende Interessenkonflikt zwischen Heilwirkung und Umweltverhalten kann von der Wasserwirtschaft aber nicht allein gelöst werden«, konstatiert Thaler. Auch Wibke Everding von der RWTH Aachen sieht da Konfliktpotenzial: »Eine Ampel auf Medikamenten ist ein sehr sensibles Thema.« Angesetzt werden könne deshalb eher in den privaten Haushalten, in denen oftmals bis heute Altmedikamente über die Toilettenspülung im Abwasser entsorgt würden. »Wir bräuchten ein Entsorgungssystem für Altmedikamente. Denn leider ist es heute oft noch der Fall, dass Apotheken aufgrund hoher Entsorgungskosten Medikamente nicht annehmen.« Eines wird in den wissenschaftlichen Bemühungen und der öffentlichen Diskussion um Spurenstoffe im Wasser deutlich: Alle Beteiligten müssen den gesamten Wasserkreislauf im Blick haben – die Symptome nur am Ende des Kreislaufs zu bekämpfen hätte keine nachhaltige Wirkung.

... ist besser als Nachsorge


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Aus dem Unternehmen Sanierung schützt Donau vor Schmutz

Abwassertransport per Vakuum in Mittelhessen In Rainrod, einem Ortsteil des hessischen Schwalmtal, werden Schmutz- und Oberflächenwasser jetzt getrennt über eine innovative Vakuumentwässerung mit Unterdruck abgeleitet. Das System leitet das Schmutzwasser über rund 150 Spezialschächte durch ein 3.300 Meter umfassendes Netz von Vakuumleitungen zu einer Vakuumstation. Von dort wird das Schmutzwasser über eine neue Druckleitung zur Kläranlage Hopfgarten gepumpt, deren Betrieb die Mittelhessische Wasser und Abwasser GmbH im Auftrag der Gemeinde Rainrod managt. Deutschlandweit gibt es bisher nur wenige gleichartige Systeme. Die an eine Trinkwasserschutzzone grenzende Gemeinde entschied sich trotz eines höheren Wartungsaufwandes für die Vakuumentwässerung, da die Methode günstiger ist als die Sanierung des bestehenden Mischwassersystems. Das Land Hessen förderte die Anlage mit einem Zuschuss von 1,4 Millionen Euro. www.mhwa.de

Willkommen in Görlitz!

Mit der Sanierung eines maroden Abwasserkollektors in Bukarest hat Veolia Wasser einen nachhaltigen Beitrag zu einer besseren Wasserqualität der Donau geleistet. Der »La Cassette« genannte Hauptkollektor war größtenteils durch Ablagerungen verstopft und verursachte in der Vergangenheit immer wieder Überschwemmungen. Zudem sorgten mangelhafte Anschlüsse und illegale Einleitungen für eine starke Verschmutzung der Flüsse Dâmbovița und Donau. Mit einem Investitionsvolumen von 39 Millionen Euro sanierte die rumänische Veolia Wasser-Tochter Apa Nova Bucareşti (ANB) den Hauptkollektor und übernimmt im Rahmen eines Konzessionsvertrags mit der Stadt Bukarest auch die Betriebsführung. www.veoliawater.com

Immer mehr Menschen entdecken die Europastadt Görlitz-Zgorzelec an der Neiße als neuen Wunschwohnort. Die WBG Sanierungs- und Entwicklungsgesellschaft Görlitz mbH, die Stadtwerke Görlitz AG und die Verkehrsgesellschaft Görlitz unterstützen diesen Trend seit Ende 2012 mit einem umfassenden Begrüßungspaket für Wahl-Görlitzer. Wer mindestens einen 18-monatigen Mietvertrag bei der WBG und einen Stromliefervertrag bei den Stadtwerken abschließt, spart u.a. die ersten drei Kaltmieten für die neue Wohnung und erhält drei Monate kostenfreie Fahrt mit Bus und Bahn durch Görlitz. Um auch die Stromrechnung zu senken, begrüßen die Stadtwerke Zugezogene mit einem Energiesparpaket und einer Gutschrift in Höhe des durchschnittlichen Monatsverbrauchs nach dem ersten Jahr Strombezug. Weitere Vorteilsangebote von städtischen Unternehmen und lokalen Dienstleistern bietet die persönliche NEUGÖRLITZER-CARD. www.stadtwerke-goerlitz.de


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Frische Luft für die Werke von Matisse

Das Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou in Paris erhält eine energieeffizientere und umweltfreundlichere Klimaanlage. Ziele des von Dalkia umgesetzten Projekts sind die Reduktion des Energieverbrauchs des Gebäudes um 20 Prozent und verminderte Schadstoffemissionen. Das Heizsystem, die Klimaanlagen und die Ventilation im Gebäude werden dafür bis 2015 ausgetauscht. 13 Luftaufbereitungsanlagen belüften und beheizen derzeit 100.000 Quadratmeter Gebäudefläche. Neue Luft-/Wärmepumpen extrahieren Luft aus dem Freien oder recyceln die Luft aus dem Inneren – so sind eine konstante Temperatur und Luftfeuchtigkeit garantiert, um Ausstellungsstücke wie die Matisse-Kollektion zu schützen.

Warschau wird umweltfreundlicher Als Polen im Jahr 2004 der EU beitrat, wurde nur rund ein Drittel des Warschauer Abwassers behandelt und gereinigt. Größtenteils floss das Abwasser der Hauptstadt ungeklärt in die Weichsel und endete schließlich in der Ostsee – ein immenses Umweltproblem. Heute, rund neun Jahre später, verfügt Warschau über eine der größten Kläranlagen Osteuropas. Über einen Zeitraum von vier Jahren baute und erweiterte Veolia Eau Solutions & Technologies die neue Warschauer Kläranlage, die sich an den europäischen Normen der Abwasseraufbereitung orientiert. Mit 2,1 Millionen Einwohnerwerten und einer Aufnahmekapazität von täglich 515 000 Kubikmetern Abwasser ging sie Ende März 2013 in Betrieb.


Wenn Brunnen altern … Tiefbrunnen pumpen Trinkwasser an die Erdoberfläche und leiten es zur Aufbereitung in Wasserwerke weiter. Doch nach einigen Einsatzjahren altern diese Brunnen und ihre Förderleistung sinkt. Im Projekt „WellMa“ entwickelten Wissenschaftler deshalb nun ein Anti-Aging-Programm, mit dem Brunnenbesitzer ihre Anlagen vor der Alterung schützen können.


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… sorgt »WellMa« für die Verjüngungskur Rund 60 Prozent aller weltweit betriebenen Trinkwasserbrunnen sind vom Phänomen der Brunnenalterung betroffen. In Deutschland werden darüber hinaus etwa 80 Prozent der gealterten Brunnen von biochemischen Ablagerungen in ihrer Förderleistung beeinträchtigt. Eisenbakterien und Sauerstoff lassen die Ertragsmenge der Brunnen sinken und den Energieaufwand sowie die Betriebskosten steigen. Im Forschungsprojekt »Betrieb und Pflege von Trinkwasserbrunnen zur Optimierung der Leistung und der Wasserqualität«, kurz »WellMa«, wurden deshalb fünf Jahre lang Ursachen und Vermeidungsstrategien für die Brunnenalterung erforscht. An Vertikalfilterbrunnen in Berlin und Frankreich wurden dazu in zwei Projektphasen Betriebszustände und Instandhaltungsmethoden untersucht. Als problematischster Alterungsprozess gilt die Verockerung, an der bestimmte Bakterien beteiligt sind. »Wir haben festgestellt, dass es tatsächlich biochemische Prozesse, nämlich Eisenoxide sind, die die Alterung beschleunigen. Wir haben herausgefunden, dass vor allem die Zustrombedingungen, die Bedeckung des Grundwasserleiters und die Redoxverhältnisse im Grundwasserleiter die Verockerungsrate bestimmen«, erklärt Projektleiterin Hella Schwarzmüller vom Kompetenzzentrum Wasser Berlin (KWB). Brunnenbetreiber profitieren besonders von den Forschungsergebnissen, denn ihnen konnte erstmals eine Systematik präsentiert werden, nach welcher der Aufwand für Instandhaltung und Reinigung ihrer Brunnen sinkt. »Die Alterungsrate der Brunnen kann um rund 50 Prozent reduziert werden«, so

Schwarzmüller. Mit Hilfe einer Tabelle aus 53 geologischen, baulichen, betrieblichen und chemischen Schlüsselparametern können Betreiber selbst bewerten, welches Alterungsrisiko für ihre Brunnen vorliegt. Die neue Vorsorgesystematik wird derzeit vor allem von Veolia an Betriebsstandorten in Deutschland und Frankreich angewandt. »Unseres Wissens nach wurde hier in Berlin erstmals auch direkt in Brunnen der Sauerstoffeintrag in Abhängigkeit von verschiedenen Betriebsweisen gemessen«, ergänzt Schwarzmüller. Parallel zum Projekt wurde zudem ein Start-up-Unternehmen an der TU Berlin gegründet, welches ein Testkit zum Vorkommen von Eisenbakterien in Wasserproben entwickelte. Im Anschlussprojekt »Mikrobielle Verockerung in technischen Systemen« erfolgt in Zusammenarbeit mit 13 Projektpartnern nun bis 2014 die Kostenquantifizierung und Errechnung von Einsparungspotenzialen. Außerdem sollen die Auswirkungen der Eisenbakterien auch an anderen Brunnenarten wie bei der Tagebauentwässerung und unter Einbezug von Pumpen und Rohrleitungen betrachtet werden.

Projektpartner Kompetenzzentrum Wasser Berlin (KWB), Veolia, Technische Universität Berlin, Berliner Wasserbetriebe, Freie Universität Berlin, Pigadi GmbH www.kompetenz-wasser.de > Forschung: WELLMA 2


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Termine 15. – 21. Juni 2013, bundesweit Deutsche Aktionswoche »Nachhaltigkeit des Rates für Nachhaltige Entwicklung«

9. – 11. September 2013, Garching DWA Energietage Biogas Die diesjährigen Energietage beschäftigen sich mit der Rolle der Wasserwirtschaft für die Energiegewinnung und deren Einbindung in energiepolitische Konzepte.

Alle Bürger werden deutschlandweit aufgerufen, ihre Gedanken zum Thema Nachhaltigkeit in Form von Veranstaltungen jeder Größe sichtbar zu machen

http://de.dwa.de/veranstaltungskalender.html

www.aktionswoche-nachhaltigkeit.de/

10. – 11. September 2013, Dresden VKU-Stadtwerkekongress 2013

20. Juni 2013, Dortmund e.day2013 – Energie im Dialog

Gedankenaustausch für Vorstände und Geschäftsführer von Stadtwerken sowie Experten aus der Energiewirtschaft

Entscheider aus Energiewirtschaft, Kommunen und Industrie treffen sich zum Meinungsaustausch

www.stadtwerkekongress.de

http://evu-it.de/eday-2013/233459,1031,233462,-1.aspx

19. – 21. September 2013, Stralsund BWK Bundeskongress 2013

27. – 28. Juni, Weimar DWA-Gemeinschaftstagung »Demografischer Wandel – Chancen für die Wasserwirtschaft?«

Bundesvorstandssitzung, Bundesversammlung, Bundeskongress sowie Fachforen und Fachexkursionen

Die Tagung zeigt Effekte und Anforderungen für die Fachwelt und Öffentlichkeit auf und diskutiert Möglichkeiten im Umgang mit dem demografischen Wandel

www.bwk-bund.de

http://de.dwa.de/demografischer-wandel-2013.html

23. – 24. September, Berlin DWA-Bundestagung Bundestagung und 66. DWA-Mitgliederversammlung sowie begleitende Fachausstellung

27. – 28. Juni, Berlin DER TAGESSPIEGEL eMobility Summit 2013

http://de.dwa.de/bundestagung.html

Spitzenvertreter aus Politik und Wirtschaft treffen sich zum Gedankenaustausch rund um das Thema E-Mobilität

www.emobility-summit.de

26. – 28. August 2013, Berlin 4. Handelsblatt Jahrestagung »Erneuerbare Energien 2013« Fachkongress zu erneuerbaren Energien und Energiewende

www.erneuerbare-energien-tagung.de

30. September – 1. Oktober 2013, Nürnberg 67. Wasserfachliche und 52. Gasfachliche Aussprachetagung von BDEW und DVGW Tagungen und Fachausstellungen des Wasser- und Gasfaches zu technischen und ordnunspolitischen Fragestellungen in Deutschland

www.wat-dvgw.de

www.gat-dvgw.de

Veolia Environnement in Deutschland www.veolia.de

www.veoliawasser.de

www.veolia-umweltservice.de

www.dalkia.de

www.veolia-verkehr.de

Impressum: nahdran. Aus Branche und Unternehmen | Herausgeber: Veolia Wasser GmbH, Unter den Linden 21, 10117 Berlin, www.veoliawasser.de | Redaktion: Matthias Kolbeck (verantwortlich für den Inhalt), Sabine Kraus, Telefon: 030-2062956-72, nahdran@veoliawasser.de | Druck: AlsterWerk MedienService | Konzept, Realisation, Illustrationen: Johanssen + Kretschmer Strategische Kommunikation | Illustrationen: Jörg Block | Bildnachweise: Veolia Wasser, Shutterstock (S. 17), Joachim Donath (S. 18, 19) | Alle Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion. Gedruckt auf 100 % Recyclingpapier.


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