MFK – Magazin für Kultur Ausgabe 2/2014 – Spielraum

Page 1

AUSGABE 02/2014

Thema SPIELRAUM

SPIELRAUMSCHIFF Der Planet, auf dem ich sitze ALLES NUR EIN SPIEL Die hohe Kunst des Gefallens OLYMPIC GAMES HOUSEMADE Gedanken 端ber sportpolitischen Spielraum ZWISCHEN WIRKLICHKEIT & ILLUSION Willkommen in der Weltfremde? mfk 0 2 / 2 0 1 4

1


INHALT mfk 02/2014

2

BILDERSTRECKE 22

HANUSCHPLATZ 32

REZEPTTIPP DER VOLXKÜCHE 39

BLATTLINIE 40

ZWISCHEN WIRKLICHKEIT UND ILLUSION 2

SPIELRAUMSCHIFF 12

ÜBERSCHRIFT 24

BUCHTIPPS 33

GENERATION Y – UNSERE ZEIT IST JETZT 6

GLÜCKSSPIELSUCHT 16

ENE, MENE, MUH, UND RAUS BIST DU 26

BILDERRÄTSEL 34

ALLES NUR EIN SPIEL 10

SPIELRAUM 20

OLYMPIC DREAMS HOUSEMADE 30

RÄTSELSEITE 36

mfk 0 2 / 2 0 1 4


LIEBER LESER, LIEBE LESERIN!

W

olltest du die Anzahl aller MFK-Ausgaben an den Händen abzählen, bräuchtest du nun alle Finger. Denn mittlerweile sind wir bei der zehnten Ausgabe angekommen. Auch die unbegabtesten Mathematiker/innen unter euch werden wir nicht darüber hinwegtäuschen können, dass wir in den letzten vier Jahren damit unser anfängliches Ziel von vier Ausgaben pro Jahr nicht erreicht haben. Das MFK hat seine Höhen und Tiefen erlebt. Eine euphorische Anfangsphase, große Ziele, Ideen und Träume. Kreative Momente, unregelmäßige Motivationsschübe, aber auch Schreibblockaden, Überforderung und Stillstand. In unserem 4-jährigen Bestehen haben wir viel dazugelernt. Wir sind professioneller geworden. Mussten jedoch auch manche unserer Ziele zurückstecken. Mittlerweile begnügen wir uns mit zwei Ausgaben pro mfk 0 2 / 2 0 1 4

Jahr und sind damit, in unserer ehrenamtlich organisierten Redaktion, vollkommen ausgelastet. Vielleicht können wir Redaktionsschlüsse selten einhalten und ein fixes Erscheinungsdatum schon gar nicht. Und wahrscheinlich können wir auch keine Aktualität garantieren oder uns sonst mit einer professionellen Redaktion messen. Aber wir können Menschen, professionellen oder semiprofessionellen Journalist/innen, Schreiberlingen, Künstler/innen, Fotograf/innen und allen, die gerne etwas veröffentlichen möchten, den Spielraum bieten, es zu tun. Und wir sind stolz darauf, dass wir in den letzten zehn Ausgaben insgesamt 126 Menschen dazu bewegt haben, kreativ zu sein und sich am Projekt MFK zu beteiligen. Dies hätte ein Editorial sein sollen, aber diesmal nutze ich den Raum, um mich bei allen Menschen, die beim MFK – Magazin für Kultur mitgearbeitet haben, uns unterstützt haben oder uns mit Lob und Kritik versorgt haben, zu bedanken. Dankeschön! Bussiii Doris Mair (MFK-Redaktion)

1


2

ZWISCHEN WIRKLICHKEIT & ILLUSION Willkommen in der Weltfremde?

Text MARITA VOITHOFER DER Illustration RITA ATTENE

mfk 0 2 / 2 0 1 4


Leitartikel

M

ark Twain hat gesagt: „Die Wahrheit ist unglaublicher als die Phantasie“. Da stellt sich zunächst die Frage: Was ist eigentlich wahr, und ist das für jeden dasselbe? Und warum scheint uns das Unwirkliche teils plausibler als so genannte Tatsachen? Leben wir in einer von uns selbst konstruierten Illusion, die wir Welt nennen? Oder sind Menschen, die Dinge anders wahrnehmen als die Masse der Gesellschaft, schlicht und ergreifend auf dem Holzweg beziehungsweise der hoffnungsvollen Suche nach etwas Sinn machendem? ICH MACH' MIR DIE WELT, WIDEWIDEWIE SIE MIR GEFÄLLT. Es ist schon lange wissenschaftlich erwiesen, dass unsere Wahrnehmung von der Welt eine selektive ist. Kein Mensch nimmt die Wirklichkeit genau so wahr wie der nächste, was den Begriff Wirklichkeit ins Plural wirft. Diese selektive Wahrnehmung basiert ganz einfach auf der Vermeidung einer Reizüberflutung. Wir sind nicht in der Lage ein Ganzes, Gesamtes der Welt um uns wahrzunehmen, alleine schon anatomisch: Der so genannte blinde Fleck unseres Auges – dort, wo der Sehnerv anknüpft – verwehrt uns einen Teil des eigentlichen Sichtfeldes. Des Weiteren wertet, rechnet und wählt unser Gehirn einen gewissen Teil der Wirklichkeit, die somit individuell verschieden ist. mfk 0 2 / 2 0 1 4

Wir nehmen nicht wahr, was in der Wirklichkeit tatsächlich ist, sondern konstruieren unsere Erkenntnisse, unser Wissen und unsere Ideen selbst unbewusst in kognitiven Prozessen im Gehirn. Die Selektion basiert unter anderem auf zurechtgelegten Begriffen und Modellen von einer Sache an sich. Wissenschaftliche Studien zeigten, dass unser Gehirn uns unabhängig von Wirklichkeit und Fiktion einen Eindruck von Realitätsempfinden vermittelt und sich demzufolge an verschiedene Wirklichkeiten anpasst. WAHRHEITSANSPRÜCHE GELTEND MACHEN. Ist etwas „weniger wahr“, nur weil es nicht mit der Wahrheit der Masse übereinstimmt? Lehren einen nicht Filme, Bücher und gute Lehrer auf sich selbst zu hören, auf seine innere Stimme zu vertrauen, sich der Intuition, allgemeinhin als Bauchgefühl bezeichnet, zu fügen? Verschiedene Wirklichkeiten sind unter anderem in der zwischenmenschlichen Kommunikation erfahrbar. Paul Watzlawick stellte bereits fest: „Wahr ist nicht, was A gesagt hat; wahr ist, was B verstanden hat.“ Somit ist Kommunikation, ebenso wie Wahrnehmung, dem subjektiven Erleben untergestellt und sollte, um verständlich zu bleiben, auch die Wirklichkeiten des Gesprächspartners mit einbeziehen.

Kein Mensch nimmt die Wirklichkeit genau so wahr wie der nächste.

3


Liegen Menschen, welche die Welt anders wahrnehmen, falsch? Oder wird dies erst zu einem Problem, wenn… …kritische Betrachtung und Abwägung nicht mehr stattfinden und der individuellen Wahrnehmung ein allgemeiner Wahrheitsanspruch zugesprochen wird? …die richtige Balance zwischen Einbildung und Intuition in Bezug auf Wahrheit und „Realität“ fehlt? 1 …wir keine Bereitschaft zeigen, auch andere Sichtweisen als die eigene als ebenso gültig zu erachten? Dieses Thema in den Strukturen des wissenschaftlichen Arbeitens zu behandeln und zu beweisen versuchen beziehungsweise als wissenschaftlich erwiesen und dementsprechend „wahr“ zu betiteln, wäre jedoch fatal.

4

ESOTERIK & WISSENSCHAFT: DER EWIGE KAMPF. Woher kommt unser großes Interesse an übersinnlichen Kräften und unglaublichen Phänomenen? Wieso interessieren wir uns für Wahrsagerei & Kartenlegen oder Weissagungen von Hand-, Vögel- oder Kaffeesatzlesern sowie kosmischen zwischenmenschlichen Verbindungen – kurz, für die Esoterik? Und was ist eigentlich dran an ihren mystischen Theorien? Können wir erleuchtet werden, wie es Buddha und anderen spirituellen Führern nachgesagt wird, oder sind spirituelle Menschen weltfremd? Oder spüren sie aufgrund einer Offenheit wirklich Dinge, die „Realisten“ nicht bewusst wahrnehmen oder nicht erkennen wollen? Der häufige Vorwurf der bewussten Täuschung und Geldmacherei mit Hoffnungssuchenden ist nicht selten berechtigt, denn indem spirituelle Theorien einen Wahrheits- oder Wissenschaftsanspruch stellen, verkommen solche Gefilde zwischen Wirklichkeit und Illusion zu gesellschaftlich-gefährlichem Terrain.

MUT ZUR VERÄNDERUNG. Zu den wissenschaftlichen Grundsätzen zählt u.a., dass etwas so lange als wahr gilt, bis es als falsch erwiesen wurde. Schon Buddha sagte, alles ist vergänglich und darf bzw. kann nicht festgehalten werden. Leiden und Freude, Glück und Traurigkeit,… kommt und geht. Selbiges sagt ja auch die Wissenschaft – was den spirituellen Sinn von „Alles ist eins“ nährt. Was heute als gültig bewiesen wird, muss morgen schon nicht mehr „wahr“ sein. Vielleicht ist es einzig der Grad der Bereitschaft zur Veränderung, der Raum für augenblickliche Wahrheiten zulässt? Einen allgemein gültigen Wahrheitsanspruch für subjektiv Erlebtes zu stellen, anhand einer Verwissenschaftlichung von spirituellen Phänomenen und Glaubensätzen, ist genauso fehl am Platz, wie das Festhalten an solchen Glaubenssätzen und Überzeugungen, sobald es belegte Beweise dagegen gibt. Offenheit anderen Wahrnehmungen gegenüber und der Mut zur ständigen Umkrempelung alles bisher Geglaubten, könnte die beiden Brüder Wissenschaft und Spiritualität vielleicht vereinen und gleichzeitig zu einer aufgeklärteren und ganzheitlicheren Wahrnehmung der Gesellschaft führen.

Was heute als gültig bewiesen wird, muss morgen schon nicht mehr „wahr“ sein. mfk 0 2 / 2 0 1 4


BEGRIFFSDEFINITIONEN WIRKLICHKEIT & ILLUSION

Aus dem griechischen „energeia“ mit dem Stamm „ergon“, was „Werk“ bezeichnet, scheint der deutsche Begriff „Wirklichkeit“ ebenso auf etwas Gemachtes schließen zu lassen. Wirklichkeit beschreibt all das, was ist. (L. Wittgenstein) Als „Illusion“ wird die falsche Wahrnehmung der Wirklichkeit bezeichnet.2 Die Debatte, ob alle Gegenstände der Erkenntnis im Grunde nur gedankliche Konstruktionen – Illusionen – sind, wird unter Philosophen schon lange geschürt und zusammengefasst auf den Rücken der philosophischen Strömungen des Realismus und des Idealismus ausgetragen. WAHRHEIT

Wahrheit: ig. Wurzel *wēr-, was so viel wie „Vertrauen, Treue, Zustimmung“ bedeutet. Der Brockhaus bezeichnet „Wahrheit“ als die Übereinstimmung der Erkenntnis mit dem Gegenstand und gibt gleichzeitig zu bedenken, dass es kein allgemeines Kriterium der Wahrheit geben kann, da dieser Gegenstand immer mfk 0 2 / 2 0 1 4

ein bestimmter ist und nur durch das Vergleichen mit ihm, nicht aber nach allgemeinen Regeln, erkannt werden kann. Aber auch dieser Begriff ist schwierig zu fassen und unterscheidet sich in drei Deutungsformen: ▶▶ Als etwas sich in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit befindliches: Tatbestände, Sachverhalte u. Ä. ▶▶ Als Übereinstimmung mit einer bestimmten Absicht/ einem Sinn/ einer normativ als richtig ausgezeichneten Auffassung. ▶▶ Als eigene Erfahrungen, Erkenntnisse und Überzeugungen. Zusätzlich wird „Wahrheit“ als Grundsatz-Gegenstück zu Lüge und Irrtum verwendet. 1 Realität ist hierbei wiederum ein äußerst komplexer Begriff, der nur allzu freundlich zu Missverständnissen einlädt. 2 Der wertende Begriff „falsch“ könnte hierbei auch mit einem neutralen „anders“ ersetzt werden. (Anmerkung der Autorin)

5


6

GENERATION Y – UNSERE ZEIT IST JETZT. Der Spielraum der Generation Y.

ALIA S LAU Text/Fotos KOKO SHK A

RA KOKOSHKA

mfk 0 2 / 2 0 1 4


I

mmer wieder werde ich gefragt, was ich werden will. Erst heute saß ich in der Werbeagentur und mein Sitznachbar fragte mich, nachdem wir uns in ein kleines Pläuschchen verwickelt hatten, was ich denn dann machen wolle. Nach meinem Praktikum also. Wohin mich mein Weg führen wird. Schon in der Sekunde, als ich erahnen konnte, wie sein Satz enden wird und was er zu bedeuten haben wird, wurde ich kurz wütend und sauer auf mich selbst, denn ich wusste, was gleich passieren wird. Und so kam es dann auch: Ich war wieder mal ratlos. Im September schließe ich die Fachhochschule mit dem Master of Arts in Arts and Design ab. Klingt doch gut, oder? Zumindest ordentlich anglisiert. Man sollte meinen der Weg sei geebnet. Aber der Weg wohin? „Ich kann ihn dir nicht sagen“, antwortete ich meinem Kollegen. Leider fügte ich diesem kurzen Statement keinerlei Erklärung hinzu und wirkte dadurch wieder mal etwas dümmlich und verloren, wie es mir sooft passiert, wenn ich ehrlich bin. Ich habe zwar keine Antwort auf diese Frage, aber nicht weil ich keinen Weg erkennen könnte oder nicht darüber nachgedacht hätte, was ich mit meinem Leben anstellen will. Im Gegenteil, weil ich 10.000 Wege vor mir aufbereitet sehe, ja sogar die Wegschilder deutlich lesen kann und hie und da sogar schon das ersehnte Ziel in Aussicht habe, es mir aber zuwider ist, mich auf einen einzulassen und mir die anderen, aufregenderen Wege somit für immer entsage. Trotz aller Versuche, mich in dieses mfk 0 2 / 2 0 1 4

bürgerliche Leben mit Curriculum Vitae und Karriere einzuordnen, wehrt sich irgendetwas tief in mir stetig gegen diesen Lebensentwurf und ich erkenne, dass ich einer dieser jungen Menschen bin, die es heute wie Sand am Meer gibt. Die alles werden können, was sie wollen, aber mit dem Gedanken spielen, vielleicht gar nichts werden zu wollen. Ich bin Teil der Generation Y. Wenn du gerade das Wort „Generation Y“ bei Google eingegeben hast oder aber mit dem Gedanken gespielt hast, es sobald als möglich zu googlen, dann bist du ebenfalls Teil der Generation Y. Gratuliere. Du bist um das Millennium herum zum Teenager geworden, bist vergleichsweise gut ausgebildet, hast einen Fachhochschul- oder Universitätsabschluss. Du zeichnest dich durch eine technologieaffine Lebensweise aus, da du größtenteils in einem Umfeld von Internet und mobiler Kommunikation aufgewachsen bist. Du arbeitest lieber in virtuellen Teams als in tiefen Hierarchien. Anstelle von Status und Prestige rücken die Freude an der Arbeit und deren Sinnhaftigkeit ins Zentrum. Diese kurze Definition kannst du mir ruhig glauben, denn ich habe sie aus sicherer Quelle. Wikipedia. Ich habe nur die Sätze etwas umformuliert, sodass man mir nicht vorwerfen kann, abgeschrieben zu haben. Das habe ich in der Schulzeit gelernt, so wie jeder der Generation Y. Wikipedia ist dein bester Freund und ohne Google hättest du niemals die Matura geschafft. Und tatsächlich sind wir eine gebildete Masse an jungen Menschen, die selbstbewusst genug ist ihre Meinung offen kundzutun, wie man am Beispiel Occupy Wallstreet sieht. Und trotzdem spielen wir das Spiel mit. Wir arbeiten in Werbeagenturen, wir sind Graphic Designer, Freelancer, Programmierer, Techniker, Medienmenschen, Kommunikationsspezia-

7


8

listen, Marketingleute, PR-Manager, Eventmanager, Human Resource-Manager und Audio-Spezialisten. Wir arbeiten beim Film, Fernsehen, in großen Firmen, für namhafte Marken, im Finanzwesen, gesichtslosen Organisationen und zum überwiegenden Teil doch nur bei Red Bull. Wir spielen doch nur mit im Spiel des Kapitalismus. Nichts am Kapitalismus stört mich richtig, obwohl mich alles an ihm anwidert. Es ist wohl im Vergleich zu den anderen Systemen das der Natur ähnlichste. Friss oder stirb. Es ist, muss man sagen, das kleinste Übel an Systemen und ermöglicht dem Einzelnen große Freiheiten. Und heutzutage ist Freiheit das mit Abstand gefeiertste Wort überhaupt. Aber eine Sache am Kapitalismus kann ich nicht mehr ertragen: Es ist die Unbedachtheit, mit der sich die Menschen in dieses System einordnen. Und ihre Unfähigkeit, den Spielraum um ein paar Optionen zu erweitern. Als wäre so ein Leben das einzig mögliche Leben, als gäbe es keine Auswahl. Praktisch gesehen mag das wahr sein, denn wie soll man überleben ohne Geld, aber theoretisch ist dieses MonopolySpiel, in dem wir uns im Kreise drehen und nach Glück streben, nur eine Struktur und ein Spielbrett, auf dem die Würfel in regelmäßigen Abständen immer wieder neu fallen und dessen Ziele und Etappenziele reine Imagination sind. Sie haben genau soviel Sinn, wie wir ihnen beimessen. Vom Tellerwäscher zum Millionär, vom Manager zum Obdachlosen oder die sichere Mittelschicht – alles ist möglich. Die Ziele sind vage, aber verlockend. Reichtum und Macht versprechen Sicherheit und einen schönen Lebensabend. Aber zu welchem Preis? Wie lange ist der Lebensabend im Vergleich zur abwartenden und mühseligen Prozedur des Spielens. Steht das überhaupt in einer akzeptablen Relation? Monopoly ist so eine

Sache. Man liebt oder man hasst es, aber die überwiegende Zeit liebt und hasst man es gleichzeitig. So handhabe ich das auch mit meinem Leben. Manchmal liebe ich es zu spielen, mich im Kreise des Geldes zu behaupten und dabei ganz karrieregeil zu werden. Jeder Gedanke an den Lottogewinn erregt mich dann gleichermaßen, als dass er mich auch in einen sorgenlosen Zustand der Glückseligkeit versetzt. Manchmal hasse ich es aber auch, mich mit den Banalitäten dieses Lebens abzufinden und dieses Leben zu leben, als gäbe es noch tausende davon. Für mich ist das System, gegen das sich so viele wehren, kein gesichtsloser Gegner oder ein Heer bösartiger Manager und Banker, das sich Unsereins wie Spielfiguren bedient. Für mich ist mfk 0 2 / 2 0 1 4


Nichts am Kapitalismus stört mich richtig, obwohl mich alles an ihm anwidert.

dieses System im Großen und Ganzen unsere eigene Entscheidung. Die Entscheidung der Menschheit als Spezies sich eine Matrix aufzubauen. Sie wurde von uns geschrieben, sie ist aus uns geboren und erfüllt nur einen, diesen einen, wunderbaren Zweck: Sie definiert Grenzen und Spielraum. Sie gibt uns einen Sinn. Und vor allem lenkt sie uns erfolgreich vom Sterben ab. Sie zeigt uns Grenzen auf, sie lässt uns unsere eigenen Grenzen abstecken. Sie gibt uns einen Nährboden, auf dem wir uns definieren. Sie definiert Berufe, sie schafft Schubladen, Lebensabschnitte, Ziele, Träume, Muster, Kollektiv und Wissenschaft, Identität und Infrastruktur, Gegner und Feinde sowie auch Freunde und Gleichgesinnte. Und so unterstütze ich jede Bewemfk 0 2 / 2 0 1 4

gung, die es sich zum Ziel macht, das System zu verbessern und es lebenswerter zu gestalten, aber vergiss nie, dass, egal welches System gerade herrscht, es trotz allem ein System bleibt, das uns zu einem beträchtlichen Teil einschränkt, ohne dass wir es merken. Ohne gesellschaftlicher Struktur wären wir doch alle verlorene, ziellose Wesen, ohne Schimmer einer Identität. Denn diese braucht Figuren anhand derer sie sich erst definiert. Ein Spiegelbild, dem es zustimmt oder das es ablehnt. Oder? Und so bewege auch ich mich in diesem Spielraum des Lebens zwischen Job und Künstlerdasein, zwischen Karriere und Aussteigergedanken - und habe dabei keinerlei Ahnung von den Spielregeln. Ich versuche einfach Grenzen tagtäglich neu auszuloten, mich zu verkleiden, Situationen zu inszenieren und Identitäten zu verwischen. Und mich selbst dabei nicht zu ernst zu nehmen. Denn das Leben ist eine Bühne. Sich aufzuführen ist die einzig wahrhafte Handlung und im Allgemeinen auch der beste Zeitvertreib. Nur eines habe ich bisher als richtige und allgemeingültige Spielregel anerkannt – wenn du etwas gefunden hast, das dich glücklich macht und dich erfüllt (und dabei keinem anderen schadet), höre niemals damit auf beziehungsweise gib alles dafür es dir zu erhalten - denn es überhaupt gefunden zu haben ist ein Glücksfall. Aber was weiß ich schon. Ich habe auf Facebook eine Benachrichtigung erhalten und werde innerhalb kürzester Zeit das Bildschirmfenster wechseln. Die Generation Y hat gesprochen. Unsere Zeit ist jetzt. www.facebook.com/kokoshka.official

9


10

ALLES NUR EIN SPIEL Die hohe Kunst des Gefallens.

Text CHRISTINA HOF FER DER Illustration RITA ATTENE

mfk 0 2 / 2 0 1 4


D

as Spiel ist einfach: Es gibt einen Raum. In ihm sind Stühle, in ihm sind Tische. Mal große, mal kleine Tische, manchmal gibt es dort auch gar keine. Dann ist es nur ein großer, weiter Raum, der bespielt wird. Oft sind die Räume laut – Musik durchflutet sie, ja überschwemmt sie förmlich. Rauch nebelt den Spielraum ein und nimmt dem Sauerstoff Platz. Menschen befinden sich in diesem Raum. Mal mehr, mal weniger. Die Musik dringt in ihre Ohren und der Rauch setzt sich an ihnen fest. Er hüllt sie ein und nimmt sie gefangen. Die Spielfiguren sind all jene Menschen, die sich im Raum befinden. Sie stehen herum, sitzen, lachen oder schweigen. Sie alle haben das Ziel am Ende des Abends diesen Raum als Gewinner zu verlassen. Ein wichtiges Instrument darf nicht fehlen. Es ist der essentielle Bestandteil dieses Spiels, welches ohne ihn wohl schnöde und farblos wäre. Alkohol in allen Formen und Farben. Große Gläser, kleine Gläser, Flaschen in Weiß oder in Farbe werden herumgereicht. Er verleiht dem Spiel in diesem Spielraum das besondere Etwas. Er macht ihn zum besonderen Spielraum, der mehr Spaß macht als alle anderen, weil die Hemmungen, die oft im Weg stehen, um zu gewinnen, nach und nach abfallen. Die Figuren haben erweiterten Handlungsspielraum, der es ermöglicht, neue Schachzüge zu vollenden. Manche haben großen Spaß am Spiel. Doch das sind die Ausnahmen. Für viele ist dieser eine spezielle Spielraum nur einer von vielen weiteren unzähligen Abwandlungen des Spiels, welches sie immer wieder mfk 0 2 / 2 0 1 4

spielen. Manche Tag für Tag, manche Wochenende für Wochenende – und kaum einer lässt es sein. Das Ziel des traurig, skurrilen Theaters ist es zu gefallen. Wer am besten gefällt, am meisten imponiert und am Ende des Abends mit neidischen Blicken und vielen neuen Fans nach Hause geht, gewinnt. Um zu gefallen, bauen sich die Figuren eigene Existenzen auf. Sie erzählen Geschichten von großen Abenteuern, von Erlebnissen, aber auch von Gefühlen. Doch nicht von den eigenen Gefühlen oder Lebensvorstellungen – bessere Karten hat man in diesem Spiel, wenn man Geschichten erzählt, die der andere hören möchte. Bessere Karten hat man, wenn man über Gefühle und Erwartungen spricht, die die Figur, die gegenüber sitzt, hören will. Es ist besser nicht derjenige zu sein, der man ist, sondern jemand zu sein, der man sein soll. Die Kunst des Spiels ist es, Details weg zu lassen, Details hinzuzufügen, im richtigen Moment die richtige Handbewegung zu machen. Zu lachen, wenn es die Figur gegenüber gerne möchte. Hochstapeln, Mitleid vorgaukeln, vorgeben Bücher zu lieben, im nächsten Moment sportlich sein und an einem anderen Abend reisefreudig oder häuslich, wenn es gerade so erwartet wird. Das eigene Empfinden ist nicht wichtig. Der Schein zählt und ist das einzige Mittel, um nicht zu verlieren. Verlierst du zu oft, wird es keinen mehr geben, der dieses Spiel mit dir eingehen möchte. Es gibt unzählige dieser Spielräume. Sie existieren in unterschiedlichen Formen, Farben und wir begegnen ihnen jeden Tag. Wer die Spielregeln nicht beherrscht, ist raus. In beruflichen wie in privaten Spielräumen. Doch der amüsanteste Spielort ist wohl der, in dem Alkohol erlaubt ist. In dem sich Paare finden, Paare verlieren und die meisten sich vorspielen, jemand zu sein, um mit dem anderen zu sein.

11


12

SPIELRAUMSCHIFF

Der Planet, auf dem ich sitze.

Text STE FAN HUBER NLINGWIMMER Illustration SAR AH SPE

mfk 0 2 / 2 0 1 4


I

ch sitze mit einem Strohhut am Kopf auf einem Planeten und rase mit einer Geschwindigkeit von etwa 108.000 km/h um die Sonne. Jedes Jahr schafft es mein Planet einmal rund herum. Weil sich mein Sonnensystem noch dazu im großen Maßstab um das Zentrum meiner Galaxie dreht, fliegt mein Planet genaugenommen mit fast einer Million km/h durch die Milchstraße. Im täglichen Leben krieg ich von diesem Husarenritt nicht wirklich viel mit. Nachts jedoch – bei klarer Sicht auf die Sterne – wird mir irgendwie bewusst, dass mein planetarisches Raumschiff ziemlich eigenbrötlerisch durchs All schießt. Zum Glück unterhält es aber zumindest zur Sonne eine stabile Fernbeziehung. Das ist gut so, denke ich, denn Dank ihr ist der Spielraum für organisches Leben auf meinem Planeten recht groß. Ginge die stellare Fernbeziehung in Brüche, dann wäre es auch auf meinem Planeten bald zu heiß oder zu kalt für mich. Für mich ist mein Planet gleichzusetzen mit dem winzigen Stück Lebensraum, das mir im gesamten Weltraum zur Verfügung steht. Woanders als hier will oder kann ich nicht leben. Vielleicht wär es auf Alpha Centauri VII nicht schlecht zu leben, aber außer in Star Trek existiert der vielleicht gar nicht? Eine Kolonie auf dem Mars ist technisch auch machbar, aber was hätte ich mfk 0 2 / 2 0 1 4

davon? Da könnte ich mich genauso gut für den Rest meines Lebens in ein Salzbergwerk einschließen lassen. Im Vergleich dazu ist mein Planet ohnehin um Lichtjahre freundlicher und lebenswerter. Hier hab ich Flüsse und Seen, Meere und Berge, Felder, Wälder und eine unglaubliche Bandbreite an Wettererscheinungen zwischen Schnee und Sonnenschein. Ich will hier nicht weg! Und doch hab ich ein Problem mit meinem Planeten. Auf meinem Planeten leben noch einige Milliarden andere Menschen. Die meisten davon kenn ich gar nicht. Wie ich höre, sollen sie mir körperlich nicht unähnlich sein. Das Problem auf meinem Planeten kommt eher daher, dass sie sich untereinander selten auf etwas Sinnvolles einigen können. Weil es an Regeln und Hilfestellungen für sinnvolle Einigungen fehlt, nutzen manche ihre Macht über alle Maßen aus: Sie definieren ihren eigenen Spielraum zum Nachteil der Schwachen. Den Unterlegenen bleibt keine andere Möglichkeit, als die ungerechte Einschränkung ih-

Weil es an Regeln und Hilfestellungen für sinnvolle Einigungen fehlt, nutzen manche ihre Macht über alle Maßen aus.

13


14

res eigenen Spielraumes hinzunehmen. Bis sie nicht mehr können, dann schlagen sie zurück; und das wird dann immer ziemlich ungemütlich für alle. Was Regeln zum Schutz der Schwachen betrifft, ist mein Planet leider sehr armselig ausgestattet. Das beginnt schon damit, dass hier der Wert von Leben in unterschiedliche Kategorien eingeordnet wird. Wer keine Krankenversicherung hat, wird nachrangig oder gar nicht behandelt. Wer Bello heißt und zu den Schäferhunden gezählt wird, hat noch weniger Rechte. Andere Lebewesen, welche auch noch aus der Kategorie Haustier rausfallen, werden oft in Lagern gehalten, getötet, zerteilt und verspeist. Solche Lebewesen, welche in der Kategorie Nutztiere auf meinen Planeten leben, haben bei der Verteilung der Lebensqualität echt kein Schwein gehabt. Ihr Spielraum ist beschränkt auf geboren werden, gemästet werden, getötet werden. Von einem Raum zum Spielen keine Spur. Unterhalb von Menschen, Haustieren und Nutztieren gibt es auf meinem Planeten noch eine namenlose Kategorie von Lebewesen: Sonstige. Solche sonstigen Lebewesen sind Tiere und Pflanzen, die in der freien Natur leben und für Menschen keinen direkten Ertrag abwerfen. Weil viele Menschen dazu tendieren, ihren Spielraum auszudehnen, wird der Lebensraum dieser Lebewesen eingeschränkt. Einigen sich Menschen auf meinem Planeten beispielsweise mit Aussicht auf finanziellen Gewinn auf den Bau einer Autobahn, die Erweiterung eines Gewerbegebiets oder die Errichtung einer Stromleitung, dann wird der Lebensraum dieser sonstigen Tiere und Pflanzen wieder um ein Stück kleiner. Für die Ausrottung ganzer Arten von Lebewesen auf Grund der Vernichtung ihres Lebensraums hat man sogar einen Begriff erfunden: Habitatzerstörung. Ich rätsle über den Bedeumfk 0 2 / 2 0 1 4


Zu den Milliarden von Mitmenschen, die meinen Planeten bevölkern, gehören einige, die etwas aus der Rolle fallen. Sie leben anders. Sie denken anders. Sie reden anders.

tungsumfang dieses Wortes. Wenn mein Planet mehr als nur eine Fernbeziehung mit der Sonne wollte und sich deshalb Hals über Kopf in sie stürzt, wird dann jemand auf Alpha Centauri VII neben Menschheit auch einfach Habitatzerstörung in seine Liste der ausgestorbenen Arten schreiben? Zu den Milliarden von Mitmenschen, die meinen Planeten bevölkern, gehören einige, die etwas aus der Rolle fallen. Sie leben anders. Sie denken anders. Sie reden anders. Darum hat man für sie auch Etiketten geschaffen, die man ihnen anheftet, bevor man sie in die Sammelschublade mit der Aufschrift Spinner mfk 0 2 / 2 0 1 4

steckt. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie einiges an Aufwand auf sich nehmen, um den Spielraum ihres Lebens eigenständig zu gestalten. Manche weigern sich zum Beispiel ihren Spielraum mit Waffengewalt auszudehnen. Solche nennt man hier Pazifisten. Andere lehnen es ab, das tote Fleisch von Lebewesen der Kategorie Nutztiere zu essen. Für sie gibt es den Begriff Vegetarier. Ich gehöre zu denen, die sich für das Überleben der schwächsten Arten engagieren. Ich schütze den Lebensraum von Tieren und Pflanzen. Auf meinem Etikett steht Naturschützer. Genauso wie Pazifisten und Vegetarier muss ich meine Einstellung immer wieder erklären. Warum ich den Lebensraum von Tieren und Pflanzen verteidige gegenüber den wachsenden Ansprüchen einer expandierenden Wirtschaft, leuchtet manchen nicht auf Anhieb ein. Mir erscheint es jedoch klar: Nur eine intakte Natur bietet den Lebensraum, innerhalb dessen sich ein Spielraum für Menschen entfalten kann. Dabei entstehen natürlich Interessenkonflikte, bei denen zwar keine Planeten aufeinanderprallen, aber oft genug Welten. Wie erkläre ich einem gleichaltrigen Skater, dass er im Sommer nicht an einem besonders schönen Flussufer in einem Naturschutzgebiet herumlaufen darf? Er denkt vorrangig an den Spaß und sieht den perfekten Spielraum vor sich. Ich aber sehe auch den Lebensraum vom Flussregenpfeifer und weiß, dass er kurz vor dem Aussterben steht. Sein letzter Rückzugsort zum Brüten ist genau diese eine gottverdammte Flusskurve. Eine andere hat er nicht. Wenn man ihn stört, ist es mit seiner Art vorbei. Für immer. Der Planet, auf dem ich sitze, rast mit 108.000 km/h um die Sonne. Der Flussregenpfeifer hat keinen alternativen Lebensraum. Darin gleicht er uns Menschen. Der Flussregenpfeifer hat auch keinen Spielraum. Wir haben Spielraum.

15


16

mfk 0 2 / 2 0 1 4


GLÜCKSSPIELSUCHT

Ein Portrait.

GER Text HELENA DANNIN DER Illustration RITA ATTENE

„F

rüher bin ich hin und wieder an Geburtstagen ins Casino gegangen, aber das war ganz selten. Ich habe dann immer Roulette gespielt. Einmal war ich wieder im Casino, da hatte mein Arbeitskollege seinen 30. Geburtstag und der sagte zu mir, ich soll mitkommen, er möchte mir etwas zeigen. Ich bin mitgekommen und dann waren wir in der Abteilung mit den Automaten. Mich hat das gleich angesprochen. Warum? Das weiß ich nicht. Vielleicht waren es die bunten Lichter. Jedenfalls hab ich zugesehen, wie mein Freund am Automaten 500 Euro gewonnen hat. Das ging ganz schnell. Und so hab ich auch mein Glück versucht und hab was reingeschmissen. Ich kann mich noch genau erinnern, wie das damals war. Das ist fünf Jahre her, aber seinen ersten Gewinn vergisst man nie. Bei mir warens 300 Euro. Klack, klack, klack – kam das Geld unten raus. mfk 0 2 / 2 0 1 4

Das ging dann so dahin. Ich habe öfter gespielt. Ich habe auch viel gewonnen, aber mit der Zeit kamen Verluste. Dann hat mir einer im Casino, den ich schon öfter dort gesehen habe, gesagt, dass ich mit höheren Einsätzen spielen muss, um mehr zu gewinnen. Bei ihm funktioniere es so viel besser. Das hab ich gemacht. Klar, die Gewinne waren höher. 2.000 bis 3.000 Euro manchmal. Aber verloren hab ich auch immer mehr. Ich hatte immer so ein ungutes Gefühl im Magen, wenn ich die Holztreppe mit dem roten Teppich zum Casino raufgegangen bin, weil ich mir dachte, ich verliere wahrscheinlich. Aber ich musste Geld gewinnen, um die Rechnungen für meine Wohnung zahlen zu können. Das verflixte bei der Sache war, rund um mich, rechts und links, da kamen ständig Freispiele, aber bei mir, ja bei mir, natürlich nicht. Wenn das Geld aus war, bin ich manchmal kurz vor Mitternacht zum Bankomat gegangen und dann nochmal kurz nach Mitternacht. Weil ich nur 400 Euro pro Tag beheben konnte. Ich bin oft lange bis in die Nacht hinein am Automaten gesessen. Das muss man sich vorstellen. Ich habe da soviel Zeit verbracht. Welcher Mensch sitzt in seiner Freizeit, wenn das Wetter schön ist, stundenlang vor diesen Maschinen? Wenn das

Das ist fünf Jahre her, aber seinen ersten Gewinn vergisst man nie.

17


18

mfk 0 2 / 2 0 1 4


Geld alle war und ich raus bin, habe ich mich oft geschämt. Das letzte Mal habe ich wieder 670 Euro verspielt. Vorher habe ich mich mit meiner Freundin gestritten, dann hat es mir gereicht und ich habe mir gedacht, jetzt ist es eh wurscht, jetzt fahr ich zocken. Als das Geld weg war und ich aus dem Casino draußen war, hat mich auf dem Parkplatz die Wut überkommen und ich habe so fest auf einen Baum eingetreten, dass ich mir den Zeh gebrochen habe. Mein erster Gedanke, als ich im Auto saß, war es, gegen den nächsten Baum zu fahren, um mir alles zu ersparen. Was sollte ich denn meiner Freundin wieder auftischen? Geschlafen habe ich natürlich nicht. Ich bin wachgelegen und habe geschwitzt und mich herumgewälzt. Ich habe auch schon öfter zwei Monate lang nicht gespielt. Also süchtig bin ich glaube ich nicht. Ich weiß, ich bin nicht süchtig. Ein Süchtiger spielt jeden Tag und weil es ihm Spaß macht. Das ist bei mir anders. Süchtig möchte ich nicht sein. Mir macht das Spielen auch keinen Spaß. Oft muss ich mich zwingen, um ins Casino zu fahren. Aber ich weiß, ich muss spielen, um an das Geld zu kommen. Mein einziger Wunsch wäre, wieder normal zu leben. Dauernd dieser Druck, das halt ich nicht mehr aus. Ich weiß gar nicht, wann ich zuletzt eine Nacht durchgeschlafen habe.

Mein einziger Wunsch wäre, wieder normal zu leben. Dauernd dieser Druck, das halt ich nicht mehr aus. mfk 0 2 / 2 0 1 4

Es ist nicht so, dass ich nicht gewinne. Letztens hab ich 1.000 Euro gewonnen. Aber was nutzen mir 1.000 Euro, wenn ich 6.500 ausgleichen muss? Das bringt mir gar nichts. Ich brauch mehr. Größere Gewinne brauche ich. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich denke mir, wenn ich es schaffe, immer, wenn ich gewonnen habe, heimzugehen, dann kann ich das Geld reinholen. Stückchenweise. Manchmal klappt das. Nur wenn gerade eine große Rechnung offen ist, dann spiele ich riskant, so, dass die Chancen auf einen Gewinn sehr niedrig sind. Aber das muss ich machen. Wer soll sonst die Rechnungen zahlen? Das geht nur, wenn ich riskant spiele. Wenn ich es schaffen würde, immer dann zu spielen, wenn ich keinen Druck habe Rechnungen auszugleichen, würde die Sache anders aussehen. Dann kann ich gewinnen. Ich muss nur einen Weg finden ohne Druck zu spielen. Oft wünsche ich mir, ich hätte niemals angefangen zu spielen. Manchmal sehe ich keinen Ausweg. Das Spielen hat mich hilflos gemacht. Ich bin hier um das zu ändern. Ich möchte mein normales Leben zurück." Glücksspielsucht hat viele Gesichter. Die Betroffenen sind junge Männer, wie im Text oben, und alte Frauen, junge Frauen und alte Männer und alles was dazwischen liegt. Quer über alle sozialen Schichten und ethnischen Herkünfte verstreut. Betroffen sind viele, ausgesucht hat es sich keiner. Respekt gilt all denen, die den Mut aufbringen, ihre Scham überwinden und den Schritt in ein Leben ohne Sucht wagen. Denen es gelingt sich ihren Familien, Freunden oder professionellen Helfern zu offenbaren und damit ein Stück ihres Leidensdrucks ablegen können. Allen, die sich verloren und wiedergeHelena Danninger, Klinische- und Gesundheitspsychologin funden haben.

19


20

mfk 0 2 / 2 0 1 4


SPIELRAUM

Entdeckungsreise und Selbstfindung. Text/Fotos LUC Y LU

F

reie Bewegungen, Lücken füllen, Distanz, Grenzen verschwimmen, autonome Entscheidungen, Kreativität, Zwischenraum nutzen, unterschiedlichste Dimensionen, Unabhängigkeit, Toleranz, ungebundenes Wirkungsfeld... Nutzen des RAUMES, der entsteht, indem wir ein Stück weit vom Regelverlauf abweichen und uns somit Bewegungsfreiheit verschaffen. Trotz aller Unterschiedlichkeit auf Erden bleibt uns allen eines gemeinsam: das Spielen. Ein existenzielles Phänomen und ein Symbol für das Ganze der Welt. Aber was ist es und wie beschreiben wir einen Spielraum wirklich? Ein Spielraum wird als ein Kreativitätsraum und störungsfreier Ort dargestellt. Eine Zone, in der wir bewusst Momente der mfk 0 2 / 2 0 1 4

Gegenwärtigkeit von Raum und Zeit durchleben. Grenzenlos hinsichtlich der eigenen Kreativität und Fantasie. Ein Raum, der Platz für unterschiedliche Möglichkeiten bietet. In ihm finden wir Humor, kreative Lösungen, Motivation, neue Blicke auf unser System, eigene Sichtweisen. Ein Raum, in den wir eindringen, wenn wir den Alltag verlassen. Der Spielraum schenkt uns die Erlaubnis, anders als alle anderen zu sein! Es ist unabkömmlich, mir meinen eigenen Spielraum im Leben zu erschaffen. In welchem ich meine eigenen Grenzen aufstelle, meine schöpferische Fantasie umsetze und in dem ich Luft, Platz, Raum zum Atmen und Nahrung zum Leben finde. Die Nahrung als Spielraum, in den ich mich einklinke, wenn ich fotografiere. Hiermit gewähre ich mir eine gewisse Gestaltungsfreiheit sowie Unbekümmertheit, mit der ich an die Thematik „Bild“ herangehe. Der Spielraum dient als ein Selbsterkunden durch unterschiedliches Ausprobieren meiner Fähigkeiten und meiner Wünsche. Ein Spiel und Entdeckungsraum, den jeder Mensch besitzen sollte oder schon besitzt, auch, wenn er nicht immer als Positives assoziiert wird. Im dargestellten „Jump“-Konzept meiner Fotos, spiegelt sich die Bewegungsfreiheit wieder, auch als Spielraum gedacht, in dem jeder Mensch seinen eigenen Platz findet. Im Sprung kann ich mir meinen eigenen Bewegungsraum ermöglichen. Ein Spielraum, der offen zugänglich ist und trotzdem eine individuelle Freiheit und Darstellung ermöglicht. Grenzen finden sich hierbei nicht. Den Spielfreiraum sich zu bewegen, gestalterisch zu sein sowie eigenmächtig zu entscheiden, wohin die Reise führt. Der Sprung als Bewegungsmaterial.

21


22

mfk 0 2 / 2 0 1 4


23

mfk 0 2 / 2 0 1 4

Fotos JASMIN WALTER


ÜBERSCHRIFT Und hier steht vielleicht auch noch ein Satz.

GRASNARBEN Text SIMONE SCHARBERT R Text SAR AH KRE NNBAUE

24

jemand zählt unaufhörlich und leise jedes einzelne wort das uns trägt über kalkweiße enden von anfang an diese begrenzung des raums den wir uns immer wieder aufspannen durchgewetzte hautwände unter porösen decken ein grasnarbenspiel festen boden suchen wir vergebens blass taumeln wir über linien wer sie gezogen hat wissen wir nicht: hier gibt es keine regeln nur die furcht die uns schrill in grenzen weist ein ton ein pfeifen die zeit schlägt sich durch unsere tobenden ohren

mfk 0 2 / 2 0 1 4


EIN PORTRAIT. ZEITGEIST 2.0 Text TOBIAS WALLNE R

MUTTER ERDE CHE K Text/Foto VIK TORIA MAS

„Excidium“, Viktoria Maschek, 2013. Der 110 cm hohe Betonhohlguss bringt die Vergänglichkeit des Lebens zum Ausdruck.

mfk 0 2 / 2 0 1 4

Du nimmst zurück, was dir entsprungen, der Leib nur geliehen. Nur die Seele, so der Glaube, kann entfliehen und sich beweisen auf unendlich langen galaktischen Reisen. Doch die Lebenshülle dein allein. Im Schutz Mutter Erde verwest das Gebein. Wird wieder Teil deiner Macht, nimmt zu dir die Menschenfracht. Immer wieder wirst du geben, ein Geschenk ein neues Leben. Schätzen sollten wir, sind trotzdem nicht gut zu dir. Wehren uns mit aller Kraft gegen die Schönheit, die du uns beschaffst. Du wirst immer wieder geben. Doch was tun wir? Vernichten dich und töten Leben. Wie viel Spielraum bleibt da noch? Doch vielleicht soll es so sein und du musst gehen, bis alles tot und wir verstehen.

Anpassung an Veränderung. Relativismus. Ein Meer voller Lügen. propagierte Meinungsfreiheit und Toleranz. Werteverfall. Geistige Vergewaltigung. Kultur verschwindet oder wird verwässert. Wertvolle Literatur bleibt unentdeckt. Globaler Wandel. Ein künstliches Wachkoma. Kulturelle Wurzeln werden entrissen. Pervertierter Kapitalismus. Wohlstandsdenken und Materialismus. Gesetz des Dschungels. Selektion. Wertlosem wird Wert gegeben. Kunst dient den Begierden der Sinne. Wahre Inspiration wird zugedeckt. Tatsachen totgeschwiegen. Menschen identitätslos und normgepolt. Ein oberflächliches Treiben. Kein wahres Miteinander. Verlorene Sichten. Verlorenes Leben. „Es lebe der Zeitgeist“.

25


26

ENE, MENE, MUH, UND RAUS BIST DU! Raus bist du noch lange nicht, musst er sagen...

Text ANJA WANGER DER Illustration RITA ATTENE

mfk 0 2 / 2 0 1 4


SPIELANLEITUNG FÜR EIN VERRÜCKTES LABYRINTH ▶▶ von 0 bis 99 Jahren ▶▶ geeignet für beliebig viele Antragsteller ▶▶ erfolgsversprechend für circa ein Fünftel der Antragsteller ▶▶ Spieldauer: Tage bis Jahre HINWEIS Während des gesamten Spielverlaufs darf das Bundesgebiet Österreich nicht verlassen werden! Es darf außer ehrenamtlicher keiner geregelten Beschäftigung nachgegangen werden. Die Antragsteller dürfen sich jedoch nach drei Monaten Aufenthalt im Bundesgebiet um eine Saisonarbeit in der Gastronomie und der Land- und Forstwirtschaft bemühen, sich selbstständig machen oder sich prostituieren. Für die Antragsteller besteht kein Anspruch auf Mindestsicherung, Familienbeihilfe oder Kinderbetreuungsgeld.

mfk 0 2 / 2 0 1 4

…wer du bist! Farid! Farid ist kein Wort und du bist fort! …wie alt du bist! 17! 17 ist kein Wort und du... gehst zum Handwurzelknochenröntgen. …woher du bist! Aus Kabul! Kabul ist kein Ort und du bist fort! …was du hier willst! Asyl! Asyl ist oft nur ein Wort und du bist du fort! ENE, MENE, MECK – GATE-CHECK – UND DU BIST WEG! Kommen

Flüchtlinge an einem Flughafen an und können nicht verständlich machen, dass sie um Asyl ansuchen, dürfen sie im Zuge des „Gate-Checks“ stante pede zurückgewiesen und abgeschoben werden. ENE, MENE, MISTE, DU STEHST NICHT AUF DER LISTE. Sicherheitsbehörden sind bei illegaler Einreise zur Festnahme und zur Vorführung bemächtigt. AM DAM DES, GEH IN ARREST. Flüchtlinge können zur Durchsetzung der Abschiebung bei Nichtzulassung zum Asylverfahren in Schubhaft genommen werden. Außerdem, wie schon in der Dublin-II-Verordnung vorgesehen, ist gemäß Dublin-III-Verordnung, die seit 19. Juli 2013 in Kraft ist, Schubhaft zulässig bei

27


28

ungeklärter Identität, zur Beweissicherung im Asylverfahren, während der Prüfung des Einreiserechts, bei verspäteter Asylantragsstellung, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, oder weil ein Dublinverfahren läuft. Die Schubhaft ist keine Strafhaft, dennoch erfährt der Asylantragsteller Freiheitsentzug! Die Prüfung über die Zulassung zum Asylverfahren erfolgt durch persönliches Vorstelligwerden des Flüchtlings in einer Erstaufnahmestelle (EAST Flughafen in Wien Schwechat, EAST Ost in Traiskirchen, EAST West in Thalham), wo er mittels Fingerabdruck registriert und unabhängig von seinem körperlichem und psychischem Befinden innerhalb der ersten 72 Stunden zu seinen Fluchtgründen einvernommen wird. Ist der Antrag in Österreich aufgrund der Dublin-III-Verordnung oder Drittstaatsicherheit nicht zulässig oder wird sofort negativ beschieden, ist eine Abschiebung direkt durchführbar. Ist der Antrag zum Asylverfahren in Österreich zulässig, wird der Flüchtling als Asylwerber in eine Betreuungsstelle der Grundversorgung entlassen und mit einer Aufenthaltsberechtigungskarte ausgestattet. Dort wartet er auf die Ladung zum Bundesasylamt, das auf Grundlage der Ersteinvernahme die Fluchtgründe erhebt und einen positiven oder negativen Bescheid darüber ausstellt. Die Grundversorgung für Erwachsene in einem organisierten Quartier umfasst Unterbringung und Verpflegung sowie 17 Euro wöchentlich und 40 Euro Taschengeld monatlich. Mittlerweile werden Kosten für bestimmte Deutschkurse an gemeinnützigen Bildungseinrichtungen für Asylwerber im laufenden Verfahren finanziert. Entscheidet das Bundesasylamt nach erneuter Einvernahme positiv über den gestellten Asylantrag, wird formell aus dem Asyl-

Die Schubhaft ist keine Strafhaft, dennoch erfährt der Asylantragsteller Freiheitsentzug. werber unter Bezugnahme auf die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ein Konventionsflüchtling oder ein sogenannter anerkannter Flüchtling, der nun legalen Zugang zum Arbeitsmarkt hat, einen Konventionsreisepass auf die Gültigkeit von je ein oder zwei Jahren ausgestellt bekommt und damit alle Länder außer den Herkunftsstaat bereisen darf. Nach sechsjährigem rechtsmäßigen und ununterbrochenem Aufenthalt, d.h. unter Vorlage des Nachweises über die Kenntnis der deutschen Sprache auf B2-Niveau, über feste und geregelte Einkünfte, über die Grundkenntnisse der demokratischen Ordnung und Geschichte Österreichs und des Landes Salzburg, ohne Bezug von bedarfsorientierter Mindestsicherung, mit Verzicht auf die bisherige Staatsangehörigkeit und unter Aufpreis des ungefähr Doppelten des monatlichen Bruttoeinkommens kann die Verleihung der Österreichischen Staatsbürgerschaft beantragt werden. mfk 0 2 / 2 0 1 4


SIE HABEN DIESE SPIELANLEITUNG NICHT VERSTANDEN?

Entscheidet das Bundesasylamt negativ über den gestellten Asylantrag, kann beim Bundesverwaltungsgericht, das am 1. Januar 2014 den Asylgerichtshof als bisherige Berufungsinstanz abgelöst hat, Beschwerde eingebracht werden. Hier werden Entscheidungen österreichischer Verwaltungsbehörden gerichtlich bekämpft und von weisungsfreien und unabhängigen Richtern überprüft. Wird erneut negativ über Asylgewährung, subsidiären Schutz und nicht zulässiger Ausweisung gemäß Artikel 8 EMRK entschieden, kann der Asylwerber abgeschoben werden. Wird er wegen letztem Punkt nicht abgeschoben, kann er versuchen, eine Niederlassungsbewilligung zu erreichen. Pseudozufällig wie ein Ene-mene-muh-Abzählreim? Nein. Geregelt im österreichischen Asylwesen. Foul Play trotz Non-Refoulment? Ja. Bataille royale: Sieger ist derjenige, der seinem Gegner alle Karten abnehmen kann. mfk 0 2 / 2 0 1 4

Das kann daran liegen, dass sie schwer erklärbar und großteils nicht nachvollziehbar ist. Oder daran, dass sie nicht jeden Einzelfall umfasst und deshalb unvollständig ist. Daran, dass verschiedene Festlegungen je nach Bundesland variieren. Daran, dass Sie sich noch nie ausführlich mit dieser Verfahrensweise auseinandergesetzt haben. Bei Unklarheiten versuchen Sie, sich innerhalb des Asylgesetzes, Fremdenpolizeigesetzes, Niederlassungsund Aufenthaltsgesetzes, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge oder der Dublin-III-Verordnung und mithilfe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zurecht zu finden und/oder fragen Sie einen der Asylwerber, die 0,27 % der österreichischen Gesamtbevölkerung ausmachen. Bedenken Sie dabei, dass Schutz nur derjenige sucht, der ihn benötigt und nur derjenige flüchtet, der nicht freiwillig geht.

29


OLYMPIC DREAMS HOUSEMADE

Gedanken über sportpolitischen Spielraum. Text THOMAS KOF LER DER Illustration RITA ATTENE

30

S

ochi, russische Riviera im Februar 2014: Einer der mächtigsten Männer der Welt bietet den besten Wintersportlern des Planeten eine märchenhafte Bühne für die Wettkämpfe unter Olympischen Ringen. Es ist der Spielraum der schnellsten, stärksten, mutigsten Athleten, Künstler und Akrobaten auf Skiern oder Kufen. Eines ist glasklar: Hier werden Träume wahr! Aber irgendwie gewinnt man leicht den Eindruck, es ist in Wirklichkeit der Spielraum anderer. Der Spielraum der politischen Elite, die über das Wohl der Bevölkerung in der Welt einschneidende Entscheidungskraft besitzt. Es ist der Spielraum schwerreicher Unternehmer, die stets höflich in die Kameras

lächeln, während sie im Kopf die Scheine zählen. Und es ist der Spielraum der hohen Herren des IOC, entscheidungstragende Institution der Olympischen Familie. Sie sind es, die den Spielraum bestimmen, seine Regeln und Grenzen festlegen und die eigentlichen Protagonisten wie Marionetten im prachtvoll beleuchteten Ballsaal tanzen lassen. Wenn sich Russland so präsentieren würde, wie es wirklich ist, dann würde es definitiv anders aussehen, als dieses glamouröse und tadellose Schauspiel. Doch wie agiert das IOC, das für moderne, faire und friedliche Werte der Weltanschauung steht? Warum bestraft es nicht ein Land, das innenpolitisch Menschenmfk 0 2 / 2 0 1 4


rechte missachtet, brutale Kriege gegen Minderheiten führt und das Volk diktatorisch unterdrückt, indem es Olympische Spiele an andere Orte vergibt? Wladimir Putin hat die Olympischen Spiele 2014 gekauft. Nur in einer Märchenwelt verfangenen Irrealisten fehlt die Überzeugung davon. Die Kasse stimmt, das IOC ist zufrieden. Die ach so hochgeschriebene eigene Moral: inkompatibel, aber mit Fantasie und irreführender Öffentlichkeitsarbeit gegenüber leichtgläubigen Medienfreunden ist diese problematische Schnittstelle schlussendlich leicht zu erklären. Und Putin agiert perfekt: die zweiwöchige Show am Schwarzen Meer ist die optimale Werbung für sein Russland – also das Russland, das er der kritischen ausländischen Perspektive präsentieren will, nicht das Russland, wie er es intern gestaltet. Genau dieser Putin, der nicht einmal die zweiwöchige Pause zwischen Olympische und Paralympische Spiele verstreichen lässt, um auf der Halbinsel Krim seine politischen Muskeln spielen zu lassen. Sicherlich nicht zu Gunsten jener Moral, für die der Sport eintritt. Die hohen Herren des IOC sind alles in Personalunion: Fans des Sports, kompromisslose Richter, diplomatische Politiker, knallharte Verhandler. Menschenrechtsvergehen und Ausbeutung ausländischer Arbeiter in und um Sochi über Monate und

Wladimir Putin hat die Olympischen Spiele 2014 gekauft. mfk 0 2 / 2 0 1 4

Jahre? Kein Problem, wird retuschiert! Trauerflor für die ukrainischen Athleten, die an den dutzenden Toten der plötzlich aufkommenden politischen Revolution in ihrem Heimatland erinnern (auf dem Globus kaum einen Millimeter von Sochi entfernt)? Mitnichten, klares Verbot! Keine nicht-olympischen Symbole bitte, nicht innerhalb dieses Spielraums! Die Frage, die sich der Sportkunde im Kontext der Spiele von Sochi stellen darf: Was sieht die Öffentlichkeit? Und was übersieht sie? Alles bzw. nichts, denn natürlich: Journalismus hat einen uneingeschränkten Spielraum, garantierte Freiheiten alles zu hinterfragen und alles aufzudecken, was kritisch zu betrachten ist. Fast. Internationale Medien präsentieren von Olympia eine inszenierte heile Welt und verkaufen sie als Wahrheit: die schönsten Bilder, technisch der neuste Stand, die freundlichsten Menschen und – ganz wichtig – unzählige glückliche Gesichter und zufriedene Gemüter der Hauptdarsteller rund um den Chefinvestor der Spiele, Mr. President höchstpersönlich. Kritische Anmerkungen und negative Berichterstattung? Nein, die gibt’s nicht. Die Medien sind bestens befreundet mit den nationalen Sportverbänden und natürlich auch mit dem IOC, das internationale TV-Stationen mit milliardenschweren TV-Verträgen ausstattet und ihnen regionale oder nationale Exklusivität garantiert. Und Olympische Spiele sind Kassenschlager! Hierzulande reibt sich der ORF die Hände und prahlt mit den traumhaften Quoten und Reichweiten – bis zu den nächsten Spielen. Angesichts dieser erfolgreichen Symbiosen macht man doch keine schlechte Stimmung, das gehört sich nicht unter Freunden! Man unterstützt sich lieber gegenseitig. Und der uneingeschränkte Spielraum des Journalismus ist unter dem Strich ein Spielraum (fast) ohne Bewegungsfreiheit.

31


Kolumne

HANUSCHPLATZ Pazifist und streichfähig.

Text PETER.W. Illustration RITA ATTENE DER

32

W

ieviele Bäume bilden einen Wald? Die schönste Antwort, die man mir auf diese Frage einmal gab, war, dass man erst dann von einem Wald sprechen PETER.W. reflektiert könne, wenn man in der Lage sei sich dain jeder Ausgabe über rin zu verstecken. In der Theorie würde da die Welt, wie sie sich ihm präsentiert. allerdings schon ein einziger hohler Baum reichen, wenn man nicht gerade eine ganze Räuberbande ist und auf der Flucht vor den Paladinen des Königs. Als Räuberbande wäre man freiwillig gut beraten sich als Versteck einen besonders großen, dichten Wald zu suchen. Wenngleich dort auch wilde Tiere hausen; Trolle, Kobolde, böse Geister und eine Hexe, die nur darauf wartet, verirrte Wandersleute in die Falle zu locken. Um sie zu mästen, zu schlachten, aus der einen Hälfte einen leckeren Brotaufstrich zu machen und die andere für ein paar Kröten an einen windigen Discounter zu verscheuern. Das nennt man übrigens einen Anachronismus! Und nicht etwa ein Anagramm, welches entsteht wenn man die Buchstaben eines Wortes

neu anordnet, sodass ein neues Wort daraus entsteht. Das Anagramm von Anagramm ist beispielsweise: Margaman – halb Mensch, halb Margarine! Wie Butter, aber streichfähig. Wenn es etwas gibt, das mich bereits früh morgens auf die Palme bringt, dann die häufige Streichunfähigkeit frisch aus dem Kühlschrank genommener Butter. Das Brot zerreisst es regelrecht auf meinem Teller, wenn ich versuche sie gleichmässig darauf zu verteilen. Dieses Problem hat eine Hexe von Welt nicht, wenn sie sich ihren MargamanTM auf die Stulle schmiert. Aber mir persönlich schmeckt das nicht sonderlich. Ich schlafe lieber aus bis Mittag. Nicht weil ich faul bin! Ich bin nachtaktiv und hasse Vormittage, wenn die eine Hälfte der Leute noch müde und schlecht gelaunt ist und die andere voller Energie und übertriebener Lebensfreude. In beiden Fällen möchte ich einen Hammer haben und nur noch auf ihre blöden Gesichter einschlagen. Um eben solche Amokläufe zu vermeiden, schlafe ich mich lieber ordentlich aus und verzichte auf ’s Frühstück, auch wenn es heißt, das sei die wichtigste, weil energiespendendste Mahlzeit des Tages. Dann lieber Pazifist und streichfähig! Nicht zu verwechseln mit Pazifik, dem größten aller Ozeane, auch der Stille Ozean genannt – nur bedingt streichfähig! Oder Partizip, was nicht die Kurzform von Partypizza ist, sondern... ja, was eigentlich? Egal: NICHT STREICHFÄHIG! Parkbank, Parlament, Palma de Mallorca - nichts von alledem ist auch nur im Ansatz streichfähig! Paladine hingegen sind es sehr wohl, zumindest diejenigen, von denen sich die Räuberbande in den Wald verfolgen lässt. Die Bande hat sich nämlich mit der Hexe zusammengetan und darf dafür auch bei ihr wohnen. „Und?“, fragt der Räuberhauptmann am Morgen. „Was gibt's zum Frühstück?“. Die Hexe hat Paladschinken gemacht! mfk 0 2 / 2 0 1 4


Tipp der Redaktion

BUCHTIPPS zum Thema Spielraum.

Text PETER.W. Illustration RITA ATTENE DER

mfk 0 2 / 2 0 1 4

M

an hätte eigentlich mal wieder Zeit und Lust sein schauspielerisches Talent unter Beweis zu stellen, weiß aber nicht, welches Stück man inszenieren soll. Es böten sich zwar etliche Klassiker wie Goethes „Faust“, Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ oder Brechts „Dreigroschenoper“ an. Doch der Sinn steht einem mehr nach etwas Neuem, Unverbrauchtem. Die Muße selbst etwas zu schreiben fehlt, es besteht aber immer noch die Möglichkeit der Adaption: Sich einfach ein gutes Buch zu schnappen und damit eine eigene Bühnenfassung zu erarbeiten. Man könnte beispielsweise den Futurologischen Kongress von Stanislaw Lem auf die Bühne bringen, eine absurde und abenteuerliche Dystopie über den Raumfahrer Ijon Tichy und die trügerische Zukunft einer durch Drogen verblendeten Menschheit. Man kann sich aber auch einzelner Versatzstücke bedienen und sie im Spiel mit einem roten Faden verbinden, wofür sich meines Erachtens – die wunderbar grotesken Erzählungen von Boris Vian (Faule Zeiten, Liebe ist blind) oder die traumwandlerischen Gedichte von Christian Morgenstern (Galgenlieder) hervorragend eignen würden. Aber, lest selbst!

33


BILDERRÄTSEL

Welche Bezeichnungen für „Klartext reden“ werden hier gesucht? Fotos DORIS MAIR UND MAGDALENA HOF ER

LÖSUNG

34

1

2

3

8

9

10

4 11

5

6

7

12

13

14

15

16

17

Lösung in der nächsten Ausgabe MFK 01/2015 auf der letzten Seite

2

11 10

7

14

12

17 5

mfk 0 2 / 2 0 1 4


15

3 6

13

9 4

mfk 0 2 / 2 0 1 4

8

35

1 16


36

FINDE ZEHN BEGRIFFE ZUM THEMA „SPIELRAUM“! F

E

N

T

K

L

I

C

H

S

Z

E

R

S

E

R

K

T

I

E

H R

D

F

O

R

S

U

A

I G

E

F

R

E

I

H E

I

T

U

I

S

M

P

R

M

R

E

H

C

I

L

X

R

A

I

A

S

N

A

U

K

E

A

I

M

L

E

I

T

L

U

N

U

U

A

T

H O

T

Z

M

S

S

A

P

S

E

T

K

R

A

S

K

O

I

T

F

L

E

R

I

U

L

R

I

D

E

B

E

C

V

A

I

L

H

C

I

A

N

E

T

I

E

K

H

C

I

L

G

E

O

M

F

F

R

I

C

S

H L

E

H

T

P

R

F

R

T

A

F

A

N T

A

S

I

E

T

A

S

E

E

N

M

M

O

E

L

G

N

U

G

E

W

E

B

V

E

T

E

N

T

V

E

R

W

R

E

I

S

T

S

S

Lösung in der nächsten Ausgabe MFK 01/2015 auf der letzten Seite.

Bildersuchrätsel MARIELLA KATTNER Wörtersuchrätsel DORIS MAIR Comic PETER.W.

FINDE DIE FÜNF FEHLER!

mfk 0 2 / 2 0 1 4


„Das vegetarische Volxküche Kochbuch“ – eine Sammlung der leckersten Rezepte aus der Volxküche, ist nun im MARK. freizeit.kultur erhältlich.

Gesund, vegan, preisgünstig – das ist Volxküche! Jeden Donnerstag ab 19.00 Uhr im MARK.freizeit.kultur.

bezahlte Anzeige

mfk 0 2 / 2 0 1 4


bezahlte Anzeige

38

mfk 0 2 / 2 0 1 4


REZEPTTIPP DER VOLXKÜCHE AFGHANISCHE BOLANI (für 4 Personen)

TEIG ½ kg Mehl ¼ Stück Hefe 1 Glas Wasser 1 Prise Salz FÜLLUNG 2 Stangen Lauch 2 Zwiebeln 5 große Kartoffeln 1-2 EL Öl Chili, Salz und Pfeffer zum Würzen SAUCE 1 Knoblauchzehe gemahlene Minze 1 Becher Naturjogurt SALAT Tomaten Petersilie Chili Zitronensaft verschiedene Gewürze nach Geschmack

mfk 0 2 / 2 0 1 4

Zubereitung Bolani Mehl, Hefe, Salz mit dem lauwarmen Wasser zu einem weichen Hefeteig verrühren und ca. 1 Stunde im Warmen ruhen lassen. In der Zwischenzeit die Kartoffeln schälen, kochen, auskühlen lassen und reiben. Danach die Zwiebeln klein schneiden und mit den Kartoffeln, Salz und Chili vermischen. Den Lauch kleinschneiden und mit Salz und Pfeffer würzen und mit Öl verfeinern. Nun den Teig zu kleinen Brötchen (Kugeln) formen. Der Teig darf dabei nicht zu dünn sein. Die Kugeln mit einem Nudelholz ausrollen und mit etwas Kartoffelbrei und Lauch füllen und zusammenklappen. Zum Schluss etwas Öl in der Pfanne erhitzen und jeden Fladen von beiden Seiten goldbraun braten.

39 Zubereitung Sauce Knoblauch klein schneiden und mit gehackter Minze und (veganem) Naturjogurt vermischen. Zubereitung Salat Die Tomaten vierteln, die Petersilie klein schneiden und mit ein bisschen Zitronensaft und Chili und anderen Gewürzen nach Belieben verfeinern.


BLATTLINIE D

40

as MFK – Magazin für Kultur ist ein gesellschaftsliberales und von allen politischen Parteien, Institutionen und Interessensvertretungen unabhängiges Kultur-Magazin mit Redaktionssitz in Salzburg. Das Printprodukt wendet sich vor allem an Leser/innen aus der alternativen Kunst- und Kulturszene. Inhalt und Fotos bzw. Illustrationen werden selbstständig von den freien Redakteur/innen der jeweiligen Ausgabe des Magazins recherchiert und ausgewählt. Das Magazin distanziert sich von Gewaltverherrlichung, Rassismus, Populismus, Sexismus, Beleidigungen und Beschimpfungen gegen ethnische Volksgruppen und Religionsgemeinschaften, sowie von diskriminierenden Inhalten. Herausgeber ist der Verein MARK für kulturelle und soziale Arbeit. Das Magazin wird zwei Mal pro Jahr aufgelegt – in einer Auflage von 1.000 Stück.

Lösung Bilderrätsel mfk 01/2014 Alle Truempfe aus der Hand geben, Das Handtuch schmeissen, An den Nagel haengen, Sich etwas aus dem Kopf schlagen Lösung: Die Karten neu mischen Lösungen Wörtersuchbild mfk 01/2014 Inszenierung, Zauberstab, Maske, Hexe, Kafka, Superheld, Kostuem, Illusion, Zorro, Monster

Kreative Köpfe gesucht!

M

it Offenheit für Originelles veröffentlicht das MFK – Magazin für Kultur Beiträge verschiedenster Formen bisher unbekannter Künstler/innen, Autor/innen und Journalist/innen. Es stellt eine Plattform dar, für all jene, die sich künstlerisch und journalistisch ausprobieren, entdecken und verwirklichen wollen. Die Vielfältigkeit des Magazins bietet kreativen Freiraum! – für alles was auf Papier möglich ist. Schickt uns eure Ideen, Vorschläge, Anregungen an redaktion. mfk@marksalzburg.at, liked unsere Facebook-Page MFK - Magazin für Kultur oder kommt zu unseren offenen Redaktionssitzungen ins MARK.freizeit.kultur in der Hannakstraße 17 und arbeitet mit, damit das Magazin mit einem breiten Spektrum an Berichten und Reportagen aufwarten kann. Die Abgabe oder Zusendung von Beiträgen für die Ausgabe MFK 01/2015 zum Thema „Nähe“ ist jederzeit möglich (Redaktionsschluss 30. September). Voraussichtlicher Erscheinungstermin der nächsten Ausgabe ist Jänner 2015. mfk 0 2 / 2 0 1 4


IMPRESSUM

HERAUSGEBER Verein MARK für kulturelle und soziale Arbeit ZVR-Zahl 471905195 Hannakstraße 17 5023 Salzburg, Austria Online-Ausgabe www.marksalzburg.at

41

VERANTWORTLICH FÜR DEN INHALT / REDAKTION Doris Mair, Katharina Pichler, Marita Voithofer, Peter.W., Stefan Huber, Christina Hoffer, Laura Kokoshka, Helena Danninger, Lucy Lu, Sarah Krennbauer, Simone Scharbert, Viktoria Maschek, Tobias Wallner, Anja Wanger, Thomas Kofler, Freschta Rasulli BILDER / ILLUSTRATIONEN Rita Atteneder, Doris Mair, Peter.W., Magdalena Hofer, Mariella Kattner, Sarah Spenlingwimmer, Lucy Lu, Jasmin Walter, Laura Kokoshka, Viktoria Maschek LAYOUT UND GESTALTUNG Rita Atteneder LEKTORAT Doris Mair, Marita Voithofer, Jeanette Römer, Alexandra Bründl KONTAKT redaktion.mfk@marksalzburg.at +43 650 743 17 99 mfk 0 2 / 2 0 1 4

herausgegeben von


herausgegeben von

Online-Version unter

www.marksalzburg.at


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.