Twitter helps me avoid journalists

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Marketing & Kommunikation

werbewoche 16 | 12.09.2014

Manuel P. Nappo, Studienleiter CAS Social Media Management HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich. www.fh-hwz.ch/smm

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ie werden gehackt, geklaut und für alle sichtbar ins Web gestellt. Und trotzdem können A-, B- und C-Promis es nicht lassen, Selfies (mit oder ohne Kleider) zu machen. Wieso überhaupt? James Franco (@JamesFrancoTV auf Twitter) brachte es in einem Artikel in der New York Times auf den Punkt: Was ist das kostbarste Gut für Filmstudios, Autoren, Regisseure, Stars – eigentlich für alle? Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit ist, was jeder will. Aufmerksamkeit ist Macht. Mit der zunehmenden Vernetzung der neuen Medien sinken die Kosten für Information und Unterhaltung immer tiefer. Begrenzt ist nicht mehr der Zugang, sondern die Aufmerksamkeit. Und diese Aufmerksamkeit wird heute von praktisch allen Menschen als knappes Gut betrachtet und wird dadurch zum Machtfaktor. Auch die Studio-Bosse und ihre Hollywood-Stars haben dies festgestellt. Zum einen zeigt sich, dass eine eigene Fan-Basis heute ein wichtiger Erfolgsfaktor ist, und dafür ist die Aufrechterhaltung einer gesunden OnlinePräsenz praktisch unerlässlich. Zum anderen haben sich die traditionellen Pre-Release-Zuschauerbefragungen in den letzten Monaten oft als unzuverlässig erwiesen und teure Pro-

duktionen sind nicht selten kläglich gefloppt. Social Media Buzz hingegen ist ehrlicher und direkter und deshalb oft viel verlässlicher. Eine grosse und starke soziale Präsenz zu haben, bedeutet daher oft auch direkten Erfolg am Boxoffice. Denn die Fans schauen sich eher einen Film an, wenn der Star sie dazu auffordert, als wenn sie von einem Hollywood-Studio mit Promomaterial zugemüllt werden. Bei den Plattformen gibt es drei Megaplayer, auf denen sich die Celebs tummeln. Die grösste Dichte findet sich wohl auf Facebook. Wobei es sich hierbei meist um klassische Promoseiten handelt, die von der PR-Abteilung für die offizielle Kommunikation verwendet werden. Richtig interessant für die Fans wird es daher eher bei Twitter oder Instagram. Hier berichten die Stars selber aus ihrem Alltag und schaffen damit einen Workaround um Paparazzi und Medien. Ganz nach dem Motto: «Hier gewähre ich euch einen Blick in mein Privatleben.» Es überrascht daher wenig, dass das so genannte Promi-Selfie, ein Selbstporträt, üblicherweise mit einem Smartphone von der eigenen Hand aufgenommen, das Nonplusultra unter den Beiträgen ist. Dabei hat das Selfie einen Wert unabhängig von der Qualität der Fotos, weil es angeblich einen intimen Schnappschuss von jemandem ist, für den sich das Publikum sehr interessiert. Doch nicht nur das: Das Selfie ist wohl auch das Bild, wofür die Paparazzi töten würden, weil sie damit gutes Geld machen könnten. Denn es ist die Art von Bild, das

Magazine und Blogs heute wollen. Vor wenigen Jahren sah dies allerdings noch ganz anders aus, denn da war an diese Art von Kommunikation nicht zu denken. Neben persönlichen Meinungsäusserungen in Interviews galt es vor allem, durch öffentliche Auftritte oder einen Skandal so viel Aufmerksamkeit wie möglich zu erlangen. Der britische Schauspieler Stephen Fry (@stephenfry) fasst diesen Wandel gut zusammen: «Twitter helps me avoid journalists.» Ob Demi Moore (@justdemi), deren Ex-Mann Aston Kutcher (@aplusk) oder Sex-Symbol Ryan Gosling (@RyanGosling) – die Liste der Social-Media-Promis ist lange. Besonders erwähnenswert ist allerdings Hugh Jackman (@RealHughJackman). Zum einen, weil der Australier sehr persönlich mitteilte, dass bei ihm bösartige Krebszellen entdeckt wurden und dazu aufforderte: «Please don’t be foolish like me. Get yourself checked. And USE sunscreen!!!». Zum anderen, weil Jackman mit Wolverine eine der beliebtesten Comicfiguren der Geek-Welt verkörpert und dadurch in den Social Networks eine regelrechte Potenzierung seiner Ausstrahlung erreichte. Die meisten Stars bewirtschaften die Plattformen selbst. Was auch der Sinn der Sache ist. Einige hingegen, so zum Beispiel der verstorbene Paul Walker (@RealPaulWalker), der schöne Channing Tatum (@channingtatum) oder Zac Efron (@ZacEfron), haben eigene Social-Media-Manager, die ihre Fans laufend mit frischen Backstage-News beliefern.

Wichtig ist in diesem Fall, dass klar kommuniziert wird, wer da twittert. Diese Abgrenzung schafft Klarheit für die Fans, da ihre Gunst schnell kippen kann. Obwohl sich wahrscheinlich alle StudioBosse wünschen würden, dass ihre Stars grosse Social-Media-Gefolgschaften haben, gibt es immer noch viele Twitter-Verweigerer. Zu ihnen zählen auch hochkarätige Talente wie George Clooney, Daniel Craig oder Johnny Depp, die aus verschiedenen Gründen entschieden haben, dem digitalen Rampenlicht fernzubleiben. Die Motivation von Daniel Craig klingt da schon fast romantisch: «I am bloody not [on Facebook]. And I’m not on Twitter either . . . ‘Woke up this morning, had an egg’? What relevance is that to anyone? Social networking? Just call each other up and go to the pub and have a drink.» Kristen Stewart hingegen weist auf die dunkle Seite von Social Media hin: «Twitter f---s me over every day of my life. Because people go, ‘I’m sitting next to Kristen Stewart right now’ and then [the paparazzi] show up.» Diese Omnipräsenz kann auch ziemlich aufreibend sein. Denn wo früher die Stars nur über das Filmmagazin Variety Kritik einstecken mussten, kann heute jeder Hans Muster seine Meinung öffentlich kundtun. Was das bedeutet, demonstrierte US-Moderator Jimmy Fallon sehr unterhaltsam in seiner Sendung, als Celebrities böse Tweets über sich selbst vorlesen mussten. (Celebrities Read Mean Tweets auf YouTube).

Old School ist das neue Schwarz Florian Weischer, Geschäftsführer WerbeWeischer

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ein Lebensbereich bleibt von der Digitalisierung verschont. Diesen Eindruck muss man nicht nur im täglichen Leben, sondern vor allem auch beim Rundgang über die 2014er dmexco in Köln gewinnen. Der Rundgang selbst ist eigentlich auch Old School, aber er schafft ein bisschen Struktur in der Vielzahl der Angebote, der Themen und Thesen. Er ist eine Möglichkeit, die Flut der Eindrücke zu beherrschen, beim Wandern nachzudenken, zu sortieren und abzulegen. Ein Rundgang über die Messe und die Teilnahme an den Seminaren, Workshops und Vorträgen bringen mehr, als nur im Netz danach zu suchen. Das ist zumindest meine Erfahrung der letzten Jahre auf der dmexco. In diesem Jahr hat man das Gefühl, dass nahezu jeder Bereich unseres täglichen priva-

ten und beruflichen Lebens sich infolge der Digitalisierung verändert. Wir neigen – berufsbedingt – dazu, unter Digitalisierung die Veränderungen in der Medienlandschaft und in der Kommunikation zu verstehen. Das ist mit Verlaub aber eine echte «Froschperspektive». Die Digitalisierung betrifft jeden potenziell technologiefähigen Bereich: die Produktion von Waren und Dienstleistungen, das Finanzsystem, die Politik auf nationaler und internationaler Ebene, unsere Gesellschaft, unser Zusammenleben, unsere Daten, am Ende ganz massiv uns selbst. Da gehört der mitdenkende, selbsttätig einkaufende Kühlschrank oder die auf der IFA vorgestellte, über eine App zu bedienende Kaffeemaschine noch zu den eher banalen Beispielen. Wir glauben vielleicht, das sei alles nur ein Fortschritt in der Dienstleistung. In Wirklichkeit hat die Maschine Kühlschrank und ihre Intelligenz, die sich aus unserem Verhalten speist, längst die Kontrolle übernommen. In fast jedem «Ding» steckt schon oder wird zukünftig Intelligenz stecken. «Das Internet der Dinge» klingt da fast zu harmlos.

Wer sich ein wenig den Tag verderben möchte, kann das gerne bei Jaron Lanier «Wem gehört die Zukunft?» nachlesen. Die Lektüre selbst ist köstlich, die Schlussfolgerungen sind es nicht (siehe oben). Ein dmexco-Rundgang ist je nach Blickwinkel auch geeignet, einem den Tag zu verderben. Vor allem dann, wenn man erste allergische Reaktionen auf das digitale BullshitBingo der Begriffe zeigt. Da ist diese Fachmesse ganz weit vorne. Geduldige können sich ja einmal die diesjährige Themenliste vornehmen. Viel Spass! Noch mag man es vielleicht für einen Witz halten, dass sich die grossen Autokonzerne vor Google in Acht nehmen sollten. Das erste selbstfahrende Google-Auto ähnelte mehr einer Seifenkiste aus dem Elektronikbaukasten. Es geht im Prozess der Digitalisierung aber um etwas gänzlich anderes als das Auto. Es geht um zukunftsfähige Mobilitätskonzepte, zu denen die Internet-Giganten mit ihrem mächtigen Wissens- und Datenschatz vermutlich mehr beisteuern können als der tollste Sportwagen. «Stopp!», wird der eine

oder andere von uns jetzt rufen, «ich weiss immer noch am besten, welches Auto ich brauche und welches mir gefällt». Ich gehöre auch zu diesen Menschen, weiss aber mittlerweile, dass diese Einstellung sehr Old School ist. Das ist mir aber egal, mein Auto suche ich mir immer noch selbst aus. Und ich glaube auch nach vielen dmexcoRundgängen noch nicht, dass alle Lösungen in der Kommunikation unbedingt digital daherkommen müssen. Ich glaube (und weiss), dass Online nicht emotionaler als TV und schon gar nicht emotionaler als Kino ist. Dass Wirkung auch ganz massgeblich offline daherkommen kann und wird. Das wissen ja auch die Internet-Giganten – alle buchen Google, Google bucht Kino. Zumindest in Deutschland. Dieser Schluss gefällt mir so gut, weil er so ganz real ist. Trotzdem muss ich noch erwähnen, dass wir in der Schweiz einen Meilenstein für uns erreicht haben: Die Marktführerschaft in der Deutschschweiz nach Besuchern in den eigenen Vertragskinos. Das ist so gut, das muss ans Ende, Google hin oder her.

Fotos: Twitter, Facebook, Instagram

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