Digital Transformation dank Digital Talent

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DIGITALE TRANSFORMATION THEMA

Digital Transformation dank Digital Talent Die digitale Transformation bringt einen neuen Rohstoff mit sich: Digital Talent. Wer es hat, kennt sich aus mit Bits und Bytes, mit Social Media und Big Data. Doch um digitale Expertise anzulocken, müssen sich Unternehmen mehr einfallen lassen als Gratiskaffee und bunte Bürowände. Manuel P. Nappo

Manuel P. Nappo Leiter Center for Digital Business, HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich

«The only wrong move when it comes to Di­ gital Transformation is not to make any mo­ ve at all.» Das sagt Didier Bonnet, Senior Vice President von Capgemini Consulting. Auf Linkedin lautet seine offizielle Berufsbe­ zeichnung «Global Practice Leader Digital Transformation» – ein Beruf, den es vor zehn Jahren noch gar nicht gab. Wenn Sie Herrn Bonnet googeln, werden Sie feststellen, dass dieser Herr nicht aussieht wie der nächste Mark Zuckerberg, sondern eher wie Ihr Geschichtslehrer aus dem Gymnasium. Und doch, der Mann hat, was es braucht, um die digitale Transformation erfolgreich zu bewältigen.

Schneller, flexibler, vernetzter

Das Digital Talent zieht schnell weiter, wenn es keine (Denk-)Räume für Innovation und Experimente vorfindet.

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Obwohl uns das digitale Zeitalter schon längst erreicht hat, befindet sich unsere Ge­ sellschaft diesbezüglich noch immer im Um­ bruch. Wir sind momentan in der Mitte eines etwa zehnjährigen Fensters der Transforma­ tion im Übergang von einer industriellen zu einer postindustriellen, digitalen Gesell­ schaft. Diese neue Gesellschaft wird durch vier strukturelle Veränderungen geprägt. Schnelle und weitreichende technologische Veränderungen sprengen die bestehenden strukturellen Prozesse, Hierarchien, Prakti­ ken. Eine beschleunigte Globalisierung ver­ netzt Individuen auf der ganzen Welt mitei­ nander, während Wissen zum zentralen Produktionsfaktor einer digitalen Gesell­ schaft wird. Gleichzeitig nehmen klassi­ sche, hierarchische Organisationsformen ab. Dafür steigen Agilität und Flexibilität zwischen Organisationen und Branchen. Die Veränderungen, die diese Transforma­ tion für Firmen mit sich bringt, sind äusserst vielfältig. Um sie zu bewältigen, braucht

man das gewisse Etwas. Vergessen Sie Öl, Gold oder Diamanten: Der wahre Rohstoff der Zukunft lautet «Digital Talent».

Zuhause in der Unsicherheit Doch was ist Digital Talent? Als Talent be­ zeichnet man gemäss Duden eine Bega­ bung, die jemanden zu überdurchschnittli­ chen Leistungen auf einem bestimmten Gebiet befähigt. Ausserdem war Talent auch eine altgriechische Münzeinheit, was ins Bild passt – denn in der Tat ist digitales Talent das Kapital von morgen. Wer es be­ sitzt, bewegt sich geschickt in der Welt von Social Media, Mobile Analytics und Big Da­ ta. Digital Talents kommen zurecht mit der Unsicherheit, die zur digitalen Transformati­ on gehört, sie fühlen sich sogar regelrecht wohl darin. Sie wissen, wie sie sich die bei­ nahe unbegrenzten Möglichkeiten des World Wide Web zu eigen machen können. Sie sind kreativ, experimentierfreudig, sind Meister des «thinking outside of the box». Nicht alles, was sie anfassen, wird zu Gold, scheitern gehört zu ihrem Daily Business. Aber: Sie machen jeden Fehler nur einmal. Arianna Huffington ist ein Digital Talent, der bereits vorgestellte Didier Bonnet ist eines, Bendrit Bajra ebenso. Und, natürlich, auch Steve Jobs war eines.

Harte Arbeit, angeborenes Talent Aber wir können nun einmal nicht alle Steve Jobs sein. Was also passiert mit all jenen, die kein digitales Talent haben? So eine Be­ gabung kann man zwar nicht erlernen, aber man kann sich zumindest in ähnliche Sphä­ ren heraufarbeiten. «Hard work beats talent when talent fails to work hard», sagte einmal der US-Basketballstar Kevin Durant. Das

ICT-Jahrbuch 2016  ©  Netzmedien AG


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Paradebeispiel hierfür ist Digital Immigrant Barack Obama. Vor Beginn seiner Präsident­ schaftswahlkampagne im Jahre 2007 war er weder auf Facebook noch auf Twitter prä­ sent, Social Media hatte einen kleinen Stel­ lenwert in seinem politischen Alltag. Dank geschickter Beratung durch externe Fach­ kräfte gelang ihm in den Wahlkämpfen 2008 und 2012 aber dann eine äusserst erfolgrei­ che Social-Media-Kampagne. Heute zwit­ schert Obama auch einmal persönlich von Twitter oder kommentiert ein Foto auf Face­ book. Und als er erfahren wollte, wie man das Videoportal Youtube am besten nutzt, um junge Wählerinnen und Wähler zu mobili­ sieren, lud er eben eine Handvoll YoutubeStars zu sich ins Weisse Haus ein und liess sich die Sache von den Profis erklären.

Es geht auch ohne Rutschbahn Was aber tun Unternehmen, um solch digi­ tales Talent anzulocken? Wollen Firmen di­ gitale Experten langfristig an sich binden, müssen sie ihnen die perfekten Arbeitsbe­ dingungen liefern, damit diese ihr Talent optimal zugunsten des Unternehmens ein­ setzen können. Spricht man von diesen PullFaktoren, ist der Aspekt der Unternehmens­ kultur kaum zu überschätzen. Dies weiss auch Brian Chesky, CEO von Airbnb. In ei­ nem offenen Brief an seine Mitarbeitenden beschreibt er Kultur als «a shared way of doing something with passion» und warnt deswegen seine Kolleginnen und Kollegen:

«Don’t fuck up the culture!» Eine solche fruchtbare, funktionierende Kul­ tur kann nicht verordnet und schon gar nicht vorgeschrieben, sondern sie muss (vor)ge­ lebt werden, vor allem von den Führungsper­ sonen. Denn so sehr eine gute Unterneh­ menskultur auch bottom-up funktioniert: Solange sie nicht in der Chefetage ange­ kommen ist, ist sie nicht authentisch. Da kann man im Headquarter noch so viel Gra­ tiskaffee ausschenken, putzige Haustiere organisieren oder Masseure auf Firmenkos­ ten engagieren – das Digital Talent zieht schnell weiter, wenn es keine (Denk-)Räume für Innovation und Experimente vorfindet. Verstehen Sie mich nicht falsch: Farbenfro­ he Open Offices sind eine tolle Sache. Aber

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sie bringen gar nichts, wenn die gelebte Unternehmensphilosophie so grau daher­ ­ kommt wie ein typischer Zürcher November­ tag. Denken wir noch einmal an Steve Jobs zurück: Der hat seine Karriere in einer tris­ ten Garage gestartet, ganz ohne lustige rote Rutschbahn im Büro.

Die Digital Talents sitzen heute am längeren Hebel.

Kreativität muss atmen! Zu viele Schweizer Unternehmen haben das meiner Meinung nach noch nicht verstan­ den. Man wäre zwar gerne cool und trendy, aber das «Bünzlitum« ist noch immer allge­ genwärtig. Für jeden Facebook-Post schreibt man am besten zuerst ein Konzept, das von der PR-Abteilung abgesegnet werden muss. Die Angestellten verbringen 50 Prozent ihrer Arbeitszeit damit, E-Mails zu beantworten oder an Meetings teilzunehmen, die an Effi­ zienz und Konstruktivität kaum zu unterbie­ ten sind. Die Führungspositionen sind be­ setzt von älteren Herren, die noch nicht so recht daran glauben, dass sich Social Me­ dia wirklich durchsetzt. Jetzt mal ernsthaft: Könnten Sie in einem solchen Umfeld krea­ tiv und innovativ sein? Die Digital Talents sitzen heute am längeren Hebel. Sie werden überall gebraucht und können sich deswegen ihren Arbeitsplatz selbst aussuchen. Das ist eine Herausfor­ derung für die Unternehmen. Es liegt an den strategischen Führungspersonen, dafür zu sorgen, dass aus ihrem Unternehmen keine talentfreie Zone wird.

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