Die grösste Herausforderung ist der Mensch

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Dossier

«Die grösste Herausforderung ist der Mensch» Sie prägen unseren Alltag. Wir nutzen sie fürs Geschäft, weit mehr aber noch für den privaten Austausch: die Social Media. Führen sie, wie immer wieder angeführt wird, zur Verdummung und dem Niedergang unserer Kommunikationskultur? Ein Experte gab Auskunft.

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homas Müller: Herr Nappo, wann kam der Begriff der Social Media auf? Manuel P. Nappo: Das war um 2007/2008. Diese Medien gab es schon vorher, doch es existierte noch kein Begriff für sie. T. M.: Gibt es Meilensteine in der Entwicklung der Social Media? M. N.: Ja. Den Anfang machte Myspace im Jahr 2003. 2004 kam Facebook dazu, und es folgten 2006 YouTube und Twitter. Einen wichtigen Fortschritt machte Instagram im Jahr 2010. Es war das erste Social Network, das einzig auf die mobilen Geräte, also die Smartphones und Tablets, ausgerichtet war. 2011 kam Snapchat auf den Markt. Es hat sich 2014/2015 durchgesetzt.

T. M.: Wie sieht der heutige Standard aus? M. N.: Diese Frage lässt sich so nicht beantworten. Jedes der Social Media ist mit einem Superhelden im Comic zu vergleichen, der etwas hervorragend beherrscht, aber nicht alles gleich gut kann. Im Hinblick auf die Reichweite ist Facebook führend. 1.6 Mia. Menschen nutzen es pro Monat. Das sind 15 % der Weltbevölkerung. Technologisch ist Snapchat führend. Im Businessbereich ist das Linkedin.

führende Kopf von Apple, hat die Generationenfrage müssig gemacht. Das iPhone ist auch für nicht technik-affine Menschen sehr benutzerfreundlich. Es geht hier weniger um das Können als um das Wollen. Hinzu kommt, dass sich jeder ein Smartphone leisten kann. Der Mensch will verbunden, will «connected» sein. So bekommen auch ältere Leute Freude am Netz.Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied: Die Jungen sind pragmatisch. Und sie sind gegenüber Marken und Produkten illoyal. Wenn etwas nicht funktioniert, wechseln sie einfach zu etwas Anderem. Haben sie etwas gemacht, so wollen sie Neues. Zudem erwarten sie, dass ihnen alles überall und immer zur Verfügung steht. Knappe Mittel kennen sie – im Gegensatz zu älteren Leuten – kaum. Alles ist da.

Der Mensch will verbunden, will «connected» sein.

T. M.: Was macht Social Media wie z. B. YouTube so beliebt? M. N.: Ein Punkt ist sicher, dass der Mensch mit den anderen Menschen kommunizieren will. Die Form, in der das geschieht, ist letztlich irrelevant. Ein grosser Vorteil besteht darin, dass wir heute zeit- und raumunabhängig miteinander kommunizieren können. Früher wäre das aus Gründen der Technik und der Kosten undenkbar gewesen. Damals beschränkte man sich auf seine lokalen Netzwerke, und es konnte viel Zeit verstreichen, bis man sich z. B. mit Briefen verständigt hatte.

T. M.: Kommt es so nicht zu einem Problem zwischen den Generationen? M. N.: Ich würde das weniger plakativ ausdrücken. Steve Job, der

T. M.: Welche Aspekte spielen im privaten Gebrauch der Social Media eine Rolle?

T. M.: Lässt sich auch in demographischer Hinsicht etwas sagen? M. N.: Ja. Das kann ich Ihnen im Fall von YouTube aufzeigen. Die Benutzer bewegen sich in einem Alter zwischen 14 und 70 Jahren. Diese Bandbreite macht ca. 4.7 Mia. Menschen aus, und von diesen nutzt rund ein Drittel Facebook. Wir kommen so auf die erwähnten 1.6 Mia. Leute.

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Dossier M. N.: Es sind drei Gesichtspunkte. Es geht darum, sich abzubilden, ein Profil von sich selbst zu erstellen, also auch ein Stück weit zu bestimmen, wie man wahrgenommen wird. Hinzu kommt wie angesprochen die Vernetzung als tiefmenschliches Bedürfnis. Und schliesslich geht es darum, Wissen zu teilen. T. M.: Sehen Sie im Zusammenhang mit den Social Media auch Risiken? M. N.: Ja, sicher. Wo Sonne ist, da ist auch Schatten. Man kann diese Frage auch in einem etwas weiteren Zusammenhang beantworten, indem man auf die Digitalisierung zu sprechen kommt. Hier begegnet die Angst, etwas zu verpassen. Das führt dazu, dass man nicht abschalten kann. Oder denken Sie an wirtschaftliche Aspekte. Das Geschäftsmodell von Uber droht den Taxifahrern die Existenzgrundlage zu entziehen. Die Digitalisierung geht sehr schnell vor sich und schafft im Nu Veränderungen. Das kann die Menschen überfordern. Bei den Social Media ist die grösste Herausforderung nicht das Medium, sondern der Mensch, der es nutzt. Es gibt in der Tat dumme Arten, diese Medien zu nutzen. Denken Sie an die Nacktbilder eines Politikers. Zu erwähnen ist ebenfalls die Kriminalität. So kann Sie jemand anrufen und sich als Mitarbeiter einer Bank ausgeben. Passt man nicht auf, verrät man Passwörter und muss nicht erstaunt sein, wenn sein Konto leergeräumt ist.

Eine Beziehung aufzubauen braucht Zeit, man muss die Kontakte pflegen. T. M.: Ich möchte gern auf die Medien eingehen, die im Geschäftsleben eingesetzt werden, also z. B. Xing oder Linkedin. Wird ihre Bedeutung nicht überschätzt? M. N.: Das hängt davon ab, was man von ihnen erwartet. Mit einem Kaltstart Akquise betreiben zu wollen ist gewiss unrealistisch.

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Aber man kann mit diesen Medien dazu beitragen, wahrgenommen zu werden. Das ist weit nützlicher als die traditionelle Visitenkarte. Eine Beziehung aufzubauen braucht Zeit, man muss die Kontakte pflegen. Dafür sind diese Medien durchaus brauchbar. Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu Facebook anfügen. Man kann und soll dieses Medium nicht gegen reale Beziehungen von Angesicht zu Angesicht ausspielen. Für die Mikro-Informationen, die man über die Social Media ohne Weiteres austauschen kann, würde man nie ein Telefonat, geschweige denn ein persönliches Gespräch aufwenden. Aber für die Beziehungspflege sind diese Informationen viel wert. In diesem Sinn tragen Social Media auch zur Lebensqualität bei. Dazu gehört ebenfalls, dass man mit Leuten in Kontakt kommt, an die man sonst nie herankäme. T. M.: Wer verdient im Zusammenhang mit Social Media Geld? M. N.: Man kann als Betreiber eines Mediums entweder über Abonnemente oder über Werbung Geld machen. Das Abo, z. B. in der Premium-Form bei Xing, ist marginal. Werbung hingegen kann sich auszahlen, und das je nachdem in Millionenbeträgen. Das trifft in unterschiedlicher Weise auf Medien wie YouTube, Facebook und Linkedin zu. T. M.: Wie sehen Sie die Zukunft der Social Media? M. N.: Das ist schwer vorauszusagen. Sie werden aber sicher noch selbstverständlicher und werden noch mehr Bereiche abdecken als heute. Dazu werden sie immer personalisierter und massgeschneidert sein. Auch die Automatisierung und die künstliche Intelligenz werden Themen sein, mit Auwirkungen etwa auf die Arbeitswelt. Manuel P. Nappo, *1971, lic. oec. HSG, ist Head of Center for Digital Business und Director MAS Digital Business an der Hochschule für Wirtschaft Zürich.


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