Köniz, ein Facebook-Lehrling

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«regio-00-üb köniz social media» (Ressort: region bern / Ausgabe: st) Gedruckt von dominik.galliker am 13.02.2014 11:54:19

Köniz, ein Facebook-Lehrling SOCIAL MEDIA Die Gemeinde Köniz wagt sich in die Welt von Facebook, Twitter und Youtube. Ein Blick in den Kanton zeigt: Die Behörden nutzen die Sozialen Medien nur minimal. Social-Media-Experte Manuel P. Nappo sagt: Den Gemeinden fehlt der Mut. Am 8. Januar hiess es: «Hallo Facebook, hier Köniz!» Seither ist die Gemeinde auf der Internetplattform präsent, hat bisher 144 Likes. Sie schreibt vor dem Testspiel des FC Köniz gegen YB «Hopp Chünitz» oder stellt die Nutzer vor Bilderrätsel. Auf Twitter werden Medienmitteilungen verlinkt, auf Flickr sind Bilder von einem Konzert zu sehen. «Wir sind halt modern», sagt Gemeindepräsident Ueli Studer und lacht. Die Charmeoffensive auf Social Media sei auf Initiative der Fachstelle Kommunikation entstanden. Der Gemeinderat hat zugestimmt, allerdings auch Bedenken geäussert. «Wir haben uns gefragt, ob uns das wirklich nützt oder ob vor allem Angriffe unter der Gürtellinie kommen». Nun läuft für neun Monate ein Pilotprojekt, auf einem «Low Level», wie Studer sagt.

Gähnende Leere Auf einem tiefen Niveau fahren auch die anderen Gemeinden. Neben Köniz ist uns einzig die twitternde Berner Stadtverwaltung bekannt. Zudem nutzt die Kommunikation des Kantons Facebook und Twitter. Und auch einzelne Institutionen wie etwa die Kantonspolizei. Im Gegensatz zu Unternehmen fehle den Behörden der Druck, sich neuen Strömungen anzupassen, sagt Manuel P. Nappo. Er leitet die Fachstelle Social Media an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich. Per Facebook beantwortet er die Fragen:

Manuel Nappo, wie beurteilen Sie die SociaMedia-Auftritte der Behörden? Wir stellen ein grosses Gefälle fest. Einige Gemeinden und Kantone sind sehr aktiv (z. B. Kanton Aargau und Stadt Luzern). Andere hingegen gar nicht. Was gefällt Ihnen an den Auftritten von Aargau und Luzern?

Manuel Nappo, kann eine Behörde überhaupt einen Dialog aufbauen? Manuel P. Nappo Hochschule für Wirtschaft Zürich

Sie sind informativ und sachlich und doch abwechslungsreich und unterhaltend. Was halten Sie vom Könizer Angebot? Ich finde es eine unterhaltsame Mischung. Immerhin bekommen sie Reaktionen auf die Bilderrätsel. Und sie posten regelmässig. Hinter den meisten Tweets der Gemeinde Köniz steht das Kürzel «hug». Es gehört zu Godi Huber, dem Leiter der Kommunikation. «Wir sind noch Lehrlinge», sagt er und begründet die Initiative: Die Nutzung des Internets habe sich verändert, hin zu Social Media. «Die Nutzerin x besucht die Seite koeniz.ch vielleicht einmal pro Monat. Über Social Media erreichen wir sie deutlich häufiger», sagt Godi Huber. «Der Fischer fischt dort, wo die Fische sind.» Beim Kanton sieht man das ähnlich. Auf Twitter werden wichtige Mitteilungen verbreitet. «Auf Facebook sind wir bestrebt, eher die ‹weichen›, unerwarteten Seiten zu zeigen», schreibt Kommunikationsleiter Christian Kräuchi. Der Aufwand wird jedoch auch hier auf «dem absoluten Minimum» gehalten. «Darunter leidet die Innovationskraft.»

Kaum Dialog Soziale Medien bieten vor allem Chancen für Dialoge, für Interaktion. Diskussionen entstehen aber kaum, weder beim Kanton noch bei der Gemeinde Köniz. «Mit den Behörden tritt man in der Regel nicht einfach so ohne konkretes Anliegen in Kontakt», schreibt Kräuchi. «Und im Dialog müssen wir vorsichtig sein, können zum Beispiel nicht Partei ergreifen.» Ueli Studer von der Gemeinde Köniz ist gleicher Meinung. «Der Aufwand würde zu gross. Wir können für die Sozialen Medien niemanden zusätzlich einstellen.»

Klar kann sie das. Sie kann auf Anliegen eingehen und Fragen beantworten. Proaktiv. Und sie kann Beziehungen aufbauen. Zu Medien. Zu Meinungsführern. Aber ausser der Stadtpolizei Zürich macht das kaum jemand. Ueli Studer sagt, der Aufwand wäre zu gross. Das kann ich verstehen. Aber man kann auch klein anfangen und wachsen. Es kommen nicht Zigtausend Anfragen rein. Ikea hat einmal mit einem Twitter-Nutzer darüber gewitzelt, welches Schreibtischmodell wie viel Sex aushält. Das war eine coole Sache. Aber das können Verwaltungen auch. Nach einem Fussballspiel hat England Tourismus getwittert: «England hat im Penaltyschiessen verloren. Mehr über unsere Traditionen auf visitengland.com.» Brauchen die Behörden einfach mehr Mut?

Ueli Studer nutzt die sozialen Medien nicht, auch nicht während des Wahlkampfs. «Ich habe kein Bedürfnis», sagt der 60-Jährige. «Mein Kalender ist voll.» Wenn er noch auf Facebook diskutieren müsste, würde er zu stark absorbiert. «Zudem liebe ich das persönliche Gespräch unter vier Augen.»

Der Facebook-Bürgermeister Damit ist Studer in bester Gesellschaft. Stadt- und Gemeindepräsidenten, die dem Bürger via World Wide Web näherkommen wollen, gibt es kaum. Es braucht schon einen Blick nach Deutschland, zu «Oberboris», wie der «Spiegel» ihn nannte. Boris Palmer ist Oberbürgermeister von Tübingen, einer 90 000-Einwohner-Stadt bei Stuttgart. Palmer postet bis zu zehnmal täglich, zeigt Bilder aus den Ferien, debattiert auf Facebook tagelang über Migrationspolitik und antwortet, wenn «Christina» um 22.46 Uhr schreibt: «voll der Scheissdreck, Boris». Gegenüber dem «Spiegel» sagte er, er spüre schnell Reaktionen. «Das erleichtert die Arbeit. Die Bandbreite der Rückmeldungen ist reicher als bei Leserbriefen. Auf Facebook trauen sich die Leute.» Manuel Nappo, verpassen die Gemeinden eine Chance? Ja, schon. Ich bin mir der Ängste und des Aufwands bewusst, aber ich glaube, dass es mehr Chancen als Risiken gibt.

Ja. Und Selbstironie. Das kommt immer gut an. So zu kommunizieren sind die Mediensprecher nicht gewohnt. Nicht wirklich, nein. Aber das ist ja das Schöne an Social Media. Man darf und kann so kommunizieren. Könnte denn Ueli Studer als Gemeindepräsident nicht mehr mitdiskutieren als die Kommunikationsabteilung?

Risiken? Wie einen «Shitstorm» (Beschimpfungswelle)? Ja, davor haben alle Angst. Aber der Punkt ist, dass «Shitstorms» auch stattfinden, wenn man nicht dabei ist. Wenn man dabei ist, kann man wenigstens mitreden. Also sind es vor allem Berührungsängste, die unbegründet sind?

Ja. Das würde sich lohnen. Der Nutzer sieht ein Gesicht hinter dem Amt. Eine Ansprechperson. Dominik Galliker


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