Ostdeutsches Energieforum September 2014 - Sonderausgabe der Leipziger Volkszeitung

Page 1

Verlagsbeilage • 3. September 2014

ENERGIE Haben wir die

Energiewende

im Griff?

Die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) ist gerade einen Monat in Kraft, doch einen Erfolg kann sich Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bereits jetzt anrechnen: Der Systemwechsel in der Ökostromförderung, der in dem Gesetz für 2017 angekündigt ist, wird von keiner Seite mehr ernsthaft infrage gestellt. Doch die energiepolitischen Widersacher verhaken sich derzeit im Streit um die Details des Übergangs. Die Zeit drängt: Nach Lage der Dinge kann die deutsche Industrie trotz EEG-Novelle keine Sicherheit über das Energiekosten-Niveau der kommenden Jahre haben. Das heißt: Kaum Investitionssicherheit. Gebeutelt sind vor allem die ostdeutschen Bundesländer. Strom kostet hier mehr als im Westen. Die Netzkosten sind höher – und die Gewinne aus der Wind- und Solarstromproduktion fließen vielfach in die alten Bundesländer, wo die Investoren sitzen. Vor dem Hintergrund des 3. Ostdeutschen Energieforums in Leipzig stellt sich deshalb die Frage: Was nun, Herr Gabriel?

Im getrIebe gabrIels

Im sog des Wasserstoffs

Im eInklang mIt der natur

Wirtschaft und Opposition wettern gegen die EEG-Novelle Seite 3

Das Hypos-Projekt: Ostdeutschlands Antwort auf die Speicherfrage Seite 4

Instrumentenbauer Warwick – Vorbild in punkto Klimaschutz Seite 6


2|

Sieben Baustellen, die gesichert werden müssen Netzausbau: Nach Angaben der Bundesregierung sind im vorigen Jahr nur 94 Kilometer neue Leitungen gebaut worden. Aus dem Gesetz zum Ausbau der Energieleitungen (Enlag) ergibt sich dagegen ein Neubaubedarf von 1877 Kilometern. „Über fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des Enlag sind nicht einmal ein Viertel der geplanten Leitungen gebaut“, sagt Grünen-Politiker Oliver Krischer. Netzentgelte: In den fünf neuen Ländern liegen die Netzentgelte schon heute mit etwa acht Cent pro Kilowattstunde rund zwei Cent höher als im Westen. Am billigsten war es 2013 in Düsseldorf: 4,0 Cent pro Kilowattstunde. Leipziger zahlten 8,1 Cent, an der Spitze lagen Potsdam-Mittelmark und Havelland mit 9,5 Cent. Bei einem durchschnittlichen Haushaltsverbrauch zahlen Kunden in den Ost-Ländern jährlich 70 Euro mehr als im Westen. Kosten: Der Bundesrechnungshof kritisiert nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung die Energiewende. Bis heute habe die Bundesregierung „keinen hinreichenden Überblick über die finanziellen Auswirkungen der Energiewende“. Die Lasten für den Haushalt, inklusive aller möglichen Förderprogramme etwa für die Gebäudesanierung oder die Forschung, lägen „jährlich im zweistelligen Milliardenbereich“. Klimaziele: Trotz milliardenschwerer Ökostromförderung boomt Strom aus Braunkohle wie selten zuvor, weil der Preis für CO2-Verschmutzungsrechte im EU-Emissionshandel niedrig ist und seit 2012 neue Braunkohlekraftwerke hinzugekommen sind. Durch den Kohleboom steigt der deutsche CO2-Ausstoß. Unter den fünf europäischen Braunkohlekraftwerken mit dem höchsten Kohlendioxidausstoß haben vier ihren Sitz in Deutschland. Bis November will die Bundesregierung ein Paket beschließen, um die Ziele noch zu erreichen. Die Treibhausgase sollen bis 2030 gegenüber 1990 um mindestens 40 Prozent sinken.

ENERGIE REPORT

MITTWOCH, 3. SEPTEMBER 2014 | NR. 205

Der Mix macht’s: Die Bundesländer und ihre Stromquellen S

chleswig-Holstein ist klein, macht in der Energiepolitik aber viel Wind. Betrachtet man die EEG-Umlage als grünen Länderfinanzausgleich, ist der Norden nach Bayern zweitgrößtes Nehmerland, vor den ähnlich aufgestellten Ost-Ländern Brandenburg, SachsenAnhalt und Mecklenburg-Vorpommern – aber mit konträren Interessen zu Bayern. Der Freistaat ist keineswegs gegen die Energiewende als solche, nur gegen den Ausbau der Windkraft. Stattdessen setzt das Flächenland auf heimische Quellen, die vor allem die bayerischen Bauern anzapfen: Das Land ist bundesweit größter Erzeu-

Schleswig-Holstein

41 41

25

Deutschland 2012

16

24

18

Hamburg 2012

52 29 16 3 1

14 3 2

Bremen 2012 Steinkohle Erneuerbare Erdgas Sonstige

Niedersachsen

Steinkohle Erdgas Erneuerbare Sonstige

2009

71 7 6 16

73 4 9 14

Industrierabatte: Auch die Auseinandersetzungen zwischen Bundesregierung und EU sind noch nicht abgeschlossen. Denn es steht noch die Entscheidung über die seit 2012 geltenden sogenannten Industrierabatte aus, die das EEG gewährt. Viele Unternehmen mussten, im Gegensatz zu Privatleuten, nicht die volle Umlage zahlen. Das wurde insbesondere damit gerechtfertigt, dass die Firmen sonst im internationalen Wettbewerb nicht bestehen könnten. Allerdings hatte die EU-Kommission den Verdacht, dass diese Befreiungen auf unfaire Staatshilfen hinauslaufen und deshalb eine Untersuchung eingeleitet. Ergebnis könnte sein, dass die Unternehmen Geld nachzahlen müssen. Wettbewerb: Neben diesen Baustellen wird die Bundesregierung auch bald an das gerade erst verabschiedete EEG gehen müssen. Ab 2017 soll es keine festen Vergütungssätze für Ökostrom mehr geben. Stattdessen sollen benötigte Strommengen ausgeschrieben werden und der billigste Anbieter den Zuschlag bekommen. Für 2016 hat Gabriel deshalb bereits ein EEG 3.0 angekündigt.

24

zum Vergleich: Deutschland 2009

23

17

18

35 33 16 9 3 4

43 29 16 12

Stromquellen 2012 (in Prozent)

48 26 15 11

Erneuerbare Steinkohle Erdgas Sonstige 1

56 32 11

2009 52 28 18 2

2021

Brunsbüttel

23 46 16 10 3 3

Mecklenburg-Vorpommern

2009

Unterweser

Berlin

Kohle Erdgas Erneuerbare Sonstige

Krümmel

Emsland

2022

2012

2009

50 44 4 2

54 42 3 2

Brandenburg Braunkohle Erneuerbare Erdgas Sonstige

64

67 19 6 7

24 6 6

Grohnde

2021

Nordrhein-Westfalen

Stromquellen 2012 (in Prozent) 47

Braunkohle Steinkohle Erdgas Erneuerbare Sonstige

43 28 16 7 6

29 10 8 6

Sachsen-Anhalt Erneuerbare Braunkohle Erdgas Sonstige

44 30 20

7

35 35 24 7

Hessen Steinkohle Erdgas Erneuerbare Atom Sonstige

32 31 27

39 20 16 17 7

0 10

Grafenrheinfeld

Neckarwestheim 1

Philippsburg 2 58 34

8

Braunkohle Erneuerbare Erdgas Sonstige

Philippsburg 1

Rheinland-Pfalz Erdgas Erneuerbare Sonstige

Sachsen

2015

Biblis A / B

2019

69 25 5

Neckarwestheim 2

Steinkohle Erneuerbare Erdgas Sonstige

Thüringen

B 2017 / C 2021 76

11 3

10

80 6 6 6

Kernkraftwerk am Netz, Jahr der Abschaltung 38

28 25 4 5

52 23 16 5 4

Erneuerbare Erdgas Sonstige

26 24

50 43 31 27

Abschied von der Kernkraft

Baden-Württemberg Atom Steinkohle Erneuerbare Erdgas Sonstige

3

80 9 9 3

Isar 2

2022

Saarland

77 12 8

Isar 1

2022

Gundremmingen

Kapazitätsmarkt: Auf der Agenda Sigmar Gabriels steht die Einführung sogenannter Kapazitätsmärkte. Darüber werden konventionelle Kraftwerksbetreiber neben dem Verkauf von Strom auch dafür bezahlt, Kilowattstunden als Reserve bereitzuhalten. Bis zum Herbst will die Bundesregierung ein „Grünbuch“ mit den Vor- und Nachteilen verschiedener Optionen erarbeiten; bis Mitte kommenden Jahres soll ein „Weißbuch“ mit konkreten Maßnahmen fertig sein. Mithilfe von Kapazitätsmärkten könnte die Regierung gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Sie könnten den kriselnden fossilen Kraftwerken helfen und das große Problem der Versorgungssicherheit angehen. Doch die Idee hat mindestens einen großen Haken: Neben der EEG-Umlage für Ökostrom könnte ein weiterer großer Subventionstopf für konventionelle Energieerzeuger entstehen – für den wieder der Steuerzahler geradestehen müsste. Davor warnt etwa das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Die Kosten für die Schaffung eines Kapazitätsmarkts könnten bis zu drei Milliarden Euro im Jahr 2020 betragen.

13

Braunkohle Erneuerbare Steinkohle Atom Erdgas Sonstige

Brokdorf

Stromquellen 2012 (in Prozent) Erneuerbare Atom Steinkohle Erdgas Braunkohle Sonstige

12

5

Stromquellen (in Prozent)

2009

Stromquellen 2012 (in Prozent) Atom Erneuerbare Steinkohle Erdgas Sonstige

ger von Strom aus Biomasse und in der Solarenergie. Brandenburg und Sachsen setzen dagegen auf Kohle. Rund 3000 Arbeitsplätze hängen allein an der Förderung. Windkraft macht in Sachsen nur fünf Prozent der Stromerzeugung aus. Mangelnde lokale Akzeptanz der Windräder ist ein Argument gegen des Ausbau. Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP): „Die Bürger wollen die Landschaft nicht verschandelt haben.“ Thüringen hat einen noch höheren Biomasseanteil als Bayern – und als Besonderheit einen Viertel Wasserkraft im Strommix.

5

Kernkraftwerk 2011 abgeschaltet

Bayern Atom Erneuerbare Erdgas Sonstige

46 33 7

13

57 24 11 9

Quelle: Umweltbundesamt, Statistisches Bundesamt, Bundesamt für Strahlenschutz / Grafik: Patrick Moye

„Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ Nachbessern, Nachjustieren, Neuverpacken – das EEG wird Schritt für Schritt weiterentwickelt, sagt Staatssekretärin Iris Gleicke Ostdeutschland ist bei der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien führend und damit Vorreiter bei der Umsetzung der Energiewende, was nach Ansicht Iris Gleickes (SPD) mit bedeutenden Beschäftigungschancen verbunden ist. „Wirtschaftliche Perspektiven eröffnen sich für den Industriestandort Ostdeutschland gerade in den Bereichen Maschinen- und Anlagenbau, neue Speichertechnologien, der Steuerung von Energienetzen oder im Bereich Energieeffizienz“, sagt die parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie und Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer im Interview. Der ehemalige Thüringer Wirtschaftsminister Matthias Machnig sieht in den hohen Netzentgelten eine Benachteiligung des Wirtschaftsstandorts Ostdeutschland. Die Durchleitungsgebühren liegen in den neuen Ländern – vor allem in Sachsen und Brandenburg – teilweise um 50 Prozent über denen im Westen.

Daraus resultieren höhere Strompreise, durch die Unternehmen und Verbraucher in Ostdeutschland überdurchschnittlich belastet werden. Machnig forderte daher eine bundesweite Umlage der Netzgebühren. Wie werten Sie als Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Länder und den Mittelstand den Standortnachteil Ost? Die Entwicklung der Stromkosten und die höheren Netzentgelte in Ostdeutschland sind hier zweifelsfrei zwei zentrale Themen. Bei der Höhe der Netzentgelte ist zu berücksichtigen, dass hohe Netzentgelte nicht allein durch den Zubau erneuerbarer Energien entstehen, sondern durch viele Faktoren verursacht werden. In Ostdeutschland kommen viele dieser mit Blick auf die Höhe der Netzentgelte eher nachteiligen Faktoren zusammen. Hierzu zählen etwa hohe Investitionen in die Netzinfrastruktur in den vergangenen Jahren oder die Tatsache, dass in einigen ländlichen Regionen sich die Kosten auf verhältnismäßig wenige Endkunden verteilen und so zu einer stärkeren Kostenbelastung des Ein-

„Bei der Gestaltung des künftigen Strommarktdesigns geht es nicht um Überlebensstrategien für Kraftwerke.“ Iris Gleicke, Staatssekretärin

zelnen führen. Um den Umbau des Energieversorgungssystems möglichst ausgewogen und gerecht zu gestalten, müssen unverhältnismäßige Belastungen einzelner Regionen oder Verbrauchergruppen vermieden werden. Vor diesem Hintergrund wird das Bundeswirtschaftsministerium die Netzentgeltsystematik untersuchen und prüfen, ob diese beim fortschreitenden Umbau des Energieversorgungssystems noch zeitgemäß ist. Sie sind im Aufsichtsrat der Deutschen Energie-Agentur GmbH (dena). DenaChef Stephan Kohler geht die EEG-Novelle Ihres Chefs Sigmar Gabriel, die am 1. August in Kraft getreten ist, nicht weit genug. Seiner Meinung nach solle das bisherige System der staatlichen Abnahmeverpflichtung für Ökostrom abgeschafft werden. Vielmehr sollten die benötigten Ökostrommengen ausgeschrieben werden. So müssten sich die Betreiber von Ökostromanlagen ihre Kunden zukünftig selbst suchen und könnten nur dort Anlagen errichten, wo auch Stromnetze vorhanden sind. Eine gute Idee? Das reformierte EEG ist ein wichtiger Meilenstein für den Neustart der Energiewende. Wir setzen den Ausbau der Erneuerbaren berechenbar fort und machen sie zugleich marktfähiger. Gleichzeitig stellen wir sicher, dass stromintensive Unternehmen in Deutschland wettbewerbsfähig bleiben. So erhalten wir unsere industrielle Wertschöpfung samt Arbeitsplätzen in Deutschland. Das ist ein großer Erfolg! Und außerdem: Das reformierte Erneuerbare-Energien-Gesetz bereitet bereits heute den Weg für die Umstellung der Förderung für er-

neuerbare Energien auf Ausschreibungen. Aber wir müssen hier schrittweise vorgehen, um allen Beteiligten hinreichend Zeit für die Umstellung einzuräumen. In einem ersten Schritt soll daher die Förderhöhe für Strom aus Photovoltaik-Freiflächenanlagen wettbewerblich über Ausschreibungen ermittelt werden. Immer wieder wird die Einführung von Kapazitätsmärkten für die Wichtigkeit unsere Versorgungssicherheit propagiert. Dabei würden die Energieversorger allein dafür bezahlt werden, dass sie effiziente konventionelle Kraftwerke bereithalten. So könnten diese im Notfall einspringen, wenn die Stromnachfrage mit den schwankenden erneuerbaren Energien oder aufgrund mangelnder Netze nicht gedeckt werden kann. Torpediert das nicht die Interessen der ostdeutschen Kohlekraftwerks-Betreiber? Nein, hier möchte ich einen wichtigen Punkt klarstellen und das hat auch Bundeswirtschaftsminister Gabriel in den vergangenen Wochen wiederholt getan: Bei der Gestaltung des künftigen Strommarktdesigns geht es nicht um Überlebensgarantien für Kraftwerke. Es geht darum, wie wir im künftigen Strommarkt bei einem wachsenden Anteil erneuerbarer Energien einen effizienten Kraftwerkseinsatz und zugleich Versorgungssicherheit gewährleisten. Das ist keine leichte Aufgabe und hier muss Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen. Wir haben in der „Zehn-Punkte-Energie-Agenda“ die nächsten Schritte dargelegt und werden hier in der Plattform Strommarkt einen transparenten und ergebnisoffenen Diskussionsprozess führen.

Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht wehrt sich mit Händen und Füßen gegen den Verlauf der Stromtrasse Süd-Ost, die ab 2020 mit einer Spannung von 500 Kilovolt auch durch Ostthüringen führen soll. „Eine Trassenführung, die irgendwo noch im Bereich des Wirtschaftlichen liegt“, aber an Thüringen vorbei führe, könne er sich nur schwer vorstellen, sagt Sigmar Gabriel. Sie sind Thüringerin. Blutet Ihnen angesichts dieses Interessenkonfliktes das Herz? Der Netzausbau ist die Achillesferse der Energiewende. Klar ist: Wir brauchen deutliche Fortschritte beim Netzausbau. Denn der vor allem im Norden und Osten produzierte Windstrom muss zu den Verbrauchsschwerpunkten nach Süden und Westen transportiert werden. Und fest steht auch, dass jedes einzelne Netzausbauprojekt ein sehr komplexer Prozess ist. Das gilt sowohl für die Fragen der technischen Netzausbauplanung als auch für die Akzeptanzfrage. Wir haben in den vergangenen Jahren ganz bewusst die Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger auf allen Ebenen der Netzausbauplanung erweitert und hierfür die notwendigen Verfahren geschaffen. Die Menschen wollen zu Recht bei diesen zentralen Fragen beteiligt werden, das stellen wir sicher und setzen uns damit auch kontinuierlich auseinander. Daher werden die verschiedenen Stellungnahmen im Fall der Gleichstrompassage Süd-Ost im laufenden Konsultationsverfahren gerade ausgewertet und berechnet. Diese Ergebnisse müssen wir abwarten. Ich bin aber überzeugt, dass für die Gleichstrompassage Süd-Ost hier eine gute Lösung gefunden wird.


ENERGIE REPORT

NR. 205 | MITTWOCH, 3. SEPTEMBER 2014

Unwetterartig entladen sich die Reaktionen auf die EEG-Novelle von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Der Gegenwind ist rau und unerbittlich. Chaotisch, ungerecht, perspektivlos, unbezahlbar: Mit diesen Attributen wird die Energiewende kommentiert. Gabriels Versuch, es allen recht zu machen, ist aussichtslos. Er dreht zwar sein Kreuz in den Sturm. Wohin es ihn weht, ist allerdings ungewiss.

Mut zu Neuanfang

Foto: dpa

„Zurzeit ist der Anreiz, in Speicher zu investieren, nicht sehr groß“, sagt Frank Büchner, Leiter der Region Ost von Siemens. Doch er sei zuversichtlich, dass sich das bald ändert. „Sowie die Nachfrage anspringt, stehen wir in den Startlöchern.“ Gut aufgestellt sieht der Manager das Siemens-Werk im Leipziger Ortsteil Böhlitz-Ehrenberg, das sich auf NiederspannungsSchaltanlagen spezialisiert hat sowie das Turbinenwerk im Leipziger Stadtteil Plagwitz. Das Frank Büchner Unternehmen hat in Sachsen acht Werke und drei Niederlassungen. In und um Chemnitz sind insgesamt 3400 Mitarbeiter beschäftigt, in Leipzig 1100. Das Geschäftsmodell der vier deutschen Schwergewichte Eon, RWE, EnBW und Vattenfall ist dagegen heftig ins Wanken geraten. Rund ein Viertel des Stroms wird hierzulande inzwischen mit Wind, Sonne und Biomasse erzeugt, ohne dass konventionelle Kraftwerke im selben Takt vom Markt gingen. Das sich daraus ergebende Überangebot ließ die Börsenpreise abstürzen. 62 Prozent Rückgang beim Nettoergebnis meldete RWE Mitte August. 20 Prozent Gewinnminus sind es beim Marktführer Eon. Beide Konzerne haben um die 30 Milliarden Euro Schulden. Die deutsche Nummer drei, EnBW, ist durch Abschreibungen auf ihre Kraftwerke tief in die roten Zahlen gerutscht. Dasselbe gilt für Vattenfall im zweiten Quartal. Die Schweden ächzen unter hohen Rückstellungen für den Kernkraftwerks-Rückbau in Deutschland – eine Mammutaufgabe der ganzen Branche. Die Versorger müssen ganz neu anfangen – und gehen einen steinigen Weg. Zwar stecken sie einen Großteil ihrer viel knapper gewordenen Investitionsmittel nun in erneuerbare Energien, vor allem Windparks. Offshore-Windparks sind allerdings so kapitalintensiv, dass oft auch die Großen sie nicht mehr allein stemmen können. Wenn die Versorger nur noch kleinere Anteile in Form von Joint Ventures übernehmen oder ihre Engagements nach dem Bau der teuren Anlagen gleich weiterverkaufen, bleibt aber natürlich auch deutlich weniger Gewinn bei ihnen hängen. Eine Entlohnung für das Bereithalten von konventionellen Kraftwerken müsse kommen, fordert die Branche – assistiert von der Gewerkschaft Verdi, die um tausende Jobs bangt.

|

3

Die Zeichen stehen auf Sturm Als im Frühjahr Bundeskanzlerin Angela Merkel plant. Je früher der Einstieg in den Systemwechsel (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel kommt, desto besser. (SPD) nach dem Energiegipfel mit den MinisterpräsiDas war auch Konsens auf einer Podiumsdiskussidenten vor die Presse traten, herrschte eitel Freude on an der Universität Leipzig im Mai: Die Reform des und Sonnenschein. „Ein hohes Maß an Einigkeit“ sei Erneuerbare-Energien-Gesetzes war das Thema, und erreicht, erklärte die gelöst wirkende Regierungs- die Mehrheit der Teilnehmer sparte nicht mit Kritik. chefin. Von einem „ersten großen Schritt zur Absi- Etwa Hartmut Bunsen, Präsident des Unternehmercherung der Energiewende“, sprach Gabriel. Sein verbands Sachsen: „Was Gabriel jetzt erfunden hat, Parteifreund, der Erste Hamburger Bürgermeister da steht vom Mittelstand gar nichts drin, da steht nur Olaf Scholz, sah gar einen „Meilenstein“ erreicht. über die Großen drin. Aber wo sind denn die meisten „Der Ausbau der Windkraft kommt voran – gleichzei- Arbeitsplätze? Die sind im Mittelstand. Und der Mittig gelingt es, die Kostendynamik bei den Stromprei- telstand muss diese Kosten tragen.“ sen zu brechen und die EEG-Umlage zu stabilisieSeit dem 1. August ist die Gesetzesnovelle nun in ren“, sagte er. Kraft. Sie soll den Anstieg der EEG-Umlage bremsen Die gelöste Heiterkeit der Gipfelteilnehmer er- und zugleich dafür sorgen, dass bis 2035 der Anteil weckte den Anschein, als sei der Politik die Quadra- von Ökostrom an der Energieversorgung auf bis zu tur des Kreises gelungen: die Rettung der 60 Prozent steigt. Energiewende und des Wirtschaftsstandorts DeutschFür die SPD ist das EEG zwar eine Erfolgsgeland quasi in einem Aufwasch. Aus Sicht der Regie- schichte. Die Reform sei trotzdem bitter nötig gewerungschefin geht es nach dem Bund-Länder-Kompro- sen: „Nach vier Jahren Stillstand und ständig steigenmiss offenbar nur noch um kleinliche Details, um die den Energiepreisen unter Schwarz-Gelb im Bund sich jetzt die nachgeordnete Ebene kümmern könne. brauchte die Energiewende einen Neustart“, sagt „Viel Kraft für die weitere Arbeit“, wünschte Merkel Dirk Panter, energiepolitischer Sprecher der SPDnach dem Gipfel Gabriels Staatssekretär Rainer Baa- Fraktion im sächsischen Landtag. „Ziel ist, die Stromke: „Das ist ja noch jede Menge Fitzelkram.“ preise zu stabilisieren, die Kosten gerechter zu verteiOb es bei der Gestaltung der Energiewende nur len, die Marktintegration der erneuerbaren Energien noch um Fitzelkram geht, oder ob voranzubringen und gleichzeitig die noch grundlegende WeichenstellunWettbewerbsfähigkeit der Industrie gen nötig sind – darüber gehen die zu erhalten.“ Kein Wunder, dass Ansichten von Politik und Wirtschaft Torsten Herbst, wirtschaftspolitiweltweit kein einziges scher Sprecher der FDP-Landtagsweit auseinander. Nach dem BundLänder-Gipfel zeigen sich führende Land dem deutschen fraktion, hält das für „chaotisch“. Es Manager enttäuscht, zum Teil sogar sei kein Wunder, dass weltweit kein Beispiel folgt. erbost über den Kompromiss. „Eineinziges Land dem deutschen Beizelne Bundesländer dürfen die Enerspiel folge. „Die von Union und SPD Torsten Herbst, giewende nicht wie auf einem Basar beschlossenen kosmetischen KorrekFDP-Landtagsfraktion zur Verteidigung von Pfründen für turen des EEG können den StromBiomasse bis Windkraft missbraupreisanstieg maximal verlangsamen, chen“, heißt es in einem Aufruf des sie werden ihn aber nicht stoppen. Wirtschaftsrats der CDU, den die Die Subventionsspirale dreht sich Welt am Sonntag veröffentlichte. weiter: Einige wenige AnlagenbesitDerweil steigen die Energiewendekosten weiter. zer kassieren, während die Stromverbraucher bezahSelbst wenn die EEG-Umlage im kommenden Jahr len.“ Die einzige wirkliche Lösung für Herbst: „Hin aufgrund von Sondereffekten mal kurz sinken sollte: zu echter Marktwirtschaft mit einem funktionierenSolange keine Ökostrom-Technologie in der Lage ist, den Wettbewerb der Energieträger.“ zum aktuellen Großhandelspreis von unter vier Cent Auch Georg-Ludwig von Breitenbuch, energiepopro Kilowattstunde wirtschaftlich zu produzieren, so- litischer Sprecher der sächsischen CDU, hält die Relange werden erneuerbare Energie in Deutschland form für zu kurz gedacht. „Der Zubau an erneuerbaauf Subventionen angewiesen bleiben. Und das wird ren Energien wird auch mit der Reform nicht so stark noch lange der Fall sein. eingedämmt wie notwendig und der Netzausbau wird Gabriels EEG-Reform kann und will deshalb auch viel zu wenig forciert. Hinzu kommt, dass die wichtinur verhindern, dass es weiter zu den ganz großen ge Frage der Energiespeicherung noch immer völlig Kostensprüngen kommt. Den Aufwärtstrend selbst unklar bleibt. Dafür, dass der Ausstiegstermin aus der kann er so nicht aufhalten, geschweige denn umdre- Kernenergie für 2022 feststeht, kann ich bisher weder hen. Die Umstellung der Ökostrom-Förderung auf ein Machbarkeit noch Bezahlbarkeit erkennen.“ Weiter kostenminimierendes System von Ausschreibungen, kritisiert von Breitenbuch, dass die Sicherung der Wettbewerb und Bieterverfahren ist alternativlos. Es Grundlast mittels Kohle im reformierten Gesetz noch ist daher begrüßenswert, wenn die Regierungsfrak- immer keine Perspektive erhalte – obwohl sie für eine tionen jetzt darin übereingekommen sind, die Pflicht wirtschaftliche Energiegewinnung notwendig sei. zur Direktvermarktung von Ökostrom bereits 2016 Das sieht Antje Hermenau anders. „Klimaschädliund damit ein Jahr früher einzuführen als bislang ge- che Kohlekraftwerke drohen länger als nötig am Netz

Alles andere als tiefenentspannt Streit ums Fracking spaltet Bundesländer Deutschland deckt zwölf Prozent seines gerstätten wie Sandsteinen Erdöl und Bedarfs an Erdgas aus eigenen Vorkom- Erdgas gefördert. Auch dabei kommt die men. Ein Drittel davon kommt aus La- Fracking-Technologie zum Einsatz. Es gerstätten, die durch Fracking zugäng- werden jedoch andere Wasser-Chemikalich gemacht wurden. Exxon-Mobil hat lien-Gemische verwendet als im Schie1961 die Technik hierzulande erstmals fergestein. Hinzu kommt, dass in großen eingesetzt. Seitdem hat man gut Tiefen kein nutzbares Grundwasser la300 Fracks realisiert, in zum Teil mehr gert und damit, wie es in einem Eckals 5000 Meter Tiefe. Stets ging es da- punktepapier des Umweltbundesamts rum, konventionellem Erdgas den Weg heißt, „keine Gefahr für die Gesundheit aus dem Gestein zu weisen. und das Trinkwasser“ bestehe. Diese Seit 2011 wird in Deutschland aller- Variante des Frackings, die in Deutschdings nicht mehr gefrackt. Es herrscht land bereits seit den 60er-Jahren genutzt faktisch Stillstand. Das Fracking erzeugt wird, soll daher auch weiterhin möglich einen Widerstand, der seinesgleichen sein. sucht. Die Meinungsforscher von Emnid Für die Präsidentin des Umweltbunveröffentlichten im Mai 2013 eine Um- desamts, Maria Krautzberger, ist die Safrage, derzufolge zwei Drittel der Bun- che klar: Fracking sollte es in Deutschdesbürger ein Frackingland am besten gar nicht verbot unterstützen würden. geben. Zu unkalkulierbar Die Skepsis gegenüber seien die Risiken für die der Technologie ist groß. Menschen und die Umwelt. Beim Fracking wird ein Ge„Grundsätzlich halten wir misch aus Wasser und Chedie Gefahren dieser Technik mikalien unter hohem Druck für zu groß“, sagte Krautzin den Boden gepresst. So berger gegenüber der Welt. entstehen Risse im Gestein, Niedersachsen ist bei durch die Erdgas gefördert der Erdgasförderung in werden kann. Die BundesDeutschland mit weitem regierung will nun das FraAbstand führend: 95 Pro„Anders als die cking zur Gasförderung aus zent des deutschen ErdgaUSA ist unser Tiefen oberhalb von 3000 ses stammen aus dem Land. Metern verbieten. In diesem Land kleinräumig Für Niedersachsen hat die Bereich befinden sich zuErdgasförderung hohe wirtstrukturiert und mindest in Deutschland jene schaftliche Bedeutung. Die dicht besiedelt. Schiefergesteine – sogeFörderabgabe bringt dem nannte unkonventionelle Land derzeit Einnahmen Schon deswegen Lagerstätten –, die auch die von gut 600 Millionen Euro halte ich eine USA derzeit in großem Stil im Jahr. Zum Vergleich: Der umweltverfürs Fracking nutzen. Da 20-Prozent-Anteil des Lanträgliche diese Tiefen auch von des am Volkswagen-KonGrundwasserleitern durchzern spülte zuletzt nur 200 kommerzielle zogen sind, aus deMillionen in die Kasse. Die Anwendung der nen Trinkwasser gewonnen Förderabgabe könnte dem Frackingwird, besteht das Risiko von Land noch lange erhalten Verunreinigungen. BundesTechnologie bei bleiben: Nach Berechnunumweltministerin Barbara gen der Branche lässt sich uns für Hendricks und Bundeswirtderzeitige Fördermenge Wunschdenken.“ die schaftsminister Sigmar Gamittels Tight-Gas-Fracking briel (beide SPD) haben danoch für 100 Jahre sichern. Barbara Hendricks (SPD), her in einem gemeinsamen Landeswirtschaftsminister Bundesumweltministerin Eckpunktepapier für die ReOlaf Lies (SPD) kündigte an, gelung von Fracking Andie Gasförderung in fang Juli angekündigt, das Wasserhaus- Deutschland auf eine neue Grundlage haltsgesetz entsprechend ändern zu wol- stellen zu wollen. „Ich bin zuversichtlen. lich, dass wir bis zum Herbst einen neuAnders sieht es dagegen mit dem Fra- en Rechtsrahmen haben“, sagte der Micking unterhalb der 3000-Meter-Grenze nister gegenüber dem Handelsblatt. Es aus. Aus diesen Tiefen werden in könne nicht sein, dass Bundesländer, in Deutschland vor allem in Niedersachsen denen die Erdgasförderung keine Rolle aus sogenannten konventionellen La- spiele, die Regeln aufstellten.

gehalten zu werden“, sagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende im sächsischen Landtag. „Mit der EEG-Reform versucht die schwarz-rote Bundesregierung den großen Energiekonzernen beizuspringen. Bürgerkraftwerke werden hingegen durch Ausschreibungen und Direktvermarktungspflichten erschwert, dezentraler kleiner Eigenverbrauch wird mit Abgaben belegt. Doch so wird die Energiewende ausgebremst.“ Vollends bedient ist Jana Pinka, umwelt- und technologiepolitische Sprecherin der Linken in Dresden. „Zum einen sind da die Abstandsregelungen für Windkraftanlagen – die lehne ich rundheraus ab. Zum Zweiten ist Geothermie im EEG komplett vernachlässigt, und zum Dritten: Es gibt keinerlei Perspektive, dass die Energiepreise sinken werden. Aus Sachsen ist bei dieser starken Braunkohlelobby aber auch nichts anderes zu erwarten.“ Die sächsische Landesregierung hat sich mehrfach zu einem Energiemix bekannt, in dem die heimische Braunkohle in den kommenden Jahrzehnten einen großen Anteil behalten soll. Die Vereinigung zur Förderung der Nutzung Erneuerbarer Energien (VEE) in Dresden fordert eine Abkehr von dieser Strategie. „Die Politik will es allen recht machen“, sagt VEE-Präsident Wolfgang Daniels. „Aber es fehlt der Mut und die Weitsicht, das durchzuziehen, was Deutschland auch international Ansehen verschaffen würde, nämlich die Bremsen für die erneuerbaren Energien zu beseitigen. Die Anforderungen an kleine Unternehmen und Privatpersonen sind zu groß, damit werden Bürgerprojekte unwirtschaftlich.“ Die Energiewende im Sinne der Bürger sei damit abgestorben.

Ein Mann, viele Worte: Sigmar Gabriel. Foto: dpa

Anzeige


4|

ENERGIE REPORT

MITTWOCH, 3. SEPTEMBER 2014 | NR. 205

Wasserstoff ist das häufigste und leichteste chemische Element des Universums. Foto: Hypos

Das Hypos-Projekt erkundet Möglichkeiten, überschüssige Energie in Wasserstoff zu speichern

„Es ist gelungen, ein gesamt-ostdeutsches Konsortium zu schmieden.“ Jörn-Heinrich Tobaben, Geschäftsführer

„Eine Revolution für Mitteldeutschland“ Es ist eines der größten Probleme beim Ausbau der erneuerbaren Energien – und es soll in Mitteldeutschland gelöst werden: Weil Wind- und Solarkraftanlagen stark wetterabhängig sind, gibt es Phasen des Stromüberschusses. Diese Energie für Stromflauten zu speichern, ist derzeit noch unwirtschaftlich. Das Hypos-Projekt, eine Wissenschafts-Wirtschafts-Kooperation unter Federführung der Metropolregion Mitteldeutschland, des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugtechnik aus Halle und des Clusters Chemie/Kunststoffe Mitteldeutschland, will dieses Problem lösen. Die Idee ist in ihrer Umsetzung hochkomplex, aber zugleich sehr einfach: Überschüssiger Strom aus erneuerbaren Energien wird per Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt, der anschließend in unterirdischen Hohlräumen, sogenannten Kavernen, gespeichert wird. Je nach Bedarf kann dieser Wasserstoff in die Gas-Infrastruktur eingespeist werden und der chemischen Industrie zur Verfügung stehen – oder auch an der nächsten Wasserstoff-Tankstelle gezapft werden. Das Hypos-Vorhaben wird von Bundesforschungsministerin Johanna Wan-

ka (CDU) im Rahmen des Förderprogramms „Zwanzig20“ protegiert. Durch diese „Partnerschaft für Innovation“ erhalten zehn ostdeutsche Innovationsprojekte Zuschüsse von insgesamt 500 Millionen Euro.

Erfolgsmesser: der Wirkungsgrad Hypos hat einen Zuschlag von bis zu 45 Millionen Euro erhalten – eine gewaltige Summe, die durch die länderübergreifende Plattform Metropolregion Mitteldeutschland auf die derzeit knapp 100 Projektpartner aufgeteilt wird. „Mit dem Projekt ist es erstmals gelungen, ein gesamtostdeutsches Konsortium zu schmieden“, sagt Jörn-Heinrich Tobaben, Geschäftsführer der Metropolregion. „Von dem riesigen Fördervolumen profitieren ausschließlich die Projektpartner, die forschenden Unternehmer.“ Wirtschaft, Chemie und Anlagenbau seien schon zur Blütezeit des mitteldeutschen Industriereviers in den zwanziger Jahren die tragenden Säulen gewesen, erklärt Tobaben. „Daran will Hypos anknüpfen.“ Der große Vorteil des Chemiedreiecks um die Städte Halle, Merseburg und Bit-

Anzeige

Gewinne können auch wachsen, ohne dass die Natur eingeht.

Wie, weiß die

wirtschaft-bewegen.de/innovation-umwelt

Erstansprechpartner für Unternehmen zu Innovation und Umwelt:  Einstiegsberatung und Information zu betrieblicher Energieeffizienz, erneuerbaren Energien, verfügbaren Förderungen und Finanzierungshilfen  Unterstützung bei allen abfall- und wasserrechtlichen Fragestellungen  Vermittlung von Beratern und Sachverständigen  Förderung des Technologietransfers zwischen Wissenschaft und Wirtschaft  Interessenvertretung der Unternehmen bei innovations-, energie- und umweltpolitischen Themen Weitere Informationen unter www.leipzig.ihk.de

terfeld ist die vorzügliche Infrastruktur: Entlang der Autobahn 9 verläuft das mit 150 Kilometern zweitlängste Wasserstoff-Pipelinenetz Deutschlands, bei Bad Lauchstädt besteht bereits ein ErdgasUntergrundspeicher. Gleichsam historisch bedingt ist die Region in der Wasserstofftechnik kompetent aufgestellt. Das alles sind wichtige Faktoren für den Erfolg des Hypos-Projekts, denn es gibt noch einiges zu tun: „Wir sind, was die technologische und vor allem auch die wirtschaftliche Nutzung angeht, noch ein paar Jahre davon entfernt, aber umso wichtiger ist es, dass das Projekt beginnt“, sagte Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) bei einem Besuch in der Salzkaverne Teutschenthal bei Bad Lauchstädt. Die größte Herausforderung ist der Wirkungsgrad, der aktuell bei nur 30 Prozent liegt – 70 Prozent der anfangs aufgewendeten Energie gehen also im Prozess verloren. „Wir wollen zeigen, dass die gesamte Wertschöpfungskette wirtschaftlich und bezahlbar ist“, sagt Prof. Dr. Michael Kubessa von der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK), einem der Projektpartner. „Die Rahmenbedingungen hier

in Mitteldeutschland sind ideal. Das ist wirklich ein Projekt für die Zukunft.“ Bis 2020 will das Konsortium wirtschaftliche Lösungen erarbeiten. Um die werkstoffwissenschaftlichen Feinheiten kümmert sich dabei das Fraunhofer-Institut in Halle. „Da Wasserstoff in Salzkavernen gespeichert und in Pipelines verteilt werden soll, müssen die Tank- und Rohrmaterialien für die neue Beanspruchung qualifiziert werden. Der Grund dafür ist, dass Vorschädigungen, die in Pipelines bei Erdgasbetrieb bedeutungslos sind, durch beigemischten Wasserstoff kritisch werden können“, erklärt Institutsleiter Prof. Dr. Ralf Wehrspohn.

Per Pipeline in den Speicher Wenn alles klappt, könnte es in der Praxis dann so aussehen: Aus überschüssigem Wind- oder Solarstrom wird mittels Elektrolyse, einem seit 200 Jahren bekannten Verfahren, Wasserstoff erzeugt. Per Pipeline wird der Wasserstoff in einen der unterirdischen Gasspeicher bei Bad Lauchstädt geleitet. Von dort könnte er bei Bedarf die wenigen Kilometer zur A9 gepumpt werden, wo in

Zukunft Autofahrer an einer Wasserstofftankstelle ihr Fahrzeug für die nächsten Kilometer Richtung Ostsee oder Alpen fitmachen könnten. Die Speicher bei Bad Lauchstädt gehören der VNG Gasspeicher GmbH. Dort wird aktuell diskutiert, eine neue Kaverne ausschließlich für Wasserstoff zu errichten. Das wäre in Deutschland einmalig. „Die VNG-Gruppe leistet damit im Rahmen von Hypos einen aktiven Beitrag zur Schaffung einer WasserstoffModellregion in Mitteldeutschland, welche die gesamte Wertschöpfungskette von Erzeugung, Transport und Speicherung bis zur Verwertung von grünem Wasserstoff abbildet. Dabei sollen gemeinsam mit Hypos-Partnern die einzigartigen infrastrukturellen Voraussetzungen in der Region genutzt und verknüpft werden“, erklärt Dr. Volker Busack, Geschäftsführer der VNG Gasspeicher GmbH und Vorstand des Fördervereins Hypos e.V. Für Jörn-Heinrich Tobaben ist das die eigentliche Revolution: „Die Infrastruktur ist schon seit langem vorhanden, die technischen Verfahren schon längst bekannt. Es bedarf nur einer zündenden Idee.“ Die scheint das Hypos-Projekt gefunden zu haben.

Öko-Strom bleibt Trumpf EnviaM-Chef Tim Hartmann sieht weiteren Reformbedarf für Energiemarkt Der Ausbau der erneuerbaren Energien erreicht neue Höchststände. Was die Windenergiebranche beflügelt, treibt die Betreiber von Gas- und Kohlekraftwerken in die Enge: Ihre Anlagen sind kaum noch profitabel. Gleichzeitig stoßen die Stromnetze an ihre Kapazitätsgrenzen. Eine verzwickte Gemengelage. Schwierige Zeiten also, in denen Tim Hartmann (45) als Nachfolger von Carl-Ernst Giesting zum 1. Juli den Vorstandsvorsitz beim ostdeutschen Regionalversorger EnviaM übernommen hat. Der Unternehmensverbund versorgt rund 1,4 Millionen Kunden mit Strom, Gas, Wärme und Energie-Dienstleistungen. Sigmar Gabriel sprach bei der Vorstellung seiner EEG-Reform in Berlin von einem „Neustart für die Energiewende“. Sehen Sie das auch so? Die EEG-Reform ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber kein großer Wurf. Die Marktintegration der erneuerbaren Energien muss sehr viel schneller kommen und weiter gehen. Der im Koalitionsvertrag vereinbarte Gleichklang von Netzausbau und Ausbau erneuerbarer Energien wurde vertagt. Dies ist gerade aus ostdeutscher Sicht kritisch, da hier der Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich schneller voranschreitet als in anderen Regionen Deutschlands. Gleichzeitig sind die Reserven im Netz weitgehend aufgebraucht. Auch an anderen Stellen besteht unverändert Handlungsbedarf. So brauchen wir beispielsweise eine neue Systematik für die Berechnung der Netzentgelte. Diese müssen weniger nach Verbrauch und stärker nach benötigter Anschlussleistung ermittelt werden. Gabriels Widersacher kritisieren unter anderem, dass die eigene Stromerzeugung von Industrie und Mittelstandsunternehmen auch dann mit einer hohen EEG-Umlage belastet werden soll, wenn sie in hocheffizienten und ökologisch vorbildlichen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen geschieht. Auch sein geplantes Auktionsmodell für Ökostrom-Kraftwerke, das den einzelnen Bürger und Genossenschaften von der Energiewende ausschließt, sorgt für Unmut. Bedeuten Gabriels Pläne das Aus für die Bürger-Energiewende? Nein. Die EEG-Reform wird den Wandel von Unternehmen und Bürgern vom Verbraucher zum Erzeuger nicht abwürgen, wohl aber verlangsamen. Das halte ich auch für richtig. Es hilft den

Zubau besser zu koordinieren. Es wird auf jeden Fall weiter in erneuerbare Energien investiert werden. Ein Auktionsmodell stellt aus meiner Sicht ein probates Mittel zur Einführung von Wettbewerb bezüglich der wirtschaftlichsten Projekte und Standorte dar. Viele Bundesländer wollen „ihre“ Ökoenergie stärker gepusht sehen, die Bayern zum Beispiel das Biogas, die Niedersachsen den Offshore-Wind. Das sind gerade die Teuermacher des Ökostroms. Ist die Gabriel-Linie da nicht doch die richtige? Es geht hier nicht um richtig oder falsch. Wir müssen die Energiewende als überregionale Aufgabe begreifen. Wir brauchen nicht 16, sondern eine Energiewende und diese im europäischen Kontext.

„Die EEG-Reform ist ein Schritt‚ in die richtige Richtung, aber kein großer Wurf.“ Tim Hartmann, Vorstandsvorsitzender EnviaM

Wie müsste aus ihrer Sicht ein Neustart der Ökostromförderung aussehen? Wir benötigen mehr Markt, das heißt eine stärkere Orientierung des Ausbaus der erneuerbaren Energien an der Nachfrage und mehr Wettbewerb um die besten Technologien. Zusätzlich sollten die Folgekosten einer jeweiligen Neuanlage auf das Netz stärker berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für die von allen Verbrauchern anschließend zu tragenden Kosten. Mit der EEG-Reform wollte Gabriel dafür sorgen, dass der Strompreis stabil bleibt. Wird ihm das gelingen? Allein die EEG-Umlage hat sich binnen zwei Jahren fast verdoppelt. Darunter leiden vor allem einkommensschwache Haushalte, von denen es in Ostdeutschland aufgrund der höheren Arbeitslosigkeit und geringeren Löhne deutlich mehr als in anderen Regionen gibt. Die Politik ist gefordert, hier sozialpolitisch gegenzusteuern. Dies gilt umso mehr, da die EEG-Reform den Anstieg der Endkundenpreise voraussichtlich allenfalls dämpfen wird. Künftig sollen die Industrierabatte nach

anderen Kriterien gewährt werden: Die Anteile des Stromverbrauchs und des Außenhandels an der Bruttowertschöpfung eines Unternehmens sollen ausschlaggebend sein. Was verändert sich dadurch? Durch die Neuregelung verschlechtert sich vor allem die Situation für die Unternehmen, die nicht mehr von der besonderen Ausgleichregelung profitieren. Trotz Härtefallklauseln und Übergangsvereinbarungen müssen sie sich auf steigende Stromkosten einstellen. Wir müssen uns jedoch im Klaren sein, dass die Energiewende nicht zum Nulltarif zu haben ist. Die Energiewende hat unter anderem das Ziel, unabhängiger von Energieimporten, eines Tages vielleicht sogar energieautark zu werden. Ein Vision, die wahr werden könnte? Dass wir eines Tages energieautark werden, ist eher unwahrscheinlich. Richtig ist jedoch, dass uns der Ausbau der erneuerbaren Energien hilft, Rohstoffimporte zu verringern. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass wir dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Neben neuen und intelligenten Netzen brauchen wir zum Beispiel auch neue Speicher, um sicherzustellen, dass uns der Strom aus erneuerbaren Energien jederzeit zur Verfügung steht. Wenn es nach den Liberalen geht, soll der Energiemarkt in Zukunft europäisch geregelt werden. Welche Reformschritte sind zuvor vonnöten? Das Bundeswirtschaftsministerium will noch in diesem Jahr einen nationalen Aktionsplan zum Thema Energieeffizienz vorlegen und ein neues Strommarktdesign vorstellen. Unstrittig ist, dass wir Energiepolitik nicht als nationale, sondern als europäische Aufgabe begreifen und die Energiewende sehr viel besser mit den EU-Mitgliedstaaten abstimmen müssen. Deutschland kann den Wandel der Energieversorgung nicht im Alleingang umsetzen. Zentrale Themen können nur auf europäischer Ebene behandelt werden. Dies betrifft die energie- und klimapolitischen Zielstellungen, die Harmonisierung der Fördermechanismen für erneuerbare Energien, den länderübergreifenden Netzausbau, sichere Investitionsbedingungen für konventionelle Kraftwerke und den Emissionshandel. Hier müssen europäische Lösungen Vorrang vor nationalen Interessen haben.


ENERGIE REPORT

NR. 205 | MITTWOCH, 3. SEPTEMBER 2014

|

5

Die Fallhöhe ist – nicht nur für das Wasser in Pumspeicherwerken wie hier in Wendefurth –, sondern auch für die Betreiber groß. Foto: dpa

Die Energiewende verhagelt PumpspeicherBetreibern das Geschäft / Vattenfall legt die geplante Erweiterung der größten sächsischen Anlage in Markersbach auf Eis

„2016 wird die gesamte Branche einen weiteren Gewinnrückgang erleiden, das ist garantiert.“ Tuomo Hatakka, Vorstandsvorsitzender

Energie auf Pump Weltweit ist Wasserkraft die am häufigsten genutzte regenerative Energie. In Deutschland rangiert sie mit einem Anteil von 15 Prozent innerhalb der Erneuerbaren nur auf Platz vier – hinter Windkraft (35 Prozent), Biomasse (27 Prozent) und Photovoltaik (18 Prozent). Doch das Potenzial ist hierzulande noch nicht ausgeschöpft. Der Bundesverband Deutscher Wasserkraftwerke rechnet bis 2030 mit einer Steigerung der Stromproduktion aus Wasserkraft von 21 756 (2012) auf 31 000 Millionen Kilowattstunden. Ein hehres Ziel, das momentan in punkto Wirtschaftlichkeit torpediert wird. Eine Hauptrolle war den Pumpspeicherkraftwerken in der Energiewende zugedacht worden: Sie sollten den überschüssigen Strom aus Sonnen- und Windenergie speichern und ihn dann auf den Markt werfen, wenn er gebraucht würde. Theoretisch sollten die Pumpspeicher als grüne Batterie die erneuerbaren Energien von ihrer Schattenseite entlasten – ihrer Unstetigkeit und Zufälligkeit. Die Praxis sieht so aus: Energiekonzerne wie RWE und EnBW verabschieden sich vom Geschäftsmodell Pumpspeicherkraft. Nicht die Bürgerpro-

teste schrecken sie ab, sondern die wirtschaftlichen Perspektiven. Das hat die Regierung jetzt auch schriftlich: Nach Recherchen der FAZ kommen noch unveröffentlichte Gutachten für das Wirtschaftsministerium zu dem Schluss, dass Pumpspeicher zwar wichtig, auf Sicht aber nicht wirtschaftlich zu betreiben seien. Die wirtschaftliche Situation für neue Pumpspeicherkraftwerke sei „mittel- und langfristig mit großen Unwägbarkeiten behaftet“. Bestehende Anlagen dürften geringe Renditen erzielen, sogar eine „vorübergehende Stilllegung von Anlagen“ sei möglich, stellen die Gutachter fest. Grund für die schwindende Wirtschaftlichkeit der Pumpspeicherkraftwerke ist die Energiewende. Denn mit Hunderttausenden Kleinstkraftwerken, die Wind- und Sonnenergie nutzen, ist ein Überangebot an Elektrizität entstanden, das andere Erzeuger aus dem Markt drängt. Nachfragespitzen in der Mittagszeit werden weitgehend durch die Photovoltaik abgedeckt. Da der eigens geförderte Ökostrom an der Börse nichts kostet, verdrängt er teurere Erzeuger.

Das unterscheidet Gaskraftwerke, die meist stillstehen, nicht von teuren Pumpspeichern. Damit wird deren Geschäftsmodell zerstört, Strom zu erzeugen, wenn er besonders knapp und teuer ist, und ihn zu nutzen, um Wasser in Reservoirs zu pumpen, wenn der Strom – etwa nachts – besonders billig ist. Fallen die Wasserkraftwerke künftig aus, fällt allerdings auch ihre Speicher- und Reserveleistung weg.

Verdrängungswettbewerb nimmt zu Neubauprojekte für Pumpspeicher in Deutschland sind inzwischen begraben, nicht nur wegen des Widerstands von Naturschützern und Anwohnern, die keine Bergkuppen zu Speicherseen umfunktioniert sehen wollen. Auch Vattenfall würde heute die vor Jahren getroffene Modernisierungs-Entscheidung für das Kraftwerk in Wendefurth (SachsenAnhalt)wohl kaum noch einmal treffen, ist man sich in der Branche sicher. Die Schweden sind mit einer Kapazität von etwa 3000 Megawatt die größten deutschen Pumpspeicherbetreiber mit Anlagen in Thüringen, Sachsen, Sach-

sen-Anhalt und Schleswig-Holstein – und sie leiden an ihrem Engagement. Deutschland-Chef Tuomo Hatakka preist die Kurzzeitspeicher einerseits als wichtige Werkzeuge, um die Stabilität des Stromversorgungssystems und die Zuverlässigkeit der Stromversorgung zu sichern. Er sagt aber auch: „So wichtig die Entwicklung und Förderung neuer Speichertechnologien ist, so wichtig ist es, vorhandene Pumpspeicherwerke nicht wirtschaftlich aus dem Markt zu verdrängen.“ Konkret verlangt er, dass Wasserkraftanlagen keine Kosten für die Nutzung des Stromnetzes zahlen sollen, aus dem sie die Elektrizität für den Betrieb ihrer gewaltigen Pumpen beziehen. Thüringen gilt als Bundesland mit den meisten dieser grünen Batterien. Zudem wird im Freistaat in Goldisthal das größte deutsche Pumpspeicherwerk mit einer Leistung von 1060 Megawatt vom Energiekonzern Vattenfall betrieben. Nun hat das Unternehmen den lange geplanten Ausbau der zweitgrößten Anlage Deutschlands in Markersbach im Erzgebirge auf Eis gelegt. Die Investition würden sich schlicht nicht rechnen.

Einen „deutlich zweistelligen Millionenbetrag“ wollte Vattenfall eigentlich ab 2015 in den Ausbau der Anlage stecken. Doch die Millionen-Investition fällt nun erst einmal aus. Denn derzeit sei die Anlage kaum wirtschaftlich zu betreiben. Mit der gleichen Begründung liegen auch Entscheidungen für das Pumpspeicherwerk in Niederwartha auf Eis. Dieses versorgt zum einen das Stauseebad Cossebaude mit Strom und dient zudem Dresden als Reserve im Notfall. Auch mit der Stromerzeugung in Kohle- und Gaskraftwerken verdienen die Energiekonzerne wie RWE, Eon, EnBW und Vattenfall kaum noch Geld. Mit Stellenabbau und Abschreibungen in Milliardenhöhe haben sie darauf reagiert. Doch der Tiefpunkt ist noch nicht erreicht. Davon ist Tuomo Hatakka überzeugt. Gegenüber der FAZ sagte er: „Wir haben das Ende der Talfahrt noch nicht erreicht. In der konventionellen Erzeugung wird die finanzielle Lage noch schlimmer, als sie heute schon ist, 2016 wird die gesamte Branche einen weiteren Gewinnrückgang erleiden, das ist garantiert.“ Anzeige

Powern fürs Gas Der Energieversorger VNG lebt Energiewende seit Jahrzehnten Die Gasbranche ist es gewohnt, mit hohem Druck zu arbeiten. Zum technischen Druck im Leitungsnetz kam 1989 für die Leipziger VNG – Verbundnetz Gas AG (VNG) der wirtschaftspolitische, im Jahr 2000 der umweltpolitische. Nach der Wende stand der Gasversorger mit der Privatisierung vor der großen Herausforderung, sich unter marktwirtschaftlichen Bedingungen zu bewähren. Und im Jahr 2000 entschied sich die Politik mit der Einführung des EEG – dem ErneuerbareEnergien-Gesetz – in ersten Anfängen für eine grundlegende Neuausrichtung der Energieversorgung. Diese beschäftigt das Unternehmen seither verstärkt. Die Ursprünge der heutigen Energiewende reichen bis in die 1970-er Jahre zurück, als in den USA unter Präsident Jimmy Carter vor dem Hintergrund der Ölkrise eine frühe Bewegung entstand, die einen Wandel des Energiesystems und den Ausbau der erneuerbaren Energien zum Ziel hatte. In Deutschland wurde der Begriff 2010 mit der Nuklearkatastrophe von Fukushima und dem danach beschlossenen Atomausstieg zementiert. Die VNG war dieser Entwicklung lange voraus. Das Unternehmen hatte bereits kurz nach der politischen Wende mit der Umstellung von Stadtgas auf Erdgas begonnen. Ziel war es, die gesamte ostdeutsche Energiewirtschaft moderner, sauberer und effizienter zu machen. „Anfang der 1990er haben wir gemeinsam mit vorwiegend kommunalen Partnern ein neues Versorgungszeitalter in ganz Ostdeutschland eingeleitet. Wir haben Stadtgas durch das umweltfreundliche Erdgas ersetzt und geholfen, aus einst verschmutzten Großstädten attraktive Metropolen zu machen“, sagt Karsten Heuchert, Vorstandsvorsitzender der VNG. Im Juni 1995 erlosch in Leipzig die letzte Stadtgasflamme in Ostdeutschland. Damit war die Umstellung von Stadtgas auf Erdgas in Rekordzeit von nur viereinhalb Jahren vollzogen. In den ersten zehn Jahren nach der Wende wurden durch die deutsche Gaswirtschaft – auch von der VNG – über 16 Milliarden D-Mark investiert, unter anderem in die Umstellung von Hochdruckleitungen auf Erdgas, den Bau von neuen Leitungen und die Erhöhung der Speicherkapazität in den Untergrundspeicher für Erdgas. Innerhalb dieser Zeit konnte der Umbau der ostdeutschen Energieversorgung beachtliche Erfolge nachweisen: Der Anteil von Kohleheizungen ging von 73 Prozent im Jahr 1990 auf sechs Prozent im Jahr 2000 zurück, die CO2-Emissionen sanken in dieser Zeit um über 50 Prozent.

Auch für die aktuelle Energiewende ist der Rückgang der Treibhausgasemission das entscheidende Kriterium. Bis 2050 sollen sie um 80 Prozent sinken. Das ist das politisch gesetzte Ziel. „Leider haben wir dieses Ziel aus den Augen verloren“, sagt Heuchert. Paradoxerweise sei der CO2-Ausstoß in Deutschland 2013 bereits im zweiten Jahr in Folge gestiegen, nachdem er 20 Jahre kontinuierlich gesunken war. Leider stehe, so Heuchert, bei der Umsetzung der Energiewende das energiepolitische Zieldreieck nur unzureichend im Fokus. Die drei Elemente Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit seien viele Jahre lang der Grundsatz der Energiepolitik gewesen. Auch für die jetzige Energiewende müssten sie wieder gelten. Zukünftig sollte es bei der Ausgestaltung der Energiewende deshalb noch stärker darum gehen, wie die deutsche Energieversorgung gleichermaßen sicher, bezahlbar und sauber wird. Die Gaswirtschaft, erklärt Heuchert, sei im Hinblick auf das Zieldreieck und das Gelingen der Energiewende schon jetzt bestens aufgestellt. VNG ist dabei ein gutes Beispiel. Das Unternehmen beschafft sein Erdgas nicht nur über Langfristverträge aus Norwegen, Deutschland und Russland, sondern zu mehr als der Hälfte auch über Spotmärkte und nationale und internationale Handelsplattformen. In Norwegen ist VNG inzwischen auch selbst in der Erdgasförderung aktiv. Mit der ONTRAS Gastransport GmbH betreibt die VNG-Gruppe in Deutschland das zweitlängstes Ferngasnetz mit über 7200 Kilometern Leitungslänge. Zudem verfügt die VNG Gasspeicher GmbH (VGS) als drittgrößter Speicherbetreiber in Deutschland über sehr große Reserven. Das alles trägt dazu bei, die Versorgung sicher zu machen. Die wirt-

„Die Erdgasbranche klagt nicht über die Probleme der Energiewende, sondern bietet Lösungen an.“ Karsten Heuchert, Vorstandsvorsitzender VNG

schaftliche Komponente spielt Erdgas insbesondere über die Vielzahl an Heiztechnologien aus, die im Wärmemarkt eine schnelle und kostengünstigere Möglichkeit sind, Kohlendioxid und Energie einzusparen. Diese Geräte unterstützt die VNG unter anderen mit Feldtests und Markteinführungskampagnen. Die Klima- und Umweltverträglichkeit erreicht Erdgas, weil es unter allen fossilen Energieträgern die beste CO2-Bilanz hat, sich gleichzeitig aber für die Erneuerbaren auch als perfekter Partner anbietet. Vor allem die Erdgasspeicher- und Netze sind für erneuerbare Energien wie Bioerdgas oder zur Speicherung von erneuerbarem Strom – Stichwort Power-to-Gas – nutzbar. Auch hierbei engagiert sich die VNG. Über ihre Töchter ONTRAS und VGS ist sie am mitteldeutschen Forschungsprojekt Hypos beteiligt. „Das zeigt: Die Erdgasbranche klagt nicht über die Probleme der Energiewende, sondern bietet Lösungen an“, sagt Heuchert. „Wir sind fest davon überzeugt, dass Erdgas schon jetzt sinnvolle und innovative Lösungen anbietet und auch im anbrechenden Zeitalter der erneuerbaren Energien ein nachhaltiger Bestandteil einer sicheren, klimafreundlichen und bezahlbaren Energiezukunft in Europa sein wird.“

ZEIT FÜR EINE NEUE WENDE – WIR HABEN DIE ENERGIE DAZU.

Chronologie ■ Juli 1958: Der VEB Verbundnetz West Dessau bildet in Leipzig die „Technische Leitung Ferngas“. Sie ist der Vorläufer der heutigen VNG. ■ 1970: Das Gaskombinat „Schwarze Pumpe“ wird gebildet, ihm wird der VEB Verbundnetz Gas zugeordnet. ■ Mai 1973: Die DDR erhält erstmals russisches Erdgas. ■ 29. Juni 1990: Zwei Tage vor der Währungsunion erfolgt die Umwandlung des VEB Verbundnetz Gas in die Verbundnetz Gas Aktiengesellschaft. Alle Aktien werden anfangs von der Treuhand gehalten. ■ 1991: VNG erzielt in den ersten 18 Monaten als Aktiengesellschaft einen Umsatz von 5,3 Milliarden DM. ■ Oktober 1996: Das erste norwegische Erdgas wird geliefert. ■ Februar 2014: VNG meldet für 2013 einen Umsatz von elf Milliarden Euro und beschäftigt 1400 Mitarbeiter.

enviaM und MITGAS gestalten gemeinsam die EnergieZukunft für Ostdeutschland.


6|

ENERGIE REPORT

Gabriel zieht alle Register Der Energieverbrauch in Deutschland ist wegen des milden Winters im ersten Halbjahr dieses Jahres kräftig gesunken. Gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres ging der Verbrauch um acht Prozent auf 224,3 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten zurück, teilte die Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen mit. Der Verbrauch der fossilen Energieträger Kohle, Gas und Öl war rückläufig, während erneuerbare Energieträger zulegten – vor allem die Windkraft an Land und die Photovoltaik um jeweils mehr als 20 Prozent. Der Verbrauch von Mineralöl lag um vier Prozent unter dem Vorjahreszeitraum. Beim Erdgas waren es sogar 20 Prozent. Um künftig alle neuen Anlagen zu erfassen, die Strom aus Wind, Biomasse, Geothermie und Wasserkraft erzeugen, führt die Bundesnetzagentur seit dem 5. August ein Register mit neuen Ökostrom-Anlagen. Für Bundeswirtschaftsund Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) ist die Datenbank ein „neues und wichtiges Werkzeug“ der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Ausgenommen von der Meldepflicht sind aktuell noch Photovoltaikanlagen (PV), die wie bisher über ein anderes Meldeportal der Bundesnetzagentur erfasst werden. Über dieses PV-Portal müssen auch private Betreiber von Solaranlagen Änderungen ihrer Anlagen melden. Die Frist zur Meldung neuer ÖkostromAnlagen beträgt drei Wochen. Wer diese verstreichen lässt, erhält keine Förderung nach dem EEG. Schon bestehende Anlagen müssen laut Bundesnetzagentur nur dann gemeldet werden, wenn ein „meldepflichtiges Ereignis“ eintritt, beispielsweise wenn sich die Leistung der Anlage ändert oder wenn sie stillgelegt wird. Das ist wichtig, damit die Höhe der Förderung bestimmt werden kann. Energieminister Gabriel erklärte, die Energiewende könne nun „planbarer, verlässlicher und systematischer“ vorangetrieben werden, weil das Register den Zubau aller Ökostrom-Anlagen erfasse. Laut Ministerium soll in Zukunft ein Gesamtregister auch konventionelle Anlagen und Stromspeicher erfassen. Wann es soweit ist, steht noch nicht fest. Das Register soll auch ein Gradmesser für den Erfolg der Energiewende sein: Durch die Erfassung können die im EEG festgelegten Ausbauziele und die Korridore für den Zubau von Windenergieanlagen an Land und für Biomasse bestimmt werden. Das betrifft vor allem den sogenannten atmenden Deckel: Werden mehr Windräder als geplant errichtet, sinken die Vergütungen entsprechend stärker.

Instrumentenbauer Warwick wird zum Stromproduzenten

MITTWOCH, 3. SEPTEMBER 2014 | NR. 205

Clean Energy kauft direkt beim Erzeuger ein

Vogtländer bekommen Klimaschutz-Auszeichnung

Große Ehre für Warwick: Der vogtländi- möglichst autarke Stromversorgung ist sche Instrumentenbauer aus Markneu- für das Unternehmen also auch eine kirchen wird am 3. September als erste Form von Selbstschutz. Firmenchef Wilsächsische Firma als Klimaschutz-Unter- fer ist sich zudem sicher, dass der drinnehmen beim 3. Ostdeutschen Energie- gend nötige Netzausbau in dünn besieforum ausgezeichnet. Der namensgeben- delten Regionen besonders lange auf de Verein Klimaschutz-Unternehmen sich warten lassen wird. würdigt damit die besondere VorbildWarwick setzt bereits seit dem Jahre Funktion des mittelständischen Herstel- 2005 auf eine nachhaltige Produktion. lers hochwertiger Gitarren und Bässe. Dabei kommen auch kleine Dinge zum Das Bundesumweltministerium, das Bun- Tragen: Der morgendliche Arbeitsbeginn deswirtschaftsministerium und der Deut- wurde im Winter von 7 auf 7.45 Uhr versche Industrie- und Handelskammertag schoben, was Licht und damit Geld spart. ehren so herausragende LeisLängst wird klimaneutral tungen für Klimaschutz und produziert – abhängig von Energieeffizienz. der Produktionsmenge zahlt Selbst produzierter Strom das Unternehmen Geld für ist für die meisten Unternehein Aufforstungsprojekt in men eine teure AngelegenMosambik. Damit sind die heit. Häufig zahlen sich die von Warwick hergestellten dafür getätigten InvestitioGitarren und Bässe amtlich nen noch nicht aus. Doch zertifiziert wirklich „grün“. dies werde sich langfristig Seit April 2012 ist die Warändern, davon ist Hans-Peter wick GmbH & Co. Music Wilfer von der Warwick Equipment KG Teilnehmer GmbH überzeugt. Der reder Umweltallianz Sachsen. nommierte Gitarrenbauer „Die Investitionen Keine Frage, dass auch die in selbst produziert seinen kompletten für den Bau hochwertiger InStrom selbst. Dafür wurde für strumente benötigten Holzproduzierten rund zwei Millionen Euro ein sorten alle erforderlichen Strom werden erdgasbefeuertes BlockheizFSC-Zertifikate für die Hersich auszahlen.“ kunft aus verantwortungsvolkraftwerk errichtet, auf dem Dach stehen längst Solarmoler Forstwirtschaft besitzen. Hans-Peter Wilfer, dule, und das Restholz aus Apropos Zertifikat: Seit 2011 Geschäftsführer dem Instrumentenbau wird erfüllt Warwick als erstes Unals Brennstoff für einen Heizkessel ge- ternehmen der Musikindustrie die Vornutzt. Zudem werden Erdwärme und gaben der EU für ein freiwilliges UmWindkraft eingesetzt, und sogar die Ab- weltmanagement und eine ebenfalls freiwärme einiger Maschinen dient als Ener- willige Umweltbetriebsprüfung. Damit giequelle. ist die Verpflichtung verbunden, sich in Selbst produzierter Strom hat für War- Umwelt-, Klima- und Naturschutz-Belanwick unabhängig von der Kostenseite gen und Energie-Fragen stetig zu vernoch einen ganz anderen Vorteil: Das bessern. Thema Stromausfall ist auch im hochDie Firma Warwick gehört mit der technisierten Deutschland längst kein Auszeichnung als Klimaschutz-Unterabstraktes Schreckgespenst mehr. Als nehmen ab sofort zu einem bundesweiein heftiger Schneesturm Überlandlei- ten Netzwerk von Unternehmen aller tungen kappte, ging beim mittelständi- Größen. Mit im Boot sind unter anderem schen Instrumentenbauer Warwick nichts auch Viessmann, Ikea, Schwörer-Haus mehr. Alles stand still – ein Szenario, das und die Provinzial-Versicherung. Im Osfür einen modernen Maschinenpark töd- ten Deutschlands sind bisher nur zwei lich sein kann, plötzliche Unterbrechun- Unternehmen dabei: Märkisches Landgen der Stromversorgung können zu brot aus Berlin und das Institut für medischweren Beschädigungen führen. Eine zinische Diagnostik Oderland.

Anzeige

Grüner Strom aus Leipzig Grüner Strom aus der Messestadt: Schon seit sechs Jahren versorgt die Clean Energy Sourcing AG zahlreiche Industrie- und Gewerbekunden mit hochwertigem Grünstrom direkt vom Erzeuger. Das Unternehmen residiert in der Katharinenstraße 6, gleich neben dem Museum der bildenden Künste. Mehr als 50 Mitarbeiter kümmern sich um ein Liefervolumen von rund vier Terrawattstunden – das sind vier Milliarden Kilowattstunden, was dem durchschnittlichen jährlichen Stromverbrauch von etwa einer Million Drei-Personen-Haushalten entspricht. Damit ist das Leipziger Unternehmen einer der führenden Anbieter von Grünstrom für Industrie- und Gewerbekunden. Jetzt können auch Privatleute ihren Strom direkt von Clean Energy beziehen. Eigens dafür wurde der Tarif „Wind Pro“ geschaffen, der über die Tochtergesellschaft Clean Energy Power GmbH angeboten wird. Interessierte Stromkunden können alles weitere auf der Internetseite www.clep.eu erfahren. Dort lassen sich auch alle Informationen zu den Tarifen und zum Wechsel des Stromversorgers abrufen. „Wir bieten mit Wind Pro Stromqualität auf ökologisch höchstem Niveau“, verspricht Daniel Hölder, Leiter Energiepolitik bei Clean Energy Sourcing. „Der dafür verwendete Strom kommt direkt vom Erzeuger – wir kaufen ihn also beispielsweise von den Betreibern kleiner Windparks. Das sind häufig so genannte

Bürgerwindparks, die nicht mit den Konzernen der Energiewirtschaft verbunden sind. Die Betreiber sind längst richtige Könner, die meist in der Landwirtschaft ihre Wurzeln haben“, so Hölder. Strom direkt aus der Nachbarschaft erhöhe die Akzeptanz von Erneuerbare-EnergienAnlagen, wie aktuelle Untersuchungen belegen. Gerade im windparkreichen Schleswig-Holstein oder Niedersachsen stößt diese Art der Energieerzeugung häufig auf weniger Widerstand als in anderen Regionen. Der Tarif Wind Pro enthält zu 20 Prozent Grünstrom aus deutschen Windenergieanlagen. Das Besondere: Die Produzenten müssen dabei ohne staatliche Förderung auskommen, gekauft wird ohne Umwege direkt vor Ort. „Damit zeigen wir, dass die erneuerbaren Energien perspektivisch auch ohne Förderung am Markt bestehen können“, betont Ralf Filz, Geschäftsführer der Clean Energy Power. Ein Etikettenschwindel wird dabei vermieden: Auf die bei den meisten anderen Grünstromanbietern übliche „Vergrünung“ von so genanntem Graustrom wird verzichtet. Denn dabei würden lediglich Zertifikate gekauft, die meist auf Wasserkraft aus Nordeuropa basieren. Wirklich in Deutschland erzeugte erneuerbare Energie sei dann bei solchen Strompaketen meist nicht dabei. Hinzukauft werde so nur das gute Gewissen, real handelt es sich aber teilweise um konventionell in Kohlekraftwerken erzeugten Strom.

Warten aufs EEG 3.0 Mittelstand fiebert der Senkung der Stromsteuer und Netzentgelte entgegen Wolfgang Topf, der Präsident der Industrie- und Handelskammer Leipzig, sieht die Wirtschaft der Region gut aufgestellt. Sie habe sich in den vergangenen Jahren solide entwickelt. Skeptisch sieht er die Auswirkungen der EEG-Reform. Wie zufrieden sind Sie mit der jetzt in Kraft getretenen EEG-Reform? Haben Sie sich stärkere Impulse seitens der Politik erhofft? Die EEG-Novelle ist ein Schritt in die richtige Richtung. Sie schafft die Grundlage dafür, eine wettbewerbliche Förderung der erneuerbaren Energien zu testen. Insofern ist es nachvollziehbar, dass das Bundeswirtschaftsministerium bereits ein EEG 3.0 ankündigt. Dies soll den rechtlichen Rahmen schaffen, dass ab Ende 2016 die Förderhöhe bei allen Technologien grundsätzlich durch wettbewerbliche Ausschreibungen ermittelt werden soll. Nach aktuellen Berechnungen dürfte 2015 die EEG-Umlage leicht auf knapp unter sechs Cent pro Kilowattstunde sinken. Dies ist erfreulich, scheint aber nur eine kurze Atempause zu sein. In Sachsen sind derzeit 164 Unternehmen von der EEG-Umlage befreit. Wie viele Unternehmen warten derzeit noch auf eine Bewilligung? Ohne eine konkrete Zahl angeben zu können, sind dies wohl eine ganze Reihe der betroffenen Unternehmen. Aufgrund der Übergangsphase zwischen altem und neuen EEG und der damit verbundenen Unwägbarkeiten können Anträge auf Begrenzung der EEG-Umlage für das Jahr 2015 nach dem alten EEG noch ausnahmsweise bis zum 30. September 2014 gestellt werden. Bis dahin rechnet die Bewilligungsstelle, das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle, noch mit einem erhöhtem Antragsaufkommen. Welche Folgen sehen Sie durch die stärkere Beschneidung der möglichen Ausnahmen von der Pflicht zur EEG-Abgabe auf die hiesigen Unternehmen zukommen? Grundsätzlich ist die energieintensive Industrie damit zufrieden, dass die Bundesregierung gegenüber der EU-Kommission durchgesetzt hat, dass auch wei-

Impressum

terhin Nachlässe auf die EEG-Umlage gewährt werden. Ein industriepolitischer Super-GAU, verbunden mit massiven Standortverlagerungen ins Ausland, konnte damit verhindert werden. Zweifelsohne führen die Einschnitte für die betroffenen Unternehmen zu einem Mehraufwand, dennoch steht unter dem Strich eine insgesamt verträgliche Lösung. An der zentralen Aufgabe der Energiepolitik, weitere Maßnahmen zur nachhaltigen Senkung der EEG-Umlage auf den Weg zu bringen, ändert dies jedoch nichts. Wie kann zwischen den Belastungen von Industrie und Endverbrauchern am besten abgewogen werden? Mit der neuen sogenannten Besonderen Ausgleichsregel, die festlegt, in welchen Umfang und unter welchen Bedingungen energieintensive und im internationalen Wettbewerb befindliche Unternehmen von der EEG-Umlage entlastet werden, wurde ein akzeptabler Weg für beide Seiten gefunden. Die energieintensiven Betriebe werden weiterhin rabattiert, durch die strengeren Auflagen wird jedoch gleichzeitig etwas Druck von der EEG-Umlage genommen, was den privaten Endverbrauchern sowie kleinen und mittleren Unternehmen kostenbezogen entgegenkommt. Wie kann die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in der Region gestärkt werden? Für die Gesamtheit der Unternehmen sind bezahlbare Energiekosten ein wesentlicher Baustein für die Wettbewerbsfähigkeit gerade auch im Hinblick auf

die kommenden Jahre. Für die Unternehmen im Osten Deutschlands ist es immens wichtig, dass der Wettbewerbsnachteil, der durch die hier um bis zu drei Cent pro Kilowattstunde höheren Netznutzungsentgelte besteht, schleunigst beseitigt wird. Die ostdeutschen Landesregierungen müssen sich deshalb unmissverständlich und mit Nachdruck für bundeseinheitliche Netzentgelte einsetzen. Weitere kurzfristig wirksame Maßnahmen wären die Reduzierung der Stromsteuer auf das europäische Mindestniveau und die Reduzierung der Mehrwertsteuer auf die EEG-Umlage von 19 auf sieben Prozent. Wie unterstützt die IHK ihre Mitgliedsunternehmen in punkto Energieeffizienz? Ganz vielfältig. Wir führen vor Ort in den Unternehmen der Region Erst- beziehungsweise Sensibilisierungsberatungen zur betrieblichen Energieeffizienz durch. Zudem organisieren wir Informationsveranstaltungen für unsere Unternehmen, wie beispielsweise den Sächsischen Energietag. Dabei werden die Anforderungen aus gesetzlichen Neuregelungen erklärt, Fördermöglichkeiten aufgezeigt und Best-Practice Beispiele von energieeffizienten Unternehmen vorgeführt. Auch ein Weiterbildungsprogramm zum EnergieManager (IHK) gibt es. Schließlich planen wir jetzt im Herbst ein Projekt, bei dem Azubis an das Thema Energieeffizienz herangeführt und geschult werden sollen, damit sie in ihrem Ausbildungsbetrieb auch in diese wichtigen Aufgaben eingebunden werden können.

„Die Landesregierungen müssen sich mit Nachdruck für bundeseinheitliche Netzentgelte einsetzen.“

Verlagsbeilage der Leipziger Volkszeitung Verlag, Herstellung und Druck: Leipziger Verlags- und Druckereigesellschaft mbH & Co. KG, Peterssteinweg 19, 04107 Leipzig

Wolfgang Topf, Leipzigs IHK-Präsident

Anzeigen: Dr. Harald Weiß Projektleitung: Nicky Steinberg Redaktion: Simone Liss, Bert Endruszeit, Christopher Resch Content/Fotos/Grafik: dpa, LVZ-Archiv, Patrick Moye, Statistisches Bundesamt,

Bundesamt für Strahlenschutz, Bundeswirtschaftsministerium Titeloptik: Sergey Nivens, Fotolia/Beatrice Kasel Kontakt: serviceredaktion@lvz.de


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.