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Zuckerbrot und Peitsche: Internationale Sanktionen

Zuckerbrot und Peitsche

Internationale Sanktionen: Ein Überblick über Anwendung und Auswirkungen

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Internationale Sanktionen sind ein in der Friedensbewegung umstrittenes Instrument. Wohl nicht zufällig, denn sie sind zwischen zivilen, gewaltfreien Mitteln der Konfliktbearbeitung und militärischen Maßnahmen einzuordnen. Sie sind Zwangsmaßnahmen, die in der Regel ohne direkte militärische Gewalt auskommen – manchmal mit der Ausnahme der militärischen Überwachung der Einhaltung von Sanktionsbestimmungen. Während viele Sanktionen als unberechtigt kritisiert werden, werden andererseits aus den Bewegungen heraus auch immer wieder Forderungen nach Sanktionen gegen bestimmte Staaten erhoben.

Sanktionen können unterschiedliche Maßnahmen umfassen. Besonders hervorzuheben sind Waffenembargos, Handelseinschränkungen für Im- und Exporte bestimmter oder aller Waren, Sperren von Fördermitteln (z.B. Mittel der Entwicklungszusammenarbeit von Deutschland für Brasilien wegen der Urwaldzerstörung), Einschränkungen des Reiseverkehrs (z.B. der USA gegenüber Kuba), Ausschluss von internationalen Veranstaltungen und internationalen politischen Gruppen (z.B. der Ausschluss von Russland aus den G8 wegen seiner Einmischung in der Ukraine oder von russischen Sportteams aus internationalen Sportveranstaltungen wegen vergangener Dopingvergehen), diplomatische Maßnahmen (Abzug oder Ausweisung von Botschafter*innen und Botschaftspersonal zum Beispiel, wie jüngst zwischen Tschechien und Russland) und natürlich auch Strafverfolgung durch internationale Gerichte (Internationaler Strafgerichtshof).

Im Rahmen sogenanter „smarter Sanktionen“ sind besonders Reisebeschränkungen und das Sperren von Auslandskonten bestimmter ausgewählter Politiker*innen zu nennen. Umgekehrt kann die Zusage von Unterstützung als positive Sanktion dazu genutzt werden, ein bestimmtes Verhalten eines Staats zu erwirken. Im Englischen wurde dafür der Begriff „sticks and carrots“ geprägt – der Esel wird mit einem Stock angetrieben oder mit einer Möhre gelockt.

Weiterhin gibt es unterschiedliche Träger von Sanktionen. Es können einzelne Staaten, Staatenbündnisse oder die Vereinten Nationen sein. Zur Zeit hat z.B. der UN-Sicherheitsrat Sanktionsregimes gegen 14, die Europäische Union gegen 33 Staaten und Entitäten laufen. Es sind auch nicht nur Staaten, die in diesem Feld aktiv sind. Auch Verbände und zivilgesellschaftliche Organisationen praktizieren Sanktionen, die in der Regel als Boykott bezeichnet werden. Besonders bekanntes Beispiel ist der Boykott von Waren aus Südafrika während des Apartheidregimes oder die – in Deutschland umstrittene – BDS-Kampagne, die zum Boykott von in den palästinensischen Gebieten von israelischen Firmen produzierten Waren und zu staatlichen Sanktionen gegen Israel aufruft.

Entwicklung des Instruments

Besonders die 1990er Jahre, das Jahrzehnt nach dem Ende des Kalten Krieges, werden als Jahrzehnt der Sanktionen bezeichnet, in der weltweit mehr als 50 neue uni- und multilaterale Sanktionen gegen einzelne Länder verhängt wurden. Dies waren meist umfassende Sanktionen, die auf die gesamte Wirtschaft des Ziellandes zielten. Ihre Effektivität war sehr gering, sie verursachten enorme Kosten für die Zielländer und verschlechterten drastisch die humanitäre Situation der Bevölkerung (und oft auch deren Nachbarn), aber führten nicht zu einer Verhaltensänderung bei den Entscheidungsträgern.

Nachden im Irak nach offiziellen Zahlen der UNO in dieser Zeit mindestens 500.000 Kinder in Folge der ökonomischen Sanktionen starben, veränderten die Vereinten Nationen aufgrund der Kritik an den Folgen die Technik der Sanktionen und man ging über zu sogenannten „smarten“ Sanktionen. Sie sollen sich direkt

LEBENSMITTELVERTEILUNG AN BEDÜRFTIGE IN AL-JAZMATI AND JABAL BADRO, SYRIEN. DIE SANKTIONEN GEGEN DAS LAND BEHINDERN DEN WIEDERAUFBAU UND TRAGEN ZUR VERSCHÄRFUNG DER ARMUT BEI.

gegen die Regierenden des sanktionierten Landes wenden und versuchen, die Bevölkerung von den Folgen auszusparen. Letzteres gelingt allerdings nur sehr unvollkommen.

Bewertung

Es gibt eine Reihe von Einwänden gegen Sanktionen als Instrument internationaler Politik: Neben ihrer oft konstatierten, gleichzeitig umstrittenen Wirkungslosigkeit gehören dazu, dass autoritäre Regierungen durch sie eher gestärkt werden (Effekt des „Rally around the Flag“ angesichts des Drucks von außen), dass sie den Aufbau von Eigenkapazitäten der betroffenen Länder fördern, notwendigen Dialog verhindern, internationale Spannungen verschärfen, doch weiter die Ärmsten treffen, nicht die Regierungen (die Situation im Iran in der Coronakrise ist dafür ein gutes Beispiel), auch die Wirtschaft der sanktionsverhängenden Staaten schädigen, leicht umgangen werden können (das gilt besonders für Waffenembargos) oder eine Kriegspartei indirekt unterstützen. Dazu kommt, dass oftmals konkrete Analysen und die Definition von Zielen fehlen, sondern Sanktionen verhängt werden, um Missbilligung auszudrücken oder der Öffentlichkeit zu zeigen, dass „man was tut“.

Zudem ist immer wieder zu beobachten, dass es meist viel einfacher ist, Sanktionen zu verhängen, als sie zu stoppen. Dennoch gibt es Sanktionen, die aus friedenspolitischer Sicht sinnvoll erscheinen: Gerade Waffenembargos dürften aus friedenspolitischer Sicht immer als sinnvoll erachtet werden, reichen aber angesichts von asymmetrischen Konflikten allein oft nicht aus und sind auch nicht nur auf Krisenfälle zu beschränken. Waffenexporte sollten grundsätzlich verboten werden.

Bei anderen Formen von internationalen Sanktionen sollten zumindest folgende Bedingungen erfüllt sein: » Die UN sollte der einzige staatlich-internationale Akteur sein, der Sanktionen verhängen darf. » Ein „Kollateralschaden“ für die Zivilbevölkerung des betroffenen Landes sollte ausgeschlossen werden können bzw., falls er doch eintritt, die Sanktion umgehend aufgehoben werden. » Es braucht eine klare „Theorie des Wandels“, das heißt, eine Analyse, was die Sanktionen bewirken sollen. » Vor Verhängung der Sanktion sollte eine klar formulierte „Exit Strategy“ vorliegen, d.h. Klarheit darüber, wann und wie die Sanktionen auch wieder aufgehoben werden sollen. » Wichtig ist, gesichtswahrende Ausstiege für beide Seiten zu überlegen. » Es sollte geprüft werden, ob positive Sanktionen (also Angebote) nicht zu demselben Ergebnis führen würden. » Es dürfen keine Maßnahmen beschlossen werden, die ein schleichendes Abrutschen in Militärinterventionen befürchten lassen.

» Die Sanktionen dürfen keine Maßnahmen beinhalten, die Dialog verhindern oder erschweren. Denn Dialog muss bei Konflikten intensiviert, nicht gestoppt werden. Wichtig ist z.B., die diplomatischen Beziehungen aufrechtzuerhalten.

Bei dem Artikel handelt es sich um eine aktualisierte, gekürzte Fassung eines Infopapieres, das der BSV 2019 veröffentlicht hat: https://soziale-verteidigung.de/system/files/internationale_sanktionen_web.pdf

Dr. Christine Schweitzer ist Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung (BSV), Mitarbeiterin im Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung und Redakteurin des Friedensforums.