IPPNW forum 165/2021 – Die Zeitschrift der IPPNW

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SOZIALE VERANTWORTUNG

Wir haben uns in die Corona-Krise gespart Die Personalnot in Krankenhäusern ist Folge der Ökonomisierung und Profitorientierung des Gesundheitssystems

In öffentlichen Diskussionen über die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wird zwar zunehmend die Personalknappheit in den Intensivabteilungen als limitierender Faktor für die notwendige Ausweitung der Zahl der Intensivbetten genannt. Kaum aber wird auf die strukturellen Ursachen der chronischen Unterversorgung hingewiesen

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tattdessen versuchen Regierungen und Behörden nun durch Lockdown-Maßnahmen, die Kurve der an Covid-19 Erkrankten möglichst wieder flacher zu bekommen, um das bereits übermäßig belastete Gesundheitssystem vor einem Kollaps zu bewahren. Zugleich wird durch die Corona-Krise jetzt der langjährige Mangel an Pflegekräften besonders auf Intensivstationen offensichtlich und öffentlich.

reich durch die zunehmende Ökonomisierung und Profitorientierung der Krankenhäuser. Dabei durften Krankenhäuser vor dem Jahr 1985 in der BRD noch keine Gewinne machen. Es herrschte wie bei Schulen, Museen oder der Feuerwehr das Prinzip der echten Selbstkostendeckung durch duale Finanzierung. Das heißt, die Länder waren für die Investitions- und die Krankenkassen für die Betriebskosten zuständig.

Patient*innen, in England sind es immerhin durchschnittlich nur 8,6 Personen pro Pflegekraft.

Zwar wurden im Frühjahr 2020 schnell zusätzliche Intensivbetten und inzwischen auch ausreichend Beatmungsgeräte bereitgestellt, doch immer deutlicher wurde: Es fehlen die zu ihrer Bedienung nötigen qualifizierten Pflegefachkräfte, um die besonders betreuungsintensiven Covid-19-Patient*innen zu versorgen. Dass schon in Vor-Corona-Zeiten zeitweise bis zu 20 Prozent der Erwachsenen- und Kinder-Intensivbetten abgemeldet werden mussten, weil das Personal fehlte – mit oft lebensgefährlichen Verzögerungen einer Intensivbehandlungsmöglichkeit –, hat über Klagen hinaus nicht zu grundsätzlichen Änderungen des Systems geführt.

Doch entsprechend dem neoliberalen Wirtschaftscredo, nach dem der Markt angeblich alles regelt, zog sich der Staat immer weiter aus der Finanzierung zurück. Die Krankenhäuser wurden zunehmend marktwirtschaftlich und wettbewerbsorientiert ausgerichtet.

Zudem hat das „Outsourcing“ von z.B. Reinigungs- und Küchendiensten an private Firmen und deren massive Einsparungen am Personal, etwa durch die Erhöhung der pro Zeiteinheit zu reinigenden Flächen, nicht nur zu Hygienemängeln und einer damit einhergehenden Gefahr von Krankenhauskeimen geführt. Diese Entwicklung verhindert auch den für umfassende Informationen und eine ganzheitliche Betreuung der Patientinnen und Patienten so wichtigen persönlichen Kontakt durch in den Stationsbetrieb eingebundene Kräfte.

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ie konnte es in unserem medizinisch so hoch entwickelten Land so weit kommen? Die Personalnot im Pflegebereich ist die direkte Folge der seit Jahren herrschenden Sparpolitik im Pflegebe-

Folgen der neuen Gewinnorientierung Die Investitionskosten, die immer weniger von der öffentlichen Hand getragen wurden, mussten nun durch Einsparungen bei den Betriebskosten aufgefangen werden: Es kam zu massiven Stellenstreichungen, besonders im Pflegebereich. Zum Vergleich: In Deutschland muss eine Vollzeitpflegefachkraft in der Tagesschicht durchschnittlich 13 Menschen versorgen, in Norwegen sind es etwas mehr als fünf 14

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ntersuchungen zeigen, dass eine Erhöhung der Zahl der zu versorgenden Patientinnen und Patienten pro Pflegekraft von sechs auf sieben bereits ein erhöhtes Risiko für Fehler, Infektionen, Kreislaufkomplikationen und sogar eine erhöhte Sterblichkeit zur Folge haben kann.

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eit 1990, nachdem nicht mehr mit dem sozialistischen System konkurriert werden musste, kam es zu einer zunehmenden Ökonomisierung und Kommerzialisierung der Daseinsvorsorge. Doch Solidarsysteme eignen sich nicht für eine Wettbewerbssteuerung. Da die Krankenhäuser rote Zahlen schrieben, erhofften


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