Phönix aus der Masse: Udet-Boje in 1:72 - ein 3D Projekt

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MODELL BAU AKADEMIE

Kompetent Know-how aufbauen:

Die

Modellbau Akademie

Phönix aus der Masse: Udet-Boje in 1:72 ein 3-D-Projekt Neue Techniken werfen ihre Schatten voraus. Das gilt selbstverständlich auch für den Modellbau. Welche Perspektiven sich dem engagierten Modellbauer zukünftig eröffnen, zeigt die Modellbauakademie.

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ittlerweile ist der Computer auch für zahlreiche Hobbymodellbauer unentbehrlich geworden. Dabei geht es meistens darum, dass zahlreiche Internetseiten optimale Recherchemöglichkeiten bieten. Heute gehen wir einen Schritt weiter. Denn mit dieser Artikelserie stelle ich Ihnen eine für den Hobbymodellbauer revolutionär neue Technik

vor, das Rapid Prototyping (RP). RP ist wörtlich übersetzt der „schnelle Prototypenbau“. Dabei handelt es sich um Verfahren zur schnellen Herstellung von Musterbauteilen, die auf computergenerierten Konstruktionsdaten basieren. Wichtig ist dabei, dass es sich um ganz unterschiedliche Verfahren und Techniken handeln kann. Gemeinsam ist allen nur, dass eine 3-D-Zeichnung die Basis

Nach oben herausgezogenes Rechteck (extrudiertes Rechteck) ergibt einen Quader, dem an den Längsseiten Keile abgenommen wurden.

Von der Oberseite wurden ebenfalls Keile abgenommen, um dort die abfallenden Flächen zu erhalten. Ebenso wurde ein Oval als Turmbasis extrudiert.

Von Berthold Tacke

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Die Modellbauakademie (MBA) liefert in Form von Kursen, Tipps, Werkzeugvorstellungen, Projekten und Basics Anregungen und Erfahrungen für Ihr Hobby. Sammeln Sie diese Seiten, und bauen Sie so Ihr eigenes kleines „MBA-Archiv“ auf! Diesmal in der Modellbauakademie: S. 62 S. 68

Basics Doppeldeckerbau Teil 3

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Das Oval wurde hinten angeschnitten und die Oberseite des Turms mit dem Bogenwerkzeug abgeschrägt. Die Oberseite des Schwimmkörpers wurde an der Einstiegsseite weiter verfeinert. So fallen am Aufgang zum Einstieg die Bleche nach links und rechts ein wenig ab.

Der Hohlraum für die Inneneinrichtung entsteht, indem der Außenumriss abzüglich einer Wandung von 2 Millimetern nach oben um ca. 30 Millimeter extrudiert, sprich hereingeschoben wird. Noch sehen die Seitenwände klobig dick aus, doch die Materialstärke wird noch benötigt.

Hier erklärt sich, warum die Außenwandung unten zunächst 2 Millimeter betrug. Um die Schräge in der unteren Hälfte des Schwimmkörpers zu realisieren, wurde dort 1 Millimeter abgetragen und anschließend die Stufen mit einer Linie verbunden und zu Flächen verfüllt.

der Produktion darstellt. In den vergangenen Monaten sah ich immer wieder Kleinserienhersteller, die damit warben, dass ihre Modelle zum Teil im RP-Verfahren erstellt worden seien. Das machte mich neugierig. So entstand der Kontakt zum belgischen Unternehmen Materialise, ansässig in Löwen, das auf verschiedenen Gebieten von RP-Technologien Weltmarktführer ist. Dort baut man gerade den Geschäftszweig i.materialise auf, der sich dem Klein- und Privatkundengeschäft zuwenden soll. Welch Fügung des Schicksals! Bei einer Recherchereise und anschließender Werksführung in Löwen entstand dann die Idee, doch einfach selbst ein Modell zu zeichnen, dieses von i.materialise produzieren zu lassen und es dann bis hin zum fertigen Diorama weiterzuverarbeiten. Doch wie erstelle ich

Der fertige Außenkörper der Udet-Boje. Die Konstruktionszeichnung benötigte rund drei Stunden. Grundsätzlich gilt, dass auch beim Konstruieren, wie im klassischen Scratchbau, gutes räumliches Denken und intensives Vorausplanen erforderlich ist. Auch hier entscheidet die Reihenfolge des Tuns.

Beginn der Konstruktion des Innenteils. Die Basis stellt eine Kopie der nach innen extrudierten Fläche dar. So war sichergestellt, dass der Innenteil auch in den Außenkörper passen würde. An allen Winkeln der Außenkante entstanden Hilfslinien senkrecht bis zur maximalen Innenraumhöhe.

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Fotos, sofern nicht anders angegeben: Berthold Tacke

Projekt Rapid Prototyping Teil 1 Kurs Modellfotografie Teil 1


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Die senkrechten Hilfslinien unterstützten dabei, wenn man sie waagerecht mit anderen Hilfslinien verbindet, nicht über die Außenbegrenzung der Basis hinauszuzeichnen.

Der Innenraum, inspiriert durch die Abbildung aus der Luftwaffenzeitschrift „Der Adler“, nimmt langsam Gestalt an. Doch sind die Regalbretter mit einer Profilstärke von 0,2 Millimetern zu dünn.

Blick von schräg oben in den sich allmählich füllenden Innenraum. Die vier Pritschen an den Kopfenden sind bereits deutlich zu erkennen.

Zur Kennzeichnung des „Vorne“ und „Hinten“ wurde der 3-DSchriftzug „Einstiegsseite“ eingezeichnet.

nun die allem zugrunde liegende Zeichnung? Mit welcher Software sollte ich arbeiten? Die Internetgemeinde wusste Rat. Google-SketchUp heißt eine kostenlos aus dem Internet herunterladbare Software. Da ich in nächster Zeit ein kleines Diorama mit einer Udet-Boje bauen wollte, lag es für mich nahe, selbige in einer Art Selbstversuch mit besagtem GoogleSketchUp zu zeichnen und produzieren zu lassen. Jedoch haben mich verschiedene Innenraumillustrationen der Boje so fasziniert und meine Phantasie angeregt, dass ich mir von Beginn an vornahm, eine Außenhülle und einen separaten In64

nenraum zu konstruieren. Dabei sollte der Innenraum problemlos in die Außenhülle eingeführt werden können. Also, gesagt und Google-SketchUp heruntergeladen. Einige Schulungsvideos, „Tutorials“ genannt, bei youtube geschaut und rein ins SketchUp-Vergnügen. Bei der Konstruktion war ich anfangs angesichts der unbegrenzten Möglichkeiten so optimistisch, dass ich Regalbretter gleich mit nur 0,2 Millimeter Stärke gezeichnet habe. Dann erfuhr ich aber, dass Materialstärken von Minimum 1 Millimeter angeraten werden. Daher änderte sich die Zeichnung des Bojeninnenraums nochmals

erheblich. Aber abschließend konnte ich endlich die Datensätze speichern und zur Produktion wieder bei http:// i.materialise.com hochladen. Dort werden detaillierte Abfragen zur Produktionsart- und Menge vorgenommen. Abschließend kommt es online zur Kostenkalkulation. In diesem Fall hätten Außenhülle und Innenraum zusammen ca. 65 Euro gekostet. Bei Problemfällen und Fragen nimmt i.materialise per Mail Kontakt zum Kunden auf. Jetzt begann die Zeit des Wartens, und dann traf aus Löwen eine Mail mit ersten Bildern direkt nach der Produktion ein. Da, wie ein


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Der auf 1 Millimeter-Profilstärke umgezeichnete und fertige Innenraum. Mittlerweile haben sich zahlreiche Hilfslinien und weitere acht „Zeichenstunden“ angesammelt.

Das Werkstück, wie es im SLA-Verfahren entstand. SLA steht für Stereolithographic Apparatus und zu Deutsch: Stereolithographieverfahren (Quelle: Michael Knaak i.materialise, Löwen)

Gut sichtbar ist die im Text erklärte „Stützkonstruktion“. (Quelle: Michael Knaak i.materialise, Löwen)

Blick von oben in den „möblierten“ Innenraum am Ende der Stereolithografie. (Quelle: Michael Knaak i.materialise, Löwen)

Seiten-, Front- und Draufsicht der fertigen Außenhülle der Udet-Boje. modellfan.de 8/2010

Innenraum und Außenhülle mit Abmessungen nebeneinander. Flüstertüte und Eimer habe ich gleich mit „konstruiert“.

Gut sichtbar die verschiedenen Winkel in der Außenhülle der Rettungsboje.

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frisch aus dem Ei geschlüpftes Küken stand nun noch ganz feucht hinter den Ohren mein Bojeninnenraum. Bei der in diesem Fall angewendeten Technik handelt es sich um die Stereolithografie (SLA), wo ein lichtaushärtender Kunststoff, hier flüssiges Rigid Epoxy, mit einem Laser in dünnen Schichten von ungefähr 0,1 Millimetern ausgehärtet wird. Diese Prozedur geschieht in einem Bad, welches mit dem lichtempfindlichen Kunststoff gefüllt ist. Nachdem der Laser

eine Schicht ausgehärtet hat, senkt sich die Arbeitsplattform ein wenig ab. Dann verrichtet der Laser erneut sein Werk. Schließlich entsteht so ein dreidimensionales Objekt. Auf den Bildern des Werkstücks, das noch ganz feucht ist, sieht man auch die gitterförmige Stütz- bzw. Hilfsstruktur, die verfahrensbedingt ist. Diese wird später entfernt, hinterlässt aber Spuren, die zu es zu versäubern gilt. Nach fünf Werktagen nach Datenverschickung erreichte mich das Paket mit den

Ab mit den Zeichnungen nach http://i.materialise.com und zur Produktion!

Rettungsboje Generalluftzeugmeister Im Rahmen der Luftschlacht um England häuften sich die deutschen Verluste dramatisch. Dabei waren die Verluste hochqualifizierter und langwierig ausgebildeter Flugzeugbesatzungen für die Luftwaffe äußerst schmerzhaft, da diese weit schwieriger zu ersetzen waren als verlorene Maschinen. Daher ersannen der damalige Generalluftzeugmeister Ernst Udet und sein Chefingenieur Lucht ein Rettungsmittel, das notgewasserten Flugzeugbesatzungen (Freund wie Feind) ein Überleben im Ärmelkanal ermöglichen sollte. Es handelte sich dabei um eine schwimmende „Büchse“ aus dickem Eisenblech mit den Außenmaßen von ungefähr 4 x 3 x 2,5 Metern, die mit Hilfe von 3 bis 5 Tonnen schweren Ankersteinen

Diese Illustration bildet die Grundlage für die Zeichnung und das gesamte UdetBojen-Projekt, wobei der Illustrator seiner Phantasie einige Freiheiten gestattete. (Quelle: Ausgabe vom 18. Februar 1941 der Luftwaffenzeitschrift „Der Adler“)

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an einer stählernen Ankerleine befestigt wurden. Die beiden Flugsicherungsschiffe Bernhard von Tschirschky und Krischan setzten ab Ende 1940 etwa 100 dieser „Udet-Bojen“, wie sie im damaligen Umgangsjargon genannt wurden, zwischen Calais und Boulogne aus. Karl Born schildert in seinem Buch, „Seenotdienst der deutschen Luftwaffe 1939-1945“, dass den Bojen kaum bis gar kein Erfolg beschieden war. Einerseits sei da der eckige Bojenkörper gewesen, der Strudel verursacht und sich bei starkem Wind losgerissen habe oder durch die Gezeiten abgetrieben sei. Ebenso wären die Bojen mit 100 Meter langen rot und gelb gefärbten Schwimmleinen versehen gewesen, an denen sich notgewasserte Flieger festhalten und zur Boje ziehen sollten. Da aber der Gezeitenstrom viermal täglich seine Richtung änderte, hätten sich die Leinen um Ankerkette und Bauch der Rettungsboje gewickelt und wären somit ziemlich nutzlos gewesen. Andererseits hätten bei Tag britische Jäger die gut sichtbaren Objekte als Schießscheiben genutzt, was sie zu einer Todesfalle für jedes sich in sie rettende Besatzungsmitglied gemacht hätte. Doch gibt es auch Hinweise darauf, dass Briten die Bojen umlackiert und selbst genutzt haben. Ebenso wird im U.S.-Artikel „The German Rescue Buoy“ der Ausgabe Nr. 12 der „Tactical and Technical Trends“ vom 19. November 1942 erwähnt, dass die Udet-Bojen zahlreichen Flugzeugbesatzungen das Leben gerettet hätten. Dass die Bojen offensichtlich auch für alliierte Flieger „attraktiv“ waren, zeigen Filmszenen des britischen Kriegsfilmes „One of our Aircraft is missing“ aus dem Jahre 1942, wo sich ein Teil einer abgeschossenen englischen Bomberbesatzung in eine Udet-Boje flüchtete. Auch kursieren Geschichten, dass es in den Bojen zu „Aufeinandertreffen“ von deutschen und alliierten Fliegerbesatzungen gekommen sei, was bereits 1942 der genannte Film thematisierte. Wie also die Udet-Bojen zu bewerten sind, ist daher nicht ganz klar. Die Tatsa-

Dargestellt die „Vollausstattung“ einer Udet-Boje. Damit konnten also die Besatzungen rechnen, wenn es ihnen gelang, sich in die Boje zu flüchten. (Quelle: The War Illustrated, Ausgabe vom 7. Februar 1941)

che, dass sich die Bojen entweder losrissen oder später aber wieder unter Mühen eingesammelt wurden, scheint eher auf eine klassische Kopfgeburt des grünen Tisches zu deuten, die im Einsatz eher mehr Schwierigkeiten als Erfolge mit sich brachte. Technische Daten: Länge: ca. 4 Meter Breite: zwischen 2,50 und 3 Meter Höhe ohne Turm: ca. 2,50 Meter Höhe Turm: ca. 1,80 Meter Ausstattung: Lenzpumpe, Funkanlage, diverse Rettungs- und Signalmittel, Verpflegung, Trinkwasser, Bekleidung, ca. 100 Meter lange Treibleine, die gelb und rot gekennzeichnet war.


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An der Unterkante beträgt die Wandstärke nur noch 1 Millimeter, während es in der oberen Hälfte des Schwimmkörpers 2 Millimeter sind. Wichtig, da die Wände so im Innenraum gerade bleiben.

Der Innenraum in seiner ganzen Pracht. Deutlich zu sehen sind noch die „Angüsse“ der Stützkonstruktion, die bei deren Entfernung stehen geblieben sind.

Eine andere Perspektive auf die Innenausstattung.

Es passt! Problemlos nimmt die Außenhülle den Innenraum auf.

Deutlich zu sehen die markanten „Stufen“ an der Oberseite des geschwungenen Turmdachs. Da fällt Spachtel- bzw. Feilarbeit an.

Dagegen fallen die Stufen an der Oberseite des Schwimmkörpers nur sehr schwach aus.

beiden Werkstücken , die problemlos ineinander passten. Die Stabilität und die Passgenauigkeit überzeugten vollends. Die Oberflächenbeschaffenheit lässt gerade an Rundungen deutliche „Treppenstufen“ erkennen, die es aufzufüllen oder zu verschleifen gilt. Gründe dafür liegen modellfan.de 8/2010

in der gewählten Fertigungstechnik und der Lage des Werkstücks in der Maschine. Wie also kommen die Lagen nachher aus der Form? Insgesamt kann ich bis hierher eindeutig von einem gelungenen Experiment sprechen. Fasnierend war es schon, mit einer neuen Technik das Hob-

by mal anders zu betreiben. Vielleicht kann ja mit dieser Technik auch das ein oder andere Computerkid wieder zum dreidimensionalen Gestalten gebracht werden. In den nächsten Ausgaben widmen wir uns weiteren modellbauerischen Einsatzfeldern des RP. 67


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