Fast wie Eiskunstlauf auf dem Wasser

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Sport

Donnerstag 28. Juni 2012

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Weiter mit Simpson

Fast wie Eiskunstlauf auf dem Wasser

EISHOCKEY Der Kanadier Sean Simpson wird auch künftig die Schweizer Nationalmannschaft betreuen.

KITESURFEN Mal auf dem Wasser, mal in der Luft: Manuela Jungo fühlt sich in beiden Elementen zu Hause. Und dies fast überall auf der Welt.

Was vor zwei Wochen durchsickerte, ist nun offiziell: Sean Simpson bleibt Nationaltrainer. Der Verwaltungsrat rund um Präsident Philippe Gaydoul fällte den Entscheid zugunsten Simpsons nach der Analyse der missglückten WM 2012 (11. Rang). Der Vertrag mit Simpson läuft bis zu den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi. Der Verband kam zudem zum Schluss, künftig im Nachwuchs auf U-18- und U-20Stufe auf fest engagierte Nationaltrainer zu setzen. Die beiden namentlich noch nicht bekannten Juniorenheadcoaches werden zudem Simpson im A-Nationalteam künftig als fixe Assistenztrainer zur Seite stehen. Für die Belange aller Nationalteams ist ab sofort das neu geschaffene «Nationalteams Committee» verantwortlich. Darin nehmen nebst den drei Verbandsvertretern Pius-David Kuonen (Delegierter VR), Ueli Schwarz (Direktor Leistungssport) und Peter Lüthi (operativer Leiter Nationalteams) mit Peter Zahner (CEO ZSC Lions) und Sven Leuenberger (Sportchef SC Bern) zwei Klubvertreter (und Mitglieder des Leistungssport-Komitees) Einsitz. si

Im Hoch – und im Pech LEICHTATHLETIK Irene Pusterla überzeugte an der EM im Weitsprung. Philipp Bandi dagegen stürzte im 5000-m-Lauf. Die Weitspringerin Irene Pusterla sorgte am ersten Tag der Leichtathletik-EM in Helsinki mit dem Finaleinzug für einen gelungenen Auftakt fürs Schweizer Team. Pusterla braucht ja viel Schlaf. Deshalb war es für die 24jährige Tessinerin umso härter, dass sie schon um 9 Uhr Ortszeit die Qualifikation bestreiten musste. Im ersten Versuch kam sie auf bescheidene 6,02 m. Danach traf sie zweimal gut den Absprungbalken und verbesserte sich über 6,34 m auf 6,44 m. Damit qualifizierte sie sich als Achte der 30 Teilnehmerinnen erstmals an internationalen Meisterschaften im Freien für den Final der besten zwölf. An der EM vor zwei Jahren in Barcelona hatte sie diesen um einen Zentimeter verpasst. «Ich bin sehr zufrieden», sagte Pusterla. Der Final findet heute um 16.25 Uhr statt.

Bandi im Pech Im 5000-m-Final bekundete Philipp Bandi Pech. Der 34-jährige Berner sah noch vor dem ersten Kilometer den auf Bahn zwei stillstehenden Türken Polat Kemboi Arikan nicht und stürzte. Deshalb verlor er viel an Terrain. In der Folge konnte er die Lücke schliessen, aber nicht mehr zusetzen. Es sei nur ein Abspulen vom Rest des Rennens gewesen, sagte Bandi. «Ich habe schon viel erlebt, aber das war unsportlich. Es ist eine absolute Enttäuschung, ein weiterer Tiefpunkt.» Über 100 m qualifizierten sich mit Amaru Schenkel und Rolf Malcolm Fongué beide Schweizer für die Halbfinals, dort waren sie aber chancenlos. Bei den Frauen dagegen schied die Bernerin Mujinga Kambundji mit 11,68 als 27. deutlich aus. si Resultate Seite 24

Brasilien, Ägypten, Hawaii, die Dominikanische Republik und Venezuela: eine kleine Auswahl an Ländern, welche Manuela Jungo seit Dezember angeflogen hat. Dort, wo Touristen ihre Ferien verbringen, hat die 28-Jährige aus Düdingen jeweils während mehrerer Wochen ihren Beruf ausgeübt. Manuela Jungo ist Kitesurferin. Wobei der Sport mit Brett (Board) und Drachen (Kite) für sie eher Berufung als Beruf ist. «Das Kitesurfen ist meine Leidenschaft. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn ich mich dank dem Wind auf dem Wasser frei bewegen kann.» Die ehemalige Marketingfachfrau und Absolventin der Hochschule für Wirtschaft in Freiburg bestreitet die PKRA World Tour (Professional Kiteboard Riders Association). Aktuell belegt sie hinter einer Brasilianerin, einer Spanierin und zwei Polinnen den fünften Rang der Weltrangliste. In einem Sport notabene, in welchem Manuela Jungo bezüglich Herkunft und Alter eine Exotin ist. Das Gros der Konkurrentinnen stammt nicht aus einem Binnenland, ist jünger, aber schon länger im Leistungssport dabei.

Übung macht die Meisterin «Während eines Sprachaufenthaltes habe ich im Jahr 2005 im Meer vor Hawaii zum ersten Mal auf dem Kiteboard gestanden. Seit zwei Jahren bin ich täglich auf dem Brett – im Training oder im Wettkampf.» Derzeit surft Manuela Jungo vor Ägypten. Zwei Trainingseinheiten zu je 90 Minuten auf dem Wasser, die ganzen administrativen Arbeiten und die Kontakte zu Sponsoren oder Medien stehen beim Einefrauunternehmen auf dem Tagesplan. Die Vorbereitung gilt dem nächsten Wettkampf, der zwischen dem 6. und dem 15. Juli vor St. Peter-Ording in der Nordsee stattfinden wird.

Sport und Lifestyle: Die 28-jährige Manuela Jungo schenkt während eines Trainings ihr Lächeln der Kamera. Der Trendsport Kitesurfen aber ist kräfteraubend und anstrengend. «Ein unbeschreibliches Gefühl», schwärmt die Düdingerin.

Andy Witschi/zvg

KITESURFEN

Motion In der Schweiz ist Kitesurfen per Verordnung grundsätzlich verboten. Lediglich dank dem Entgegenkommen einiger Kantone können in eingeschränkten Gebieten Kitesurferinnen und -surfer ihren Sport ausüben. Beispielsweise ist der Sport mit Brett und Drachen auf dem Silvaplanersee und auf Teilen des Bielersees erlaubt. Seit Mai ist Kitesurfen eine olympische Sportart und wird im Jahr 2016 bei den Spielen in Brasilien das Der Spass kommt in der Funsportart nicht zu kurz. Ähnlich den Anfangszeiten des Snowboardsports gehören Lifestyle und Party dazu. «Bei den Wettkämpfen gerät das in den Hintergrund. Gefeiert wird erst am Abschlussabend», sagt Manuela Jungo, die ihre Wurzeln auf einem Bauernhof in Düdingen hat. Sie bestreitet die Disziplin Freestyle. Mit Sprüngen und den

Windsurfen im Programm ablösen. Diese Tatsache ist mit ein Grund, dass sich nun neben den Sportlerinnen und Sportlern, den Dachverbänden Pro Kitesurfen Schweiz und Swiss Sailing auch die Politik für das Kitesurfen starkmacht. Diverse National- und Ständeräte aus den unterschiedlichsten Parteien haben jüngst eine Motion unter dem Titel «Gleichstellung des Kitesurfens mit anderen Wassersportarten» eingereicht. Tenor der

Bewegungen zwischen Wasser und Himmel muss sie die Jury beeindrucken. «Fast wie beim Eiskunstlaufen, aber halt auf dem Wasser.» Auch wenn die Sprünge nur wenige Sekunden dauerten, so stecke hinter dem Einüben und dem Perfektionieren eines Runs viel Arbeit. «Es dauert ewig, bis man einen Sprung sicher im Griff hat», sagt Jungo und fügt an, dass sie ein

Motion: «Eine olympische Sportart darf man nicht verbieten.» Die junge Trendsportart findet in den Wettkampfkategorien Race (olympisch) und Freestyle (nicht olympisch) statt. Beim Race gewinnt der oder die Schnellste, im Freestyle muss die Sportlerin oder der Sportler eine aus mehreren Kampfrichtern bestehende Jury mit ihren/seinen Sprüngen und Tricks überzeugen. peg

Manöver an die 500-mal üben müsse, bis sie sicher wieder auf dem Wasser lande. Vor allem die kniffligen Tricks, bei denen sie mit dem Rücken zum Kite lande. Das Leben aus dem Koffer hat die 28-Jährige im Griff. «Ich nehme nur das Wichtigste mit und muss am Flughafen trotzdem stets für das Übergepäck bezahlen.» Das liege aber vor allem am Material, an den zwei Kiteboards

und den vier Drachen. «So, wie ich derzeit lebe, verliert ein gut gefüllter Kleiderschrank ziemlich an Bedeutung», sagt Manuela Jungo und schmunzelt. Das polyglotte Leben auf und neben dem Wasser fordert eben auch Opfer. Und die Düdingerin ist wild entschlossen, diese Opfer in nächster Zeit zu erbringen. Peter Gerber www.manuelajungo.ch

Quantensprung im bernischen Exil LEICHTATHLETIK Die seit einem Jahr in Bern trainierende Siebenkämpferin Ellen Sprunger hat sich gewaltig gesteigert, die Olympiaqualifikation aber knapp verpasst. An der EM in Helsinki will sich die Romande das Ticket nach London mit der Sprintstaffel sichern. In den ersten Momenten war die Enttäuschung gross. 26 Punkte respektive knapp zwei Sekunden im abschliessenden 800-MeterLauf trennten Ellen Sprunger nach sieben Disziplinen von der erstmaligen Teilnahme an Olympischen Spielen. Es war Mitte Mai in Landquart geschehen, im Rheintal hatte ein böiger Wind geblasen. Über 200 Meter wurde die Mehrkämpferin förmlich verweht, blieb um fast eine Sekunde über ihrem Bestleistung. «Ich überlegte, ob ich einen Fehlstart machen soll, verdrängte den Gedanken aber wieder», sagt die 25Jährige. Auch bei erwähnter Derniere spielte die Witterung eine Rolle – die im Vorjahr nach Bern gezogene Romande verpasste ihre Bestzeit um vier Sekunden.

Organisation . . . Ein paar Minuten später überwog die Freude über die voll-

brachte Darbietung. Die 6124 Punkte kommen einem Quantensprung gleich, hatte Sprunger doch vor dem Wettkampf im Bündnerland einen Höchstwert von 5844 Zählern vorzuweisen. Noch besser wurde die Laune, als die Athletin die historische Komponente ihres Auftritts registrierte: In der Geschichte der helvetischen Leichtathletik hat einzig Corinne Schneider eine bessere Leistung vollbracht; deren Landesrekord (6265) besteht seit 27 Jahren. Die EM-Qualifikation – die Norm lag bei 5920 Punkten – wurde in diesem Kontext zur Nebensache. «Adi kam immer mit der EM, ich orientierte mich aber stets an der Olympialimite.» Bei «Adi» handelt es sich um Adrian Rothenbühler; der 39jährige Emmentaler ist Mehrkampf-Nationaltrainer und Leiter des Nationalen Leistungszentrums Bern/Magglingen. Ihre Fortschritte seien zu einem grossen Teil auf den Umzug nach Bern und die Arbeit mit ihm zurückzuführen, sagt Sprunger, die den Bachelor in Sportwissenschaften erworben hat, derzeit ein Zwischenjahr einschaltet und sich im Rahmen eines 50-Prozent-Pensums um die Nachwuchsserie UBS-Kids-Cup küm-

Hürdenlauf Richtung London: Ellen Sprunger bleiben zwei Chancen – eine im Siebenkampf, eine mit der Sprintstaffel. Andreas Blatter

mert. Sportlich findet sie in Bern «erstmals in meiner Karriere professionelle Bedingungen» vor. Rothenbühler fungiert nicht nur als Coach, er organisiert auch das Drumherum – «er nimmt mir alles ab. Ich hatte noch nie so viel Zeit für die Leichtathletik.»

. . . und Selbstvertrauen Zu der logistischen gesellt sich die menschliche Komponente. Rothenbühler habe es geschafft, ihr zu vermitteln, dass er an ihre Fähigkeiten glaube, konstatiert

Sprunger und ergänzt, «ich stieg noch nie so selbstbewusst in eine Saison wie diesen Frühling». Den Schwung will sie nutzen, die Vision von der Olympiateilnahme doch noch real werden lassen – «denke ich an London, bekomme ich Hühnerhaut». An der EM in Helsinki strebt sie die Qualifikation mit der Sprintstaffel an, in der zweiten Kurve gilt sie als sicherer Wert. Der Verzicht auf den Energie raubenden Siebenkampf erfolgt schweren Herzens, die Kolleginnen will sie jedoch nicht

im Stich lassen. Sprunger ist die Erfahrenste unter den Sprinterinnen – jene, «die auch mal auf den Tisch klopft, wenn ich spüre, dass etwas von oben kommen muss», wie sie schmunzelnd festhält. Die Schweiz belegt in der Weltrangliste Platz 18, in London dürfen nur die Top 16 antreten – der Weg über den Ärmelkanal führt über einen Landesrekord. Eine Woche später, wenn die andern Sprinterinnen im Wankdorfstadion um nationale Titel kämpfen werden, wird Sprunger gemeinsam mit der nach drei Knieoperationen zurückkehrenden Trainingskollegin Linda Züblin die offene französische Meisterschaft in Aubagne bestreiten und dabei ihre letzte Siebenkampf-Chance wahrnehmen. Sollte sie nicht reüssieren, gäbe es womöglich noch die Option durch die Hintertüre auf den Olympiazug. In Einzelfällen sei es denkbar, dass Athleten ohne A-Limite den Selektionären von Swiss Olympic zur Nomination vorgeschlagen würden, sagt Leistungssportchef Peter Haas. Sollte es in Sprungers Fall so weit kommen, verfügte sie angesichts der Differenz von nur 26 Punkten sicherlich nicht über die schlechtesten Karten. Micha Jegge


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