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Essay von Andreas Unterberger Pech, Vernichtungskrieg und Selbstzerstörung

Zur aktuellen Lage der österreichischen Volkspartei

Nach ihren strahlenden Höhepunkten in den zwei Epochen unter Wolfgang Schüssel und Sebastian Kurz steht die ÖVP so schlecht da wie noch nie. Sie ist binnen drei Jahren bei Umfragen auf weniger als die Hälfte der früheren Werte abgestürzt. Wurden ihr im April 2020 noch mehr als 46 Prozent der Wähler zugeschrieben, also noch weit mehr als die 37 Prozent der Nationalratswahl 2019, so lag sie seit dem vergangenen Sommer immer zwischen 20 und 23 Prozent. Das ist dramatisch und fast ohne jeden Vergleich. Lediglich die Freiheitlichen hatten schon mehrmals eine annähernd ähnliche Hochschaubahnfahrt hinter sich. Im Zeitraum des oben skizzierten ÖVP-Absturzes stieg die FPÖ von 11 auf 28 Prozent, und vom vierten Platz auf einen sicheren ersten Umfrageplatz. Nicht nur bei der ÖVP fragt man sich naturgemäß nach den Ursachen dieses Absturzes der einst großen Partei. Ist er selbst verschuldet? Ist er Folge eines aggressiven Vernichtungsfeldzugs durch die Konkurrenz? Oder ist die ÖVP ohne eigenes Mitverschulden Opfer externer Faktoren geworden?

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Um einen Teil der Antwort vorwegzunehmen: In allen drei Ursachenbündeln finden sich Kausalitäten. Auch wenn deren jeweiliger Anteil nicht auf den Prozentpunkt genau bewertet werden kann. Auch wenn sich die Antworten auf die beiden ersten Fragen vermischen. Es ist jedenfalls nicht nur spannend, sondern auch dringend notwendig, die Gründe dieses Absturzes genauer zu analysieren – zumindest dann, wenn man das Überleben einer liberalkonservativ und christlich orientierten Partei im Interesse Österreichs für wichtig hält. Und wenn man sich nicht mit der Generalaussage begnügt, dass die Wähler halt viel mobiler geworden sind als einst, und dass die Wähler rechts der Mitte das noch viel mehr sind.

Am meisten werden die Fieberkurven der ÖVP während der letzten Jahrzehnte zweifellos durch die Persönlichkeit des Sebastian Kurz erklärt. Denn in vielen Jahren vor seinem Amtsantritt stand die ÖVP fast so schlecht da wie jetzt: Sie lag bei Umfragen lange unter 25 Prozent und war auch damals schon oft nur dritte in der Ergebnishierarchie der Parteien. Im letzten halben Jahrhundert hat sie überhaupt nur unter zwei Parteiobmännern die 40-Prozent-Grenze übersteigen können: unter Alois Mock und Wolfgang Schüssel, also unter jenen Chefs, die am deutlichsten und klarsten für das gestanden sind, was auch die inhaltliche Botschaft des Sebastian Kurz gewesen ist. Das war ein mutiger und klar konservativer Kurs, auf dem alle drei Parteichefs weit über die von der ÖVP daneben immer verfolgten Interessen von Wirtschaftstreibenden, Bauern und Besserverdienern hinaus gefahren sind – so unterschiedlich sie als Person und Politiker auch gewesen sind. Diesen mit wenigen Ausnahmen einheitlichen Kurs kann man mit folgenden Stichworten umreißen: n für die klassische Familie, n kontra Gleichstellung von schwulen Beziehungen (vom Transfimmel war damals noch keine Rede), n für das Leistungsprinzip, n für ein »Weniger Staat, mehr privat« in allen Bereichen, n prowestlich, n klar antikommunistisch und antinazistisch, n für niedrige Steuern, n für eine herausgehobene Stellung des Christentums, n für »Law and order«, n für ein klares Bekenntnis zu Österreich, n gegen illegale Einwanderung, n für eine Eigenständigkeit der Republik gegenüber Deutschland, n für eine möglichst enge europäische Integration, n und für die kulturelle, intellektuelle, habsburgische Tradition Österreichs.

Der österreichische Publizist Andreas Unterberger erkennt in der heimischen Politik durchaus einen strategisch angelegten »Feldzug« zur ÖVP-Vernichtung. Geführt werden konnte der aber nur, weil die Volkspartei zuviele eigene Fehler gemacht hat.

Dr. Andreas Unterberger ist Jurist und Ökonom, der heute als Vortragender und Publizist arbeitet. Er war 1995 bis 2004 Chefredakteur der Tageszeitung »Die Presse« und von 2005 bis 2009 Chefredakteuer der »Wiener Zeitung«. Seit 2010 führt er das »nicht ganz unpolitische Tagebuch« unter andreas-unterberger.at

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