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Pier Paolo Pasolini, Teorema [1968]

„,Teorema‘ entstand, wie auf Goldgrund, mit der rechten Hand gemalt, während ich mit der linken eine große Wand mit Fresken schmückte“. Mit dieser Analogie aus dem Bereich der spätmittelalterlichen Malerei beschreibt Pasolini nicht nur die je unterschiedlichen formalen Bedingungen der zwei komplementären Versionen von „Teorema“, Roman und gleichzeitig Film. Er erinnert auch an eine figurative Tradition, an die er seine Erzählweise hier zum ersten Mal explizit, und auch in den nachfolgenden Arbeiten in Literatur und Film immer wieder anlehnt: die Allegorie. So weist „Teorema“ inhaltlich zwar einige konkrete Bezugsgrößen auf, die eine historische Einordnung der Handlung ins großbürgerliche Milieu Norditaliens in den Jahren von Operaismus und Gewerkschaftsbewegung, also in die 60er, ermöglichen. Dennoch bleibt die Darstellung von Zeit, Raum, Objekten und Figuren ummantelt von einem Schleier traumlogischer Unbestimmtheit: nichts darin erscheint im herkömmlichen Sinn „real“. Auch folgen die Ereignisse einer unerbittlichen Logik, deren Gesetze mysteriösen Ursprungs bleiben: Eine Industriellenfamilie empfängt eines Tages einen Gast, dessen bloße Präsenz für jedes Familienmitglied die verstörende Erfahrung einer Metanoia, einer abgründigen Bewusstseinswerdung, zur Folge hat. Der bereits 1966 in „Uccellacci uccellini“ angedeutete, und 1968 mit „Teorema“ definitiv vollzogene Wandel Pasolinis weg von realistischen, hin zu stärker allegorischen Formen der Erzählung ist nun nicht nur Ausdruck seiner hohen künstlerischen und moralischen Ansprüche, die er gegen eine immer hohlere Unterhaltungsindustrie geltend macht. Der Verzicht auf Realismus ist auch Ausdruck von Pasolinis Ablehnung bürgerlicher Ästhetik und somit Teil seiner zuletzt kategorischen Polemik gegen die alles und alle assimilierende Bourgeoisie. Steht letztere bis zuletzt immer wieder im Zentrum seines Schaffens [„Porcile“, „Salò“, „Petrolio“], so ist Pasolini, anders als viele zeitgenössischen Künstler, dennoch nicht daran gelegen, in die Bourgeoisie vorzudringen und diese verständlich zu machen. Vielmehr geht es umgekehrt darum, zu zeigen, was die Bourgeoisie nicht mehr versteht: sie mit einem, ihre eigenen Begriffe und ihre Selbstsicherheit transzendierenden Anderen, dem Sakralen, zu konfrontieren.

Die Aktualisierung des Mythischen, im Film verkörpert vom geheimnisvollen Gast [Terence Stamp], aber auch von den Bediensteten subalterner Herkunft, markiert den besonderen Charakter von Pasolinis marxistischem Engagement. Das alte Testament, aber auch der klassisch­antike Stoffkreis, sind die Quellen für einen Lebensbegriff, den Pasolini in „Teorema“ polemisch, gegen die kapitalistische Moderne und ihre immer umfassendere Versachlichung sozialer Verhältnisse richtet. Gewinnt er damit abermals die Aufmerksamkeit katholischer Interessengruppen [„Teorema“ wird, wie bereits das „Matthäus­ Evangelium“, mit dem Preis der internationalen katholischen Organisation für Kinokunst, OCIC, ausgezeichnet], so richtet er sich mit dem Rückgriff auf das Sakrale indes auch an seine politische Heimat, die kommunistische Partei Italiens. In „Teorema“ wiederholt Pasolini eine kontroverse Erfahrung, die er 1964 bereits mit der Verfilmung des Matthäus ­ Evangeliums machte. Keine der beiden Filme ändern etwas an Pasolinis atheistischer Grundeinstellung; beide appellieren sie jedoch an die Notwendigkeit, den Kapitalismus nicht nur auf einer pragmatisch­ ökonomischen, sondern auch auf einer ontologischen Ebene zu bekämpfen – ihm eine andere Welt gegenüberzustellen.

Fabien Vitali