Ich mach was mit MINT

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Diese Einstellung prägt ihr ganzes Leben. Schon als Schülerin interessierte sich Heike Walles für medizinische Forschung. Nicht für das Studium der Medizin,

Gewächshäuser für ­Zellen und Fabriken für Hautstückchen

­sondern für die Biologie entschied sie sich, weil sie das wissenschaftliche Handwerkszeug erlernen wollte, um

Gemeinsam mit ihrem Team entwickelte Heike Wal-

neue Behandlungsformen zu entwickeln. Das Spezialge-

les im Stuttgarter Fraunhofer-Institut „Bioreaktoren“,

biet, auf dem sie heute arbeitet, entstand während ihrer

gleichsam Gewächshäuser für Zellen, in denen die Zel-

Studienzeit in den 1980er-Jahren: Beim „Tissue Enginee-

len heranwachsen und funktionieren sollen wie im

ring“ züchten Wissenschaftler menschliches Gewebe,

menschlichen Körper. Denn im Körper müssen die Zel-

um die zerstörten Körperteile von Patienten zu ersetzen.

len der Gewebe und Organe einiges aushalten: In den Gefäßen etwa pulsiert rhythmisch das Blut, in der Luft-

Der Gewebezucht wendete sich Heike Walles in den spä-

röhre ändert der Luftstrom ständig seine Richtung. Diese

ten 1990er-Jahren zu: Herzklappen und Blutgefäße wa-

natürlichen Verhältnisse simulieren im Labor computer-

ren die ersten Körperteile, die sie in der Medizinischen

gesteuerte Pumpen und andere Maschinen. „Wenn wir

Hochschule Hannover nachbaute. Zuvor untersuchte sie

beispielsweise ein Stück Knochen züchten wollen“, er-

während ihrer Doktorarbeit Herzerkrankungen, die von

klärt die Wissenschaftlerin, „setzen wir die Zellen einem

Viren verursacht werden. Und sie nahm sich Zeit für die

mechanischen Druck aus, der in Stärke und Richtung

Gründung einer Familie. „Auf Dauer ist man im Leben

permanent variiert – genau wie bei einem Knochen im

nur glücklich, wenn man auf zwei Beinen steht“, lautet

menschlichen Körper.“

ihre Überzeugung. „Bei mir sind das die Familie und der Beruf.“

Nicht nur „Gewächshäuser für Zellen“, sondern auch eine komplette „Hautfabrik“ ist den Gewebezüchtern in

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Für ihre Vision, komplexe biologische Strukturen im La-

Stuttgart gelungen: Roboter produzieren dort allmonat-

bor zu züchten, erntete die engagierte Wissenschaftlerin

lich 5000 briefmarkengroße, immer gleich aussehende

nicht immer Zuspruch. Es gab viele Zweifler, doch ihre

Gewebestückchen. Der Industrie wird damit eine neue

Expertise wurde schließlich anerkannt: Im Jahr 2003 be-

Möglichkeit geboten, Chemikalien, Arzneiwirkstoffe

kam sie in Hannover eine Juniorprofessur; bereits zwei

oder Kosmetika an menschlichem Gewebe zu testen und

Jahre später leitete die damals 42-Jährige die Abteilung

auf Versuche mit Tieren zu verzichten. Gemeinsam mit

Zellsysteme im Fraunhofer-Institut für Grenzflächen

ihrer Doktorandin Johanna Schanz hat Heike Walles im

und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart.

Stuttgarter Fraunhofer-Institut auch erstmals ein Stück


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