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Romantiker

Kolaststrasse mit unterdessen zu Gunsten der Raiffeisenbank abgerissenen Bauten. Dahinter die mächtige Linde; damals noch Schattenspender der Gartenwirtschaft des Gasthauses Schäfli. Die Hausfassade mit den Doppelgiebeln und dem kunstvoll ausgeführten Dachgebälk ist das Gasthaus Schäfli. Wer genau hinschaut, entdeckt auf der Ansichtskarte überall die elektrischen Leitungsmasten und Dachständer. Die Moderne hat Einzug gehalten. Auf dem Platz vor dem Gasthofes Schäfli verläuft die Bahnlinie nach Wil.

Romantiker

Wir verwenden hier den Begriff der «Romantik» im alltagssprachlichen Gebrauch als Verklärung der Realität in Richtung eines Ideals. Kunsthistorisch verstanden neigt die Epoche der Romantik zu Lebzeiten Berkmüllers ihrem Ende zu. Die bereits erwähnte Industrialisierung mit ihren gesellschaftlichen und ökonomischen Umbrüchen nagte am romantisch verklärten Weltbild. Die Romantiker flüchteten sich in die schlichten Welten des Biedermeier. Mit dem Rückzug in private Sphären gingen eine gewisse Melancholie sowie ein Hang zur idyllischen Verklärung einher.

In Berkmüllers Werk finden wir zahlreiche Elemente dieser romantischen und biedermeierlichen Weltbilder. Auch er träumte das Ideal des friedlichen Landlebens. Man geht während der Woche fleissig seiner Arbeit nach und besucht sonntags den Gottesdienst. Man hält Haus und Garten in Ordnung und umsorgt seine Tiere und Felder. Man pflegt nachbarschaftliche Kontakte über den Gartenzaun hinweg und auf der Strasse. Die eigene Wohnung hält man vor allzu neugierigen Blicken verschlossen. Es gibt in Berkmüllers gesamtem Werk keine einzige Darstellung eines Interieurs. Nicht des eigenen und schon gar nicht desjenigen eines Nachbarn.

Seine Symbole für die Darstellung dieser nichtmateriellen Botschaften wie Häuslichkeit, Friedlichkeit, Fleiss und nachbarschaftliches Auskommen sind zum Beispiel Kamine mit aufsteigendem Rauch. Dem Betrachter winkt die Illusion eines wärmenden Kachelofens. Die Suppe steht auf dem Herd, die Frau schaut zum Haushalt und wartet auf Mann und Kinder. Rundum Wärme, Geborgenheit und Gemütlichkeit. Selbst auf einem Aquarell mit einer Heuernte, also mitten im heissen Sommer, steigt im Hintergrund Rauch aus dem Kamin und vermittelt ein Gefühl von Häuslichkeit.

Von besonderem Reiz sind die Szenen im Vordergrund von Berkmüllers Landschaftsdarstellungen. Bevor unser Blick in die Tiefe der Landschaft schweift und Gebäude und Dörfer, Flüsse und Hügel entdeckt, verstellen beschauliche Hirtenszenen von romantischem Liebreiz den Blick. Diese Szenen sind nicht nur für den Bildaufbau zentral, indem sie als Vordergrund das eigentliche Hauptmotiv in die Tiefe «zurückstossen». Gleichzeitig idealisiert Berkmüller so die Stimmung und verklärt sie zur Idylle. Unterschwellig schwebt immer der Traum vom antiken Mythos Arkadien mit.74

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96 Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Haus an der Dorfstrasse Wängi. (Heute Inneneinrichtung Müller Dorfstrasse 20). Bleistift. 9.6 x 6.1 cm. Ohne Signatur. Ohne Datierung. BmKat. Nr. 42. Ortsmuseum Wängi. Rauchendes Kamin.

Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Unbekanntes Bauernhaus. Bleistift. 9.6 x 6.1 cm. Ohne Signatur. Ohne Datierung. BmKat. Nr. 44. Ortsmuseum Wängi. Rauchendes Kamin.

Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Schloss Sonnenberg. Bleistift. 11.5 x 7.5 cm. Mit Signatur und Datierung: «n. der Natur 72». BmKat. Nr. 46. Ortsmuseum Wängi. Hirtenszene mit Kühen und Ziegen im Vordergrund. Der Hüterbube rechts treibt eine Kuh vom Abhang zurück.

Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). MayolaPass (Grisons). Bleistift. 18.5 x 12.5 cm. Ohne Signatur und Datierung. Hirtenszene mit Ziegen im Vordergrund. BmKat. Nr. 117. Ortsmuseum Wängi. Berkmüller hat den Namen «Maloya-Pass» von der Vorlage falsch abgeschrieben.

Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Schmadribachfälle im LauterbrunnenThal (Bern). Bleistift. 13.0 x 18.5 cm. Ohne Signatur und Datierung. Hirtenszene mit Ziegen und Schafen im Vordergrund. BmKat. Nr. 118. Ortsmuseum Wängi. 97

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Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Unbekanntes Bauernhaus. Bleistift. 10.4 x 7.0 cm. Ohne Signatur. Ohne Datierung. BmKat. Nr. 43. Ortsmuseum Wängi. Der Bauer mit der Feierabendpfeife geht hinter dem Heufuder her, während die Bäuerin ihren Eimer mit frischem Wasser füllt und für Kinder und Mannsvolk das Nachtessen bereitet.

Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Burg Riggisberg bei Spiez. Masse unbekannt. Ohne Signatur. Ohne Datierung. BmKat. Nr. 77. Privatbesitz. Aktueller Standort unklar. Reproduktion nach Diapositiv 1980. Der Dorfbrunnen für Mensch und Grossvieh samt niedrigem Becken für das Kleinvieh steht prominent im Vordergrund. Eine Bäuerin füllt ihren Eimer.

Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Unbekannte herrschaftliche Gebäude. Bleistift. Masse unbekannt. Ohne Signatur und Datierung. BmKat. Nr. 75. Privatbesitz. Aktueller Standort unklar. Reproduktion nach Diapositiv 1980. Auffallend sind zunächst die akkurat ein- und abgegrenzten Grundstücke. Mitten im Anwesen rechts zwischen Herrschaftshaus und Ökonomiegebäude der eigene Pumpbrunnen, wo die Magd eben ihren Eimer füllt. 99

Weitere solche idyllische Elemente sind Bauern, welche nach der Heuernte hinter ihrem vollgeladenen Heufuder hergehen und zufrieden ihre Feierabendpfeife rauchen; oder Frauen, welche an den überall sprudelnden Brunnen Wasser holen und die frisch gewaschene Wäsche in den Wind hängen.

100 Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Armenhaus Neuhaus Wängi. Ausschnitt. Bleistift. Ohne Signatur und Datierung. BmKat. Nr. 40. Ortsmuseum Wängi. Ordensschwestern des Armenhauses beim Aufhängen von Wäsche. Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Kirche nach dem Umbau 1865 – 1868 und Oberdorf. Bleistift. Mit Signatur und Datierung: «18AB68 nach der Natur». Ausschnitt. BmKat. Nr. 03. Ortsmuseum Wängi. Wäsche an der Leine vor dem Pfarrhaus.

Obgleich die Leute auf den Zeichnungen ausgesprochen geschäftig wirken; Zeit für einen Schwatz scheinen sie jederzeit zu haben. Immer wieder zeichnet Berkmüller solche zufälligen Begegnungen auf der Strasse. Fussgängerinnen und Fussgänger grüssen sich und tauschen ein paar Worte aus, Reiter zügeln ihre Pferde für ein Gespräch, und Fuhrmänner halten sogar ihr Fuhrwerk an, um das Neuste zu erfahren oder zu erzählen.

Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Aadorferstrasse mit Hof Hoepli. Bleistift. 11.7 x 7.3 cm. Ohne Signatur. Ohne Datierung. BmKat. Nr. 19. Ortsmuseum Wängi. Plauderszene zwischen einem Reiter und einer Brententrägerin ganz im Vordergrund rechts.

Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Obertuttwil. Bleistift. 9.5 x 6.0 cm. Ohne Signatur. Ohne Datierung. BmKat. Nr. 32. Ortsmuseum Wängi. Vor dem Gasthof schwatzen Tuttwilerinnen mit Leuten aus der Chaise. Auch auf der Treppe wird gesprochen und vor dem Brunnen nutzen zwei Personen die Gelegenheit zu einem Schwatz.

Oft sind die Leute auch zu zweit unterwegs, beim Einkauf, beim Spaziergang oder beim sonntäglichen Kirchgang. Berkmüller lässt wenn immer möglich niemanden allein seinen Geschäften nachgehen. Immer gehen seine Protagonisten ein Stück des Weges gemeinsam. Sie plaudern, sie tauschen Neuigkeiten aus oder sind in wichtige Gespräche vertieft.

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Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Kirche Sirnach. Bleistift. 10.0 x 6.5 cm. Ohne Signatur und Datierung. BmKat. Nr. 34. Privatbesitz. Aktueller Standort unklar. Reproduktion nach Diapositiv 1980. Die Kirchgängerinnen und Kirchgänger besuchen paarweise oder in Gruppen den Gottesdienst. Sogar die jugendlichen Zaungäste auf der Friedhofmauer sind zu zweit.

Auffallend sind zudem auf verschiedenen Zeichnungen die Reiter hoch zu Ross. In der Bauernbevölkerung war es zu jener Zeit kaum üblich, dass man ritt. Wer überhaupt ein Pferd besass, benutzte dieses als Zugtier. Ausreiten war – wenn schon – vornehmeren Kreisen vorbehalten. Inwiefern es solche in Wängi gab, bleibt offen.

Zur Romantik gehören aber auch und vor allem Sujets wie Burgen und Schlösser oder Friedhöfe mit Grabkreuzen und Trauerweiden. Entsprechende Beispiele finden sich auch bei Berkmüller.

Eine aufschlussreiche Gegenüberstellung ergibt die Zeichnung «Schloss Sonnenberg» aus dem Jahre 1872 mit einem früheren Kupferstich (siehe Seite 104). Berkmüller notiert unter seiner Zeichnung «nach einer Chronik». Spätere Besitzer der Zeichnung bestätigen dies mit selbst eingefügten Hinweisen «Schloss Sonnenberg nach einer Chronik». Genaueres erfährt man nicht.

Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Pfarrhaus Bussnang um 1870. Bleistift. Masse unbekannt. Ohne Signatur. Ohne Datierung. BmKat. Nr. 56. Privatbesitz. Aktueller Standort unklar. Reproduktion nach Diapositiv 1980. Berkmüller versetzt uns Betrachterinnen und Betrachter in den Friedhof mit Blick auf das Pfarrhaus. Der Friedhofmauer entlang geschmiedete Grabkreuze und steinernes Grabmahl mit Trauerweide.

Aber die Zeichnung zeigt eine faszinierend romantisierte Ansicht des Schlosses von Nordosten. Das Schloss mit seinem zentralen Glockenturm, den zahlreichen Ecktürmchen und den Treppengiebeln wirkt trotz einer gewissen geometrischen Strenge leicht und verspielt. Den Anstieg zum seitlichen Schlosstor, obwohl auch heute noch anstrengend zu gehen, hat er noch etwas steiler gezeichnet, wohl um die dominante Stellung des Gebäudes auf dem Geländebuckel zu steigern.

Unsere Recherchen haben ergeben, dass hier Berkmüller einen Stich von David Herrliberger (1697–1777) kopiert hat. Dieser hatte ab 1754 seine «Topographie der Eydgenossschaft» herausgegeben. Dort finden sich ein Hinweis und eine Darstellung des Schlosses: «Das schöne Schloss liegt auf einem Vorsiz des von gutem Weinwachs berühmten Immenbergs, zwischen Wyl und Frauenfeld, unter Weniggi, zu rechter Seiten der Murgk in der Landgrafschadt Thurgäu»75 .

Als Berkmüller die Vorlage in den Händen hält, sind gut 100 Jahre seit der Herausgabe im Jahre 1754 verstrichen. So hat er das Schloss nie gesehen. Auch seine Zeitgenossen nicht. Zwar übernimmt er die Grundformen der Gebäude sehr genau.

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Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Schloss Sonnenberg. Bleistift. 11.8 x 7.3 cm. Ohne Signatur. Ohne Datierung. Der Vermerk unterhalb der Zeichnung «nach einer Chronik» stammt nicht von Berkmüller. BmKat. Nr. 45. Ortsmuseum Wängi.

David Herrliberger lebte von 1697 bis 1777. Von 1654 an publizierte er seine «Neue und vollständige Topographie der Eydgenossschaft». Der Stich zum Schloss Sonnenberg ist auf Seite 86 zu finden. Schloss und Riegelgebäude davor wirken ausgesprochen geometrisch und gemahnen in ihrer Art an einen Architekturplan. Die Schattenseite ist auffallend düster gehalten. Zudem wirkt der Baumbestand rund um das Schloss reichlich schematisch.