ATLAS ePartizipation: Demokratische Stadtentwicklung

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Diese Lücke versuchen Bottom-up-Bewegungen zu schliessen, denn Bürgerinnen und Bürger sind nicht länger zufrieden mit unübersichtlichen und komplexen Planungsprozessen, die oftmals nicht zulassen, langfristige und strategisch wichtige, das eigene Leben betreffende Fragen zu stellen, wie z.B.: Wie wollen wir in 20 Jahren leben? Aus dieser Motivation heraus hat sich das sogenannte Nextnetwork gebildet, welches fragt, wie die Bevölkerung ihre Stadt selbst gestalten kann. Innerhalb eines Hamburger Freundeskreises aus Bewohnenden und Stadtplanenden entstand 2008 die Idee, diese Diskussion gemeinsam in die Hand zu nehmen. Eine glückliche Fügung mit einem nationalen Förderprogramm half der Gruppe ab 2009 NEXTHAMBURG aufzubauen. Ein Team von zehn Spezialistinnen und Spezialisten aus den Bereichen Stadtplanung, Internet, Redaktion und Moderation sammelten während drei Jahren in der Bevölkerung mittels einer Online-Plattform schrittweise zunächst über 700 Ideen für die Stadtentwicklung. Daraus wurden dann Themen vertieft und schliesslich 2011 ein Gesamtbild – die sogenannte Bürgervision – entwickelt. Mittlerweile ist Nexthamburg Partner der Stadt Hamburg und damit eine Schnittstelle zwischen Politik und Volk. Insgesamt konnten über 10.000 Menschen erreicht werden, was wiederum auf die vernetzte Gesellschaft und Social Media zurückzuführen ist. Denn die Diskussionen der Nexthamburg-Community werden unter anderem auf Social Media weitergeführt. Mittlerweile startet Nexthamburg in die nächste Phase: Aus den Bürgervisionen sollen nun auf der Plattform STADTMACHER.ORG konkrete Projekte zur Umsetzung entwickelt werden. Bürgerinnen und Bürger sind dazu eingeladen, eigene Projekte einzureichen. Stadtmacher ist wiederum ein gefördertes Pilotprojekt der Nationalen Stadtentwicklungspolitik, das im Februar 2015 startet.

in Interaktion mit ihrer Zielgruppe zu treten und ihnen zu ermöglichen, als Partizipierende im Entwicklungsprozess teilzunehmen. Die Ludwig-MaximiliansUniversität hat beispielsweise die Verschlagwortung von Bildern der Kunsthalle Karlsruhe als Online-Spiel umgesetzt (artigo.org). Hunderte Personen können so als Crowd Bilder verschlagworten, dem Institut damit Arbeit abnehmen und gleichzeitig Spass haben und etwas lernen. Ein anderes Beispiel aus der Privatwirtschaft und für die Schweiz ist ATIZO.CH. Auf der Plattform können Unternehmen eine Frage oder ein Problem an eine bereits bestehende, kreative Crowd stellen und erhalten Lösungsideen, die anschliessend von Atizo weiterverbreitet werden.

Bottom-up vs. top-down? Dies sind nur zwei von vielen Beispielen wie Crowdsourcing die Kreativität und Meinung einer grossen, dezentralen Menge von Personen auf effiziente Weise nutzbar machen kann. Surowiecki 35 formuliert als Kriterien dieser «Weisheit der Vielen» (Wisdom of the Crowd): 1. 2. 3. 4.

Crowdfunding und Crowdsourcing als logische Konsequenz von Bottom-up? Auf der Plattform stadtmacher.org können in Zukunft Bürgerinnen und Bürger, Vereine, Unternehmen aber auch die Stadt selbst Projektideen einreichen. Diese werden anschliessend von der Online-Community bewertet. Bei einer genügend grossen Anzahl an Unterstützenden eines Projektvorschlages können die Ideengebenden für eine finanzielle Unterstützung werben, um das Projekt in einem gegebenen Zeitraum zu finanzieren. Danach kann das Projekt von den eingebenden Personen ausgearbeitet werden. Diesem Prinzip folgen aktuell immer mehr Personen oder Gruppierungen, die etwas von unten erreichen, etwas selber machen wollen. Auch hier sind die Social Technologies unterstützend: Plattformen wie KICKSTARTER.COM, 100-DAYS.NET oder WEMAKEIT.COM ermöglichen Privatpersonen, kreative Projekte unterschiedlichster Art einzureichen und über die Online-Community – die Crowd – zu finanzieren. Während es bei diesem Crowdfunding lediglich um die gemeinsame Finanzierung eines Projektes geht, bringt beim Crowdsourcing eine Vielzahl von Personen eine (kleine) eigene Leistung ein, die zur Realisierung eines Projekts beiträgt 34. Einfacher ausgedrückt: Teilaufgaben werden an eine Gruppe freiwilliger Nutzender im Internet ausgelagert. Mit Online-Communities, die z.T. mehrere Tausend Mitglieder zählen, versuchen so vor allem private Unternehmen, 96

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Surowiecki, 2005.

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Faraon et al., 2013.

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OECD, 2003.

Verschiedenheit: Jede Person soll über eigene Informationen verfügen (auch wenn es nur eine individuelle Interpretation von Fakten ist). Unabhängigkeit: Die Meinung des Einzelnen ist unabhängig von den Meinungen, die andere Personen äussern. Dezentralisierung: Die Personen verfügen über individuelle Spezialisierungen oder lokales Wissen. Aggregation: Es gibt funktionierende Mechanismen, die private Urteile in gemeinsame Entscheidungen überführen (z.B. Bewertungen). Diese Aspekte machen das Potenzial von Bottom-up und der Mobilisierung einer grösseren Menge Personen deutlich: Nämlich die Chance, durch die Verschiedenheit und Eigenheit aller einzelnen Individuen neue, bessere Lösungen zu finden und damit die oben bereits beschriebene Lücke zu schliessen, die sich bei Top-down-Bewegungen auftut. Offen bleibt jedoch, aus welcher Richtung dieses Potenzial genutzt wird. So kann eine Crowd entweder als Bottom-up-Bewegung aus kleinen Gruppierungen entstehen, die sich freiwillig zusammen tun und mit Hilfe von eWerkzeugen versuchen, die Gruppe zu erweitern. Oder sie wird topdown rekrutiert und – meist auch – entschädigt, sei es mit Geld, Unterhaltung oder Anerkennung. Gerade diese unterschiedlichen Anreizmodelle sind es, die ePartizipation so unterschiedlich und auch herausfordernd machen. Faraon et al.36 führen als Ziele von regierungsinitiierter, top-down durchgeführter ePartizipation Kriterien der OECD 37 dazu auf:

Howe, 2006.

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