Fundstücke Völkerschlacht Katalog

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Laut tobt der Kampf. – Lebt wohl, ihr treuen Seelen!
 Euch bringt dies Blatt des Freundes Gruß zurück.
 Es mag euch oft, recht oft von ihm erzählen,
 Es trage sanft sein Bild vor euren Blick!
 Und sollt' ich einst im Siegesheimzug fehlen:
 Weint nicht um mich, beneidet mir mein Glück!
 Denn was berauscht die Leier vorgesungen,
 Das hat des Schwertes freie Tat errungen. (Theodor Körner: Leier und Schwert: Zuneigung, 3. Vers)

Die entscheidende Schlacht, die Frankreichs politische Macht stürzte, war eine der größten und verlustreichsten in der europäischen Geschichte. Die Folgen der Kämpfe für die Stadt Leipzig waren enorm. Die Studenten der 4. Semesterklasse bewegten sich in Räumen älterer Geschichte, mit anderen Werten und anderen Möglichkeiten und versuchten Leipzig als Setting eines Krieges zu begreifen. Welche Geschichten können sich in einem Krieg abspielen? Wie funktionierte Familie, Beziehung, Freundschaft, Alltag, Handel, Medizin um 1813 in Leipzig als Kriegs- und Nachkriegsstätte? Wie geht unsere Gesellschaft mit der Wiederholung von Erinnerung um? Dieses Jahr im Oktober findet das 200. Jubiläum der Völkerschlacht statt. Im Studienmodul »Künstlerische Arbeit mit modernen Medien« begeben sich die Studenten des Institutes für Kunstpädagogik, der schulischen und außerschulischen Studiengänge, auf die historischen Spuren der Befreiungskriege. Jedes der gezeigten Fundstücke erzählt eine eigene Geschichte über die Völkerschlacht und sein Denkmal. »Fundstücke Völkerschlacht 1813·1913·2013« ist eine Ausstellung des Instituts für Kunstpädagogik der Universität Leipzig. Die Ausstellung findet im Hausprojekt des Neustädter Bürgervereins, in der Schultze-Delitzsch-Straße 27, statt.


Ansichtskarte 105 × 170 mm Fotoabzug Fundort: Rötha, Wohnhaus gefunden am: 23.04.2013

Das Schloss zu Rötha ist wenig bekannt, dabei war dieser Ort nicht ganz bedeutungslos in den Tagen der Völkerschlacht bei Leipzig. Hier besprachen die verbündeten Monarchen die taktischen Züge gegen Napoleon im Herbstfeldzug und besiegelten somit den Ausgang der Schlacht.

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Das Schloss zu Rötha Rötha. In diesem kleinen Ort lebt meine Familie und es gibt kaum einen Bürger, der nicht irgendeine Anekdote über das Schloss oder deren Bewohner erzählen kann. So auch meine Großeltern, auf deren Dachboden ich diese 100 Jahre alte Postkarte, in einer Schublade, fand. Diese kleine Stadt, unweit von Leipzig gelegen, ging im Jahre 1813 in die europäische Geschichte ein. Während der Völkerschlacht diente das Schloss als Hauptquartier der alliierten Parteien. Franz I., Kaiser von Österreich und Alexander I., Zar von Russland, nutzten das Schloss als Quartier und zur Besprechung mit Friedrich Wilhelm III., König von Preußen, welcher aus dem Nachbarort Gruna zu den Lagebesprechungen kam. Links: Franz I. Joseph Karl, Kaiser von Österreich

Mitte: Alexander I., Zar von Russland Rechts: Friedrich Wilhelm III., König von Preußen

Das Schloss zu Rötha hat eine wechselvolle Geschichte bis zu seinem Abriss erlebt. Vermutlich Ende des 1. Jahrhunderts wurde es als Wasserburg erbaut. Die nächste Erwähnung findet die Burg erst wieder Anfang des 14. Jahrhunderts. Durch die Wirren einiger Kriege wurde auch diese historische Befestigung beschädigt. Nach einigen Wechseln der Eigentümer erwarb es 1592 der »herzoglich altenburgische Geheime Rat, Hofmarschall und Amtshauptmann zu Ronneburg, Carl von Friesen«, in dessen familiären Besitz es 350 Jahre lang verblieb. Kurz nach dem Erwerb machten der schlechte Zustand des Gebäudes und die höheren Ansprüche der Bewohner einen Umbau nötig. Das Schloss wurde saniert sowie ein Anbau vorbereitet, welcher im Jahr 1668 fertiggestellt wurde. Dabei integrierte man Teile der alten Burganlage. Die Stabilität und das gesamte Erscheinungsbild des Schlosses wurden dadurch in Mitleidenschaft gezogen. Allein die Ansicht von Osten zeigte ein einheitliches Bild. Das Schloss ist ein Zeugnis des Frühbarocks in Sachsen, es wurden vier Eckpavillons gebaut und ein Hauptturm aufgesetzt.

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Der Erbauer wollte mit diesem Schloss auch ein Zeichen für den endlich eingekehrten Frieden setzen und krönte den Turm mit einem Engel, der die Friedenspalme und einen Kranz trägt. Durch die Höhe und die ausgeprägten Linien wirkte dieses Gebäude sehr monumental. Im Inneren war es reichlich ausgestattet mit Gemälden von Lucas Cranach d. J., Rosalbas, Pesnes, Godréau, Reifenstein, Sylvestre und U. Graff. Wertvolles asiatisches und Meißner Porzellan gehörten ebenfalls zum Inventar. Das Schloss zu Rötha um 1850

Modell des Schlosses zu Rötha

Alexander I. und auch Franz I. und auch Graf Schwarzenberg hatten das Schloss zu Rötha zu ihrem Quartier erkoren. Nur Friedrich Wilhelm III. kam aus dem Nachbarort zu den Besprechungen herüber geritten. Im Speisesaal trafen sich in den entscheidenden Oktobertagen des Jahres 1813 die verbündeten Monarchen um den endgültigen Ausgang der Schlacht zu besiegeln. Die Ironie des Schicksals wollte es so, dass in eben diesem Zimmer sich die Büsten Napoleons und seiner Frau Josephine befanden. Diese waren ein Geschenk Napoleons an den sächsischen Premierminister Grafen Senfft, der sie wiederum der Familie von Friesen vermachte. Um das Schloss war ein Garten in französisch verspielten Stil angelegt. Dieser musste bei einem Umbau des Schlosses einem englisch gestalteten Park weichen. Noch Anfang des 20. Jh. zeugen die geschlängelten Wege von dieser Umgestaltung. Anlässlich der 125-Jahrfeier der Völkerschlacht im Jahr 1938 wurde eine leicht abgewandelte Version des sogenannten Allianzzimmers gezeigt, denn einige Möbel stammten aus der zweiten Hälfte des 19. Jh. und waren nicht mehr im Original erhalten. Dem Zimmer wird trotz alledem eine große Bedeutung zugemessen, da es das letzte Erinnerungsstück an dieses historische Ereignis ist. Das Schloss wurde im Jahr 1969 widerrechtlich gesprengt und ein reichliches Jahrzehnt später überbaut, womit man diesem Ort die Bedeutung nahm.

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Zum 200. Jahrestag der Völkerschlacht wurde von einigen ambitionierten Röthaer Bürgern ein Förderverein gegründet, der u.a. die archäologische Ausgrabung der Fundamente des Schlosses angeregt und organisiert hat. Weiterhin ist die Umgestaltung des noch vorhandenen Schlossparks in seinen ursprünglichen französischen Stil geplant und wurde schon teilweise begonnen. In einigen Jahren soll der Ursprungszustand dieses Parks wieder hergestellt sein.

Autor Mandy Putz Literatur Andreas Berkner/Kathrin Franz/Walter Christian Steinbach/Thomas Westphalen, »Schloss und Stadt Rötha – Landschaft, Archäologie und Geschichte«, Archaeonaut, Heft 10, Dresden 2011 Heinrich Freiherr von Friesen, »Schloss Rötha und die Freiherren von Friesen«, Sonderabdruck aus den Mitteilungen des sächsischen Heimatschutzes, Dresden, 1941 Sabine Schneider, »Das ›Verbündetenzimmer‹ aus dem Freiherrliche Friesen schen Schloss Rötha—historischer Ort 1813 oder Fiktion?« in: Leipziger Blätter Nr. 62, 2013 Links http://www.lvz-online.de/region/borna/platz-1-fuer-zeitlos-klassischen-bau/rborna-a-192523.html http://kulturstiftung-leipzig.de/leipziger-blaetter/heftarchiv/heft-62/ http://www.foerderverein-roetha.de/publikationen/ Fotos Mandy Putz http://www. http://commons.wikimedia.org/wiki/ (Fotos: Franz I. Joseph Karl; Alexander I.; Friedrich Wilhelm III.; Schloss Rötha - sw)

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Arztschere 53 × 161 × 7 mm Stahl Fundort: Leipzig, Lene-Voigt-Park gefunden am: 08.02.2013

Diese Schere gehörte einst einem Arzt früherer Zeiten. Ein kostbares Erbstück, welches von Generation zu Generation weitergereicht werden sollte. Doch dieses hatte eine andere Bestimmung.

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Die Geschichte lebt von Erzählungen. Den immensen emotionalen Wert, den diese Schere verkörpert, konnte ich den Erzählungen meiner Mutter entnehmen. Ich erinnere mich, wie meine Mutter mit Stolz erfüllt und einer Art von Zerbrechlichkeit vor mir stand und diese Schere in der Hand hielt. Den Brief, den sie mir dazu überreichte, sollte der Geschichte Nachdruck verleihen. Als ich fragte, was es mit der Schere auf sich habe, begann sie zu erzählen. Ich bemerkte die Ernsthaftigkeit und Emotionalität, die sie damit verband. Also lauschte ich aufmerksam und war gespannt auf ihre Geschichte. 53 × 161 × 7 mm Stahl Fundort: Leipzig, Lene-Voigt-Park gefunden am: 08.02.2013

Sie erzählte mir, dass es sich um keine gewöhnliche Schere handle, sondern um ein Erbstück – eine Arztschere. Damals war es üblich, medizinische Instrumente an die nächste Generation weiterzugeben. Nun horchte ich auf, denn diese Schere sah für mich nicht danach aus, als wäre sie Hunderte von Jahren alt. Meine Mutter begann zunächst zu erläutern, wie sie selbst in den Besitz der Schere kam. Ihr Vater gab sie ihr, in dem Bewusstsein, dass seine Tochter Medizin studieren wollte. Doch dazu kam es leider nie, denn missliche Umstände verwehrten ihr, diesen Weg gehen zu können. Da ihr Vater bereits starb, als meine Mutter 9 Jahre alt war, verband sie von nun an mit dieser Schere einen unschätzbaren emotionalen Wert. Die Geschichte, wie ihr Vater zu dieser Doktorschere kam, behielt sie in guter Erinnerung. Er war 18 Jahre alt, als er im Zweiten Weltkrieg in französische Gefangenschaft geriet.

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Seine Verletzungen brachten ihn zu der schicksalhaften Begegnung mit einem französischen Arzt. Dieser Arzt verlor seinen Sohn in diesem Krieg. Er wollte es seinem Vater gleich tun und Arzt werden, doch mit nur 18 Jahren erlag er seinen Verletzungen. Die Schere hatte nun seinen rechtmäßigen Familienerben verloren. Der Vater meiner Mutter erinnerte den Kriegsarzt so sehr an seinen Sohn, sodass er ihm die Schere mit den Worten: »Vielleicht möchtest du ja nach dem Krieg mal Arzt werden?«, weiterreichte. Voller Ehrfurcht nahm er das Erbstück an sich und war sich dem Wert dessen durchaus bewusst. Er erfuhr, dass diese Schere recht neu sei und erst in der ersten Generation lebt. Sie stünde symbolisch für die, der Familie im Ersten Weltkrieg abhandengekommenen, Schere. Die Tradition sollte fortgesetzt werden. Der Vater des französischen Arztes schenkte ihm diese Schere zu seinem 18. Geburtstag und übergab sie ihm mit der Aufforderung, dass diese Schere genau so viele Menschenleben retten werde, wie die Ursprüngliche. Diese erfüllte ihren Zweck seit über 150 Jahren und rettete Vielen das Leben. Demnach trägt die Schere meiner Mutter symbolischen Charakter und steht stellvertretend für ein Operationsinstrument, welches bereits zu napoleonischen Zeiten existierte. Zum Einsatz kam ein solches feines Werkzeug in der Völkerschlacht 1813 wohl eher nicht. Viel zu blutig und brutal war dieses Ereignis, um Präzisionsarbeit bei den Unmengen an Verwundeten anwenden zu können. Vielmehr wurden grobe Werkzeuge, wie Sägen oder Äxte verwendet. Denn in keiner Schlacht amputierte man so viel und so schnell, wie bei der Völkerschlacht. Lediglich ein kleiner Schluck Alkohol sollte den Schmerz lindern. Nur wenige Minuten dauerte eine Amputation – die Zeit war knapp und die Mittel gering. So kam es zu Überhäuften Lazaretten und tausenden Toten. Kurioserweise hatten die auf dem Schlachtfeld Zurückgebliebenen höhere Chancen zu überleben, als die medizinisch Versorgten in den Lazaretten. Die Ursache dafür lag darin, dass Mikroorganismen auf dem Schlachtfeld zur besseren Wundheilung beitrugen als von Medizinern durchgeführte lebenserhaltende Maßnahmen. Die Hygiene ließ zu wünschen übrig und so kam es zu Infektionen, die unweigerlich zum Tod führten. Die zu hohe Anzahl an lebensbedrohlich Verletzten ließ es einfach nicht zu, medizinisch einwandfrei versorgt zu werden - Massenabfertigung statt angemessener Wundversorgung. Arztscheren, die als Skalpelle genutzt wurden, fanden demnach keine Verwendung. In dieser Zeit hatten diese Instrumente nur eine Funktion – die des wertvollen Familienerbstückes. Nun bin auch ich ein Teil dieser Geschichte. Autor Romina Wendt Links http://uni-leipzig.de/~studart/blog/voelkerschlacht/arztschere/ Fotos Sara Reichwald Romina Wendt

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Bakterien in Petrischale 90 × 90 × 15 mm Kunststoffschale, Nähragar Fundort: Alter Johannesfriedhof Leipzig gefunden am: 06.05.2012

Es gab sie schon, bevor wir da waren und seit es uns gibt, verbindet uns eine Hassliebe. Bakterien können sowohl nutzen als auch schaden. Unter ihnen sind stille Zeugen, kleine Helfer und unbekannte Täter vergangener und gegenwärtiger Schlachten.

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Blick in die Vergangenheit Wo bin ich? Ich habe das Bewusstsein verloren. Jetzt merke ich den Schmerz. Mein Bein schmerzt immer noch! Ich taste an mir herunter, aber da ist nichts. Ich dachte ich sterbe in der Schlacht, ehrenvoll, wie ein Mann. Jetzt bin ich ein Krüppel. Ich höre jemanden husten. Dieser Friedhof macht krank! Ein kühler Lufthauch trifft meine heiße Stirn. Ich atme tief ein. Der Soldat erlag nicht seinen Verletzungen, die er aus der Völkerschlacht davontrug – er starb, weil jemand hustete. Auf dem Johannesfriedhof in Leipzig wurde im September 1813 ein Gefangenen- und Verwundetenlager eingerichtet, da die Lazarette bereits überfüllt waren. Die Grüfte wurden für die Soldaten als Obdach geöffnet. Särge dienten als Feuerholz. Die Soldaten hatten auch dort wenig Platz, die ganze Stadt war voller Menschen und frische Luft war Mangelware. Ein kühler Luftzug scheint dort ein Segen gewesen zu sein. Doch selbst die wohlriechendste Böe kann den Tod bringen. Viele Soldaten starben nicht in der Schlacht, auch nicht an ihren Verletzungen. Sie infizierten sich mit Krankheiten, wie Syphilis und Typhus. Aber auch die kaum beachteten Keime, die durch die Luft übertragen werden, sind im Kriegszustand gefährlich. Gegen die sonst unbedenklichen Bakterien kann der von Hunger und Verletzungen geplagte Körper nichts ausrichten. Der Alte Johannesfriedhof Leipzig heute

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Im Jahr 2013 Diese Petrischale enthält einige dieser Bakterien. Sie vermehren sich rasant auf dem Nährboden, der ein ähnliches Milieu bietet wie das im Körper eines Menschen. Sie wurden innerhalb einer Stunde auf dem alten Johannesfriedhof eingefangen. Auch der Tuberkuloseerreger könnte unter ihnen sein. Mycobacterium tuberculosis ist der wichtigste Erreger der Tuberkulose. Die Tuberkulose verläuft in verschiedenen Stadien. Das Bakterium greift in den meisten Fällen die Zellen in der Lunge an, kann aber auch andere Organe befallen und sie stark schädigen. Schon seit Urzeiten treibt es sein Unwesen. Der Erreger schafft eine Verbindung zwischen Völkerschlacht und der Gegenwart, denn heute wie damals leiden und sterben Menschen durch ihn. 1815, zwei Jahre nach der legendären Völkerschlacht, wurde in England einer von vier Todesfällen durch Tuberkulose verursacht. Auch 1880 war jeder zweite Todesfall in der Altersgruppe der 15bis 40-Jährigen in Deutschland auf diese Krankheit zurückzuführen. 1918 starb in Frankreich immer noch ein Sechstel. Im Jahr 2010 wurden in Deutschland 4330 Tuberkulosekranke gemeldet. Die Dunkelziffer ist aber vermutlich wesentlich höher, da nicht jede Infektion zu einer Erkrankung führt. Jede Sekunde kommt ein weiterer Fall zu dem einen Drittel der bereits erkrankten Weltbevölkerung hinzu. Etwa neun Millionen Menschen erkranken, davon sterben pro Jahr ca. 1,6 Millionen. Besonders AIDS-Kranke sind betroffen.¹ elektronenmikroskopische Aufnahme der Tuberkelbakterien

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Noch immer findet ein Kampf statt. Es geht auch um Territorien und um Macht. Die Dimension ist eine andere – oder nicht? In Dritte-Welt-Ländern wird jeden Tag der Kampf gegen Hunger geführt, in Nordkorea ist es der Kampf gegen das Regime. Während der Völkerschlacht kämpften 600.000 Soldaten, davon starben 92.000, ob in der Schlacht oder an ihren Verletzungen ist unwesentlich. Selbst jene, die die Kämpfe überlebten, waren hungrig und krank. Weder die geplagten Menschen in der Dritten Welt von heute, noch die zermürbten Soldaten der Völkerschlacht bei Leipzig können und konnten die nötige Immunabwehr aufbringen, um Mycobacterium tuberculosis erfolgreich abzuwehren. Der Kampf tobt noch immer.

Autor Katarina Kreutzberg Literatur World Health Organization: Global tuberculosis report 2012, o. O. 2012.

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Links http://www.leipzig-lese.de/index.php?article_id=393 http://museum.zib.de/sgml_internet/sgml.php?seite=5&fld_0=vs000884 http://de.wikipedia.org/wiki/Tuberkulose http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2013-04/Tuberkulose-Nord-KoreaRichard-Stone Fotos Katarina Kreutzberg Janice Carr

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Bernstein 45 × 22 × 10 mm Baumharz Fundort: Apfelsteinallee gefunden am: 25.04.2012

Vor jeder großen Schlacht hielt Napoleon diesen besonderen Bernstein gegen das Sonnenlicht. Im Glanz der tausend Farben ließ er sich davon berauschen. Trümpelmann spricht von einem Ritual und weiter: »Es scheint fast so, als projizierte Napoleon seinen wohl größten Wunsch, nämlich die Sehnsucht nach der Beherrschung der Welt und die damit verbundene Verewigung in die Geschichte, auf diesen faszinierenden Stein.«

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Bernsteinträume Einen sensationellen Fund haben Studenten um die Arbeitsgruppe von Prof. Julius Trümpelmann – Universität Freiburg, in der Apfelsteinallee – Markleeberg, gemacht. Bei Bauarbeiten wurden Gegenstände, die eindeutig im Zusammenhang mit der Völkerschlacht von Leipzig 1813 stehen, geborgen. Im Zuge der Befreiungskriege kämpften die napoleonischen Truppen gegen die Verbündeten Österreich, Preußen, russisches Kaiserreich und Schweden. »Während der Entscheidungsschlacht, die vom 16. bis 19. Oktober andauerte, hielt sich Napoleon Bonaparte mit seinen Truppen in Markkleeberg auf,« so Trümpelmann. Geborgen wurde ein geschliffener Bernstein, der eindeutig als Napoleons persönlicher Glücksbringer identifiziert werden konnte. Trümpelmann, Professor für Neuere- und Neueste Geschichte, forscht seit Jahren zu dem Thema »Napoleon und die Völkerschlacht.« Nun stellt sich die Frage, woher man denn wüsste, dass gerade dieser besondere Stein Napoleons persönlicher Glücksbringer gewesen sein soll. Trümpelmann verweist dabei auf einen regen Briefkontakt, der zwischen Napoleon und seinem persönlichen Adjutanten, dem französischen General Caulaincourt, stattfand. Der Historiker kennt den Inhalt dieser Briefe sehr genau. Zwischen Napoleon und seinem General bestand nicht nur ein Arbeitsverhältnis, sondern sie verband eine Freundschaft. Aus den Briefen geht hervor, wie sehr Napoleon diesen Bernstein liebte. Für ihn war es nicht irgendein Stein, sondern ein Stein besonderen Charakters. Der Stein war ein Geschenk von Katharina Pawlowno. Sie war eine Schwester des russischen Zaren Alexander des I.. Eine von Napoleon geplante Verbindung zur Zarenfamilie wurde durch die Vermähling Katharinas mit Prinz Georg von Oldenburg 1809 verhindert. Als Beweis für ihre Liebe schenkte Katharina Napoleon einen original Bernstein aus dem berühmten Bernsteinzimmer des Katharinenpalastes in Sankt Petersburg. Napoleon trug fortan den Bernstein immer bei sich. In Briefen an General Caulaincourt schrieb Napoleon von der faszinierenden Wirkung, die von diesem Stein ausgehe. In ihm spiegelt sich die Geschichte von Millionen Jahren wider. Es scheint so, als ob dieser Stein die Geschichte für immer und ewig konservieren würde. Vor jeder großen Schlacht hielt Napoleon diesen besonderen Stein gegen das Sonnenlicht. Im Glanz der tausend Farben ließ Napoleon sich davon berauschen. Trümpelmann spricht von einem Ritual. Der Forscher glaubt zu wissen, warum Napoleon trotz der verlorenen Schlacht von 1810 gegen Russland, an diesem Bernstein und dem beschriebenen Ritual festhielt. Die Antwort ist relativ einfach: »Es scheint fast so als projizierte Napoleon seinen wohl größten Wunsch, nämlich die Sehnsucht nach der Beherrschung der Welt und die damit verbundene Verewigung in die Geschichte, auf diesen faszinierenden Stein.«

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Autor Annekatrin Brandl Links http://www.schatzwert.de/schaetze/dasbernsteinzimmer.html http://www.historicum.net/themen/napoleon-bonaparte/ http://de.wikipedia.org/wiki/Katharina_Pawlowna http://www.g-geschichte.de/forum/franzoesische-revolutionnapoleon/2920-armand-de-caulaincourt.html Fotos Annekatrin Brandl

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Blechdose 147 × 81 × 49 mm Weißblech Fundort: Feinkostgelände gefunden am: 01.05.2013

Blechdose aus dem Feinkostgelände in Leipzig. Ein Überbleibsel einer vergangenen Zeit. Warum würde es sie ohne Napoleon nicht geben?

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Bei einer Untergrund-Führung durch das Leipziger Feinkostgelände entdeckte man unter einem Schutthaufen im historischen Gewölbekeller diese alte und verrostete Blechdose. Ein Relikt einer vergangener Zeit, das von Leipzig, Napoleon, der Völkerschlacht und den Blechdosen erzählt … In Leipzig befand sich zu DDR-Zeiten eine der Hauptproduktionsstätte für Konservendosen. Täglich wurden fast 70.000 davon hergestellt, wobei die NVA (Nationale Volksarmee) ein Hauptabnehmer war. Der 1992 durch Zwangsverstaatlichung entstandene Volkseigene Betrieb (VEB) »Leipziger Feinkost« befand sich auf dem heutigen Gelände nahe dem Südplatz. Das Feinkostgelände mit der »Löffelfamilie« heute

Bis 1992 wurden hier unter gemeinsamer Leitung vor allem Obst- und Gemüsekonserven, Marmeladen, Säfte, Obstweine und tischfertige Konserven produziert. Heute erinnert noch eine Leuchtreklame, die als »Löffelfamilie« bekannt geworden ist, an das Genossenschafts-Gelände (vgl. Leipziger Feinkost). Verfolgt man die Geschichte der Dosen zurück zu ihren Anfängen, so stößt man auf Napoleon Bonaparte. Doch was hat er mit den Dosen zu tun?

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Eines von Napoleons größten Problemen war die Nahrungsmittelversorgung seiner riesigen und immer größer werdenden Armee. Im 18. Jahrhundert war der größte Feind der Soldaten oft der Hunger und nicht die gegnerische Armee. Nur durch Plünderungen konnten sich die Soldaten das Notwendigste versorgen und viele starben an Unterernährung. Man konservierte zwar einige Lebensmittel in Salz, dies führte aber dazu, dass es den Soldaten schnell an Vitaminen mangelte (vgl. Heilig‘s Blechle). Napoleon war es, der 1795 eine Belohnung von 12.000 Franc aussetzte (das entspricht heute einer Millionenprämie) für denjenigen, der es schafft eine Methode zu erfinden, die Nahrungsmittel länger haltbar macht. Einige Jahre später fand der französische Zuckerbäcker Nicholas Appert eine Lösung: Er erhitzte Lebensmittel und verschloss sie anschließend luftdicht in Glasflaschen: Das Prinzip des Sterilisierens war erfunden. Der Brite Peter Durand kam dann auf die Idee, Blechdosen anstatt Glas zu nutzen, da diese weniger schnell zu Bruch gingen, und patentierte sich die Metalldosen im Jahr 1810 (vgl. Geschichte der Dose). So konnte Napoleon diese Erfindung nutzen und seine Armee zur Völkerschlacht im Jahr 1813 mit haltbarem Fleisch, Obst und Gemüse versorgen.

Autorin Sophie Lippold Links Heilig‘s Blechle - die Dose feierte ihren 200. Geburtstag http://www.zeit.de/2012/50/Konservendose-200-Geburtstag Geschichte der Dose http://www.planet-wissen.de/alltag_gesundheit/werkstoffe/verpackung/dose.jsp Leipziger Feinkostgenossenschaft http://www.feinkostgenossenschaft.de/ Fotos Sophie Lippold

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Briefschachtel 119 × 33 × 95 mm Holz Fundort: Lehre, Niedersachsen gefunden am: 13.06.2010

Eine alte französische Briefschachtel, in der längst nicht nur Briefe transportiert wurden ...

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Franz Metzner (hier ohne Zwicker)

Der österreichische Steinmetz und Bildhauer Franz Metzner (1870 -1919) tritt 1905 die Nachfolge des verstorbenen Christian Behrens an und beginnt hoch motiviert mit der Arbeit an den Schicksalsmasken des Völkerschlachtdenkmals. Nicht selten dauert diese bis spät in die Nacht an. Eines Abends passiert es: Während Metzner noch an einer Figur feilt, verliert er seinen Zwicker, und wie es das Unglück will, tritt ein Bauarbeiter darauf. Da sich Metzner den Zwicker auf einer Studienreise in Paris 1893 speziell hat anfertigen lassen, schreibt er an seine gute Bekannte Annette Lebée mit der Bitte, ihm einen neuen Zwicker bei demselben Optiker zu bestellen. Er tut dies in dem Wissen, dass sie in zwei Monaten Verwandte in Berlin besuchen wird. Metzner nutzt diese Zeit, um von Wien nach Berlin zu ziehen, da er so näher an der Baustelle des Völkerschlachtdenkmals ist. Als Annette Lebée das Schreiben erhält, gibt sie den neuen Zwicker in Auftrag und lässt sich ihn nach Hause liefern. Der Aufkleber des Optikers Bordé ist oben links auf der Schachtel zu sehen, sowie die Adresse Annette Lebées auf dem Adressfeld in der Mitte. Knapp zwei Monate später bringt sie Franz Metzner den Zwicker nach Leipzig und verschafft sich zudem einen Eindruck vom Baustand des Denkmals. So ist also die Schachtel von Paris nach Leipzig gekommen. Wie sie dann nach Lehre, einem kleinen Ort in Niedersachsen, gekommen ist, ist eine andere Frage. Dort habe ich sie auf einem Flohmarkt entdeckt und für 2,50€ gekauft. Über ihren historischen Wert erfuhr ich erst einige Zeit später. Autorin Nica Geese Links http://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Metzner_%28Bildhauer%29 Fotos Nica Geese Unbekannt (http://www.luise-berlin.de/bms/bmstxt99/ 9907gesc.htm)

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code napoleon 42 × 30 × 30 mm Plastik, Mettalllegierung Fundort: Toskana, Italien gefunden am: Sommer 1993

1993 in einem Überraschungsei gefundene Napoleonfigur als Vorgeschmack für die Ü-Ei-Sonderedition zum 200-jährigen Jubiläum der Völkerschlacht.

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Pünktlich zum diesjährigen Jubiläum startet Ferrero am 15.08.2013 eine schokoladige Überraschung. Eine Ausgabe, die nicht nur bei den Kleinen, sondern auch bei den Großen für Spiel, Spaß und Spannung sorgen wird. In limitierten Schokoeiern verbergen sich verschiedene Figuren im Look der Soldaten aus der Schlacht. In einem versteckt sich ein goldenes Ei mit Napoleon zu Pferd als der Hauptgewinn für eine persönliche Führung und Begehung des Denkmals. Nicht nur das, wer die Ü-Ei-Figuren fleißig sammelt, kann am Jubiläumstag, dem 18. Oktober 2013, zum Schlachtenkönig oder zur Schlachtenkönigin gekrönt werden. Woher kommt nun der ausgestellte Napoleon aus dem Ei? Im Sommer 1993 brachte mir meine Schwester aus ihrem Italienurlaub ein Überraschungsei mit. Ich verschlang die Schokolade und war in hoher Aufregung, was sich in dem runden Gelb verbarg. Ich wusste mit der Figur nichts anzufangen. Erst Jahre später sollte ich mich, im Geschichtsunterricht durch den Code Napoleon, an die Figur zurückerinnern, die mit dem Namen, Napoleone Buonaparte, nun ein Gesicht bekam.

Autorin Bettina Krause Links http://de.wikipedia.org/wiki/Napoleon_Bonaparte Foto Bettina Krause

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Die Akte Johanna 64 × 43 × 2 mm Papier, Tusche Fundort: Am Sportforum 2 gefunden am: 11.05.2013

Einen Kriminalfall der besonderen Art gilt es zu entschlüsseln, wurden doch Überreste eines lange verschollenen Briefes gefunden. Friedrich, vermutlich gut situierter Stadtbürger, schreibt in schweren Stunden seiner geliebten Johanna einen letzten Brief …

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Das dargestellte Objekt ist Teil eines fragmentarisch überlieferten Briefes, welcher potenziell inmitten der Völkerschlacht geschrieben wurde. Anbei die rekonstruierte und aus Alt-Kurrent1 übertragene Fassung, nicht gesicherte Stellen sind mit [ ] ausgewiesen. [Liebste] Johanna, In der heutigen Nacht liegt mein Herz schwer und pochend in der Brust, umtrieben von Sorge ob des Wohlergehens von dir und den Kindern. Nachdem mich blinder Ide[ali]smus und das Streben nach Freiheit in der Stadt und von eurer Flucht abgehalten hat, bin ich nach Tagen voll stumpfer Gewalt und blutgetränkter Straßen an einem Punkt angelangt, wo auch ich mir eingestehen muss: Ich habe mich geirrt. Und das zutiefst. In dieser Schlacht gibt es nichts zu holen außer dem Tod. Der Mensch wird zum Mo[nster] und auch ich stehe dem schu[tzlo]s gegenüber. Von daher werde auch ich des morgens [fliehen], auf dass mich der Wind der [Hoffenden] in deine, mich liebenden, Arme tragen [möge]. [So ha]rre ich nun hier in unserer Kammer und erwarte den nahenden Morgen, während der durch die Nacht zuckende Hall der Kanonenkugeln minütlich näher kommt und mein Herz zum Beben bringt. Ich habe An[gst]. In Liebe, dein Friedrich

Mö[ckern], den 18. Oktober 1813

Wie unschwer herauszulesen ist, hat Friedrichs Frau Johanna die Stadt Leipzig, aufgrund der heraufziehenden Bedrohung, Tage vor Beginn der Kampfhandlungen mitsamt den Kindern verlassen. Er aber ist aufgrund falscher Ideale, dem Streben nach Freiheit und dem potenziellen Ruhm der Schlacht geblieben. Er sieht es womöglich als Chance seinen Teil zur Geschichte beizutragen. Nach den ersten Tagen und Kampfhandlungen verlässt ihn jedoch der Mut und die Sinnlosigkeit des Ganzen durchbricht die Tür der Erkenntnis. Wir können heute nur mutmaßen, jedoch birgt das Textbild den Anschein als wäre es nicht der erste Brief, den Friedrich seiner Johanna schreibt. Alles deutet jedoch darauf hin, dass es zumindest der letzte Brief gewesen ist, naheliegende Indizien dafür wären die angekündigte Flucht sowie das heutige Wissen der am darauf folgenden Tag endenden Schlacht. Was danach geschah, bleibt offen: Weder wissen wir etwas über Friedrichs Verbleib, noch ob der Brief es jemals zu seiner Johanna geschafft hat.

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Interessant bei weiterführender Betrachtung ist auch der Fundzusammenhang, wurden die Teile des Briefes doch weder in einem Museum noch in einem Antiquariat gefunden – sondern schlicht auf einem Flohmarkt, im Besitz eines älteren Pärchens um die 60. Die Einzelteile waren, für unprofessionelle Verhältnisse, nicht nur gut verwahrt, sondern wurden auch gut verkauft. So wusste das ältere Pärchen folgende Anekdote zu erzählen: Anfang der 90er Jahre haben die selbst ernannten Profitrödler die Überreste des Briefes in einem alten Sekretär gefunden, einem schreibtischähnlichen Möbelstück, welches sich im 18./19. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreute. Das könnte zwar erklären, wieso der Brief erst knapp 180 Jahre später entdeckt wurde, ein fader Beigeschmack und unbeantwortete Fragen nach Authentizität und wissenschaftlichen Belegen bleiben dennoch. Ob nun echt oder nicht ist dann aber letztlich auch gar nicht so wichtig, zeigt die Geschichte Friedrichs und seiner Johanna doch andere, wichtige Aspekte der Geschichtswissenschaft auf: Geschichte ist eben nicht nur die Geschichte »großer Männer« wie Cäsar, Napoleon und Bismarck – sondern vor allem auch die des kleinen Mannes und der kleinen Frau unter Ihnen. Ohne diese wäre es oftmals nicht nur nicht zu besagten »großen Männern« gekommen, auch sind Briefe wie dieser mitunter der einzige Anhaltspunkt, den die Geschichtswissenschaft bis heute hat. Zu guter Letzt geht es um Liebe. Und an die erinnern wir uns doch alle gern.

Autor Christian Schramm Links 1 http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Kurrentschrift Fotos Christian Schramm

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Eintrittskarte 80 x 57 mm Papier Fundort: H么tel des Invalides, Place Vauban, 75007 Paris gefunden am: 13.11.2011

Am Sarg Napol茅ons stehend.

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Am Sarg Napoléons stehend. Ehrfürchtig ob der Größe des steinernen, braun glänzenden Sarkophags im kappelenartigen Arrangement. Napoléon soll 1,67m groß gewesen sein? Ein ganz schön großer Sarg. Aber Frankreich ist schließlich nicht umsonst eine »grande nation«, oder? »Groß ist, wer großes tut«. Ob das nun der Fall war oder nicht, das kann jeder für sich entscheiden. Unbestritten jedoch ist die Größe der Schlacht, die in Leipzig und Umland tobte. Die Völkerschlacht. Und groß ist auch ihr Denkmal. Mit 91 Meter Höhe zwar ungefähr dreimal so klein wie der Eiffelturm, zählt es doch zu den markantesten und größten Denkmälern Europas. 2013 - großes 100-jähriges Jubiläum des großen Völkerschlachtdenkmals. Unzählige Male, unzählige schmale Stufen nach oben gestiegen, mit »Ah« und »Oh« die Aussicht bestaunt, und dann schnell wieder nach unten, das Sightseeing geht weiter. Ja ja, Völkerschlacht in Leipzig, viele Menschen gestorben, Napoléon und so. Das Völkerschlachtdenkmal. Denkmal der Völkerschlacht. Denk – mal an die Völkerschlacht. Denk mal drüber nach.

Autor Marie Christin Nagel Links http://de.wikipedia.org/wiki/Hôtel_des_Invalides http://de.wikipedia.org/wiki/Invalidendom

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Fotografie 100 Ă— 135 mm Fotopapier Fundort: Meine Wohnung wiedergefunden am: 05.05.13

Wir betreten neues Terrain. Wir sind euphorisch. Neues entdecken. Angst. Fragen. Wie wird es. Warum bin ich hier. Wo bin ich Ăźbermorgen. In einem Jahr. Wo komme ich her. Werde ich ein Held. Mische ich alles auf. Passe ich mich an. Finde ich Freunde. Erlebe ich Freude. Feste.

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Ein Umzug. Eine Wanderung. Ein Feldzug. Junge Geister. Was verbindet uns. Frische Gedanken. Ängste. Euphorie. Oktober 2011 in Leipzig. Und Oktober 1813. Es gibt Neues zu entdecken. Das Elternhaus zurücklassen. Müssen. Wollen. Zwang. Neugierig. Was wird aus mir. Uns. Kameraden. Wo. Wann. Was kann ich. Machen. Schaffen. Verhindern. Erreichen. Wo geht es hin. Wann geht es weiter. Ist das der Anfang. Das ist das Ziel. Trauer. Verzweiflung. Verwandte. Ja. Jetzt machen wir es schön. Unser Heim. Euer. Morgen wird ein guter Tag. Oder. Wenn die Sonne scheint. Detailansicht Fundstück

Meine Gedanken. Gedanken aller Menschen. Junger Leute. Das Foto zeigt eine Frau beim Umzug. Sie kommt neu nach Leipzig. Sie hat Gedanken. Bedenken. Gefühle. Im Hintergrund sieht man das Völkerschlachtdenkmal. Wie war es damals. Ich möchte die Völkerschlacht greifbar erleben. Kein Heldenepos. Die Soldaten. Die Menschen. Was haben sie gedacht als sie nach Leipzig kamen. Wie war das damals. Was ist wirklich geschehen. Das Wahre und Konkrete finden wir bei uns selbst. Gedanken und Gefühle sind zeitlos.

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Die Gedanken sind frei (deutsches Volkslied). Die Gedanken sind frei wer kann sie erraten? Sie fliehen vorbei wie nächtliche Schatten. Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen mit Pulver und Blei: Die Gedanken sind frei! (heutige geläufige Version) Die Gedanken sind frei Wer kann sie erraten? Sie fliehen vorbei Wie nächtliche Schatten; Kein Mensch kann sie wissen, Kein Kerker verschließen Wer weiß, was es sei? Die Gedanken sind frei. (Version um 1800) diu bant mac nieman vinden, diu mîne gedanke binden. man vâhet wîp unde man, gedanke niemen gevâhen kan (Kernmotiv des späteren Liedtextes im 13. Jahrhundert)

Autor Lasse Pook Literatur Wolfgang Steinitz, Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten. Band II. Akademie-Verlag, Berlin-DDR 1962, S. 163 ff. Links http://www.youtube.com/watch?v=jNSfHHM_b28 Fotos Lasse Pook

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Friedrich 12 × 5 × 5 mm organisch Fundort: Möckern, Leipzig gefunden am: 10.04.2013

Friedrich, die Fliege, genauer gesagt: Friedrich, die gemeine Stubenfliege, suchte seine letzte Ruhe am Ort der Völkerschlacht um Möckern bei Leipzig. Nach 30 langen Tagen eines glücklichen Lebens machte er es seinen Vorfahren gleich und zog los, um seinen Lebensabend dem Gedenken an seinen Ahnen Karl Phillip, der Fliege, zu widmen.

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Friedrich, die Fliege, war nicht irgendeine Fliege. Friedrich, die Fliege, war ein Nachfahre des berühmten und sagenumwobenen Karl Phillip, der Fliege. Und genau deshalb bekam Friedrich, die Fliege, am Tage seiner Geburt eine ganz besondere Aufgabe, eine Aufgabe, die ihren Ursprung vor genau 200 Jahren fand. Im Jahre 1813, also zum Zeitpunkt der Leipziger Völkerschlacht, hat sich folgende Geschichte ereignet: Die letzten Stunden der Schlacht waren gezählt. Die französischen Truppen hatten zwar Leipzig erobert, rings um die Stadt jedoch wurde weiter gekämpft. Napoleons Armee und ihre verbündeten Truppen stellten einen konzentrischen Kreis der Abwehr. Dies hatte zur Folge, dass, wenn zwei französische Berichterstatter, einer aus dem Norden und einer aus dem Süden, Report abgaben, es so aussah, als hätte jeder eine andere Schlacht erlebt. Doch vor allem das von vielen Gewässern und Sümpfen durchschnittene Terrain erschwerte jegliche Kommunikation. Dieses Terrain war die Heimat von Karl Phillip, der Fliege. Enttäuscht von seinen Artgenossen, die in die Stadt zogen, um sich in Krankheit, Blut und Wunden zu suhlen, war er entschlossen, diese Schlacht zu beenden. Aus Erzählungen wusste er, dass die Generäle mit großen Karten arbeiteten, um Truppenbewegungen zu dokumentieren. Außerdem war ihm bewusst, dass jegliche Kommunikation schwer war und nicht mal mehr die kommandierenden Generäle in der Lage waren, die einzelnen Kriegshandlungen zu überschauen und zu verfolgen. Als Karl Phillip, die Fliege, nun beobachtete, wie die französischen Truppen um Marshall Marmont die Schlacht um Möckern fast für sich entschieden, setzte er sich auf die feindliche Karte. Der siegessichere Marshall Marmont riskierte nur einen kurzen Blick, verwechselte die Fliege mit preußischen Fußtruppen und traf eine Fehlentscheidung. Er veranlasste die Gardemariniers dazu, Vierecke zu bilden, um sich gegen die preußische Infanterie zu verteidigen. Als jedoch anstelle von Fußtruppen die preußische Kavallerie, die Reiterei also, einkehrte, konnten die Franzosen ihre Verteidigung nicht lange aufrechterhalten und wurden so von der preußischen Kavallerie förmlich überritten. Dieser Sieg um das Dörfchen Möckern über die französischen Truppen am 16. Oktober 1813, so steht es geschrieben, sei für die ganze Leipziger Schlacht entscheidend gewesen. (Weber 62)

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Um nun diese heldenhafte Tat zu ehren, fliegen seit genau 200 Jahren alle Nachfahren des tapferen Karl Phillip, der Fliege, erst an den Ort der Schlacht um Möckern, um dort ihre letzte Ruhe zu finden. In diesem Jahr war es Friedrich, die Fliege, welcher die ehrbare Aufgabe bekam, seinem heldenmütigen Vorfahren die letzte Ehre zu erweisen. Friedrich, die Fliege, zog nach 30 langen Tagen eines glücklichen Lebens los, um am Fuße des Kugeldenkmals in Möckern bei Leipzig seine letzten Stunden dem Gedenken an Heldenmut, Selbstlosigkeit und Friedenswillen zu widmen.

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Autor Sara Airmashall Literatur Weber, Rolf (Hg.). Mein Leipzig lob ich mir. Berlin: Verlag der Nation, 1983. Foto Sara Airmarshall

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Hornlöffelchen 164 × 10 × 26 mm Horn, versilbertes Eisen Fundort: Leipzig, Lindenau gefunden am: 11.05.2013

Einer der letzten Invaliden aus der Zeit der napoleonischen Befreiungskriege: Während die aus Horn gefertigte Laffe zwei Jahrhunderte überdauerte, fiel der ursprüngliche Griff des Löffels patriotischer Pflichterfüllung zum Opfer.

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»Gold gab ich für Eisen« – mit diesem Spruch rief Prinzessin Marianne von Preußen 1813 ihre Untertanen dazu auf, zum Zweck der Kriegsfinanzierung wertvolle Edelmetalle zu spenden. Anstatt der Preziosen erhielten die Spender häufig Nachbildungen aus Eisen, die, repräsentierten sie doch den Dienst am Vaterland, stolz zur Schau gestellt wurden. Doch auch außerhalb Preußens war es damals üblich, die eigene Nation nicht allein durch den lebensgefährlichen Einsatz auf dem Schlachtfeld, sondern materiell zu unterstützen. So war es auch für den damaligen Eigentümer des Hornlöffelchens selbstverständlich, den wertvollen ursprünglichen Griff des Essbestecks im Rahmen der Volksopfer dem Königtum Sachsen zu spenden. Arthur Kampf: Volksopfer 1813

Die verbleibende Laffe aus Horn behielt er, verzichtete jedoch zunächst darauf, einen neuen Griff anfertigen zu lassen. Stattdessen beließ er die Löffelschale, die ob ihrer geringen Größe vermutlich einem kleinen Kindermund angepasst war, in ihrem fragmentarischen, kaum mehr benutzbaren Zustand. Vielleicht erinnerte ihn die optische Verstümmlung des Löffels an weitaus schwerwiegendere persönliche Verluste, die der Kampf an der Seite Napoleons ihm ebenso wie der gesamten Leipziger Bevölkerung eingetragen hatte. Vielleicht offenbarte sich ihm das Vorgehen, das dem Urbild einer schöpfenden Hand nachgebildete, Leben spendende Esswerkzeug letzten Endes der Tötung Unzähliger zu opfern, nur einen Augenblick lang in seiner ganzen Perversion.

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In Anbetracht der historischen Gegebenheiten ist es jedoch wahrscheinlicher, dass das Löffelfragment die Heimattreue seines Besitzers attestieren sollte. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts stellte selbst für diese vermutlich wohlhabende Person ein Löffel ein bedeutsameres Besitztum dar, als es sich der heutige Konsument industriell gefertigter Massenware vorstellen kann: Nicht selten bekam man einen einzelnen kostbaren Löffel zur Taufe geschenkt, den man anschließend bis zum Lebensende benutzte. Häufig verfügte auch allein das Familienoberhaupt über jenes Hoheitsrecht, worin auch das heute noch gängige Idiom »den Löffel abgeben« seinen Ursprung hat.

164 × 10 × 26 mm Horn, versilbertes Eisen Fundort: Leipzig, Lindenau gefunden am: 11.05.2013

Dass der Besitzer dieses sowohl materiell wie persönlich wertvolle Besteck bereitwillig in die Waagschale der Krieg Führenden warf, kann als Symptom einer entfachten deutsch-nationalen Begeisterung betrachtet werden. Doch obwohl diese sich in den darauf folgenden Jahrzehnten keineswegs verlor, büßte das Löffelfragment mit dem allmählichen Verblassen der persönlichen Erinnerungen seines Besitzers nach und nach an ideellem Wert ein, sodass es nach dessen Tode lediglich als Kuriosität Eingang in seinen Nachlass fand. Gut hundert Jahre waren seit der Völkerschlacht vergangen, als ein Nachfahre beim Stöbern zufällig auf die Hornlaffe stieß. Die Zeit hatte jene ihrer ursprünglich großen persönlichen Bedeutsamkeit beraubt; da dem Finder aber ihre sanfte, mit der organischen Maserung des Materials korrespondierende

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Formgebung gefiel, ließ er für die Löffelschale den versilberten, floral ornamentierten Griff anfertigen, der auch heute noch mit ihr verbunden ist. Auf diese Weise wurde einerseits harmonisch zusammengefügt, was einst durch den Befreiungskrieg getrennt worden war. Andererseits hatten sich die Zeiten geändert; die ursprüngliche Gestalt des Löffels war unwiederbringlich in Vergessenheit geraten und durch nichts konnte der Zustand von vor 1813 wieder hergestellt werden. Unter praktischen Gesichtspunkten bedurfte es des zierlichen Geräts mit dem Älter werden der Kinder wohl nur für einen sehr begrenzten Zeitraum; und auch das anfänglich ästhetisch so faszinierende Hornmaterial wurde in späteren Jahren im alltäglichen Gebrauch durch Plastik ersetzt. So wurde der einzelne, keinem wertvollen Service angehörende Löffel an ein Antiquariat im Leipziger Westen verkauft. Dort wartete er in einer Vitrine, umgeben von unzähligen anderen Gegenständen darauf, mir die in seinem Wesen, seiner Materialität, still eingeschriebene Geschichte erzählen zu dürfen.

Autor Nicole Marion Müller Literatur Museum der bildenden Künste Leipzig (Hrsg.): 1813. Die Zeit der Befreiungskriege und die Leipziger Völkerschlacht in Malerei, Graphik, Plastik. Leipzig 1988 Links http://de.wikipedia.org/wiki/Gold_gab_ich_f%C3%BCr_Eisen http://en.wikipedia.org/wiki/File:Arthur_Kampf_Volksopfer_1813.jpg (Bildquelle; beide zuletzt überprüft am 12.05.2013) Fotos Nicole Marion Müller

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Hufeisen 170 × 190 × 20 mm geschmiedetes Eisen Fundort: Wildpark, Leipzig gefunden am: 10.05.2013

Ein Eisen. Geschmiedet zum Schutz des Pferdehufs. Verloren beim Ziehen von Baumstämmen. Gefunden nach Jahren. Artefakt und Zeitzeuge eines Monumentalbaus. 100 Jahre Völkerschlachtdenkmal.

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Beim Spazieren durch den allseits beliebten Wildpark im Süden Leipzigs fand ich, im durch den Regen aufgeweichten Boden, ein glänzendes Stück Metall. Durch seinen Glanz mein Interesse weckend, hob ich das Stück auf und stellte überrascht fest, welchen Schatz ich da geborgen hatte. Ein altes ausgetretenes Hufeisen. Handgeschmiedet und verbogen. Kein gewöhnlicher Fund, in einem vom Menschen mit Wegen durchzogenem Waldgebiet. Ich fragte mich, wo es seinen Ursprung gehabt haben könnte?, wo es herkam?, welche Geschichte es mir erzählt? Ich suchte Rat bei einem Pferdehof. Dort wurde mir erklärt, um welche Art Eisen es sich handelte. Ein Schuh für ein großes Pferd. Ein Pferd, welches schuftete. Eines welches für landwirtschaftliche Zwecke eingesetzt worden war. Mit diesen Informationen bewaffnet, recherchiert ich im Netz und kam zu keinem Ergebnis. Welche Art Landwirtschaft sollte nur an jenem Ort ansässig gewesen sein? Plötzlich fiel es mir ein, Landwirtschaft beschränkt sich nicht nur auf Ackerbau, sondern bezieht Forstwirtschaft ebenso mit ein. Während der Bauarbeiten des Völkerschlachtdenkmals wurden in den umliegenden Wäldern, die damals noch unberührt und außerhalb des Stadtgebietes lagen, unzählige Bäume geschlagen. Bäume die weiterverarbeitet, als Stützkonstruktionen verwendet wurden, um die riesigen Baupläne umzusetzen. Um die Stämme aus dem unwegsamen Gelände zu befördern, verwendete man starke und robuste Arbeiterpferde. Die Belastung auf die Tiere war enorm. Sollte das Hufeisen ein Zeitzeuge des Baus des Völkerschlachtdenkmals sein? Könnte es von einem Pferd, welches nicht unmaßgeblich an der Errichtung des Monuments beteiligt war, verloren worden sein?

Autor Thomas Endler Literatur Leipziger Freimaurer in Wort und Stein Links http://uni-leipzig.de/~studart/blog/voelkerschlacht/hufeisen Fotos Thomas Endler

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Kartätschenkugel d = 40 mm Lehm, Blei Fundort: Wachau (Markkleeberg), Acker gefunden am: 25.08.2012

Pulverdampf, Biwakbrände und Verwüstung prägten Leipzig im Oktober 1813. Wachau, an der Südfront gelegen, musste unter dem Kampfgeschehen besonders leiden. Die Kartätschenkugel ist ein stummer Zeitzeuge dieser verlustreichen Schlacht.

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200 Jahre lang lag sie begraben und vergessen in der Erde, wie viele andere ihrer Art. Doch immer wieder gelangen die Kugeln zurück an die Oberfläche. Durch Zufall machte ich einen solchen Fund. Auf einmal ein Wolkenbruch: Schnell stellten wir uns unter einen großen Baum, der am Feldweg stand. Wir unterbrachen unsere Radtour zum Markkleeberger See, um den Regen abklingen zu lassen. Links und rechts von uns große gepflügte Felder. Ich starrte gedankenverloren auf den Ackerboden zu meinen Füßen, auf dem sich kleine Pfützen bildeten. Mein Blick blieb plötzlich an einer kleinen Kugel hängen, die dort wie selbstverständlich neben Erdbrocken und Feldsteinen lag. Was kann das sein? Ohne zu zögern, kniete ich mich in die warme, nasse Erde um meinen Fund zu bergen. Relativ schwer war das Kügelchen und hart. Wenig später gesellte sich ein Mann zu uns unter den Baum, der sich als der Besitzer des Feldes vorstellte. Als ich ihm das merkwürdige Kügelchen zeigte, wusste er sofort Bescheid: »Könn’ Sie behalten! Hab ich im Keller zwei ganze Milchkannen voll mit den Dingern. Mehrere Größen«. »Was ist das denn überhaupt?«, fragte ich, noch immer unwissend daher schauend. »Wissen Sie nicht, Fräulein? Kartätschenkugeln sind das. Noch vom Napoleon. Die ham‘ die Soldaten damals mit dem Pulver in ihre Kanonen gesteckt. Und dann ham‘ se sich gegenseitig erschossen damit. Hab auch schon Gürtelschnallen und richtig große Kanonenkugeln gefunden«. Der Mann nahm seine Zigarette in den Mund und formte mit seinen Händen eine große Kugel. »Da kriegste och bisll Geld dafür. Aber für die kleen Murmeln hier gibt’s nix. Zuhauf liegen die hier rum, genauso wie Musketenkugeln, die sind dann aber noch kleener. War doch alles Schlachtfeld hier – Markkleeberg und Wachau, die Ecken. Sobald ich dann hier pflüge, komm‘ die ganzen Kugeln wieder hoch. Wenn man die dann alle sieht, kann man sich erstma‘ vorstellen, wie erbittert die gekämpft ham‘ müssen vor 200 Jahren, hier auf meinem Acker. Könn’ Sie gerne haben, das Ding.« Als der Regen aufhörte, setzen wir unsere Radtour fort. Die Kugel nahm ich mit. Am See angekommen ließ ich mich fallen und betrachtete nochmals das Kügelchen, dessen Geschichte mich nicht losließ. »Würde ich mir nicht ins Regal stellen, die hat vielleicht schon mal jemanden umgebracht. Da ist noch Blut dran!«, spaßte meine Freundin. »Sehr witzig«, meinte ich nur. Doch ich musste mir tatsächlich eingestehen, dass der Gedanke nicht einmal allzu absurd war. Entsetzt ließ ich die Kugel schnell neben mich ins Gras gleiten.

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Kartätschen waren eine besondere Art der Munition: Stein- oder Metallkugeln wurden in Behälter aus Eisen- oder Zinkblech abgepackt. Als diese Ladung dann aus der Kanone verschossen wurde, zersetzte sich die Büchse und die Kugelgeschosse breiteten sich in der Luft zu einer tödlichen kegelförmigen Formation aus, die auf einer großen Fläche Zerstörung verursachte. Mein Fundstück lag noch immer still neben mir und blickte mich unschuldig an. Ich werde wohl nie herausfinden, was dieser kleine, stumme Zeitzeuge in der Schlacht von 1813 ausrichtete, aber dank ihm habe ich so einiges über die Geschichte der Wachauer Felder gelernt.

Autorin Susan Schaale Links http://de.wikipedia.org/wiki/Kart%C3%A4tsche_(Munition) http://de.wikipedia.org/wiki/Wachau_(Markkleeberg)

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Kitschratten 246 × 242 × 215 mm Polyester, Plastik, Füllwolle Fundort: Völkerschlachtdenkmal, gefunden am 15.08.2012

Zwei Ratten auf einem Herz als kitschtriefendes Plüschtier aus Polyester verkauft von einer Gruppe Junggesellinnen vor dem Völkerschlachtdenkmal – ein Gedanke zur Erinnerungskultur.

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Unter dem Kichern ihrer angetrunkenen Freundinnen drückt uns die NochJunggesellin erleichtert ein Plüschtier in die Hand. Unsererseits erleichtert, so der Meute entkommen zu können, drücken wir ihr zwei Euro in die Hand und steigen die Stufen des Denkmals hinauf. Die Endzwanziger winken noch einmal eifrig und zerren die müde Frau und ihren Bauchladen zu ihrem nächsten Opfer. Nachdenklich drehe ich das erworbene Plüschgebilde in meinen Händen, streiche über den Polyesterpelz der zwei Ratten auf ihrem Polyesterherz. Warum haben sich die Damen gerade das Völkerschlachtdenkmal als Ort für ihren Ramschverkauf ausgesucht? Für einen spaßigen Junggesellinnenabschied strahlt das wuchtige Bauwerk in unserem Rücken doch reichlich schlechte Laune aus. Oder wirkt es nur auf mich so? Hat das Bauwerk für sie eine andere, vielleicht sogar positive Bedeutung? Und ohnehin, warum haben wir uns unsererseits auch ausgerechnet diesen Ort für einen romantischen Ausflug ausgesucht? Das Völkerschlachtdenkmal, fotografiert Anfang Juni 2013 – wem oder was wird hier gedacht?

Mein Freund sitzt neben mir, blickt zufrieden und entspannt auf das Leipziger Panorama, das sich uns von diesem Punkt des Denkmals aus bietet. Als Italiener, erst kurze Zeit in Leipzig, wollte er schon lange mit mir hierher kommen, zum Denkmal der großen Battaglia di Lipsia. Die Battaglia, die Schlacht, war das Einzige was er mit dieser Stadt verband, bevor er hierher kam, was er im Geschichtsunterricht vor Jahren gelernt hatte. Als große und bedeutende Schlacht in der Geschichte Europas wurde sie ihm präsentiert, was Leipzig fast ebenso viel Platz im Unterricht einräumte wie Berlin, München und Buchenwald.

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Das Monument dieser Battaglia di Lipsia war daher also etwas, das er unbedingt mit mir gesehen haben wollte – wogegen ich mich lange sträubte. Nach meinem eigenen Umzug nach Leipzig war das Bauwerk eines der Ersten welches ich hier bewusst wahrnahm, thronte es doch bei jedem Blick aus dem Fenster meines WG-Zimmers unheilvoll und unübersehbar am Horizont. Als Mahnmal, wie es oft genannt wird, durfte es ja abschreckend wirken, aber meine instinktive Abneigung ging darüber hinaus. Bald stellte ich mir die Frage, vor was das Denkmal überhaupt mahnte, wem es gedenken wollte. Den Schrecken des Krieges, den Tausenden Toten, dem zweifellos großen Leid der Stadt damals 1813? Als das Denkmal 1913 gebaut wurde, ging es den Erbauern um etwas anderes. Es galt, ein Symbol für die Stärke der neuen deutschen Nation zu setzen, ein Denkmal, welches in seiner Größe alle anderen in Europa überragen sollte. Es ist ein Denkmal, das in Form eines Reliefs die »deutschen TuErzengels Michaels, Patron der Soldaten im Zentrum eines Reliefs voll militaristischer und nationalistischer Symbolik

genden« - darunter Volkskraft und Opferfreudigkeit - predigt. Ein Denkmal, das laut dessen Weiheschrift pures, »mannhaftes Deutschtum« und die Macht »des deutschen Gedankens« zum Ausdruck bringt. Ein Denkmal, das nach dem Willen der Erbauer zu einer Feststätte werden sollte, vor dem die »Gesundheit und Kraft des deutschen Volkskörpers« präsentiert werden könnte. Ein Denkmal, dessen Symbolik und Bedeutung Hitler dann auch so gut ins Konzept passten, dass sich die Nationalsozialisten hier mehrmals im großen Stil versammelten. Ein Denkmal, vor dem auch heute noch jedes Jahr die NPD gerne Ihre braunen Fahnen schwenken möchte. Letztendlich ein Denkmal also, vor dessen militaristischer, nationalistischer und präfaschistischer Symbolik es mich ekelt. Ich habe hier mit meinem Freund – zumindest im Zuge eines romantischen Ausflugs – ebenso wenig verloren wie die kichernde Junggesellinnenbande, die langsam von dannen zieht. Aber auch allgemein werden hier Millionen für eine schöne Restaurierung ausgegeben, Konzerte gefeiert und Badewannenrennen veranstaltet. Es spricht nichts gegen eine Uminterpretation eines solchen Ortes in etwas Positives, aber dann muss Vergangenes bewusst verarbeitet und nicht ignoriert werden. Mein Freund ist als Italiener unbelastet, mangelnde Erinnerungskultur kann ich ihm kaum vorwerfen. Für mich aber ist es ein Schandfleck, den es als solchen anzuerkennen gilt - wenn man sich denn die Erinnerung an dessen Ursprung bewahrt.

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Ich drehe mein neues Plüschmonster weiter in meinen Händen herum. Viel zu klobig ist das Gebilde der grauen Ratten, auf ihrem grell-roten Herz mit Schleifchen und Mäuseweste könnten sie hässlicher und kitschiger kaum sein. Theoretisch sollten sie wohl positiv wirken auf den potenziellen Käufer, aber Polyester und Mc-Geiz-Herkunft lassen das kaum zu. Aber zumindest hier, vor diesem wuchtigen, grauen, kitschig-pathetischen Steinhaufen mit Nationalistenherkunft machen sie sich wunderbar. Wer weiß, vielleicht hatten sich die Junggesellinnen ja auch an diese Parallelen gedacht, als sie uns die Kitschratten verkauften. Vielleicht ist es mit der Erinnerungskultur doch besser gestellt, als ich es mir gerade so selbstgefällig vorstelle. Vielleicht ekeln sich ja alle Touristen und die bald zu erwartenden Besucher der 200-Jahr-Feier zusammen mit mir, wenn sie hierher kommen. Mich schaudert es noch einmal ein wenig, als ich wieder die Treppen des Denkmals heruntersteige, vor dem Gebilde hinter mir wie auch vor dem in meiner Hand. Nach einem erneuten Umzug bin ich zu Hause vor dem Anblick des Denkmals zwar sicher, aber zumindest das Denkmal in plüschig-klein nehme ich mit mir. Der Erinnerung wegen.

Autor Jérôme Thierry Literatur Spitzner, Alfred. Deutschlands Denkmal der Völkerschlacht, das Ehrenmal seiner Befreiung und nationalen Wiedergeburt : 1813 - 1913; Weiheschrift des Deutschen Patriotenbundes. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1913. Links http://www.d-just.de/text22.pdf http://www.l-iz.de/Politik/Engagement/2011/08/Voelkerschlachtdenkmal-ist-lein-Friedensdenkmal-28625.html Fotos Jérôme Thierry

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Löwenstein 55 × 33 × 38 mm Sedimentgestein Fundort: Pausa, Vogtland gefunden am: 25.05.2013

Der Löwenstein wurde bei der Leipziger Löwenjagd benutzt, um einen entflohenen Zirkuslöwen in die Reichweite der Polizeiwaffen zu treiben. Anlässlich der Feierlichkeiten zur Einweihung des Völkerschlachtdenkmals gastierte der Zirkus Barum in Leipzig.

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Wie kam es zur Löwenjagd? Die Leipziger Löwenjagd hat sich wirklich ereignet (siehe Wikipedia-Artikel). Außer der Einweihung des Völkerschlachtdenkmals wurde auch das 100-jährige Jubiläum der Völkerschlacht bei Leipzig gefeiert. Das Gastspiel des Zirkus Barum stellte aufgrund der berühmten Löwennummer eine besondere Attraktion dar. Der Zirkus gastierte anlässlich der Feierlichkeiten noch einen Tag länger, weshalb nach der Abendvorstellung am 19. Oktober 1913 die Zeit drängte. Die Zirkustiere sollten per Pferdewagen zur Verladung auf den Güterbahnhof gebracht werden. Auf dem Weg dorthin legten die Kutscher des Bären- und Löwenwagens an der Bierkneipe Graupeter (Berliner Straße 42) eine Pause ein und ließen die Wagen unbeaufsichtigt stehen. Die Pferde wurden unruhig und durch stießen mit der Wagendeichsel die Rückwand des Löwenwagens. Daraufhin scheuten dessen Pferde und der Wagen geriet auf die Gleise der Straßenbahn. Im dichten Abendnebel stieß schließlich eine Straßenbahn mit ihm zusammen, sodass acht Zirkuslöwen entkommen konnten. Der Streifenpolizist Bruno Weigel bemerkte die ungewöhnliche Situation und rief etwa 80 weitere Polizisten zu Hilfe. Waren einige von ihnen am Vortag noch für die Sicherheit der Besucher des Völkerschlachtdenkmals zuständig, begaben sie sich an diesem Tag nun auf Löwenjagd. Zwei der Löwen konnten lebend eingefangen werden. Löwin »Polly« wurde im Hotel Blücher in einer Toilette eingesperrt und konnte ebenso wie ein weiterer Löwe in der Berliner Straße per Kastenfalle eingefangen werden. Die anderen sechs Löwen wurden lange Zeit gejagt. Polizisten wie Passanten versuchten, die wilden Tiere in die Enge zu treiben. Bei der Jagd auf den Löwen »Abdul« warf ein Passant einen Stein. Folglich setzte sich das umstellte Tier in Bewegung, rannte in Richtung der schussbereiten Polizisten und wurde schließlich durch 165 Pistolentreffer getötet. Der Passant nahm sich den »Löwenstein« als Andenken an seine Beteiligung an der Löwenjagd mit und bewahrte ihn auf. Der Passant kannte meinen Uropa, denn beide waren Studienfreunde. Sie hatten zusammen die Einweihung des Völkerschlachtdenkmals miterlebt und waren an jenem 19. Oktober 1913 gemeinsam im Zirkus Barum gewesen. Auf ihrem Weg nach Hause wurden sie in die Löwenjagd verwickelt und beteiligten sich an der Jagd. Am Ende der gemeinsamen Studienzeit in Leipzig schenkte der Passant meinem Uropa zum Abschied den Löwenstein. Dieser nahm ihn bei seinem Umzug mit nach Pausa, denn dort lebten er und seine Familie nach seinem Studium. Seine Tochter (meine Oma) hörte staunend zu, wenn er die Geschichte des Löwensteins erzählte. Im Lauf der Jahre geriet der Stein in Vergessenheit. Keiner wusste mehr, wo er sich befindet.

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Leipziger Löwenjagd im Zoo (E. Hoenisch)

Der Fund An einem verregneten Samstagvormittag suchte ich auf unserem Dachboden nach einem Buch. Als ich in einem alten Schrank nach sah, entdeckte ich einen Stein. Ich dachte mir nichts dabei und ließ ihn, nachdem ich das Buch gefunden hatte, auf dem Schrank liegen. Am Nachmittag, als meine Oma gerade die Wäsche aufhängte, hörte ich auf einmal einen Freudenschrei. Schnell eilte ich zu ihr. Sie rief immer wieder: »Der Löwenstein!« Aufgeregt erzählte sie mir die Geschichte des Steins, wie er bei der Leipziger Löwenjagd verwendet wurde, wie ihn der Passant meinem Uropa geschenkt hatte und dass ihr Vater ihr immer diese Geschichte erzählt hatte. Die Geschichte des Löwensteins erzählt mir meine Oma seitdem immer wieder, wenn wir zusammen auf dem Dachboden stöbern oder wenn die Worte »Völkerschlacht« oder »Völkerschlachtdenkmal« in einem Gespräch fallen. Für sie sind die Einweihung des Völkerschlachtdenkmals und die Leipziger Löwenjagd untrennbar miteinander verbunden und für mich seit meinem Fund auch.

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Autor Silvia Drescher Literatur Haikal, Mustafa; Junhold, Jรถrg: Auf der Spur des Lรถwen. 125 Jahre Zoo Leipzig 2003, S. 108f. Links http://de.wikipedia.org/wiki/Leipziger_L%C3%B6wenjagd http://www.leipzig-lese.de/index.php?article_id=238 http://goo.gl/02tN5 Fotos Silvia Drescher E. Hoenisch

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Manschettenknopf 18 × 35 × 0,4 mm Messing Fundort: Karl-Heine-Straße gefunden am: 17.04.2013

Manschettenknöpfe werden zu Anzügen jeglicher Form getragen und bis heute nicht von jedermann. Wenn sie nicht als Würdenzeichen getragen werden, lassen sie würdiger erscheinen. Wir messen mit ihnen seinen Träger in eine Position höherer Verantwortung. Inwieweit dieses Maß Realität ist, spielt dabei keine Rolle. Symbole sind die Kennungen allgemeiner Denkkonstrukte, sie mindern das Risiko und halten die Ordnung.

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Der Manschettenknopf In diesem Semester beschäftigen wir uns an seinem doppelten Gedenken mit der Völkerschlacht zu Leipzig und in mir wächst die Frage, wie viel unterschiedliche und auch ähnliche innere Bilder zu diesem Thema und seinem Denkmal in Leipzig aufkommen. In der Schlacht sind im Gefecht, an ihren Verletzungen, durch Krankheit und Hunger über 100 000 Menschen gestorben. Ihr Gedenken steht, gebaut aus Beton und Vulkanstein, am Ende der Straße des 18. Oktober. Nicht nur als ein Teil der Befreiungskriege, Niederlage Napoleons, politische »Rückwende« für Frankreich und auch als eine der verlustreichsten Schlachten Europas, findet dieses Ereignis viele Interessenten. Jährlich wird in Leipzig die Völkerschlacht als Spiel nachvollzogen, hier kann man alte Uniformen und Kriegsmanöver im Durcheinander der Geschütze bestaunen. Auf der Suche nach neuer Literatur im Buch- und Antikladen an der Karl-HeineStraße habe ich in einer alten Pappschachtel neben anderem Tinnef auch diesen einzelnen Manschettenknopf gefunden. Sofort hat mich das Ding an die Manschetten der Militärröcke erinnert, die von den Soldaten in der Völkerschlacht getragen wurden. Der Knopf ist etwas größer als ein gewöhnlicher Hemdknopf. Die Knopffläche ist kreisförmig und hat einen Zierrand. An dem krummen Steg lässt sich an einem Sattelgelenk ein kleines Oval hin und her bewegen das auf der Innenseite des Hemdes die Manschette zusammenhalten muss.
Schnell fand ich heraus, dass an den Manschetten oder Aufschlägen der Militärröcke keine Manschettenknöpfe, sondern Ösen- oder Zierknöpfe angebracht waren, welche je nach Farbe unterschiedliche Ränge markierten. Zwar gab es Manschettenknöpfe seit Mitte des 18. Jahrhunderts doch hatten sie in der Völkerschlacht um Leipzig keine tragende Rolle in der Uniformausstattung. Erst in den 1850er Jahren kam der Manschettenknopf mit seiner maschinellen Herstellung allgemein in Mode.
Manschettenknöpfe werden heute zu Anzügen jeglicher Form getragen und bis heute nicht von jedermann. Wenn sie nicht als Würdenzeichen getragen werden, lassen sie würdiger erscheinen. Wir messen mit ihnen seinen Träger in eine Position höherer Verantwortung. Inwieweit dieses Maß Realität ist, spielt dabei keine Rolle. Symbole sind die Kennungen allgemeiner Denkkonstrukte, sie mindern das Risiko und halten die Ordnung. Zur Differenzierung und als Kennung der militärischen Ordnung im Krieg dienten die Uniformen und ihre Rangzierungen den Soldaten. Der Manschettenknopf, der als Zierwerk und modisches Statement in der Politik, der Wirtschaft und beim Militär Ehr- und Würdenträger kleidet, kann hier ein Symbol für Etikette und Rangordnung sein. Das Kriegspathos ist auch eine Gedankenordnung, welche in ihrer geschichtlichen Entwicklung verschiedene Gesichter trug. Eroberungskriege führten für territoriale Ausdehnung die Idee des Heldentums und der Vaterlandstreue an, wie auch 1813.

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Hundert Jahre später erweiterte sich diese Haltung zum Krieg als die Ebnung zum Fortschritt. Zerstörung bereitete den Neuaufbau vor. Heute wird Krieg weit der weltpolitischen Einflussgebiete geführt. Er wird meistens auf heimatlosem Terrain ausgefochten. Soldaten sind nun mehr die Polizei der Weltpolitik, die in besetztem Gebiet für Ordnung sorgt. Das Chaos Zerstörung bekommt mit immer mehr ausgefeilter Technik und spezifischer angelegten Kriegswaffen eine Ordnung. Für das Militär funktioniert das Töten nun geschützter, sicherer und kalkulierter. Mit der Endindividualisierung der kriegerischen Mittel und Tötungswege blieb das Kriegspathos in der Geschichte hängen. Gern lässt man ihn zum Gedenken wieder aufleben, wie auch Leipzig in diesem Jahr zum doppelten Jubiläum der Völkerschlacht »Leipzig. 18131913-2013. Eine europäische Geschichte« den Gefallenen gedenken möchte und gleichzeitig zum touristischen Erlebnis, mit dem Nachstellen der Schlacht, wird. Das Monument strahlt in seiner Größe und Masse Beständigkeit und Ruhe aus. Es soll der Toten letzte Ruhestätte sein. Die steinernen Kriegstugenden dösen in Zeiten des Friedens und die Wächter halten die Stellung. Das Jubiläumsspektakel scheint sie nichts anzugehen.

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Autor Hendrikje Streiter Links http://www.grosser-generalstab.de/tafeln/knoetel.html http://www.historischer-bilderdienst.de/deutschland/brandenburg-und-preussen/ lezius-knoetel-das-alte-und-das-neue-heer.php Foto Hendrikje Streiter

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Maus 50 × 110 × 15 mm Körper (lackiert) Fundort: Leipzig, Marktplatz gefunden am: 29.03.2012

Die Maus galt in der Völkerschlacht als Vorratsvernichter und war somit ein schwer zu bekämpfendes Problem. Darüber hinaus verweist sie auf die zahlreichen Tiere, die ebenso wie Menschen zu Tode kamen. 92.000 Leichen wurden seinerzeit vergraben - der tote Körper dieser Maus jedoch ist sichtbar.

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Verwesender Körper Unmittelbar vor Eintritt des Todes läuft die Maus noch einige Schritte und setzt dann zum Sprung an. Nicht nachzuweisen ist, ob dies im vollen Bewusstsein geschieht. Üblicherweise wird sie von ihren Artgenossen vergraben oder von diesen fast vollständig gefressen, um eine Geruchsentwicklung zu vermeiden, die Fressfeinde anlockt. Im Verlauf des Verwesungsprozesses versteifen sich zuerst die Gliedmaßen infolge chemischer Prozesse. Die Leichenstarre erfasst zuerst die Augenmuskulatur und erweitert sich auf den gesamten Körper. 50 × 110 × 15 cm Körper (lackiert) Fundort: Leipzig, Marktplatz gefunden am: 29.03.2012

Die Autolyse der Muskelfasern bewirkt die anschließende Erschlaffung des Körpers. Diese tritt ca. nach 8-16 Stunden ein. Ob die Selbstauflösung bereits eingesetzt hat, merkt man daran, dass die Verstorbenen einen schwammigmatschigen Körper, sowie einen leicht grünlichen Hautton überwiegend im Bauchbereich aufweisen. Ist das Innere vollständig aufgelöst, können die Körperflüssigkeiten durch die verschiedenen Körperöffnungen austreten. Die Haut kann aufweichen und die zersetzten Körperflüssigkeiten treten aus. Es beginnt eine Art Eintrocknung des Gewebes, die Maus wirkt dann mumifiziert.

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95 Skelette wurden bei Grabungsarbeiten im Zuge des »Citytunnels« in der Leipziger Innenstadt gefunden. Neben menschlichen Skeletten fanden sich auch einige tierische Überreste, die am Verwesungsprozess der Körper maßgeblich beteiligt waren und schließlich selbst in den Massengräbern starben.

Obwohl der Schädel nicht mehr erhalten ist, sind die Zähne von Ober- und Unterkiefer noch zu sehen.

Autor Hanna Erler Links http://wiki.mausebande.com/farbmaus/tod http://www.t-online.de/nachrichten/wissen/archaeologie/ id_55251768/massengraeber-der-leipziger-voelkerschlacht-entdeckt.html Fotos Hanna Erler

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Museumsticket 15,5 cm × 7 cm Offsetdruck auf Papier Fundort: Leipzig, Völkerschlachtdenkmal gefunden: 18.04.2013

Nationaldenkmal. Ruhmesmal des deutschen Volkes. Ehrendenkmal für die Gefallenen. Friedensdenkmal. Begegnungsort. Gedenkstätte. Mahnmal. Oder eher Spaßbude? Touristischer Anziehungspunkt. Leipziger Wahrzeichen. Ein kolossaler Tempel. Das Völki. Das Schönste der Welt.

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Das Völkerschlachtdenkmal. 91 Meter hoch erstreckt sich vor mir das monumentale Bauwerk. Ich blicke hinauf. Direkt über meinem Kopf befindet sich die Schwertspitze des Erzengels Michael, dem Schutzpatron der deutschen Soldaten. Über ihm thront der Schriftzug: »Gott mit uns«. Daneben die Darstellung des Schlachtfeldes: Gefallene Krieger, kaputte Wagen und sterbende Pferde. Chaos. Tod. Eine Darstellung des schrecklichen Ereignisses, das sich vor 200 Jahren genau an diesem Ort zugetragen hat. Eine der größten und blutigsten Schlachten Europas. 90 000 Tote. Die Gesichter der steinernen Figuren, die am Völkerschlachtdenkmal Totenwache halten, blicken starr an mir vorbei. Furchtlos, tapfer, wachsam. links: Darstellung des Erzengels Michael und des Schlachtfeldes an der Außenwand des Völkerschlachtdenkmals rechts: Skulptur des Barbarossakopfes am Eingang zum Völkerschlachtdenkmal

Angesichts des kolossalen Baus fühle ich mich auf einmal ganz klein. Alles wirkt kalt und traurig, fast bedrohlich. Die Geschlossenheit, die vom Völkerschlachtdenkmal ausgeht, jagt mir zugleich Angst wie auch Ehrfurcht ein. An dem großen Barbarossakopf vorbei steige ich die Treppe hinauf, um zum Eingang zu gelangen. Mein Blick fällt auf die Eintrittskarte in meinen Händen. Ich stutze. »Das Schönste der Welt« steht in großen Buchstaben auf der Karte. Ich schaue noch mal genauer hin: Tatsächlich ist neben Eiffelturm, Freiheitsstatue und Big Ben ein überdimensionales Völkerschlachtdenkmal gedruckt.

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»Das Schönste der Welt«, murmele ich. Ich glaube, das wäre der letzte Satz gewesen, der mir beim Anblick dieses wuchtigen Turmes in den Sinn gekommen wäre. Bedeutungsvoll – ja. Geschichtsträchtig – auch. Aber schön? Während ich noch so in Gedanken versunken auf das Museumsticket starre, spüre ich von hinten einen leichten Stoß. Der Wachmann am Eingang blickt ungeduldig. Hinter mir stehen noch weitere fünf Leute, die auf den Riss in ihrer Eintrittskarte warten. Schnell gebe ich ihm mein Ticket und verschwinde im dunklen Innenraum.

Hoch oben auf der Plattform nehme ich die Gedanken von vorhin wieder auf. Die kontroverse Debatte, die besonders jetzt zum »Jubiläum« in Leipzig um das Völkerschlachtdenkmal und seine Bedeutung und Nutzung geführt wird, wirft auch bei mir viele Fragen auf. Wie sehen wir uns? Und wie wollen wir gesehen werden? Und in welchem Licht sehen und gedenken wir den Ereignissen vor 200 Jahren? Wie positionieren wir uns zu dem 100 Jahre später errichteten Denkmal, »das für die einen das Sinnbild des Nationalismus ist, für die Anderen ein touristisches Ausflugsziel mit Spaßfaktor?« (Thalheim, Daniel: Völkerschlachtdenkmal: Eine »beneidenswerte« Leid-Debatte ist in Leipzig entbrannt, 11.08.2011) Schon seit längerer Zeit ist versucht worden, das Völkerschlachtdenkmal zum Friedensdenkmal umzudeuten. Doch vielen scheint dieser Versuch absurd, da das Völkerschlachtdenkmal als Nationaldenkmal errichtet wurde und von seiner ganzen Geschichte und Symbolik kein Friedensdenkmal ist. Was es sein kann, so erhoffen sich viele, ist ein Ort der Begegnung und des Gedenkens. Ein Ort, der einlädt zum Erinnern und reflektieren.

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Aber auch hier stellt sich wieder die Frage, wie solch ein Gedenken aussehen kann, insbesondere zu einem solch wichtigen Ereignis wie dem Doppeljubiläum im Oktober. »Jubiläum« – ist dieser Begriff überhaupt passend für diesen Anlass? Jubeln? Worüber? Juliane Nagel, und mit ihr viele Andere, sind der Meinung, »das Doppeljubiläum kann nur still und nachdenklich begangen werden, ohne lärmende Kriegstümelei und Nationalkult.« Ja, warum feiern wir ein europäisches Friedensfest mit nachgestellten Schlachtszenen? Viele können das nicht richtig nachvollziehen. Für Andere jedoch braucht es die Schlachtnachstellungen, um die Ereignisse um 1813 verstehen zu können und die Grauen des Krieges lebendig werden zu lassen. Immerhin zieht dieses Spektakel viele Leute aus der ganzen Welt an. Worüber sich anscheinend alle einig sind, ist, dass das Ziel der Gedenkwoche sein sollte, den Blick nicht nur nach hinten zu richten, sondern nach vorne, auf ein gemeinsames Europa. Aus Leipzig, dem Ort der friedlichen Revolution, soll eine friedliche Botschaft für ein einheitliches Europa gesendet werden. Doch erreicht man dieses Ziel wirklich, indem man sich groß auf die Fahne schreibt: Wir haben das schönste Denkmal von allen?

Autor Carina Bendel Links http://www.l-iz.de/Leben/Gesellschaft/2011/08/Voelkerschlachtdenkmal-Einebeneidenswerte-Leid-Debatte-28632.html http://aktuell.meinestadt.de/leipzig/2013/06/01/podiumsdiskussion-am-4-junider-umgang-mit-200-jahren-voelkerschlacht/ http://www.stadtgeschichtliches-museum-leipzig.de/site_deutsch/voelkerschlachtdenkmal/ http://www.hgb-leipzig.de/kunstorte/vsd_einfuehrung.html http://www.leipzig1813.com/index.php?id=76 http://www.voelkerschlacht-jubilaeum.de/ http://jule.linxxnet.de/index.php/2011/08/das-volkerschlachtdenkmal-ist-ebenkein-%E2%80%9Efriedensdenkmal%E2%80%9C/ Fotos Carina Bendel

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Nagel 15 × 68 × 15 mm Eisen Fundort: Leipzig, Zentrum gefunden am: 16.05.2013

Die tragende Rolle eines Nagels: Bekanntmachungen wurden früher an öffentlichen Stellen für die Bürger angeschlagen. Dieser Nagel trug nicht nur das Gewicht des Papiers, sondern auch einen wichtigen Inhalt.

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So auch zu Zeiten von Victor Prendel, der nach der Völkerschlacht als Stadtkommandant in Leipzig eingesetzt wurde. Der Jubel über die gewonnene Schlacht wurde getrübt mit der Angst vor Epidemien und Chaos. Als Stadtkommandant stand Prendel vor der schweren Aufgabe die öffentliche Ordnung nach dem Krieg in Leipzig wieder herzustellen. Es galt die katastrophalen hygienischen Verhältnisse zu verbessern, die Versorgung mit dem Notwendigsten zu sichern und militärische Angelegenheiten zu organisieren. Zehn Tage nach dem Ende der Schlacht machte er bekannt: Bekanntmachung vom 17./29. Oktober 1813

»Die Unreinlichkeit in denen Straßen und auf denen Plätzen will noch nicht abnehmen. Die Misthaufen liegen aller Orten herum. Ich frage nicht um die Ursache, sondern, vor welchem Hause sich nach 24 Stunden eine Unreinlichkeit finden wird, bezahlt der Haus-Eigenthümer in die Spitals-Kasse 10 Thaler Courant, und der Herr Polizei-Präsident bleibt für die Ausführung verantwortlich.«

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Die Verbreitung von Krankheiten musste unterbunden werden, denn die Furcht vor Seuchen war groß. Deshalb forderte Victor Prendel am 29. Oktober 1813 in einer Bekanntmachung: »[...]die Bewohner Leipzigs dringend auf, an die Sache ernstliche Hand anzulegen, damit sowohl todte Menschen als auch crepirte Pferde schleunigst unter die Erde gebracht werden, und mich nicht zu zwingen, jene strengen Maßregeln zu ergreifen, welche mir von höheren Orten eingeräumt worden sind. Bei dieser Gelegenheit werden mir die Bewohner Leipzigs Beweise von dem guten Willen geben, daß sie für ihre eigene Gesunderhaltung besorgt sind.« Victor Prendel, Stadtkommandant Leipzigs 1813/1814

Im Sommer 1814 kehrten die russischen Truppen nach der Verfolgung Napoleons aus Frankreich zurück und machten Rast in Leipzig. Mit dieser Bekanntmachung bereitete Victor Prendel die Bürgerschaft auf die bevorstehenden schweren Tage vor: »Leipziger! heute und fünf folgende Tage werdet ihr starke Einquartierung erhalten. Ich erinnere euch, es sind jene braven Russen, welche euch alte Freiheit

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und wiedergekehrte Ruhe erfochten haben. Bedenkt, welchen Gefahren sie ausgesetzt waren, welche Fatiguen sie ausstehen mußten! Nehmt sie als eure wahren Freunde, welche sie wirklich sind, gut auf, beweist, daß ihr, jeder nach Möglichkeit, seinen Dank beweisen wollt. Der das Armeecorps commandirende Herr General Graf Orurgk ist euch wegen seiner erwiesenen Tapferkeit bekannt, er wird euch auch beweisen, daß er von seinen Untergebenen geliebt wird, und auf diesen Grund die friedlichen, braven Krieger in der vollkommensten Ordnung durch alle Länder führt. Leipziger! Eure Gesinnungen, eure Beweise waren bis nun zu meiner Zufriedenheit, ich hoffe daher, diese auch für die Zukunft zu erwarten!« Prendel kümmerte sich in der schwierigen Zeit nach der Völkerschlacht mit Strenge und väterlicher Fürsorge um das Wohlergehen der Stadt. Solch ein Nagel aus Eisen, gefunden im Zentrum Leipzigs, übernahm eine wichtige Rolle in der damaligen Kommunikation: Durch diese Aushänge war es möglich, die Informationen schnell zu verbreiten.

Autor Sophie Thierfelder Literatur Hans-Ullrich Thamer: Die Völkerschlacht bei Leipzig. Europas Kampf gegen Napoleon. München: Verlag C.H.Beck 2013 Günter Latsch:Victor Prendel. Ein Original aus der Zeit der Befreiungskriege. Leipzigs Stadtkommandant 1813/1814. Leipzig: 1987 Fotos Sophie Thierfelder Wikimedia: Victor Prendel

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Napoleons Badewanne 143 x 103 x 9mm Kupfer, Patina Fundort: Köhlerstraße 7, gefunden am: 09.04.2013

Dieses letzte Kupferstück aus der Badewanne Napoleons konnte ich vor einer drohenden Verschrottung retten. Es beweist, dass Napoleon am Morgen des 15. und 16. Oktobers 1813 in der Kupferwanne badete und dabei seine Offiziere empfing, Befehle erteilte und somit den Verlauf der Völkerschlacht lenkte.

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Das Stück aus Napoleons Badewanne Als ich noch ein Kind war, unternahmen meine Eltern mit mir und meinen Brüdern regelmäßig Ausflüge. Bei diesen mitunter auch langen Wanderungen erzählte uns unser Papa Geschichten von Napoleon, der Französischen Revolutionen und den geführten Kriegen. Diese Berichte von seinem Leben, seinen Charakterzügen und seiner Kriegsführung weckten in mir das Interesse für die Vergangenheit. Als ich älter wurde, war für mich klar, dass ich Geschichte studieren möchte. Als Studienort kam nur Leipzig infrage. Hier fand 1813 die Völkerschlacht statt und ich würde viele Gelegenheiten haben mich auf die Blick auf die ehemalige Vettersche Villa und heutigen Kindergarten.

Spuren Napoleons zu begeben. Natürlich war es mir nicht egal, wo ich in Leipzig wohnen wollte. Nach langer Suche fand ich heraus, dass Napoleon während der Völkerschlacht zwei Tage in dem Sommerhaus des Bankiers Vetter in Reudnitz übernachtete (Münch 2008, S. 99) und dieses heute noch steht. Ich begab mich also auf Wohnungssuche in der unmittelbaren Umgebung und wurde fündig. Ich zog direkt gegenüber der Villa und heutigen Kindergartens (http://www.montessori-kita-leipzig.de/allgemeines.html) in die Kapellenstraße. Immer wieder blickte ich von meiner Wohnung aus auf die Villa und den ersten Stock, den Napoleon damals bewohnt hatte (Weiß 2009, S. 41).

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Als ich eines Tages auf dem Weg zur Straßenbahn an der Villa vorbei lief, sah ich wie Bauarbeiter sich gerade an einer großen Wanne zu schaffen machten. Ich schaute noch mal genauer hin und mir wurde klar, dass sie da gerade eine Kupferwanne zersägten. So eine Kupferwanne hat heute kaum jemand und erst recht kein Kindergarten. Sie konnte also nur aus der Zeit Napoleons stammen. Denn Napoleon liebte die Körperpflege. Er badete täglich mindestens eine Stunde, am liebsten sehr heiß und das auch während des Krieges (Kleßmann 2000, S. 86f.). Dafür hatte er eine Reisebadewanne. Wenn es jedoch nicht unbedingt notwendig war, badete er lieber in bequemeren Wannen. So auch in der Wanne des Bankiers, dessen Villa er bewohnte. Ich rannte also auf die Bauarbeiter zu und wollte sie stoppen. Ich erklärte Zeitungsartikel vom 09.04.2013 über den Fund eines Stückes von Napoleons Badewanne.

ihnen, was sie da gerade zerkleinerten. Die dachten natürlich ich sei verrückt, zeigten mir einen Vogel und sagten ich solle verschwinden. Ich blieb jedoch hartnäckig und sie gaben mir letztendlich ein Stück. Den Rest konnte ich nicht retten, da die Bauarbeiter die Kupferteile weiter zerkleinerten und auf einen Schrottplatz brachten. Um meine Vermutungen bestätigen zu lassen, brachte ich das Kupferstück ins Labor, um es auf die Echtheit prüfen zu lassen. Ich erhielt nach wenigen Tagen das Ergebnis, dass das Stück auf ein Alter von mindestens 200 Jahren geschätzt werden kann.

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Der Laborbefund vom 10.04.2013 best채tigt das auf 200 Jahre gesch채tzte Alter.

Wenige Tage sp채ter wird in einem zweiten Zeitungsartikel vom Fund berichtet.

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Nun gab es keinen Zweifel mehr. Ich besaß ein Stück der Wanne, in der Napoleon am Morgen des 15. und 16. Oktobers badete. Dort erhielt er Nachrichten von seinen Offizieren über den Schlachtenverlauf, entwickelte seine Strategie und erteilte Befehle. Es wird zudem erzählt, dass es ihn nicht störte, wenn die Offiziere ihn nackt sahen. Während er die nächsten Schritte diktierte, ließ er sich von seinem Diener abtrocknen und am ganzen Körper mit Eau de Cologne einreiben (Kleßmann 2000, S. 86ff.). Danach rasierte er sich, putzte sich die Zähne mit seinem Zahnbesteck und ließ sich ankleiden. Die genauen Geschehnisse in der Vetterschen Villa kann man sehr eindrucksvoll in Reinhard Münchs Buch »Vive l´Empereur. Napoleon in Leipzig« nachlesen. Ein Besuch der heutigen Kapellenstraße in Reudnitz lohnt sich allemal, da man hier sicher noch einiges entdecken kann.

Autorin Anna Schüller Literatur Kleßmann, Eckart: Napoleon. Ein Charakterbild. Weimar 2000. Münch, Reinhard: Vive l´Empereur. Napoleon in Leipzig. Leipzig 2008. Weiß, Jürgen: B.G. Teubner zum 225. Geburtstag. Adam Riess, Völkerschlacht, F.A. Brockhaus, Augustusplatz, Leipziger Zeitung, Börsenblatt. Leipzig 2009. Autor: User 4028mdk09. Links http://www.montessori-kita-leipzig.de/allgemeines.html, zuletzt eingesehen am 23.04.2013 Fotos Anna Schüller Foto der Baustelle im Zeitungsartikel vom 09.04.2013 ist zusammengestellt von Anna Schüller mit Fotos von Anna Schüller und einem Foto von dem Autor »User 4028mdk09« zu finden unter www.commons.wíkimedia.org/wiki/File:Frontansicht_Volvo_Bagger.JPG, zuletzt eingesehen am 04.06.2013.

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Postkarte 90 × 140 mm Papier Fundort: Ahornstr. 7, Landau gefunden am: 12.04.2013

Die Postkarte wurde zur 100-Jahr-Feier der Völkerschlacht am 18.10.1913 an meine Urgroßtante Marianne Casper verschickt. Sie war gerade mal zwölf Jahre alt, als in Leipzig das Völkerschlachtdenkmal feierlich eingeweiht wurde.

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Als das Thema der Ausstellung, Völkerschlacht, bekannt gegeben wurde, musste ich sofort an meine Oma denken. Obwohl sie in Wiesbaden aufgewachsen ist, hat sie ihre Wurzeln in Leipzig. Oft besuchte sie ihre Tante Marianne, zu der sie eine besondere Beziehung hatte. Ich rief sie also an, und erzählte ihr von unserem Projekt. Kaum war ich fertig, sagte sie ganz aufgeregt: »Ich hab da so eine Postkarte. Warte mal, ich ruf dich gleich zurück.« Unglaublich, meine Oma ist fünfundachtzig und in gewissen Dingen auch schon vergesslich, aber sie findet in ihrer großen Wohnung innerhalb von fünf Minuten diese eine Postkarte. Und mit der Nachricht, dass sie sie gefunden habe, liefert sie mir auch die Geschichte der Postkarte. Rückseite der Postkarte Links: Dein Vater Rechts: Fr. Marianne Casper L. Lindenau Lütznerstr. 17 Stempel: Leipzig 18.10.1913 Weihe des VölkerschlachtDenkmals

Ein paar Tage später bekomme ich einen Brief und halte die Postkarte in der Hand. Sie ist zwar vergilbt, eine Ecke ist ein wenig abgerissen und wieder angeklebt, aber obwohl die Karte fast hundert Jahre alt ist, kann man die Zeilen noch gut lesen. Marianne Casper, die Tante meiner Oma, ist zwölf Jahre alt, als sie die Postkarte erhält. 1913, Anfang Oktober in Leipzig. Es herrscht Unruhe in der Stadt. Alle reden davon. Selbst die Zeitungen kennen seit Wochen kaum ein anderes Thema als die 100-Jahr-Feier und das Denkmal. Es heißt, Kaiser Wilhelm II. persönlich werde nach Leipzig kommen zur Einweihung. Aufgeregt wuseln die Menschen durch die Innenstadt. Feine Damen kaufen sich das passende Outfit, denn wer weiß, wen man bei einer solch großen Veranstaltung alles trifft.

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Wer es sich leisten kann, kauft sich für 100 Mark Tribünenplätze unmittelbar vor dem Denkmal. Ein Grafiker wurde sogar beauftragt, speziell für den Tag der Einweihung einen einzigartigen Poststempel zu entwerfen. So können die Neuigkeiten von diesem, für Leipzig ehrenvollen Tag, im ganzen Deutschen Kaiserreich angemessen bekannt gemacht werden. Die Einweihungsfeier aus Anlass des 100. Jahrestages der Völkerschlacht bei Leipzig am 18. Oktober 1913 sollte ein nationalistischer Rummel ohnegleichen werden. Das 300.000 Tonnen schwere Monument steht gewaltig und beeindruckend an der Stelle, an der die heftigsten Kämpfe stattfanden und die meisten Soldaten bei der Völkerschlacht 1813 fielen. So wie der Dichter Ernst Moritz Arndt es vor 100 Jahren angekündigt hatte: »Groß und herrlich« soll es sein, »wie ein Koloss, eine Pyramide, ein Dom zu Köln«. Auch in der Lützner Straße 17 in Leipzig Lindenau herrscht große Aufregung. Familie Casper bereitet sich schon seit Wochen auf dieses Ereignis vor. Bei Marianne in der Schule gibt es lange schon kein anderes Thema mehr. Sie durfte sich sogar extra ein neues Kleidchen kaufen für den besonderen Tag. Links: Lütznerstr. 17, Lindenau heute

Rechts: Die Karte steckte meine Oma mit in den Brief

Der Stempel mit der detailtreuen Zeichnung des Völkerschlachtdenkmals

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Sie ist aufgeregt, wenn sie daran denkt, dass in ein paar Tagen schon Tausende von Menschen in ihre Stadt reisen werden, um gemeinsam mit ganz Leipzig den Sieg über Napoleon zu feiern und die jahrelange Fremdherrschaft. Ein gewisser Stolz erfüllt sie bei dem Gedanken an das überwältigende Denkmal. Sie darf dabei sein, wenn alle gemeinsam ein solch bedeutendes Ereignis ihres Landes feiern. Doch dann kommt alles anders. Am Tag vor der Weihe wacht Marianne auf mit einem Kratzen im Hals und einer glühenden Stirn. Bald kann sie nicht mehr aufhören zu husten. Am Nachmittag diagnostiziert der Arzt Keuchhusten: »Das bedeutet erst mal mindestens drei Tage Bettruhe, Fräulein.« Die Postkarte vor dem Denkmal Text auf Postkarte: Das Riesenrelief am Völkerschlachtdenkmal zu Leipzig darstellend den Kriegsgott St. Michael auf dem Siegeswagen. Die Kosten dieses Reliefs betragen 200 000 Mark. Die Figur ist 12 Meter hoch.

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Marianne bricht in bittere Tränen aus. Am Tag nach der großen Feier bekommt sie eine Postkarte. Ihr Vater hat an sie gedacht und ihr diese Postkarte mit dem Stempel des besonderen Tages geschickt. Damit sie wenigstens eine kleine Erinnerung an diesen lang ersehnten Tag hat und ihn nie vergisst. Nach dem Telefonat mit meiner Oma gerate ich erst mal ins Grübeln. Für mich ist das Völkerschlachtdenkmal ein ziemlich hässlicher Klotz in der Landschaft. Die Bedeutung des Denkmals gab zu meinem Erschrecken Neonazis den Anlass für einige ihrer Aufmärsche. In den letzten Wochen tauchte immer wieder Werbung für die 100-Jahr-Feier des Denkmals auf, aber die Begeisterung dafür hält sich bei mir in Grenzen. Mir erscheint es absurd, dass sich die Bedeutung dieses Monuments in 100 Jahren so verändern konnte. Doch was hat sich wirklich verändert? Ich muss sagen, außer ein wenig Euphorie während der Fußball-WM kann ich im Gegensatz zu meiner Urgroßtante nicht viel mit Nationalstolz anfangen. Der Sieg in einer großen Schlacht, die Bedeutung des Denkmals, erfüllte Marianne mit einem Gefühl von Feierlichkeit und Stolz auf ihr Land. Mich lässt dies eher schaudern. So stelle ich fest, dass mich die Geschichte meines Landes doch sehr beeinflusst und meine Wahrnehmung formt. Genauso wie bei Marianne, nur 100 Jahre später.

Autor Lea Brosch Links http://www.itoja.de/Jahrestag_Voelkerschlacht_1813_bei_Leipzig/ (zuletzt gesehen 11.06.13) http://www.stadtgeschichtliches-museum-leipzig.de/site_deutsch/ voelkerschlachtdenkmal/geschichte.php (zuletzt gesehen 06.06.13) http://www.nadir.org/nadir/initiativ/bgr/kampagne/mai/jungew. htm (zuletzt gesehen 11.06.13) Fotos Lea Brosch

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Postkarte 90 Ă— 130 mm Papier Fundort: RitterstraĂ&#x;e 8 gefunden am: 24.04.2013

Eine Postkarte, verschickt vor siebzig Jahren im Jahre 1943. Welche Bedeutung hatte das Motiv und was hat es mit dem Adressat auf sich? Hinter dieser Karte steckte erstaunlicherweise eine ziemlich interessante, wahre und beeindruckende Geschichte.

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Ein Denkmal, eine Karte und ein Beamter in Warschau Als Fotografie-Interessierte entdeckte ich diese Karte in einem Leipziger Antiquariat, vor allem fiel mir das Motiv auf: eine schwarz-weiß Fotografie des Völkerschlachtdenkmals, welches kompositorisch interessant in Szene gesetzt ist: bewölkter Himmel und dementsprechend optimale Lichtverhältnisse. Das Denkmal wurde außerdem nicht direkt frontal fotografiert, sondern der Fotograf suchte sich einen etwas weiter rechts liegenden Standpunkt. Die Postkarte ist kein Druck wie heutzutage, sondern noch eine direkte Fotobelichtung aus dem Labor. »An Familie Beyerlein, Warschau, Fernsprechamt: Leipzig, den 17.10/43. Viele nette Grüße aus Leipzig sendet Sophie…«

Man versetzte sich ein Mal in diese Zeit genauer hinein: Oktober 1943, das Jahr der entscheidenden Wende des Zweiten Weltkrieges. Im Bezug auf die Rezeptionsgeschichte des Völkerschlachtdenkmals im Nationalsozialismus hat sich das Verhältnis der Gesellschaft zu diesem Denkmal durchaus gewandelt. In der Vorkriegszeit war es vor allem Symbol und Instrument der Erziehung zum Nationalsozialismus, so wurde es gegen Ende der 1930er Jahre zum Sinnbild »kämpferischer Kultur« deklariert. Mit dem Ausbruch des Krieges wandelte sich es zum Symbol deutscher Wehrhaftigkeit und Siegeszuversicht überhaupt. Die schließlich abzeichnende militärische Niederlage wirkte sich selbstverständlich auch auf die Botschaft aus, die das Nationaldenkmal nun übermitteln sollte. Es sollte nun Zeichen des erbitterten Widerstandes, aber auch Symbol der Zuversicht sein, in auswegloser Situation das Unmögliche möglich zu machen.

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Zwei Monate später, nachdem diese Karte verschickt wurde, am 4. Dezember 1943 durchlitt die »Reichsmessestadt« Leipzig den ersten großen Bombenangriff des Krieges, bei dem 1717 Menschen ihr Leben verloren und es zeigte sich ein neuer Sinngehalt des Bauwerkes: Aus dem »Denkmal der Wiedergeburt der deutschen Nation« wurde ein Totenmal, eine Grabstätte des deutschen Volkes. (Poser in Keller/Schmidt, 1995, S. 92) Hitler vor dem Denkmal anlässlich der Kundgebung zum Abschluss des sächsischen Gauparteitages 1933

Wie man auf der Karte unschwer erkennen kann, hatten also mehrere Personen im Oktober 1943 vermutlich einen Ausflug nach Leipzig unternommen und grüßten mit dieser (symbolträchtigen) Karte eine Familie Beyerlein in Warschau. Genauer gesagt sollte diese Karte (und das hat sie vermutlich auch) einen Hermann Beyerlein und seine Frau Agnes erreichen. Die beiden hatten ein Jahr zuvor geheiratet und lebten in einer Dienstwohnung eines Seitentraktes des Fernsprechamtes in Warschau. Hermann Beyerlein, geboren am 5. April 1910 in Berlin, studierter Ingenieur, ließ sich auf eigenen Wunsch im Dezember 1939 zur »Deutschen Post Osten« in Warschau abordnen. 1941 wurde er schließlich Leiter des Fernmeldeamtes, einem zentral gelegenen, modernen Gebäudekomplex in der Nowogradzka-Straße 45 (Neue Burgstraße). Das Fernmeldeamt in Warschau war in dieser Zeit eine wichtige Schaltfläche für die deutsche Besatzungsmacht im Generalgouvernement. Dort waren während des Krieges bis zu 1200 Personen beschäftigt. Hermann Beyerlein war somit ein wichtiger Funktionsträger dieses Verwaltungsapparats und hatte eine verantwortungsvolle Position. Meine Vermutung ist, dass die Karte von ehemaligen Kollegen aus Berlin stammt, dort hatte Beyerlein nämlich von 1937 bis September 1939 als Referendar und später Assessor bei der »Deutschen Reichspost Berlin« gearbeitet.

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Diese Vermutung bestätigt sich durch folgende Aussage: »Von einem ausgesprochenen freundschaftlich-familiären Umgang miteinander zeugen ferner zahlreiche Urlaubskarten, welche Beyerlein damals von ehemaligen oder aktiven MitarbeiterInnen seines Amtes vor allem aus der ›Heimat‹ zugeschickt wurden. Eine Sammlung von ca. 130 solcher Grußkarten enthält deutliche Hinweise auf eine große Anhänglichkeit an den ›Sehr geehrten Herrn Postrat Beyerlein‹.« (vgl. Jaworski / Peters, 2013, S.34) – Mein Fundstück ist also ein weiteres Exemplar dieser Art von Grußkarten. Anzumerken ist, dass Beyerlein als deutscher Zivilbeamter in Warschau mit seiner Frau, seinen Freunden und Kollegen in einer Art Apartheid-Gesellschaft, in einer insularen Parallelwelt lebten, während die Situation für die nichtdeutsche Bevölkerung Warschaus durch Diskriminierung, Verfolgung, Lebensmittelmangel und Wohnungsknappheit gekennzeichnet war. »In Beyerleins Nachlass fanden sich ca. 300 überwiegend kleinformatige Kontaktabzüge samt eigener Negative aus dieser Zeit, die nachträglich durch Einkleben in Alben bzw. Einsortieren in beschriftete Briefumschläge unter Sammelbezeichnungen wie ›Fernamt Warschau‹ (…) oder ›um das Fernsprechamt in Warschau während des Aufstands von August/September 1944‹ in eine gewisse Ordnung gebracht worden waren. Dieser Fundus öffnet dem Historiker ein seltenes, in seiner Aussagekraft kaum zu überschätzendes Fenster auf die höchst persönlichen Wahrnehmungsweisen und Befindlichkeiten eines jungen deutschen Zivilbeamten, der mitten im Krieg unter den Bedingungen eines extrem repressiven Besatzungsregimes seinen Dienst verrichten und seine Sicht der Dinge mit dem Fotoapparat festgehalten hat.« (Jaworski / Peters, 2013)

Autor Vera Engel Literatur Keller, Katrin/Schmid, Hans-Dieter: Vom Kult zur Kulisse. Das Völkerschlachtdenkmal als Gegenstand der Geschichtskultur Jaworski, Rudolf/Peters, Florian: Alltagsperspektiven im besetzten Warschau. Fotografien eines deutschen Postbeamten (1939-1944) Fotos Vera Engel Archiv Völkerschlachtdenkmal

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Ring 18 × 15 × 27 mm Silber Fundort: Bad Rothenfelde gefunden am: 19.04.2013

Diesen Ring schenkte der Arbeiter Herrmann Fichte (1871-1922) seiner Frau am Tag der Einweihung des Völkerschlachtdenkmals, an dessen Bau er selbst beteiligt war. Das wertvolle Erbstück befindet sich heute im Besitz von Fichtes einziger Enkelin.

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Leipzig, 1913: Anlässlich der Einweihung des Völkerschlachtdenkmals schenkt der seit 1908 am Bau beteiligte Arbeiter Herrmann Fichte (1871-1922) seiner Ehefrau diesen Silberring. Ähnlich der symbolischen Bedeutung des Denkmals, das an die Befreiungskriege 1813 erinnern und gleichzeitig als Mahnmal für nachfolgende Generationen fungieren soll, ist auch der Ring ein Sinnbild für die Erinnerung an die Liebe und ihr Überdauern über den Tod hinaus. Im Gegensatz dazu opferten viele Frauen während der Befreiungskriege im Jahre 1813 ihren meist mit ideellem Wert besetzten Goldschmuck. Prinzessin Marianne von Preußen appellierte in diesem Jahr an alle Frauen Preußens, ihren Goldschmuck gegen eine Brosche oder einen Ring aus Eisen mit der Inschrift »GOLD GAB ICH FÜR EISEN« zu tauschen, um ihr Vaterland im Krieg finanziell zu unterstützen. So avancierte der Eisenschmuck zur Mode der Patriotinnen; die Frauen trugen die Ringe mit Stolz, da sie durch ihre Spende einen sinnvollen Beitrag zum erfolgreichen Verlauf des Krieges beisteuerten. Obwohl während des Ersten Weltkriegs ein erneuter, vergleichbarer Ausruf erfolgte, blieb dieser Silberring im Besitz der Familie Fichte und wurde bis heute über zwei Generationen weiter vererbt. Die einzige Enkelin Fichtes (geb. 1946), wohnhaft im niedersächsischen Bad Rothenfelde, stellte diesen Ring nun zur Verfügung, um andere Menschen an seiner symbolischen Bedeutung und der engen Verbindung zwischen der eigenen Familienhistorie und der Völkerschlacht beziehungsweise ihrem Denkmal teilhaben zu lassen.

Autor Anna Appel Links http://www.stadtgeschichtliches-museum-leipzig.de/site_ deutsch/voelkerschlachtdenkmal/geschichte.php http://de.wikipedia.org/wiki/Gold_gab_ich_f%C3%BCr_Eisen Fotos Anna Appel

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Schere 62 × 9 × 255 mm Stahl Fundort: Leipzig, A14 AS Leipzig-Nordost gefunden am: 20.04.2012

Diese von der Witterung und der damit einhergehenden Korrosion gezeichnete Schere wurde unweit vor den Toren Tauchas gefunden. Nach vielen Jahren unter freiem Himmel ist sie nun nicht mehr gebrauchsfähig. Gefunden wurde diese Schere in unmittelbarer Nähe zu einem mit Stieleichen bewachsenem, unscheinbaren Grabhügel aus der Zeit der Völkerschlacht. Durch den Ausbau der A14 im Frühjahr 2010 und der gleichzeitigen Verlegung der Anschlussstelle hatte ich zum ersten Mal von der Existenz eines Grabhügels in dieser Gegend gehört. Dieser durfte auch durch die umfangreichen Umbauarbeiten nicht zerstört werden. Schnell stellte sich die Frage, wer diese Schere wohl besessen haben könnte.

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Nachforschungen Durch meine Nachforschungen wurde mir schnell klar, dass diese Schere eindeutig nicht aus der Zeit der Völkerschlacht stammt, sondern wohl eher im 20. Jahrhundert hergestellt wurde. Trotzdem war mein Interesse geweckt, was wohl zu dieser Zeit in dieser Gegend vor sich gegangen ist. Sehr wahrscheinlich ist, dass dieser Grabhügel mit der Schlacht um Heiterblick und Taucha in Verbindung steht. In ungefähr einem Kilometer Entfernung weiter westlich auf einer Erhöhung im Feld lag damals »Der heitere Blick«, ein Grabhügel der Völkerschlacht an der A14 AS Leipzig-Nordost

Vorwerk eineinhalb Stunden Fußmarsch nordöstlich von Leipzig entfernt. Die Stadt Taucha liegt in entgegengesetzter Richtung ungefähr 3km davon entfernt. In dieser Gegend kämpften am 18. Oktober 1813 die Verbündeten um den Schwedischen Kronprinz, welche über Plaußig zum heiteren Blick gegen die französischen Einheiten vordrangen. Einen Tag zuvor hatten die Kosaken bereits Taucha besetzt und wurden durch die Sachsen und Würtemberger wieder vertrieben. Der russische General Pahlen schaffte es endgültig, Taucha von diesen Truppen zu befreien. Vermutlich während des Rückzugs der französischen Truppen wurde das Vorwerk »Der heitere Blick« angezündet (vgl. Nabert S.136).

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Oft in der Nähe solcher Schlachtfelder waren die Marketenderinnen, welche die Soldaten dürftig verpflegten und ebenso bescheiden medizinisch versorgten. Vielleicht besaßen auch sie so eine ähnliche Schere. Denn bei den langen und kräftezehrenden Kämpfen und Märschen gingen viele Uniformen der Soldaten entzwei. Um zu neuen Kleidern zu gelangen, bedienten sich die Krieger auch an den Uniformen getöteter feindlicher Soldaten. Auch die Marketenderinnen könnten versucht haben, der Not an Uniformen entgegen zu wirken. So hätten sie mithilfe einer ähnlichen Schere kurzerhand die aufgefundenen Uniformfetzen neu zusammennähen können. Schere Draufsicht

Schere Vorderansicht

Schere Detailansicht Griff

Möglich wäre es auch, dass solch eine Schere durch Soldaten im nahegelegenen Taucha einer Plünderung zum Opfer gefallen sein könnte. Denn Plünderungen standen in den Tagen während der Völkerschlacht an der Tagesordnung. So hat es zum Beispiel der Pfarrer Ludwig Gottlob Schlosser aus Großzschocher geschildert: »Das Härteste aber was uns bis daher betroffen

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hat, war unstreitig das Feldlager, welches am Sonnabend gegen Abend, von dem 16ten Sonntag p. trin. Vor unserem Dorfe, an 600 württembergische Reiter, 600 französische Fussknechte und viele Spannbauern, am Wällnerischen und Cichoriussischen Hause geschlagen wurde. Heu und Stroh, Holz und Säcke, Töpfe und Schüsseln, Schubkarren und Eimer, wurden genommen, wo sie waren. Ich selbst verlor alles Stroh, viel Heu und andere Sachen.« (Nabert S.9 2012). Möglicherweise war auch eine Schere dabei.

Autor Martin Hochmuth Literatur Zweckverband Parthenaue 2002: Geschützte einheimische Bäume T. Nabert, (2012): Zeugen des Schreckens, Erlebnisberichte aus der Völkerschlachtzeit in und um Leipzig Links http://de.wikipedia.org/wiki/Marketender am 06.06.2013 Fotos Martin Hochmuth

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Stein 80 × 70 × 25 mm Gestein Fundort: Beucha, Kirchbruch gefunden am: 12.05.2013

Ein Stein ist hart. Er kann schwer sein. Er kann mehr sein. Er kann im Meer sein. Er wird zu Sand. Ein Stein kann groß sein, kann voller Moos sein. Er wird grün und grau. Er kann Fels sein oder Kiesel, kann fallen und fliegen. Man greift ihn, wirft ihn weg und nach vielen Jahren taucht er wieder auf. Ein Stein ist wichtig, viele Steine noch wichtiger. Mit ihnen fällt, was mit ihnen erbaut.

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Geschichte in der Manteltasche Dieser Stein stammt aus dem Kirchbruch Beucha. Er sollte einst Bestandteil des Fundamentes des Völkerschlachtdenkmals sein. Es kam jedoch nicht dazu, ihn zu verbauen, da er versteckt blieb. Versteckt in einer Manteltasche eines Boten. Es wurde überliefert, dass schon viele Jahre vor der Völkerschlacht, Rohsteine des Kirchbruchs Beucha heimlich abgetragen wurden. So auch zu Zeiten Friedrich Gottlobs, welcher seine Bahnen im sächsischen Land zog. F. Gottlob wurde am dritten August des Jahres 1739 in Wittenberg geboren und besuchte später die sächsische Landesschule St. Augustin in Grimma. 80 × 70 × 25 mm Gestein Fundort: Beucha, Kirchbruch gefunden am: 12.05.2013

Nach seinem Schulabschluss zog es ihn wieder in seine Heimatstadt. An der Universität Wittenberg immatrikuliert, vollzieht er das Studium der Philosophie und schließt dieses mit dem Grad des Magisters ab. 1764 nimmt er die Tätigkeit des Konrektors in der Stadtschule Wittenberg auf und wechselt drei Jahre später an die Landesschule Pforta. Dort lernte er Friederica Dorothea kennen, seine zukünftige Frau. Sie hatten 13 Kinder. Überliefert wurde, dass er ein guter Lehrer, Vater und Mentor gewesen sei, vor allem im Bereich der Sprachen. Er beherrschte Latein, Griechisch, Französisch, Englisch, Italienisch, Spanisch und diverse morgenländische Sprachen. Zu seinen Schülern gehörten beispielsweise Karl August Böttiger, Christoph Wilhelm Mitscherlich, Heinrich Karl Eichstädt und Friedrich Wilhelm Döring, ein treuer Bote Gottlobs.

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Die Kommunikation beider war stets freundlich, ohne Forderung und Befehlston. Es war eine freiwillige, später auch freundschaftliche Beziehung zueinander. Als F. Gottlob im Jahre 1794 F. W. Döring den Auftrag erteilte, er solle bitte nicht zu knapp einen Steinvorrat anlegen, um Materialien für eine Gedenkstätte zu sammeln, fragte Döring verwundert: »Herr, wofür wird eine Gedenkstätte errichtet?« Der Herr entgegnete mit Bedacht: »Mein Sohn, es wird einen Tag geben, da Großes passiert. Ob es uns gefällt oder schaden wird, kann ich freilich nicht sagen, ich weiß nur, es wird passieren.« Irritiert und erschrocken begann Döring mit der Arbeit. Döring, ein herzensguter und aufopferungsvoller Mensch, war handwerklich nicht sonderlich begabt. Er meißelte, unwissend, wie groß Steine sein müssen, handgroße Steinstücke Gedenkstätte F. Gottlobs im Hof der Kirche am Kirchbruch in Beucha

aus den Felswänden des Kirchbruchs heraus. Um seinen Freund und Mentor nicht unnötig zu belasten, arbeitete er stillschweigend, bis die gesamte Abstellkammer gefüllt war. Es dauerte Wochen. Stolz erfüllt nahm sich Döring einen Stein und steckte diesen in seinen Mantel, um Gottlob mitzuteilen, er habe den gesamten Raum mit solchen Steinen gefüllt. Gottlob selbst befand sich zu dieser Zeit in keiner guten körperlichen Verfassung und war somit ans Bett gebunden. Als Döring Gottlob den Stein zeigte, war dieser erfreut und entsetzt zu gleich. Um seinen jungen Schüler nicht zu kränken, äußerte Gottlob tiefste Freude. Gottlob sagte mit freundlichen, doch schmerzverzerrtem Blick: »Und wenn die Steine nun für mich sind, für meinen Körper und Rückzugsort für meine Seele, so sei mir nicht böse.« Mit Tränen in den Augen schwieg Döring eine gefühlte Ewigkeit. Müde und trauernd machte er sich auf den Weg nach Hause. Er grübelte und dachte nach, warum ausgerechnet er den Grundstein für den Tod seines Freundes und Mentors legen sollte. Vielleicht weil er etwas Besonderes sei.

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Völkerschlachtdenkmal

Döring sagte sich: »Ich werde diesen einen Stein, welchen er selbst in den Händen hielt, für die große Sache verwenden, von der er sprach, als er mir den Auftrag gab.« Als Gottlob 1794 starb, gab ihm Döring am Grab das Versprechen, dass der Stein ihrer Freundschaft, Teil einer Besonderheit werden wird. Döring selbst erlebte die Völkerschlacht mit. Als Überlebender galten seine Gedanken seiner Familie und seines Freundes, dessen jüngsten Sohn er in seine Obhut nahm. Die Idee, den Stein für etwas Großes zu opfern missfiel ihm nach dem sinnfreien Blutvergießen der Völkerschlacht. Er kramte seinen alten Mantel hervor, wickelte den Stein darin ein, und legte den Knäuel in die Abstellkammer zu den restlichen Steinen, die für den Grabstein nicht genutzt worden waren. Die Abstellkammer blieb bis ca. 1897 unberührt. Erst als die Planung des Völkerschlachtdenkmals initiiert war, wurden alle Steinressourcen ausgekundschaftet. So war der Kirchbruch Beucha eine zentrale Stelle der Steinversorgung für den Bau des Denkmals. Da diese Steine aufgrund ihrer Größe lediglich zur Ausbesserung, und als Unterlage für große Steine nutzbar gewesen wären, entnahm man lediglich einige Schubkarren und beließ die Kammer, wie sie war. Der Stein im mittlerweile heruntergekommenen Mantel, kurz gesagt Fetzen, blieb vorerst unberührt liegen. Während der Weltkriege diente die Kammer dem Schutz und als Unterkunft für das Militär. Damit verbunden wurden viele Steine geworfen, verlegt, verwendet und transportiert. Nach wissenschaftlichen Analysen und der Zuordnung der Abschiedsbriefe Gottlobs, sowie Dörings, konnten einige Steine dieser Abstellkammer zugeordnet werden. Unter anderem dieser Stein, der am 12.05.2013 in Beucha am Kirchbruch gefunden wurde.

Autor Oscar Metzger Literatur Robert Naumann: Die Völkerschlacht bei Leipzig: nebst Nachrichten von Zeitgenossen und Augenzeugen über dieselbe. Leipzig: Weigel 1863. Links http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Gottlieb_Barth http://de.wikipedia.org/wiki/Völkerschlachtdenkmal http://uni-leipzig.de/~studart/blog/voelkerschlacht/stein/ Fotos Oscar Metzger

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Steinschleuder 90 × 160 × 20 Holz, Gummi Fundort: Leipzig, Völkerschlachtdenkmal gefunden am: 28.04.2013

Die Steinschleuder – auch bekannt unter Zwille, Zwuschel, Flitsche, Fletsche, Zwistel, Zwiesel, Schlatte, Kartzi, Katschi, Spatzenschießer, Zwockel, Gambel oder Katapult. Was ist dieses in Vergessenheit geratene Objekt: Kampf-, Spiel- oder Sportgerät?

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Wie bin ich in nun in den Besitz dieser Steinschleuder gekommen? Aus der Ferne habe ich das sich über die Stadt in die Höhe ragende Völkerschlachtdenkmal schon oft erspäht. Aber erst in diesem Frühjahr nutzte ich einen der ersten warmen Tage, um mich näher mit dem Wahrzeichen Leipzigs zu beschäftigen. Mit dieser Idee, das Denkmal auch von innen zu besichtigen, war ich nicht allein. Die Busse hatten Touristen aus aller Welt bereits abgeladen, die sich nun in Massen innerhalb der engen Treppenaufgänge abmühten. Wieder unten angelangt wollte ich mich im Schatten der Bäume vor dem Sightseeing-Wahn erholen. Aber schon nach kurzer Zeit erlangte ein kleiner Junge meine Aufmerksamkeit. Er kauerte nicht weit von mir, fest an den erdigen Boden gedrückt, hinter einem Busch. Hinter den roten Haaren blickten seine Augen angestrengt auf die Menschengruppen vor dem Museum. Mit der rechten Hand umklammerte er fest einen Gegenstand, während er mit dem linken Arm plötzliche Bewegungen machte. Ebenso fiel mir auf, dass sich einzelne Personen vor dem Museum immer wieder irritiert in unsere Richtung drehten. Neugierig geworden, näherte ich mich ein paar Schritte und da sah ich sie, die Steinschleuder und auch die Zielobjekte. 90 × 160 × 20 Holz, Gummi Fundort: Leipzig, Völkerschlachtdenkmal gefunden am: 28.04.2013

Wartende Touristen vor dem Museum wurden zum Opfer, und bei den Geschützen handelte es sich glücklicherweise nicht um Steine, sondern um kleine Papierkügelchen. Während ich dieses Geschehen gespannt beobachtete, erschallte ein lautes Brüllen: »Theo!«, und instinktiv rettete ich mich hinter den nächsten Baum. Der Vater, der wahrscheinlich auch gerade Zeuge geworden war, stürmte wutschnaubend auf den Jungen zu, riss ihn am Arm hoch und zerrte ihn hinter sich mit. Ein wenig konfus verließ ich mein Versteck und entdeckte die Steinschleuder. Das Spielgerät lag nun verweist zwischen den Papierkügelchen. Ohne weiter darüber nachzudenken, steckte ich mir das Beweisstück in die Tasche und verlies schmunzelnd das monumentale Denkmal.

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Das Völkerschlachtdenkmal wird nicht nur von vielen Sonntagsausflüglern wie Theos Familie besucht, sondern ist auch Ziel zahlreicher Touristen und Schulklassen. 2012 zog das Denkmal etwa 300 000 Besucher an. Das Völkerschlachtdenkmal zu Leipzig wurde über die Zeit zu einem heterogenen und viel diskutierten Ort. Auf der einen Seite ist es ein Gedenkort an die Opfer der Völkerschlacht auf der anderen Seite ein populärer Treffpunkt. Jedes Jahr stellen Anhänger die Völkerschlacht und die Konventionen dieser Zeit in altertümlichen Uniformen nach. Ihr Anliegen ist es, Geschichte erlebbar zu machen. Die Vorwürfe an dieses stark umstrittene Ereignis liegen darin verankert, dass es die Grauen des Krieges verharmlose und verniedliche. Blick auf das Völkerschlachtdenkmal und Umgebung

Ähnliche Argumente liegen gegen andere Events wie das alljährliche Badewannenrennen, Bierfeste, LVZ-Fahrradfeste, Oldtimerausstellungen oder diverse Konzerte wie »Courage zeigen«, das frühere »Rock gegen Rechts«, die auf dem Gelände des Völkerschlachtdenkmals stattfinden, vor. Auch im Alltag wird das »Völki« immer frequentierter als abendlicher Treffpunkt für Leipziger Jugendliche eingebunden. Argumente dagegen sind z.B. der Schutz des Denkmalbaus. Die Gegner empfinden es als geschmacklos, diese Ereignisse an einem Gedenkort, der an mehr als 90.000 umgekommene Soldaten erinnert, zu veranstalten. Die Funktion des Denkmals als Gedenkort oder die eines Anlaufs- und Identifikationspunkts für die Leipziger Bevölkerung bleibt umstritten. Es kursieren sogar Forderungen nach dem Völkerschlachtdenkmal als politikfreie Zone. Diese Diskrepanz wird im Hinblick auf die Organisation der Feierlichkeiten im Jubiläumsjahr 2013 ersichtlich: Sprach man erst von einer »Festwoche«, wurde diese mittlerweile in »Gedenkwoche« umbenannt.

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Autor Ann-Jasmin Ratzel Links http://www.leipzig1813.com/index.php?id=76.de http://www.voelkerschlachtdenkmal.de/joomla/index.php http://www.leipzig-sachsen.de/leipzig-fotos/voelkerschlachtdenkmal.html http://de.wikipedia.org/wiki/Zwille http://aktuell.meinestadt.de/leipzig/2013/06/01/podiumsdiskussion-am-4-juni-der-umgang-mit-200-jahren-voelkerschlacht/ Fotos Ann-Jasmin Ratzel Carina Bendel

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Tabakspfeife 150 × 44 × 29 mm Weichholz, Messing Fundort: Pleißaer Straße 8 gefunden am: 08.03.2013

Eine kleine Tabakspfeife aus weichem Holz (vermutlich Kirsche) und Messing. Von Hand gedrechselt und geschnitzt, mit leichten Gebrauchsspuren. Gefunden bei einem Chemnitzer Antiquitätenhändler.

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Am 20. März 1813 wurde Theodor auf seinem Weg zur Universität Breslau von einer Gruppe junger Männer aufgehalten. Sie standen um eine Anschlagtafel versammelt, an welche eine Seite der Schlesischen Zeitung geheftet war. Darauf stand in mitreißenden Worten zu lesen, dass König Friedrich Wilhelm III. Frankreich den Krieg erklärt habe und nun die Bevölkerung zu den Fahnen rief. Lange studierte der junge Mann die Zeilen, während er an seiner Tabakspfeife sog. Die Pfeife, eine von diesen kleinen modernen aus Kirschholz, hatte ihm sein Vater erst letztes Jahr zum zweiundzwanzigsten Geburtstag geschickt. Seine Eltern und seine Schwester lebten in Dresden und schon seit einigen Wochen hatte er die Nachrichten über den Rückzug der Franzosen Schlesische privilegierte Zeitung - An Mein Volk

aus Russland verfolgt und mit großer Besorgnis über die Gefechte in Dresden gelesen. Selbst die neue Augustusbrücke hatten sie in die Luft gesprengt! Denn trotz der verheerenden Niederlagen der französischen Armee schien Napoleon nicht aufgeben zu wollen und versuchte mit allem Trotz die sich zurückziehende Woge seines zerschlagenen Heeres aufzuhalten. Das durfte nicht sein! Der Tag war gekommen, an dem auch er seinen Teil dazu beitragen konnte, Deutschland ein für alle Mal von den Franzosen zu befreien. Mit einem Ruck, als sei er gerade aus einem Traum aufgeschreckt, richtete Theodor sich auf, löschte seine Pfeife und meldete sich noch am gleichen Tag als Freiwilliger. Obwohl er mit seinen selbst verfassten Liedern und Gedichten bereits einiges verdient hatte, genügte sein Studentengehalt nicht für eine Büchse oder gar ein Pferd. So wurde er der Infanterie unter Major Lützow zugeteilt, welche als Freikorps einen Großteil ihrer Ausrüstung aus Spenden erhielt. Theodor wurde, gemeinsam mit einigen anderen jungen Männern nach Zobten abkommandiert, wo die Infanterie bis zum Aufbruch nach Sachsen Quartier beziehen sollte. Auf dem Weg dorthin malten sie sich aus, wie sie die Franzosen in die Flucht schlagen, von den befreiten Sachsen bejubelt und schließlich als Helden heimkehren würden. Theodor war geradezu beflügelt vom Enthusiasmus der Kameraden sodass die Lieder und Gedichte nur so aus ihm heraus sprudelten

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und er kaum hinterher kam, sie vor der nächtlichen Rast im Flackerlicht der Öllampe und mit der Pfeife zwischen den Zähnen nieder zuschreiben. Während der Märsche sang er oft laut vor sich hin, um die Texte bis zum Abend im Kopf zu behalten und bald schon stimmten seine Kameraden mit ein: Kaum Richard Knoetel Theodor Körner liest den Lützower Jägern seine Kriegslieder vor

»Drum, wack‘re Jäger, frei und flink; wie auch das Liebchen weint; Gott hilft uns im gerechten Krieg; frisch in den Kampf! - Tod oder Sieg!; Frisch, Brüder, auf den Feind«. ein Vierteljahr später, im Juni, hatte Theodor nichts von seinem Ehrgeiz eingebüßt. Er war inzwischen zum Leutnant aufgestiegen und hatte mehrere kleine Gefechte erlebt, die alle siegreich ausgingen. Sie hatten ihr Lager bei Kitzen, südwestlich von Leipzig bezogen als württembergische und französische Truppen anrückten. Die Lützower hatten noch nichts von dem vor drei Tagen beschlossenen Waffenstillstand erfahren und wussten nicht, dass sie sich dem Abkommen nach auf die andere Seite der Elbe hätten zurückziehen müssen. Der General der Württemberger versicherte ihnen einen freien Abzug doch während die Lützower noch das Lager abbrachen, rief der französische General: »L’armistice pour tout le monde, excepté pour vous!« (Waffenstillstand für alle Welt, nur nicht für euch!) und die Dragoner legten an und schossen. Theodor entkam gerade noch dem Gemetzel. Schwer verwundet floh er nach Großzschocher und verbarg sich in einem Gehölz. Sicher, dass er dort sterben würde, dankte er Gott, dass er zumindest seinen Tornister hatte mitnehmen können und kramte einen Fetzen Papier, einen Kohlestift und seine Pfeife hervor. In zittrigen Lettern, schrieb er seinen »Abschied vom Leben« in Sonettform und paffte die letzten trockenen Krümel aus seiner Pfeife. Groß war Theodors Erstaunen als er am nächsten Morgen mit verbundenem Kopf in einem weichen Federbett erwachte. Von einer Bäuerin erfuhr er, dass ihr Mann und Schwager ihr am Abend zuvor gefunden hatten. Er habe bewusstlos im Gebüsch gelegen doch durch den Rauch seiner Pfeife hätten sie ihn entdeckt. Mit Hilfe seiner Freunde und Familie wurde Theodor schon bald darauf einem Arzt in Leipzig überstellt. Vor seinem Abschied vermachte er dem Bauern die Pfeife als Dank für seine Rettung. Was aus der Glückspfeife geworden ist, die einem jungen Mann das Leben gerettet hatte, weiß heute niemand mehr. Vielleicht ist es diese, denn wenn man sie raucht, riecht man den Pulverdampf der Musketen und erinnert sich an alte Lieder voller Euphorie und Tatendrang.

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Autorin Marie-Luise Rother Links http://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_KĂśrner_(Schriftsteller) http://de.wikipedia.org/wiki/LĂźtzowsches_Freikorps http://de.wikipedia.org/wiki/An_Mein_Volk Foto Marie-Luise Rother

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Tintenfass 50 × 50 × 40 mm Glas Fundort: Leipzig, Schleußig gefunden am: 18.03.2013

Ein Tintenfass aus Glas, welches beim Umzug in einem vergessenen Karton gefunden wurde, bildet hier die visuelle Brücke zu den Tagebucheintragungen »Tage der Gefahr, Ein Tagebuch der Leipziger Schlacht« des Friedrich Rochlitz, aus dem Jahre 1813.

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Nach einem Jahr war es dann wohl mal wieder an der Zeit. Ich packte erneut Umzugskisten in meinem Zimmer. Dies sollte nun der dritte Umzug innerhalb der letzten zwei Jahre werden. Was sich alles so ansammelt, aber es hat ja auch was für sich von Zeit zu Zeit auszusortieren und überflüssige Dinge loszuwerden, sagte eine motivierende Stimme in meinem Kopf. In der hinteren Ecke meiner Kommode entdeckte ich einen kleinen Karton. Der abgerissene Adressaufkleber veranlasste eine kettenartige Abfolge meiner Gedanken. Nach einigen detektivartigen Überlegungen fiel mir ein, woher der Karton stammen könnte. Ich hatte ihn vor gut 5 Jahren, nach einem Besuch bei meinen Großeltern, als kleines »Schatzkästchen« angelegt. Sein Inhalt offenbarte unter anderem einige Briefe, alte Jugendfotos, beschriebene Hefte und dieses lederne Täschchen, welches mein Großvater für seine Füllfederhalter benutzte. Dieses Stiftetui war vermutlich nicht annähernd so alt, wie das kleine Tintenfass welches ich im unteren Drittel des Kartons hervorkramte. Ich vergaß meinen Zeitplan bis Mittag alle Kisten fertig gepackt zu haben und setze mich auf den Boden. Auch wenn mein mathematisches Verständnis das Tintenfass datierend einzuordnen mich wieder einmal im Stich ließ, versuchte ich vor meinem geistigen Auge ein Bild meines Großvaters zu erzeugen, wie er als kleiner Junge an seinem Schultisch saß und seine ersten Schreibübungen vollführte. Drei Wochen später betrat ich eines der vielen Buchantiquariate in Leipzig. Meine Aufmerksamkeit blieb wie so oft, an ein paar Inselbüchern hängen, welche einfach die schönsten Bucheinbände hatten. Ein wenig lustlos, die Zeit von einer Vorlesung zur nächsten überbrückend, zog ich willkürlich eines der Bücher hervor. „Tage der Gefahr, Ein Tagebuch der Leipziger Schlacht“ von Friedrich Rochlitz. Ich hatte es mir, nach einigen Umzügen zum »Hobby« gemacht, mir sämtliche Straßennamen in meiner neuen Umgebung unfreiwillig einzuprägen und sie in den unmöglichsten Situationen als geistige Erkenntnis aufblitzen zu sehen. So auch in diesem Fall. Rochlitz, das war dann wohl der Namensgeber für die nächste Querstraße innerhalb meines neuen Kiezes. »Was schrieb er denn in sein Tagebuch?«, fragte ich mich und fing an zu lesen. Nach anfänglichem, unkonzentrierten Überfliegen des Textes, fing ich nach längerem Lesen an zu begreifen, welch interessantes Stück ich in meinen Händen hielt. Nun wohnte ich mit schon seit fünf Jahren in Leipzig und ein sehr wichtiges Detail dieser Stadt war bisher nie in den engeren Fokus meiner Aufmerksamkeit gerückt. Die Völkerschlacht 1813.

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Auszug aus dem Text von F.Rochlitz (S. 28): In der Nacht haben die französischen Heere in jener Gegend schrecklich gehaust. Entsetzliches Wetter, rauhe Stürme, unaufhörlicher Regen usw. zwangen sie wohl zu vielem. Von Wolkwitz ging ein Teil in Feuer auf. […]Von meiner zweiten Heimat im lieben, schönen Connewitz hab ich noch keine sichere Kunde. Boten hinaus sind für kein Geld zu haben, Boten herein gibt’s nicht mehr, weil es überhaupt draußen fast niemand mehr gibt, außer Soldaten. Alles ist in den Wald oder in die Stadt geflüchtet, ich selbst kann mich nichts aussetzen, da ich nichts damit erreiche, was solch eines Wagstücks wert wäre. Ich las in Gedanken versunken weiter und blätterte, als sich meine freie Zeit dem Ende neigte, noch mal an das Ende des Buches, wo sich ein Nachwort des Verlages zum Autor befand. Auszug aus dem Buch (S.88 ff.): Der Hofrat Friedrich Rochlitz, dessen Persönlichkeit wir aus dem »Tagebuch« kennenlernen, war damals 44 Jahre alt, ein hochgeachteter, bekannter Mann, gewohnt, mit der Feder umzugehen. […] Im Jahr 1794 erschien sein erstes Buch »Zeichnungen von Menschen nach Geschichte und Erfahrung«, ihm folgten geschichtliche und pädagogische Schriften wie auch dramatische Werke. […]Die Freundschaft zu Goethe und der Briefwechsel mit ihm, der 1800 einsetzte, hielten bis zu dessen Tode an. […] Das »Tagebuch der Leipziger Schlacht« erweist ihn als einen Mann, der unterlebendbedrohlichen Umständen Fassung bewahrte, dessen menschliche Anteilnahme an den Geschehnissen, dessen Bemühungen um Objektivität und Gerechtigkeit seine Lauterkeit erkennen lassen. Ich stellte mir den, unter großer Anspannung an seinem Schreibtisch sitzenden Friedrich Rochlitz vor, wie er seine Feder ins Tintenfass gleiten ließ und die Geschehnisse in seiner, und wohlgemerkt nun auch meiner Heimatstadt Leipzig, zu Papier brachte. Am Abend fiel mein Blick, beim Hereintreten in mein neues Zimmer, auf das Tintenfass welches ich auf meinem Schreibtisch gestellt hatte. Ich wünschte mir einen Gänsekiel und etwas Tinte um es wieder aufleben zu lassen. In diesem Moment beschloss ich, am gleichen Wochenende mit meinem Besuch, endlich einmal zum Völkerschlachtdenkmal zu fahren und eine große Wissenslücke zur Leipziger Geschichte zu schließen. Autor Anne Sensel Literatur F.Rochlitz, (1912): Tage der Gefahr.Ein Tagebuch der Leipziger Schlacht, Leipzig: Insel-Verlag Anton Kippenberg (1988) Foto Anne Sensel

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Trommelstock 2700 x 150 mm Holz Fundort: Markranst채dt gefunden am: 05.07.2012

Zu sehen ist das Fragment eines Trommelstocks, der mit aller Wahrscheinlichkeit seinen Einsatz w채hrend der vernichtenden Niederlage des napoleonischen Heers fand.

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Trommelstock aus Markranstädt Der erste Blick sagte mir nichts. Nur ein Stück Holz, das verdorrt und verschmutzt in der großen Kiste auf dem Dachboden steckte. Wie es da lag, still zwischen all den anderen vergilbten und vergessenen Kostbarkeiten, die, wie ich mir vorstellte, schon durch dutzende Hände gegangen waren. Die die Luft einer glorreichen Ära oder furchtbare Epoche in sich aufgesogen hatten und deren Bedeutung und Nachhall für immer konservierten. Zu Beginn empfand ich bei diesem Hölzchen nichts. 2700 x 150 mm Holz Fundort: Markranstädt gefunden am: 05.07.2012

Doch während ich in der Kiste wühlte, die auf dem Dachboden einer Freundin schon halb vergessen ihren Platz besetzte, dies und jenes Stück in meine Hände nahm, ansah, bewertete und weglegte, begann dieses Hölzchen mein Interesse zu wecken. Was mich zunächst unberührt ließ, verlangte nun all meine Aufmerksamkeit. Handelte es sich nur um altes Holz oder hatte es mit Absicht seinen Weg in dieses wüste Museum im Kistenkosmos gefunden? Ich nahm das Stück in die Hand – leicht war es und hart. Erde klebte in Vertiefungen und Rissen. Ich fuhr mit dem Daumen über die Kanten im Holz, die raue Oberfläche, hin zur Bruchstelle. Da war mehr gewesen. Meine tastende Spurensuche führte mich zum Ende des Holzes, welches zuerst schmaler wurde und dann zum Schluss in einem kleinen, unförmigen Knubbel endete. Ich räumte all die Dinge zurück in die Kiste. Aber dieses kleine Holzstöckchen ließ ich nicht los. Zu viel versprach mir seine Maske von verrottetem Material und Dreck.

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Zurück in der Wohnung meiner Freundin gab ich meinen Fund preis. Ihr Vater klärte mich auf: Ein Trommelstock sei es, aus Zeiten der Völkerschlacht- so zumindest hätte sein Großvater es ihm erzählt. Als die Franzosen sich nach der Niederlage über die einzige Straße nach Weißenfels zurückzogen, drückte ein verwundeter Soldat einem Jungen, dem er begegnete, diesen Trommelstock in die Hand, erfuhr ich. Dieser Junge wurde Vorfahre der Familie meiner Freundin. Das Stück sei eines dieser Erbstücke, die seit Ewigkeiten in der Familie sind, untrennbar mit den Menschen verbunden, aber nie mit zu viel Aufmerksamkeit bedacht. Und aller Jubeljahre stellte irgendwer die Frage nach dem Was und Woher – so blieb die Geschichte über viele Dutzende Jahre. Dieses banale Stück Holz war zu Geschichte geworden. Geschichte, die ich in meinen Händen halten konnte. Der Trommelstock ist für mich Sinnbild für die Szenerie einer Schlacht: das euphorisierende Kriegstrommeln vor dem Kampf. Der bewusste Gang in den Tod. Rauch, Pulvergeruch, Schüsse, Schreie. Ein unüberschaubares und undurchdringliches Knäuel aus Leibern und Leid. Dann Stille. Kein siegreiches Trommeln. Der Trommelstock liegt in Teilen auf der Erde zwischen toten Soldaten; zu Füßen der heiligen Barbara. Napoleon ist besiegt. Der Trommelstock ist gebrochen wie das französische Heer mitsamt seiner Alliierten.

Autor Saskia Gall Links http://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6lkerschlacht_bei_Leipzig Stand: 04.06.2013 Fotos Saskia Gall

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Verband 43 Ă— 100 Ă— 43 mm Baumwolle Fundort: Leipzig, Zeughaus gefunden am: 15.05.2013

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Leipzig, 2013. Die Völkerschlacht jährt sich zum zweihundertsten Mal. Die »Schlacht der Völker« wird gefeiert und vermarktet. Allen, die in Leipzig leben, ist dieses »Jubiläum« präsent. In den Tagen vor der großen Feier finde ich beim Stöbern im Leipziger Zeughaus einen alten Verband. Er sieht aus und riecht, als hätte er mindestens 100 Jahre lang unbeachtet in seiner Schachtel gelegen. Er wirkt auf mich wie ein Relikt vergangener Zeit. Warum ist er übrig, wer hat den Verband womöglich vermisst, als er ihn nötig hatte?

Leipzig, 1813. Im Lazarett wird nicht lange gefackelt. Der Arm wurde von einer Granate zerfetzt, er muss amputiert werden. Da um den Mediziner Johann C. Reil bereits viele andere Verletzte liegen, die auf eine Behandlung warten, macht er es kurz. Er gibt dem Mann einen Schluck Alkohol, dann wird es erträglicher sein. Der Mann fleht um noch einen Schluck, aber mehr ist nicht drin. Er ist noch einer von den Glücklichen, anderen wird ein Stück Holz zwischen die Zähne geklemmt. Es nützt alles nichts. Der Arm muss ab. Verbandmaterial ist aus, Leinen aus Salzsäcken tut es zur Not auch, und das hier ist Not.

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Die Schlacht bei Leipzig gilt als die größte und blutigste Feldschlacht der Weltgeschichte bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. 600 000 Soldaten, die gegeneinander kämpfen. Die Angaben der Opferzahlen variieren stark. Schätzungen reichen bis zu 100 000 Getöteten oder Verwundeten, Zivilisten nicht mitgezählt. Jeder Fünfte stirbt in der Schlacht oder erliegt später seinen Verletzungen. Während und nach der Schlacht ist Leipzig ein einziges Trümmerfeld. Die Verwundeten liegen überall, auf den Feldern, in den Straßen. Es werden 56 Lazarette eingerichtet. Doch es mangelt an allem: Pflegepersonal, Medikamente, Bettzeug, Stroh und Lebensmittel sind kaum vorhanden. Typhus bricht aus, allein daran sterben 10 000 Soldaten und 3 000 Leipziger. Es dauert Monate, die Abertausend Leichen zu begraben.

Über die Situation in den Lazaretten lese ich in einem Brief von Johann C. Reil: »Man hat unsere Verwundeten an Orte niedergelegt, die ich der Kaufmännin nicht für ihren kranken Möppel anbieten möchte. […] An jenen Orten liegen sie [...] alle noch in den blutigen Gewändern, in welchen sie aus der heißen Schlacht hereingetragen sind. Unter 20 000 Verwundeten hat auch nicht ein einziger ein Hemde, Bettuch, Decke, Strohsack oder Bettstelle erhalten. [...] Ihre Glieder sind, wie nach Vergiftungen, furchtbar aufgelaufen, brandig und liegen in allen Richtungen neben den Rümpfen. Daher der Kinnbackenkrampf in allen Ecken und Winkeln, der um so mehr wuchert, als Hunger und Kälte seiner Hauptursache zu Hilfe kommen. […] Viele sind noch gar nicht, andere werden nicht alle Tage verbunden. Die Binden sind zum Teil von grauer Leinwand, aus Dürrenberger Salzsäcken geschnitten, die die Haut mitnehmen, wo sie noch ganz ist.

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In einer Stube stand ein Korb mit rohen Dachschindeln zum Schienen der zerbrochenen Glieder. Viele Amputationen sind versäumt, andere werden von unberufenen Menschen gemacht, die kaum das Barbiermesser führen können und die Gelegenheit nützen, ihre ersten Ausflüge an den verwundeten Gliedern der Krieger zu versuchen. Einer Amputation sah ich mit zu, die mit stumpfen Messern gemacht wurde. [...] An Wärtern fehlt es ganz. Verwundete, die nicht aufstehen können, müssen Kot und Urin unter sich gehen lassen und faulen in ihrem eigenen Unrat an. Für die gangbaren sind zwar offene Bütten ausgesetzt, die aber nach allen Seiten überströmen, weil sie nicht ausgetragen werden. In der Petrikirche stand eine solche Bütte neben einer andern ihr gleichen, die eben mit der Mittagssuppe hereingebracht war. Diese Nachbarschaft der Speisen und der Ausleerungen - muss notwendig einen Ekel erregen, den nur der grimmigste Hunger zu überwinden imstande ist.« (Fesser 2013, 127/128) Ich schlage die Bücher zu. Schockierend und abstoßend ist das, was ich lese. Verhältnisse, die man sich heute nicht mehr vorstellen kann. Eine Stadt im Ausnahmezustand. Ein kurzes Erschauern und dann ein anderes Gefühl. Dankbarkeit. Dass ich diese Zeilen in einem alten Buch lesen kann. Dass ich aus der Distanz auf ein menschenunwürdiges Ereignis blicken kann, das 200 Jahre zurückliegt. Zum Glück lebe ich heute. Den Verband lege ich beiseite. Jetzt muss ich los. David Garrett spielt heute am Völki. Auch ich werde feiern.

Autor Janina Stumpp Literatur Fesser, G.: 1813. Die Völkerschlacht bei Leipzig. Bussert & Stadeler, Jena 2013. Nabert, T. (Hg.): Zeugen des Schreckens. Erlebnisberichte aus der Völkerschlachtzeit in und um Leipzig. Pro Leipzig, Leipzig 2012. Fotos Janina Stumpp

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Wagenrad 400 × 150 × 400 mm Holz und Eisen Fundort: Kleinpösna gefunden am: 29.04.2013

Ein Zeuge vergangener Zeiten. Alt, abgenutzt, ausgedient, vergessen. Einst treuer Begleiter, erzählt es seine eigene Geschichte. Sie handelt von Bewegung und Stillstand, vom Kommen und Gehen.

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Am Stadtrand von Leipzig, weit ab von der Anonymität und dem geschäftigen Treiben der Innenstadt, liegt Kleinpösna. Acker und Felder, soweit das Auge reicht, prächtige modernisierte Bauernhäuser, zerfallene Scheunen und Feldwege führen von A nach B. Hier scheint die Zeit an manchen Stellen stehen geblieben zu sein. Es ist Sonntag. Erste Sonnenstrahlen lassen den Frühling ankündigen. Die alte Dame im Haus gegenüber kehrt das liegen gebliebene Laub zusammen. Die letzten Überreste des Winters sollen das schöne Bild nicht trügen. Ganz und gar in Gedanken verloren, blickt sie auf die andere Straßenseite. Dort befindet sich ein wunderschönes Grundstück.

1792 erbaut, zeigt sich das Haus auch nach all den Jahren noch von seiner besten Seite. Nebenstehend stört eine zerrüttete Bauernscheune die Wahrnehmung der alten Dame. Etliche morsche Holzscheite und Werkzeuge sind seit Jahren die einzigen Bewohner. Das Dach legt sich müde auf die noch übrigen Dachbalken, während sich die Seitenwände schon langsam im Dunst der Zeit auflösen. Auf dem Boden haben sich kräftige giftgrüne Grashalme ein lauschiges Plätzchen gesucht. Statt einer Lampe wird man vom satten Tageslicht begrüßt, welches sich seinen Weg durch das Dach bahnt. Lässt man seinen Blick aber langsam und behutsam durch den Raum kreisen, entdeckt man hier und da auch allerlei Krimskrams. Verrostete Dosen, verstaubte Gläser, Weinflaschen, Flechtkörbe, defekte Pflüge und Schaufeln.

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Wahrscheinlich könnte man die Liste bis ins Unendliche treiben und doch nicht jedem Teil gerecht werden. Auch ein kaputtes Wagenrad befindet sich in dem hilflosen Durcheinander. Fast schon majestätisch hat es seinen Platz weit ab vom Eingangstor gefunden. Vergessen liegt es in einer Festung aus Grashalmen, umhüllt vom sanften Streicheln der Sonnenstrahlen. Ab und zu erweisen ihm kleine Feldmäuse oder Katzen die Ehre. Doch schon seit etlichen Jahren behütet es unbemerkt sein kleines Geheimnis. Verrostet und mit einer Decke aus Spinnengeweben erzählt es schweigend seine Geschichte. Betrachtet man es genauer, hat es seinen alten Glanz noch nicht verloren. Geprägt vom Wandel der Zeit, ist es Zeuge eines ganz bestimmten Ereignisses.

Flüsternd und unaufdringlich berichtet es über das Jahr 1813. Das Dorf war einst Schauplatz der Völkerschlacht bei Leipzig. Tapfere Soldaten zeigten sich mit Brüderlichkeit, Verantwortung, Ehre sowie Entschlossenheit und ließen dennoch ihr Leben auf den Schlachtfeldern. Riesige Rauchschwaden umhüllten tagelang, wie giftiger Nebel, die Ländereien in und um die Stadt. Der Geruch nach Schießpulver, Angst und Trauer belegte die Luft. Viele Dörfer und ganze Landstriche wurden besetzt, geplündert und abgebrannt. Der Verlust der zivilen Bevölkerung war enorm. Hunger plagte die Menschen. Krankheiten zogen wie eisige Stürme durch die Stadt und machten sich auf die Suche nach ihren Ergebenen. Auch auf den Schlachtfeldern herrschte heilloses Chaos. Leichen waren an der Tagesordnung und mussten abtransportiert werden. Versorgung für die hungrigen Soldaten sollten herangebracht, Kanonenwagen in Position geschoben und Verwundete zum Lazarett gefahren werden.

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Nun ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir uns an jenes Wagenrad in der Ecke der Scheune erinnern sollten. Beschützt und ohne Sorgen konnte es unbemerkt viele Jahre dort verweilen. Man kann nicht genau sagen, welche ehrwürdige Aufgabe es zu erledigen hatte. Aber schaut man es sich genau an, ist es gezeichnet von den Lasten, die es tragen musste. Narben und Risse verdeutlichen die Gewalt der Vergangenheit. Die alte Dame im Vorgarten ihres Hauses kehrt urplötzlich wieder aus ihrer Gedankenwelt zurück. Zu verwunderlich sind die Geschehnisse, welche sie in den letzten fünf Minuten beobachtet hatte. Das Haus dort gegenüber, auf der anderen Straßenseite, ist eines der vielen hier im Dorf, welches nicht mehr bewohnt ist. Schon lange nicht mehr. Früher in den 60'er Jahren lebte da noch eine große Familie. Aber auch die haben sich wahrscheinlich ihren Weg in die Stadt gesucht. Nur die Scheune, da ist sie sich sicher, die haben sie nicht betreten. Zu groß war die Gefahr des Einsturzes. Bloß heute ist etwas anders. Eine junge Frau verlässt dieses zerfallene Relikt aus vergangenen Zeiten. In der Hand trägt sie ein kaputtes Wagenrad. Vermutlich das eines Handwagens. Verschmutzt und noch nicht einmal funktionstüchtig. Was will man denn mit so einem Ding? Verdattert widmet sie sich wieder ihrem Laub. Doch insgeheim beschäftigt sie das Wagenrad. Unwissend über dessen Geheimnis verdrängt sie ihre Gedanken.

Autor Constanze Schmidt Literatur Leipzig zur Zeit der Völkerschlacht 1813: subjektive Zeitberichte und Dokumente in Reprints. Kulturdirektion Leipzig 1988 Fotos Constanze Schmidt

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Wargame 60 × 60 mm Papier Fundort: Südvorstadt, Leipzig gefunden am: 10.05.2013

Auch Leipzig geht mit der Zeit. »Napoleon at Leipzig«, ein modernes Kriegsspiel, wird anlässlich der Jubiläumsfeier zur Völkerschlacht vom Erfinder persönlich vorgestellt ...

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Auch Leipzig geht mit der Zeit. »Napoleon at Leipzig«, ein modernes Kriegsspiel, wird anlässlich der Jubiläumsfeier zur Völkerschlacht vom Erfinder persönlich vorgestellt. »Man vergisst vielleicht, wo man die Friedenspfeife vergraben hat. Aber man vergisst niemals, wo das Beil liegt.« (Mark Twain) Die Jubiläumsfeier der Völkerschlacht wird einem vor Augen führen, wie man es benutzt. Ausschnitt aus der Zeitschrift »The Wargamer«

Und deshalb wird das Glas erhoben – auf das 200-jährige Jubiläum des Sieges über Napoleon, auf das deutsche Volk, den Krieg … Worauf eigentlich?

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Egal. Feierlich begehen wir diesen Akt mit nachgestellten Schlachten, dem größten Aufgebot von Reitern und Pferden in den letzten hundert Jahren und als Auftakt der Jubiläumswoche erleben wir am 11. Oktober die Premiere des Wargames. »Napoleon at Leipzig« - vorgestellt vom amerikanischen ErfinBild vom Wargame »Napoleon at Leipzig«

der persönlich. Das Spiel tritt in seiner fünften Edition auf. Das heißt: Die Karte, auf der gespielt wird, ist größer, es gibt auf jeder Seite mehr Soldaten und die Schlacht um Hanau glänzt mit zusätzlichen bayerischen und österreichischen Truppen. Alle Leipziger sind eingeladen, sich zu positionieren, ein Heer aufzustellen, kriegerische Spielzüge zu verfeinern und, falls gewollt, selbst in die Rolle Napoleons zu schlüpfen. »Du sollst nicht töten.«…

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Autorin Tina Schinke Links http://www.hexasim.com/529-Napoleon-at-Leipzig.html http://wargamer.com/article/3333/board-game-review-the-emperor-returns-napoleon-at-leipzig-review Fotos Objektbild von Tina Schinke Bild vom Zeitungsartikel ist unter folgendem Link zu finden: http://www.thewargamer.com/grognard/10p42.gif Bild vom Spiel ist unter folgendem Link zu finden: http://www. hexasim.com/images/OSG/OSGNALlarge.jpg Bild vom Spielfeld ist unter folgendem Link zu finden: http:// wargamer.com/article/3333/board-game-review-the-emperor-returns-napoleon-at-leipzig-review

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Zehnpfennigmünze 21 × 21 × 1 mm Kupfer, Nickel Fundort: Leipzig, Connewitz gefunden am: 30.03.2013

Diese Münze aus der Zeit des Deutschen Kaiserreichs wurde von 1873 bis 1889 geprägt und 1924 außer Kurs gesetzt. Dieses Exemplar stammt aus dem Jahre 1894. Es war das Jahr, in dem Clemens Thieme den »Deutschen Patriotenbund zur Errichtung eines Völkerschlachtdenkmals bei Leipzig« gründete.

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»Diese Münze ist etwas Besonderes«, höre ich noch ganz genau meine Großmutter sagen, obwohl es nun schon mindestens 20 Jahre her ist, seit sie mir dieses Geldstück gab. »Diese Münze fand meine Mutter, deine Urgroßmutter, als sie 1913 mit ihrem ältesten Bruder Hilmar die Einweihungsfeier des Völkerschlachtdenkmals besuchte. Sie erzählte immer, dass die Münze einem feinen Herrn aus der Tasche gefallen sei, als dieser gerade eine Bratwurst kaufen wollte. Deine Urgroßmutter bückte sich und steckte das Geldstück in ihre Schürzentasche. Aber ob sie da nicht ein wenig geflunkert hat, das weiß ich bis heute nicht!« Ob geflunkert oder nicht, ich mochte diese Geschichte immer gern, denn immerhin war es durchaus möglich. Am 18. Oktober 1913 wurde das Völkerschlachtdenkmal unter Anwesenheit vieler wichtiger Persönlichkeiten wie dem deutschen Kaiser, dem sächsischen König und verschiedenen deutschen Fürsten sowie österreichischen, schwedischen und russischen Staatsmännern feierlich eingeweiht. Ebenfalls anwesend war der für die Errichtung des Völkerschlachtdenkmals wichtigste Mann: Clemens Thieme. Er gründete im Jahre 1894, dem Prägejahr der Zehnpfennigmünze, den »Deutschen Patriotenbund« und schuf damit die Voraussetzung für die Errichtung dieses monumentalen Bauwerks. Unmittelbar nach der Völkerschlacht gab es bereits Bestrebungen, ein Denkmal zu errichten, doch scheiterte dies jedes Mal an der Finanzierung des Vorhabens. Zum 50. Jahrestag der Völkerschlacht legte man zumindest einen Grundstein für ein Denkmal, etwa einen Kilometer vom heutigen Standort entfernt. Doch die Euphorie hielt nicht lange, das Vorhaben verlief im Sande, nicht zuletzt wegen der geschichtlichen Ereignisse der folgenden Jahre. Erst knapp 30 Jahre später, 81 Jahre nach der Völkerschlacht, gelang es dem Leipziger Architekten Clemens Thieme die Grundlage dafür zu schaffen, dass in den folgenden 19 Jahren die Mittel für den Bau des Völkerschlachtdenkmals beschafft werden konnten: Er gründete am 26.04.1894 den »deutschen Patriotenbund zur Errichtung eines Völkerschlachtdenkmals bei Leipzig«. Sein Plan war es, sich an die Vereine im ganzen Reich zu wenden und sie um Spenden für das gigantische Vorhaben zu bitten. Eine Mitgliedskarte kostete zwar nur 50 Pfennige, doch nach zwei Jahren zählte der Verein bereits über 90.000 Mitglieder. Clemens Thieme hielt im ganzen Reich Vorträge, um seine Vision zu verbreiten und möglichst viele Anhänger für seine Sache zu gewinnen. Dabei erwies sich vor allem das Volk als besonders patriotisch und zeigte ausgesprochen großes Engagement bei der Unterstützung seines Vorhabens. Thieme waren die Pfennige aus den Sparbüchsen der Schulkinder genauso wichtig wie die umfangreichen Spenden von Städten, Gemeinden, Königen und Fürsten. Trotz aller Bemühungen schaffte es Clemens Thieme nicht, allein durch den Verein die geplante Summe von 6 Millionen Goldmark zu sammeln.

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Daher gründete er zusätzlich Lotterien, um weitere Gelder einzutreiben. Zudem hatte Thieme wegen fehlender Mittel ein Darlehen aufnehmen müssen. Parallel liefen die Bauarbeiten zum Denkmal, dessen Baumeister Clemens Thieme war. Die Pläne für das Völkerschlachtdenkmal schuf der Architekt Bruno Schmitz nach den Vorgaben Thiemes. 1898 begannen die Ausschachtungsarbeiten; die Grundsteinlegung bzw. die Verlegung der im Jahre 1863 gelegten Grundsteine auf das neue, von der Stadt gestiftete Areal folgte zwei Jahre später. Thieme erhob Eintrittsgelder für die Besichtigung der bereits fertiggestellten Teile des Völkerschlachtdenkmals und sicherte somit den ständigen Fluss an finanziellen Mitteln, sodass keine Stagnation des Projektes entstand. Die Schlusssteinlegung fand am 13.05.1912 statt, 14 Jahre nach Beginn der Bauarbeiten. Bis zur feierlichen Einweihung des Völkerschlachtdenkmals am 18.10.1913 hatte Thieme mit Hilfe des »Deutschen Patriotenbundes« eine Summe von 5.116.077 Mark gesammelt. Zu diesem Zeitpunkt fehlten zu den veranschlagten 6 Millionen Mark immer noch knapp 900.000 Mark, aber diese Summe konnte das Völkerschlachtdenkmal von nun an selbst erwirtschaften. Clemens Thieme. Totenmaske. Thieme starb 1945 im Alter von 86 Jahren und hinterließ einen geschichtlichen und architektonischen Meilenstein: Das Völkerschlachtdenkmal bei Leipzig

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Autor Melanie Brunner Literatur Das Vรถlkerschlachtdenkmal in Leipzig, der Deutsche Patriotenbund, das Denkmal, seine Entstehung und Eigenart. Nach urkundlichen Quellen des Deutschen Partiotenbundes, bearbeitet von Reinhold Bachmann. Leipzig, 1937. Die Vรถlkerschlacht, das Denkmal und sein Erbauer Clemens Thieme, bearbeitet von Eduard Bachmann. Max Beck Verlag, Leipzig, 1938. Links http://germanycash.de/info/alle-muenzen-aus-deutschland-ab1871.html http://www.itoja.de/Jahrestag_Voelkerschlacht_1813_bei_Leipzig/Alles_ueber_die_Voelkerschlacht_1813_bei_Leipzig/Die_Entstehungsgeschichte_des_Voelkerschlachtdenkmals_in%20Leipzig. html Fotos Melanie Brunner

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HOMEPAGE www.uni-leipzig.de/wunderkammer/voelkerschlacht LEITUNG Dr. Roland Meinel, Prof. Andreas Wendt EINLEITUNGSTEXT Hendrikje Streiter GESAMTBEARBEITUNG Mandy Putz INSTITUT FÜR KUNSTPÄDAGOGIK Ritterstraße 8-11 04109 Leipzig www.uni-leipzig.de/studienart Leipzig 2013


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