Ročenka 2004 - 2005

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Galéria – Ročenka SNG 2004–2005

mendavit, … nec doctrinae, nec vitae illius contemtor fuit unquam“. Mit den letzteren Worten wiesen die Chorherren von St. Paul, spürbar verärgert, eine Bemerkung Christophs von Utenheim als böse Unterstellung zurück.35 Nach der Kenntnis des Basler Bischofs hat sich Bureau von der Schmähung zur Verehrung Gersons „gleichsam auf wunderbare Weise“ bekehrt, nachdem er von seinem rebellierenden Maultier abgeworfen wurde.36 Die Beschreibung dieser damaszenischen Wende kann schon wegen der engen Anlehnung an das biblische Vorbild nicht wörtlich genommen werden;37 dass sie doch näher zur Wahrheit steht als die Erklärung der Lyoner Kanoniker, ist jedenfalls sicher. Eine Wende in der Haltung Bureaus muss stattgefunden haben, die Datierung derselben ist jedoch unklar. Einen bescheidenen Anhaltspunkt bietet nur der Eintrag am Anfang des auch sonst reich glossierten Dialogus apologeticus, laut dessen der Karmelit den Traktat an Weihnachten 1490 gelesen hat. 38 Das heißt zumindest, dass die Lyoner Kapelle Gersons zur Zeit der Elevation Bonaventuras noch nicht einmal anvisiert werden konnte. Das heißt auch, dass die neun lateinischen Verse des Epitaphium divi Joannis Gerson, die Wimpfeling 1506 direkt unter dem Brief des Lyoner Kapitels veröffentlicht hat, aber bereits in der Ausgabe von 1488 erschienen ist und der dortigen Überschrift zufolge als Umschrift des Lyoner Grabsteins von Gerson Verwendung fand, nicht mit den von Bureau verfassten und vom Basler Bischof verlangten carmina in laudem Joannis Gerson identisch sind.39 Die letzteren können – eigentlich schon aufgrund der Wortwahl in den Briefen – vielmehr in dem sechzehnzeiligen

Panegyricus gallica in divum Johannem Gersonem erkannt werden, den Wimpfeling am Epitaphium anschließend abdrucken ließ und der bisher als anonym galt.40 Als die Literaten des Geiler-Kreises diese Verse und die Kopie des Lyoner Gerson-Bildes in die Hand nahmen, wussten sie jedoch kaum, dass diese in gewisser Hinsicht auf ihre Herausgebertätigkeit zurückgeht. Gábor Endrődi, Magyar Nemzeti Galéria, Budapest

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De vita … (zit. Anm. 11), foll. A3v f. Ibidem, fol. A3r. 37 So ist es auch verständlich, wenn sie auch in der modernen Literatur als Irrtum behandelt wird (JACKSON-HOLZBERG 1981 [zit. Anm. 12], S. 69; HERDING – MERTENS (Hg.) 1990 [zit. Anm. 6], S. 52), zumal sie gleich zwei Steckenpferden Wimpfelings (der wohl hinter dem Brief des Bischofs steht; vgl. ibidem), seiner Feindseligkeit gegenüber den Bettelorden und Frankreich, entsprechen kann. 38 Bd. 3, fol. [cc8]v. 39 Inc.: Magnum parva tenet …; vgl. De vita … (zit. Anm. 11), fol. [A4]r; Opera Johannis de Gerson … (zit. Anm. 5), Bd. 3, fol. af4r (Überschrift: „Epitaphium scriptum in circumferentia sepulcri in Lugduno in ecclesia Sancti Pauli et in tabula muro appensa iuxta arma sua“). 40 Inc.: Si gist le grand …; s. De vita … (zit. Anm. 11). foll. [A4]r f. Das Gedicht wird von Christoph von Utenheim als „carmina in laudem Joannis Gerson … ad sepulchrum appensa“ beschrieben (ibidem, fol. A3r). JACKSON-HOLZBERG 1980 (zit. Anm. 12), S. 68 f. schreibt die lateinischen Verse Bureau zu, die französischen hingegen nicht; vgl. auch HERDING – MERTENS (Hg.) 1990 [zit. Anm. 6], S. 52. 36

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