Ročenka 2004 - 2005

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G á b o r E n d rő d i : D i e Vor b i l d e r d e r G e r s o n - D a r st e l l u n g a m L e u t s c h a u e r J o h a n n e s a l t ar

er Bildes an den Straßburger Holzschnitt von gewöhnlichen künstlerischen Motiventlehnungen grundsätzlich unterscheidet, von Seiten des Auftraggebers Nachdenken voraussetzt und schließlich eine Neubewertung nicht nur der Darstellung Gersons, sondern auch des ganzen ganzen Retabels provoziert.27 Nachtrag Seitdem ich eine wunderbare Stelle bei Kurt Flasch über die „öffentliche Entleerung von Zettelkasten“28 kenne und die monumentalen Beiträge von André Combes zur Gerson-Forschung benütze, neige ich dazu, die beiden aufeinander zu beziehen. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass ich erst nach der Abgabe des Manuskriptes auf eine wichtige Fußnote in Combes’ gigantischem Essai sur la critique de Ruysbroeck par Gerson aufmerksam wurde.29 In dieser wird im Zusammenhang der Geilerschen Gerson-Ausgabe von 1488 der Besitzvermerk des ersten Bandes des vom Verfasser benützten Exemplars in der Pariser Bibliothèque Sainte-Geneviève mitgeteilt: „Istos christianissimi doctoris magistri Johannis Gerson cancellarii parisiensis tractatus emi ego frater Laurentius Burelli theologorum Parisiensium minimus anno salutis millesimo ccccmo nonagesimo, quos conventui nostro Divionensi sacri ordinis dive Christi matris Marie de Carmelo in meorum peccatorum remissionem dedi. Ita est Burelli“.30 Das Exemplar wurde also von Laurent Bureau erworben und dem Dijoner Karmeliterkonvent geschenkt, wo er selbst 1489 noch als Mitbruder lebte. Dass der Zusatz „Ita est Burelli“ wörtlich zu nehmen ist, bestätigen die zahlreichen, stellenweise üppigen Randnotizen, die fast ausnahmslos von derselben Hand stammen wie der Besitzvermerk. Diese Randnotizen haben eine eindeutige Tendenz. Ein relativ kleiner Teil der Einträge vermerkt die von Gerson – egal, in welchem Sinne – beigezogene Autoritäten, dabei aber fast ausschließlich die Mendikanten.31 Die überwiegende Mehrheit von Bureaus Bemerkungen ist ein schlichtes „Non“, als ob das Glossieren für den Karmeliten eigentlich das Aufsuchen derjenigen Stellen bedeutet hätte, wo er sich von dem Autor distanzieren kann. Ein Frömmigkeitsideal für Theologen, wie es sich Gerson für das ausgehende Mittelalter im Allgemeinen dargestellt hat, war er für Bureau zumindest zu dieser Zeit nicht. Wie die Notizen zu De consolatione theologiae zeigen, haben Gersons einflussreiche Ansichten über das Verhältnis von Gelehrsamkeit und Frömmigkeit den späteren königlichen Beichtvater nicht überzeugt. Die Ablehnung erscheint sogar als persönliches Refugium einer negativen Heilsgewißheit: „Non hoc Laurenti, ut melior aut saltem bonus fias“.32 Zu einem Gespräch zwischen Verfasser und Leser kommt es erst am Rande der Stellen, in denen Gersons Haltung gegenüber den Bettelorden, seine Opposition zu ihrer Übernahme von pfarrgeistlichen Aufgaben offensichtlich wird. Solche Passagen sind mit

besonders vielen Nons belegt, manchmal werden aber auch sie als nicht nachdrücklich genug empfunden. Wo Gerson die die Mendikanten privilegierende Bulle Regnans in excelsis … vom Papst Alexander V. als häretisch bezeichnet, dort fügt Bureau hinzu: „Velis nolis Gerson, mendicantes illud habent munditer“.33 Wo Gerson behauptet, das Betteln habe nicht zu Christus gepasst, dort sieht Bureau keinen Anlass mehr, seine Worte abzuwägen: „Cane tibi Gerson … contra mendicitatem scribere mansit confusus“.34 „Gerson, du Hund“ – so kann schwerlich jemand sprechen, der „nomenque et virtutum, prestantiam, dotes et doctrinam olim Ioannis Gerson semper com-

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Ibidem, fol. a2r. Gerade der erste Band von Henkels Handexemplar ist allerdings nicht erhalten geblieben und am Ende des 18. Jahrhunderts, als die Leutschauer Pfarrbibliothek verkauft wurde, war er auch nicht mehr vorhanden; vgl. SELECKÁ, Eva: Stredoveká levočská knižnica. (Slovenské knižnice, 9.) Martin 1974, S. 159f., Nr. 130, 147, 158. Das heißt freilich keineswegs, dass Henckel sein Gerson-Exemplar stückweise erworben und den ersten Band eventuell nicht gekannt hätte. 27 Die Ambition des Textes, den ich im März 2004 in Preßburg vortrug, war durchaus, diese Neubewertung zumindest im Blick auf das Gerson-Bild vorzunehmen. In der Zwischenzeit ist mir klar geworden, dass die Aufschlüsse des hier beschriebenen Befundes noch weiter reichen und dass eine solche Analyse in dem Umfang, der in einem Tagungsband zur Verfügung steht, nicht zu entfalten ist. Ich teile daher an dieser Stelle nur die Ausgangspunkte meiner Arbeit mit, insofern ist diese Veröffentlichung von vorläufigem Charakter. 28 FLASCH, Kurt: Nikolaus von Kues. Geschichte einer Entwicklung. Vorlesungen zur Einführung in seine Philosophie. Frankfurt a.M. 1998, S. 307. 29 COMBES, André: Essai sur la critique de Ruysbroeck par Gerson, Bd. 1–4. (Études de théologie et d’histoire de la spiritualité, 4– 6.) Paris 1945–1972, hier Bd. 1, S. 108, Anm. 2. 30 Paris, Bibliothèque Sainte-Geneviève, OEXV 588, fol. [A1]r. Der Vermerk wiederholt sich im zweiten (ebd., OEXV 589) und im dritten Band (ebd., OEXV 590), ebenfalls an den Titelblättern, jedoch ohne Jahreszahl und mit unerheblichen Veränderungen. Diese Bänder werden im folgenden nur mit Band- und Folionummer zitiert. 31 Bd. 1, foll. x2v (Wilhelm von Ockham), cc3v (Johannes Duns Scotus), gg6v (Hubertinus von Casale), hh1r („Contra Scotum“); Bd. 2, foll. U4r (Randstrich zu einer Erwähnung des „doctor subtilis“, d.h. Johannes Duns Scotus), OO1v („Laus Bonaventure“). 32 Bd. 3, fol. [cc6]r (zu De cons. theol., lib. 4, pr. 4); vgl. ebd., foll. cc1r: „Non de munere licentie magistrale in theologica facultate“ (zu lib. 3, pr. 3), cc4v: „Dubium est utrum evidentia sit in revelationibus, licet hoc asserat doctor, quia non cognoscitur res in proprio genere, ni penes in essentia divina. Solvat qui volet“ (zu lib. 4, pr. 2). 33 Bd. 1, fol. t3r (zu Errores circa praeceptum Non occides); vgl. auch Bd. 2, fol. EE2r (zu Sermo in Coena Domini: Si non lavero te). Zu Gersons Haltung gegenüber den Bettelorden und zu seiner Reaktion auf die päpstliche Bulle vgl. BURGER 1986 (zit. Anm. 11), S. 158-164. 34 Bd. 3, fol. [ff6]r (zu Sermo in festo Nativitatis Beatae Mariae Virginis: Jacob autem genuit), ebd. auch weitere Einträge.

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