Ročenka 2004 - 2005

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Galéria – Ročenka SNG 2004–2005

versucht, in diesem sprechenden, geradezu porträthaften Antlitz ein „verkleidetes“ Selbstbildnis des Künstlers zu sehen, eine mögliche Vorstufe für Anton Pilgrams berühmte Selbstdarstellungen an der Kanzel und am Orgelfuß von St. Stephan in Wien.19 Das Amsterdamer Relief, dessen Datierung nicht ganz unumstritten ist, gilt völlig zu Recht als eines der Hauptwerke der Straßburger Skulptur der Spätgotik.20 Es entstand zu einer Zeit, in der die Stadt zu den bedeutendsten Kunstzentren Mitteleuropas gehörte. Eine Quelle des 16. Jahrhunderts berichtet mit sichtlichem Stolz, dass mehrere Bildhauer dieser Stadt „...berümpt sin gewesen gegen konigen und keiseren und gegen fürsten und heren, des ein loblich stat Straßburg lob und rum hat gehabt....“. Namentlich genannt wird zuerst „Niclaus von Leyen“, dann der immer noch rätselhafte Hans Geuch und an dritter Stelle Hans Kamensetzer, der hier Ende des Jahres 1471 das Bürgerrecht erhielt. Im Mai 1487 wird berichtet, dass er „von Straßburg zu der kaiserlichen maiestat gen Wien getzogen und daselbst mit tod vergangen“ sei, wobei Hartmut Scholz frägt, ob dieser Tod nicht am Ende ursächlich mit der im selben Jahr erfolgten Eroberung Wiener Neustadts durch die Ungarn zusammenhing.21 In Hinblick auf diesen internationalen Ruhm Kamensetzers wird der im Hintergrund des Amsterdamer Reliefs dargestellte Kamin interessant, in dem Scholz wohl nicht zu Unrecht eine redende „Signatur“ des Künstlers vermutete.22 [Abb. 3] Sollte sich diese Deutung bewahrheiten, darf aufgrund der engen, auch über den zeitlichen Abstand hinweg erkennbaren stilistischen Verwandtschaft mit einiger Berechtigung auch das Relief von Hlohovec als Werk des Meisters in Anspruch genommen werden. Das gilt auch für die angeblich vom Dachboden der Preßburger Klarissenkirche stammende Figur der knienden Jungfrau Maria. Diese befand sich als Leihgabe der Kirche von Veľký Biel in der Preßburger Gotik-Ausstellung, wo sie erstmals im Original mit dem Relief von Hlohovec verglichen werden konnte.23 [Abb. 4] Die Gegenüberstellung zeigte eine völlig identische künstlerische Handschrift, sowohl in der Ausarbeitung des Gesichts und der prachtvollen Haare als auch im Faltenstil des Gewandes. Es fällt auf, dass der in Form eines verkehrten S um Kopf und Oberkörper Mariens gelegte Schleier formal dem um die rechte Hand gewundenen Mantel des hl. Josef im Geburtsrelief aus Hlohovec entspricht. Auch die Maria der Verkündigung hat den Blick gesenkt, wendet ihn aber nicht auf das aufgeschlagene Buch, in dem sie blättert, sondern auf ihre linke, den gesegneten Leib berührende Hand. Wie das Geburtsrelief hat auch die Marienfigur ihre direkten Vorfahren in der Straßburger Kunst der Gerhaert-Zeit, wie vor allem ein Vergleich mit der aus dem Margarethenkloster in Straßburg stammenden Figur der hl. Maria Magdalena in Biengen zeigt. Ähnlich sind insbesondere das Antlitz, die fülligen Haare und die zarten Hände.24 Das gilt in vielleicht noch höherem

5. Verkündigungsmaria aus Wiener Neustadt. Um 1475–1485. Wien, Kunsthistorisches Museum, Sammlungen Schloss Ambras. Foto: Kunsthistorisches Museum Wien

Maße auch für eine, zuletzt der Gerhaert-Werkstatt zugeschriebene Marienstatue in der 1466 geweihten Har-

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SCHULTES, Lothar: Die Plastik – Vom Ende des Schönen Stils bis zum Beginn der Renaissance. In: ROSENAUER, Artur (Hg.): Geschichte der bildenden Kunst in Österreich. Band 3. Spätmittelalter und Renaissance. München – London – New York 2003, S. 350-352, Kat. 137 f., Farbtaf. 90. – Zum „verkleideten“ Porträt siehe POLLEROSS, Friedrich B.: Das sakrale Identifikationsporträt. Ein höfischer Bildtypus vom 13. bis zum 20. Jahrhundert, 2 Bde. Worms 1988. 20 KROHM 1991 (zit. Anm. 10), S. 205 f., Abb. 16 f. – Gegen eine allzu frühe Datierung sprach sich SCHOLZ 1994 (zit. Anm. 2), S. 109, Anm. 84 f. aus. 21 Ibidem, S. 104 ff. 22 Ibidem, S. 110-112. – Einen Kamin im Hintergrund zeigt allerdings auch die Tafel der Anbetung der Könige des Meisters von Mondsee. Vgl. Gotik Schätze Oberösterreich. [Ausst. Kat.] Hg. Lothar SCHULTES. Linz 2002, S. 276 f., Nr. 1/11/20, mit Farbabb. 23 CHAMONIKOLASOVÁ 2003 (zit. Anm. 1), S. 712 f., Nr. 4.39.2. 24 RECHT 1987 (zit. Anm. 10), S. 350, Nr. II.14, Abb. 37, 61; SCHOLZ 1994 (zit. Anm. 2), S. 133 f., Abb. 45.

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