Ročenka 2004 - 2005

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Galéria – Ročenka SNG 2004–2005 Padua. Seine besonderen Gesichtszüge stehen im Sinne des eigenartig stilisierten Realismus den Gesichtern aus dem slowakischen Altar, vor allem der hl. Scholastika, nahe. Eine ganze Reihe der Wiener Skulpturen weist schon eine markante S-Biegung sowie eine Öffnung des Blockes (hl. Dorothea, hl. Maria Magdalena und die bereits erwähnte hl. Helena) auf. Es scheint also, dass der in St. Benedikt am Gran wirkende Künstler die Wiener Werke der 40er–50er Jahre sehr gut kannte und hier vielleicht auch eine Zeit lang tätig war. Seine Begegnung mit dem „kaschauerschen Werk“ spielte sich mit höchster Wahrscheinlichkeit hier ab, in Stephansdom in Wien, in einer an die konservativ gestimmte Linie anknüpfende Schicht, die der Freisinger hl. Korbinian und die Madonna aus der niederländischen Privatsammlung vertreten. Der zweifellose Wiener Ausgangspunkt des Meisters des Marienaltares in St. Benedikt geht Hand in Hand mit einer spezifisch „slowakischen“ Typik der Gesichter von Madonna und Christus, die wahrscheinlich der lokalen Tradition des schönen Stils – vertreten z.B. durch die Madonna aus Kreuz am Gran (Žiar nad Hronom) – entspricht.. Es ist gut vorstellbar, dass unser Meister aus der hiesigen Umgebung stammt und nach der einflußreichen Wiener Lektion wieder zurückkehrte. Dann begann er im Sinne der progressivsten Tendenzen der Spätgotik zu schaffen, was offensichtlich aus der angedeuteten Beziehung zu Wiener Skulpturen und zum Werk des Meisters des Tiefenbroner Altars hervorgeht. Dem zufolge kann der Anfang seiner Tätigkeit spätestens in die 60er Jahre des 15. Jhs., wahrscheinlich aber um das Jahr 1460, gelegt werden. Die Analogie mit dem Werk der Nachfolger Multschers widerspricht dieser Hypothese des Wiener Ausgangspunktes überhaupt nicht. In der umfangreichen Produktion des Stephansdomes, insbesondere bei den Skulpturen der progressiveren Schichten, kommen Werke vor, die kompositionsartig mit dem schwäbischen Kreis verbunden sind. Es ist anzunehmen, dass sich dieser beliebte „multschersche“ Stil nach Ober- und Niederösterreich gerade aus Wien verbreitete. Die Wiener Produktion um die Mitte des 15. Jhs. spricht am deutlichsten gegen die Annahme der späten Datierung des Marienaltares in St. Benedikt am Gran. Die späte Datierung könnte den ganzen umfangreichen Kreis von St. Benedikt und seine Werkstatt auf ein Niveau der verzweifelt unmodernen, von den umgebenden Werken isolierten Erscheinung degradieren. Dem zufolge müßten wir auch durchaus prinzipielle Auswirkungen auf das gesamte Bild der Spätgotik in der Slowakei in Kauf nehmen. Problematisch wäre dann die Datierung seiner umfangreichen Werkstattproduktion, zu der z. B. der Marienaltar in Pukanz, die Madonna aus Bánovce nad Bebravou, die Knauz’sche Madonna, die Skulptur des hl. Abtes oder der Virdolorum-Altar in Leutschau zählen. Dasselbe Problem käme in der Strukturierung und Datierung der Produktion der Nachfolger des Meisters aus St. Benedikt vor. Ganz zu schweigen von den anderen Autoren eines spezifisch stilisierten, ohne den Altar in St. Benedikt am Gran undenkbaren Ausdruckes, die im letzten Drittel des 15. Jhs. mit ihrem Werk von künstlerisch niederer Qualität die Region der Mittelslowakei geradezu überfluteten. Deutsch von Alexandra Vikárová

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