Ročenka 2004 - 2005

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Galéria – Ročenka SNG 2004–2005

Das Görlitzer Cor vinus-Wappen von 1488 Repräsentationsmuster landesherrlicher Macht KATJA MARGARETHE MIETH – MARIUS WINZELER

Die Oberlausitz, Lusatia superior, heute hauptsächlich zum deutschen Freistaat Sachsen gehörend und im östlichen Teil zur polnischen Region Niederschlesien, scheint recht weit von der Slowakei entfernt zu liegen. Durch historische Gemeinsamkeiten ergeben sich jedoch interessante Bezüge. In besonderem Maße gilt dies für die Zeit zwischen 1469 und 1526, jenen Zeitraum, in dem die Oberlausitz ebenso wie das Gebiet der heutigen Slowakei unter der Herrschaft von König Matthias Corvinus stand und nach dessen Tod Teil des jagiellonischen Reiches war.1 Aus dieser Epoche möchten wir erneut ein Werk zur kunsthistorischen Diskussion stellen, das zum Besten gehört, was an der Peripherie des ungarisch-böhmischen Herrschaftsgebietes aus der Zeit um 1500 erhalten blieb und doch in der kunsthistorischen Wahrnehmung ein Schattendasein führt: das corvinische Königswappenrelief am Görlitzer Rathaus von 1488.2 [Abb. 1]

Intensive Handelsbeziehungen sind über Ungarn hinaus bis nach Aleppo bezeugt. Görlitzer Tuch fand weit in den Osten guten Absatz, während die Stadt umgekehrt ein Umschlagplatz war für ungarischen Wein, für Silber und Erz.3 Als 1469 Ladislaus Postumus gestorben war, entschieden sich die Oberlausitzer Stände für die Loslösung von der geschwächten Krone Böhmens und wählten Matthias Corvinus zum Landesherrn. Sie waren

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Der politische Hintergrund Unsere Betrachtung führt damit in jene Stadt, die durch den aufblühenden Waid- und Tuchhandel am Ende des 15. Jahrhunderts die wirtschaftliche Vormacht in der Oberlausitz erlangt hatte. Mit rund 9.000 Einwohnern war Görlitz die größte Stadt des vom 1346 gegründeten Sechsstädtebund dominierten Landes und gemessen am Steueraufkommen die reichste. Sie hatte die eigentliche Hauptstadt des Landes – Bautzen – mit dem Sitz des Landesherrn bzw. des Landvogtes als dessen Vertreter an Bedeutung überflügelt. Dem als Nebenland der böhmischen Krone unterstehenden Markgraftum war es dank geschickter Politik seit dem 14. Jahrhundert gelungen, den Mangel an reichen Bodenschätzen durch den kontinuierlichen Ausbau und die Sicherung von Handelsstraßen und Handelsbeziehungen auszugleichen und eine beachtliche wirtschaftliche Stärke zu erlangen. Seit den Luxemburgern hatte die Stärkung der Städte durch den Landesherren hier politische Tradition. Zwei wichtige Fernhandelsrouten kreuzten sich in Görlitz: die Hohe Straße oder via regia in Ost-West-Richtung von Kiew–Krakau–Breslau nach Erfurt–Frankfurt–Paris und die so genannte Bernsteinstraße, die die Ostsee mit Prag und Ungarn verband.

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BAHLCKE, Joachim (Hg.): Geschichte der Oberlausitz. Herrschaft, Gesellschaft und Kultur vom Mittelalter bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Leipzig 2001; WINZELER, Marius: Horní Lužice a její umělecké vazby k Čechám, Slezsku a Sasku v pozdním středověku – přehled. In: Podzim středověku: vyhraňování geografických teritorií, městská kultura a procesy vzniku lokálních uměleckých škol ve střední Evropě 15. století / The Waning of the Middle Ages. Specification of Geographic Territories, Town Culture and the Rise of Local Artistic Schools in 15th Century Central Europe. Hg. Kaliopi CHAMONIKOLA – Alena MARTYČÁKOVÁ. Brno 2001, S. 145-163; TORBUS, Tomasz (Hg.): Die Kunst in der Oberlausitz um 1500. [Unter Mitarbeit von Markus HÖRSCH] Studia Jagellonica Lipsiensia 3. Ostfildern 2006 [in Vorbereitung]. BÜSCHING, Johann Gustav Gottlieb: Die Alterthümer der Stadt Görlitz. In: Neues Lausitzisches Magazin, 4, 1825, S. 178; LUTSCH, Hans: Verzeichnis der Kunstdenkmäler der Provinz Schlesien. III. Der Reg.-Bezirk Liegnitz. Breslau 1891, S. 681, 684f.; WALLIS, Carl: Görlitzer Inschriften. Görlitz 1911/1912, S. 34; JECHT, Richard: Geschichte der Stadt Görlitz. I, 2. Topographie der Stadt Görlitz. Görlitz 1927–1934, S. 344; BALOGH, Jolán: Die Anfänge der Renaissance in Ungarn. Matthias Corvinus und die Kunst (Forschungen und Berichte des kunsthistorischen Institutes der Universität Graz IV). Graz 1975, S. 144; DEHIO, Georg: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Sachsen I, Regierungsbezirk Dresden. Hg. Barbara BECHTER – Wiebke FASTENRATH u. a. München – Berlin 1996, S. 389; LEMPER, Ernst-Heinz: Görlitz. Eine historische Topographie. Görlitz 2001, S. 80, 82. Für freundliche Hinweise danken wir Romuald Kaczmarek, Martin Roland, Lothar Schultes, János Végh und Kai Wenzel. JECHT, Horst: Zur Handelsgeschichte der Stadt Görlitz im Mittelalter. In: Oberlausitzer Forschungen. Beiträge zur Landesgeschichte. Hg. Martin REUTHER. Leipzig 1961, S. 121-127; WENZEL, Peter: Zur Wirtschafts- und Sozialstruktur der Sechsstadt Görlitz im 15. und 16. Jahrhundert. In: 650 Jahre Oberlausitzer Sechsstädtebund 1346–1996. Hg. Gűnter OETTEL. Bad Muskau 1997, S. 77-99.


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