Ročenka 2004 - 2005

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J á n o s Vé g h : Ü b e r d e n G e o rg e n b e rg e r M a r i e n a l t a r

3. Georgenberg, Marienaltar im geschlossenen Zustand. Spišská Sobota, Kostol sv. Juraja. Um 1470. Foto: Archiv MNG Budapest

Öffnung der Flügel eindeutig – und wohl bewußt – isoliert wurden. Das Programm ist zwar zu Ehren der Gottesmutter entstanden, wollte aber keine Mariolatrie treiben, der Rangunterschied zwischen dem zukünftigen Erlöser und seiner irdischen Mutter stand klar vor den Augen der Programmgeber. Unterhalb und oberhalb der Schreinzone finden wir keine mariologischen Anspielungen. Auf der Predella ist Christus unter den zwölf Aposteln zu sehen, vielleicht mit einem leichten endzeitlichen Nebenakzent, diese Gesellschaft bezieht sich ja auf die zweite Ankunft des Herren, der Maiestas Domini. [Abb. 4] Im Gesprenge Paulus und Petrus halten – mit den entsprechenden Attributen in der Hand – den Schweißtuch der heiligen Veronika. Das hochverehrte Tuch gehörte zur Kirchenschatz der Pertrusbasilika in Rom, deren Patrone die Apostelfürsten sind, diese Gesprenge-Gruppe vereint also den Kult von Petrus und Paulus mit einem der höchsten Kultbilder der Ewigen Stadt – es wurde somit erreicht, obwohl vielleicht nicht gerade

angestrebt, daß die Betrachter des Retabels auch der Stadt des Papstes gedenken konnten. (Die Anwesenheit der Apostelfürsten hat das bestimmt gefördert.) Das Tuch gehört zudem zu den Passionsreliquien, und es ist nicht ungewöhnlich, im Gesprenge eine an Leiden Christi erinnernde Darstellung unterzubringen. Das Motiv – das Tuch in den Händen von Paulus und Petrus – wurde durch einen Kupferstich (Lehrs 190) des Meisters E. S. aus 1467 im Norden verbreitet, zeitlich also ganz nah zum Georgenberger Retabel. Es besteht keine formale Ähnlichkeit, keine konkrete Übernahme, das Thema war aber zur Zeit selbstverständlich präsent, „in der Luft“.7 Durch die Plazierung der Apostel im Gesprenge wurden die Heiligen auf allen drei Zonen des Retabels zu sehen (im Schrein durch die Jungfrauen, in der Predella durch die Aposteln neben Christus), was dem starken Heiligenkult im späten Mittelalter völlig entsprach. In der Schreinmitte finden wir zwei Gegenstände, die den Erlösertod Christi voraussagen. Jesus hält in einer Hand einen (heute stark verstümmelten) Vogel, in der anderen einen Saugbeutel. [Abb. 5] Das sind, oberflächlich betrachtet, nichts mehr, als kleine Gegenstände des Kindes, evtl. eine Anspielung darauf, daß der Sohn Gottes wirklich Mensch geworden ist, und sich mit so echten kindlichen Tätigkeiten zerstreut. In der Wirklichkeit steckt aber viel mehr dahinter. Wenn der Vogel – ein Stieglitz, durch seine rötliche Federn schon seit langem mit der Passion in Zusammenhang gebracht – mit seinem scharfen Schnabel zuschlägt, schlitzt die Hülle auf, und vernichtet sie. Der kleine Jesus hält den Beutel so vor dem Vogel, als ob dieses Zuschlagen auslösen wollte. Dieses Detail der Statue hat die Zukunft des noch sorglos spielenden Kindes vor unsere Augen zu führen. Die irdische Hülle des Mensch gewordenen Gottessohnes wird bei dem Opfertod schmerzlich vernichtet. Eine ausführlichere Darstellung der Situation, der Kupferstich Albrecht Dürers von 1498, „Maria mit der Meerkatze“ [Abb. 6], erleichtert uns das Verstehen der wortkargen – und nicht unversehrt erhaltenen – Holzfigur.8

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Über den Kupferstich The Illustrated Bartsch 8. Hg. Jane C. HUTCHISON New York 1980, S. 86; Meister E. S. Ein oberrheinischer Kupferstecher der Spätgotik. Staatliche Graphische Sammlung München – Kupferstichkabinett Berlin [Ausst. Kat.] 1987, Kat. Nr. 85. Zur Verehrung des Tuchs der heiligen Veronika in Rom – dabei eine, zwar spätere Variante erwähnend, wo es wieder einmal die Apostelfürsten halten – BELTING, Hans: Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst. München 1990, S. 246-252. Neulich über weitere spätere Darstellungen KOVÁCS, Imre: „Címere lám a kerék, oltalma a mennyei jelkép“. Még egyszer a nagyszombati pecsét ikonográfiájáról. In: Ars Hungarica, 26, 1998, S. 343-346. Zum symbolträchtigen Vogel „Stieglitz“ ROTH-BOJADZHIEV, Gertrud in: Marienlexikon (zit. Anm. 4), Bd. 6, S. 301-303. Über den Kupferschnitt: Albrecht Dürer.[Ausst. Kat.] Hg. Klaus Albrecht SCHRÖDER – Maria Luise STERNATH. Wien 2003. Kat. Nr. 31.


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