Ročenka 2004 - 2005

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Galéria – Ročenka SNG 2004–2005 auch selbst durch den Namen. So wird z. B. statt eines Hirsches – als Symbol für Christus – in der 2. Hälfte des 15. Jhs. der Hirschkäfer dargestellt (lat. cervus und lucanus cervus). In einer vertretenden Rolle für den Schmetterling erscheint in jener Zeit die Libelle, deren im Wasser lebende Nymphe sich später in ein attraktiv gefärbtes Insekt verwandelt. Die Libellen werden somit meistens an Heiligenbildern oder Passionsszenen, z. B. an den Ölberg-Szenen, dargestellt, wo sie als Symbol der heilssuchenden Seele funktionieren. Mit ähnlicher Aufgabe werden sie in der Verzierung niederländischer Stundenbücher der Wende vom 15. zum 16. Jh. gefunden, ähnlich dauert die mittelalterliche Tiersymbolik auch in dem berühmten Schriften-Musterbuch Bocskays fort. Auf Fol. 76r liest man oberhalb der Darstellung Hoefnagels mit Libelle, Birne und Nelken den Text des folgenden Gebets: „O domine Jesu Christe, adoro te in Cruce pendentem et coronam spineam in capite portantem, deprecor te ut tua vulnera sint remedium animae meae, o domine Jesu Christe“. An einer anderen Stelle wird eine Libelle zusammen mit Schmetterlingen auf der eucharistischen Traube hingesetzt gefunden. Wenn wir jetzt zu der Libelle des Preßburger Missales zurückkehren, liegt auf der Hand, daß ihre Plazierung zu weiteren Teilen des liturgischen Buchs einen Bezug nimmt, so vor allem zum Kanonbild mit der Kreuzigung. Die Messe wurde nämlich als Wiederholung der Passion symbolisch gedeutet. Der Tod Christi am Kreuz – die Messeliturgie – verspricht die Seelenerlösung des Gläubigen. Gerade das wird von der auffallend großen, im Marginaldekor illusionistisch gemalten Libelle evoziert. Die Illuminatoren der Werkstatt, in der der Preßburger Kodex malerisch ausgestattet wurde, haben allem Anschein nach aus der norditalienischen Malerei geschöpft, dem Maler könnte jedoch auch eine Naturstudie zur Hilfe gedient haben. Südtirol gehörte zu den exponierten Regionen, wo sich die Einflüsse aus Italien mit den mitteleuropäischen Anregungen gemischt haben; unter dem Trienter Bischof Georg von Liechtenstein (1390–1419) wirkten hier mehrere böhmische Künstler. Die Mitglieder des Ateliers, in dem die Wiener, Preßburger, Brixener und süddeutschen Handschriften illuminiert wurden, haben offenbar mit Motiven und Methoden diverser Herkunft gearbeitet; die Stilisierung der Figur und Draperie folgte der Ortstradition, die Pflanzen-Ornamentik knüpfte an die Morphologie der böhmischen Buchmalerei um 1400 an. Es bleibt zu beantworten, wo diese Werkstatt zu Beginn ihrer Tätigkeit gewirkt hat und durch welche Wege die einzelnen Impulse und Motive vermittelt wurden. Allem Anschein nach spielte hier das kreative Milieu der Wiener Universität eine wichtige Rolle. Deutsche Zusammenfassung Dušan Buran

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