Ročenka 2004 - 2005

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H e l g a Fa b r i t i u s : D a s B i l d a l s d i d a k t i s c h e s M e d i u m . Fa l l b e i sp i e l e d e r s i e b e n b ü rg i s c h e n Wa n d m a l e r ei

11. Petersberg/Sînpetru, Kapelle der Kirchenburg, Barmherzigkeitswerke, Meßfeier, Erzengel Michael. Foto: Autorin

Ein weiteres Beispiel eines didaktischen Wandmalereiprogramms zeigt die Ausmalung der Kapelle im Marienturm der Kirchenburg von Mediasch/Mediaş.16 Die Malerei verwandelt den Kapellenraum in eine maßwerkdurchbrochene Laube mit einem gemalten Flügelaltar an der Ostwand. An den beiden Seitenwänden reihen sich gemalte Nischen aneinander, in denen sitzende Apostel zu sehen sind, die auf ihren Schriftbändern den Credo-Text präsentieren. [Abb. 12] Die Schriftrollen der Apostel Jakobus und Bartholomäus sind noch vollständig erhalten.17 Die Nutzung des Bildes als didaktisches Medium zur Laienunterweisung geht auf den Bildfunktionsbegriff Gregors des Großen zurück. Bilder seien die Bücher der Illiteraten, formulierte er als Antwort auf die ikonoklastischen Aktivitäten Bischof Serenus’ von Massilia in einem Brief 536.18 Dieser Bildfunktionsbegriff wurde vielfach rezipiert, besonders im 15. Jahrhundert.19 In einem Speculum humanae salvationis von 1476 heißt es im Vorwort: „Aber die ungelerten soellent unterwiset werden in dem buecheren der leygen, das ist in dem gemeltz“.20 Dabei bedienten sich neben der Tafelmalerei und Wandmalerei auch Werke der Textilkunst, z.B. die Credo-Teppiche,21 und der Glasmalerei22 lehrhafter Bildthemen.

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Die Malereien dieser Kapelle sind bislang unveröffentlicht. Sie zeigen die Sequenzen: „Inde venturus est iudicare vivos et mortuos“ und „Sedet ad dexteram dei patris omnipotentis“. Von den Schriftzügen, die den restlichen Aposteln zugeordnet sind, können nur noch spärliche Reste ausgemacht werden. Die Inschriften der Marienkapelle wurden ebenso wie diejenigen aus Honigberg und Petersberg in der Literatur bislang nicht bearbeitet. 18 „Aliud est enim picturam adorare, aliud per picturae historiam quid sit adorandum addiscere. Nam quod legentibus scriptura , hoc idiotis praestat pictura cernentibus, quia in ipsa ignorantes uident quod sequi debeant, in ipsa legunt qui litteras nesciunt.“ – S. Gregorii Magni Registrum Epistularum, Hg. Dag NORBERG. XI, Ep. 10, (= Corpus christianorum. Series Latina 140A), Turnholti 1982, S. 874. 19 Zur Rezeptionsgeschichte siehe DUGGAN, Lawrence G.: Was art really the ‘book of the illiterate’? In: Word & Image, 5, 1989, 227-251. 20 Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, 2o Patr. Lat. 2540/61 Inc., 2r; SLENCZKA 1998 (zit. Anm. 12), S. 15f. 21 Vgl. die Zusammenstellung bei WOOD, D.T.B.: „Credo“ Tapestries. In: The Burlington Magazine, XXIV, 1913–1914, S. 247-254 und S. 309-316. 22 Stellvertretend seien hierzu die mittelalterlichen Credo-Fenster der Ravensburger Liebfrauenkirche genannt. – BECKSMANN, Rüdiger: Die mittelalterlichen Glasmalereien in Schwaben von 1350–1530 (= Corpus Vitrearum Medii Aevii Deutschland 1/ 2). Berlin 1986, S. 176-180. 17

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