Ročenka 2004 - 2005

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Galéria – Ročenka SNG 2004–2005

Die Malereien der Ostwand [Abb. 8] knüpfen thematisch an die Malereien der Westwand an. Sie verbinden damit das westliche mit dem östlichen Joch und die Darstellungen der Nord- mit denen der Südwand. Die Ostwand präsentiert mit dem Gekreuzigten in der Wandmitte den Kernpunkt des Gesamtprogramms, das zentrale Element der christlichen Heilslehre, die Passion Christi. Dessen Opfertod bedeutet die Gnade der Erlösung, so dass die Kreuzigung inhaltlich in direkten Bezug zum gegenüberliegenden Weltgericht an der Westwand tritt. Diese Gegenüberstellung des Weltenherrschers im östlichsten Gewölbefeld und des Weltenrichters im Gewölbefeld über der Westwand verklammert ikonographisch auch auf Gewölbeebene das östliche mit dem westlichen Joch. Die Nebenszenen der Ostwand setzen den Wertekanon des Westjoches fort. Durch das Gleichnis vom Zöllner und Pharisäer wird Demut und Reue vorgeführt bzw. Überheblichkeit als nicht gottgefällig angeprangert. Das Ständebild, das die Vorstellung des dreigeteilten christlichen Gesellschaftsmodells wiedergibt, erinnert mit entsprechenden Schriftbändern an die Pflichten jedes Einzelnen innerhalb dieser Gemeinschaft.10 8

Die Schriftbänder der ersten drei Apostel an der Nordwand sind vollständig abgerieben. Von den restlichen drei Inschriftenbändern sind Fragmente noch erhalten, die zugeordnet werden können. Auf dem Inschriftenband des vierten Apostels (Andreas) ist noch zu lesen „[....](us) / s[e]pult(us)“, was zu crucifixus, mortuus, sepultus zu ergänzen ist. Der folgende Apostel (Philippus) lässt auf seinem Schriftband noch erkennen „[de]scendit / [—] [infe]r[n]a“. Die Reihe beschließt der Apostel Thomas mit „tercia [—]“, wozu die ressurexit a mortuis ergänzt werden muss. Die Apostelinschriften an der Südwand sind komplett verloren. 9 Die Propheten der Südwand tragen die Schriftbänder: „Jeremie 3 · patre(m) in vocabitis qui fecit terram (et) co(n)didit celos“ (Ier 3,19 bzw. Ier 51,15); „Dauid · domin(us) dixit ad me fili(us) me(us) es tu ego ho(di)e·genui te“ (Ps 2,7); „Jesajas 7 · ecce virgo (con)cipiet et pariet filiu(m)“ (Is 7,14); „Zacharias · aspicient ad me que(m) crucifixeru(n)t“ (Za 12,10); „Osee 13 o mors ero mors tua morsus tuus ero“ (Os 13,14); „Jonas 2 · et euomuit ionam in aridam“ (Jon 2,11). Den Propheten der Nordwand sind die Texte beigegeben: „Amos ix · Qui edificat asce(n)sione(m) sua(m) in celu(m)“ (Am 9,6); „Sophonias iii · exspecta me dicit domin(us) in die resureccionis mee“ (So 3,8); „Johel · effo(n)da(m) spiritu(m) meu(m) super o(m)nem carne(m) et p(ro)phetabu(n)t“ (Joel 2,28); „Mihias · Jn uocabu(n)t o(m)nes deu(m) et seruiiet ei“ (So 3,9); „Ezechiel x x x i i i i · educam vos de populis et (con)g(re)gabo eas·de terris“ (Ez 34,13); „Daniel euigilabu(n)t in uita(m) eterna(m) alyi obp(ro)briu(m) vt vident se[m]p(er)“ (Dn 12,2). 10 Das Modell der funktional dreigeteilten Gesellschaft in oratores, bellatores und laboratores als ideale Gliederung der christlichen Gemeinschaft verweist auf eine lange Tradition, die bis ins 9. Jahrhundert zurück reicht. Die Betonung der gegenseitigen Abhängigkeit und das notwendige Zusammenwirken der drei Gruppen, wie es auch die Schriftbänder der Honigberger Ständefiguren vermitteln, geht auf Bischof Adalbero von Laon († 1030) zurück. In seiner Schrift „Carmen ad Rotbertum regem“ formulierte er in Vers 296:

3. Honigberg/Hărman, Kapelle der Kirchenburg, törichte Jungfrauen. Foto: Autorin

25,34: „Venite benedicti patris mei percipite regnum...“ steht die Verdammung der Sünder nicht in direkter Rede gegenüber, wie es das entsprechende Bibelzitat in Mt 25,41 eigentlich wiedergibt, sondern der entsprechende biblische Text wurde hier in indirekte Rede umgewandelt: „Juste maladicti in ignem eternum qui paratus est dyabolo et angelis eius...“ Dadurch tritt für den Betrachter deutlich die Anrufung der Seligen in den Vordergrund und schließt den Betrachter in gewissem Sinne mit ein, so dass ihm folgerichtig der christlich-wohlgefällige Lebenswandel nahegebracht wird. Im Gegensatz zu der mehrheitlich narrativen Bildauffassung im westlichen Joch sind die Seitenwände des östlichen Joches der Glaubenslehre gewidmet und durch eine statuarische Figurenauffassung geprägt. In den Bogenfeldern präsentierten die zwölf Apostel [Abb. 7] den Text des Credo, der christlichen Glaubensgrundlage, auf Schriftbändern. Die Inschriften sind heute bis auf wenige Fragmente an der Nordwand8 weitgehend abgerieben. Dazu treten ergänzend in den Fensternischen zwölf Propheten mit alttestamentlichen Typologien zu den einzelnen Credo-Sätzen.9 99


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