Programmheft Schiffbauergasse

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Foto: Thomas M. Jauk

VIEL GUT ESSEN

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Ein ganz normaler Mann im besten Alter. Um einen bescheidenen Wohl­ stand zu erreichen, hat er immer pflichtbewusst seinen Job erledigt. Sein Ziel im Leben ist es, der eigenen klei­ nen Familie Sicherheit und Geborgen­ heit zu bieten. Er wollte es anders ma­ chen als einst seine Eltern. Die Mutter hatte irgendwann beschlossen, sich selbst zu verwirklichen: Also flocht sie Minizöpfe in ihr Haar und verließ die Familie mit Jeff aus Eritrea. Der Vater war ein linksliberaler Lehrer und en­ dete verwahrlost im Alkohol. Das Vier­ tel, in dem der Mann mit Frau und Kind wohnt, war lange Zeit ein vertrauter Ort für ihn. Doch dann wird gegenüber ein Asylantenheim gebaut. Und auf der

anderen Straßenseite beziehen hippe Familien mit Lifestyle-Faktor luxuriöse Eigentumswohnungen. Die alten Nach­ barn verlassen die Gegend. Als an sei­ nem Arbeitsplatz der Job eines Abtei­ lungsleiters frei wird, bekommt nicht der Mann die Stelle, sondern eine junge Türkin wegen der Quote und des ­ Migrationshintergrunds. Schließlich wird der Mann aus Gründen der Effizi­ enz entlassen. Und seine Frau stellt fest, dass sie ihn eigentlich nicht liebt. Er sei ja nie richtig zärtlich zu ihr ge­ wesen. Der Mann versteht die Welt nicht mehr. Fühlt sich enteignet, gedemütigt, wertlos. Aber jetzt reicht es ihm. Er will wieder in einem Land leben, in dem sich nicht alles um }


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