The Red Bulletin INNOVATOR AT 23/02

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SIE DENKT NATUR NEU

Die Wiener Forscherin

Tara Shirvani verwandelt organische Grundstoffe in Benzin, Zement und saubere Luft –ein Report aus dem Bio-Labor.

IDEAS FOR A BETTER FUTURE INNOVATOR BY THE RED BULLETIN 02/2023
Ideas for a better future
3,50 EURO 02 2023 AUSGABE ÖSTERREICH

EDITORIAL

CONTRIBUTORS

Benedict Redgrove

hatte als Fotograf neun Jahre lang exklusiven Zugang zu Raumfahrzeugen und Labors der NASA, der USamerikanischen Raumfahrtbehörde. Wir zeigen die „All­Macht“ seiner Bilder, die belegen: Science­Fiction kann auch ganz, ganz echt sein.

SEITE 46

Wir Menschen bewegen uns oft nur ungern aus unserer Komfortzone. Lieber halten wir an sattsam Bekanntem fest, als Neues zu wagen und unbekanntes Glück zu (ver)suchen. Nicht so die Stars dieser Ausgabe. Im Gegenteil: Wir zeigen Frauen und Männer, die mit ihren Ideen Grenzen sprengen und die Welt dadurch zu einem etwas besseren Ort machen.

Silvia Jelincic

hat für unsere Titelgeschichte die Bio­Wissenschaftlerin Tara Shirvani getroffen. „Die Gespräche mit ihr haben mir jede Menge Hoffnung gespendet“, sagt die Wiener Journalistin und Autorin. Und auch ihr Konsumverhalten umgekrempelt: So etwa kauft sie jetzt nur noch Kleidung aus nachhaltigen Materialien.

COVERSTORY / SEITE 22

Tara Shirvani etwa, unsere Cover-Heldin, glaubt fest daran, dass Synthetische Biologie unsere Natur rettet; wie genau, das erklärt sie ab Seite 22. Mat Rebeaud, eine Legende des Freestyle-Motocross, wiederum vollzieht seine ganz persönliche Energiewende in steilstem, steinigstem Gelände (ab Seite 30). Und unsere Autorin Nicole Thurn macht sich auf die Suche nach der Voraussetzung für alle Innovationen – der Kreativität (Seite 78). Ein erster, ganz einfacher Schritt: reinblättern, lesen, staunen.

Viel Vergnügen und Zuversicht mit dem neuen The Red Bulletin Innovator!

INNOVATOR
DER MUT ZUM GLÜCK
INNOVATOR 3 ANDY
A
PARSONS (COVER), AGNE BEKERAITYTE, LUKAS BECK/EDITION

INHALT

Jobbörse

AB SEITE 64

Die Arbeit der Zukunft

Digitale Forensiker und 3D­Holographic­Designerinnen – die Jobwelt von morgen, hier schon heute.

Science

AB SEITE 22

Die Baumeisterin der Natur

Die Wiener Forscherin Tara Shirvani zerlegt die Welt – und setzt sie im Labor neu zusammen. Aber voll bio!

Geistesblitze

AB SEITE 40

Unsere Weltretter

Pilze als Müllschlucker – und ein Bio­Mix, der selbst Wüsten fruchtbar macht: Wir zeigen die Menschen dahinter.

Inside NASA

AB SEITE 46

All inclusive

Fotograf Benedict Redgrove zeigt, was es zwischen Erde, Himmel und Unendlichkeit so Neues gibt. Science Fiction, nur echt.

8 Der Öko-Star

Wenn Polestar Autos baut, freut sich die Umwelt mit – der grüne Masterplan.

10 Bio-Plastik

Ein deutsches Start­up entwickelt pflanzliche Alternativen.

12 Mobile Hangars

Ob in der Wüste oder der Antarktis – wo Flugzeuge spontan landen können

14 Guter Stoff Tabuthema Periode?

Nicht für den UnderwearHersteller Ooia

16 Der Sonnen-Ring

So soll der Red Bull Ring energieautark werden.

18 Guten Morgen

Matratze, neu gedacht: Ist sie durchgelegen, kommt sie einfach zum Service.

20 Über-Blick

Ein fühlender Gürtel hilft sehbeeinträchtigten Menschen beim Sport.

88 Alles geht

Wie ein Philosoph Menschen mit Behinderung die Wege ebnet

90 Wunderwelt

Die WATER­Ausstellung der Red Bull Media World als multimediales Erlebnis

92 Rotlicht Biohacker Andreas Breitfeld lädt unsere innere Batterie auf.

94 Save the Date

Ein halbes Jahr, vollgepackt mit spannenden Events für Innovatoren

96 Kolumne

Ali Mahlodji weiß, wie Ängste unsere Phantasie beflügeln können.

Start-up-Löwin

AB SEITE 58

Das große Interview

„Die Höhle der Löwen“ machte Tijen Onaran bekannt. Hier erzählt sie, wie sie Frauen in Start­ups stärker macht.

Change

AB SEITE 72

Der Bulle und die Bikes

Markus Flossmann, rein optisch Typ Rauswerfer, warf sein eigenes Leben um: Erst war er Bodybuilder, nun produziert er supersmarte Fahrräder.

Selbstversuch

AB SEITE 78

Der Kreativ-Trip

Wer die Welt verändern oder zumindest beeinflussen will, muss vor allem eines sein: kreativ. Aber wie wird man das?

INNOVATOR
GUIDE
BULLEVARD
4 INNOVATOR DEAN TREML BRATISLAV MILENKOVIC

Motocross

AB SEITE 30

Stille Revolution

Die Schweizer Freestyle-MotocrossLegende Mat Rebeaud steht voll unter Strom – und macht den lautesten Sport leise.

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Die Zukunft braucht mehr grünen Strom.

Darum investieren wir in mehr erneuerbare Energie.

Wir alle leisten einen Beitrag zur Energiewende, indem wir fossile Brennstoffe durch grünen Strom ersetzen. Deswegen investieren wir bei VERBUND in die Erzeugung und Verteilung von immer mehr grünem Strom. Denn es ist wichtig, dass er überall bereitsteht, wo er gebraucht wird. Gemeinsam sind wir die Kraft der Wende.

Bullevard

für eine bessere Welt

INNOVATOR
INNOVATOR 7 GETTY IMAGES

Die Vision rückt näher und näher: das Gaspedal voll durchdrücken – und zwar ganz ohne CO²-Fussabdruck.

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Null ist das Maximum

MOBILITÄT

Das „Polestar 0“-Projekt hat ein ganz klares Ziel: die Konstruktion eines völlig klimaneutralen Autos – und das umfasst auch die komplette Herstellung.

Die Bonded Aluminium Platform, die im Polestar 5 verbaut wird, im Werk von Polestar in den Midlands, UK

Jeden Montagmorgen treffen sich die Mitarbeiter von Polestar zum Brainstorming. Die einzige Regel: Es gibt keine. „Titel zählen nicht“, sagt Arlena Amiri, Head of Polestar 0 Operations. Alles, was hier zählt, sind Ideen. Hat ein Admin-Mitarbeiter einen interessanten Gedanken, prüfen Chemiker, Mechaniker und Designer, ob die Vision umsetzbar ist. Als Team. Woher die Ideen kommen? Da versucht das Unternehmen Grenzen aufzuheben – in den Köpfen, aber auch in der Zusammenarbeit, etwa mit universitären Grundlagenforschern oder Expertinnen der Fashion-Industrie. Jeder Partner ist willkommen, wenn es dem Zweck dient.

„Viele Firmen sprechen von Machern oder Träumern“,

sagt Amiri, „um unsere Vision zu verwirklichen, braucht es aber beides.“ Die Vision ist ein Auto, das keinen CO²Fußabdruck hinterlässt. Aber was heißt das? „Das bedeutet, dass alle Treibhausgase –von der Materialgewinnung bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Auto die Produktion verlässt und schließlich das Ende seiner Lebensdauer erreicht – komplett eliminiert werden“, bringt es Amiri auf den Null-Punkt.

Noch ist das Zukunftsmusik. Die technischen

Möglichkeiten, die heute zur Verfügung stehen, reichen dafür nicht aus. „Genau deshalb haben wir das ‚Polestar 0‘-Projekt ins Leben gerufen“, sagt Amiri. „Weil wir wissen, dass es interdisziplinäre Forschung und radikales Denken erfordert.“

Beim Thema Nullemission denkt man schnell nur an den Motor, an das Antriebssystem. Amiri hingegen denkt an alle 30.000 bis 50.000 Teile, aus denen ein Auto besteht. Jeder davon soll emissionsfrei herstellbar sein – und wieder recycelbar.

Dynamik des Handelns

Das erfordert jedoch Grundlagenforschung, Materialwissenschaften. Es geht nicht nur um Stahl und Aluminium. Es geht auch um verschiede-

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8 INNOVATOR POLESTAR ANNA MAYUMI KERBER

Polestar Precept: das Konzeptfahrzeug für das nächste Serienauto –der Polestar 5

ne Flüssigkeiten, die das Auto am Laufen halten, Chemikalien, Materialien für Exterieur und Interieur. Als Referenz dafür nimmt Arlena Amiri das Periodensystem. Alle 118 Elemente sollen mit einem Zero Footprint herstellbar sein. Ihr Credo: „Was man nicht plant, wird man nicht erreichen.“ Die Mammutaufgabe motiviere sie und ihr Team. „Viele in der Industrie hoffen ja, dass schon irgendjemand anderer die anstehenden Probleme lösen wird.“ Raum für Kompromisse in der Zielsetzung gebe es daher keinen, sagt Amiri. Auch wenn die letzten zwanzig Prozent am schwersten zu bewältigen sein werden.

Schön umweltbewusst Drei Dinge gehören für Amiris Berufsverständnis dabei zusammen: „Diversität, Inklusion und Innovation.“ Ohne Inklusion keine Vielfalt, und die Kombination aus beidem schafft erst den Raum für Innovationen. Kleine Ideen geben den Anstoß für große. Und am Schluss soll ein Auto stehen. Eines, das nicht nur fürs Auge schön ist, sondern auch für die Umwelt. polestar.com

DEINE KLIMABILANZ

Du willst den CO²Ausstoß deines Autos berechnen? Eine einfache Anleitung dafür findest du auf co2.myclimate.org

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INNOVATOR 9
Arlena Amiri, Head of Polestar 0 Operations, hat nur eine Regel: Jobtitel zählen nicht. Was zählt, sind Ideen.

Das Basismaterial von traceless ist ein Nebenprodukt aus der Getreide verarbeitung, das zu Folien, Formteilen oder Beschichtungen in flüssiger Form (Bild) weiterverar beitet werden kann.

Plastik aus der Natur

RECYCLING

Die reden keinen Müll, im Gegenteil: Das Start-up traceless minimiert Plastikabfall – dank Verpackungsmaterial, das pflanzenbasiert und kompostierbar ist.

lich für das Business Development, das Start-up traceless in Hamburg gegründet.

Wir sind ein Impact Startup – wir wollen den größtmöglichen Beitrag zur Lösung der globalen Kunststoffverschmutzung leisten. Und wir werden arbeiten, bis wir das erreicht haben“, sagt CEO Anne Lamp, 32. Große Worte und alles andere als Müll: Die promovierte Verfahrensingenieurin hat 2020 gemeinsam

„traceless“, also spurlos, ist der perfekte Name für dieses Start-up, das Plastik durch ein spurlos verschwindendes Material ersetzen möchte. Anne Lamp erklärt den Ansatz so: „Wir haben ein neuartiges Biomaterial entwickelt, das Kunststoffe in kurzlebigen Produkten ersetzen kann. Unsere plastikfreie Alternative ist vollständig pfanzenbasiert und kompostierbar – und damit klimafreundlich und unschädlich für Mensch und Natur.“

Die Korn-Kraft Innovationen wie diese sind dringend nötig. Pro Minute werden weltweit etwa eine Million Plastikfaschen verkauft, jährlich fallen allein 16 Milliarden Coffee-to-GoCups an. Und pro Jahr werden über 407 Millionen Tonnen Plastik hergestellt. In unseren Weltmeeren treiben derzeit 100 Millionen Tonnen Plastikmüll, Tendenz: steigend. Das traceless-Material, weiterverarbeitet zu Verpackungen,

Bullevard 2 10 INNOVATOR TRACELESS ANDREAS WREDE

Die Vision der tracelessGründerinnen Anne Lamp (li.) und Johanna Baare: eine Welt, in der sich der Abfall von selbst auflöst

Das Fashion­Unternehmen C&A nutzt traceless für kompostierbare Kleidungsaufhänger.

eine Pilotanlage im niedersächsischen Buchholz. Eine erste großtechnische Produktionsanlage in Hamburg ist für 2024 in Planung.

Das gute Gewissen isst mit: Besteck, das aus pflanzlichen Rückständen der Agrarindustrie besteht.

will hier künftig einen Anteil an der Abfallreduktion haben.

„Das Material“, sagt Anne Lamp, „ist umweltfreundlicher in der Herstellung, lässt sich aber ähnlich weiterverarbeiten wie Kunststoffe –zu Folien, Formteilen oder Beschichtungen.“

Welche Rohstoffe werden benutzt? „Nebenprodukte aus der Getreideverarbeitung.“

Genauer bitte! „Wenn aus Getreide Bier oder Speisestärke hergestellt wird, gibt es einen Teil vom Korn, der nicht genutzt wird – den nehmen wir als Ausgangsbasis.“

Mittlerweile hat traceless 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus unterschiedlichen Nationen und betreibt

Produktanwendungen des traceless-Materials werden mit dem Online-Riesen Otto, der Lufthansa oder dem Fashion-Unternehmen C&A erprobt. Das alles kostet Geld. Das kommt etwa von Investoren wie Planet A, dem HighTech Gründerfonds (HTGF) oder dem European Innovation Council. Erst jüngst gab’s vom Umweltministerium in Berlin fünf Millionen Euro. Die nächste Etappe? „Bis 2030 wollen wir eine Million Tonnen traceless-Material produzieren“, sagt Lamp. Und sie will, dass traceless nachhaltig Spuren hinterlässt. Die sich eben dadurch auszeichnen, dass man sie –nicht sieht.

traceless.eu

Rückführung im Kleinen gelingt übrigens mit Düngwasser: einfach hergestellt, indem man Obstschalen und Gemüsereste klein geschnitten im Topf kocht und das erkaltete Wasser dann über die Pflanzen gießt.

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Hier landet ein Coup

LUFTFAHRT

Ein Hangar in der Antarktis?

Ein Heli-Stellplatz in der Wüste? Die Firma Fabspace baut Lande plätze überall im Nirgendwo. (Und dann auch wieder ab!)

Fluggeräte kann man nicht in Omis Schuppen parken –sie benötigen Platz für ihre Unterbringung, und die wird in Form von Hangars in den Boden betoniert. Der Frei raum in der Luft, in dem man hinfiegen kann, wo man will, spiegelt sich nicht in den Lan demöglichkeiten wider. Sollte man zumindest meinen.

Tatsächlich haben fndige Köpfe des österreichischen

Unternehmens Fabspace Hangars rund um Franz F. Kühberger und Miguel Klein mobile Hangarsysteme entwickelt, die dort aufgebaut werden können, wo es bisher unmöglich schien.

Das Modell des Hangars des brasilianischen Flugzeugbauers Embraer in Bratislava.

Die mobilen Hangars, wie dieser hier für mehrere Flugzeuge, lassen sich rasch aufund wieder abbauen.

Ein Zelt – nur stabiler Das kann mitten in der Wüste sein, auf einer Wiese in den Bergen oder schlicht einem betonierten Untergrund. Die Größe spielt hier auch keine Rolle: Vom kleinen Sportfugzeug- bis zum 3000 Quadratmeter umfassenden Airbus-A320-Hangar ist alles möglich. Für den Aufbau erforderlich ist handelsübliches Werkzeug, ein Hubstapler und gegebenenfalls ein kleiner Kran. Fabspace Hangars hat eine Konstruktion entwickelt, die aus einer widerstandsfähigen Hochleistungsmembran, Leichtbau-Stahlträgern und speziellen Formrohren besteht und so auf beinahe jedem Untergrund errichtet werden kann.

Klingt nach einer Art Zelt? Richtig. Das sind die Fabspace Hangars auch ein bisschen – allerdings stabile,

flugzeugen orientiert.“

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12 INNOVATOR FABSPACEHANGAR.COM PATRICK AULEHLA

die Windgeschwindigkeiten bis zu 250 km/h aushalten und denen Hagel, Schneefall und Starkregen nichts anhaben können. Das liegt an der Außenfäche. „Wegen ihrer kristallförmigen Struktur haben Witterungseinfüsse wenig Angriffsfäche“, erklärt Kühberger. „Wir haben uns hier gemeinsam mit unserem Produktdesigner Rainer Mutsch an der Tarnkappentechnik von Militärfugzeugen orientiert.“

Dass die Fabspace Hangars vielseitig einsetzbar sind, hat das Unternehmen mit Hauptsitz im oberösterreichischen

auf unseren Prototyp ‚V_01‘ aufmerksam geworden“, erzählt Kühberger. „Zwei Wochen war unser Hangar in Zeltweg aufgebaut und diente als Präsentationsraum für die Red Bull Stratos­Raumkapsel von Felix Baumgartner.“ Ein Meilenstein – aber einer zum Wegräumen.

Ein Blick auf die Welt der mobilen Hangars: fabspacehangar.com

Ein Fabspace-Hangar am Flughafen Stockholm/ Arlanda in Schweden: der Doppelhubschrauberhangar „V_02 Double“.

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Stoff der Freiheit

HYGIENE

Gibt es so was wie nachhaltige Periodenunterwäsche? Männliche Wirtschaftsmagnaten tabuisieren diese Frage beharrlich. Doch zwei Frauen rollten gemeinsam einen rasant wachsenden Markt auf.

Fünf Jahre später muss mann sich eingestehen: Dafür gibt’s einen Markt. Ooia ist seit dem Start im Jahr 2018 rasant gewachsen, die millionste Unterhose ist verkauft, der Umsatz achtstellig. Und das ohne Investoren, weil kein männlicher Geldgeber in so ein Produkt einsteigen wollte. Begründung: Davon verstehe man nix. „Ein Wahnsinn“, sagt Zeller, „Männer investieren ja auch in Medizintechnik, ohne Ahnung davon zu haben.“

INTERESSANT ZU WISSEN

Die erste Periodenunterwäsche wurde in den 1920ern fabriziert, dann aber durch Binden und Tampons verdrängt. Nun lebt der Klassiker gründlich überarbeitet wieder auf.

Es gibt Themen, da werden selbst die Alphamännchen vom Dienst noch immer wortkarg und mürrisch. Und das hat es Kati Ernst und Kristine Zeller, beide 41, nicht leichter gemacht, ihr Start-up Ooia auf den Weg zu bringen.

Periodenunterwäsche, sagt Kristine Zeller, kannte 2017 in Deutschland „keine Sau“. Es gab ja Tampons und Binden. Und so stießen die beiden Frauen auf einer Textilmesse in München auf irritierte Gesichter, als sie die Stoffe für ihre Prototypen einkaufen wollten. „Die meisten Händler waren ältere Herren“, erinnert sich Zeller, „und die fragten: ‚Was soll das sein? Und gibt’s dafür überhaupt einen Markt?‘“

Ein Aha aus Amerika Kati Ernst hatte jahrelang als Unternehmensberaterin bei McKinsey gearbeitet, Kristine Zeller bei Zalando lange Zeit die Einkaufsabteilung für Damenunter wäsche geleitet. Kennen lernten sich die beiden über eine gemeinsame Freundin – und waren sich erst mal gar nicht sympathisch. Über die Jahre reifte ihre Beziehung jedoch zu einer engen Freundschaft und zugleich in beiden auch der Wunsch, freier und fexibler zu arbeiten. Auch gesellschaftlich wollten sie mehr bewegen. In dieses Gefühl platzte dann eine Entdeckung.

Ernst erfuhr bei einem Dinner mit Freundinnen erstmals von „Period Panties“ aus den USA, von einer neuen Art Unterwäsche also, die Frauen anstelle von Tampons oder Binden tragen. Die Überraschung war groß. „Der Markt für Periodenprodukte ist seit Jahrzehnten völlig unbeweglich, es gab keinerlei Innovation“, sagt Zeller. Die beiden taten sich zusammen. Sie bestellten sich Testprodukte aus den USA und klickten sich durch Foren. Dort berichteten Frauen euphorisch von ihren Erfahrungen.

Periodenunterwäsche von Ooia wird aus Silberchlorid hergestellt. Die Fasern wirken antibakteriell und sind hautverträglich.

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4 14 INNOVATOR JANNIK
HANNE JOHANNES MITTERER

Also begannen die beiden mit der Entwicklung. Aus hunderten Stoffproben, die sich auf Zellers Küchentisch stapelten, galt es, den Stoff der Freiheit zu fnden. Das Ziel war, aus drei Lagen Stoff ein saugfähiges, auslaufsicheres und zugleich schnell trocknendes Kleidungsstück zu schaffen, das obendrein aussieht wie normale Unterwäsche. „Wir hatten keine Ahnung, wie aufwendig es ist, ein Funktionstextil zu

Kristine Zeller (li.) und Kati Ernst, beide 41, haben sich in Berlin über eine gemeinsame Freundin kennengelernt. Erst konnten sie einander nicht ausstehen, heute sind sie eng befreundet.

entwickeln“, sagt Zeller. Neun Monate brauchte es, die richtige Stof fkombination zu fnden. Die Entdeckung von Merinowolle für die innerste Schicht war schließlich der Wendepunkt. Diese leitet die Flüssigkeit schnell vom Körper weg, sodass sich die Unterwäsche stets trocken anfühlt. Eine zweite Schicht darüber besteht aus bakterienhemmenden Fasern, die die Flüssigkeit aufsaugen. Außen schützt eine atmungsaktive Membran vor dem Auslaufen.

Erfolg per Vorkasse

Im Herbst 2018 präsentierten Zeller und Ernst ihre ersten beiden Modelle, Slip und Hipster in Schwarz, auf der Plattform Kickstarter. Schon nach sieben Stunden hatten sie ihr Funding­Ziel von 10.000 Euro erreicht – die Kundinnen fnanzierten damit per Vorkasse die erste Kollektion. „Viele Frauen hatten das Gefühl: Krass, endlich versteht mich mal jemand“, sagt Zeller.

Mittlerweile hat Ooia auch Still­BHs und Perioden­Bikinis im Sortiment. Alle Produkte sind wasch­ und wiederverwendbar, sparen damit also allerhand Müll. Und sie werden nach höchsten ökologischen und ethischen Standards in Europa produziert.

Und die Herren der Wirtschaft, die skeptischen, die mürrischen? Die sind jetzt nur noch kleinlaut. ooia.de

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Zeller und Ernst investieren jeden Tag mehrere Stunden, um auf Instagram Einblick in ihre Arbeit zu geben – und Tipps rund ums Gründen, speziell für Frauen.

600 Quadratmeter ist die Solaranlage in der Zielkurve des Red Bull Ring groß.

gemacht!

FORMEL 1

Die Formel 1 unter Strom: Bis 2030 will die Königsklasse des Motorsports CO²-neutral werden. Einen Erstversuch zur Energie-Autarkie fürs Fahrerlager gab es beim Grand Prix am Red Bull Ring.

Auf den Tribünen feiern die Verstappen-Fans, auf der Strecke fahren zwanzig Hightech-Rennwagen, doch die eigentliche Revolution fndet beinahe unbemerkt auf dem Gelände der Zielkurve statt: Dort, in leichter Hanglage und in direkter Nähe zum Car Park, in welchem der Fuhrpark des Red Bull Ring untergebracht ist, sind massive Solarpaneele montiert – erstmals in der Geschichte der Formel 1.

Satte 600 Quadratmeter sind sie groß, das entspricht

Max

Der Strom im Fahrerlager wird erst dann aus dem öffentlichen Netz bezogen, wenn der selbst gemachte nicht ausreicht.

Verstappen fuhr beim Grand Prix in Österreich mit seinem RB19 von Oracle Red Bull Racing auf Platz 1.
Bullevard 16 INNOVATOR GETTY IMAGES, RED BULL CONTENT POOL, ULRICH ZINELL WERNER JESSNER
Selbst
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in etwa einem durchschnittlichen österreichischen Bauplatz. Armdicke Kabel führen über die Wiese Richtung Fahrerlager und verschwinden hinter massiven Metallzäunen, die das Fahrerlager vom Rest des Red Bull Ring trennen. Dort tauchen sie wieder auf und führen, gemeinsam mit anderen Kabeln, in diverse Container. Hier wird die „geerntete“ Energie quasi verwaltet, und es wird sichergestellt, dass man nur dann Strom aus dem Netz bezieht, wenn der selbst erzeugte Strom nicht ausreicht. Diese Kabel kommen von oben herab, aus der Nähe der zweiten Linkskurve. Dort war ursprünglich geplant, ein Mini-Kraftwerk aufzustellen, das mit hydriertem Pfanzenöl betrieben werden sollte,

Künftig plant man, bei allen Rennen lokale Energiegewinnungssysteme mit dem F1Tross mitzuschicken.

zwanzig Rennwagen aus dem Auspuff kommt: Das komplette Fahrerlager ist während eines Rennwochenendes ein Rechenzentrum höchster Güte, an dem nicht nur die zehn Teams mit all ihren Rechnern, Servern und sonstiger Elektronik hängen, sondern auch Organisation, Boxenmauer, Zeitnahme und die TV-Zentrale für alle Broadcaster.

DHL-Trucks mit Bio-Sprit

Erster spürbarer Effekt auf dem Red Bull Ring: Das Brummen der Dieselgeneratoren, verbannt in den weniger frequentierten Bereich des Fahrerlagers, war 2023 deutlich weniger penetrant als in den Jahren davor. Ob die angestrebte Reduktion von neunzig Prozent bereits in diesem Jahr realisiert wurde, werden die Daten zeigen, jedenfalls plant man, lokale Energiegewinnungssysteme künftig bei allen Rennen mit dem F1-Tross mitzuschicken –in Trucks, die mit Bio-Treibstoffen fahren. Gerade bei Rennen in heißeren Regionen sollte noch deutlich mehr CO²-freie Energie abgreifbar sein als in der Steiermark letzten Frühsommer. redbullring.com

also im Prinzip mit altem, lokal gesammeltem Speiseöl. Stattdessen wurden diesmal jedoch die „normalen“ Generatoren mit eigens aus Holland mitgebrachtem – nachhaltigem – Sprit betrieben.

Gemeinsam, so der Plan, sollten die beiden Quellen den Energiebedarf der F1 während eines Rennwochenendes um neunzig Prozent im Vergleich zum Vorjahr reduzieren. Bei CO²-Neutralität geht es nämlich bei weitem nicht nur darum, was bei

Die Kabel laufen in einem Container-Dorf im hinteren Teil des Fahrerlagers zusammen. Dort sitzt auch die Kontrollzentrale (Bild oben).

GRÜNER STROM

In Österreich gibt es vor allem Strom aus Wasserkraft, Windkraft, Biomasse oder Solarenergie. Der Stromlieferant ist frei wählbar, Preis und Händler können etwa bei e-control.at gecheckt werden.

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Verena Judmayer (li.) und Michaela Stephen entwickelten eine Matratze, die vollständig recyclebar ist.

RECYCLING Schlaf gut!

Gute Nacht, Europa: 30 Millionen

Matratzen landen jährlich am Müll. Guten Morgen, Europa: Nun gibt es Matratzen, die 30 Jahre halten –richtiges Service vorausgesetzt.

Es war ein NovemberWochenende während des Covid-19-Lockdowns im Jahr 2020 – grau, regnerisch, verhangen –, da nahmen Verena Judmayer und Michaela Stephen gemeinsam an einem Online-Thinktank namens „circle17“ teil. circle17 ist eine Veranstaltung, die Umweltherausforderungen mithilfe von Kreislaufwirtschaft lösen möchte – und

eine Statistik blieb Judmayer und Stephen besonders im Gedächtnis: In Europa landen jährlich über 30 Millionen Matratzen im Müll – also so viel, als würde man 20.000 Eiffeltürme übereinanderstapeln. In Form einer praktischen Übung nahmen sich die beiden Frauen des Problems an und erstellten ein Konzept. Judmayer sagt: „Wir haben eine Matratze entwickelt, die vollständig recyclebar ist. Alle Materialien können wieder in den Materialkreislauf zurückgeführt werden. Wir wollten so die Ressourceneffzienz steigern und die Müllberge verkleinern.“ Das Feedback der Expertinnen und Teilnehmer von circle17 war so positiv, dass kurz darauf die Idee eines eigenen Unternehmens entstand –an nur einem Wochenende. „Verena und ich hatten, seit wir jung waren, immer den Wunsch, eine eigene Firma zu gründen“, erinnert sich Stephen. Und so war „Matr“ geboren. Zunächst arbeiteten die beiden Frauen parallel in ihren Vollzeitjobs weiter, nach einem Jahr widmeten sie sich ausschließlich ihrem neuen Projekt.

Die Bestandteile der Matratzen von Matr kommen aus Europa, zusammen- und auseinandergebaut werden

Weich, mittel oder fest: Alles drinnen. Und das auch noch aus Materialien der Kreislaufwirtschaft.

sie in den Niederlanden. Mit Trucks werden die Matratzen nach Österreich gefahren. Der Zug sei aus logistischen Gründen noch nicht möglich und der Flieger umwelttechnisch nicht vertretbar, erklärt Judmayer.

Check-up inklusive „Unsere Hauptkunden sind Hotels“, sagt sie. „Dort werden die Matratzen fünf Jahre oder länger verwendet. Nach einer vereinbarten Zeit holen wir sie ab, nehmen sie zurück und überprüfen sie. Wenn wir etwas austauschen können –zum Beispiel Federn, Bezüge

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6 18 INNOVATOR LEA FABIENNE, DEEPNOISE STUDIO, LISI SPECHT JULIA SEIDL

Gemütliche Sache: Am Ende ihrer Lebensdauer holt Matr die Matratzen zurück und entsorgt sie.

oder die Komfortschicht –, machen wir das und senden sie zurück. Ansonsten kommen die Matratzen zu unserem Demontagepartner.“

Verschlafene Branche

Die Matratzen von Matr bestehen aus zwei Materialien: Stahl und Polyester. Das macht es einfacher, die Stoffe bei der Entsorgung sauber zu trennen. (Der Stahl geht an einen Stahlrecycler und das Polyester an einen Polyesterverwerter.) Für die Zukunft wäre die Idee, daraus neue Matratzen herzustellen und den gesamten Zyklus zu kontrollieren. Durch die Reparaturen und die Wiederverwendung kann die Lebensdauer auf bis zu 30 Jahre verlängert werden. „Die Branche ist sehr traditionell“, sagt Stephen. „Es ist herausfordernd, die bestehenden Denkweisen zu verändern. Aber wir haben die erste Kreislaufwirtschaftslösung für Matratzen in Österreich geschaffen. Unsere Vision ist es, innovative und regenerative Schlaferlebnisse zu schaffen. Wir haben Pläne, so viele Hotels wie möglich in Österreich und darüber hinaus zu bedienen.“

Die eiserne Regel: Man nehme etwas Polyester, etwas Stahl –und mixe daraus die Matratze, die hart und weich zugleich ist.

ACHT-JAHRES-PLAN

Und übrigens: Experten raten, konventionelle Matratzen zumindest alle acht Jahre zu wechseln. (Natürlich mit ordnungsgemäßer Entsorgung!) matr.eco/de/

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Ein Gürtel hat den Überblick

MOBILITÄT

Alles wissen – ohne es konkret vor Augen zu haben: Der Waibro-Belt bringt sehbeeinträchtigten Menschen mehr Freiheit beim Sport.

Das Schlüsselerlebnis hatte Katerina Sedlackova, als sie ihre sehbeeinträchtigte Schwester Zuzu beim Langlaufen auf die Sportwoche des Österreichischen Behindertensportverbandes begleitete: Als nämlich die Hälfte der Begleitsportlerinnen und -sportler ausfel, war es vielen nicht mehr möglich, aktiv am Sport teilzunehmen. Blinde Menschen oder Menschen mit Sehbeeinträchtigung sind oft auf Hilfe angewiesen, wenn sie Sport betreiben wollen. Das wollte die 30-jährige Sedlackova ändern – und entwickelte den Waibro-Belt.

Sie ist studierte Interaktionsdesignerin, ihr Spezialgebiet sind also Mensch-Maschinen-Schnittstellen. Ihre Arbeit am Belt begann damit, dass sie sich ansah, wie Kommunikation zwischen sehbeeinträchtigten Menschen und ihren Begleitpersonen funktioniert. „Was sage ich der Person, auf die ich achte, wie reagiert sie? Dann hab ich überlegt: Wie kann man

Die Kamera im Gürtel erkennt die weißen Linien der Bahn und hilft dem Laufenden, sich in der Mitte einzuordnen.

das auch ohne einen anderen Menschen kommunizieren? Was muss ein Wearable können, damit es produktiv ist und nicht überfordernd?“

Runter, rauf, Kurve 2017 wurde der erste WaibroBelt ausprobiert – der Name setzt sich übrigens aus dem englischen „Way“ (Weg) und „Brother“ (synonym für Guide, Begleiter) zusammen, leicht abgewandelt also Waibro. Er wird auf dem Bauch getragen, seine integrierte Kamera flmt den Weg vorne und seitlich und sendet dann bis zu 15 unterschiedliche Vibrationssignale an die Trägerin oder den Träger. So weiß man, ob man sich etwa

in der Mitte der Laufspur befndet, ob eine Kurve oder ein Hindernis vor einem liegt. Momentan ist der Belt auf Laufbahnen ausgelegt, die von weißen Linien gekennzeichnet sind. Aber Sedlackovas Ziel ist, dass der Waibro-Gurt bald in offenem Gelände wie etwa auf Waldwegen eingesetzt werden kann. „Unabhängigkeit ist nicht selbstverständlich“, sagt sie, und: „Jeder Mensch verdient einen freien Zugang zum Sport.“

Um das Verständnis für das Leben von Sehbehinderten zu verbessern, gibt es Dunkelrestaurants –Lokale, wo in völliger Dunkelheit gegessen wird.

dinner-dark.com

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20 INNOVATOR WAIBRO JULIA SEIDL

MORGEN. FÜR EIN GRÜNES WASSERKRAFT

salzburg-ag.at / wirarbeitendran
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AKTIVER TEIL DER ENERGIEWENDE.

Baumeisterin der Biologie

Zement aus Korallen. Benzin aus Algen. Leder aus Pilzen. Und Mammuts reloaded für ein besseres Klima. Die Wiener Forscherin

Tara Shirvani setzt zur Rettung der Welt nur mal schnell die Natur neu zusammen.

Orangenschalen, Pilze und Pflanzen: „Synthetische Biologie ist wie ein Lego-Baukasten“, sagt die Forscherin Tara Shirvani.

TEXT Silvia Jelincic FOTOS Andy Parsons
Science
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Tara Shirvani war aufgeregt. Hastig blickte sie sich um. Am Gang war niemand zu sehen. Die damals Sechsjährige huschte in das Arbeitszimmer ihres Vaters, versteckte sich hinter der Tür und riss überrascht die Augen auf. Da war plötzlich eine andere Welt. Ein von UV-Licht durchfuteter Raum voller Pfanzen in allen Größen, einige der Töpfe mit blauen Netzen bedeckt. An den sattgrünen Blättern knabberten Käfer, darunter lagen weiße Pappstücke voller schwarzer Punkte. Gerade als sie diese Pappstücke näher anschauen wollte, stürmte ihr Vater ins Zimmer. Er war verärgert, er grollte: „Tara! Diese Käferkacke ist meine Doktorarbeit –nicht angreifen!“

Käfer, ihre Ausscheidungen und eine wissenschaftliche Arbeit? „Mir war das damals peinlich“, sagt Shirvani. „Es ist nicht cool, über Kacke zu forschen, das dachte ich mir jedenfalls. Erst Jahre später hab ich verstanden, dass diese Arbeit eine Vorstufe der Synthetischen Biologie war.“ Ihr Vater ist Insektenforscher, und damals beschäftigte ihn die Frage, inwieweit Hell- und Dunkelphasen den Stoffwechsel von Käfern beeinfussen. Seine Erkenntnisse sind der modernen Wissenschaft übrigens bis heute nützlich: Wird ein Käfer bei mehr Lichteinstrahlung kräftiger, sehen Forscher die dafür verantwortlichen Veränderungen in den Genen und tunen das Erbgut entsprechend, um neue Käfer zu schaffen, die womöglich resistenter auf den Klimawandel reagieren.

Doch zurück zu Shirvani, die heute 36 Jahre alt ist und seit dreißig Jahren für die Welt der Wissenschaft brennt. Ihr Vater gab ihr damals ein Lichtmikroskop, gemeinsam sahen sie sich winzige Bauteile von Pfanzen und Insekten an, er brachte ihr bei, Abstriche zu machen, Präparate zu färben und Zellen zu identifzieren. Shirvanis spannendes Forscherleben begann früh, und es führt sie zum komplexen Feld der Synthetischen Biologie (SynBio), an die sie ihr Herz verliert. Diese Wissenschaft werde die Welt retten, daran glaubt sie entschieden, und sie für ihre vierjährige Tochter zu einem besseren Ort machen.

TZusammen mit ihrem Mann und der gemeinsamen Tochter lebt Shirvani in London, auch wenn sie noch sehr oft in Wien ist. Sie erzieht ihre Tochter so umweltbewusst, wie es ihr Vater damals bei ihr gemacht hat – und sie spielt sehr viel Lego mit ihr. Denn die Synthetische Biologie, beschreibt Shirvani, ist wie ein Lego-Baukasten: Wissenschaftler können die Natur in ihre kleinsten Bauteile zerlegen und verändert wieder zusammensetzen, um Neues zu schaffen. Das ist an sich nichts Neues: Menschen greifen seit über vierzig Jahren gezielt in die DNA lebender Organismen ein. „Doch die Synthetische Biologie geht einen Schritt weiter und will Organismen konstruieren, also neu erfnden“, sagt Shirvani.

Vier Jahre lang forschte die Klimaexpertin im Rahmen ihrer Dissertation an der Oxford University am Treibstoff der Zukunft. „Ich habe diese Zeit im Labor, dieses stundenlange Tüfteln geliebt“, erzählt sie. „Mich hat fasziniert, wie wir Algen genetisch so verändern können, dass sie zum perfekten Treibstoff werden,

Pappkarton, übersät mit schwarzen Punkten. „Diese Käferkacke ist meine Doktorarbeit“, sagte Taras Vater. Damals war sie gerade sechs. Und mit einem Mal ganz sicher, was sie mit ihrem Leben machen wollte.

Science
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Shirvani bereitet alles für die DNAExtraktion aus verschiedenen Quellen vor, um sie dann neu und anders zusammenzubauen.

also möglichst wenig Wasser und Land benötigen und dennoch viel Sprit liefern.“ Die Idee: Es geht um Fett. Aus Algen, die besonders viel Fett enthalten, lässt sich noch besserer Treibstoff produzieren. Dafür identifzierte Shirvani unter dem Mikroskop all jene Algengene, die für die Fettproduktion verantwortlich sind, und veränderte ihr Erbgut entsprechend. „Das funktioniert fantastisch“, schwärmt sie. Das Prinzip ist dabei bei allen SynBio­Prozessen dasselbe: Bakterien, maßgeschneiderte Mikroorganismen mit neuen, nützlichen Eigenschaften, können überall eingesetzt werden, wo Bedarf ist. Sei es, um Biokraftstoffe zu produzieren, Plastikmüll zu verwerten, medizinische Wirkstoffe zu liefern oder dafür zu sorgen, dass biosynthetisches Hühnerfeisch exakt so schmeckt wie herkömmliches.

China investieren bereits hunderte Milliarden Dollar in die SynBio, Europa ist immer noch Schlusslicht. „Wir sollten endlich beginnen, daran zu glauben“, glaubt Shirvani.

Damit der Glaube auch endlich durchsickert, forscht Shirvani heute nicht mehr im Labor, sondern hält Vorträge an renommierten Universitäten und berät Investoren und Regierungen beim Einstieg in ÖkoProjekte. Die Begeisterung, die sie für das Thema hat, trägt sie im Gespräch weiter, sie ist extrovertiert und geht offen auf Menschen zu. Shirvani macht Druck, die Chancen der SynBio endlich in die öffentliche Diskussion über den Klimawandel einzubringen. Unter anderem mit ihrem Buch, in dem sie mit diesem Argument lockt: Wer jetzt ein paar Euro in das richtige SynBio­Unternehmen steckt, kann ebenso reich werden wie die allerersten Investoren bei Amazon, Apple oder Microsoft.

„Coming out of my cage and I’ve been doing just fine …“: Tara Shirvani wollte beim Shooting im Clapton Tram Studio in London nur The Killers hören.

WWie aber funktioniert genau das?

„Nehmen wir zum Beispiel Bakterien, die Korallen bilden, und verändern sie genetisch so, dass sie durch dazugewonnene Eigenschaften Zement produzieren“, holt Shirvani aus. Der entscheidende Punkt: Bei herkömmlicher Zementherstellung braucht es Temperaturen von weit über 1000 Grad Celsius, bei Produktionsprozessen mit Bakterien benötigen wir keine Verbrennung. „Nachdem wir 200 Jahre lang alles verheizt haben, was uns unter die Finger kam, produzieren wir künftig bei Raumtemperatur“, sagt Shirvani. Ein Streichholz zünden wir dann nur mehr für ein Kerzenlichtdinner an. Warum aber machen wir es nicht gleich? Weil Veränderung Mut und Kraft erfordert und natürlich Geld, viel Geld. „Wir müssen unsere gesamte Wirtschaft, unsere gesamte Industrie auf den Kopf stellen, was mit erheblichen Kosten verbunden ist“, sagt Shirvani. Die USA und

Vollbeton – aus Bakterien Eines ihrer liebsten Beispiele eines wissenschaftlichen Durchbruchs der Synthetischen Biologie ist etwa jenes, Beton industriell mit Bakterien herzustellen. Derzeit werden weltweit pro Jahr 4,4 Milliarden Tonnen Beton erzeugt, eine günstige und belastbare Mischung aus Zement, Wasser und Sand. Bis 2050 sollen es über 5,5 Milliarden Tonnen sein, weil Bevölkerung und Städte wachsen. Das verursacht acht Prozent der weltweiten CO²­Emissionen. In den USA gibt es bereits Unternehmen, die mithilfe von Bakterien grünen, nachhaltigen Biozement bei Raumtemperaturen ohne CO²­Emissionen herstellen – der wiederum mit Wasser und Sand versetzt zu Beton wird. Sie verwenden dafür Bakterien, die seit Urzeiten Zement herstellen, sie fnden sich etwa in Muscheln, deren Außenschicht aus Kalziumkarbonat besteht, einem harten Stoff, der in Kalkgestein vorkommt. Damit lassen sich etwa

Die USA und China investieren bereits hunderte Milliarden in Synthetische Biologie, Europa ist immer noch Schlusslicht. „Wir sollten endlich daran glauben“, sagt Shirvani.

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Die Designerin

Stella McCartney nutzt Bakterien, die Pilze in eine Art Leder ver wandeln. Die so erzeugten Bags „sehen super aus“, sagt Shirvani.

„Es mag verrückt klingen, aber Forscher arbeiten daran, die urzeitlichen Wollhaarmammuts wiederzubeleben. Ein wunderbarer Gedanke, dermaßen sinnvolles Leben zu

BUCHTIPP: Plastikfresser und Turbobäume: Wie wir das Klima retten, den Müll aus dem Meer holen und den ganzen Rest auch noch glänzend hinbekommen, edition a, 208 S., 25 Euro

Wände bauen, und auftretende Risse werden wie durch Zauberhand selbst repariert. Und es gibt noch viel mehr: „Ich liebe Ledertaschen“, sagt sie. Allerdings müsse es kein „echtes“ Leder sein. Bei der Suche nach umweltfreundlichen Materialien entdeckten Forscher Pilze und ihre Wurzeln. Bakterien können die Pilze in eine Art Leder verwandeln, das strapazfähig und perfekt recycelbar ist. Das Modehaus Hermès verwendet dieses Leder der Zukunft bereits, Stella McCartney, Adidas und Mercedes ebenfalls. „Die Taschen sehen super aus“, fndet Shirvani, „und Veränderung ist in dem Bereich besonders wichtig.“ Die globale Modebranche stößt pro Jahr etwa so viele Treibhausgase aus wie die gesamte Wirtschaft Frankreichs, Deutschlands und des Vereinigten Königreichs zusammen. Sechzig Prozent aller Textilfasern, darunter Polyester, Nylon und Acryl, werden aus fossilen Brennstoffen gewonnen, für unser Klima eine Katastrophe.

Oh Turbobaum, oh Turbobaum …

„In der gesamten Tier­ und Pfanzenwelt könnte eine Revolution anstehen, wenn wir sie nur zuließen“, sagt Shirvani und kommt zu ihrem Lieblingsbeispiel, den sogenannten Turbobäumen: Aktuellen Studien zufolge bleiben sieben Jahre Zeit, um den überschüssigen Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu entfernen und die globale Erwärmung zu begrenzen. Das naheliegende natürliche Mittel dafür sind Bäume, doch unsere Wälder sind der Aufgabe nicht gewachsen. Die Synthetische Biologie will deshalb die Photosynthese der Bäume effzienter gestalten. „ Amerikanische Forscher haben mithilfe von Bakterien Gene aus Kürbissen und Grünalgen in Hybrid­Pappeln eingepfanzt. Das Ergebnis waren Bäume, die um die Hälfte höher werden als durchschnittliche Bäume und um dreißig Prozent mehr CO² speichern“, erklärt Shirvani.

Und dann ist da noch die Möglichkeit, Plastik verschwinden zu lassen: Täglich gelangen acht Millionen Plastikteile in die Ozeane, 80 Prozent des Meeresmülls besteht aus Plastik. Das sind bis zu 269.000 Tonnen – und noch schlimmer die Bilanz: 100.000 Meeressäuger und Schildkröten und eine Million Seevögel sterben jedes Jahr durch die Verschmutzung der Meere mit Plastik. „Die SynBio hat Mikroben entwickelt, die Kunststoff fressen“, sagt Shirvani. Technisch gesprochen bauen diese die Polymerketten, aus denen Plastik besteht, ab und lassen dessen ursprüngliche Bausteine, die Monomere, übrig. Die Monomere lassen sich zu neuwertigen Kunststoffen zusammensetzen. Theoretisch ließe sich eine auf diese Weise hergestellte Flasche unbegrenzt recyceln.

ZZum Schluss spricht Shirvani noch über das Mammutprojekt: „Es mag verrückt klingen, aber Forscher arbeiten daran, die urzeitlichen Wollhaarmammuts wiederzubeleben.“ Diese Tiere prägten früher das Erscheinungsbild der Tundra. Sie grasten die Landschaft ab, wodurch der Boden stärker abkühlte und mehr Kohlenstoff und Methan speicherte. Gelingt es Forschern nun, die Gene von asiatischen Elefanten, die jenen des Wollhaarmammuts ähnlich sind, dahingehend zu verändern, dass diese Tiere kälteresistenter werden, würde damit eine Gattung entstehen, die, ebenso wie einst die Wollhaarmammuts, das Klimaproblem auf natürliche Art lösen. Das erste neue Mammut soll bereits 2027 zur Welt kommen. „Ein wunderbarer Gedanke, dermaßen sinnvolles neues Leben zu schaffen“, sagt Shirvani. Und er ist real.

Inspiration

Mehr über Synthetische Biologie als Revolution aller Lebensbereiche gibt es auf: tarashirvani.com

Science
schaffen.“
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TARA SHIRVANI

Motorsport

Mat Rebeaud im Gotthard-Windpark: Mit seinem E-Motocross-Bike kann er neue Terrains erkunden.

Stiller Revoluzzer

Motocross-Legende

Mat Rebeaud hat seinen Sport elektrisiert. Und wie! Er hebt ab, gibt Vollgas –und rundum zwitschern die Vögel. Willkommen in der verkehrsberuhigten Zone.

TEXT Anna Mayumi Kerber FOTOS Dean Treml
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Mat vor dem Training auf seinem Track in Waadt. Der benachbarte Bauer freut sich über null Lärm.

Vogelgezwitscher – und auch Mat Rebeaud fiegt. Mit seinem Motorrad. Gut vier Sekunden ist er in der Luft. Und nach der Landung ist keine dröhnende Maschine zu hören, nur ein leises Surren. Mat ist eine Ikone des internationalen Freestyle-Motocross (FMX). 2003 landete er seinen ersten Backfip, seither hat der Westschweizer so ziemlich alle Titel gewonnen, die es im FMX-Sport zu holen gibt – darunter auch Red Bull

X-Fighters, Night of the Jumps und sieben Medaillen bei den X Games. Heute ist er E-Motocrosser und gilt als Visionär in der Szene.

Als Mat vor vier Jahren ein Video mit seinem ersten E-Bike postete, erhielt er hauptsächlich Hasskommentare. Benzingeruch und Lärm gehörten zu dem Sport, so der raue Ton. Mat nahm es gelassen. „Natürlich liebe ich den Sound und den Geruch, weil ich viele schöne Erinnerungen damit verbinde. Aber mit E-Bikes ist es so viel einfacher, so viel cooler. Ich kann fahren, wann und wo ich will, störe niemanden.“ Für Mat eröffnen E-Bikes ganz einfach neue Welten.

Die Piste ist überall

Mit seinen E-FMX-Bikes kann er Stunts dort vollführen, wo es sonst keiner darf. Etwa im Schnee von Laax, wo sonst nur Fortbewegungsmittel wie Ski und Snowboards erlaubt sind. Dort fog er über die Pisten wie auch über die Innentreppen des Luzerner Verkehrshauses – allein im Museum, ein Kindertraum. Heute kann er seine Stunts an Staudämmen ausführen oder im Windpark am Gotthardpass.

„Es ist aufregend, auf diese Weise neue Terrains zu erkunden“, sagt Rebeaud. Vorgefertigte Rampen und Dirt Tracks sind eine Sache, Natur eine völlig andere. Und für die Zukunft des Motocross sieht er – grün.

VAn dem ersten Event sei das alles noch ungewohnt gewesen. „Das EBike hat keine Motorvibrationen. Die einzigen Vibrationen, die du spürst, bekommst du von der Strecke.“ Am Anfang sei es schwierig gewesen, es fehlte ihm die Information aus dem Motor. „Ich hörte nur die Motoren anderer, von meiner Maschine fehlte mir die auditive Info.“ Mittlerweile habe er sich neu orientiert, sein Gehör sei sensibler geworden. Nun hört er etwa, ob die Kette richtig geölt ist oder nicht, Dinge, die sonst im Motorenlärm untergehen, nicht im Detail wahrgenommen werden können.

Unangenehm sind inzwischen eigentlich nur noch Kleinigkeiten: Fluchen beispielsweise lasse es sich nicht mehr ganz so ungeniert wie zuvor. „Merde!“ geht nicht mehr im knatternden Motorengeräusch unter.

Waaas? Motocross ganz ohne Benzingeruch und Lärm? Langsam, aber sicher verfliegt der Zorn der Puristen.

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Mit seinem E-FMX-Bike darf Mat fahren, wo andere nicht dürfen – wie etwa am Staudamm am Gotthardpass.

Es ist jetzt umgekehrt: Seine momentane Emotion übertönt das leise Summen.

Seit zwei Jahren arbeitet Mat an der Entwicklung eines neuen Motorrads für die Firma Stark: die Stark VARG, eine ästhetisch höchst ansprechende Maschine mit 80 PS und 118 Kilogramm, etwa zehn Kilogramm schwerer als herkömmliche Motor räder derselben Klasse. „Man spart sich allerdings sieben, acht Liter Benzin und damit Gewicht“, sagt Mat. Mit der E­Maschine lassen sich 45­Minuten­Rennen bei einer Maximalgeschwindigkeit von 142 km/h fahren oder sechs Stunden in leichtem Gelände. Schub und Beschleunigung seien anders, sagt Mat, aber daran habe er sich gewöhnt.

Früher griff der Vater zum Werkzeug, sobald es Probleme gab. Heute macht das der Computer – von Barcelona aus.

WWas Wettbewerbe angeht, bewegen sich E­Bikes noch in einem Graubereich. Herkömmliche Kategorien basieren auf Größen von Motoren oder Zylinderzahlen, die auf E­Bikes nicht anwendbar sind. Seine Stark entspreche in etwa einer 450­Kubikzentimeter­Maschine. „Wir befnden uns in einem Wandel“, sagt Mat. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis es auch eigene Bewerbe geben werde. Bis dahin genieße er das Alleinstellungsmerkmal, das er sich mit dem Umstieg geschaffen habe.

Der Vater des Erfolgs

Vater Antoine Rebeaud wartet bereits am Trainings­Track nahe Payerne, Mats Geburtsort. Er prüft Reifen und Kette der Stark­Maschine, zieht ein paar Schrauben am Getriebe an.

Antoine begleitet Mat seit dessen Anfängen im Motorradsport, war auf so gut wie jedem Wettbewerb und Event und schaute dabei immer dazu, dass die Technik stimmt: „Wenn ich das Bike vorbereite, weiß Mat, dass alles passt.“ Viele Worte braucht es dazu nicht, der gegenseitige Respekt ist selbst für Außenstehende offensichtlich. Mit der Umstellung auf E­Bikes wird Antoine weniger gebraucht;

Mat zieht in der Werkstatt, die an sein Haus angrenzt, Schrauben am Fahrwerk seiner Stark VARG an.

Foto von Mats Großvater

Fredy auf einer DKW von 1953. Die Faszination für Zweiräder liegt bei den Rebeauds in der Familie.

wenn es Probleme gibt, wird viel via Chip und Computer ganz direkt aus Barcelona gelöst, wo das Headquarter von Stark ist. Ob Antoine das stört? „Nein!“, lacht er. Er fnde es aufregend, lerne ständig Neues. Aufgrund der neuen Technologien wüssten sie etwa, wie lange Mat bei seinen Stunts in der Luft ist, wie schnell er in die Kurven geht. Und Antoine weiß, wovon er spricht.

Der Grundstein für Mats Erfolg wurde über Generationen gelegt: Fredy, der Großvater, fuhr erfolg­

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Das Haus von Mat und seiner Familie in Grangettes, Kanton Freiburg Der Solarstrom versorgt Haus, Auto und E-Bikes.

Opa Fredy hatte sein Motorrad und einen Helm – aus. Enkel Mat hat eine Garage voller Helme. Und jeder Menge Technik.

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Mat in seiner Garage in Grangettes – ein kleines Kraftwerk, soeben wird die Stark VARG aufgeladen.

reich Rennen auf nationaler Ebene, mit einer DKW. Vater Antoine fuhr Rennen auf einer Zweitakter-Montesa. Viel habe sich seither verändert, sagt Antoine – nicht nur der Lärm, der nun ausbleibt. Sein eigener Vater habe über seine Motorrad-Karriere hinweg einen einzigen Helm gehabt, erzählt Antoine, er selber zwei, das war’s. In Mats Garage sieht es ganz anders aus.

DDutzende Helme sind hier abgelegt und mehr als ein Dutzend Motorräder und Fahrräder aufgereiht. In der integrierten Werkstatt gibt es eine Wand voll mit Schraubenziehern, -schlüsseln und Hämmern. Und mittendrin die Ladestation für den Star der Garage: die Stark VARG. Das Knattern? Nein, das vermisse er nicht, sagt Mat. Sein älterer Sohn ist da radikaler. Der Fünfjährige kann das laute Motorengeräusch von Papis alten Bikes nicht ausstehen. Er und sein dreiähriger Bruder sind bereits beide auf E-Bikes unterwegs. Sie springen über Rampen, die sie in der Wiese des Hinterhofs aufgestellt haben. Und was hören wir währenddessen? Kuhglocken.

Denn auf dem angrenzenden Hang weiden die Kälber von Mats Schwieger vater. Es ist ein bäuerliches Idyll in der Romandie. Das Familien-

Alpenidyll neu: Die Kids fahren Motorrad. Und ein paar Meter weiter grasen friedlich die Kühe.

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Beim Training auf dem Track in Granges-prèsMarnand in Waadt präsentiert Mat den Backflip.

Auch ohne Lärm sorgt Mat für Aufsehen, wenn er auf dem Track in Granges-près-Marnand durch die Kurven driftet.

kürzel RMF (für Rebeaud, Mat und Floriane) ziert Gatter, Hausfassade und – als Tattoo – die Oberarme von Mat und seiner Frau Floriane und bezeugt den starken Zusammenhalt. Wer weiß, sagt Mat, vielleicht werden ihn die Enkelkinder einmal fragen, wie das damals war. Damals, als Motorräder noch Benzin brauchten. Mat freut sich darauf. „Dann sage ich: ‚Damals waren Bikes laut. Und Menschen regten sich auf, als es mit E-Bikes losging.‘ Das wird lustig.“

Das Anwesen hat Familie Rebeaud von Florianes Großmutter übernommen und aufwendig renoviert. Der Strom von Solarpaneelen reicht aus, um das ehemalige Bauernhaus zu versorgen. Müssen die Bikes und das E-Auto ganz aufgeladen werden, reichen die zehn Kilowatt nicht aus, und es braucht noch zusätzlichen Strom aus der Steckdose. Minimal extra, winkt Mat ab. Die Rebeauds sind weitgehend Selbstversorger.

Das Killer-Argument

Motocross mitten in der Stadt?

Eine Revolution, an die Elektro-Mat ganz fest glaubt.

„So viele Leute schreiben mich an und fragen: ‚Ich fnde das so cool, was du machst – wie kann ich selbst mit dem Motocross beginnen?‘ Ich antworte dann: ‚Okay. Du kaufst ein Bike, dann einen Van, fährst drei Stunden zu einem Trainings-Track.‘ “ Doch an Sonntagen sind MotocrossTracks in der Schweiz geschlossen – wegen Lärmbelästigung. Damit fällt jener Tag weg, an dem die meisten Zeit für den Sport hätten. Und überhaupt sei der große Zeitaufwand für viele ein Killer-Argument. E-Bikes hingegen könnten den Sport retten, sagt Mat. „Ich bin mir sicher, dass sie neue Menschen in den Sport bringen, die sonst nie Motocross fahren würden.“ Man stelle sich vor: ein Motocross-Track in Stadtnähe oder gar mitten in der Stadt? „Das wäre eine echte Revolution!“, sagt Mat Rebeaud. Eine mit Vogelgezwitscher.

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Wer weiter denkt, ist näher dran

Weltretter ganz persönlich.

Joel macht aus Pilzen Müllschlucker, Gibson Felder aus Sand.

Und Bettina fand das Volk, das nur im Heute lebt ...

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Weisheit der Wüste Bettina Ludwig

Die österreichische Anthropologin hat in der Kalahari geforscht. Davon sollen Firmen profitieren. Und ihre zweijährige Tochter.

Die Wolke sah aus wie eine schwangere Frau, die am Boden liegt. Das Bild war so deutlich, dass alle es sahen. Alle, die in der kleinen Gruppe durch die Trockensavanne Kalahari in Namibia wanderten. Einer der Spurenleser sagte: „Seht, das bedeutet, dass in der Nachbargemeinschaft bald ein Kind geboren wird.“ Bettina Ludwig dachte: „Was für ein weiser Mann, welche Verbindung zur Natur!“ Der Spurenleser merkte

Warum tut der Mensch eigentlich, was er tut? Diese Frage stellt sich Bettina Ludwig. Die Kultur- und Sozialanthropologin ist Keynote-Speakerin, Unternehmerin und freie Wissenschaftlerin.

das, lachte sie aus und sagte: „Bist du verrückt? Warum soll ich wegen einer Wolke wissen, wann in der Nachbargemeinschaft jemand schwanger wird?“

Bettina ist freischaffende Anthropologin. Die Österreicherin erzählt diese Episode, weil sie klar machen will: „Wir sind nicht davor gefeit, diese Welten zu romantisieren, diese Naturverbundenheit, die zwar da ist, die man aber auch nüchtern betrachten muss.“ Seit 2017 hat die heute 33-Jährige viele Monate in der Kalahari verbracht und die Ju/’hoansi studiert: eine Jäger-und-Sammler-Gemeinschaft, die ohne Besitz auskommt, keine Grammatik für die ferne Vergangenheit oder die Zukunft kennt und nur bis fünf zählt. Alles, wovon es mehr als fünf Stück gibt, heißt einfach „viel“.

Ohne Boden, mit Flügeln „Ich habe Menschen getroffen, die genetisch gleich sind wie ich, jedoch komplett anders leben. Das hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Wenn du keinen Boden mehr hast, wachsen dir Flügel, die dich weitertragen“, sagt Bettina. In ihrem Fall zur Gründung des „Zukunfts.Symposiums“, der Veröffentlichung des Buchs „Unserer Zukunft auf der Spur“, in dem sie ihre Erfahrungen aus der Kalahari festgehalten hat, und zu zahlreichen Auftritten als Keynote-Speakerin. Ihre Message an die hiesige Wirtschaft: Es gibt andere Organisationsformen als unsere westlichen. Wir müssen sie nicht übernehmen, aber sie können uns inspirieren. Auch ihr eigenes Leben hat Bettina seit der Zeit mit den Ju/’hoansi neu justiert. Sie hat sich von Dingen getrennt, die sie nicht unbedingt braucht. Und sie will ihrer Tochter jenes Vertrauen schenken, das die Kinder in der Kalahari genießen: Mit fünf Jahren können sie Feuer machen, Essen fnden und einen Unterschlupf bauen. Schon bald reist Bettina wieder in die Kalahari. Zum ersten Mal nimmt sie ihre zweijährige Tochter mit. Sie werden mit anderen Familien an der Feuerstelle sitzen und unter freiem Himmel schlafen.

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CHRISTINA BAIREDER SAMUEL WALDIS

Perlen aus Stein und Eis Bernd Zangerl

Die aus Tirol stammende Boulder-Legende baut im indischen Dorf Rakchham nachhaltigen Tourismus auf.

päer vom US-Magazin „Climbing“ zum Boulderer des Jahres gekürt. Auch mit Mitte vierzig klettert er höchste Schwierigkeitsgrade – obwohl er sich 2015 bei einem Unfall einen Halswirbel brach und ihm die Ärzte rieten, mit dem Klettern aufzuhören. Bernd suchte alternative Methoden und fand einen Heiler, meditierte, praktizierte Yoga, erweiterte seinen Horizont. Und genau mit dieser Eigenschaft wirkt Bernd auch im indischen Rakchham –mit der Fähigkeit, neue Wege zu suchen und zu fnden.

zum Bergführer ermöglicht. Sie zeigen den Touristen das Gebiet. 2022 kamen 15 Kletterer, 2023 werden es zirka 25 sein.

„Das Dorf muss in Zukunft selbst entscheiden, wie viele Gäste genug sind“, stellt Bernd klar.

„Ich hoffe, dass ich den Nachhaltigkeitsgedanken sicher verankert habe.“ Inzwischen bieten neben einem Hotel auch Einheimische ihre Betten an. Es gibt nicht gleich hunderte davon. Aber „Shelter, shelter!“ muss niemand mehr rufen, wenn er im Dorf ankommt.

Die Nacht bricht herein, als Bernd Zangerl in das indische Sangla-Tal vordringt. Noch immer hat er keine Felsen gefunden, an denen er klettern könnte. Also fährt er weiter, bis er irgendwann in ein Dorf kommt. 30 Zentimeter Schnee bedecken den Boden, und Bernd ruft in die Kälte: „Shelter, shelter!“ Ein Licht geht an, ein Fenster öffnet sich, und eine Frau fragt, was er wolle. Etwas zu essen und eine Unterkunft, antwortet Bernd. So wurde der Öster reicher 2010 zum ersten westlichen

Touristen des 600-Seelen-Dorfs

Rakchham in der Nähe an der Grenze zu Tibet.

Dreizehn Jahre später sitzt der mittlerweile 44-Jährige im St. Gallener Rheintal und schreibt an einem Guide, in dem er das Gebiet rund um Rakchham für Kletter-Touristen beschreibt: die Boulder, also Felsen, an denen man ohne Seil auf Absprunghöhe klettern kann, Routen, Schwierigkeitsgrade und Benimmregeln. „Die Boulder musst du hier nicht suchen“, sagt Bernd, „du musst dir nur die Perlen herauspicken.“ Jahrelang hat er dieses Geheimnis mit seinen besten Freunden geteilt. Jetzt teilt er es mit der Welt.

Erweiterter Horizont

Der Tiroler gilt als eine BoulderLegende. An die tausend Erstbegehungen gehen auf sein Konto, 2003 wurde er als erster Euro-

Die Menschen hier nennen ihn „Mister Bernhard“, weil niemand seinen richtigen Namen aussprechen kann. Bernd kennt sie alle: den Dorfältesten, die Lehrer, die politisch engagierten Menschen. Das ist der Schlüssel – alle einzubinden, damit sein Projekt des nachhaltigen Tourismus funktionieren kann. Er hat einen Kletterklub gegründet. Er hat Einheimische zum Klubobmann gemacht, zum Schriftführer. Und er hat jungen Menschen die Ausbildung

Auf das Konto der 44-jährigen BoulderIkone Zangerl, hier im Himalaya-Gebirge, gehen an die tausend Erstbesteigungen.

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Pilz 943 hat immer Hunger

Joel Rüthi

Der Schweizer Mikrobiologe hat in den Alpen Pilzkulturen entdeckt, die das Plastikrecycling revolutionieren könnten.

Joel Rüthi kauert auf dem Engadiner Schafberg am Boden und klopft mit einem Hammer einen Meißel in die Erde. Beide Werkzeuge hat der 30-jährige Mikrobiologe zuvor sorgfältig sterilisiert. Denn das, was er hier oben auf über 2000 Metern über dem Meeresspiegel sucht, will er nicht verunreinigen. Die gelockerte Erde schaufelt Joel in eine Plastiktüte. Dann packt er die Bodenprobe in eine schwarze Styroporbox und steigt hinab ins Tal – in der Hoffnung, etwas gefunden zu haben, das das Plastikrecycling revolutionieren könnte. Die Zeit der Corona-Pandemie verbrachte Joel entweder auf dem Schafberg oder im Labor der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft

Rüthi ist als Gastwissenschaftler an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Zürich tätig.

(WSL). Inzwischen weiß er, dass es gut investierte Zeit war: Joel hat einen Pilz der Gattung Nadelholz-Haarbecherchen entdeckt, der biologisch abbaubares Plastik wortwörtlich frisst. Etwa Mulchfolie, mit der Erdbeerfelder abgedeckt werden, oder diese Tütchen, in die wir unsere grünen Küchenabfälle packen.

Bioabbaubares Plastik verrottet – wie die Bezeichnung schon sagt – auch natürlich. Das Neue an Joels Entdeckung ist: Die Enzyme seines Pilzes bauen dieses Plastik bereits bei Temperaturen von rund 15 Grad Celsius ab. Die meisten anderen Enzyme brauchen für denselben Vorgang rund 50 Grad. Mit seinem Pilz könnte man also Plastik recyceln – ohne Energiezufuhr in Form von Wärme. Deshalb hat Joel auf dem Schafberg gesucht. Seine These: Wenn er hier oben Mikroorganismen fndet, die bei tiefen Temperaturen gedeihen, produzieren diese auch Enzyme, die bei tiefen Temperaturen aktiv sind.

Der Langzeitcheck

Um diese Mikroorganismen zu fnden, mischt er Plastik unter die Bodenproben. Nach mehreren Wochen putzt er das Plastik und isoliert die Mikroben, die sich auf der Oberfäche des Plastiks angesiedelt haben. Diese Mikroben gibt er zu vier mal vier Zentimeter großen Plastikstücken, die er zuvor mit einer bis auf 0,1 Milligramm genauen Waage gewogen hat. Wenn deren Gewicht nach mehreren Wochen niedriger ist, hat ein Enzym Plastik abgebaut. Seit 2020 hat Joel auf diese Weise über 1400 Pilze und Bakterien isoliert. Pilz Nummer 943 ist bisher sein Champion: Er hat in 60 Tagen rund 40 Prozent des Plastiks in Einzelteile aufgelöst und diese in seine Zellen aufgenommen – sprich: gefressen.

Natürlich: Um Joels Entdeckung in eine biologische Kreislaufwirtschaft zu integrieren, müsste das isolierte Enzym in großen Mengen hergestellt werden – dann jedoch könnten seine hungrigen Pilze eine kleine Revolution im Plastikrecycling anzetteln.

Trendsetter
INNOVATOR 43 RAY DEMSKI/RED BULL CONTENT POOL, COURTESY OF JOEL RÜTHI SAMUEL WALDIS
Sein Schwamm saugt alles auf: Er löst Plastik in kleine Teilchen auf und schluckt sie.

Bio-Doping für den Boden Gibson

Mit einem zufriedenen Lächeln geht Gibson Nyanhongo durch die Räume des Start-ups Agrobiogel – hier entsteht, was ihm seit langem vorschwebt. Die Idee: Pfanzen besser mit Wasser zu versorgen, indem es im Boden mittels Gel gespeichert wird. Die Form: ein in den Boden ausgebrachtes Granulat, das in Kontakt mit Wasser zu Gel wird und so Wasser länger speichern kann.

Nyanhongo stammt aus Simbabwe. Eigentlich forschte er im Medizinbereich an Hydrogelen für die Wundheilung. Bis ihm die Idee kam, das Hydrogel auch im Agrarbereich als Wasserspeicher zu nutzen. Seine patentierten Forschungsergebnisse aus der Zeit an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien sollen nun kommerziell nutzbar gemacht werden. Am Standort Tulln arbeitet man derzeit an einer semiindustriellen Pilotanlage. Der nächste Schritt: eine erste industrielle Produktionsstätte, mit der ausreichend Material produziert werden kann, um eine Vermarktung in der Landwirtschaft zu ermöglichen.

Und der Bedarf ist groß: Über zunehmende Temperaturen und sinkende Grundwasserspiegel sorgen sich nicht nur Landwirte in subtropischen Regionen, mittlerweile gleichen auch Äcker in Frankreich und Deutschland

Gibson S. Nyanhongo ist Biotechnologe, er verbindet also Erkenntnisse und Methoden aus Biologie und Technik. In seinem Brotberuf leitet er die Forschungsgruppe Biomaterialtechnologie an der Universität für Bodenkultur in Wien.

mangels Niederschlags zeitweise eher einer Wüstenlandschaft.

Neu ist die Idee des Agrobiogels nicht. Auch andere Hydrogele können Wasser im Boden speichern, bevor es versickert. Ihr Nachteil: All diese Gele enthalten Polymere aus fossilen Rohstoffen – also Plastik. Um kein Mikroplastik in den Boden einzubringen, forschte Nyanhongo an der BOKU zum Einsatz von Lignin (Feststoffe aus pfanzlichen Zellwänden) als natürlichem Rohstoff für die Erzeugung von Hydrogelen. Dank eines speziellen Produktionsprozesses kann dieser Rohstoff in ein wasserspeicherndes Granulat umgewandelt werden. Das Agrobiogel ist damit der einzige komplett biobasierte Bodenhilfsstoff. Es kann seine Wirkung bis zu fünf Jahre lang entfalten, ein Gramm Granulat nimmt bis zu 15 Gramm Wasser auf.

Wurzeln des Wachstums

Die bisherige Anwendung zeigt, dass Pfanzen stärkere Wurzeln bilden und Wasser sowie Nährstoffe leichter aufnehmen können. Das funktioniert sogar auf sandigen oder losen Böden – etwa in Wüstengebieten –, um Dürren entgegenzuwirken und den Einsatz von Dünger reduzieren. Irgendwann, so der Traum von Gibson Nyanhongo, könnten auch in Afrika erste Produktionsstätten eröffnet werden. Vorerst soll die Produktionskette für das Agrobiogel aber in Europa weiterentwickelt werden. Dafür erhielt Nyanhongo eine Förderung des EU-Forschungsprogramms Horizon Europe von 3,4 Millionen Euro.

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Ein Start-up aus Tulln entwickelt ein komplett natürliches Gel, das vertrocknete Erde wieder fruchtbar macht.
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Fruchtbare Wüste: Noch ist das zwar ein Traum – aber ein sehr, sehr realistischer.

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Ein Klo macht Kohle

Mona Mijthab

Eine neuartige Trockentoilette löst eines der größten Sanitärprobleme der Welt – und sorgt ganz nebenbei für hochwertigen Dünger.

Die Pyrolysemaschine (für die Zersetzung organischer Verbindungen) ist etwa einen Meter hoch, zylinderförmig und aus Metall. Lokale Schweißer haben sie zusammengebaut, hier am Lago de Atitlán in Guatemala, umgeben von dichten Wäldern. Bis diese Maschine jedoch zum ersten Mal Pfanzenkohle ausspuckte, sind einige Jahre vergangen. Jahre, in denen Mona Mijthab Slums besuchte, eine revolutionäre Trockentoilette baute und einen Weg gefunden hat, allzu menschliche Überreste so aufzubereiten, dass sie als Input für die Maschine taugen. Die Maschine steht am Ende eines

Mona Mijthab ist in Deutschland geboren, ihre Trockentoilette entwickelte sie in Zürich. Heute lebt sie als Sozialunternehmerin in Guatemala und der Schweiz. Sie ist Designerin mit Fokus auf soziale Innovation sowie Dozentin und Forscherin an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK).

Prozesses, an dessen Anfang ein globales Problem steht: Laut UNICEF haben 3,6 Milliarden Menschen keinen Zugang zu ver nünftigen sanitären Anlagen. Das ist fast jeder zweite Mensch. Mona Mijthab ist 35 und pendelt als erfolgreiche Sozialunternehmerin zwischen der Schweiz und Guatemala. Als Industriedesign-Studentin reiste sie 2017 nach Bangladesch und sah, wie katastrophal die sanitären Anlagen dort sind. Zurück in Zürich, gründete sie die Firma Mosan (eine Kurzform für Mobile Sanitation) und entwickelte eine völlig neue Art von Trockentoilette. Inzwischen hat Mijthab damit diverse Innovationspreise gewonnen und trat am Red Bull Basement als Keynote-Speakerin auf.

Geschäftsmodell Dünger

Neu an dieser Toilette ist, dass sie im Haushalt verwendet werden kann und dabei erschwinglich, transportabel und leicht zu reinigen ist, wenig aufwendig in der Instandhaltung und vor Ort zu produzieren. Das Klo trennt feste und füssige Überbleibsel, es braucht weder Strom noch Wasser. Damit funktioniert es auch in Gegenden, wo Ressourcen knapp und fehlende Toiletten ein großes Hygiene- und Gesundheitsproblem sind. Mijthab hat die Toilette in indigenen Dorfgemeinden in Guatemala eingeführt. Hier fossen bislang achtzig Prozent der Abwässer ungeklärt in Seen, „wo Frauen Kleidung waschen, Kinder am Ufer spielen und Männer Fische fangen“, sagt Mijthab. Die Toilette steht nun Haushalten, die an Mijthabs Programm teilnehmen, gratis zur Verfügung, Mijthabs Team holt die vollen Behälter alle zwei Tage ab. Für den Abholservice bezahlen die Familien vier Dollar pro Monat. Daran verdient Mona nichts. Aber sie denkt durchaus wirtschaftlich weiter: Denn die Pfanzenkohle, die sie dank lokal produzierter Pyrolysemaschinen aus dem Toiletteninhalt produziert, will sie zu Marktpreisen verkaufen. Aktuell entwickelt sie Toiletten für Schulen und öffentliche Plätze.

Trendsetter
INNOVATOR 45 AGROBIOGEL GMBH/MARTIN LIFKA PHOTOGRAPHY, MOSAN 2018 PHILLIP LANDAUER, SAMUEL WALDIS

Nicht von dieser Welt

Der britische Fotograf

Benedict Redgrove hatte neun

Jahre lang einzigartigen

Zugang zu den Labors und Raumfahrzeugen der NASA. Hier zeigt er eine

Auswahl seiner Bilder: All-inclusive!

TEXT Saskia Jungnikl-Gossy
Portfolio 46 INNOVATOR

Der Over-All

400 Kilometer über der Erde bei einer Geschwindigkeit von bis zu 28.163 km/h: So leben Astronauten an Bord der Internationalen Raumstation ISS. Der EMU­(Extravehicular Mobility Unit­)Anzug bildet dort das Lebenserhaltungssystem eines Menschen. „Wenn man einen Astronauten in ihn hineinsteckt, wird er zum Symbol für alles, was die Menschheit ausmacht“, sagt Fotograf Redgrove.

„Die Kombination aus Mensch und Anzug symbolisiert den Wissensdurst auf die großen Fragen, wer wir sind, warum wir hier sind, wo wir sind – und ob wir allein sind.“

Der Vogelkäfig

Die Orion­Raumkapsel, bevor der Hitzeschild und die Sensoren angebracht werden.

Orion ist ein Raumschiff, das Menschen im Zuge des ArtemisProgramms der NASA auf den Mond schicken und die Erkundung des Alls über den Erdorbit hinaus fortsetzen soll. Hier im Bild ist jener Teil zu sehen, in dem die Besatzung auf ihrer Reise zum Mond und zurück leben wird.

INNOVATOR 47

Fünfzig Jahre nach ihrer Entwicklung schafft es die Saturn-V-Rakete immer noch, die Fantasie der Menschen zu beflügeln.

Portfolio
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Der Klassiker

Die Triebwerke der Saturn V, Stufe 1 – zum Zeitpunkt ihres Baus Ende der 1960er-Jahre die größte und komplexeste Maschine, die je von Menschenhand gebaut wurde. „Für mich ist sie ein visuelles Vergnügen“, sagt Redgrove. „Die Details und Statistiken, die mit diesem Raumschiff verbunden sind, erfüllen mich mit Ehrfurcht und Glückseligkeit.“

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Portfolio 50 INNOVATOR

Das Space Shuttle Carrier Aircraft N905NA ist – mit dem nachgebauten Space Shuttle

„Independence“ am Dach klotzend – in Houston ausgestellt.

Huckepack

Das NASA Shuttle Carrier Aircraft (SCA) war ein wichtiger Bestandteil des Raumfahrtprogramms der NASA und ermöglichte den Transport der Space Shuttles innerhalb der USA. Das SCA war eine mo-

difizierte Version der Boeing 747 und wurde verwendet, um die Space Shuttles (letzter Flug: 2011) von einem Ort zum anderen zu transportieren, insbesondere nach ihren Landungen.

„Es ist nicht nur die Beschwörung einer

Ära, sondern fasst auch die Funktionsweise der NASA in einem wunderschönen Bild zusammen. Es zeigt, wie die NASA sich selbst aufgebaut hat, indem sie gelernt hat, sich anzupassen und etwas zu erschaffen“, sagt Redgrove.

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WWir kennen den Großteil des Universums nicht. Das mutet seltsam an, denn nach all den bekannten Sternen, Gasnebeln und Millionen von Galaxien, die bereits beobachtet wurden, den über 5000 bekannten Exoplaneten und Schwarzen Löchern, die gezählt wurden, sollte man meinen, die Menschheit weiß gut über das Universum Bescheid. Tatsächlich scheint der Kosmos voll von strahlenden Sternen und leuchtenden Gaswolken zu sein, doch das macht nur etwa fünf Prozent der Masse des Universums aus. Es besteht hingegen zu fast 27 Prozent aus anziehender Dunkler Materie und etwa 70 Prozent aus abstoßender Dunkler Energie. Was sich dahinter verbirgt, ist unklar.

Am 1. Juli 2023 um 17.12 Uhr startete deshalb eine besondere Weltraummission: Das Weltraumteleskop Euclid – benannt nach dem Mathematiker Euklid von Alexandria, der vermutlich im 3. Jahrhundert v. Chr. tätig war – gelangte mit einer Falcon9-Rakete des US-Raumfahrtunternehmens SpaceX ins All. Euclid ist ein Weltraumteleskop der Europäischen Weltraumagentur ESA, gefertigt mit Unterstützung der National Aeronautics and Space Administration, kurz NASA. Von seinem Zielort (1,5 Millionen Kilometer außerhalb der Erdbahn) aus wird es mindestens

sechs Jahre lang über ein Drittel des gesamten Himmels beobachten und die räumliche Verteilung von mehreren Milliarden Galaxien kartieren. Damit wird zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit der Einfuss von Dunkler Materie und Dunkler Energie auf die Entwicklung und großräumige Struktur des Alls untersucht. Aus den Daten soll die bisher größte und genaueste 3D-Karte des Universums entstehen.

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Himmelsauge

Das vollständig fertiggestellte Euclid­Weltraumteleskop stand bis zu seinem Start im Juli 2023 aufrecht in der schalltoten Testkammer der Anlage Thales Alenia Space

in Cannes an der französischen Riviera. Anschließend wurde das Teleskop in die USA verschifft. Dieses Foto schoss Redgrove, als er Euclid das letzte Mal vor seinem Start sah.

Das Euclid-Teleskop wird Milliarden von Galaxien in einer Entfernung von bis zu zehn Milliarden Lichtjahren beobachten – und eine dreidimensionale Karte des beobachtbaren Universums erstellen.

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Der Spiegel

Das zentrale Element des Euclid-Teleskops ist dessen Hauptspiegel, der neben zwei Instrumenten untergebracht ist – einem für die Aufnahme von Bildern des Universums im sichtbaren Licht und einem für Beobachtungen im nahen Infrarot.

Dieser 1,2 Meter breite Spiegel ist aus Siliziumkarbid gefertigt und mit Silber beschichtet. Seine glatte Oberfläche ermöglicht es ihm, das Licht von Galaxien aus dem gesamten Universum effektiv einzufangen.

Portfolio
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Terminator

„Stell dir vor, du betrittst das Labor der NASA und vor dir steht in einer Glasvitrine eine Roboterhand, die aussieht wie eine Requisite aus ‚Terminator‘“, sagt Redgrove. Die Hand ist Teil des Projekts Robonaut, das menschenähnliche Roboter für den Einsatz im Weltraum entwickelt.

Die Robonautenhand soll die Geschicklichkeit und Mobilität menschlicher Hände nachahmen, dafür verfügt sie über Finger und Gelenke, die komplexe Bewegungen ermöglichen.

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Benedict Redgrove „NASA: Vergangenheit und Gegenwart – Träume von der Zukunft“

So heißt das Buch des britischen Fotografen und Filmemachers, der seit jeher von Innovation und Technik fasziniert ist. An seinem Projekt über die amerikanische Raumfahrtbehörde arbeitete er über neun Jahre lang und erhielt währenddessen beispiellosen Zugang zu Fahrzeugen, Labors und Forschungs-Einrichtungen. Redgrove wollte die emotionale und spirituelle Wirkung der Objekte zeigen. „Ich wollte sie erforschen und eine Verbindung herstellen, sodass die Menschen erkennen, was diese Wunderwerke der Technik für uns bedeuten.“ benedictredgrove.com

Klinisch weiß Zwei Ingenieure prüfen behutsam den unteren Teil des Euclid-Weltraumteleskops während der Montage im Reinraum der Space-andDefence-Anlage von Airbus in Toulouse in Südfrankreich.

Um jegliches Risiko einer Verunreinigung durch Staub oder menschliche Haare zu vermeiden, die zu Fehlern auf den Bildern führen könnte, tragen die Ingenieure vollständig geschlossene Anzüge, Handschuhe, Schuhe, Hüte und Masken.

Portfolio
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Atlantis

Das Space Shuttle Atlantis (hier im Bild Nase und Cockpit) besteht aus 2,5 Millionen Teilen, darunter fast 370 Kilometer Kabel, über tausend Ventile und Anschlüsse, 1400 Stromunterbrecher und 24.000 Isolierkacheln aus SiliziumdioxidVerbundstoff.

„Es ist atemberaubend schön, verstärkt durch die Narben, die es auf seiner gekachelten Haut trägt“, sagt Redgrove. „Jede Markierung erzählt eine Geschichte – von den Trümmern, die aufgewirbelt werden, wenn die Raketentriebwerke das Raumschiff von unserem Planeten in den Weltraum heben.“

Die Space Shuttles, welche die NASA von 1981 bis 2011 betrieb, prägten mit ihren ikonischen Designs eine eigene Ära der Raumfahrt.

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Multitalent: Tijen Onaran ist Gründerin und das Gesicht einer neuen, feministischen BusinessGeneration.

Interview
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„Ich polarisiere wie Barbie“

Unternehmerin, Netzwerkerin, Jurorin der Start-up-Show

„Die Höhle der Löwen“ –Tijen Onaran hat viele Jobs, doch Mission hat sie nur eine: Mit ihrer Plattform „Global Digital Women“ stärkt sie die Position von Frauen in der Start-up-Szene. Das starke Interview.

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the red bulletin innovator: Du warst in deinen Gebieten sehr oft die Erste. Das hat in deiner Schulzeit begonnen: In deiner Karlsruher Gymnasialzeit warst du das erste Mädchen mit türkischen Wurzeln auf einer katholischen Schule – wie hat sich das angefühlt? tien onaran: Ich bin in einem sehr deutschen Umfeld sozialisiert worden, also war es bis zur Reifeprüfung kein Thema. Nur wenn es um meine soziale Herkunft ging, hab ich schon in der Grundschule gemerkt: Bei mir ist etwas anders. Bei Kindergeburtstagen wurde ich von Freundinnen meistens in große Wohnungen oder Häuser eingeladen; wenn mein Geburtstag gefeiert wurde, saßen wir halt in einer Zwei-Zimmer-Wohnung am Esstisch. Ich komme ja teilweise aus einer klassischen „Gastarbeiterfamilie“, so wurde man damals gesellschaftlich verortet, meine Mutter war Verkäuferin, mein Vater in der Türkei Lehrer, er hat dann in Deutschland Architektur studiert und in diesem Feld gearbeitet. In der Architekturfrma war er tatsächlich – gar nicht abwertend, eher einordnend gesagt – „der Türke“.

Du hast in Heidelberg Politikwissenschaften, Geschichte und Öffentliches Recht studiert. Warum diese Kombination?

Zu dieser Zeit hatte ich bemerkt, dass mich Politik interessiert. Ich war früh aktiv in der baden-württembergischen FDP, also dachte ich mir, praktische Politik vor Ort ist eine Sache, die andere ist der politische Überbau. Den konnte ich mit dieser Kombination sehr gut abdecken.

TWarum hast du 2015 die Initiative „Women in E­Commerce“ gegründet?

Weil ich bemerkt habe, dass Frauen im E-Commerce viel zu unterrepräsentiert waren. Das Thema „Frauen und E-Commerce“ war noch gar keines, aber durch Initiativen wie die meine wurde es zu einem. Natürlich gab es etwa feministische Gruppierungen im politischen Raum, aber mein Anspruch war, eine gewisse Leichtigkeit in die Debatte um Geschlechtergerechtigkeit zu bringen.

2018 hast du den nächsten Schritt getan und die Plattform „Global Digital Women“ (GDW) ins Leben gerufen …

Mir ist bewusst geworden, dass es für Frauen eine digitale Teilhabe in allen Bereichen geben muss, ob nun in Gesundheit, Wirtschaft oder bei Start-ups. Und ich musste mich selbst fragen, ob das, was ich machte, nur ein Hobby war, oder ob ich daraus einen Beruf machen und selbst gründen will. Als ich mit Global Digital Women losgelegt habe, wurde ich anfänglich oft belächelt und unter-

Interview
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„Diversität kann ein Geschäftsmodell sein –da lief ich dem Zeitgeist nicht hinterher, ich war ihm voraus.“

Generationenvielfalt, soziale Herkunft: Tijen Onaran bringt neue Perspektiven in Unternehmen.

schätzt. Man sah meine innovative Arbeit als eine Art Charity, das hat mich wahnsinnig geärgert – weil der innovative Charakter von GDW nicht erkannt wurde, dass Diversität ein Geschäftsmodell sein könnte. Und dass ich nicht einfach dem Zeitgeist hinterherlaufe, sondern ihm voraus war.

Inzwischen hast du auch die Consultingfirma „Act, Change, Inclusion“ gegründet, mit der du klarmachst, dass Diversity, Equity und Inklusion wichtige Treiber für Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit sind. Wie müssen wir uns das vorstellen, wie gehst du diese Themen etwa in großen Konzernen oder mittelständischen Firmen an?

Am Anfang steht immer die Sensibilisierung für diese Themen – und dass es eben nicht nur um Geschlechtergerechtigkeit geht. Wenn ich zu internationalen Konferenzen eingeladen bin, geht es um soziale Herkunft, Generationenvielfalt oder nationale Eigenheiten. Wir schauen uns auch die Zahlen in einem Unternehmen genau an: Wie viel Talent kommt rein, wie viel Talent geht woanders hin? Die Themen Fachkräftemangel oder Führungspersonal werden immer dringlicher. Und plötzlich waren wir nicht nur in dem Bereich für einen 3000­Euro­Workshop, sondern in großen, innovativen Projekten, bei denen wir von Summen jenseits der 100.000 Euro sprechen.

Frauen wie du haben Diversität auf die gesellschaftliche Tagesordnung gesetzt, und sie lässt sich kaum mehr wegdenken. Wie erklärst du das?

„Bleib so, wie du bist –das ist so ziemlich das Schlimmste, was man mir zum Geburtstag wünschen kann.“
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Erstens setzen sich Frauen immer mehr für ihre Selbstbestimmung ein. Zweitens ist überdeutlich geworden, dass unsere Wirtschaft es sich nicht leisten kann, auf die Arbeitskraft von Frauen zu verzichten. Wir brauchen sie dezidiert im deutschsprachigen Arbeitsmarkt. Drittens: Wir sind in einem Momentum, in dem Emotionalität eine bedeutende Rolle spielt, und da haben Diversität oder Nachhaltigkeit besonders viel Intensität im gesellschaftlichen Diskurs.

Allerdings wird die Start-up-Szene immer noch von Männern dominiert. Woran liegt das, und wie kann das geändert werden?

Viele dieser männlichen Gründer kennen sich schon von der Universität, oder sie kommen aus elitären Zirkeln und Unternehmerfamilien, sie bringen da schon ein Netzwerk und oft einen gewissen fnanziellen Polster mit. Die Start-up-Szene ist in unseren Breiten noch zu selbstreferenziell, und meine Wahrnehmung ist: Deutsche Konzerne oder Mittelständler nehmen Diversität viel ernster, als es oft Start-ups tun, die doch eigentlich innovativ sein wollen.

Was bedeutet für dich der Begriff Innovation?

Du musst dem Zeitgeist immer einen Schritt voraus sein. Innovation ist das Gegenteil von „Bleib so, wie du bist“ – das ist übrigens das Schlimmste, was man mir zum Geburtstag wünschen kann. Ich möchte nicht bleiben, wie ich bin! Ich will immer nach vorne gehen, mich ständig verändern und weiterentwickeln. Was mir sehr hilft, sind meine Gründungsinvestments.

__ Die Power-Bio

Tijen Onaran kompakt: vom katholischen Mädchengymnasium in die Start-up-TV-Show.

„Die Rollenverteilung in meinen Unternehmen?

Mein Mann ist der Innenminister, ich bin die Außenministerin.“

Tijen Onaran ist Unternehmerin, Investorin, Bestsellerautorin und als Moderatorin eine der wichtigsten Meinungsmacherinnen Deutschlands, wenn es um Diversität und Digitalisierung geht. 1985 geboren, wuchs sie als Tochter türkischer Eltern in Karlsruhe auf. Sie besuchte ein katholisches Mädchengymnasium und kandidierte mit zwanzig Jahren im Landtagswahlkampf von Baden-Württemberg für die FDP. 2009 koordinierte sie die Social-Media-Aktivitäten im Wahlkampf des späteren Bundesaußenministers Guido Westerwelle.

2015 erkannte Tijen Onaran, dass die Digitalisierung bei der Veränderung unserer Gesellschaft eine bedeutende Rolle spielen würde, und gründete ihr erstes Start-up, die Initiative Women in E-Commerce. Daraus entstand die Community Global Digital Women, die Frauen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und in Großbritannien vernetzt und so deren Sichtbarkeit nachhaltig unterstützt.

Stets mit freundlichem Nachdruck: Tijan Onaran erklärt Konzernen, wie Diversität funktioniert.

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Tijens Lebensmotto: „Dem Zeitgeist immer einen Schritt voraus sein“

Erklär uns das doch detaillierter. Ich habe in verschiedene Start-ups investiert, von Babynahrung ohne Zucker über intime Wellness bis hin zu FinTech und Weiterbildung. Mein Investmentportfolio ist also breit gestreut, und ich achte besonders darauf, mit Gründerinnen zusammenzuarbeiten. Kürzlich hatte ich wieder ganztägige digitale Meetings mit den Start-ups, und deren Anforderungen an mich zwingen mich stets zur Veränderung. Es geht um PR, Storytelling, Community oder SocialMedia-Expertise. Und selbstverständlich steht Diversität immer ganz oben auf der beratenden Agenda. Gerade in der jetzigen, doch krisenbehafteten Zeit möchte ich aber auch Optimismus ausstrahlen, ich war schon immer ein Löwinnen-Typ, und wir brauchen hier bei uns mehr denn je Mutmacher und Mutmacherinnen. Wer innovativ sein will, muss mutig sein und geradeheraus, um glücklich zu sein.

Du bespielst deine Instagram- und LinkedIn-Kanäle selbst, antwortest oft sehr schnell, schlagfertig und persönlich – wie lange schaffst du das noch?

Publikum in so einem bekannten und erfolgreichen Fernsehformat zu vertreten. In der Jury sind wir eine Superrunde, eben weil wir unterschiedlich ticken. Wir zeigen, was Diversität bedeutet: nämlich Diskurs.

Gemeinsam mit ihrem Mann Marco Duller-Onaran gründete sie die Firma ACI Consulting (Act, Change, Impact), die Unternehmen und Konzerne in Sachen Diversity, Equity und Inclusion berät. Für das Magazin „Business Punk“ moderiert sie seit 2018 den Podcast „How to Hack“, aktuell ist Onaran die neue Löwin im TV-Format „Die Höhle der Löwen“. Ihr neues Buch mit dem Titel „Be Your Own F*cking Hero: Trau dich, weil du es kannst!“ erscheint im Oktober 2023.

Das frage ich mich selbst jeden Tag, es ist wirklich viel. Dennoch: Meine Community ist mein Innovationsraum, in dem ich täglich wahnsinnig viel lerne. Aber je mehr Menschen mir folgen, desto schwieriger wird es, jede Nachricht persönlich zu beantworten und authentisch zu bleiben.

Mitte Oktober erscheint dein neues Buch „Be Your Own F*cking Hero: Trau dich, weil du es kannst!“, und nun bist du auch auf Vox zu sehen als Jurorin bei „Die Höhle der Löwen“.

Als ich gefragt worden bin, ob ich da einsteigen möchte, habe ich mir das sehr gründlich durch den Kopf gehen lassen. Ich sehe die Chance, meine Themen wie Diversity oder sozialer Aufstieg vor einem interessierten

Noch vor dem ganzen Barbie-Hype im Sommer wurde dir eine eigene Barbie-Puppe gewidmet Als Kind habe ich mit Barbie-Puppen gespielt, in meiner Fantasie war ich immer mit vielen Koffern viel unterwegs, frühe Business-Träume. Und heute bin ich tatsächlich extrem viel on the road, und das macht mir sehr viel Spaß. I love it! Meine BarbiePuppe habe ich zum Weltfrauentag bekommen, Mattel zeichnet zu diesem Anlass in vielen Ländern Frauen aus, die Vorbilder sind, und als solches wurde ich betrachtet, das hat mich schon sehr gefreut. Und irgendwo passt Barbie zu mir: Entweder man mag sie, oder man mag sie nicht – sie polarisiert so wie ich.

Wie würdest du in deinen Unternehmen die Rollenverteilung zwischen deinem Mann Marco DullerOnaran und dir beschreiben? Ich bin die Außenministerin, er ist der Innenminister. Und ohne einen starken Innenminister kann ich keine starke Außenministerin sein. Marco will gar nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen, er ist wunderbar darin, das Team zu leiten und weiterzuentwickeln, und er kann sich hervorragend auf die individuelle Kundenperspektive einlassen. Ich bin draußen eben die Infuencerin, Key Note Speakerin, Moderatorin, Gründerin, Podcasterin, Investorin. So oder so: Wir sind ein großartiges Team.

Interview
„Zum Weltfrauentag habe ich eine Puppe bekommen – als Auszeichnung für meine Vorbildwirkung.“
INNOVATOR 63

Neuer Kollege: Ein

Telerobotics-Mitarbeiter (hier gezeichnet von unserem Illustrator) steuert die Arbeit am Fließband.

Mein Freund, der Chatbot Im Zeitalter der KI fürchten viele Menschen um ihre Beschäftigung. Dabei schafft die Revolution in der Arbeitswelt auch Chancen: Hier sind 10 neue Jobs aus der Zukunft. Jobbörse TEXT Nicole Thurn ILLUSTRATIONEN Bratislav Milenkovic INNOVATOR 65

Die technologische Entwicklung der kommenden Jahre wird von einer exponentiellen Dynamik getrieben, Experten reden von einem wahren Evolutionssprung. Künstliche­Intelligenz­Tools wie ChatGPT (Text) oder Midjourney (Bild) haben bereits in den vergangenen Monaten den Arbeitsmarkt rasant verändert, immer mehr Unternehmen streichen Stellen in Marketing und Design oder besetzen sie nicht nach. Gleichzeitig wird im deutschsprachigen Raum händeringend nach Personal in klassischen sozialen Berufsfeldern gesucht. Der Bedarf an Pfegekräften, KleinkindPädagogen, Lehrern und Tourismus­Fachkräften wird hoch bleiben – einerseits aufgrund anstehender Pensionswellen, andererseits dank Quiet Quitting, jenem Work­Life­Balance­Trend, bei dem der Job zwar nicht gekündigt, aber auch keine Arbeit über den Vertrag hinaus geleistet wird, wie etwa Überstunden. Stark gefragt sind auch Software­Entwickler und technische Fachkräfte, die aktuell aus mehreren Jobangeboten wählen können.

Die noch vor wenigen Jahren medial kolportierte Annahme, dass Roboter uns die Jobs wegnehmen, entpuppt sich – zumindest unterm Strich – als Mythos: Die internationale Beratungsagentur Deloitte prognostizierte in einer Studie aus dem Jahr 2020 für Deutschland, dass bis 2035 dank der Technologisierung deutlich mehr Jobs entstehen als wegfallen. Konkret: 2,1 Millionen neue Arbeitsplätze, die nur schwer durch Technologien ersetzt werden können. Davon

Dsollen 1,8 Millionen Jobs in den Bereichen Gesundheit, in Lehre und Ausbildung sowie in den Bereichen Unternehmensführung, Recht und Verwaltung entstehen.

Generell könne man davon ausgehen, dass im Schnitt 35 Prozent der Arbeitszeit einer Vollzeitstelle von digitalen Technologien oder Robotern übernommen werden – wobei diese uns überwiegend monotone oder schwere Tätigkeiten abnehmen, die wir oft ohnehin nicht mögen. Neue Technologien erreichen so gut wie alle Branchen, von der Landwirtschaft über den Gesundheitssektor bis hin zu Dienstleistungen aller Art. Keine Berufssparte bleibt von Digitalisierung und Automatisierung verschont, sei es im Rahmen von innovativer Software, die Dienstpläne, Arbeitszeiten oder Produktionsmaschinen managt, sei es das Lesen, Sammeln und Analysieren von Kundendaten oder der Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Unternehmen stehen vor komplexen Herausforderungen, sie sind gezwungen, ihre Organisation, ihre Arbeitsweisen und ihre Unternehmensziele drastisch zu verändern. Und über all dem herrscht die Dringlichkeit, den Planeten vor Klimawandel und Erderwärmung zu retten.

Mit diesem tiefgreifenden Wandel der Arbeits­ und Wirtschaftswelt zeichnen sich auch vielversprechende neue Berufe ab, die schon in den nächsten Monaten stark nachgefragt werden – Top­Gehalt inklusive. Hier die Top Ten.

Urban Farmers, 3D

Holographic Designers: Ein Evolutionssprung in der Arbeitswelt führt zu spannenden neuen Berufen.

Jobbörse 66 INNOVATOR

1. Prompt Engineers

Prompt Engineers trainieren Künstliche-Intelligenz-Modelle wie ChatGPT, Midjourney und DALL-E mit Anweisungen, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen. Ein sogenanntes „Prompt“ kann also eine Wortfolge, ein bestimmter Datensatz oder Computercode sein. Künstliche Intelligenz kann nur dann sinnvolle und präzise Ergebnisse ohne Verzerrungen oder falsche Fakten liefern, wenn die Prompts qualitativ hochwertig sind. Mit der steigenden Nutzung von KI steigt naturgemäß auch die Nachfrage nach diesen Experten: US-Konzerne locken Prompt Engineers mit einem Jahresgehalt von 150.000 bis 300.000 Dollar im Jahr. Sie punkten, wenn sie zusätzlich Erfahrungen mit Programmiersprachen wie C++, Python und PHP und im Bereich Machine Learning haben. Neben der Optimierung der Ergebnisse gehören auch Evaluierung und Dokumentierung der Prompts, die Datenanalyse und die enge Zusammenarbeit mit

Wildbeobachtung oder Katastrophenschutz: Drohnen werden immer vielfältiger eingesetzt und brauchen Menschen, die sie fliegen können.

Forschern und Software-Ingenieuren zum Jobprofl. Berufsangebote gibt es auf der globalen Jobbörse promptengineering-jobs.com. Auf dem Marktplatz PromptBase.com kann man vordefnierte Prompts kaufen, die von Profs erstellt wurden.

2. Drohnenpilot

Drohne sein, schätzt eine Studie von Drone Industry Insights. Gefragt sind Drohnen derzeit in der Baubranche, aber auch für Umweltschutzeinsätze, bei Wildbeobachtung und Verkehrskontrollen, in der Energiebranche zur Inspektion von Windkraft- oder Photovoltaikanlagen, in der Agrarwirtschaft zur Schädlingsbekämpfung, in der Meteorologie und im Katastrophenschutz. Auch die Logistikbranche will künftig verstärkt auf Drohnen setzen. Drohnenpiloten sorgen für die einwandfreie Programmierung und Steuerung der Flugobjekte, aber auch für die Messung der entsprechend benötigten Daten und den Transport von Objekten. Derzeit sind Drohnenpiloten als Freelancer gefragt, sie werden aber zunehmend in Vollzeit angestellt, etwa bei Bauunternehmen, in Planungsund Vermessungsbüros, bei Polizei, Militär, Feuerwehr und Rettung, im Security-Bereich oder in landwirtschaftlichen Betrieben. Pficht ist ein Drohnenführerschein, inzwischen gibt es auch Lehrgänge für professionelle Drohnenpiloten. Spannend ist der Beruf für Maschinenbautechniker, Zivil- und Vermessungstechniker, Piloten und Soldaten.

3. KI-/Digitale Forensiker

Sie sorgen in Unternehmen für die Umsetzung von Compliance-Richtlinien und rechtlichen Bestimmungen in Bezug auf IT-Recht und Datenschutz. Im Bereich Cyberforensics analysieren sie Hackerangriffe auf Unternehmen und Datendiebstähle. Wenn etwa das Intranet gehackt, sensible Kundendaten gestohlen wurden oder das selbstfahrende Auto eines

Der gewerbliche Drohnenmarkt wächst rasant. In Deutschland gab es mit Stand Juli 2023 rund 415.400 Drohnen, davon war jede siebte Drohne eine kommerziell genutzte. Bis 2025 soll es bereits jede dritte INNOVATOR 67

Autokonzerns einen Unfall gebaut hat, helfen sie bei der Aufklärung. Sie durchforsten – auch mithilfe Künstlicher Intelligenz – relevante Datenmengen und stellen gelöschte Daten wieder her. Bei der Polizei untersuchen sie digitales Datenmaterial, um Straftaten aufzuklären, sorgen für digitale Spurensicherung, erstellen digitale Doubles von Opfern und Tätern und rekonstruieren Tatorte in 3D-Modellen. Jobs im Bereich Cybersecurity gibt es zunehmend in Konzernen sowie bei entsprechenden Anbietern, bei der Polizei und staatlichen Behörden. Inzwischen werden bereits spezialisierte Studiengänge zu Digitaler Forensik angeboten.

4. 3D Holographic Designers

Die NASA hat kürzlich eine Gruppe Wissenschaftler mittels HoloportTechnologie – einer Mischung aus Teleportation und HologrammTechnologie – auf die Raumstation ISS geschickt. Holoportation-Anbieter Proto beamt Speaker in Echtzeit auf Bühnen und Lehrer in Schulen. Einzug fnden Hologramme auch im Bereich der Produktpräsentation, in der Werbung und Kultur. 3D Holographic Designers sorgen für aufsehenerregende Designs bei interaktiven 3D-Präsentationen, erstellen holographische Projektionen für Meetings, für Bühnenprojekte und Kunstinstallationen oder für großfächige Werbe- und Produktkampagnen globaler Konzerne.

5. Climate Change Manager

Sie unterstützen NGOs, Behörden und Konzerne dabei, ihre Klimaschutzziele auf strategischer Ebene und entlang der Wertschöpfungskette umzusetzen. Sie müssen sich mit Klimaschutzrichtlinien auskennen, CO²-Bilanzen erstellen und Daten

Climate Change Manager beraten

Unternehmen in Klimaschutzbelangen, etwa beim Ausstieg aus fossiler Energie.

analysieren und richtig interpretieren können. Sie koordinieren Transformationsprojekte zum Thema Nachhaltigkeit – beispielsweise den schrittweisen Ausstieg aus fossiler Energie –, managen Nachhaltigkeitsund Umweltprojekte innerhalb des Unternehmens oder unternehmensübergreifend und arbeiten mit verschiedensten Abteilungen und Stakeholdern zusammen. Sie beleuchten Optimierungspotenziale in Sachen Energie und Umweltschutz im Unternehmen, analysieren Daten zu CO²-Emissionswerten und Energieverbrauch, kalkulieren, planen und steuern Klimaschutzprojekte. Sie haben Global Change Management, Nachhaltigkeitsmanagement oder Klimawissenschaften studiert.

6. AR/VR Developers

Der weltweite Augmented- und Virtual-Reality-Markt wird laut Statista für 2023 bei rund 29 Milliarden Euro stehen, bis 2027 soll ein globales Marktvolumen von fast 50 Milliarden erreicht werden. VR-Developer sind also gefragter denn je. Sie bauen Virtual-Reality-Welten für VR-Plattformen wie Metaverse, für VR-Gaming-Anbieter oder für die Industrie und designen neue Produktmodelle in Augmented und in Virtual Reality. Volkswagen hat etwa in der Zentrale im deutschen Wolfsburg ein eigenes Virtual Engineering Lab eingerichtet, in dem ehemalige Gaming-Programmierer an neuen Automodellen arbeiten. Auch im Training on the Job und bei der Einschulung von Produktionsmitarbeitern wird Virtual Reality oder auch Augmented Reality (virtuelle Einspielungen überlappen sich mit der Realität) eingesetzt. VR-Developer sollten sich mit den

Programmiersprachen C# und C++ und 3D-Modeling auskennen und Erfahrungen mit Spiele-Entwicklungsplattformen wie Unity und Unreal mitbringen.

7. Collaboration Manager

Die neue Arbeitswelt stellt das Thema Kollaboration in den Fokus: eine projektbezogene crossfunktionale Zusammenarbeit auf Augenhöhe, bei der verschiedene Berufsgruppen –wie etwa IT-Experten und MarketingProfs – und externe Stakeholder miteinander arbeiten. Diese verwenden jedoch erfahrungsgemäß oft unterschiedliche Fachsprachen, haben eigene Bedürfnisse und Ziele. Collaboration Manager behalten hier den Überblick: Sie etablieren Netzwerke, koordinieren und kommunizieren

Jobbörse 68 INNOVATOR

Die nächste Stufe der Fotografie: 3D Holographic Designer lassen scheinbar reale Objekte frei im Raum schweben.

die Zusammenarbeit zwischen den Projektmitarbeitern im Unternehmen, externen Stakeholdern, Freelancern, Zulieferern und Kunden. Dabei müssen sie die Anliegen und Terminologien der unterschiedlichen Berufsgruppen verstehen und übersetzen. Kontaktfreudigkeit, die Fähigkeit, Netzwerke aufzubauen, adaptive Kommunikation, Fachwissen und Organisationskenntnis sind dabei die gefragtesten Fähigkeiten.

8. Ingenieure für Wassertechnik/Hydrologen

Laut den Vereinten Nationen haben weltweit zwei Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Wasser wird in vielen Regionen immer knapper, gleichzeitig kämpfen ganze Landstriche regelmäßig mit Überschwemmungen. Hydrologen und Ingenieure für Wassertechnik sind für die Wasseraufbereitung, den Rohrleitungsbau,

Wasser ist überlebenswichtig. Hydrologen sorgen dafür, dass uns das kühle Nass nicht ausgeht.

Gemüse und Obst aus der Stadt: Urban Farmers gärtnern mitten in den Metropolen.

für die energieeffziente Gestaltung der Bewässerungssysteme und die Abwasserreinigung zuständig. Sie entwickeln Maßnahmen zum Wasserschutz und zur Reduktion des Wasserverbrauchs. Gefragt sind sie in der Forschung, im regionalen Wassermanagement bei Gemeinden und Kommunen oder in Ländern mit Wasserknappheit. Sie haben ein Studium mit Schwerpunkt auf Gewässerökologie, Hydrobiologie, Wasserbau und Wasserwirtschaft oder Umwelttechnik abgeschlossen.

9. Urban Farmer

Um im Jahr 2050 zehn Milliarden Menschen satt zu bekommen, benötigen wir um 56 Prozent mehr Nahrung, als wir heute für acht Milliarden (vielerorts Hunger leidender) Menschen haben. Gleichzeitig zählt der Klimaschutz: Der Ausbau landwirtschaftlicher Flächen und die CO²-Emissionen infolge weltweiter Obst- und Gemüsetransporte müssen reduziert werden. Urban Farming setzt auf regionalen Agrarbau: Urban Farmers bewirtschaften in Städten und Metropolen der Welt Dachgärten, Vertical Farms, also eigene

mehrstöckige Gebäude, und IndoorGemüseplantagen oder sind auf Aquaponik-Farmen in der Fischzucht spezialisiert. Sie benötigen Wissen über Anbau, Hydrokultur, Vertical Farming, Kenntnisse über einen energieschonenden Betrieb solcher Farmen und eine soziale Ader, da es sich oft um Gemeinschaftsprojekte handelt, an die Läden und Community-Zentren angedockt sind. Der globale Urban-Farming-Markt soll ab heuer bis 2032 jährlich um 5,8 Prozent wachsen – auf 16 Milliarden US-Dollar.

10. Teleoperations/ Telerobotics Specialists

Roboter haben längst Einzug in den Industrie- und Logistiksektor gehalten. Das verändert natürlich die Tätigkeiten des Personals in der Produktion: Die klassischen Arbeiter am Fließband werden durch Roboter und Teleoperations- bzw. Telerobotics-Mitarbeiter ersetzt, die diese Maschinen, Anlagen, Roboter und digitalen Systeme aus der Ferne steuern. In der Logistik sind die Tage der Lkw-Fahrer und Paketzusteller gezählt. Selbstfahrende Transporter können von den Teleoperations Specialists künftig vom Büro aus gesteuert werden. Mithilfe der TelePresence-Technologie kann der fernsteuernde Mitarbeiter sehen, was der Roboter „sieht“ – und sofort reagieren.

Jobbörse 70 INNOVATOR

WAHRHEIT DIE NACKTE

Transparenz als Schlüssel für echten Fortschritt bei Polestar

Die Klimakrise ist keine ferne Bedrohung mehr – sie ist bereits Realität. Der „Pathway Report“, der in Zusammenarbeit von Polestar, Rivian und Kearney erstellt wurde, unterstreicht die dringende Notwendigkeit eines gemeinsamen Umdenkens. Der Übergang zu Elektroautos ist ein Schritt in die richtige Richtung, reicht jedoch allein nicht aus, um den Anstieg der globalen Temperatur auf 1,5 Grad zu begrenzen. Das derzeitige Tempo würde bis 2050 zu einer Überschreitung des Zielwertes um 75 % führen.

Der Bericht weist jedoch auch auf einen Lösungsansatz hin: Neben dem Umstieg auf Elektroautos und dem Ausbau erneuerbarer Energien im Stromnetz ist es gleichermaßen notwendig, die Emissionen in der Produktions­ und Lieferkette zu reduzieren.

Transparenz ist der Schlüssel in allem, was wir tun. Wir teilen unsere Learnings, damit andere es uns gleichtun und wir gemeinsam vorankommen können.

Projekt Polestar 0

Es ist der Versuch einer Mondlandung: Bis zum Jahr 2030 will Polestar ein wirklich klimaneutrales Auto entwickeln –von der Produktion bis zur Auslieferung.

26.1 t co2e

Seit der Einführung des Polestar 2 * wurde der CO²-Fußabdruck kontinuierlich reduziert.

24.4 t co2e

* Long Range Dual Motor

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Polestar macht Lieferketten mit Blockchain transparent. Der schwedische Automobilhersteller strebt umfassende Transparenz im Bereich der Nachhaltigkeit an und veröffentlicht Lebenszyklusanalysen für seine Modelle, die den CO ² ­Fußabdruck der Fahrzeuge aufzeigen. Zudem nutzt Polestar die Blockchain­Technologie von Circulor, um die Herkunft und den Abbau von Rohstoffen rückverfolgen zu können und deren Verarbeitung zu regulieren. Diese digitale Technologie ermöglicht eine unverfälschbare Dokumentation von Transaktionen in Lieferketten. Bei Materialien wie Kobalt liefert sie Informationen über Ursprung, Gewicht, Produktionskette und Einhaltung von Richtlinien. Darüber hinaus garantiert die Technologie die Integrität der Daten. polestar.com

POLESTAR
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2022 2023
23.1
co2e 2021

Change

Erfolg im Blick, Tattoo auf der Brust: Gründer Markus Flossmann, 48, mischt mit „YT Industries“ den Bike-Markt auf.

MIKE MEYER

Ein Mann wirft sich selber raus

Markus Flossmann, Typ Rausschmeißer. Bis er sich selber rausschmiss – aus seinem alten Leben. Und vom Bodybuilding-Meister zum Champ im Bike-Business wurde. Eine Geschichte über die Kraft der Veränderung. Erzählt in sieben Lektionen.

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TEXT Christian Eberle-Abasolo

Baseball-Cap, Vollbart, Tattoos vom Handrücken bis zum Hals. Und dazu ein Brustumfang, der Türsteher zur Seite treten lässt. Nein, dieser Markus Flossmann entspricht nicht den gängigen Gründer-Klischees. Denn Markus Flossmann wollte auch nie Gründer sein – sondern Bodybuilder.

Erst als ein Unfall beim Training seinen Traum detonieren ließ, eröffnete sich ihm ein neuer Weg, der ihn zum erfolgreichen Unternehmer machte: In Taiwan lässt er seine selbst entwickelten Rahmen fertigen, die er seit 2008 unter der Marke YT (Young Talent) Industries vertreibt. Direkt an den Kunden. Ohne Zwischenhändler. Mit einem 200-Mann-Unternehmen mit Niederlassungen auf drei Kontinenten. Tausende Kunden und zahlreiche Stars der Szene vertrauen auf Mountain- und Gravelbikes aus Flossmanns Heimat Forchheim im bayerischen Oberfranken.

Hier zeichnet Markus Flossmann seinen Lebensweg nach. Es ist nicht die glamouröse Geschichte eines Stars, der von ganz unten kam und ganz nach oben fog. Es ist die Geschichte eines Mannes, der sich –beispielgebend für eine Welt grundlegender Veränderungen – selbst neu erdachte. „Und das“, sagt er, „kann jeder schaffen.“ Aber wie?

Lass die alten Bürden los! „Ich war 20 Jahre alt und auf dem Höhepunkt meiner BodybuildingLaufbahn. Fränkischer, bayerischer und deutscher Meister. Während des Trainings für die WM ist es passiert: Kniebeugen mit 212 oder 215 Kilo auf der Stange, einen Moment lang unkonzentriert – und die Stange rollte aus dem Nackenschutz. Es knallte,

ich brach zusammen. Doppelter Bandscheibenvorfall! Ein Dreivierteljahr lang musste ich mich zweimal die Woche ftspritzen lassen, um überhaupt sitzen zu können. Mein Arzt hat gesagt: ‚Markus, lass die Gewichte liegen, mach etwas anderes. Borg dir ein Fahrrad, geh mountainbiken!‘ Ich hab auf ihn gehört und mir von meinem Schwager ein Rad geborgt. Und bald festgestellt: ‚Fuck, das ist geil!‘ Die Jahre davor hatte ich meistens allein im Kellerstudio trainiert, ohne Tageslicht, bis spät in die Nacht. Plötzlich Natur, eine geile Zeit mit Freunden und Sport ohne Schmerzen. Ich hätte mir damals noch nicht ausgemalt, dass das einmal mein Leben wird.“

Kein Aufstieg ohne Basis!

„Ich bin auch nach dem Bandscheibenvorfall in der Fitnessbranche geblieben, habe eine Trainerausbildung gemacht und bei einer deutschen Fitnesskette begonnen. Der Chef hat mich nach kurzer Zeit zum Bezirksleiter gemacht. Klingt gut, war aber eine richtig harte Zeit. Ich war nur im Auto unterwegs, als Bezirksleiter in der Aufbauphase war ich Mädchen für alles: Standorte fnden, Mietverträge verhandeln, Baugenehmigungen einholen, Umbauten organisieren, Mitarbeiter einstellen, Eröffnungswerbung machen und so weiter. Was ich in wenigen Monaten gelernt habe, ist unfassbar. Das lernst du an keiner Uni. In dieser Phase habe ich verstanden, was Marketing heißt. Warum ist jemand bereit, für ein Produkt derselben Qualität mehr Geld auszugeben? Da geht es oft um ein Gefühl der Zugehörigkeit oder einen gewissen Lifestyle. Mein Chef hat mich zum Marketingleiter gemacht, ich hab viel gelesen, viel ausprobiert, viel Lehrgeld bezahlt.“

Der Reichtum muss warten! „Nachdem Fitness zu meinem Beruf geworden war, war sie nicht mehr mein Hobby, Mountainbiking dafür umso mehr: Ich habe mich mit Freunden getroffen, ein bisschen den

__ Die Schwiegermutter des Erfolgs

In Forchheim in der Nähe von Nürnberg liegt der FirmenHauptsitz von YT Industries. Angefangen hat alles ein paar Dörfer weiter weg in Leutenbach in der leer stehenden Wohnung von Martin Flossmanns Schwiegermutter. Dort schraubte er selbst Bikes zusammen, verkaufte sie im Direktvertrieb über das Internet. Seit 2018 sitzt das Unternehmen in zwei Gebäuden, wo es neben Büros, Kundenservice und Wartung auch einen Showroom gibt, in dem die Bikes aus der Nähe begutachtet werden können.

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B
74 INNOVATOR YT INDUSTRIES, PETERJAMISONMEDIA.COM

Das Jeffsy Uncaged 8, ein Sondermodell der All‑Mountain Bikes von YT Industries

Markus war auf dem Weg zum zweiten

Arnie – doch dann sattelte er um. Und wie!

Wald umgepfügt und ein paar Bierchen getrunken. Das war ein Leben! 2008 sah ich dann zwei Jungs auf dem Dirt-Platz bei uns in Forchheim, zwei Fünfzehnjährige, die richtig gut fahren konnten, auf richtig schlechten Bikes. Warum? Weil sie sich ein Dirt Bike nicht leisten konnten. Ich dachte mir, das muss doch möglich sein, und hab mir mit einem Freund eine Alternative überlegt. Wir haben den ersten Rahmen auf ein Butter-

brotpapier gezeichnet, Kontakt nach Taiwan hergestellt und unser Bike direkt an Kunden vertrieben. Nachdem ein Bike-Magazin uns im Test zum Preis-Leistungs-Sieger erklärt hatte, war die ganze Tranche von 150 Bikes ausverkauft. Es blieb zwar nicht viel für uns übrig, aber du musst erst etwas aufbauen, um Traktion zu gewinnen. Im nächsten Jahr haben wir bereits 550 Bikes verkauft, im Jahr darauf 1700. Dass wir dennoch

INNOVATOR 75

chronisch unterfnanziert waren, ist eine andere Geschichte. Es war damals halt schwierig, die Banken zu überzeugen. Ich weiß noch, wie ein Typ von der Sparkasse mich anschaut und sagt: ‚1800 Euro für ein Fahrrad? Das gibt doch kein Mensch aus.‘ Dabei waren wir stolz, dass wir das dreimal so günstig wie die Konkurrenz hinbekommen haben.“

Nichts gut können ist perfekt!

„Nach all den erfolgreichen Designs, Ideen und Kampagnen von YT habe ich gedacht, ich wäre ein unglaublich kreativer Mensch. Bis ich ein HBDIProfl (eine Analyse des Denkstils; Anm.) erstellen ließ. Die Auswertung hat ergeben, dass ich nicht kreativ im eigentlichen Sinne bin, sondern meine Kreativität durch Logik ausschöpfe. Ich sehe Dinge, kombiniere Dinge, adaptiere und schaffe so in

Körper & Kopf

1975: Geboren als Sohn einer alleinerziehenden Mutter in Neustadt an der Aisch bei Nürnberg.

1989: Markus, damals „ein 52-Kilo-Lauch“, entdeckt den Flyer eines Fitness-Studios und beginnt zu trainieren.

1996: Sieg bei der deutschen Meisterschaft im Bodybuilding.

1996: Doppelter Bandscheibenvorfall nach einer Trainingsverletzung.

Ab 1998: Start als Personal Trainer, Bezirksleiter und später Marketingchef von McFit.

meinem Bereich etwas Neues. Ich erfnde nichts Neues. Klingt traurig, aber das ist meine Stärke: Ich kann nichts richtig gut, bin aber auch nirgends richtig schlecht. Ich kenne mich überall so ein bisschen aus, und wenn ich etwas sehe, schießt mir sofort durch den Kopf, wie wir das für uns umsetzen könnten. Daraus macht unser Creative Director dann ein rundes Ding. Dabei ist der Grundgedanke oft simpel: Ich fnde etwas geil – und denke, wenn es mir so geht, gibt es vielleicht noch andere.“

Greif oben ins Regal!

„Viele unserer Ideen sind abends bei einem Bierchen entstanden. Wie bei anderen auch. Aber während viele am nächsten Morgen sagen: ‚Ganz nett, aber lass gut sein‘, sagen wir: ‚Wir machen es!‘ Ich habe gelernt, oben ins Regal zu greifen, wenn ich

2006: Gemeinsam mit Jacob Fatih gründet er Sponsoree, eine Plattform, die Sportler und Sponsoren zusammenbringt.

2008: Vertrieb der ersten Fahrräder – unter der Marke Sponsoree Young Talent Dirtbike.

2016: YT holt als Ausstatter des US-Amerikaners Aaron Gwin erstmals den Gesamtsieg im Downhill-Weltcup und wiederholt diesen Triumph 2017.

2020: Markus tritt als CEO zurück und widmet sich neuen Aufgaben als CVO (Chief Visionary Officer).

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76 INNOVATOR MIKE MEYER
Wie Markus Flossmann seine Kraft transformierte

Die Auswertung seines

Denkprofils ergab:

„Ich bin nicht kreativ!“

Von da an ging es steil bergauf …

etwas haben will. Vielleicht kann ich es mir nicht leisten, vielleicht ist es eine Nummer zu groß, aber ich will zumindest wissen, was draufsteht. Zurückstellen und eine Etage tiefer greifen geht immer noch. Genau so haben wir etwa Christopher Walken für unsere Kampagne gewonnen: Wir haben einen Text über echte Freundschaft geschrieben und gedacht, wie geil es wäre, den von Christopher Walken einsprechen zu lassen. Mit seiner Gänsehaut­Stimme. Unsere Agentur hat mehrmals gemeint, dass wir es gar nicht zu versuchen

brauchen. Der macht keine Werbung, ist zu alt für so was. Wir haben geschafft, dass er das Skript bekommt. Er hat mitgemacht – um eine Summe, die weit niedriger war als erwartet. Bei Mads Mikkelsen lief es ähnlich. Das sind für mich Beweise, dass man erst groß denken soll und sich nicht gleich wieder einschränken.“

Attackiere Probleme frontal! „Wir sind mit YT sehr schnell gewachsen. Die Nachfrage nach unseren Bikes war immer hoch, wir haben uns nur nie die Zeit genommen, Strukturen und Prozesse aufzubauen. So schlitterten wir 2013 fast in die Insolvenz. Wir waren online ausverkauft, und dann meldete sich der Produzent in Taiwan und sagte, es gibt einen ,kleinen Delay‘ von drei Monaten. Eine Katastrophe! Wir hatten Gehälter und Miete zu zahlen, aber keine Einnahmen. Das war eine ungemütliche Zeit, aber eine große Lehre. Jedes Mal, wenn ich nachgefragt habe, ob alles auf Schiene ist, habe ich gehört: ‚No problem!‘ Bis ich

gemerkt habe: ‚No problem!‘ heißt anscheinend ‚No! Problem!‘. Kurz danach haben wir eine Niederlassung in Taiwan gegründet, mit Mitarbeitern, die sich ausschließlich um die Produktionssicherung vor Ort kümmern. Mittlerweile arbeiten allein dort fünfzehn bis zwanzig Leute.“

Ego geht auch ohne CEO!

„Nachdem das Unternehmen so stark gewachsen war, habe ich bemerkt, dass ich mich nur noch mit Dingen beschäftige, die mir nicht liegen und auch keine Freude machen. Finanzierungsgespräche, Supply­Chain­Management und Ähnliches – das waren nicht die Gründe, warum ich mich damals selbständig gemacht hatte. Mein Herz schlägt für Markenaufbau, Produktdesign, Strategie. Ich wusste, dass ich als CEO nicht mehr der Richtige war. Ein guter Unternehmer sollte sich immer Leute mit an Bord holen, die in einzelnen Bereichen besser sind als er. Darauf kommt es an. Pfeif auf dein Ego und hol dir bessere Leute!“

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MEHRWERT! WENIGER IST

Frutura investiert in innovative Verpackungen für weniger Plastik.

Beim steirischen Familienunternehmen Frutura Obst und Gemüse kümmert sich ein Innovationsteam um nachhaltige Verpackungen – zum Schutz von Lebensmitteln und Natur!

te Arbeitsstunden flossen in neue Entwicklungen, wodurch bereits rund 40 Millionen Einzelverpackungen und somit über 200.000 Kilo Plastik eingespart wurden. Frutura-Geschäftsführerin Katrin Hohensinner-Häupl betont: „Nachhaltigkeit und Innovation sind Grundwerte unserer Unternehmenskultur, dazu gehört auch der Mut, neue Wege zu gehen und soziale Verantwortung zu übernehmen.“ Für die neue Verpackung der Blumauer Tomaten tüftelte das Team zwei Jahre lang. „Papier reißt schneller als Plastik, es ist

schwerer zu schneiden, die Geschwindigkeit an den Verpackungsmaschinen muss reduziert werden, es gab viele Herausforderungen zu bewältigen“, so Johannes Haubenhofer, Leiter Einkauf und Entwicklung Ver packungen. Aber: „Damit sind wir einzigartig am Markt. Plastik wäre die einfachste und billigste Lösung, aber wir setzen uns für das Beste für unsere heimischen Produkte und unsere Umwelt ein. Dafür gehen wir gerne die Extrameile.“

Die neueste Innovation: Papierfolie mit Sichtfenster für die Blumauer Tomaten. Frutura ist ein Vorreiter in umweltfreundlicher Landwirtschaft und nutzt Thermalwasser zur Beheizung der „Thermal-Gemüsewelt“, was beweist, dass Ökologie und Ökonomie erfolgreich miteinander vereinbar sind. Mehr als eine Million Euro und hunder- frutura.com

FRUTURA

Waldcampus, Gehirnscan, „säkulare Meditation“: Autorin Nicole Thurn testete für den Innovator Methoden, die unsere grauen Zellen in Schwung bringen.

Nicole die

78 INNOVATOR JULIE BRASS

sucht

Unsere Arbeitswelt verändert sich immer schneller, wird immer dynamischer. Und wer vorne dabei sein (und bleiben) will, braucht vor allem eines: Kreativität. Aber wo versteckt sich die? Und – kann man sie einfangen? Unsere Autorin begab sich auf Forschungstrip. Und wurde fündig!

Kreativität

INNOVATOR 79
TEXT Nicole Thurn

Ist sie gekommen, um zu bleiben? Meine fese Schreibblockade. Der Cursor blinkt monoton auf der weißen Word-Seite. Aber wie und wo zum Teufel fnde ich meine Kreativität? Ein kleines weißes Büchlein auf meinem Schreibtisch markiert den Start meiner Suche. „Musenküsse. Für mein kreatives Pensum geh ich unter die Dusche“ heißt es, versammelt Miniberichte über die größten Künstler des 20. Jahrhunderts und beantwortet die Frage: Wie arbeiteten sie? Unterm Strich kann man sagen: Statt auf Eingebungen beim Waldspaziergang zu setzen, soffen sich diverse Genies durch Tag und Nacht – ob Sartre, Bukowski, Capote oder Highsmith. Irgendwie ernüchternd. Ich frage mich: Waren diese Genies kreativ, weil sie Rauschmitteln zugeneigt waren, oder trotzdem? Und was kann man tun, um das Gehirn in Sachen Innovationsfähigkeit zu tunen? Was sagt die Wissenschaft dazu? (Ach ja, und was tun gegen die Schreibblockade?)

Ich sitze mit diesen Fragen nicht alleine da. Das Gros der Menschheit hat offenbar einen Kreativitätskomplex: Zwei Drittel der Menschen schätzen sich selbst als wenig kreativ ein – vielleicht ja wegen der historischen Genies eingeschüchtert. Gleichzeitig zeigen Studien wie jene der Hirschen Group in Deutschland, dass es primär Kreativität und Innovationskraft sind, die Unternehmen zu wirtschaftlichen Erfolgen verhelfen. Also wo beginnt Kreativität?

Station 1

Nicole sucht den Regisseur ihres Gehirns

IIch google ganz unkreativ die Schlagwörter „Kreativität“ und „Gehirnforschung“ und lerne so Dr. Shelley Carson kennen. Sie forscht an der Harvard University zum Thema und geht davon aus, dass die kognitive Reizflterung bei kreativen Menschen weniger ausgeprägt ist als bei nichtkreativen: Sie nehmen also mehr Sinneseindrücke auf.

Ich möchte gern mehr darüber wissen und vereinbare einen Termin mit Andreas Fink, Psychologe am Institut für Psychologie an der Uni Graz, der seit Jahren die kreative Lösungsfähigkeit des menschlichen Gehirns erforscht. Nun auch meines.

Bei unserem Treffen fnde ich mich rasch in einem weißen, engen Tunnel im MRI-Lab der Uni Graz wieder: umhüllt von TechnoWummern und Tutgeräuschen, die sich in meine Hirnwindungen brennen, mich dank ihrer Monotonie aber angenehm schläfrig machen. Ich erfülle brav, was mir der auf meine

Techbrille projizierte Bildschirm via Textbefehl anweist, nämlich alle paar Sekunden mit der rechten Hand eine Faust zu machen und sie wieder zu entspannen. Draußen drängen sich neugierige Studierende an die Computerbildschirme, auf denen der „motorische Kortex“ meines 3D-Gehirns aufleuchtet. Heißt: Meine Bewegung der Hand lässt sich im Gehirn abbilden.

Ich frage Forscher Fink, ob und wie sich kreative Eingebungen mit Hirnforschung erklären lassen. „Ein Heureka-Moment lässt sich im Hirnscan nicht erwischen“, sagt Fink. Stattdessen prüfen Forscher, wie Probanden schwierige Problemaufgaben lösen. Die Erkenntnis bisher: „Bei der Kreativität kommt es auf das Stadium des Denkprozesses an. Beispielsweise ist beim Fokussieren und Auswählen von Lösungen der Frontalkortex beteiligt, der größte Teil der Gehirnstruktur, gerne auch als Regisseur im Gehirn bezeichnet“,

Vor dem Gehirnscan: Nicole Thurn und Psychologe Andreas Fink am Institut für Psychologie der Uni Graz

Selbstversuch
die Monotonie beim Brain-Scan angenehm schläfrig.
Techno-Wummern, mein Hirn brennt. Doch dann macht mich
80 INNOVATOR NICOLE THURN

so der Forscher. Wenn ich aber meinen Gedanken freien Lauf lasse, ist der Parietalkortex beteiligt, der dahinterliegt, erklärt er. Und: „Wenn ich mir etwas vorstelle oder tagträume, ist der visuelle Kortex, ein Teil der Großhirnrinde, aktiv. Das kreative Denken ist also sehr komplex, und es sind unterschiedliche Netzwerke von Hirnregionen beteiligt“, sagt Andreas Fink. Ganz schön vielschichtig. Zwei wesentliche Merkmale von Kreativität in der Praxis sind laut dem Psychologen „die Originalität und die Brauchbarkeit samt Effzienz, um ein Problem zu lösen“.

Beides braucht man sogar im Fußball, um überraschende Tore zu erzielen. Finks derzeitiges Forschungsprojekt zu kreativer Lösungskompetenz beim Kicken scheint auch bisherige Erkenntnisse zu bestätigen: „Sport kann die Problemfxiertheit lösen und die kreative Lösungsfndung verbessern“, sagt Fink. Regelmäßiges Laufen könne chronischen Stress reduzieren – der wiederum ein Kreativitätskiller ist. Bewegung macht Menschen umgekehrt aber noch nicht zu Kreativgenies: „Wir wissen noch nichts über Dosis und Wirkung – und es gibt auch andere Ansätze, die ebenfalls gut wirken“, betont Fink. Wichtig sei, sich mit anderen über Ideen auszutauschen, viel zu recherchieren und Kreativmethoden und -techniken anzuwenden.

Brainstorming als klassischer Motor der Geisteskraft? Irrtum!

Station 2

Nicole sucht nach dem kreativen Gruppenerlebnis

Nur: Welche Kreativitätstechniken sind tatsächlich wirkungsvoll? Ich stoße im Netz auf das Handbuch „Creability“, geschrieben von Martin Eppler, Kommunikationsprofessor an der Universität St. Gallen, gemeinsam mit Kollegen. Alle darin beschriebenen Übungen und Methoden haben die Autoren in ihren Kreativund Innovationstrainings in Unternehmen jeder Größe getestet. Einige haben sie selbst erfunden, andere adaptiert (die besten Techniken siehe creability.ch)

Kreativität habe nichts mit begnadeten Genies zu tun, sagt Martin Eppler. „Sie ist eine Frage des Habitus, der Praktiken und Routinen, die

man etabliert hat.“ Er will den Menschen die Ehrfurcht vor dem Thema nehmen: „In unseren Trainings gibt es immer dieselbe Barriere: Die Teilnehmer sagen, sie seien nicht kreativ. Dieses falsche Selbstverständnis hebeln wir schon mit den ersten Einstiegsübungen aus“, sagt Eppler.

Als wohl schlechteste Kreativitätsmethode bezeichnet er die weltweit gängigste: das Brainstorming, aus Epplers Sicht ein Tool zur Pseudokreativität. „Spontanes Brainstorming in der Gruppe hemmt die Diversität der Gruppe und erzeugt gerade bei introvertierten Menschen eine Selbstzensur. Und: Man kann schlecht gleichzeitig anderen zuhören, ihre Ideen beurteilen und dann noch selbst eigene Ideen entwickeln“, sagt Eppler. Viel besser sei

„Es ist ein Tool zur Pseudokreativität“, sagt Kommunikationsforscher Martin Eppler.
INNOVATOR 81
„Bei introvertierten Menschen führt es zur Selbstzensur.“

der Prozess „Think – Pair – Share“: „Allein Ideen sammeln, zu zweit weiterentwickeln und erst dann im Team besprechen.“ Er rät außerdem zu kreativen Aufwärmübungen, ehe man sich ans Ideenentwickeln macht.

Diverse Studien zeigen laut Martin Eppler: Überdurchschnittliche Kreativität entsteht, indem eine Idee immer weiter entwickelt wird. „Manchmal muss man Ideen auch zerstören können“, sagt er. Auch das üben die Teilnehmer in seinen Trainings: Sie arbeiten 15 Minuten lang an einer Idee, präsentieren sie vor der Gruppe – und müssen sie dann buchstäblich in der Luft zerreißen. „Das verhindert, dass sich die Leute zu sehr in die eigene Idee verlieben.“

Station 3

Nicole sucht nach der Inspiration der Kunst

Aber wie sieht das Thema Kreativität eigentlich eine echte Künstlerin?

Ich treffe Adia Trischler bereits beim Aussteigen aus der U-Bahn, lachend nimmt sie die Airpods ab: „Ich höre gerade einen afrikanischen Beat, der meine Kinder auf die Palme bringt.“

Adia Trischler ist Stylistin, Art Director, Videoregisseurin und Drehbuchautorin, sie gestaltet eine YouTubeSerie über Wiener Plätze – und sie war sogar persönliche Stylistin von Hip-Hop-Ikone Lauryn Hill.

Im Wiener Museumsquartier erzählt Adia Trischler, dass sie sich kürzlich eine Farm mit 40 Hektar Land in New Mexico gekauft hat: „Ein magischer Ort, an dem ich mich zuhause fühle. Ich will mich dort mit der Natur verbinden und Künstler-Retreats organisieren.“ Trischler wurde in Chicago geboren, wuchs in New York auf, ehe sie der Liebe wegen nach Wien ging. Zwei Kinder und eine Scheidung später wird sie

sich demnächst als Dorfeinwohnerin Nummer 97 zwei Ziegen mit ihrem Nachbarn, einem Freund, teilen. Ich bekomme Lust, abzuhauen und es ihr gleichzutun, frei, wild, raus aus dem Alltag.

Was sie mir auch erzählt: Sie ist ein „wandelnder Kreativitäts-Genpool“. Adia wurde adoptiert und vor einem Jahr nach einem DNA-Test von ihrer leiblichen Tante kontaktiert.

So lernte sie ihre Eltern kennen, die, kurz bevor Adia geboren wurde, ein wildes Partyleben als Künstler geführt hatten. Ihr Vater war auch Art Director. Sie selbst ist in einem streng christlichen Elternhaus groß geworden, gegen das sie als junge Frau rebellierte. Der Zauber liegt also in der Genetik? „Defnitiv“, sagt Adia. Und glaubt gleichzeitig: „Jeder Mensch ist kreativ. Als kleine Kinder wollen wir Neues erschaffen, spielen und ausprobieren. Dieser Teil wird irgendwann von uns abgeschnitten. Künstler haben es geschafft, damit verbunden zu bleiben.“

Nicole Thurn (r.) mit Art Director und Regisseurin Adia Trischler im Innenhof des Wiener Museumsquartiers

Grüne Wiese, minimalistische Architektur mit viel Glas: der Workation Campus im Nationalpark Gesäuse

„Ich bin ein wandelnder Kreativitäts-Genpool“, sagt Regisseurin Adia. Ihr Tipp: „Bleib stets mit deinem inneren Kind verbunden.“
82 INNOVATOR NICOLE THURN, TIM ERTL

Derzeit arbeitet Adia Trischler an einem Filmprojekt über den Schönheitsfaktor Haar. Dabei streicht sie sich über ihren Zehn-Millimeter-AfroBuzz-Cut und grinst: „It’s too long, I have to shave it.“ Ich fühle mich von Adias erfrischender Art belebt, schwebe inspiriert von dannen und spinne noch tagelang Ideen über exotische Orte, an denen ich arbeiten und leben könnte. Bali, Galapagos oder doch New Mexico?

Station 4

Nicole sucht nach dem Motor der Natur Es muss ja nicht gleich der Umzug in ein anderes Land sein. Manchmal hilft auch ein Ortswechsel, der Urlaub und Arbeit miteinander verbindet: „Workations“ sind seit der Pandemie im Trend. Ganz entspannt dort arbeiten, wo andere Urlaub machen, das soll die Synapsen entlüften. Ich beschließe, meine Kooperationspartnerin Julia zu besuchen.

Sie ist Community & Location Managerin beim österreichischen Start-up Emma Wanderer, das im August am Rande des Nationalparks Gesäuse in Hieflau einen Workation Campus eröffnet hat. Hierher kommen Teams und Führungskräfte, um mitten in der Natur Kreativworkshops und Strategiemeetings abzuhalten. Das Ziel: Erholung, Auslösung neuer Impulse, neuer Ideen, dabei am Lagerfeuer und auf Wanderungen als Team zusammenwachsen.

Julia, die eigentlich in Wien wohnt und den Campus im Sommer als Managerin interimistisch übernahm, hat eine Veränderung an sich bemerkt: „Mein Stresslevel ist heruntergefahren – und das, obwohl ich hier viel weiterbringe und mit tausend Sachen beschäftigt bin“, erzählt sie mir über einem Teller Kasnocken im urigen Dorfwirtshaus. Ich habe am Vortag mein Tiny House bezogen: weiß geöltes Holz, modernes Bad und Küche, eine Glasfront gibt den Blick auf Bäume und Büsche frei. Hier schreibe ich an meinen Texten, halte Calls mit Kunden und Interviewpartnern ab. In der Pause bin ich mit wenigen Schritten im Wald, vorbei am hölzernen Haupthaus mit den Meetingräumen und dem Coworking Space; ich atme die glasklare Luft fernab der drückenden Schwüle in Wien, lasse mich auf einem bemoosten Felsen nieder und notiere meine Ideen zu einem Event-Konzept in mein Smartphone. Etwas später wandere ich durch mannshohes Gras, vor mir erheben sich Berge als Einstieg in den Nationalpark Gesäuse. Zurück im Tiny House, klopfe ich weiter mein Konzept in meinen Laptop. Dann lehne ich mich zufrieden zurück und blicke hinaus ins Grüne. Ich habe mein Tagwerk vollbracht, gefühlt ohne Anstrengung. Tatsächlich ein wenig wie Urlaub.

Selbstversuch
INNOVATOR 83
Licht, Grün, und in der Pause stehe ich einfach im Wald. Alles ist hier so geruhsam – doch die Gedanken fließen wie ein Gebirgsbach.

Station 5

Nicole sucht nach der Kraft der Entspannung Workations sind schon toll, aber nicht ständig möglich. Was, wenn wir Stress im Job reduzieren und den Freiraum im Kopf ausweiten, indem wir einfach weniger arbeiten? Mir fällt die Firma eMagnetix ein – die Vorzeigefrma hat bereits im Jahr 2018 die 30-Stunden-Woche unter dem Hashtag #30hsindgenug eingeführt. Ich kontaktiere CEO Klaus Hochreiter und vereinbare mit ihm einen Termin für einen Lokalaugenschein.

Bad Leonfelden ist ein beschaulicher Ort nahe Linz, ein Marktplatz mit Eiscafé und steinerner Kirche. Dass dort ums Eck auch einer der innovativsten Arbeitgeber Österreichs samt „Great Place to Work“Auszeichnung beherbergt ist, würde man nicht vermuten. Dank Homeoffce stehen einige Arbeitsplätze bei eMagnetix leer, außer mittwochs, da ist Bürotag für alle. Hochreiter hat hier 2018 mit seinem Team die 30-Stunden-Woche eingeführt – bei vollem Lohnausgleich. „Wir haben Zeitfresser im Unternehmen identifziert und unsere Arbeitsprozesse zum Teil digitalisiert“, erzählt er. Die Mitarbeiter arbeiten fexibel, mit einer Gleitzeit von 9 bis 22 Uhr, und können wöchentlich neu entscheiden, ob sie eine Vier- oder Fünf-TageWoche wollen. Die Produktivität hat laut begleitender Studie um bis zu 34 Prozent zugenommen, ebenso die Zufriedenheit der Mitarbeiter. Und: „Auch die kreative Problemlösungskompetenz, die wir als Digitalagentur täglich brauchen, ist gestiegen“, sagt Hochreiter. Die besten Ideen hat er selbst auf seinen nachmittäglichen Radtouren. Möglich ist das durch viel Freizeit: Zu Beginn seines Unternehmertums hatte Klaus Hochreiter rund 100 Stunden die Woche gearbeitet, heute sind es 35 bis 40 Wochenstunden. „Beim Radfahren und Laufen komme ich auf so viele Ideen, die ich unter Druck am Schreibtisch niemals hätte“, sagt er. Seine Frau nennt ihn liebevoll „Diktator“: „Weil ich – zurück vom Sport – meine Ideen sofort ins Smartphone diktiere“, erzählt er.

Das Gespräch löst in mir Entscheidungen aus. Erstens: meine Arbeitsprozesse weiter zu automatisieren,

um Zeit zu sparen. Und mein schlechtes Gewissen zu begraben, wenn ich zwischendurch Pause beim Sport oder in der Natur mache – einfach weil Erholungsphasen ähnlich wie bei Athleten Teil der Arbeit sind. Die Kraft der Entspannung sozusagen.

Station 6

Nicole sucht nach der Magie des Moments Zurück in Wien, lasse ich meinen Ideen Taten folgen und gehe in ein Meditationszentrum, begebe mich in die Obhut von Mona Schramke. Monas Worte schwappen wie sanfte Wogen in den weißen unendlichen Raum zwischen meinen Ohren. Sie spricht vom Boden, der als Fundament Ordnung schafft, und vom luftigen Chaos, in dem auch Freiheit steckt. Ich dehne mich im weißen Raum aus, Stille.

Jetzt höre ich von weither Klangschalen-Sounds an mein Ohr wabern. Dann zischen plötzlich meine Gedanken in den Raum wie bunte Pfeile. Ich denke, dass ich das Denken stoppen muss. Nach der Meditation fühle ich mich entspannt, ein bisschen entrückt. Der Trance-Effekt ist in der Gruppe, samt angeleiteter Meditation, deutlich stärker als bei meinen morgendlichen Meditationen zu Hause. Aber auch dort merke ich: Gedanken fügen sich wie von selbst,

Am Ende am Boden: Nicole Thurn, leicht entrückt, aber hoch inspiriert im Meditationszentrum

Selbstversuch
Kreativität ist kein Urknall, kein planbarer Kunstgriff. Kreativität ist ein Puzzle mit unzähligen Teilchen, die unsere Denkmuster aufbrechen.
84 INNOVATOR JULIE BRASS

Operation Ooom: Begleitet vom Sound der Klangschalen zischen meine Gedanken wie bunte Pfeile.

Texte fießen später leichter. Wichtig ist: Ich darf nicht sofort ins denkstarke Tagesgeschäft überwechseln, dann ist der Effekt rasch verpufft. Die ausgebildete Schauspielerin Mona Schramke kam zur Meditation, weil sie ihre Präsenz auf der Bühne verbessern wollte. Mit ihrem Bekannten, einem Psychotherapeuten, machte sie sich 2011 auf die Suche nach säkularen Meditationskursen in Wien – und fand nichts. Also beschlossen die beiden, selbst Kurse abzuhalten. 2011 gründeten sie ihr Meditationszentrum, das heute Meditas heißt, nahe dem Stephansdom in Wien. Mona legt Wert auf den Begriff „säkular“. Es geht darum, wahrzunehmen und anzuerkennen, was gerade ist. „Unsere Kreativität fnden wir, wenn wir uns mit unserer Schöpfungskraft verbinden“, sagt sie. Und die fnden wir immer nur im Moment. „Nur sind wir meist mit den Gedanken entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft“, sagt sie. Teilnehmer Johannes erzählt, dass er regelmäßig an den Gruppenabenden teilnimmt, „um mehr Klarheit zu bekommen. Dadurch werde ich auch kreativer.“ Ich beschließe, demnächst wieder vorbeizukommen.

Denn was mein Experiment zeigt: Egal welche Wege zu mehr Kreativität es sind, sie alle haben ihren Sinn und sind kleine Puzzleteile, die das Leben, das Denken und die Arbeit kreativer machen können. Die eine Lösung gibt es nicht – es sind viele Aspekte, die unsere Denkmuster aufbrechen können; und Inspiration wartet hier tatsächlich an jeder Ecke. So, ich geh dann wieder meditieren und nach der Arbeit laufen. Und danach entsteht dieser Text. Ohne Umwege, ohne Blockaden.

Nicole Thurn ist Journalistin, Consultant und Gründerin des Portals newworkstories.com. Wenn die 43-jährige Steirerin und Wahl-Wienerin nicht gerade neue Arbeitstrends recherchiert oder irgendwas Verrücktes testet, findet man sie am ehesten im Wienerwald, am Attersee oder am Meer.

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Guide

von richtig guten Leuten

INNOVATOR
INNOVATOR 87 GETTY IMAGES

Gregor Demblin in einem Exoskelett, das es ihm trotz Lähmung ermöglicht, zu gehen.

Zwei Schritte zurück ins Leben

Erster Schritt: Ein Wiener macht den Arbeitsmarkt behindertengerecht.

Zweiter Schritt: Ein globaler Lauf-Event forciert die Rückenmarksforschung.

Es passierte, als Gregor Demblin 18 Jahre alt war: ein Unfall beim Schwimmen in Griechenland. Nottransport ins Wiener AKH. Mehrere Operationen. Dann die Diagnose der Ärzte: Querschnittslähmung. Ohne eine reale Chance auf Genesung. Seither sitzt der heute 45­jährige Demblin im Rollstuhl.

In den ersten Monaten verzagte der Wiener, wurde depressiv, wollte sein neues Leben nicht akzeptieren. Er wusste nicht, wie es mit ihm weitergehen sollte. Und warum. Bis er sich aufraffte und einen neuen Sinn im Leben fand: für jene zu kämpfen, die ein ähnliches Schicksal teilen. Mit mehreren Initiativen verhalf der dreifache Familienvater bereits tausenden Menschen mit Behinderung zu einem Job. Er arbeitete auch mit zahl­

reichen Großbetrieben zusammen, um innerhalb der Firmen ein Klima der Awareness zu schaffen. ÖBB, Post, Erste Bank und viele andere große Unternehmen kooperierten bereits mit Demblin.

Der studierte Philosoph ließ parallel dazu nichts unversucht, um selbst einmal wieder gehen zu können. Nach zwei Jahren intensiver Physiotherapie blieb dieses Ziel allerdings unerreicht.

Doch 2017 entdeckte der Wiener das sogenannte Exoskelett für sich, eine komplexe, roboterartige Maschine, die Querschnittsgelähmte am Körper tragen

Mr. Barrierefrei

Gregor Demblin wurde 1977 geboren und ist seit einem Unfall querschnittsgelähmt. Der Wiener ist einer der profiliertesten Social Entrepreneurs im deutschsprachigen Sprachraum.

Seine Firmen Career Moves und myAbility setzen neue Maßstäbe im Bereich Barrierefreiheit. Demblin erhielt zahlreiche Preise.

Mobility
88 INNOVATOR ACHIM BINIEK, MATTHIAS HESCHL FOR WINGS FOR LIFE WORLD RUN, EKSO BIONICS GUNTHER MÜLLER

Beim diesjährigen

Wings for Life World Run versammelten sich

13.500 Menschen beim Start in Wien zwischen Burgtheater und Rathaus.

und dadurch aufrecht stehen und sogar gehen können. Das Exoskelett war für Demblin ein Gamechanger. Endlich konnte er wieder auf Augenhöhe mit anderen kommunizieren. Und genau dieses Gefühl wollte er auch anderen Querschnittsgelähmten ermöglichen. Er initiierte das Projekt „tech2people“, das nach mehreren Jahren in Wiener Krankenhäusern ab Herbst 2023 einen fxen Standort in der Wiener Seestadt Aspern haben wird. Dort können Behinderte nicht nur mit dieser hochkomplexen Maschine vertraut werden. Sie erhalten auch modernste Angebote in den Bereichen Neuro­, Physio­ und Ergotherapie. Zusätzlich werden durch ein neues Softwareprogramm auch kleine Erfolge in der Physiotherapie leichter messbar.

Wings for Life World Run

Alle Vorab-Infos zum Lauf-Event 2024: wingsforlifeworldrun.com

Der Lauf der Hoffnung

Um Menschen, die im Rollstuhl sitzen, eine neue Perspektive zu geben, geht es auch beim Wings for Life World Run. Die Idee dahinter: Weltweit nehmen Menschen zur gleichen Zeit an einem Lauf teil, die Einnahmen daraus kommen ausschließlich der Rückenmarksforschung zugute. Der Wings for Life World Run fand im Mai 2023 zum zehnten Mal statt und war ein Riesenerfolg. Weltweit gab es 206.728 registrierte Teilnehmer, über 52.300 davon in Österreich, die erzielte Spendensumme betrug mehr als fünf Millionen Euro.

Ein Exoskelett stützt den Körper und ermöglicht durch elektrisch betriebene Motoren ein sicheres Stehen und Gehen. Die Arbeit der Muskeln wird teilweise oder auch komplett ersetzt.

Kommendes Jahr fndet der Run am 5. Mai statt, gestartet wird um exakt 13 Uhr MESZ. Die Registrierung zur Teilnahme via App oder einen der physischen Läufe in Städten wie Wien ist noch nicht geöffnet, Vorabinfos gibt es aber bereits.

Mitmachen beim Wings for Life World Run können alle, egal ob sie gehen, laufen oder rollen. Auch die Länge des Runs ist individuell bestimmbar, denn jede/r ist im Ziel, sobald das Catcher Car, die mobile Ziellinie, ihn/sie eingeholt hat. Bis Mai 2024 ist noch ausreichend Zeit, sich für das Event in Form zu bringen. Und Gründe für eine Teilnahme gibt es ausreichend. Denn 100 % der Startgelder gehen an die Wings for Life Stiftung und ihr Ziel, biologische Heilmittel für Menschen mit Rückenmarksverletzungen zu fnden. Und es geht auch um die eigene Gesundheit. Alles in allem ein Riesenschritt.

INNOVATOR
INNOVATOR 89

Großer Andrang beim Testen virtueller Welten im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern, dem meistbesuchten Museum der Schweiz.

Tauch ein ins wilde Wunder!

Die Sonderausstellung der Red Bull Media World „WATER – BREAKING THE SURFACE“ in der Schweiz macht extreme Wassersportarten und den Hochleistungssport der Red Bull­Stars erlebbar.

Mittendrin statt nur dabei

Defnitiv ein Highlight ist die 360-GradVirtual-Reality-Dokumentation „The Art of Falling“, die den High-Diver Jonathan Paredes auf der Red Bull Cliff Diving World Series um die Welt begleitet. Mit einem einfachen „Hello“ begrüßt einen Jonathan, der am Rand eines Lochs steht – über einer Cenote, einer Karsthöhle. Bevor man richtig weiß, was los ist, springt der mexikanische Red Bull Cliff Diving Champion. Später steht man neben ihm auf dem Sprungturm, unten

eine jubelnde Menge. Man möchte ihm noch auf die Schulter klopfen, Mut zusprechen. Und gleichzeitig stillhalten, um seine Konzentration nicht zu stören, während die Spannung steigt. Dann springt er. Und du springst mit. Während Jonathan Drehungen und Salti vollführt, bleibst du an seiner Seite, siehst ihn aus nächster Nähe, rast mit bis zu 85 Stundenkilometern auf das Wasser zu, bis zum Eintauchen. Da hält man automatisch mit die Luft an. Um dann ganz tief durchzuatmen.

High-Diving hautnah

Für Menschen mit Höhenangst mag dieser Gang hart sein – auf die Absprungrampe des Red Bull Cliff Diving-Events in Sisikon am Urnersee. Mit VR-Brille und Kopfhörern ausgestattet, gehst du durch den Gang in der Felswand, dem Original nachgebaut, wie ihn die Top-Athletinnen ebenfalls durchschreiten. Auf der einen Seite die Wand, auf der anderen Seite geht’s steil bergab, im Wasser unten treibt das anfeuernde Publikum auf Booten. Musik, Eventstimmung, und du stehst oben. Traust du dich bis zum Rand der Plattform?

Events
90 INNOVATOR NICOLE RÖTHELI/RED BULL CONTENT POOL, ROMINA AMATO/RED BULL CONTENT POOL ANNA MAYUMI KERBER
Cliff-Diverin Rhiannan I≠ land und Big-WaveSurferin Justine Dupont testen „Icaros Cloud“.

Red Bull Media World

Verkehrshaus der Schweiz Luzern Entdecke die interaktiven Erlebnisse von Red Bull im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern: ganz einfach den QR-Code scannen!

Weitere Erlebniswelten

RED BULL THE EDGE

Einmal ganz oben auf dem Matterhorn stehen – das geht mit diesem weltweit einzigartigen VR-Klettererlebnis: Dank moderner TrackingTechnologie, VR-Brille, Windsimulationen und Geräuschkulisse verschmelzen Realität und Simulation in ein einzigartiges Abenteuer.

RED BULL WORLD OF RACING Original-Boliden bestaunen oder in einer F1-Box die größten Momente Max Verstappens nachempfinden, einen echten F1-Reifenwechsel absolvieren oder mit dem RacingSimulator die bekanntesten Motorsportstrecken der Welt entdecken.

Wellenreiten und Apnoe-Tauchen

Körpereinsatz ist gefragt, bei diesen zwei interaktiven Erlebnissen: Auf der „Icaros Cloud“ gilt es, beim virtuellen Wellenreiten das Gleichgewicht zu halten. Mit der „Icaros Pro“ tauchst du durch Ringe am Meeresboden einer virtuellen Unterwasserwelt – ein kniffliges Ganzkörper­Workout.

Auch Big­Wave­Surfen ist Thema in der Ausstellung, denn wir kennen und bestaunen sie alle: Fotos und Videos von riesigen Wellen – und die Superheldinnen, die sie reiten. Doch hast du schon mal darüber nachgedacht, dass diese Superhelden auch Helfer haben? Big­Wave­Surfen ist nämlich Teamsport. Die „Water“­Sonderausstellung bringt dich nach Nazaré in Portugal, wo du es mit riesigen Wellen aufnimmst. AR­Technologien und Bewegungssensoren stellen das irre Größenverhältnis von dir zur Welle dar. Dann stürzt eine der Pro­Surferinnen! Nun liegt es an dir, sie aus dem Wasser zu ziehen.

Was ist 8D­Sound? Etwas für Profs. Für uns Laien, die sich die Kopfhörer vor der eindrücklichen Foto­Slideshow aufsetzen, eröffnen sich, simpel ausgedrückt, neue auditive Dimensionen. Man hört das tosende Rauschen des Sturzbachs, sieht das Brechen der Wellen an schroffen Klippen oder den Hall in einer Eishöhle, wenn die Tropfen fallen. Willkommen in der Wasser­Wunderwelt!

INNOVATOR
Jonathan Paredes bei der Red Bull Cliff Diving World Series in Sisikon
INNOVATOR 91

Rot sehen –aber richtig!

Profi-Biohacker Andreas Breitfeld zeigt uns Gadgets, die unser Leben verbessern.

Dieses Mal: wie wir unsere inneren Batterien mit Rotlicht aufladen.

Rot to go –dieses mobile Lichtgerät kann man sich ganz einfach umschnallen.

Dass Licht einen ganz starken Einfuss auf unser Leben hat, wussten schon die alten Ägypter – sie nutzten die natürliche Heilkraft der Sonne schon sehr clever. Heute, tausende Studien später, wissen wir, welcher Anteil des natürlichen Lichtspektrums welche Wirkungen in unserem Körper auslöst. Besonders wertvoll: das Rotlicht, das wir in der Natur während des Sonnenauf­ und ­untergangs wahrnehmen. Die erwiesenen Benefts: ver­

Gadget-O-Meter für jedermann für Freaks

besserte Wundheilung, Linderung bei Darmproblemen und PMS, beschleunigte Regeneration nach dem Sport, Linderung von Entzündungen und Schmerzen und noch vieles mehr. Selbst an der Universität von Oxford nutzt man inzwischen Rotlicht zur Verbesserung des Sehvermögens im Alter.

In meinem Lab steht ein Gerät in der Dimension eines Schneewittchensargs, in dem ich zwei besonders wertvolle Frequenzen (630 und 815 Nanometer) für mich nutze. Zu Hause und auf Reisen verwende ich – genau wie viele meiner Kunden – eine schlaue Alternative: den Flexbeam, ein handliches Gerät, das man sich an der gewünschten Körperstelle umschnallen kann.

495 Euro; recharge.health

Andreas Breitfeld nimmt als Biohacker seine Gesundheit manchmal selbst in die Hand – und überprüft für uns und seine Videoserie in seinem Labor Health-Gadgets. Code scannen und ansehen:

Biohacking - Gadget
Wissenschaft Esoterik Schnäppchen Luxus 92 INNOVATOR KLAUS
PICHLER, NORMAN KONRAD

DAS EVENT FÜR UNTERNEHMER:INNEN UND GRÜNDER:INNEN BIS 40

FREIER EINTRITT

WEITER SPEAKER u.a. MIC HIRSCHBRICH, VERENA-KATRIEN GAMLICH, JOHANNES BRAITH, RICHIE PETTAUER, uvm.

KILIAN KAMINSKI CO-FOUNDER VON REFURBED

Partys der Pioniere

So gründest du dein Start-up, so findest du dich in den neuen Arbeitswelten zurecht, so rettest du das Klima – sechs Pflichttermine.

und 13. Oktober 2023

Das 13. Austrian Innovation Forum, also das Jahresforum für Innovation in Unternehmen, findet Mitte Oktober im ERSTE Campus Wien statt. Besucher können mit mehr als zweihundert Geschäftsführerinnen und Unternehmern in diversen Panels über Innovation, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft diskutieren. Außerdem wird im Zuge des Events der Iceberg Innovation Leadership Award verliehen.

austrian-innovation-forum.at

bis 16. November 2023

Die „New York Times“ nannte den Web Summit das „Konklave der Hohepriester der Tech-Industrie“. Jedes Jahr kommen in Lissabon (hier ein Bild vom Vorjahr) die führenden Köpfe der Tech-Branche zusammen und diskutieren die Zukunft des Planeten. Heuer in Lissabon dabei: Comedian Amy Poehler, Deutschlands Vizekanzler Robert Habeck oder der Vizechef von Microsoft, Brad Smith. websummit.com

Oktober 2023

Wer von seinem eigenen Unternehmen träumt oder davon, wie es richtig abheben kann – der ist hier genau richtig: Der Tag der Jungen Wirtschaft ist das größte Wiener Info-Festival für Gründerinnen und Jungunternehmer. Hier gibt es alle Infos rund um die Organisation und Führung eines Unternehmens. In spannenden Keynotes, Info-Talks und Panels informieren die Speaker darüber, wie man seine Ideen umsetzen kann, die Finanzierung stemmt und sich selbst dabei motiviert. Landesvorsitzender Clemens Schmidgruber (Foto oben links neben den anderen Vorstandsmitgliedern) will dabei auch eine „neue Kultur des Scheiterns“ etablieren, wonach jeder Fehlschlag auch ein Learning darüber sei, wie man es beim nächsten Versuch gleich viel besser machen könne. Er selbst hat 2015 mit „Helferline“ ein Start-up gegründet und aufgebaut. jungewirtschaft.at

17. 12.
13.
Event-Tipps 94 INNOVATOR FLORIAN WIESER,
SPORTSFILE, MARCELLA RUIZ CRUZ

Oktober 2023

Ob Tijen Onaran, Gründerin der Global Digital Women (im Interview ab Seite 66), Philosophin Lisz Hirn oder Designerin Marina Hörmanseder – sie alle werden beim Female Future Festival Vienna (im Bild oben: links die deutsche Journalistin Eva Schulz beim Event 2021) in der Ottakringer Eventlocation in Wien spannende Impulse geben. Unter dem Motto „Level up! Neue Arbeitswelten“ wird den Fragen nachgegangen: Wie sieht der Arbeitsplatz der Zukunft aus? Wie wichtig wird Mental Health? Was gehört zum Employer Branding? female-future.com

3. 2.

und 3. November 2023

Das Motto der Unido, der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung, lautet „Fortschritt durch Innovation“ – und unter dieses Motto stellt sie das neu gegründete Internationale Wiener Energie- und Klimaforum in der Hofburg. Die Idee? Weniger Angst vor der Zukunft dank innovativer Lösungen. Die da wären? Das präsentieren mehr als tausend internationale Experten – und zwar mit zwei Schwerpunkten: Bekämpfung des Klimawandels und Wege zur grünen Energiewende. Diskutiert mit! ivec.org

und

4. Oktober 2023

Schon klar, die Revolution Künstliche Intelligenz (KI) ist gekommen, um zu bleiben. Doch wie damit umgehen? Die „Expedition KI – Flugplan für Künstliche Intelligenz in der Praxis“ will in einem Event am Wiener Flughafen Unternehmen die Möglichkeit geben, sich mit KI-Anwendungsfällen auseinanderzusetzen. Dabei sollen Mythen entlarvt und praxisnahe Anwendungsmöglichkeiten in Form von Keynotes, Start-upPitches und interaktiven Workshops vorgestellt werden. expedition-ki.b2match.io

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5. INNOVATOR

Die Kraft, die aus der Sorge wächst

Unsere Ängste beweisen, wie phantasievoll wir sind –sagt Top-Speaker und Startup-Gründer Ali Mahlodji. Und verrät, wie Kreativität daraus wird.

Es gibt einen großen Unterschied zwischen uns Menschen und den Tieren. Nein, nicht dass wir ständig am Handy hängen, sondern dass wir in die Zukunft denken können. Wenn Tiere in einer Notsituation sind, fiehen sie, und wenn die Gefahrensituation gebannt ist, gehen sie wieder in den Entspannungsmodus zurück. Sie machen sich nicht, wie wir Menschen, Gedanken über andere mögliche Sorgen, sondern tun, was Tiere tun: essen, schlafen und sich fortpfanzen. Sollten wir Menschen eigentlich auch in erster Linie machen, wenn da nicht unser Gehirn wäre. Wir Menschen haben nämlich die unfassbare Gabe, uns die Zukunft schwarzzumalen, obwohl die meisten unserer Sorgen niemals eingetroffen sind. Diese Fähigkeit, einmal anders betrachtet, ist der beste Beleg für unsere Kreativität: aus dem Nichts geniale Luftschlösser bauen, an die wir auch emotional glauben, sogar wenn diese niemals Teil unserer Realität waren.

Ali Mahlodji

ist ein Meister des Wandels: vom Schulabbrecher zum Start-up-Gründer und Unternehmensberater, vom Flüchtlingskind zu einem der Top-Speaker im deutschsprachigen Raum. Der 42-Jährige ist EU-Jugendbotschafter, Podcaster, Autor – und nun auch Kolumnist.

Seine Beiträge online: redbull.com/innovator

Wer von sich denkt, er oder sie ist nicht kreativ, lügt sich selbst an und vergisst, dass unsere Sorgen nichts anderes sind als eine Idee von einer Zukunft –und wenn wir das positiv nutzen, können wir mit diesem Ding in unserem Kopf die schönsten Dinge erträumen und diese als Ideen in die Welt bringen.

In den letzten zwanzig Jahren meiner Arbeit mit High Performern habe ich ein Muster immer wieder gesehen, und es war 1:1 dasselbe Muster, mit dem ich alle meine Unternehmensgründungen und Träume verwirklicht habe. Nämlich die Gabe der Visualisierung, die dann durch unser Tun die Realität wird. Was alle erfolgreichen Menschen gemeinsam haben, ist, dass sie wissen, dass du alles, was du dir vorstellen, auch umsetzen kannst. Ideen und Träume sind keine Schäume, sondern die Basis von allem, was wir in dieser Welt um uns haben.

Starke Muckis, große Träume

Arnold Schwarzenegger wurde einmal gefragt, was die Essenz seines Erfolges ist, und der Interviewer bat ihn, es in einem Wort zusammenzufassen. Seine Antwort: Dreams, also Träume. Die schöner formulierte Art, eine Idee zu beschreiben, die uns innerlich inspiriert. Das Interessante ist, dass alles, was uns in der modernen Welt umgibt, eines Tages eine Idee im Kopf eines Menschen war. Jedes T­Shirt, jeder Laptop, jeder Schuh, jedes Auto, jede Getränkedose. Diese Dinge waren Gedanken, die sich zu Ideen formten und die heute als echte Materie in unserem Leben einen Einfuss haben. Doch Ideen haben eine Grenze, nämlich unsere Vorstellungskraft. Ansonsten wären Ideen ja grenzenlos, wenn nicht wir Menschen uns Grenzen setzen würden. Aus meiner Arbeit weiß ich, dass diese Grenzen oft den Ängsten unseres Verstandes geschuldet sind: Unser Verstand kann nur denken, was er schon erlebt hat. Wir kennen nur, was unser Verstand erlebt hat. Daher müssen Ideen groß gedacht werden, damit wir unseren Handlungsspielraum automatisch vergrößern.

Eine Faustregel ist, dass du deine Ideen einfach einmal um das Zehnfache größer denkst. Nicht, weil du größenwahnsinnig bist, sondern weil der Weg

Kolumne 96 INNOVATOR MATO JOHANNIK

zur Umsetzung einer Idee gepfastert ist mit Hindernissen, Abstrichen und Kompromissen. Daher ist es gut, den großen Wurf einer Idee zu denken und auf dem Weg der Realisierung bei jedem Abstrich den Grundkern der Idee zu halten.

Immer der richtige Moment

Wir Menschen sind gedanken- und ideenproduzierende Wesen, und was wir uns denken können, das erschaffen wir – im Guten wie im Schlechten; und daher mache ich mir beim Klimathema oder anderen Herausforderungen der Gesellschaft keine Sorgen. Was wir in der Welt mehr denn je brauchen, sind großartige Ideen, die einen Impact generieren. Wir dürfen nicht vergessen, dass Europa vor nicht einmal achtzig Jahren in der Nachkriegszeit in Schutt und Asche lag und dass es die Ideen der damaligen Generationen waren, die zum Wohlstand und dem Aufbau Europas in wenigen Dekaden geführt haben. Ideen sind das Mächtigste, was wir Menschen haben, und Ideen, deren Zeit gekommen ist, prägen Generationen nach uns; deshalb ist es so wichtig, dass wir unsere eigenen Ideen und die anderer nicht kleinreden, sondern ihnen den Raum geben, den sie brauchen: den Raum der Erlaubnis, dass wir diese Idee ausprobieren dürfen, egal wie oft wir mit ihr vielleicht scheitern.

Als ich whatchado, mein erstes Unternehmen, gründete, musste ich das Ganze viermal neu starten, bevor es unter meiner Leitung als CEO international groß wurde. Als ich mich anderen Ideen widmete und mein Start-up in die Hände meines Nachfolgers legte, wusste ich umso mehr, dass eine Idee erst dann ans Tageslicht kommt, wenn wir bereit sind, zu scheitern, und aus diesen Rückschlägen lernen. Erst das Lernen aus den Rückschlägen und das Dranbleiben machen aus einer Idee etwas Handfestes.

Da trennt sich die Spreu vom Weizen, nämlich in die Menschen, die ihre Ideen leben, und die, die auf den richtigen Moment warten. Was die erste Gruppe von Menschen verstanden hat, ist, dass es niemals den richtigen Moment für eine Idee gibt, sondern jetzt anzufangen die Mutter aller Umsetzungen ist, und dass sich Ideen im Laufe ihrer Realisierung auch verändern dürfen.

Herausgeber

Andreas Kornhofer

Chefredakteur The Red Bulletin

Andreas Rottenschlager

Chefredakteurin Innovator

Saskia Jungnikl-Gossy

Project Lead

Melissa Stutz

Textchef

David Pesendorfer

Creative Direction Innovator

Kasimir Reimann (Ltg.), Erik Turek

Art Direction Innovator

Carita Najewitz

Grafik

Marion Bernert-Thomann, Martina de CarvalhoHutter, Miles English, Kevin Faustmann-Goll, Tara Thompson

Fotoredaktion

Eva Kerschbaum (Ltg.), Marion Batty, Susie Forman, Tahira Mirza, Rudi Übelhör

Redaktion

David Mayer (Ltg.), Nina Kaltenböck, Lisa Hechenberger

Chefin vom Dienst

Marion Lukas-Wildmann

Managing Editor

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Global Content

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Executive Creative Director

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Senior Manager Creative

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Art Direction Commercial

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Direct to Consumer Business

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Anzeigenservice

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Herstellung & Produktion

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Lithografie

Clemens Ragotzky (Ltg.), Claudia Heis, Nenad Isailovic, Sandra Maiko Krutz, Josef Mühlbacher

Finanzen

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Assistant to General Management

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House Publishing

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Am Grünen Prater 3, A-1020 Wien

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Red Bull Media House GmbH, Oberst-LepperdingerStraße 11–15, A-5071 Wals bei Salzburg, FN 297115i, Landesgericht Salzburg, ATU63611700

Druck

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Dietmar Otti, Christopher Reindl, Marcus Weber

THE RED BULLETIN INNOVATOR Österreich, ISSN 1995-8838

Länderredaktion

Saskia Jungnikl-Gossy

Country Project Management

Julian Vater

Lektorat

Hans Fleißner (Ltg.), Petra Hannert, Monika Hasleder, Billy Kirnbauer-Walek, Belinda Mautner, Klaus Peham, Vera Pink

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Thomas Hutterer (Markenlead), Michael Baidinger, Franz Fellner, Ines Gruber, Moritz Philipp Haaf, Wolfgang Kröll, Gabriele MatijevicBeisteiner, Yvonne Mensik, Alfred Minassian, Nicole Okasek-Lang, Britta Pucher, Nicole Umsait, Johannes Wahrmann-Schär, Ellen Wittmann-Sochor, Ute Wolker, Christian Wörndle, Sabine Zölß anzeigen@at.redbulletin.com

Sales Operations & Development

Anna Schönauer (Ltg.), David Mühlbacher Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz Informationen zum Medieninhaber sind ständig und unmittelbar unter folgender Web-Adresse auffindbar: redbull.com/im/de_AT Kontakt

redaktion@redbulletin.com

THE RED BULLETIN INNOVATOR Schweiz, ISSN 2308-5886

Länderredaktion

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Lektorat

siehe entsprechenden Eintrag bei Österreich

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Marcel Bannwart, marcel.bannwart@redbull.com

Michael Wipraechtiger, michael.wipraechtiger@redbull.com

Goldbach Publishing, Marco Nicoli, marco.nicoli@goldbach.com

Impressum INNOVATOR 97

Der Weisheit letzter Schluss

Unsere Illustratorin La Razzia –und ihr Blick auf die Welt von morgen

La Razzia

Doris Schamp ist Designerin und Cartoonistin. Sie gewann 2013 den Internationalen Cartoonpreis von Aachen. Schamp, 39, liebt die Abgründe des Humors – und Los Angeles, wo sie einst Cartoonfiguren entwickelte. Wenn sie nicht gerade auf dem Windsurfbrett steht, lebt und zeichnet sie im Salzburger Pinzgau, dem Burgenland und in Wien. Ein Toast auf Doris!

LIVION
Comic 98 INNOVATOR LA RAZZIA/DORIS SCHAMP

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