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Lichteinfall. Morgens erstrahlt die Stadt in leuchtendem Weiß ihrer Häuser, der Sonnenuntergang hinter den weichen Hügeln des Aravalligebirges taucht den See und die Stadt in ein majestätisches Violett, und nachts scheint das Lake Palace Hotel inmitten des im Mondlicht schimmernden Pichola-Sees zu schweben. Highlight ist der Palast von Udaipur, hier drängen sich tagtäglich Busladungen von Touristengruppen. Schließlich gehört die Stadt zur Pflichtagenda jeder Rajasthan-Reise. Am größten Palastkomplex Indiens wurde über 400 Jahre gebaut. Heute sind hier ein Museum, zwei Luxushotels und die Privatresidenz des Maharadschas untergebracht. Durch den Haupteingang, über dem ein goldenes Sonnenemblem prangt, gelangt man in das Museum des Palastes. Für die Besichtigung der durch zahlreiche mit Korridoren und Treppen verbundene Räume und Höfe, die an ein Labyrinth erinnern, sollte man sich drei bis vier Stunden Zeit nehmen. Es gibt viel zu entdecken: Waffensammlungen und Gemälde, die von Elefantenkämpfen und Jagd auf Tigern Zeugnis ablegen. Schwule und Lesben sind herzlich willkommen! Wer neben der Kultur die Lesben- und Schwulenszene des Landes entdecken möchte, sollte seine Reise am besten von SITA organisieren lassen. Als Mitte April dieses Jahres in Jaipur die Touristikmesse „The Great Indien Travel Bazaar“ (GLTB) stattfand, kündigte SITA-Chef Prabhat Verma an, man werde sich künftig verstärkt um lesbische und schwule Touristen bemühen: „Das ist ein sehr attraktiver und interessanter Markt für uns“, so Verma. Man habe bereits speziell für Lesben und Schwule Reisepackages geschnürt, die über die Website tomontour.com buchbar sind. Doch in unseren Breitengeraden ist das Land noch völlig unbekannt als Reiseziel für Lesben und Schwule. Kann man mit seinem Freund offen zu seinem Schwulsein stehen? Gibt es eine Lesben- und Schwulenszene, die man als Single unsicher machen kann? Gay-Knigge. Günther Maria Norrenberg lebt seit vielen Jahren in Indien. Früher war er Reiseleiter für Studiosous, ist wochenlang mit Touristen aus Deutschland durch Indien gereist und hat ihnen Land und Leute gezeigt. Heute ist er Besitzer eines Restaurants, Savage Garden, und eines Cafés, das den Namen Edelweiss trägt. Beide Betriebe befinden sich im Zentrum der Stadt, in der Nähe des Gangaur Ghats. Wir treffen Günther um die Mittagszeit im Savage Garden. Das Restaurant liegt versteckt in einer Seitengasse und hat einen wunderschönen Innenhof. Die Wände sind meeresblau gestrichen, viele Pflanzen begrünen den Hof. Es ist eine Oase der Ruhe. Auf der Speisekarte dominieren italienische Gerichte, vor allem Nudeln in allen möglichen Variationen. Bevor der Tisch gedeckt wird, berichtet Günther über die indische Kultur: „Also, wenn ihr hier Männer Hand in Hand über die Straßen gehen seht, hat das nichts zu sagen. Das nennt man in Indien yaari, es handelt sich um eine Männerfreundschaft, die keinerlei sexuellen Bezug hat.“ Also auch keine Küsse? „Nein, nein, auf keinen Fall. So etwas gibt es in Indien nicht in der Öffentlichkeit, weder bei Homo- noch bei Heteropaaren.“ Und offenes Lesbisch- und Schwulsein? „Das wird in Indien als westlicher Import betrachtet.“ Wahr sei auf der

Kleines Straßenrestaurant in Udiapur.

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anderen Seite aber auch: „Homophobe Gewalt ist in Indien tabu.“ Indiens Weg zur Normalität. In den großen Metropolen Indiens ist das schwul-lesbische Leben vor zwei Jahren aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Grund war die Anfang Juli 2009 vom Gerichtshof in Delhi verkündete Entscheidung, dass die Strafbarkeit von Homosexualität nicht mit der Verfassung vereinbar sei. Religiöse Gruppen legten allerdings Widerspruch ein. Beobachter und Vertreter der Lesben- und Schwulenszene Indiens gehen aber davon aus, dass das Verfassungsgericht die Entscheidung des Gerichtshofes in Delhi bestätigen wird. So auch Sabina und Simran. Die beiden Lesben eröffneten vor einem Jahr in Mumbai den ersten (!) Shop für Lesben und Schwule in Indien. Azaad Bazaar heißt er, und befindet sich im Stadtteil Bandra West, rund 5 Kilometer vom internationalen Flughafen entfernt. Strenggenommen ist der Azaad Bazaar ein kleiner LGBT-Shop auf 10 Quadratmetern, in dem es verschiedene Szene-Utensilien wie T-Shirts, Tassen oder Bücher zu kaufen gibt. Ihn darauf zu reduzieren, wird dem Shop aber nicht gerecht, denn da die Szene in Mumbai noch in den Kinderschuhen steckt, ist das Azaad für viele Lesben und Schwule in der Stadt ein beliebter Treffpunkt, um neue und alte Freunde auf einen Kaffee oder Tee zu treffen. Und auch für Touristen ist der Shop äußerst interessant und in jedem Fall einen Besuch wert: Wer wissen möchte, wo und wann sich die Mumbaier Szene gerade trifft, wird hier mit den aktuellsten News versorgt: Flyer informieren über die neuesten Partys und auch die Mundpropaganda sorgt für den neuesten Klatsch und Tratsch. Angesagter Treffpunkt am ersten Dienstag im Monat ist die Banana Bar, samstags veranstalten die Macher von gaybombay. org Schwulenpartys in wechselnden Clubs. Bitterer Wermutstropen für ausgehhungrige Party People: Einen Gay-Club, der täglich geöffnet hat gibt es ebenso wenig wie ein schwul-lesbisches Café oder eine Bar. „Selbst in so großen Städten wie Delhi, Mumbai oder Kalkutta leben viele Lesben und Schwule immer noch versteckt“, sagt Simran. „Es wird zwar immer freier und liberaler, aber solange die Familie und der Arbeitgeber große Probleme beim Outing machen, wird es nur in kleinen Schritten vorangehen.“ Und so treffen sich viele Schwule beim Spazierengehen am Marine Drive am Meer. Ganz diskret. Von Cruising kann hier keine Rede sein, Rückzugsorte

Dächer von Udiapur.

Azaad Bazaar in Mumbai.


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