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Lesespaß im Liegestuhl Egal ob am Mittelmeer, dem Neusiedlersee oder im Schwimmbad eures Vertrauens – hier drei Bücher, die nach erfrischender Abkühlung gut für Lachmuskeln, Seele und Herz sind.

BÜCHER von Thomas Schwentenwein

Top-Tipp der Redaktion

Sina Tahayori orientExtrem. Erzählungen

2011, 91 Seiten, Broschiert, € 12,00, edition exil 

David Sedaris Das Leben ist kein Streichelzoo. Fiese Fabeln

Die weinende Bärin am Cover hat gerade ihre Mutter verloren. Sie könnte einem leid tun, wäre sie nicht so penetrant darauf bedacht aus diesem Unglück Kapital zu schlagen. Perfekt einstudiert, beklagt sie sich bei allen, die ihr begegnen, hofft auf Mitleid und erschleicht sich Gefälligkeiten. Als ihr niemand mehr zuhören möchte, zieht sie von dannen, wird für den Zirkus eingefangen und gezwungen, sich fürs Publikum zu prostituieren. Es sind tatsächlich fiese Fabeln, die David Sedaris geschrieben hat. Bitterböse Momentaufnahmen voll unerwarteter Wendungen und meist ganz ohne erhobenen Zeigefinger. Sedaris ist eigentlich für seine autobiographischen Reflexionen, in denen er schonungslos sein eigenes Leben, seinen Freund, aber auch seine Familie aufs Korn nimmt (seine Schwester ist die Komikerin Amy Sedaris), berühmt. Der Sprung ins Tierreich kehrt bei Sedaris seine zynische Seite noch mehr hervor und rückt das Motto „Alles für eine Pointe“ in den Mittelpunkt – ohne dabei mit tragischen Zwischentönen zu sparen. Und die kongenialen Illustrationen von Ian Falconer machen dieses Buch zu einem diabolischen Schmuckstück, das auch mit tragischen Zwischentönen nicht geizt.

Sina Tahayori ist Geschichtenerzähler – im wahrsten Sinne des Wortes. Wie ein nicht enden wollender Teppich breiten sich seine Erzählungen aus und man läuft Gefahr, sich in den vielen Mustern und Facetten zu verlieren. Seine Figuren sind umherirrende Gestrandete, stets auf der Suche nach Nähe, Zugehörigkeit und sich selbst. Manche davon führen ein Leben voller Abwesenheit – in Erinnerung an etwas, das sie zurücklassen mussten. Der Begriff „Heimat“, auch wenn er nie explizit genannt wird, ist ihnen auf die Stirn gebrannt. Andere, wie Pedram, liebenswürdiger Held gleich zweier Erzählungen, flüchten vor sich selbst – und scheitern doch auf tragisch-komische Art. Tahayori schreibt Sätze, die den Leser mit einem Brennen in der Kehle zurücklassen, einem Durst nach immer mehr. Seine Geschichten sind sehnsuchtsvoll und voller Verlangen, gleichzeitig distanziert und mit trocken-lakonischer Feder verfasst. Sexualität und Geschlechterzuordnungen werden hinterfragt, wenn etwa die Travestiekünstlerin Prinzessin Soraya den Journalisten Ivan verführt. Dieser kann sich den Vorurteilen doch nicht entziehen – in Tahayoris Welt gibt es ein ganzes Repertoire der (Un-)Möglichkeiten des Verstehens. Abgeschlossen wird der Band mit einer Farce voller Überspitzungen über das Land Tyrannien, dessen König an die Abdankung denkt. Er lässt es bleiben, denn nur zwei Ländern haben ihm Exil angeboten – Argentinien und Österreich. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Fazit: So böse kann guter Humor sein!

Fazit: orientExtrem? Extrem gut!

Fotos beigestellt

2011, 176 Seiten, Hardcover, € 15,40, Blessing 

 Pflichtlektüre 

Lesespaß 

Okay 

... wenn sonst kein Buch zur Hand ist ... 

Sabine Huttel Slalom. Erzählungen

2011, 118 Seiten, Broschiert, € 12,30, fhl 

Sabine Huttel hat sich an das Unterfangen gewagt als Hetera einen Blick auf schwule Lebensrealitäten zu werfen und berichtet in ihren Erzählungen von sieben sehr unterschiedlichen Männern, die in den verschiedensten Stadien ihres Outings stehen. Die Stärke Huttels liegt eindeutig im Offenlegen von scheinbar beiläufigen Momentaufnahmen, die unverhofft in irrsinniger Brillanz und mit seidener Zartheit hervortreten. Ihre Charaktere bleiben dabei leider häufig in einem schemenhaften und halbgaren Zustand gefangen. Vor allem die Dialoge erscheinen stellenweise stark konstruiert. So bleibt die wehleidige Hausfrau in „Zumutung“, die sich bei einer Freundin am Telefon über das späte Outing des Vaters echauffiert, ohne Nuancen und eindimensional. In „Neuland“ hingegen wird auf bittersüße Art von Stefans Coming-out vor seiner verständnisvollen Mutter erzählt und dem ersten Date mit seiner Internetbekanntschaft Zdenek. Dass ein Schatten über der Erzählung liegt, wissen wir vom ersten Satz an: „Der Tag, an dem Stefan zusammengeschlagen wurde, war einer der schönsten seines Lebens.“ Solch wunderbare, Gänsehaut erzeugende Fragmente hätte man sich mehr gewünscht! Fazit: ein leider nicht immer klischeefreier Blick auf schwule Lebenswelten. Zeitverschwendung

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