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Michael & Martina Der Alltag als Demonstration Schwuler Sohn: Michael, 25, Personal Assistent in einem Wiener Fashion Store und Partyveranstalter („Overdressed and Underfucked“). Er liebt exzentrische Kleidung und High Heels. Power-Mama: Martina, 45, Beruf: „Leitung Finanzen“ in Salzburg. Ebenfalls anwesend: Papa Gerald, 45, Einkaufsleiter eines Wiener Unternehmens. „Ich finde es wichtig, dass auch Väter zeigen, dass sie mit ihrem schwulen Sohn keine Probleme haben.” Michael, wann hattest du dein Coming-out? Michael: Mit 22, also erst ziemlich spät. Martina: Schockierend spät, wenn man bedenkt, dass ich es schon 20 Jahre vorher wusste (lacht)! Mir war es schon klar, als Michael im Kindergarten-Alter war. Er hat sich gern als Mädchen verkleidet, war sehr feminin. Gerald: Er war immer schon sehr künstlerisch begabt, hat gern gesungen und gezeichnet. Sie waren also die treibende Kraft hinter Michaels Coming-out? Gerald: Wir haben Michael darauf angesprochen, als er 13 oder 14 war. Wir haben gemeint, er kann es uns ruhig sagen, wenn er schwul ist. Es wäre kein Problem für uns. Michael: Naja, ein bisschen pushen war schon dabei. Gerald: Wir wollten, dass du glücklich bist! Martina: Es ging sogar soweit, dass ich mit Michael zu einem Psychologen ging, um ihn bei seinem Coming-out zu helfen. Aber Michael hat sofort verstanden, worum es ging, es hat also nichts genützt. Wir haben daraufhin das Thema für einige Zeit ruhen lassen. Michel war und ist sehr sensibel, wir mussten aufpassen, ihn nicht zu überfordern. Ich selbst bin ja von Natur aus eine Powerfrau. Du warst damals noch nicht bereit dafür? Michael: Nein. Ich wollte unbedingt sozial angepasst und ein Teil der Gesellschaft sein. Ich hatte auch eine Freundin – inklusive Sex, gemeinsamer Wohnung und Urlaube. Irgendwann wusste ich: Ich muss da raus! Es war wie ein Gefängnis – zwar ein schönes und gesellschaftlich akzeptiertes, aber ein Gefängnis. Eines Tages habe ich meine Koffer gepackt, bin zu meinen Eltern, habe mich geoutet, danach alle Zelte abgebrochen und bin für zwei Jahre nach Berlin gegangen. Martina: Das Coming-out war dann doch überraschend, weil wir kurz zuvor mit seiner Freundin zusammen auf Urlaub waren. Gerald: Die wir danach trösten mussten. Die war fertig mit den Nerven! Welche Ängste gingen Ihnen bei Michaels Outing durch den Kopf? Martina: Ängste um das Kind hat man als Mutter immer – egal, welche sexuelle Ausrichtung es hat. Man hat Angst, ob es diskriminiert wird, ob es glücklich wird, ob es die Liebe seines Lebens findet. Ich möchte, dass Michael lebt, so wie er es möchte. Natürlich denkt man auch an AIDS, aber diesbezüglich haben wir Michael schon sehr früh aufgeklärt. Und wie ist es mit Enkelkindern? Martina: Natürlich geht einem auch das durch den Kopf, aber das ist ein sehr egoistischer Zugang. Erleben Sie Anfeindungen, weil Michael schwul ist? Martina: Ich würde mir das niemals gefallen lassen! Natürlich werden Michael Blicke wegen seines Outfits nachgeworfen, aber wir geben diese Blicke einfach zurück. Gerald: Bei uns beiden denken die wenigsten an Vater und Sohn, sondern an einen Mann mit seinem jungen Liebhaber. Da muss man drüber stehen, es soll nichts Schlimmeres passieren. Es ist schade, dass man in Österreich immer noch so verkrampft mit Homosexualität umgeht. Das tut einem als Vater weh.

Michael: In unseren Urlaubsdestinationen, St. Tropez oder St. Moritz zum Beispiel, ist es jedem egal, ob sich zwei Männer küssen, ob ich mit meiner Mutter auf der Tanzfläche abshake oder welches Outfit ich anhabe. In Österreich ist das nicht möglich. Homophobie hat in den letzten Jahren zugenommen, Schwulen-Klatschen ist zum Trend geworden. Meine Freunde und ich waren in letzter Zeit in viele Schlägereien verwickelt. Aber: Auch mit toupierten Haaren, Make-up und Stöckelschuhen wehre ich mich! Was geht einer Mutter durch den Kopf, wenn Sie so etwas hört? Martina: Natürlich empfindet man Angst. Solche Vorfälle gehören angezeigt! Ich weiß nicht, wieso sowas passiert. Genau wie mein Mann bin ich in einem sehr liberalen Umfeld aufgewachsen, habe von klein auf gelernt: leben und leben lassen. Homosexualität ist für mich absolut normal – und man muss auf die Barrikaden gehen, wenn Ungerechtigkeiten passieren! Ich nehme an, Sie nehmen auch an Gay-Rights-Demos teil … Martina: Mein Leben, mein Alltag ist Demonstration. Ich kämpfe gegen Diskriminierungen von Schwulen und Frauen, kann nicht wegsehen. Ich schwimme immer gegen den Strom. Michael: Das hast du immer schon gemacht. Diese Einstellung habe ich von dir: Anfeindungen und Diskriminierungen trete auch ich entgegen. Ist das Verhältnis nach Michaels Coming-out noch besser geworden? Martina: Ist es schlimm, wenn ich sage, dass es nicht so ist? Wir hatten vorher schon eine sehr enge Beziehung. Michael: Meine Eltern waren immer schon meine ersten Ansprechpartner, egal, worum es geht. Was denken Sie über Michaels Styling? Martina: Ich bewundere ihn, dass er mit solch hohen Schuhen gehen kann! Michael: Unter 10 Zentimeter geht nix! Martina: Ich gehe auch lieber mit Michael als mit Gerald einkaufen. Das ist der Vorteil eines schwulen Sohns – man kann sich Styling-Tipps holen (lacht)! Michael: Ich trage auch gerne das eine oder andere Outfit meiner Mutter. Martina: Stimmt. Jetzt, wo du es sagst: Die Schuppenbluse von meiner Hochzeitsfeier ist weg!

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