Mitteschön Magazin - Ausgabe 18

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Ausgabe 18, Februar 2012

Neues aus Berlin Mitte

book lovers deutsch + English

Glückstag mit judith schalansky das perfekte doppel: fabian hinrichs und rené pollesch nachgehorcht: we have band Mittes Monatsheft!



Editorial  3

Mitte ins herz „Du öffnest ein Buch und das Buch öffnet dich“ lautet ein chinesisches Sprichwort. In Büchern kann man sich verlieren und verlieben, sie sind ohne Frage die Königsdisziplin der geschriebenen Worte. Dass sie die Kunst des Schreibens beherrscht, hat die Autorin Judith Schalansky mit ihren selbst gestalteten Romanen eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Was ihre Bücher mit ihrem Fetisch für Matrosenanzüge zu tun haben und wo sie sich am liebsten zum Arbeiten zurückzieht, erfahrt ihr in unserem Glückstag. Nicht alle Bücher entstehen mit dem Hintergedanken, sie einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, und sind gerade deshalb um so spannender. Wir stellen auch Theodor Schmidt vor, der Tagebücher aus vergangenen Zeiten aufspürt und bei seinen Lesungen die Zuhörer in die Welt der Tagebuchschreiber eintauchen lässt. Warum seine Texte von Schauspielern nicht auswendig gelernt werden müssen, erklärt René Pollesch im gemeinsamen Interview mit Fabian Hinrichs und We have Band erzählen von der Schwierigkeit, die richtigen Worte aufs Papier zu bringen. Außerdem erwarten euch ein Beitrag unseres Gastkolumnisten Martin „Gotti“ Gottschild und wie immer die Veranstaltungstipps, unsere Gimme 5, die MITTESCHÖN Lieblingsstücke und unsere Mitte-Mutti. Viel Spaß beim Lesen, Eure MITTESCHÖN-Redaktion

johanna ruebel Johanna ist eine richtige Globetrotterin. In Hamburg geboren, zog sie mit sieben Jahren nach Frankreich, um dann nach bestandenem Abitur erst einmal nach London zu gehen und Grafik und Design an dem Central Saint Martin College zu studieren. Obwohl ihr Schwerpunkt klar bei der Fotografie liegt, zeichnet sie gerne und arbeitet hin und wieder an Illustrationsprojekten. Außerdem mag sie Tee, Schildkröten und Literatur. Sie gehört nicht zu jener Sorte Mensch, die die letzte Seite eines Buches zuerst liest. www.johanna-ruebel.com

Dorothée Stöber Über Umwege fand die gebürtige Dortmunderin Dorothée vor 10 Jahren nach Berlin. Nach ihrem Studium der Kommunikations- und Betriebswissenschaft brachte sie zunächst als Eventmanagerin die bayerische Metropole München zum Strahlen. Zum Glück fand sie dann aber zurück nach Berlin, denn hier traf sie kurz nach ihrer Rückkehr ihre berufliche Herzensliebe: das Kochhaus. Seit der Konzeptionsphase dabei, kümmert sie sich im begehbaren Rezeptbuch um alles, was schön ist, ganz besonders um die Konzeption des Kochhaus-Kerns: die Rezepte. Wirbelt Dorothée mal nicht durchs Kochhaus, findet sie Entspannung bei guten englischen Krimis und bei gemeinsamen Kochabenden mit Freunden.

martin „gotti“ gottschild Martin „Gotti“ Gottschild lebt. Ganztägig. Und das schon seit 34 Jahren. Er kommt gut zurecht. Das Atmen macht ihm Spaß. Er war schon mal DDR-Meister im Bogenschießen, Abiturient, Musikalienhändler, berühmt, Garderobenfrau und ein gefürchteter Klingelton. Im Spätsommer 2003 schreibt er seine erste heitere Kurzgeschichte, weil er zwar gerne lacht, aber eben nicht so lange. Ein Jahr später erfindet er Tiere streicheln Menschen – die Actionlesung, bei der man nicht gleich giftige Blicke zugeworfen bekommt, nur weil die Lederjacke knirscht. Seine Bücher Der Schatz im Silberblick (2010) und Die Schwarte Mamba (2011) sind im LOOB Verlag erschienen. www.tierestreichelnmenschen.de


4   Impressum

Mitteschön no    18

Herausgeber

Toni Kappesz Veröffentlichung

Vollstrudel GmbH Schröderstr. 12 10115 Berlin, Germany Projekt Manager

Anne Kammerzelt (anne@mitteschoen.com) ARTDIREction

Dörte Lange (doerte@mitteschoen.com) Grafikdesign

Kristina Wedel (christina@mitteschoen.com) Projekt Manager online

André Uhl (andre@mitteschoen.com) Redaktion

Anne Kammerzelt (anne@mitteschoen.com) André Uhl (andre@mitteschoen.com) Presse

Pelén Boramir (pelen@mitteschoen.com) Redakteure

Paul Schlosser, Bettina Schuler, Katharina Geißler, Björn Lüdtke, André Uhl, Jordan Nassar, Martin Gottschild, Pelén Boramir, Anne Kammerzelt, Ksenia Stroganova Fotografen

Tina Linster, Johanna Ruebel, Simon Renstrøm ÜBersetzung

Nicholas Tedeschi (nicted@web.de), Moritz Estermann Anzeigenvermarktung

media@mitteschoen.com WEBSeITE

www.mitteschoen.com Druck

Henke Pressedruck Coverfoto:

René Pollesch und Fabian Hinrichs, fotografiert von Tina Linster.


Inhaltsverzeichnis  5

INHALT / Content Wegweiser 6

Momentmal: Himmel und hölle

8

Konzerte und Ausstellungen Concerts and Exhibitions

10

Mitteschön Lieblingsstücke

21

Gimme five: lieblingsbücher der redaktion

36

Kochtipps vom Kochhaus

40

Englische Übersetzungen English Translations

44

Mitteschön Verlosung

47

Stadtplan City Map

kieztalk 12

glückstag mit judith schalansky

17

Neu in der Stadt: Reading room New in Town: Reading Room

26

interview: René Pollesch und Fabian Hinrichs Interview: René Pollesch and Fabian Hinrichs

37

Wir Mitte-Muttis: lesen vor We Mitte Mums: are reading aloud

38

Berliner Gesichter: Anja Koeseling, literaturagentin Berlin Faces: Anja Koeseling, literary agent

46

Kolumne: tiere streicheln menschen

Kulturgut 18

das leben der anderen: Theodor Schmidt The life of the others: Theodor Schmidt

22

app to date: tipps von Gawlittadigitale

23

illustrator des Monats: jan stoewe Illustrator of the month: Jan Stoewe

30

Meet and read: berliner literaturorte

32

Angehört und nachgehorcht: we have band

34

Kunsttipps von EyeOut EYEOUT Art Events

35

filmtipps DER filmgalerie 451


„UND DIE MAGA WEINTE, Guy war verschwunden (...) die anderen betrachteten eine Platte, die sich langsam drehte, 33 Umdrehungen und eine halbe in der Minute und in diesen Minu-

ten Oscars Blues, natürlich mit Oscar persönlich am Piano, (...), ein gewisser dicker und trauriger Pianist, ein Kerl am Klavier und der Regen auf der Dachluke, mit einem Wort, Literatur.“ Ausgehend von


Tina Linster fängt für „MitteSchön“ Berlin-Momente ein.

einem meiner liebsten Bücher, Himmel und Hölle von Cortazár, in dem man kreuz und quer von einem zum anderen Kapitel springt, habe ich das dem Titel zugrundeliegende Kinderhüpfspiel auf-

gemalt und einfach abgewartet. Zu später Stunde entstand dieses Foto. So überraschend wie das Buch war auch die Aktivität meiner Protagonisten, die hier vollen Körpereinsatz zeigen.


8   Veranstaltungstipps Ksenia Stroganova, Translations P. 40

Cloud Control

Ballet Revolución

Indie Folk Rock Eintritt: VVK 14 €, AK 17 € 19. Februar Einlass: 20 Uhr, Beginn: 21 Uhr

Ballett Eintritt: ab 24,90 € 21. Februar bis 04. März Beginn: 20 Uhr

Astra Kulturhaus

Cloud Control hört sich nach Witterungsbeherrschung an. Doch in Wahrheit müssen die Bandmitglieder keine überirdischen Kräfte beweisen, denn bei ihren lebensfrohen Songs kommen trübe Stimmungswolken gar nicht erst auf. Eher erstrahlt im Herzen der Fans die warme australische Sonne. Die steile Karriere der energiegeladenen Band fing mit einem Bandwettbewerb an. Zwischenzeitlich sind die Künstler in Übersee schon zu Superstars avanciert, hierzulande bleiben sie noch im Underdogstatus. Doch nicht mehr lange. Denn der eigenwillige Sound ihres im Mai des letzten Jahres veröffentlichten Debütalbums Bliss Release, wofür sie in Australien schon als Best Artist und mit Best Album ausgezeichnet wurden, zieht immer mehr Fans in seine musikalische Bahn. Glücklicherweise lassen sich Cloud Control nicht so einfach auf eine bestimmte Musikrichtung festlegen. Manchmal muten die Songs fast schon meditativ an, dann explodieren sie im phantasievollen Harmoniegesang und psychedelischem Klirren der Gitarren, verbreiten positive Schwingungen des Alternative Rock mit Folk-Elementen und bleiben stets von Einfallsreichtum und Frische gezeichnet. Cloud Control kommen am 19. Februar für ein exklusives Konzert nach Berlin, um vom Comet aus den hiesigen Winter mit dem Klang ihrer Gitarren zu erwärmen.

Kuba wurde schon von vielen Krisen getroffen. Doch trotz aller Schwierigkeiten behielten die Bewohner der karibischen Insel ihre unerschütterliche Liebe zur Musik, die Hoffnung und Lebenselixier zugleich bedeutete. Kein Wunder also, dass die paradiesisch anmutende Insel oft als Mutter allen Tanzes bezeichnet wird und viele begnadete Tänzer hervorgebracht hat. Tanz auf professioneller Ebene ist auf Kuba eine vergleichsweise junge Erscheinung. Doch einen fruchtbareren Boden als die karibische Insel konnten Tanzformen wie Ballett und moderner Tanz kaum finden. Mitten im kalten Winter erreichen die heißen Rhythmen nun endlich die deutsche Hauptstadt. Die vom 21. Februar bis zum 4. März im Admiralspalast laufende Tanzaufführung Ballet Revolución ist eine weltweit einmalige Verbindung afrikanischer und spanischer Tanztraditionen mit der russischen Balletttechnik und somit ein überaus kontrastreicher Stil- und Genremix. Ballet Revolución versammelt ein hervorragendes Ensemble passionierter klassischer und zeitgenössischer Tänzer aus der Escuela Nacional Cubana de Ballet, die schon als Sprungbrett für viele große Karrieren gedient hat. Und auch die musikalische Begleitung der Show ist ein Highlight für sich, werden doch mitreißende Hits von einer Live-Band samt Kubas bestem Trompeter performt.

Revaler Straße 99

Comet Club

Admiralspalast

www.astra-berlin.de

Falckensteinstraße 48

Friedrichstraße 101

www.magnet-club.de

www.admiralspalast.de

Gotye Pop Eintritt: 16 € zzgl. Gebühren 21. Februar, 20.30 Uhr Einlass: 20 Uhr, Beginn: 21 Uhr Wie ein unerwarteter Wirbel eroberte der 31-jährige Australier mit belgischen Wurzeln das internationale Publikum. In seiner Heimat längst ein Star, ist Wouter De Backer a.k.a. Gotye hierzulande, spätestens seit der Veröffentlichung seiner Single Somebody I used to know im Juni letzten Jahres, auch kein Geheimtipp mehr. Bereits über 33 Millionen Menschen haben sich das Musikvideo zum Song auf Youtube angesehen. Die Stärke des musikalischen Freigeistes liegt in seiner unverwechselbaren Stimme und der Frische der Kompositionen, die nur schwer kategorisierbar sind. Gotyes Musik ist alles – präziser Pop, emotionale elektronische Musik, Motown-Soul, Synthie-Folk und gleichzeitig was völlig Neues. Das jüngst erschienene und mit dem Triple J Award geehrte Album Making Mirrors ist ein vielseitiges Klangexperiment. Knappe zwei Jahre hat die Arbeit an dem Album gedauert. Das gelungene Ergebnis lebt auch von den ungewöhnlichen Instrumenten, die der Musiker zum Einsatz bringt. So hat Gotye die Basslinien der Songs aus den Klängen des Winton Musical Fence, eines gitarrenähnlichen Zauns, gebaut. Am 21. Februar wird Gotye das deutsche Publikum im Astra Kulturhaus begeistern. Interessante Bühnenshow ist vorprogrammiert, denn der Künstler legt großen Wert auf die visuelle Umsetzung seiner Sounds.


jazzanova — i human Record Release Party VVK: 15 €, Afterparty: 10 € 17. Februar, ab 21 Uhr

Foto: Chris Burden

Veranstaltungstipps von Ksenia Stroganova, Translations P. 40  9

Kina Grannis Akustik-Pop Eintritt: 18 € 20. Februar

Transmediale 2012 Festival Kunst/ Kultur Eintritt: 60 – 90 € 31. Januar bis 5. Februar

Die ruhigen, raffinierten Rhythmen des seit vielen Jahren weltweit gefeierten, sechsköpfigen Jazzanova-Kollektivs sind ein perfekter Begleiter für einen sonnigen Sonntagmorgen. Doch trotz der eher loungigen, deepen Klänge sind die musikalischen Kreationen der Berliner in der Clubszene genauso willkommen wie auch bei einer chilligen Hausparty. Schließlich ist der Sound der Band absolut unverwechselbar. Wenn sich die Künstler, die als Innovatoren im Dancefloor, im NuJazz, Broken Beat, modernen Folk und Soul gelten, ans Produzieren und Remixen machen, entsteht eine eigene Musikrichtung. Immer mit größtem Respekt für die ursprüngliche musikalische Basis lassen die vor Ideenreichtum sprühenden DJs neue Meisterwerke entstehen. Der Schöpfungsprozess spielt sich weit weg von jeglicher taktischen Berechnung und der Beachtung der Hipness-Faktoren ab. Scheinbar Unkompatibles wird zusammengefügt, bereichert, verändert. So entsteht ein ganz eigener, von perfekter Harmonie dominierter Stilmix mit einem JazzanovaSiegel. Am 17. Februar grooven die Ausnahmekünstler im Rahmen der I Human Record Release Europa- und Deutschland Tour 2012 im Kreuzberger Gretchen über die Nacht hinweg, unterstützt von einer Live-Band und der samtigen Stimme des aus Detroit stammenden Sängers und Bassisten Paul Randolph, der für seine Kollaborationen mit Moodyman, Carl Craig und Amp Fiddler bekannt sein dürfte.

Der beste Beweis dafür, dass Talent sich dank starkem Willen und Engagement auch ohne einflussreiche Helfer durchsetzen kann, ist der beispiellose Erfolg der bezaubernden Sängerin Kina Grannis. Ihr genügte der Gewinn eines Nachwuchswettbewerbs und die erfolgreiche Etablierung ihres eigenen YouTube-Kanals, um sich in der Musikszene fest zu etablieren. Allein das Video zu der aktuellen Single Valentine zählt bereits über 11 Millionen Klicks. Die exotische Künstlerin mit japanischen, englischen, irischen, französischen, niederländischen, walisischen und schottischen Wurzeln wuchs in Kalifornien auf und komponierte bereits in der Grundschule erste Klavierstücke, bis sie irgendwann die Gitarre für sich entdeckte. Schon während des Studiums erschien ihre erste Platte Sincerely, Me. Kurze Zeit später folgten zwei selbst produzierte Alben One More In The Attic und In Memory Of The Singing Bridge, die für regionale Begeisterung sorgten. Auch das aktuelle Album Stairwells ist eine gelungene Sammlung melodischer Lieder, die oft durch persönliche Erlebnisse der jungen Sängerin inspiriert sind. Denn Kina bewahrt sich größtmögliche künstlerische Freiheit, indem sie einschnürende Plattenverträge umgeht und ihre Videos weiterhin über YouTube veröffentlicht. Am 20. Februar wird Kina Grannis den Roten Salon der Volksbühne mit ihrer elfenhaften Stimme umschmeicheln und das Publikum mit rührendem Akustik-Pop verzaubern.

Die transmediale wurde 1988 als ein Nebenprogramm der Sektion Internationales Forum des Jungen Films der Berlinale ins Leben gerufen und genießt mittlerweile einen Kultstatus. Unter der neuen Leitung von Kristoffer Gansing wird sich dieses Jahr alles um das Thema in/compatible drehen. Also um den unbequemen Zustand der Inkompatibilität, wenn Dinge miteinander nicht funktionieren. Im üblichen Sprachgebrauch hat dieses Wort einen ungewollten, aber immer spürbaren negativen Unterton. Ganz im Gegenteil können unmögliche Verbindungen beim künstlerischen Ausdruck ganz neue Potentiale erschaffen und sich durchaus positiv auf Kreativität und Entstehungsprozesse auswirken. Getrieben von der Kraft des Gegensätzlichen, der Brüche und der Lücken präsentiert das Festival für digitale Kunst und Kultur seine 25. Jubiläumsausgabe. Uns erwartet ein vielseitiges, internationales Programm aus Diskussionsrunden, Kunstwerken, VideoScreenings, Workshops, Performances und künstlerischen Interventionen, Ausstellungen und musikalischen Darbietungen. Außerdem bietet transmediale 2012 einen spannenden Einblick in die einzigartige mediale Kunst- und Kulturgeschichte Berlins und wirft gleichzeitig, mit der neu initiierten Plattform reSource for transmedial culture einen Blick in die Zukunft der Netzwerkkultur.

Gretchen

Roter Salon, Volksbühne

Haus der Kulturen der Welt

Obentrautstraße 19-21

Rosa-Luxemburg-Platz 1

John-Foster-Dulles-Allee 10

www.gretchen-club.de

www.volksbuehne-berlin.de

www.hkw.de


10   Lieblingsstücke

Mitteschön Lieblingsstücke Texte Paul Schlosser

Ein Traum aus Lycra Ist: ein Rausch der Farben und Provokationen Kann: für leichtes Brennen in den Augen sorgen Kostet: 27 Euro Kaum ein Anderer versteht es, die Photoshop-Sättigungstaste so schonungslos einzusetzen. Cheyco Leidmann zählt weltweit zu den größten Visualisten. Ähnlich wie auch Guy Bourdin spielt er für seine Fotokampagnen in Hochglanzmagazinen mit surrealen Bildwelten. Leidmann schafft es künstliche Welten zu kreieren, in denen Träume und Fantasien mit Bildern brutaler Realität gegenübergestellt werden. Seine albtraumhafte Vision merkwürdiger Szenarios erschafft ein eigenes kleines Universum, bestehend aus einer wahnsinnigen und apokalyptischen Welt, gepaart mit einem ordentlichen Schuss Zynismus und schwarzem Humor. AD / ART – Love Me Tender ist als haptisches Pendant zu Gregg Arakis’ farbgewaltigem 90’s College-Extravaganza Kaboom zu verstehen. Wie auch der Film bewegt sich das Buch auf einem schmalen Grat zwischen herrlichem Kitsch und perversem Schwachsinn: Entweder empfindet man seinen Unterhaltungswert wie einem trockenen Hundehaufen oder der Hut fliegt einem weg, weil die darin enthaltenen Farbspektakel kleine humorvolle Meisterwerke an sich sind. Sprich, man findet es zum Kotzen oder einfach nur genial. Wem das Buch, das, wie uns Cheyco mitteilte, unter keinen Umständen mit einem Coffee Table Book verwechselt werden darf, nicht genug ist, der hat bis zum 17. März die Möglichkeit, seine Ausstellung TANTATRYSK in Kollaboration mit Ypsitylla von Nazareth in Paris anzuschauen. Weitere Infos unter www.cheycoleidmann.com.

Brooklyn in my mind Ist: eine hochwertige Celebrity-Duftgarderobe Kann: dich langanhaltend mit einem Hauch Brooklyn umhüllen Kostet: $ 65 Schlafen in einer Melonenscheibe, riechen wie Mos Def! Mit dieser Ausgabe unserer Lieblingsstücke werden diesen Monat aber auch wirklich die wüstesten Träume wahr. Normalerweise sind wir keine großen Fans der aktuell unumgänglichen Celebrity-Düfte, die wohl den Glanz und Glamour des Promi-Lebens in einem einzig kleinen Flakon einfangen sollen. Der Showdown der Pop-Diven wird nämlich schon lang nicht mehr nur noch im Plattenladen entschieden, sondern in der Parfümerie. Die Variante von Justin Bieber mit schnuckeligem Blütenverschluss in Herzform und dazugehörigem CharmAnhänger soll Ende letzten Jahres doch tatsächlich zum Duft des Jahres gekürt worden sein. Ganz so verspielt kommt das Odeur von Mos Def nicht daher, doch dafür besticht es durch sein beeindruckendes, minimalistisches Design und den Verzicht auf ein großes Celeb-Branding. Abgefüllt in Brooklyn, 100% natürlich und frei von Alkohol und Chemikalien, startet Harun No. 7 luftig und leicht mit einem Akkord aus hölzernem, indischem Attar, sowie einem Hauch fruchtiger Süße im Unterton. www.store.unionlosangeles.com


Lieblingsstücke  11

Zu schön fürs Southside? Ist: der Fantasievogel unter den Zelten Kann: auch nach 15 Bieren noch kinderleicht gefunden werden Kostet: ab ca. 450 Euro Kein Scheiß, anders als bei sexy-sweaters.com handelt es sich bei diesem Zelt nicht etwa um ein nachträglich am Computer auf die Plane getrickstes Motiv. Nein, folgendes Prachtexemplar kann tatsächlich genau so über die dazugehörige Website erstanden werden. Einmal in einem Club Sandwich schlafen oder früh morgens einer saftigen Melonenscheibe entsteigen. Ein Traum, der mit dem nötigen Kleingeld schon bald ganz ohne Beihilfe eines exzentrischen Wissenschaftlers wie Rick Moranis aus Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft Realität werden könnte. Die britische Marke Field Candy revolutioniert den Zeltmarkt durch ihre aufsehenerregenden Prints. Doch auch im Inneren der portablen Schlafgemache wird viel Wert auf Qualität sowie einen umweltschonenden Herstellungsprozess gelegt. Somit fallt ihr in der Natur nicht nur sofort auf – ihr tut ihr auch noch was Gutes! www.fieldcandy.com

Mit den Waffen der Vergangenheit Ist: das Debüt des derzeit vielversprechendsten Shooting Stars Kann: Nostalgikerherzen höher schlagen lassen Kostet: 15,95 Euro Spätestens nach dem dritten Ohrwurm aus ihrem gerade veröffentlichten Album, dem dazugehörigen bildgewaltigen Musikvideo von Yoann Lemoine und ihrem bejubelten Mini-Konzert hier in Berlin sollte jedem anfänglichen Skeptiker klar geworden sein, dass Lana Del Rey dem Hype nicht nur durch ihr exaltiertes Äußeres gerecht wird. Bereits mit 17 soll sie als Musikerin aufgetreten sein, doch erst halbprovisorische Videoclips, bespickt mit Bildern goldener Zeiten, der kalifornischen Sonne Hollywoods und jeder Menge Cadillacs, die mit bitterer Ironie die Songdramen untermalen, verhalfen ihr zum endgültigen Durchbruch. Wie viel an der Sängerin, die besonders mit Authentizität durch DIY-Ästhetik brillierte, nun echt ist und was davon zum raffinierten Plan der PR-Maschinerie ihres Plattenlabels gehört, ist eigentlich egal, denn echt ist auf alle Fälle die musikalische Qualität ihrer Songs und diese einmalige Spannung, welche die inzwischen 25-Jährige mit einer Mischung aus schwermütigen Texten über die tragische Essenz der Wirklichkeit und kühler Distanz erzeugt.

Auf das Schwein gekommen Ist: die wohl süßeste Versuchung seit es USB-Sticks gibt Kann: man versaute Sachen mit machen Kostet: Preis und Produkt ab März Na, auch keine Ahnung wo euer USB-Stick wieder abgeblieben ist? Dann geht’s euch genauso wie mir. Die Jungs von We Play God haben sich diese wirklich coolen USB-Sticks mit dazugehörigem Hub ausgedacht, die in der Mitteschön-Redaktion bereits für entzücktes Seufzen seitens meiner Kolleginnen gesorgt haben, und dem lästigen Suchen nach dem Speicher-Tool endlich ein Ende bereiten dürften. Das knuffige Set hört auf den noch schnuckeligeren Namen Pig Buddies und besteht im Wesentlichen aus Mamaschwein, dem USB Hub, sowie drei kleinen Schweinchen, welche als USBSticks fungieren. Steckt man die Schweinchen-Sticks in das Mutter-Hub, so sieht es aus, als würde Mamaschwein ihre kleinen Racker mit Nahrung versorgen. Doch das war noch längst nicht alles, die Ferkel können außerdem ihren USB-Rüssel einziehen, damit die fragilen Sticks ohne Weiteres in der Hosentasche mitgeführt werden können. Süß und praktisch eben. www.weplaygod.com


Judith Schalansky in der Staatsbilbliothek


Glückstag  13

Atlas von nasskalten StraSSen Text Björn Lüdtke  Fotos Johanna Ruebel

Judith Schalansky macht Bücher. Sie schreibt sie nicht nur, sie gestaltet sie auch. Da kommt der Eine oder Andere beim Einordnen ihres Werks schon mal ins Schwitzen – in manchen Buchhandlungen steht ihr Atlas der abgelegenen Inseln in der Reiseabteilung. Ganz falsch ist das nicht, aber irgendwie auch nicht richtig. Anstatt zu versuchen, Schalansky in Schubladen zu stecken, verbringen wir von Mitteschön lieber einen Glückstag mit ihr – in der Gegend um die Potsdamer Straße.


14   Glückstag

Gummibaum Hugo Boss StaBi

401 Contemporary

„Ich lese gar nicht so gerne,“ erzählt Judith Schalansky lachend. Komisch, sie ist Autorin, da hätte man das eigentlich erwartet. „Aber ich liebe Bücher.“ Na Gott sei Dank. Ich treffe Schalansky in der Staatsbibliothek, da arbeitet sie häufig. Sie möge das Gebäude so gerne, sie kenne das Innere aus Wim Wenders Film Der Himmel über Berlin. Wer den Film gesehen hat, der kann nicht umhin, sich in dieser Umgebung erhaben zu fühlen. Oder wie in einem Raumschiff. „Schau, die Information sieht aus wie eine Schaltzentrale aus Raumpatrouille Orion. Die Knöpfe! Die flimmern, als hätten sie ein Eigenleben.“ Außerdem sei sie sozusagen gerade heimatlos, wohne nur zur Untermiete, da brauche man einen schönen Platz zum Arbeiten. Aus ihrer früheren Wohnung in Mitte sei sie vor vier Monaten geflüchtet. „Meine Nachbarwohnungen hat man in Ferienapartments umgewandelt. Seitdem ist es nur noch laut. Ich kann keine Rollkoffer mehr hören.“ Hängt sie dem alten Berlin nach? „Nein, eine Stadt darf sich verändern.“ Schalansky wird 1980 in Greifswald geboren, studiert Kunstgeschichte und Kommunikationsdesign und veröffentlicht 2006 ihr erstes Buch, das typographische Kompendium Fraktur mon Amour. 2008 folgt der Roman Blau steht dir nicht. Bei unserem ersten Telefonat zur Vorbereitung des Glückstags gestehe ich, ihr Werk nicht zu kennen. Das mache ihr nichts. Das könne gerne so bleiben, denn sie fände den Geist des Glückstags, sich einfach und

Hugo Boss

vor allem unvorbereitet durch die Stadt treiben zu lassen, reizvoll genug. Nur habe ich da glatt gelogen, kurz vor unserem Treffen entdecke ich auf meinem Couchtisch den Atlas der abgelegenen Inseln von – Judith Schalansky! Ich gestehe gleich am Morgen des Tages, den wir gemeinsam verbringen werden. „Ach, das ist ja toll. Ich finde es gut, wenn das Werk vom Autor entkoppelt ist und für sich alleine steht.“ Der Atlas ist ihr drittes Buch, hier vereint sich endlich und in vollem Maße ihr gesamtes Können. Vom Text über die Illustration bis zum Layout – alles entstammt Schalanskys Feder. Ich habe es als Coffeetable-Book geschenkt bekommen, aber es als solches zu bezeichnen, setzt es herab. Es ist nämlich nicht nur äußerst gekonnt gestaltet – daher auch dekorativ – sondern man nimmt es gerne und oft in die Hand, entdeckt immer wieder Neues und liest darin. Der Untertitel lautet Fünfzig Inseln, auf denen ich niemals war und niemals sein werde. Schalansky schreibt über die Geschichte von Inseln, die von Norwegern Einsamkeit getauft und von besetzenden Russen in Zurückgezogenheit umbenannt wurden. Dabei hält sie sich zwar an die Fakten, aber Schalansky schreibt Anekdoten, die uns über mehr als nur Größe und Durchschnittstemperatur der Inseln informieren. „Heilige Kilda, dich gibt es nicht. Dein Name ist nur ein Lispeln des Vogelvolks, das auf ein paar hohen Felsen am äußersten Rand des Königreichs haust, außerhalb der Äußeren Hebriden. Die Überfahrt dorthin ist nur zu wagen, wenn der Wind von Nordosten kommt.“ So leitet sie die Geschichte von St. Kilda

Schaltzentrale StaBi

ein, ein Eiland 160 Kilometer vor dem schottischen Festland, das 1930 evakuiert wurde. Zwei Drittel aller Neugeborenen wurden dort nicht älter als neun Tage, so unwirtlich ist dieses Fleckchen Erde. Mal ganz abgesehen davon, dass auf so eine Insel eh niemand möchte, reist Schalansky generell nicht gerne. „Ich habe diesen Drang, alles sehen zu wollen, nicht. Das ist ja auch unmöglich. Vielleicht ist das noch ein Überbleibsel aus meiner Jugend im Osten. Mir wurde früh eingetrichtert, dass ich dort nicht wegkomme.“ Viel lieber würde sie, wenn sie mal verreist, jeden Tag das Gleiche machen, wie letztens in Wien. „Nur, wenn ich jeden Tag das Gleiche mache, zum Beispiel in das gleiche Kaffeehaus gehe, dann kann ich wirklich etwas kennenlernen.“ Deswegen geht sie wohl auch immer im gleichen Lokal essen, wenn sie in der Stabi arbeitet, in die Joseph-Roth-Diele in der Potsdamer Straße. Dort gibt es einen Mittagstisch für 3,95 Euro, der vor dem Restaurant auf einer schwarzen Tafel angekündigt wird (heute gibt es Nudeln mit Kalbsragout). Im Lokal: schwarz-weißkarierter Fußboden, rot-weiß-karierte Tischdecken, Holzvertäfelung, Bücher (vor allem vom Namensgeber des Restaurants, einem österreichstämmigen Schriftsteller, dessen bekanntestes Werk der Radetzkymarsch ist). Man fühlt sich an Pariser Restaurants des Fin-de-siècle erinnert, eines der rustikaleren. Selber kochen würde Schalansky nicht gerne. „Das können andere besser, dafür habe ich kein Talent, und ich will kein Mittelmaß sein. Ich finde, dafür sollte man die bezahlen, die das


Glückstag  15

Märchenhütte Stasstsbibliothek

Dom Ave Maria

Dom Café Einstein

Murkudis


16   Glückstag

Joseph-Roth-Diele

auch gut können. Auch aus Anerkennung.“ Sie selbst bekommt ausreichend Anerkennung für ihre Arbeit, nicht nur Preise. Sie lebt vom Büchermachen und Lesungen. Gerade ist sie auf Lesereise mit ihrem neuen Buch Der Hals der Giraffe, einem Bildungsroman, in dem eine ältere Bio-Lehrerin im vorpommerschen Hinterland Gefühle für eine ihrer Schülerinnen entwickelt. Direkt neben der Joseph-Roth-Diele befindet sich Ave Maria, ein Devotionalienladen, in dem es vom T-Shirt mit Jesusdruck über Rosenkränze bis zu Weihrauch alles gibt, was das Herz eines Christen (oder Liebhabern von Kitsch) höher schlagen lässt. Hinknien, Buße, Anbetung – „Katholizismus hat irgendwie was von SM.“ Schalansky fühlt sich selbst eher dem Protestantismus nahe, sieht darin aber mehr eine Haltungs- als eine Glaubensfrage. Die Arbeitsmoral hätte sie verinnerlicht. Wenn sie an einem Buch arbeitet, verordnet sie sich einen Verabredungsstopp. Nur die engsten Freunde kommen dann an sie ran. Ihre längste Sozialabstinenz dauerte ein Jahr. Wer aber denkt, die Autorin sei scheu wie ein Reh, der irrt. Gemeinsam trauen wir uns in eine Galerie im Hinterhof, in dem auch der Concept Store von Andreas Murkudis zu finden ist. Die Räume befinden sich im ersten Stock eines Altbaus, der uns interessiert. 401 Contemporary ist eigentlich nicht geöffnet, denn es wird gerade eine neue Ausstellung aufgebaut. Galerist Ralf-Otto Hänsel erlaubt uns trotzdem, einzutreten und stellt uns gleich Jakob Mattner vor, dessen Werk gezeigt wird. Mattner zeigt Arbeiten aus den 1970er Jahren, die vor allem aus Glas, Draht oder Ruß gefertigt sind. Eine Arbeit ist die Momentaufnahme eines Nacht-

gesprächs, einem Telefonat. Der Künstler gibt Schalansky den Tipp, in solchen niemals Entscheidungen zu treffen. Erst am Morgen danach. Beim Klamottenstöbern bei Murkudis, der letztes Jahr von Mitte hierher gezogen ist, erzählt Schalansky, dass ihre Großmutter immer zu ihr gesagt hätte, blau stünde ihr nicht. Genau deswegen hätte sie blau immer gemieden. Aber hier hingen schöne blaue Pullis. Ich solle einen kaufen. Viel lieber will ich aber wissen, ob ihr Roman Blau steht dir nicht denn auch autobiographische Züge hätte. „Ja, vor allem habe ich dort aber meinen Fetisch für Matrosenanzüge verarbeitet.“

Staatsbibliothek zu Berlin Haus Potsdamer Straße Potsdamer Straße 33 staatsbibliothek-berlin.de Joseph-Roth-Diele Potsdamer Str. 75 www.joseph-roth-diele.de Ave Maria Potsdamer Str. 75 www.avemaria.de Andreas Murkudis Potsdamer Straße 81e

Es fängt an zu regnen, die Sonne verschwindet und so degradiert die Potsdamer Straße, die man sowieso nur als Hardcore-Berlinliebhaber charmant finden kann, weiter zu einer grauen, nasskalten Durchgangsstraße. Da hilft nur eins: Zucker. Wir laufen noch ein bisschen gen Süden und biegen rechts in die Kurfürstenstraße ein, mit dem Ziel Café Einstein. Wir fragen uns, ob das Einstein das einzige ordentliche Kaffeehaus der Stadt ist; mit Sicherheit ist es eines der schönsten. Nur so alt, wie man es gerne hätte, ist es nicht. Das Flair erinnert an die originalen Wiener Häuser, aber das Café in der 1879 im Stil der italienischen Renaissance gebauten Villa wurde erst Ende der Siebziger eröffnet. Café au lait, heiße Schokolade und monströse Stückchen Kuchen wärmen uns auf und wir freuen und über den gelungenen Abschluss eines fantastischen Glückstags. Sie liest und reist nicht gerne, produziert aber einen der schönsten Atlanten, den die Welt je gesehen hat. Judith Schalansky, wir freuen uns auf dein Kochbuch!

www.andreasmurkudis.com 401 Contemporary Potsdamer Straße 81b www.401contemporary.com Café Einstein Kurfürstenstraße 58 www.cafeeinstein.com Judith Schalansky www.fraktur-mon-amour.de www.blau-steht-dir-nicht.de www.atlas-der-abgelegenen-inseln.de www.der-hals-der-giraffe.de


Neu in der Stadt  17

Reading Room Text Björn Lüdtke

Trotz iPad und Konsorten glauben wir von Mitteschön noch lange nicht an den Tod von Print. Mark Kiessling auch nicht: „Je mehr wir uns mit digitalen Gadgets umgeben, desto mehr wird die gute alte Drucksache von uns geschätzt werden.“ Gut so, denn er ist zusammen mit Jessica Reitz Mitinhaber der Zeitschriften- und Bücherläden Do you read me?! und Reading Room. Seit 2008 ist Do you read me?! in der Auguststraße eine Institution für alle Liebhaber von Zeitschriften – alles, was gedruckt ist und Rang und Namen hat, findet man hier. Vor ein paar Monaten haben Mark Kiessling und Jessica Reitz eine Dependance in der Potsdamer Straße eröffnet, den Reading Room. Dort dreht sich, und das überrascht nicht, alles ums Lesen beziehungsweise Gedruckte. „Neben dem kleinen Ladenbereich bietet uns der Reading Room die Möglichkeit durch Veranstaltungen, Lesungen und Präsentationen dem Publikum das Thema in allen Facetten näher zu bringen und den Austausch darüber zu fördern,“ sagt Kiessling. Es handelt sich also um mehr als nur einen Zeitschriften- und Buchladen. „Unser Projekt What do you read?! hat in der Potsdamer Straße einen festen Platz in Form einer Art Präsenzbibliothek gefunden – bis dato stellen dort 26 Künstler, Designer, Schriftsteller und so weiter ihre liebste Lektüre vor. Leselisten können mitgenommen werden und in den Büchern kann vor Ort direkt gelesen, beziehungsweise können sie auch gekauft werden, soweit noch nicht vergriffen.“ Die Bandbreite der Themen in der Auguststraße erstreckt sich von Mode, Fotographie, Kunst über Architektur, Interieur, Gestaltung, bis hin zu Kultur und Gesellschaft. Im Reading Room konzentriert man sich mehr auf Kunst, Fotografie und Design.

Der neue Standort scheint ungewöhnlich. Die Gegend um die Potsdamer Straße war lange nicht populär. „Seit ein paar Jahren wird dieser Teil von namhaften Galerien, Künstlern, Architekten und auch Einzelhändlern neu entdeckt und entwickelt so langsam wieder ein Eigenleben. So kamen auch wir, als Untermieter der Galerie Krome, auf die Potsdamer Straße und fühlen uns hier, etwas ab vom Schuss, sehr wohl.“

do you read me?! Magazine und Lektüre der Gegenwart Reading Room & Shop Potsdamer Straße 98 10785 Berlin-Tiergarten do you read me?! Magazine und Lektüre

Es liegt in der Natur der Sache, dass es in Läden, die mit Zeitschriften handeln, fast täglich Neues zu entdecken gibt. Im März sollte man aber vor allem besonderes Augenmerk auf die Modezeitschriften legen, welche die Sommerkollektionen vorstellen. „Der Buchfrühling mit den diversen Neuerscheinungen beginnt. Außerdem warten wir mit Spannung auf einen Neuzugang aus Berlin – die deutsche Ausgabe von Andy Warhol’s Interview Magazin.“ Im Februar werden die Schönsten deutschen Bücher 2010 im Reading Room zu Gast sein. Diese werden jedes Jahr von der Stiftung Buchkunst in einem Wettbewerb gekürt und sind nach einer Auftaktveranstaltung am 9. Februar für einen Monat im Reading Room ausgestellt – anfassen und lesen erwünscht!

der Gegenwart Auguststraße 28 10117 Berlin-Mitte www.doyoureadme.de


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das leben der anderen Text André Uhl  Fotos Simon Renstrøm

Kalt und nass ist es draußen, der erste Schnee... pardon, Schneeregen in diesem Winter fällt. Ich stapfe durch Neukölln, auf dem Weg zu Theodor Schmidt, dem Mann, der seit zehn Jahren alte Tagebücher aufspürt, transkribiert und zum Teil öffentlich vorliest. Je mieser das Wetter draußen, desto gemütlicher ist es bekanntlich drinnen. Besonders, wenn es sich um das WG-Zimmer von Theodor handelt. Ein rustikaler Kachelofen, die Wände mit Büchern zugestellt, zumeist alte, in Leder oder Leinen gebundene Exemplare, die offenkundig aus einer anderen Zeit stammen...


Kulturgut  19

Damals, vor zehn Jahren, auf dem sonntäglichen Flohmarkt am Boxhagener Platz in Friedrichshain, fing alles an. Dort hat er das erste Tagebuch gekauft, geschrieben in Berlin Grunewald, 1940. „Beim ersten Durchblätterten konnte ich es zunächst kaum lesen. Dann lag es erst mal ein halbes Jahr im Schrank. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, warum ich es plötzlich wieder herausgeholt habe. Ich begann, es abzuschreiben und immer, wenn ich eine interessante Stelle gefunden hatte, las ich es Freunden vor oder erzählte ihnen davon. Das Interesse, was mir dann entgegenschlug, hat mich motiviert, weiter zu machen. Ich hab aber gar keine Gedanken daran verschwendet, was daraus werden könnte.“ Allmählich verwandelte diese Leidenschaft das Zimmer des 31-Jährigen in ein Antiquariat. Am Anfang war es noch nicht so einfach, die alten deutschen Schriften, wie Sütterlin oder die deutsche Kurrentschrift, zu entziffern. Doch wo ein Wille ist... „Während meines Germanistik- und Geschichtsstudiums habe ich Übungsseminare belegt, um diese Schriften zu lernen. Angefangen mit mittelalterlicher Schrift bis zur relativ neuen Schrift aus dem 19. Jahrhundert. Dann habe ich halt viel geübt, mich dahinter geklemmt und stundenlang abgeschrieben.“

mer den schüchternen Versuch nicht hinzusehen, wenn ich kam; aber bei meiner überströmenden Freundlichkeit war das gar nicht möglich. Zwischenstarts von anderen Boys scheiterten einfach an meiner Routine, trotzdem ich ja immer bestellt hatte. So hatte ich wieder mal – seit langer Zeit – einen 100 % Abend verbracht, als ich sie mit ihrer Cousine, an die sich ein anderer Landser angeschlossen hatte, ganz ritterlich – ich möchte das betont wissen – nach Treptow nach Hause brachte.

„Nach ein oder zwei Tänzen, bei denen ich mit alten Bekannten Erinnerungen austauschte, startete ich auf ein direkt an der Tür sitzendes Mädchen – mit Tiefstart versteht sich.“

Eines seiner Lieblingstagebücher ist das von Bruno W. Der Schüler war in den 1930er Jahren in der Berliner Swing-Kid-Szene unterwegs, eine bunte kulturelle Enklave im schwärzesten Kapitel Deutscher Geschichte. Zwischen 1937 und 39 wurde das Tagebuch geschrieben, dennoch kommt das politische Dritte Reich in den Mitschriften so gut wie gar nicht vor. Die Swing-Kids tanzten durch die Nächte von Kreuzberg und Neukölln, kleideten sich stilecht und waren Meister der Verführungskünste. Dabei benutzten Bruno und seine Clique, der Schotten-Club, eine ganz eigene Jugendsprache:

Die besten Geschichten sind die ausführlich geschriebenen, die Einblicke in das alltägliche Leben vergangener Zeiten geben. So beschreibt ein Soldat aus dem Jahre 1850 auf einer ganzen Seite nichts als seine Wachstube. Stück für Stück, ganz detailliert. Dadurch bekommt die Erzählung Farbe, die Geschichte wird erlebbar. Auch für erotische Mitschriften hat Theo eine Schwäche: „Wenn so etwas mal vorkommt, dann ist es poetischer geschrieben, als es heute der Fall wäre. Was sicher auch daran liegt, dass die Sprache damals generell poetischer war – oder für uns zumindest so wirkt.“ Wie etwa das Tagebuch des Studenten aus Leipzig, der bei seiner Hauswirtin lebt und ein Verhältnis mit ihrer Tochter anfängt. Diese gestattet es ihm allerdings nicht, sie von Kopf bis Fuß nackt zu sehen. Sein Coup: Er bohrt ein Loch in die Badezimmertür, der Verbindungstür zu seinem Zimmer, und beobachtet sie aus dem Verborgenen:

M

E

einen neuen Stern habe ich am 1. Weihnachtsfeiertag im Rheingau kennengelernt. Der Laden war gerade so voll. Mit kundigem Auge peilte ich die Sachlage an und konstatierte, dass das meiste Volk am Eingang saß. Nach ein oder zwei Tänzen, bei denen ich mit alten Bekannten Erinnerungen austauschte, startete ich auf ein direkt an der Tür sitzendes Mädchen – mit Tiefstart versteht sich. Mit gekonnter Routine verwickelte ich das kleine, junge Mädchen sofort in ein mehr oder minder (wie’s eben so bei einem Tanzgespräch ist!) interessantes Gespräch über Schule usw., usw. Jedenfalls vermied ich es ängstlich über Wetter, Kapelle, Parkett oder Beleuchtung zu sprechen, was mir auch glänzend gelang, denn sie ging sofort auf meinen Kukilores ein und ulkte mit. Nach alter Erfahrung bestellte ich gleich nach dem ersten Tanz und landete dann auch wieder mit einem prachtvoll gelungenen Tiefstart bei ihr, worüber sich ihre Cousine prächtig freute. Sie machte im-

ndlich, wo ich dachte, das Essen käme, sagte Lisbeth sie wollte sie noch waschen und da machte ich das Loch wieder auf. Mit Kitt hatte ich es nicht wieder verschmiert gehabt, ich hatte das Seidenpapier nur angenäßt sodann glatt gedrückt und dann mit Insektenpulver bestäubt. [...] Während ich so lauerte, drückte ich auch ein Stückchen Kitt, das inmitten des Ganges, der in der Mitte in Folge einer Fuge in die Tiefe sich senkte, sich befand, in diese hinab, weil sie mir zuviel von der vollen Aussicht raubte. Das war z. T. ein gefährliches Werk, weil das geringste Geräusch dabei mich verraten hätte. Endlich, endlich kam sie ganz nackt. Der Gedanke daran, an diesen ersten Anblick, regt mich noch jetzt auf, wo ich dies schreibe. Das Gesichtsfeld war wirklich ein ziemlich bedeutendes. Ich sah den ganzen Rücken und den Arsch und den Anfang der Beine. Es war ein fast blendender, berückender, zündender und doch auch wie-


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der sehr hoher, reiner Anblick. Wenn ich auch nicht den ganzen Körper sah, so hatte ich doch so ziemlich den Eindruck des Ganzen und dieser war und ist wirklich ein ganz colossaler Eindruck. Er nahm total gefangen. Draußen schien hell die Sonne und auch in Lisbeths Stube war es, trotz der verhangenen Gardinen, sehr hell. Da strahlte Lisbeth’s Körper förmlich wie heller, leuchtender Sonnenschein. Solche erotischen Abhandlungen sind allerdings eher selten. Oft stößt Theo auf Kriegstagebücher, für die es einen recht einträglichen Markt gibt, die ihn persönlich aber weniger interessieren. Spannender findet er Rechtsakten. Rechtsakten – spannend? Die Frage stellt sich nur so lange, bis man diese Akten liest. „Ich habe eine Interessante von Fronarbeitern aus den 1820ern. Eigentlich eine Anklage gegen sie, weil sie nicht zur Arbeit erschienen sind. Plötzlich aber wehren sich die Erntearbeiter und nutzen diese Gelegenheit, um sich über ihren Fronherrn und die Arbeitsbedingungen zu beschweren, was sie natürlich sonst nie gemacht hätten. Sie hätten nie Anklage gegen ihn geführt, aber in der Verteidigung konnten sie nun seitenlang schreiben, wie schlecht das Essen ist, dass Würmer darin herumkriechen usw. Bei dem Ton der Schrift schwingt auch immer eine gewisse Ironie mit“, meint Theo. Die Klassiker sind jedoch Tagebücher junger Leute, die in ihren Liebeswirren den Drang verspüren, ihre Gefühle auszudrücken. Dazu zählt auch jenes, das Theo während seiner ersten Lesung 2008 im Laika in Neukölln vortrug. Es stammt von Hilde S., einer Abiturientin aus Mannheim, die sich 1927 in einen Theaterschauspieler verliebt und sich in einem Konkurrenzkampf mit mehreren Mädchen behaupten muss. Um an ihn heranzukommen, verführt sie zunächst seine Kollegen. Mit Sätzen wie „Ich habe macht über ihn“ oder „Jugend siegt“ bewegt sie sich bei ihrer Identitätsfindung zwischen selbstbewusster junger Frau und verknalltem Teenager:

U

m 8 Uhr kommt Tino von der Probe. Ich fahre mit ihm weg. Wir fuhren nach Neckarau. Er sieht mich immer an und lacht. Er fragt nach meinem Namen. Nachdem ich ihn raten ließ gab ich ihm eine Visitenkarte zu lesen. „Ich darf sie doch behalten“, sagt er und steckt sie ein. „Haben Sie keine Angst?“ „Nein.“ „Du bist ne freche Maus.“ Ich wehre mich energisch. „Frech heißt lieb“, erklärt er. „Das gefällt mir ja gerade.“ Wir fahren dann in eine Landstraße. Es ist ganz dunkel. Von ferne leuchten 2 Lichter. Er vergewissert sich ob es ein Auto ist welches steht. Als er es weiß läßt er seinen Wagen rasch stehen. Sämtliche Lichter verlöschen. „Der Kontakt ist kaputt“, sagt er. Es ist natürlich nicht wahr. Ich hole gleich meine Taschenlaterne und er ist ganz erstaunt, daß ich sie besitze. Ich

mache die Laterne wieder aus und alles ist dunkel. Tino kommt ganz nahe zu mir.

„Im Nu hat er mich in den Armen. Er küßt, wie ich nicht glaubte, daß man küssen kann. Unsre Zungen sind wie angekettet. Lange, vielleicht Minuten hatte er mich geküßt. Er zittert ganz, er ist so leidenschaftlich, daß er kaum mehr sprechen kann.“ „Bekomme ich jetzt ein Buserl?“, fragt er. „Ich gebe nicht“, sage ich, deshalb nimmt er. Im Nu hat er mich in den Armen. Er küßt, wie ich nicht glaubte, daß man küssen kann. Unsre Zungen sind wie angekettet. Lange, vielleicht Minuten hatte er mich geküßt. Er zittert ganz, er ist so leidenschaftlich, daß er kaum mehr sprechen kann. „Hilde“, stößt er nur immer wieder hervor. Dann lehnt er sich zurück und sieht mich ganz bewundernd an. „Wie du küssen kannst“, sagt er. „Du bist ganz anders als die andern.“ Er küßt mich wieder. [...]Er will meine Mütze vom Kopfe reißen. „Jetzt nicht“, sage ich bestimmt. Er ist ganz getroffen. Er macht ein so trauriges Gesicht. Er weint. Er sieht aus wie im letzten Akt von „Bohème. [...] Ich steige dann aus um meinen Mantel richtig anzuziehen. Schon ist er neben mir und hat mich wieder in den Armen. Er zittert, er wirft mich beinahe um. Wir fahren weg. „Jetzt weiß ich auf wen du gewartet hast“, sagt er. Ich frage ihn, aber er will es nicht sagen. Aber ich überwinde ihn. Ich könnte ihn zu meinen Füßen zwingen, ich habe Macht über ihn. [...] „Suche mir nun auch eine Ausrede was ich daheim sagen soll.“ „Ja, ich besinne mich. Sage du warst im Kino oder im Theater.“ „Ja ich sage ich war im Toboggan.“ Ich steige aus vor dem Theater. Rechtlich gesehen werden Tagebuchtexte nach dem allgemeinen Urheberrecht behandelt: Eine Person muss mindestens 70 Jahre tot sein, damit der Text frei verfügbar ist. Ist sie später gestorben, ist die Zustimmung der Erben nötig. Wenn der Autor nicht ausgemacht werden kann, ist der Text jedoch frei verfügbar. Rechtlich gesehen. Auf die Frage, ob er manchmal das Gefühl hat, in die Privatsphäre anderer Leute einzudringen, antwortet Theo: „Man gewöhnt sich daran. Wenn ich weiß, dass diese Menschen nicht mehr leben, habe ich dabei kein schlechtes Gefühl. Ich gehe da von mir selbst aus, was ich vielleicht nicht sollte, aber wenn ich tot bin, ist es mir auch egal, was Leute über mich denken.“ Ob er selbst Tagebuch schreibt? „Nein (lacht). Höchstens Reisetagebücher. Ich habe zwar schon ein paar mal angefangen, aber immer wieder aufgehört.“ www.theo-liest.de


Gimme Five  21

Gimme Five — Oldies but goldies Die Literaturtipps der Mitteschön-Redaktion Text Paul Schlosser

Waren es neulich noch sündige Gelüste in Form von Cheeseburgern und Gummibärchen, so wollen wir zur Abwechslung mal die Gunst der Stunde nutzen und euch passend zum intellektuellen Oberthema die fünf liebsten Schmöker der ganz schön belesenen Mitteschön-Redaktion ans Herz legen. Was das betrifft, haben wir uns hier bislang relativ bedeckt gehalten. Das soll jetzt aber ein Ende haben. Wir von Mitteschön sind nämlich wahre Bücherfreunde und hegen nach Feierabend eine tiefe Sehnsucht nach Ungestörtheit und endloser Lesestoffzufuhr. Die Früchte unserer Lektüre, hauptsächlich wiederentdeckte Fundstücke, findet ihr hier:

01

Irre von Rainald Goetz (Suhrkamp) Was ist normal, was verrückt? Eine Grenzziehung versucht Autor Rainald Goetz in seinem Erstlingswerk erst gar nicht. Der Roman spielt in der geschlossenen Abteilung der psychiatrischen Klinik der Universität München. Ein Roman über die Psychiatrie! Ein Schelm, wer glaubt so was könnte nie spannender als ein Wartezimmeraufenthalt beim HNO-Arzt sein. Das Buch nimmt sich schwierigen Fragen an wie „Wie weh tut eigentlich der Irrsinn den Irren?“ oder „Wie schlimm ist das Arbeiten als Arzt in einer psychiatrischen Klinik?“ Bei einer Lesung seines Debütromans im Jahr 1983 schnitt sich der Autor getreu dem Titel seines Werks die Stirn mit einer Rasierklinge auf und las dennoch blutüberströmt bis zum letzten Satz weiter. Ganz schön konsequent, ganz schön GAGA!

02

Rohstoff von Jörg Fauser (Alexander Verlag) Jörg Fauser gilt als der Clint Eastwood der Literatur. Er ist für die enorme Dichte seiner Worte und die fast wütende Treibjagd, die den Leser durch den Text hetzen, bekannt. Rohstoff von 1984 ist vermutlich sein bester Roman und zeigt den Protagonisten in den Wirren der späten 60er. Während die Anarchos das System stürzen wollen und die Hippies auf dem sanften Weg nach Innen sind, irrt die Hauptfigur zwischen Junk-Leben und der Arbeit an einem Roman durch die Weltgeschichte.

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Brasilien, Brasilien von João Ubaldo Ribeiro (Suhrkamp) Ein weiterer Bücherschmaus von 1984 ist Brasilien, Brasilien das epochale Werk des bahianischen Autors João Ubaldo Ribeiro, in dem die brasilianische Geschichte plastisch geschildert wird. Angefangen in der portugiesischen Kolonialzeit, mit der die moderne Geschichte des Landes beginnt, reicht die Geschichte bis in die 80er des 20. Jahrhunderts. Die Erben, insbesondere der Dynastie Amletos, einst Verwalter auf dem Gut des Barons, sinnieren über die Vergangenheit. Was ist Mythos, was hingegen wirklich geschehen? Ubaldo Ribeiros liebevoll-ironischer Schreibstil strotzt vor prächtigen Farben wie sonst nur der Karneval Brasiliens.

04

Sterntagebücher von Stanislaw Lem (Suhrkamp) Der Roman von Stanislaw Lem handelt von den brenzlichen Abenteuern des charmanten Chaoten Ijon Tichy, dem fiktiven Autor der Sterntagebücher – ein Buch im Buch. Anders als in Inception werden in dem Roman aber natürlich keine Träume gestohlen. Vielmehr handelt die Geschichte von Ijons Begegnungen mit unterschiedlichsten Wesen entfernter Galaxien. Dem irdischen Leser zeigt sich der Vergleich zu den fiktiven außerirdischen Planeten, er lernt so auf recht vergnügliche Art verschiedene Theorien und Gesellschaftsmodelle kennen.

05

Boy Wonder von James Robert Baker (List) Da scheint sich in unserer Top 5 ja eine deutliche Vorliebe für Lesestoff der 80er herauszukristallisieren. Mit Boy Wonder plündert James Robert Baker schonungslos den Mythenfundus Hollywoods und fabriziert eine fiebrigrasante Farce. Der Roman handelt von einem von exzessivem Sex und bizarrer Gewalt besessenen Exzentriker, der vom Underground-Regisseur über billige Sex-Filmchen zum Oscar-Gewinner aufsteigt. Das steigt ihm natürlich mal zu Kopf, und so wächst mit dem Erfolg auch die Maßlosigkeit seiner Fantasien. Die Realität wird zum Filmset, und für Shark Trager, so sein Name, hat es immer weniger Bedeutung, ob die Morde, die Trips und die Sexorgien vor oder hinter der Kamera stattfinden.


22   Kulturgut

app to date: tipps Von GawlittaDigitale Heute mal in eigener Sache: Mitteschön gibt es auch als kostenlose App von GawlittaDigitale! Wer Tipps, News und Updates aus unserem brodelnden, hyperaktiven und extrem zentralen Lieblingsbezirk komplett papierfrei und auf stets allerneuestem Stand genießen möchte, sollte sich schleunigst in den Apple App Store begeben.

HOT SPOTS In der App stellt Mitteschön regelmäßig inspirierende Orte vor, zum Beispiel den Gestalten Space:

Gestalten Space, Sophie-Gips-Höfe, Sophienstraße 21, 10178 Berlin, www.gestalten.com

„Unsere Arbeit besteht darin, immer wieder neue Themen und Leute zu finden und dann Formate und Erlebnisse zu entwickeln. Die Bücher sind der Mittelpunkt, und von da sind alle möglichen Entwicklungen denkbar. Wir probieren immer wieder neue Wege aus,“ so Sven Ehman, Creative Director des Gestalten Space in den Sophie-Gips-Höfen. 2011 hat der Gestalten Space in Berlin Mitte eröffnet – ein Raum zwischen Concept Store und Ausstellung. „Die Idee hinter dem Space ist, dass wir die Themen unserer Bücher in den Raum übertragen können – als Ausstellung, Vortrag, Workshop oder als Auswahl von Produkten. Es ist eine Fortsetzung unserer redaktionellen Arbeit und die Möglichkeit, all die Leute, mit denen wir so zu tun haben, auch persönlich zu treffen.“

STREIFZUG Wer Mitte besser kennenlernen möchte, geht mit seinem iPad auf eine kleine Reise durch den Kiez:

Soup’n Roll, Torstraße 117, 10115 Berlin, www.soupnroll.de

Auf der Torstraße angelangt, geht es in Richtung Rosenthaler Platz. Etwas unscheinbar zwischen Waschsalon und Baugerüst liegt das Soup’n Roll. Das fernöstliche Sprichwort „Das Leben ist zu kurz, um schlechte Suppe zu essen,“ scheinen sich die Inhaber des kleinen vietnamesischen Imbiss-Restaurants auf den Leib geschrieben zu haben. Hier kommen nur feinste, wöchentlich wechselnde und immer frisch zubereitete Suppen sowie Reisteigrollen und Salate auf den Tisch – genau richtig für ein leichtes Mittagessen. Unser absoluter Suppenliebling: Kokosmilchsuppe mit Champignons, Tomaten, Ananas, Zitronengras und Mais, dazu gibt es ein Schälchen Reis.

immobilienTIPPS Für alle, die nicht nur durch ihren Lieblingskiez streifen, sondern sich auch gleich dort niederlassen wollen, präsentiert die Mitteschön App eine Auswahl spannender Immobilienangebote:

Kastanienallee 63/64, 10119 Berlin-Mitte Diamona & Harnisch, www.diamona-harnisch.com

Ein Sockelgeschoss, vier Hauptgeschosse und ein zweifach zurückgestuftes Staffelgeschoss als Abschluss des Hauses – was wie ein Textfragment aus einem Roman Alfred Döblins daherkommt, ist die Beschreibung der berückend klassischen Gliederung eines in der Kastanienallee 63 gelegenen neuen Berliner Stadthauses, das in seiner zeitgemäß interpretierten Form klassischer Proportionen inmitten ehrwürdiger Altbaunachbarn ganz selbstbewusst eine glänzende Figur macht. Neben Beschreibungen und vielen Bildern von Außenansicht und Innenausstattung bieten die Exposés der App Objekt- und Lagebewertungen, übersichtliche Fakten und detaillierte Grundrisse.


Kulturgut  23

Illustrator des monats:  Jan stoewe

Wenn die Zeit bis zum weißen Blatt zurückgedreht würde, würde man das gleiche Bild noch einmal zeichnen? Zeichnet man mit dem Pinsel etwas anderes als mit dem Fineliner? Ab wann ist das innere Bild wirklich dein Bild? Ist der Speicher für innere Bilder immer voll oder kann er auch leer sein? Kann man diese Bilder löschen? Wo ist die Bild-Konzentration höher – innen oder außen? Gibt es eine Art Osmose – vor allem, wenn man die Augen schließt? Hatten die Menschen vor 500 Jahren weniger innere Bilder? Sagt ein Bild mehr als tausend Worte? Wie viele Bilder kann man mit tausend Worten erzeugen? Warum haben produzierte Bilder eine höhere Priorität? (Hatten wir uns da jetzt eigentlich schon auf eine Begriffsdefinition geeinigt, auch anthropologisch?) Wer produziert Bilder, wer gibt sie in Auftrag und warum hatten wir das nicht in der Schule? Welche Bilder fallen dir zu „Freiheit“ ein? Siehst du das Video zum Song auch, wenn er im Radio kommt? Wer manipuliert am liebsten an der Schnittstelle zwischen Emotion und Bildern? Warum genau findest du das Bild eigentlich so schön? Erwartest du Bilder in einem bestimmten Stil? Woher kommt das Bedürfnis Bilder-Blogs zu „kuratieren“? Und von wem zum Teufel kommen eigentlich die Originale? Sind zwei nebeneinander laufende Fernseher ein Bild oder zwei, oder drei? Hast du es wirklich kommen sehen? Sind Beschreiben und Skizzieren ebenso eng verwandt wie Schreiben und Zeichnen? Was hat sich schneller verändert, die Sprache oder die Bilder? Stellst du dir gerade keinen mittelgroßen rosa Elefanten mit schwarzem Hut vor? Was macht mein Bild mit diesem Magazin und umgekehrt? Jan Stöwe ist Berliner und studierte an der Universität der Künste. Seine Arbeiten bewegen sich zwischen ArtDirektion und Illustration. Dort sucht er bevorzugt nach originären Bildideen und Themen. www.st-1.de

Du bist Illustrator und möchtest mit deinem Artwork das nächste heraustrennbare „MitteSchön“-Poster zieren? Dann schick uns deine Bilder und Entwürfe an: info@mitteschoen.com.





Kieztalk  27

das perfekte doppel Interview mit René Pollesch und Fabian Hinrichs Text Bettina Schuler  Fotos Tina Linster  Translation P. 42

René Pollesch und Fabian Hinrichs sind ein eingespieltes Team. Das sieht man sofort, wenn man sie zum Interview in der Probebühne der Volksbühne trifft, und sie ohne Umschweife ihre Diskussion an dem Punkt fortsetzen, an dem sie das letzte Mal geendet hat. Als wäre dies ein ganz gewöhnliches Arbeitstreffen, ohne den Zaungast Journalistin. Prompt wird ein Buch gezückt, das interessant sein könnte für die Arbeit am neuen Stück. Und Hinrichs, der Pollesch besagtes Buch empfiehlt, rezitiert eine längere Passage über die Sehnsucht nach der absoluten Liebe. Woraufhin geradewegs eine neue Diskussion losgetreten wird, in der über die Simultanität des Singulären so selbstverständlich gesprochen wird, als würde man über die Vorzüge von Direktflügen diskutieren. Da kann es einem schon mal heiß werden, weshalb Hinrichs sich auch gleich bis auf das Unterhemd entblößt. Was aber auch an seinem Fahrradpensum liegen kann, denn wenn man in nur zehn Minuten von Kreuzberg nach Mitte fährt, darf man schon mal ins Schwitzen kommen. Und weiter geht es mit der Disskusion über Theoretiker wie Jean-Luc Nancy, Niklas Luhmann und Michel Foucault. Wozu diese Vorliebe für gesellschaftspolitische Themen führt, das konnte man bereits in dem Pollesch Solo-Stück „Ich schaue dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang“ sehen, für das der Schauspieler Fabian Hinrichs völlig zu Recht von der Zeitschrift „Theater heute“ als Schauspieler des Jahres 2010 ausgezeichnet wurde. Wie solche Theaterabende entstehen und worum es in ihrem aktuellen Projekt „Kill Your Darlings! Streets of Berladelphila“ geht, darüber haben wir mit den beiden gesprochen.


28   Kieztalk

„Unsere ganze Kommunikation beruht irrtümlicherweise auf der Annahme, dass wir uns ähnlich sind. Dabei kann es sein, dass wir mit einem Hund mehr Gemeinsamkeiten haben als mit unserem Arbeitskollegen, wenn wir es nur schaffen, eine Kommunikationsebene mit ihm zu finden.“

Du hast gerade einen Absatz aus dem Buch Warum Liebe weh tut von Eva Illouz vorgelesen. Entwickelt ihr so eure Stücke, indem ihr euch über Bücher austauscht, Thesen und Theorien diskutiert? Pollesch: Ja, wir haben eine Grundidee, die wir mit solchen Werkzeugen wie dem Buch, das Fabian heute mitgebracht hat und auf das ich nie gekommen wäre, bearbeiten. Dabei geht es uns vor allem darum, mehr über dieses Thema zu erfahren, wir wollen ja nicht etwas auf die Bühne bringen, was eh schon alle wissen. René, eine weitere Eigenheit an deiner Arbeit ist, dass du die Schauspieler ihren Text nicht einfach nur auswendig lernen lässt, sondern ihn gemeinsam mit ihnen erarbeitest... Hinrichs: Ich gehe mit Renés Texten eigentlich immer nach der Walfischmethode vor: Erst ziehe ich sie mir wie ein Walfisch sein Essen hinein und dann vertraue ich darauf, dass etwas außerhalb von mir mit ihnen entsteht. P: Wohingegen bei der gängigen Inszenierungspraxis das Konzept des Regisseurs von Schauspielern einfach nur umgesetzt wird. Eine ödere Arbeitsweise kann ich mir für mich persönlich gar nicht vorstellen. Denn dann würde sich alles immer nur um die Regisseur-Idee, um seine Inszenierung, um jenen Text drehen.... H: Dabei entsteht ja gerade aus der Unterschiedlichkeit heraus das Aufregende! P: Die Menschen müssen meiner Meinung nach auch nicht besonders gut zueinander passen, um etwas gemeinsam auf die

Beine zu stellen, sondern lediglich wissen, dass sie von der Kollaboration mehr profitieren, als wenn sie nach der Ellbogenmentalität miteinander konkurrieren. Ein sehr demokratischer Ansatz, dabei ist das Theater doch an sich sehr hierarchisch strukturiert... P: Was auch daran liegt, dass einige Regisseure so lange vom Feuilleton als Genie bezeichnet werden, bis sie selbst davon überzeugt sind. Dabei vergessen sie nicht nur, dass das ganze Theater auf Kollaboration basiert, sondern auch, dass man nur durch Kollaboration wirklich gut ist. Um Anderssein und die Frage, wie viel Einzigartigkeit unsere Gesellschaft verträgt, geht es ja auch in eurem aktuellen Theaterabend Kill Your Darlings. Streets Of Berladelphila. Inwieweit passt dazu die Passage, die du, Fabian, vorhin über den Mann vorgelesen hast, der auf der Suche nach der einzig wahren Liebe ständig scheitert? H: Insoweit, dass in unserer, auf Individualität getrimmten Gesellschaft, jedem das Versprechen auf die eine Liebe gegeben wird, es aber als anmaßend empfunden werden würde, wenn sich jemand erlaubt zu sagen, seine Liebe wäre die Liebe schlechthin. Das wäre dann doch zu viel Einzigartigkeit. P: Oder stell dir vor, ich würde in ein neues Ensemble kommen und mich als den Regisseur schlechthin vorstellen. Dann würden mich doch alle sofort für größenwahnsinnig halten. Und das, obwohl wir in dieser Gesellschaft zu einer absoluten


Kieztalk  29

Individualisierung aufgefordert sind. Wir sollen total anders sein und uns von den anderen abheben. Aber wenn du dann wirklich sagst, ja, ich bin total anders, ich bin der Regisseur schlechthin, dann geht das nicht. H:...und diese Aussage wird dir entweder als Kokainsucht oder als psychopathologische Störung ausgelegt. P: Die bei uns Künstlern ja sowieso immer vermutet wird. Also wollt ihr die Zuschauer mit eurem Stück dazu auffordern, offener gegen das extreme Anderssein zu sein? P: Nein, das ist mir zu psychologisch. H: Uns geht es bei unseren Theaterabenden auch weniger darum, etwas bei den Zuschauern zu erreichen. P: Damit würden wir uns ja auch schon wieder zu sehr an dem klassischen SenderEmpfänger-Modell orientieren... H: Wir machen unsere Theaterabende viel mehr für uns, um mehr über ein bestimmtes Thema zu erfahren. P: Das ist jetzt auch schon wieder so eine Aussage, die einem als totaler Egoismus ausgelegt werden kann: Etwas für sich selbst zu tun. Aber wenn Fabian das zu mir sagt, dann tue ich es eben nicht als Größenwahn eines Schauspielers ab, sondern glaube es ihm. Für mich geht es bei dem ganzen Thema vor allem um ein Kommunikationsproblem. Denn unsere ganze Kommunikation beruht irrtümlicherweise auf der Annahme, dass wir, die Spezies Mensch, uns ähnlich sind. Dabei kann es sein, dass wir mit einem Hund mehr Ge-

meinsamkeiten haben als mit unserem Arbeitskollegen – um ein Beispiel der Biologin Donna Haraway aufzugreifen – wenn wir es nur schaffen, eine Kommunikationsebene mit ihm zu finden. Wenn ich also in ein neues Ensemble gehe und sage, ich bin der Regisseur schlechthin, dann muss es mir gelingen, dass die Menschen das hören, anstatt mich gleich für verrückt zu erklären. Und, hast du so etwas schon mal zu einem neuen Ensemble gesagt? P (lacht): Nein. Wir reden ja hier über Dinge, die man eben nicht sagen kann, weil sie keiner hören würde.

wenn es uns nicht gelingt. P: Was die Menschen wiederum unter einen wahnsinnigen Erfolgsdruck setzt. Vielleicht wäre es gut, wenn es anstelle der zahlreichen Hollywoodfilme und Theateraufführungen nur eine einzige, singuläre Liebesgeschichte geben würde, auf die sich alle beziehen könnten. Dann würden die Menschen von dem Druck, selbst diese eine wahre Liebe erfahren zu müssen, endlich erlöst werden. Das neue Stück von René Pollesch und Fabian Hinrichs Kill Your Darlings. Streets of Berladelphila könnt ihr noch bis zum Ende der Spielzeit in der Volksbühne sehen. Tickets gibt es direkt an der Theaterkasse oder online über die Seite der Volksbühne.

Dann also doch lieber seine Darlings töten, wie es in dem Titel zu dem neuen Stück heißt, um akzeptiert zu werden? H: Vielleicht, weil die Spitzen zu sehr aus dem Gesellschaftsbild herausragen. Der Titel bezieht sich übrigens auf einen Spruch im Filmbereich, laut dem man immer genau jene Szenen herausstreichen soll, die einem besonders gut gefallen, da sie nicht zum Gesamtbild passen. Spitzen, absolute Gefühle sind nicht erlaubt, weil man sich dadurch zu sehr von der Masse abhebt? P: Und trotzdem, obwohl es die Liebe schlechthin nicht geben darf, sind wir alle auf der Suche nach ihr und viele sind der Überzeugung, dass sie sich nur genug anstrengen müssen, um sie zu finden. H: Was aber im Umkehrschluss auch heißt, dass wir selbst verschuldet scheitern,


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meet and read Berliner Literaturorte

Text Katharina Geissler  Translation P. 41

Berlin ist eine Stadt der Literaten. Seit jeher bringt sie große Schriftsteller hervor oder zieht jene an, die es werden wollen. Lesebühnen florierten in der Wendezeit als weltweit einzigartiges subkulturelles Phänomen.

Übrhaupt, die Hauptstadt wimmelt nur so von Menschen und Orten, die sich mit der Kunst des geschriebenen Wortes beschäftigen. Vor allem in den letzten Jahren sind hier einige neue und spannende Projekte entstanden. Wir haben uns unter Wortakrobaten, Literaturfreunde und Büchernarren gemischt und für euch nach ungewöhnlichen und schrägen, aber auch klassischanspruchsvollen Literaturorten gesucht.


Kieztalk  31

BookCrossing

Lettrétage

An der Ecke Sredzki-/Kollwitzstraße in Prenzlauer Berg gibt es seit über einem Jahr einen Ablageort für aussortierte Bücher aus privatem Besitz. In gestutzten Baumstämmen wurden kleine Nischen eingesägt, die von gold umrahmten durchsichtigen Kunststoffplanen geschützt werden. Die Idee des Bücherwalds geht auf die globale Bewegung BookCrossing zurück, die vor knapp elf Jahren in den USA entstand. Hierzulande ist die größte virtuelle Bibliothek der Welt noch nicht so lange bekannt. Das Prinzip ist ganz einfach: Wer ein Buch weitergeben möchte, registriert es auf der Homepage und versieht es mit einer eigenen, ihm zugewiesenen Identifikationsnummer. Danach wird das Exemplar an einem beliebigen Ort „ausgesetzt“, beispielsweise in einem fremden Fahrradkörbchen (aber bitte in einer Kunststofftüte!), auf einer öffentlichen Toilette oder in der Umkleidekabine. Der eigenen Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Hat jemand ein solches Buch gefunden, trägt er den Ort in die zentrale Datenbank ein und schickt es (gelesen oder ungelesen) weiter auf die Reise. Ihr könnt eure Schriftgüter auch an Freunde weitergegeben oder per Post verschicken oder eben an dafür vorgesehenen Ablageorten „auswildern“. Dank BookCrossing bekommen eure Bücher die Chance, zu reisen und etwas von der Welt zu sehen, statt ihr Dasein in euren verstaubten Regalen zu fristen – und sie bereichern das Leben anderer Leser, die diese ansonsten vielleicht niemals in die Hände bekommen würden.

In einer wunderschönen Gründerzeitvilla am Rande des Viktoriaparks liegt die Lettrétage. Das „junge Literaturhaus“ ist ein Ort für literarische Lesungen sowie kleine Theateraufführungen und Ausstellungen. „Jung“ bezieht sich hier nicht unbedingt auf das Alter von Autoren oder Publikum, sondern vor allem auf die Offenheit und Neugier des Hauses gegenüber Neuem und Experimentellem. Auf der Lesebühne finden unbekannte, (noch) nicht unumstrittene Autoren Gehör, die am Anfang ihrer Laufbahn stehen. So erhält das Publikum die Chance, in künstlerische und literarische Entwicklungen hineinzuhorchen, die es in etablierten Einrichtungen nicht zu finden gibt. In dem Literaturhaus mit Blick auf den Bergmannkiez haben auch die S³ LiteraturWerke, die Lesungen und Symposien in und außerhalb Berlins veranstalten und Gegenwartsautoren vorstellen, ein monatliches Zuhause gefunden. Die Türen der Lettrétage, mit der sich die beiden Gründer Moritz Malsch und Tom Bresemann ihre Vision von einem klassischen Leseraum für junge, deutschsprachige Literatur verwirklichten, sind seit 2006 geöffnet. Wer also einmal Lesungen ohne Espressomaschine und Milchaufschäumer im Hintergrund hören möchte, ist in der Lettrétage genau richtig. Lettrétage Methfesselstraße 23 – 25 www.lettretage.de

www.bookcrossing.com www.bookcrossers.de

Konzept Feuerpudel

Lesedüne

Mutig muss man sein, um seine selbst geschriebenen Texte aus den eigenen Händen in die eines fremden Lesers zu geben. Ohne Autor leben Texte wild heißt das Konzept Feuerpudel. Der Vierbeiner mit dem weiß gelockten Fell, der sich waghalsig durch einen lodernden Feuerring wagt, steht wohl bildhaft für jenen Moment, wenn Autoren ihr Schreibgut der Ungewissheit überlassen. Oder beim Namen genannt, Diether Kabow, der sich dieser Texte annimmt und ihnen auf der kleinen Bühne der Neuköllner Bar Gelegenheiten seinen ganz eigenen Atem einhaucht. Beim Konzept Feuerpudel, das von vier jungen Kulturwissenschaftsstudenten organisiert wird, geht es einzig und allein um den Text, der Autor entlarvt sich erst am Ende – oder bleibt im Verborgenen. Jeder, der meint, über ein kreatives Händchen zu verfügen, kann seine literarischen Ergüsse anonym einschicken. Am Ende stimmt das Publikum über die ersten drei Gewinner ab. Es winken kleine Preise und Freigetränke. Das ungewöhnliche Leseprojekt ist für all jene gedacht, die frische, unveröffentlichte Texte hören wollen oder darauf gespannt sind, wie fremde Gedanken vom Leser verstanden werden.

Der Name dieser Lesebühne rührt von den Anfängen im Jahre 2006 her, als das vierköpfige Ensemble lediglich im Sommer in wechselnden Strandbars las. Die Düne, wie sie auch kurz genannt wird, wanderte von einem Ort zum nächsten, bis sie sich schließlich im Monarch am Kreuzberger Tor niederließ. Windgeschützt und ohne Sand in den Schuhen kann man hier nun das ganze Jahr den poetischen wie gesellschaftskritisch-satirischen Texten des Quartetts lauschen. Marc-Uwe Kling, Sebastian Lehmann, Maik Martschinkowsky und Julius Fischer sprechen sich vor den Leseabenden nicht ab, die Ideen entstehen oft erst kurz vorher. Unterstützung bekommen die Jungs immer von mindestens einem Gast, der entweder liest oder Musik macht. So bleibt jeder Leseabend frisch und abwechslungsreich. Übrigens: Die Lesedüne hat es in die Vorauswahl für die schönste und sympathischste Lesebühne Berlins geschafft. Mit ein wenig Glück kann sie am 3. Februar 2012 in der Backfabrik die Auszeichnung samt Preisgeld abstauben.

Konzept Feuerpudel

Monarch

Jeden 2. Donnerstag ab 20 Uhr in der Bar Gelegenheiten,

Skalitzerstraße 134

Weserstraße 50

www.leseduene.blogspot.com

www.dunst-kreis.de

Lesedüne Jeden 2. und 4. Montag im Monat, 20.30 Uhr,


32   Angehört und nachgehorcht

we have band Text Anne Kammerzelt  Fotos Tom Medwell

Drei sind einer zu viel. Das gilt, trotz der Konstellation verheiratetes Pärchen nebst gemeinsamem Freund, nicht für We have Band. Das Londoner Dreiergespann Dede, Thomas und Derren haben gerade ihr zweites Album „Ternion“, das lateinische Wort für eine Drei-Mann-Gruppe,

veröffentlicht.

Darauf

befinden

sich

zehn

neue Songs, welche sich musikalisch im Spannungsfeld zwischen

Pop, Indie und Dance bewegen. „Ternion“ zeigt die Entwicklung der ehemaligen Arbeitskollegen vom Wohnzimmer-Spaß-Projekt hin zur professionellen Band. Nachdem sie im Jahr 2009 ihr Debütalbum „WHB“ veröffentlichte, spielte sich das Trio auf unzähligen LiveShows mit seinen vorwärts gerichteten Tanzkrachern in die Herzen der Zuhörer. Auf dem neuen Album geht es persönlicher und etwas ruhiger zu. Es darf und kann trotzdem getanzt werden, was sie bei ihrem Konzert am 17. März im „Gretchen“ unter Beweis stellen werden.


Angehört und nachgehorcht  33

Viele Bands empfinden die Arbeit am zweiten Album als schwierig. Ging es euch auch so? Thomas: Im Gegenteil, wir empfanden die Arbeit als sehr angenehm. Das mag daran liegen, dass uns niemand Druck gemacht hat, das Album so schnell wie möglich zu veröffentlichen. Außerdem hatten wir viel Zeit, um uns über das Album Gedanken zu machen. Die Texte haben wir zusammen geschrieben, als wir auf Tour waren. Die passenden Melodien kamen wie von selbst. Wer schreibt bei euch die Texte? Alle: Wir drei zusammen. Darren: Es geht ja diesmal um unsere persönlichen Geschichten. Also hat derjenige, der in dem jeweiligen Song die Hauptfigur darstellt, logischerweise den größten Teil des Texts geschrieben. Aber im Großen und Ganzen geht es um Erfahrungen, die wir drei teilen. Deshalb haben wir viele Abende zusammengesessen und uns beraten. Das Ergebnis kann man sich auf dem neuen Album anhören. Ich war zuerst schon sehr überrascht. Thomas: Wir wissen, dass sich die Leute umstellen müssen. Aber das ist auch gut so. Als Band muss man sich weiterentwickeln, das ist doch ein ganz natürlicher Prozess. Wir wollten nicht die gleiche Art von Album zweimal produzieren. Warum auch? Wir wollten etwas machen, womit wir uns selber gut fühlen, und daran wollen wir die Zuhörer teilhaben lassen. Vielleicht gehen uns einige Fans verloren, aber ich hoffe doch sehr, dass es dem Großteil gefällt. Ist ja nicht so, dass ihr auf einmal Opern singt. Thomas: Eben. Es gibt weiterhin elektronische Elemente und das Album ist, obwohl es viel ruhiger daherkommt, durchaus sehr tanzbar. Es ist ein bisschen weniger eingängig und vergnügt als unser Debüt, aber dafür gehaltvoller. Derren: Jeder von uns fällt bei einem neuen Release ein schnelles Urteil. Als Radioheads Kit A raus kam, waren die Fans erst mal irritiert und jetzt ist es einfach ein Bestandteil der Radiohead-Entwicklung. Wir wissen nicht, was das dritte Album bringt, aber ich hoffe einfach, dass sich im Rückblick alles als richtig erweist. Wir selber mögen Bands mit Gegensätzen. Denk mal an LCD Soundsystem. Auf der einen Seite spielen sie sehr tanzbare Musik, aber auf der anderen Seite können sie auch anders. New York I Love you ist eines unserer Lieblingslieder. Bei den Auftritten gehen die Leute total mit. Das erste Album war ja eigentlich mehr als Spaßprojekt gedacht. Thomas: Ja, beim ersten Album war alles weniger durchdacht. Auf einmal hatten wir einen Song, dann eine Single veröffentlicht und plötzlich haben wir die Lieder auf einer Tour vorgestellt. Am Ende gab es das Album. Irgendwie war alles recht chaotisch. Diesmal war uns vorher bewusst, dass wir Zuhörer haben. Also haben wir gedacht, warum nicht mal etwas machen, was mehr aus unserem Inneren kommt. Wie kamt ihr auf den Titel Ternion? Ist es ein Statement, weil es euch nervt, wenn euch immer alle darauf ansprechen, dass ihr ein

verheiratetes Pärchen und eine dritte Person seid? Thomas: Wir fanden, es ist ein guter Begriff, um unser Album zu repräsentieren. Es geht nun mal um uns drei, wir sind alle Individuen, aber wir haben eine gemeinsame Sache, die Band, und das drückt Ternion aus. Dede: In den letzten Jahren haben wir intensiv getourt. Darum geht es auch in den Texten. Über diese Intensität und die starke Bindung zwischen uns dreien. Wir sehen uns nicht als das Paar und die dritte Person. Ich sehe mich innerhalb der Band auch nicht als Thomas’ Ehefrau. Wir haben eine sehr enge Beziehung, aber innerhalb unseres Bandkosmos sind wir drei Individuen, die sich sehr nahe stehen. Derren: Wir drei funktionieren sehr gut zusammen. Nur weil die beiden verheiratet sind, heißt es ja nicht, dass sie immer einer Meinung sind. Es ist oft so, das ich und Dede anderer Meinung sind als Thomas oder anders herum. Jeder hat nun mal seine eigene Meinung. Und das ist es, was eine Freundschaft oder eine Ehe starkmacht. Das neue Album ist für euch sehr persönlich. Gab es Grenzen? Thomas: Klar gibt es Grenzen. Dede: Ja, auf jeden Fall. Aber soweit ist es gar nicht gekommen. Thomas: Wir haben uns schon ganz schön aus dem Fenster gelehnt. Wir haben über unsere Beziehungen geschrieben und Dede über ihre Schlafstörungen, die eine große Sache in unserem gemeinsamen Leben waren und viel zerstört haben. Konntet ihr darüber ungehemmt schreiben? Derren: Schreiben ist eine sehr eigenartige Sache. Ich glaube, man gewöhnt sich daran. Es ist und bleibt dann doch nur ein Song. Wenn wir beiden zum Beispiel von Angesicht zu Angesicht eine Diskussion über das gleiche Thema hätten, wäre es viel intensiver. Man hat nicht das Gefühl, man würde alles von sich preisgeben. Ich glaube, es ist so, dass jeder die Songtexte auf die eigene Beziehung übertragen kann. Deswegen schreibt man eigentlich über etwas sehr Allgemeines, auch wenn es die eigene Beziehung ist. Texte sind ein sehr freier Raum, in dem vieles möglich ist. Aber man muss die richtigen Worte finden. Dede: Ich habe viele Texte geschrieben, von denen ich wusste, dass sie nie verwendet würden, aber das hat mir sehr geholfen die Texte zu verfassen, die am Ende ausgewählt wurden. Ich habe mir Stift und Papier geschnappt und einfach geschrieben, geschrieben und geschrieben. Irgendwann hatte ich eine Routine und habe gemerkt, dass es das große Geheimnis ist, einfach nicht zu viel nachzudenken, sondern einfach laufen zu lassen. Manchmal sind die simplen Dinge die besseren. Wer ist euer Lieblingsautor? Dede: Ich habe mir angewöhnt immer drei Bücher vom selben Autor hintereinander zu lesen. Danach suche ich mir dann einen neuen Autor und nehme mir drei seiner Werke vor. Im Moment lese ich Love in a Cold Climate von Nancy Mitfort. Ich habe also keinen Lieblingsautor. Ich suche mir immer einen neuen.


34   Kulturgut

Kunsttipps

von

EyeOut

Text Jordan Nassar  Translation Moritz Estermann P. 41

In dieser Kolumne stellen wir euch jeden Monat eine kleine Auswahl der interessantesten Ausstellungen in Mitte vor. Weitere spannende Tipps findet ihr in der iPhone App EYEOUT Berlin (www.eyeout.com).

Sam Samore

13. Januar bis 18. Februar 2012 Capitain Petzel, Karl-Marx-Allee 45, U5 Schillingstrasse, Di bis Sa, 11 – 18 Uhr +49 – 30 – 24 08 81 30, info@capitainpetzel.de, www.capitainpetzel.de

Sam Samore (Installationsansicht) Foto: Nick Ash. Courtesy Capitain Petzel, Berlin

Sam Samore befasst sich in seinen Arbeiten mit der Beziehung zwischen dem Filmischen und dem Malerischen. So auch in seiner ersten Einzelausstellung bei Capitain Petzel – mit Hilfe der Fotografie macht er die wechselseitigen Effekte dieser beiden Medien sichtbar. Die Inspiration für The Dark Suspicion, seine neue Serie beeindruckender Fotografien in eindringlichen Farben stammt aus einer Bildreihe von René Magritte. Die zentralen Themen der Serie sind die innere Zerrissenheit und Distanziertheit, die Bedeutung sozialer Rollen und das Konzept gesellschaftlicher Masken. Zusammen mit den Fotografien werden drei Kurzfilme gezeigt, die Tiefen von Charakterwelten in nicht-linearen Erzählsträngen aufzeigen und sich dabei im Spannungsfeld zwischen dem Unheimlichen und dem Allegorischen bewegen.

Marcel Eichner / Dash Snow 10. Februar bis 10. März 2012

Contemporary Fine Arts, Am Kupfergraben 10 / Museumsinsel, S3, S5, S7, S75 Hackescher Markt, Di bis Fr 11 – 18 Uhr, Sa 11 – 16 Uhr +49 – 30 – 288 78 70, gallery@cfa-berlin.de, www.cfa-berlin.de

Marcel Eichner: Hotel Paradies, 2011. Foto: Jochen Littkemann. Courtesy Contemporary Fine Arts, Berlin

In seiner zweiten Einzelausstellung bei CFA zeigt der Immendorff-Schüler Marcel Eicher eine neue Serie der für ihn typischen verwaschenen, unruhigen und düster-skurrilen Malereien in Gouache, Acryl und Tinte auf Leinwand und erlaubt so einen Blick auf eine beige-verblassende Welt. In den anderen Räumen der Galerie ist zeitgleich eine Auswahl an Fotografien des New Yorker Kunst-Erben Dash Snow zu sehen, dessen tragischer Tod 2009 die Kunstwelt schockierte. Die Wirkung der Bilder von Sex, Drogen und Geld im Überfluss hat sich seit dem Zeitpunkt ihrer Entstehung aufgrund der dramatischen Veränderung des ökonomischen Klimas auf der Welt unweigerlich verändert und lässt bisweilen sogar neue Deutungen zu.

Found in Translation 28. Januar bis 9. April 2012

Deutsche Guggenheim, Unter den Linden 13–15, U6 Französische Strasse , täglich 10 – 20 Uhr +49 – 30 – 202 09 30, berlin.guggenheim@db.com, www.deutsche-guggenheim.com

Keren Cytter: Something Happened, 2007 (Video). Courtesy Solomon R. Guggenheim Museum, New York

Das Thema der aktuellen Gruppenausstellung in der Deutschen Guggenheim ist die Zukunft – im Speziellen die Auswirkungen der Internationalisierung und Globalisierung auf Sprache und Kommunikation. Dem Echtzeit-Wesen der Sprache geschuldet sind ein Großteil der Exponate Video- und Filmarbeiten, welche sich, ebenso wie die ausgestellten Fotografien und Drucke, mit dem Thema der Übersetzung beschäftigen – im buchstäblichen wie auch metaphorischen Sinne. In ihren Arbeiten zeigen international aufstrebende Kunst-Stars wie Brendan Fernandes und Lisa Oppenheim aus der Perspektive von Literatur, Kino, Politik und Geschichte Verzerrungen und Misskommunikationen auf, welche in einer scheinbar immer kleiner werdenden Welt immer häufiger auftauchen.


Mitteschön Filmtipps  35

Filmgalerie 451 presents: screwball & fussball Text Silvio Neubauer

Die Premiere der 451-DVD-Tipps vereint zwei Begriffe, zwei Filme und zwei Männer, die auf den ersten Blick nicht viel zu verbinden scheint: Die Dokumentation Tom meets Zizou (D 2011, Regie: Aljoscha Pause) erzählt von Thomas Broich, einem hochtalentierten Fußballer, der 2002 erstmals von sich Reden machte. Anfangs unspektakulär erscheinend, verdichtet sich schließlich die Geschichte der wechselhaften Karriere dieses vielseitig interessierten, reflektierten Charakters und seiner fast zwangsläufigen Konflikte mit dem System und den Protagonisten des deutschen Profi-Fußballs zu einem erhellenden, Identifikation stiftenden und über die Grenzen des Sports hinaus weisenden (Gesellschafts-)Porträt. Und es fehlt auch nicht an einem Happy-End: Am anderen Ende der Welt, in Australien. Wie in der guten alten Hollywood-Ära... Damals, 1942, präsentierte Preston Sturges, der eigenwillige und gefeierte Hollywood-Autor, einen seiner größten Erfolge als Regisseur: The Palm Beach Story. In der rasanten Komödie begibt sich eine junge New Yorkerin, gespielt von Claudette Colbert, die bereits in den Genre-Klassikern Es geschah in einer Nacht und Midnight bezaubert hatte, auf eine turbulente Reise nach Florida,

um mit Hilfe eines Millionärs und eines irrwitzigen Verwirrspiels ihren in finanzielle Nöte geratenen Mann und ihre Ehe zu retten. Eine späte, wiederum stilbildende Screwball-Komödie, ein SubGenre, das Tempo, originelle Figuren und geschliffene Dialoge vereint. Jahre später überwarf sich Preston Sturges allerdings mit den Protagonisten des Hollywood-Studio-Systems und ging nach Europa, wo er 1959 verarmt und fast vergessen starb. Ach ja – was bedeutet eigentlich Screwball? Nun, im englischen Slang steht der Begriff für einen skurrilen, schrägen Typ. Doch ursprünglich bezeichnet er im Sport einen raffiniert angeschnittenen, unberechenbaren Ball... Filmgalerie 451 Torstraße 231, 10115 Berlin www.filmgalerie-berlin.de


36   Hmmm, Lecker!

Kochtipps vom Kochhaus  Birnen-Risotto mit grünen Bohnen, Rosmarin und Tiroler Speck Text und Bilder Kochhaus

Auf dieser Seite findet ihr monatlich einen Rezeptvorschlag mit Fotoanleitung vom Kochhaus, dem weltweit einzigartigen begehbaren Rezeptbuch in Prenzlauer Berg (Schönhauser Allee 46) und Schöneberg (Akazienstraße 1). Im Kochhaus findet man nicht nur regelmäßig wechselnde Rezepte, sondern auch gleich noch alle Zutaten, die man für das Gericht braucht – fertig portioniert an einem Tisch. Schaut doch mal vorbei und bis dahin: Guten Appetit! Zutaten für 2 Personen: 200 g Risottoreis, 2 Birnen, 8 Bohnen, 2 Schalotten, 1 Bund Rosmarin, 1 Knoblauchzehe, 50 g Grana Padano, 20 g Butter, 50 g Tiroler Speck, 1 Brühwürfel, 600 ml Wasser, 100 ml Weißwein, 3 EL Olivenöl, Salz, Pfeffer *(Mengen- / Zeitangaben beziehen sich auf 2 bzw. 4 Personen)

Schalotten und Knoblauch pellen und fein würfeln.

Bohnen waschen, von den Enden befreien und dritteln.

Käse reiben. Rosmarinspitzen für die Dekoration bei-

Brühwürfel in 600 bzw. 1200 ml* warmem Wasser auf-

Birnen schälen, das Kerngehäuse entfernen und in ca.

seite legen. Verbliebene Rosmarinnadeln von den Stie-

lösen.

2 cm große Würfel schneiden.

len zupfen und fein hacken.

In einem Topf 3 bzw. 6 EL* Öl erhitzen und Schalotten und

Nach und nach bei mittlerer Hitze zuerst 100 bzw. 200

So lange köcheln lassen, bis alle Flüssigkeit verkocht

Knoblauch bei mittlerer Hitze ca. 3 Minuten glasig düns-

ml* Weißwein und anschließend die Brühe einrühren

ist. Dabei häufig rühren. Währenddessen Tiroler Speck

ten. Risottoreis hinzufügen und weitere 2 Minuten bei

und dabei leicht köcheln lassen. Nach 5 Minuten Boh-

in einer Pfanne ohne Öl ca. 2 Minuten bei hoher Hitze

mittlerer Hitze unter Rühren mitdünsten.

nen und Rosmarin zugeben und weitere 12 Minuten

knusprig braten. Anschließend aus der Pfanne neh-

unter ständiger Zugabe von Brühe köcheln lassen.

men und zunächst beiseite stellen.

In der zuvor verwendeten Pfanne Butter zerlassen und

Nach ca. 17 Minuten, wenn alle Flüssigkeit verkocht ist,

Risotto in tiefen Tellern anrichten und mit Rosmarinspit-

die Birnenwürfel bei mittlerer Hitze ca. 5 Minuten gold-

Birnen, Speck und Käse zum Risotto geben. Mit ca. 1 bzw.

zen dekorieren.

braun braten.

2 gestrichenen TL* Salz und ausreichend Pfeffer abschmecken. Topf vom Herd nehmen und abgedeckt ca. 5 Minuten ruhen lassen.


Wir Mitte Muttis  37

Wir mitte-Muttis Text Bettina Schuler  Translation P. 43

Kinder, denen viel vorgelesen wird, sind laut einer Studie der Stiftung Lesen nicht nur erfolgreicher in der Schule, sondern auch körperlich besonders aktiv. Wenn dem so ist, dann wird meine Tochter nicht nur die jüngste Abiturientin Europas, sondern auch Jugendweltmeisterin in diversen Sportarten, denn sie ist vorlesesüchtig. Unter zwanzig Büchern schaffen wir es nie aus der Bibliothek. Deshalb nehme ich dorthin inzwischen auch immer einen Einkaufstrolley mit, auch wenn ich damit aussehe wie Mutter Beimer, die ohne Klausi spazieren geht. Ich weiß, das klingt jetzt alles wie ein riesen Bildungs-Luxusproblem. Aber niemand, keine noch so liebende Mutter, kann mir ernsthaft glauben machen, dass sie sich für die Probleme von türkisfarbenen Einhörnern interessiere, deren Leben sich zwischen Schminktisch und der Schönheit ihrer Swarowski-Steinchen abspielt. Doch genau davon handeln die Lieblingsbücher meiner Tochter. Insider unter euch wissen, was ich meine: Fillys – kleine Plastikpferde, wahlweise in pink, lila oder hellblau, mit Flügeln, Einhorn oder Schlittschuhen und immer mit einem Swarowski-Element in der Krone. Sprich, das Grauen aller Eltern und der Traum aller Kinder ab 3 Jahren. Und dank des gut funktionierenden Merchandisings mittlerweile nicht nur als kleine Plastikfiguren, sondern auch auf Bettwäsche oder als Hauptdarsteller in Büchern zu haben. Wenn man bei dem Niveau der Dialoge überhaupt noch von Büchern sprechen kann. Dabei gibt es so viele schöne Bücher, die ich meiner Tochter gerne vorlesen würde. Wie zum Beispiel Nathalie Henses Kinderbuch Ich hasse Rosa!, mit dessen Titel sie allein schon vielen Eltern aus der Seele spricht. Darin dreht sich alles um ein Mädchen, das im Gegensatz zu meiner Tochter Schwarz zu ihren Lieblingsfarben zählt und nicht gleich anfängt zu schreien, wenn sie einen Dinosaurier sieht. Ebenfalls sehr empfehlenswert ist das Kinderbuch Schwester, in dem der Dramatiker Jon Fosse von den Abenteuern eines kleinen Jungen und seiner Schwester erzählt, die immer wieder fast in der Katastrophe

enden. Zumindest aus Erwachsenensicht. Dabei wollen sie eigentlich nur eins: die Welt entdecken.

Für Kinder von 4 bis 7 Jahren: Ich hasse Rosa! von Natalie Hense Jacoby & Stuart 2009 Preis: 12,95 Euro

Alle Eltern, die eine Nachteule als Kind haben, müssen sich unbedingt das Buch Verdammte Scheiße, schlaf ein! zulegen, damit sie nach drei Abenden, an denen sie bis 1.00 Uhr nachts das Händchen ihres Kindes gehalten haben, wenigstens etwas zum Lachen haben. Übrigens auch immer ein gutes Geschenk für Jungeltern, die chronisch unter Schlafmangel leiden.

Verdammte Scheiße, schlaf ein! von Adam Mansbach Dumont Verlag 2011 Preis: 9,99 Euro Hauptsache, es wird kein Hund von Martin Baltscheit und Katja Kamm Bajazzo Verlag 2007

Wer hingegen von euch das Glück hat, dass sein Kind schon selber liest, der sollte sich unbedingt alle Bücher von James Krüss zulegen, denn kein deutscher Autor schreibt so gut wie er. Insbesondere seinen Klassiker Mein Urgroßvater und ich kann ich euch ans Herz legen, mit keinem anderen Buch werdet ihr eurem Kind die Komplexität der deutschen Sprache besser beibringen können.

Preis: 13,90 Euro Schwester von Jon Fosse Bajazzo Verlag 2006 Preis: 12,90 Euro. Für Kinder von 8 bis 10 Jahren: Mein Urgroßvater und ich von James Krüss Oetinger Verlag 2009

Falls ihr Besuch von Freunden mit Kindern erwartet, ist wiederum das Buch Berlin zum Mitmachen eine Investition wert. Denn damit lässt sich dank Rätsel- und Bastelspaß selbst die langweiligste Sightseeing-Tour für Kinder gut ertragen.

Preis: 12,40 Euro Berlin entdecken: Der Stadtführer für Kinder von Günther Strempel und Oliver Wilking Nicolai Verlag 2010 Preis: 9,95 Euro.

Und falls ihr euch am Ende des Tages dann doch wieder vor einer Zeitschrift mit lila Einhörnern wiederfindet, denkt immer daran, dass Glücksbärchen, My Little Ponys und Monchhichis auch nicht schöner waren – aber, wir haben sie geliebt.

Berlin zum Mitmachen von Gaelle de Radiguès und Ocka Caremi Parthas Verlaig 2011 Preis: 7,90 Euro.



Berliner Gesichter  39

BERLINER GESICHTER Text Bettina Schuler  Foto Tina Linster  Translation P. 43

Anja Koeseling, 37 Jahre Geschäftsführerin und Lektorin der Agentur Scriptzz

Ich habe mein ganzes Leben lang schon viel gelesen. Mittlerweile habe ich über 5000 Bücher. Kinder- und Jugendbücher liebe ich ganz besonders, wahrscheinlich auch, weil ich selbst eine Tochter habe, die ich als Kind ständig in die Märchenwelt entführt habe. Inzwischen ist meine Tochter schon ein Teenager, aber ich lese ihr trotzdem immer noch vor. Sie ist quasi meine Testperson für Kinder- und Jugendbücher. Denn wenn sie während des Vorlesens einschläft, weiß ich, dass es Sinn macht, das Buch in unser Programm aufzunehmen. Die Agentur habe ich vor dreieinhalb Jahren gegründet. Aber ich habe auch schon davor als freie Journalistin für Verlage gearbeitet. Auf Dauer war mir das aber zu langweilig. Ich wollte viel lieber selbst an der Entstehung einer Geschichte beteiligt sein und mir, wie kürzlich zum Beispiel, gemeinsam mit der Autorin überlegen, warum die Hauptfigur Trudie Taff und nicht irgendwie anders heißt. Ein weiterer Grund für meinen Berufswechsel war mein Frust über die Situation auf dem Kinder- und Jugendbuchmarkt, wo es kaum noch Bücher von deutschen Autoren zu finden gab. Die Verlage haben sich völlig darauf konzentriert, erfolgreiche Lizenzen aus dem Ausland einzukaufen, anstatt sich auf die Suche nach neuen, begabten deutschen Autoren zu begeben. Dabei wird immer wieder vergessen, dass unsere Kinder ganz anders sozialisiert werden und wir weder Highschools noch solche Internate wie in England haben. Warum sollten die Kinder also Bücher darüber lesen wollen? Wir bekommen pro Tag ungefähr fünf Manuskripte zugesandt und spätestens nach vier Seiten weiß ich, ob das Buch etwas taugt. Ich habe das einfach im Urin. Wenn man ein gutes Buch in den Händen hält,

dann fühlt es sich so an, als würde man sich gerade eben frisch verlieben. Man kann einfach nicht mehr aufhören zu lesen und will unbedingt wissen, wie es weitergeht.

Scriptzz Agentur für zeitgenössische Literatur Waldesruher Str. 37 12623 Berlin

Unsere Agentur konzentriert sich auf Debütanten. Daher haben wir auch eine sehr enge Bindung zu unseren Autoren und Autorinnen. Zudem legen wir sehr viel Wert auf ein gründliches orthografisches und inhaltliches Lektorat. Insbesondere Logikfehler sind für mich unerträglich. Der Beruf des Literaturagenten ist in Deutschland noch recht neu. Doch mittlerweile arbeitet fast kein Verlag mehr ohne sie. Einfach, weil wir ihnen durch das Selektieren und Lektorieren der Manuskripte wahnsinnig viel Arbeit abnehmen und sie im Grunde genommen das Buch nur noch lesen müssen. Mein Rat an alle, die ein Buch schreiben wollen? Jeden Tag schreiben. Mindestens drei Seiten. Egal, ob sie gut oder schlecht sind. Einfach schreiben, schreiben, schreiben. Das hat schon Hemingway gesagt. Ob ich selbst irgendwann mal ein Buch schreiben werde? Bestimmt. Ich versuche mich auch schon länger an einem Bilderbuch. Doch zwölf Kapitel à sechs bis acht Zeilen zu schreiben, die aufeinander aufbauen und sich im besten Fall auch noch reimen, ist alles andere als einfach. Außerdem habe ich momentan einfach viel zu wenig Zeit, um mich darauf zu konzentrieren. Ich muss ja jeden Tag mindestens 200 Seiten lesen! Aber spätestens, wenn ich alt bin, werde ich das Projekt Bilderbuch wieder in Angriff nehmen. Autorin kann man zum Glück ja auch noch mit 109 Jahren werden.

info@scriptzz.de www.scriptzz.de


40   English Translations

Events (p. 8)

freshness. Cloud Control is coming to Berlin to warm

factor. What might seem incompatible is assembled,

us up with guitar strums at an exclusive concert on 19

enriched, and changed. In this manner, they create

Gotye

February 2012 in Comet Club.

their very own style mix, which is dominated by per-

Pop

Comet Club

fect harmony and a Jazzanova seal. For their I Human

Admission: €16 + surcharges

Falckenstein Strasse 48

record release in Europe and Germany Tour 2012, these exceptional artists will be grooving all night in the

The 31-year-old Australian with Belgian roots has taken the world

Ballet Revolución

Kreuzberg’s Gretchen Club on 17 February. They’ll be

by unexpected storm. Wouter De

21 Feb – 04 Mar, 8 pm

backed by a live band and the velvet voice of Detroit

Backer, a.k.a. Gotye, long a star at home, will be in Ger-

Admission: from €24,90

singer and bassist Paul Randolph who is known for his

many. Since the release of his single Somebody that I

Cuba has had many crises. Yet, in

collaborations with Moodyman, Carl Craig, and Amp

used to know in June of last year, he’s no longer a secret

spite of all the difficulties, these

Fiddler.

tip. The music video has already had 43 million visits

Caribbean island inhabitants have

Gretchen, Obentraut Strasse 19-21

on YouTube. The strength of this musical free spirit

kept their unshakeable love for music, which means

lies in his incomparable voice and the freshness of

both the hope and elixir of life. No wonder then that

Kina Grannis

his compositions that are very difficult to categorize.

the paradisiacal graceful island is often described as

Acoustic Pop

Gotye’s music is made up of everything: precise Pop,

the mother of all dances, and has given us many ta-

Admission: €18, 20 Feb

emotional Electronic, Motown-Soul, Synth-Folk and

lented dancers. Professional dancing is comparably

The best proof that talent prevails

yet at the same time, something completely new. His

new in Cuba. Yet dance forms like ballet and modern

thanks to a strong will and enga-

recent release, Making Mirrors, which received the

dance could not have found a more fertile ground

gement, and without influential

Triple J’J Award, is a multi-faceted sound experiment.

than this Caribbean island. Hot, Caribbean rhythms

helpers, is the unparalleled success of the enchan-

Work on the album took just under two years. Its suc-

have finally reached Berlin in the middle of cold win-

ting singer Kina Grannis. She won a competition for

cess also comes from the unusual instruments that the

ter. Ballet Revolución, performing at the Admirals Pa-

new talent, successfully established her own YouTube

musician uses. Gotye creates a guitar-like fence for the

last from 21 February to 4 March is a unique blend of

channel and herself in the music scene. Her single

baseline of songs out of the sounds of Winton Musical

African and Spanish dance traditions with a touch of

Valentine has already had over 11 million clicks. The

Fence. Gotye will be thrilling his German fans on the

Russian ballet technique, giving us a mix very rich in

exotic artist, of Japanese, English, Irish, French, Dutch,

21st of February in the Astra Kulturhaus. An interesting

contrast of style and genre. Ballet Revolución is made

Welsh and Scottish descent, grew up in California. She

stage show is a sure thing because the artist puts a lot

of an excellent ensemble of passionate classical and

was already composing piano pieces in elementary

of emphasis on the visual expression of his sounds.

contemporary dancers from the Escuela Nacional

school when she discovered the guitar. While at uni-

Astra Kulturhaus

Cubana de Ballet, which has been the launch pad for

versity, her first record Sincerely, Me was released. She

many great careers. The musical accompaniment of

produced two albums herself, One More In The Attic

Cloud Control

the show is also a highlight: a live band performs ex-

and In Memory Of The Singing Bridge, which were

Indie Folk Rock

citing hits with one of Cuba’s best trumpet players.

local successes. The brand new album Stairwells is a

Admission: €14 / €17

Admiralspalast, Friedrich Strasse 101

successful collection of melodic songs, which often

Sunday, 19 Feb

www.balletrevolucion.com.au

were often inspired by the personal experiences of the young singer. Kina maintains enormous artistic

Doors open: 8 pm Jazzanova – I Human

control because she has avoided the shackles of a re-

Cloud Control sounds like weather control. Yet in

Record Release Party

cord contract and continues to publish her videos in

truth, the band members don’t have to prove any ex-

Admission: €15, after party: €10

YouTube. You can see Kina Grannis enchant the au-

traterrestrial powers because their happy songs pre-

Friday, 17 Feb, 9 pm

dience with her elf-like voice and acoustic pop in the

vent any dark clouds in the first place. It’s rather the

The quiet, subtle rhythms of the

Roter Salon in the Volksbühne on 20 February.

Australian sun that shines in the hearts of their fans.

six-member collective Jazzanova,

Roter Salon/ Volksbühne

The explosive career of the energetic band began with

who have enjoyed worldwide acclaim for many years,

Rosa-Luxemburg Platz 1

a band competition. The artists have already become

would be a perfect companion for a sunny Sunday

www.volksbuehne-berlin.de

superstars abroad, yet are unknown in Germany. But

morning. But despite the loungy, deep sounds, these

not for much longer. The unique sound of their de-

musical creations of these Berliners are as welcome in

Transmediale 2012

but album, Bliss Release, which was released in May

the club scene as well as at a relaxed party at home. The

Party

of last year, won them Best Artist and Best Album and

band's sound is completely unique. When the artists,

Admission: €60 to €90

is getting them more and more fans. Happily, Cloud

who are considered innovators on the dance floor, in

31 Jan – 5 Feb

Control can’t simply be reduced to one specific mu-

nujazz, broken beat, modern folk and soul, produce

The transmediale began in 1988 as

sical direction. Sometimes the songs mutate almost

and re-mix, they always come up with their own mu-

one of the programs in the section

meditatively, and then explode into fantastic harmo-

sic. The imaginative DJs always create new masterpi-

International Forum of Youth Films of the Berlinale,

nic singing and psychedelic strumming of guitars that

eces with the utmost respect for the original musical

and since then has enjoyed cult status. Under the new

spread positive vibes of alternative Rock and Folk ele-

basis. The creation process is far from any tactical

leadership of Kristoffer Gansing, this year’s theme is

ments. Their work is always marked by ingenuity and

calculation and doesn’t try to comply with a hipness

in/compatible. The uncomfortable state of incompati-

Show begins: 9 pm


English Translations  41

ning it wasn’t so easy to decipher the old Sutherlin or

bility when things don’t work with each other. Usually

the New York art heir whose tragic death shocked the

when using this word, it has an unwanted, but always

art world in 2009. His photographs depicting sex,

cursive German letters. But where there’s a will... “While

tactile negative undertone. Yet just the opposite can

drugs, and money-a-plenty are already taking on a

I was studying History and German, I attended training

be created when impossible, artistic connections are

different meaning than they had when taken a few

seminars to learn these scripts, from medieval writing to

expressed. They can have a positive effect on creati-

years ago, due to the drastic change in the world eco-

the relatively new fonts from the 19th Century. Then I just

vity and the creative process. Driven by the power of

nomic climate.

practiced a lot, stayed with it and transcribed for hours.” One of his favorite diaries is one by Bruno W. He was

opposites, breaks and gaps, the festival is presenting it’s 25th anniversary edition. We can expect a multi-

Found in

a student in the 1930’s. He was in the Berlin Swing Kid

faced, international program of discussion panels, art

Translation

scene, a colorful, cultural enclave in the darkest chapter

works, video screenings, workshops, performances

28 Jan to 9 Apr

in German history. The diary dates from 1937 to 1939,

and creative interventions, exhibitions and musical

Deutsche Guggenheim, Unter den

yet the politics of the Third Reich are as well as never

presentations. In addition, transmediale 2012 offers an

Linden 13–15

mentioned. The Swing Kids danced all night in Kreuz-

exciting look at the unique media art and cultural his-

Daily, 10 am – 8 pm

berg and Neukölln, dressed up in their particular style

tory of Berlin while at the same sheds light on future

Deutsche Guggenheim hosts a group exhibition fo-

and were masters of seduction. Bruno and his gang, the

of network culture with the newly initiated platform

cused on the future, specifically examining the effects

“Scots Club”, used a vernacular of their own.

reSource for transmedial culture.

that internationalization and globalization are having

I got to know my new star on Christmas Day in Rhein-

Haus der Kulturen der Welt

on language and communication. Taking a cue from

gau. The club was full. With my eagle eye, I scoped the

John-Foster-Dulles-Allee 10

the real-time characteristic of language, video and

field and detected that most people were sitting at the

www.transmediale.de

film works make up the majority of those on display,

entrance. After one or two dances and exchanging me-

alongside some photographs and prints – all of which

mories with old friends, I approached a girl seating at the

explore the phenomenon of translation, in both the

door, very directly, you understand. Deftly, I engaged the

Sam Samore

literal and more metaphorical senses. With an inter-

small, young girl into a more or less (that’s how a dance

13 Jan to 18 Feb

national artist list that includes rising stars such as

conversation is!) interesting conversation about school,

Capitain Petzel,

Brendan Fernandes and Lisa Oppenheim, the works

etc., etc. Anyway, I avoided anxiously discussing the wea-

Karl-Marx-Allee 45

employ literature, cinema, politics, and history as lens-

ther, chapel, parquet or lighting. I succeeded brilliantly,

Tue – Sat , 11 am – 6 pm

es to reveal the distortions and miscommunications

as she immediately got my nonsense and played along.

His previous work having addressed

that occur more and more as our world gets smaller.

Being experienced, I right away reserved the first dance,

EYEOUT Art Events (p. 34)

having successfully made an impact on her, much to her

the relationship between cinema and painting, Sam Samore continues in this vein with his first solo exhibition

The lives of others

cousin’s delight who constantly made a shy attempt not

at Capitain Petzel, using photography this time to focus

(p. 30)

to look when I came over, but couldn’t resist on account

more specifically on the effects of the two media upon

Its cold and wet outside, the first

of my bubbling friendliness. Other boys’ attempts failed

each another. Samore’s new series of beautiful, vividly

snow... pardon, the first winter sleet

in the face of my expertise, but I had already reserved all

colored photographs, The Dark Suspicion, takes inspira-

is falling. I’m trudging through Neu-

her dances. So I had – for the first time in a long time – a

tion from a series of paintings by René Magritte. This

kölln on the way to meet Theodore

100% evening. I hooked up her cousin with another sol-

new photographic series examines internal disconnect

Schmidt. He’s been tracking down old

dier who very chivalrously accompanied us - I would like

and detachment, the assignment of social roles, and the

diaries for the last ten years, transcribes them and reads

it to be known – to her home in Treptow.

concept of masks in society. The photographs are exhi-

parts of them in public. We all know, the lousier the wea-

The best stories are written in detail that gives insight

bited alongside three short films which delve into the

ther outside, the more comfortable it is inside. Especially

into the everyday life of times past. A soldier from the

fantastical worlds of characters trapped in non-linear

when it comes to Theodore’s shared flat. There’s an old-

year 1850 describes an entire page of nothing but his

narratives, exploring themes ranging from the uncan-

fashioned tile-oven, the walls are lined with books, mostly

guardhouse. Inch by inch, in great detail. This gives the

ny to the allegorical.

old, in leather or linen bound copies, which clearly come

story color, and brings the story to life. Theo also has

from another time...

a weakness for erotic entries: “If something happened,

Marcel Eichner /

It all started ten years ago at the Boxhagener Platz flea

then it was written more poetically than it would be to-

Dash Snow

market in Friedrichshain on a Sunday. It was there that

day. Certainly because the language was generally more

10 Feb to 10 Mar

he bought the first diary, which written in Berlin Gru-

poetic – or at least it seems so to us.” As in the diary of

Contemporary Fine Arts

newald in 1940. “When I first leafed through it, I could

the student from Leipzig who lived with his landlady

Tue to Fri, 11 am – 6 pm

hardly read it. Then it was in the closet for half a year. I

and began an affair with her daughter. This didn’t mean

Sat, 11 am – 6pm

can’t even remember why I suddenly took it out again. I

that he was allowed to see her from head to toe naked.

For his second solo exhibition at CFA, Marcel Eichner,

began transcribing it, and whenever I found an interes-

His coup: He drilled a hole in the bathroom door, the

who studied under Immendorff, unveils another se-

ting passage, I read it to friends or told them about it.

connecting door to his room, and secretly watched her.

ries of his washed-out, busy, and darkly whimsical

Their interest motivated me to keep going. But I didn’t

Finally, when I thought the food was coming, Lisbeth

paintings of gouache, acrylic, and ink on canvas, offe-

waste any time thinking about what could come of it.”

said she wanted to bathe and so I opened the hole again.

ring a glance into his beige and faded world. On view

This 31-year-old’s passion gradually transformed his

I hadn’t smeared it again with putty; I wetted the tissue

next door is a selection of photographs by Dash Snow,

flat into something of a used bookstore. At the begin-

paper, pressed it flat and then dusted it with insect pow-


42   English Translations

der. [...] While I waited, in the middle of the hall, I pressed

won’t give you one,” I say, so he takes one. In no time, he

continue the conversation at the point where they en-

a piece of putty down because it robbed too much of my

takes me in her arms. He kisses like I did not think that

ded it the last time. As if this were a work meeting and

view. It was a risky job because the slightest noise could

you could kiss. It's like our tongues are chained. For a

there wasn’t a journalist visiting. A book, which might

have given me away. Finally, finally she came, completely

long time, maybe minutes, he kissed me. He trembled all

be interesting for their new theater piece, is promptly

naked. The thought of that first sight still excites me now

over; he is so passionate that he can barely speak. “Hil-

produced. Hinrichs, who recommends the book to Pol-

as I write this. The field of view was actually one of some

de,” he gasps again and again. Then he leaned back and

lesch, recites a long passage on the desire for absolute

importance. I saw her whole back, ass and the beginning

looked at me quite admiringly. “How you can kiss,” he

love. This unleashes a discussion on the simultaneity

of the legs. It was an almost dazzling, captivating, incen-

says. “You're quite different than the others.” He kissed

of the singular, which is as self-evidently expressed as if

diary and yet, very important, pure sight. While I did not

me again. [...] He wants to take my hat off his head. “Not

you were discussing the advantages of non-stops flights.

see the whole body, I had pretty much the impression

now”, I say determined. He is quite taken. He makes a sad

Temperatures rise and Hinrichs strips to his undershirt.

of the whole, and this was and is really quite a colossal

face. He cries. He looks like the last act of Boheme. [...]

This might be attributable to his bike ride: he’s managed

impression. Outside, the sun was shining brightly and it

Then I get out of the car to properly take off my coat. He’s

to get to Mitte from Kreuzberg in just ten minutes; so he’s

was also very bright in Lisbeth's room, despite the veiled

right beside me and got me back in the arms. He trem-

allowed to sweat a little. And so it continues with the na-

curtains. Lisbeth's body literally glowed like bright, lumi-

bles, he almost knocks me over. We drive away. “Now I

mes of famous theoreticians like Jean-Luc Nancy, Niklas

nous sunshine.

know you’ve been waiting for,” he says. I ask him, but he

Luhmann, Foucault flying between the two of them. Alt-

Such erotic essays, however, are rather rare. Theo often

will not say. But I overcome him. I could force him to my

hough they’re complete opposite types in appearance,

encounters war diaries, which interest him less, but for

feet, I have power over him. “I can no longer bear K. now,”

they function synchronously on a mental level, under-

which there is a very lucrative market. He finds legal

he says. Then I tell him: “You see I know him well, but

standing each other intellectually by only having to th-

cases exciting. Legal cases exciting? You only question

he hardly knows me, I think he can not stand me.” He:

row a cue. You could already see where this predilection

it until you read these files. “I have an interesting one

“I’ll drive you to him now, because I’ll go to Heidelberg

for societal-political themes can lead in Pollesch’s play,

about forced laborers from the 1820s. Actually charges

with him. Oh, if only I didn’t have to go there for Easter. I

“Ich schaue dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblen-

were pressed against them because they hadn’t come

won’t see you for such a long time. Please come Tuesday

dungszusammenhang”, in which Hinrichs was on stage

to work. Suddenly, however, the farm laborers defended

morning. I have rehearsal. I’ll often look in on you.” “Will

alone for over 85 minutes. A physical act of endurance for

themselves and used this opportunity to complain about

you bring me a picture?” "Of course,” he says. If it’ll make

which he was rightly awarded Actor of the Year in 2010

their working conditions and master, which they’d ne-

you happy, I’ll certainly do it. I think I’m learning to pray

from the magazine Theater heute. Hinrichs is also in the

ver done before. They would have never pressed charges

again. I’m going to become pious again through you. I

middle of the action in Pollesch’s new play, Kill Your Dar-

against him, but in their defense, they were able to write

am so glad that I am in the world, and you too. Why don’t

lings! Streets of Berladelphila. We spoke about the play,

page after page about how bad the food is, that worms

you like me,” he says. "I like you, but I can only swoon for

the genesis of their theater evenings, and why Pollesch

crawl in it, etc. The tone of the writing resonates with a

one, you understand? I can’t do anything about it.” “Yes,”

nurtures his aversion to a dog-eat-dog mentality.

certain irony,” adds Theo. But the classic is the diary of

he says. “Find me an excuse now to say when I get home.”

You just read a paragraph out of Eva Illouz’s book Why

a young person who feels his or her love in the turmoil

“Yes, let me get my thoughts together. Say you were at

love hurts. (Our translation) Do you develop your plays

of desire to express their feelings. This includes the one

the movies or the theater.” “Yes, I’ll say I was in Tobog-

by discussing books, themes and theories?

that Theo read during his first reading in Laika in Neu-

gan.” I get out in front of the theater.

Pollesch: Yes, we start with a basic idea. We work on it

kölln in 2008. It’s from Hilde S., a high school student

Diary texts fall under general copyright law: a person

with tools like the book Fabian brought with him today;

from Mannheim who fell in love with a theater actor in

must be dead at least 70 years in order for the text to be

a book I would have never come up with. We’re primari-

1927, and had to assert herself in a competition with se-

freely available. If not, the heirs must consent. On the

ly concerned with learning more about the subject. We

veral girls. In order to get close she first seduced his col-

other hand, if the author cannot be identified, then the

don’t want to present something on stage that everyone

leagues. With sentences like, “I have power over him” or

text is freely available. From a legal point of view. When

already knows.

“Youth wins” it fluctuates between self-confident young

asked whether he sometimes feels he’s invading the pri-

René, another unique aspect of your work is that you

woman and teenager with a crush.

vacy of other people, Theo responds: “You get used to it.

don’t just let the actor memorize his text, but you process

Tino comes from rehearsal at 8 o’clock. I go away with

If I know that these people are no longer living, I don’t

it mutually with him...

him. We drove to Neckarau. He always looks at me and

feel bad about it. After the last reading, one listener told

Hinrichs: With René’s text, I use the ‘whale method’.

laughs. He asks my name. After I let him guess it, I gave

me that she found it wonderful that the thoughts of the

First, I consume it like a whale consumes it’s food, and

him a business card to read. “I may keep it,” he says, and

writer were now in the minds of so many people and

then I rely on the text creating something outside of

puts it away. “Aren’t you afraid?” “No.” “You're a naugh-

that he wasn’t forgotten. I like this thought.”

myself. P: Whereas the usual way of directing is that the

ty mouse.” I defend myself vigorously. “Naughty means nice,” he explains. “I like that right now.” We then go into

The ultimate duo

director’s concept is merely implemented by the ac-

a country road. It is quite dark. From a distance, there

(p. 26)

tors. I personally can’t imagine a more odious way of

are two lights. He checks whether it's another car. When

Interview René Pollesch

working. Because then everything revolves around the

he knows, he leaves his car quickly. All the lights go out.

and Fabian Hinrichs

director’s idea, his direction revolving around that text...

“The contact is broken,” he says. It is not true of course.

René Pollesch and Fabian Hinrichs

Hinrichs: Contrasts are what create something exciting.

I take out my flashlight, and he is quite surprised that I

are a dream team. You see it the

Pollesch: I think people don’t especially need to fit well

have one. I turn it off and everything is dark. Tino moves

minute you meet them for the in-

together in order to put something on stage. They just

very close to me. “Will you give me a kiss?” He asks. “I

terview at the Volksbühne stage, and they immediately

have to believe that they’ll benefit more from collabo-


English Translations  43

ration, rather than if they compete with a dog-eat-dog

P(laughs): No. We’re talking about things you can’t say

in books. If you can even call that level of dialog a book.

mentality.

because no one would hear it.

And yet there are so many nice books that I’d like to

A very democratic approach when the theater is in fact

So, as the title of the new plays says, kill your darlings in

read to my daughter. Like Nathalie Henses children’s

structured very hierarchally...

order to be accepted?

book, Ich hasse Rosa; a title that speaks to every pa-

Pollesch: It’s also because some directors have been

Hinrichs: Maybe, because extremes stick out too far

rent. It’s about a girl whose favorite color is black, and

called geniuses by newspapers for so long that they

what society has in mind. The title refers to an expressi-

in contrast to my daughter, doesn’t start screaming

believe it themselves. They not only forget that all of

on from the film industry and means you cut out those

when she sees dinosaurs. Also highly recommendab-

theater is based on collaboration, but also only that col-

scenes, which you especially like because they don’t fit

le is the children’s book Schwester in which Jon Fosse

laboration makes you good.

in as a whole.

tells the adventurous story of a little boy and his sister

Your current play Kill Your Darlings! Streets Of Berladel-

Extremes, absolute feelings aren’t allowed because then

that always ends in disaster. At least form an adult’s

phila is in part about being different and asks the ques-

you separate too much from the masses?

point of view, and when all they really want to do is

tion, how much individuality can our society stand? To

Pollesch: And in spite of that, even though the ultimate

discover the world. All parents who have night owl

what extent does the passage, which you read earlier to

love doesn’t exist, we’re all looking for it and many of us

children absolutely have to get the book, Verdammte

Fabian about the man searching for the only true love

believe that you just have to try harder to find it.

Scheiße, schlaf ein! It’ll at least give you something to

but constantly fails, fit?

Hinrichs: And in contrast, it means that’s it’s our own

laugh about while holding your child’s hand until 1 in

Hinrichs: To the extent that in our society, which is

fault if we don’t manage to.

the morning. By the way, it’s also a good present for

trimmed of individuality, everyone is given the promise

Pollesch: It puts people under enormous pressure to

young parents who suffer from a chronic lack of sleep.

of love. But it would however be deemed presumptuous

succeed. It might be good, if instead of numerous Hol-

On the other hand, for those of you lucky enough to

if someone were allowed to say that his love is the ulti-

lywood films and theater pieces, there was just one sin-

have a child that can already read, you should abso-

mate. That would be too unique.

gle, love story we could all relate to. Then we’d finally be

lutely get all of the books by James Krüss because no

Pollesch: Imagine that I join a new ensemble and intro-

freed from the pressure of finding true love.

other author writes German as well. I can especially

duce myself as the ultimate director. They’d all consider

You can see the new play by René Pollesch and Fabian

recommend his classic Mein Urgroßvater und ich. No

me a megalomaniac, even though society demands ab-

Hinrichs Kill Your Darlings. Streets of Berladelphila un-

other book will teach your child the complexity of

solute individualization. We’re supposed to be totally

til the end of the season at the Volksbühne. Tickets are

German better. If you’re expecting a visit from friends

different and separate from the rest. But if you really

available at the theater box office or online from the

with children, the book Berlin zum Mitmachen is a wor-

say, yes, I’m totally different; I’m the ultimate director,

Volkbühne’s website.

thwhile investment. It’s includes puzzles and craft fun that makes a sightseeing tour bearable for children.

that’s not ok. Hinrichs:...and the comment would be construed as eit-

We Mitte Mums

And if at the end of the day you find yourself standing

her cocaine addiction or a psychopathic disorder.

(p. 35)

in front of a magazine with lilac unicorns, always re-

Pollesch: Which is what they always think of us artists.

According to a study by a founda-

member when you were young. The funny little toys

So you want your plays to challenge your viewers to be

tion on reading, children who are

you loved weren’t any nicer.

open to not being extremely different?

often read to are not only more

Pollesch: No, that’s too psychological for me.

successful in school but also more

Berlin Faces

Hinrichs: For us the theater evenings are less about

physically active. If that were true, my daughter would

(p. 38)

achieving something with the audience.

not only be the youngest high school graduate in Eu-

Anja Koeseling, 37 years,

Pollesch: Because in that way we’d be too oriented on

rope, but also the junior world champion in various

Business director and editor at Agen-

the classical broadcaster-receiver model...

sports because she’s addicted to being read to. We

tur Scriptzz

Hinrichs: We do theater much more for us — in order to

never leave the library with less than twenty books.

I’ve read a lot all my life. I have over

learn more about a topic.

That’s why I always take a shopping trolley, in spite

5,000 books. Books for children and young people

Pollesch: That’s again another statement that can be

of what people think how I look. I know it sounds like

are my favorites, probably because I have a daughter

totally construed as egotistical: doing something for

some huge, privileged education problem. But nobody,

whom I constantly took into a world of fairy tales when

oneself. But when Fabian tells me that, then I don’t just

no matter how loving a mother, can seriously make

she was a child. My daughter’s already a teenager, yet

dismiss it as the megalomania of an actor, instead, I be-

me believe she’s really interested in the problems of

I still read to her. She’s my quasi-test person for books

lieve him. For me the theme is mostly about a commu-

a turquoise-colored unicorn who lives between the

for children and young people. If she falls asleep while

nication problem. Our whole communication is errone-

make-up table and beautiful Swarowski stars. Because

I’m reading to her, then I know it makes sense to in-

ously based on the assumption that we, species man is

that’s exactly what my daughter’s favorite stories are

clude the book in our inventory. I founded the agency

similar to each other. To use an example from biologist

about. Insiders among you know what I mean: Filly’s

three and a half years ago, and before that I worked as

Donna Haraway, it’s possible that we might have more

— small plastic horses that come either in pink, lilac

a freelance journalist for publishers. It was too bor-

in common with a dog than with our colleague, if we

or light blue with wings, and have horns or ice skates

ing for me in the long run. I wanted to be part of the

would only manage to create a level of communication

and always a Swarowski element in their crowns. In

origin of a story. Recently, for example, I figured out

with it. So when I join a new ensemble and say, I’m the

other words, the dread of any parent and the dream of

with author why the main character had to be named

ultimate director, then I have to ensure that people hear

all children from the age of three. Thanks to streamli-

“Trudie Taff.“ Another reason for my job change was

it instead of considering me crazy.

ned merchandising, they’re available not only as small

my frustration with the situation that there were

And have you ever said it to a new ensemble?

plastic figures but on bedding or are main characters

hardly any books for children or young people by Ger-


44   English Translations

Mitteschön Verlosung Stöbern, Lesen, Nachdekorieren In andere Wohnungen schauen, sehen, wie sie eingerichtet sind und wie kreative Menschen leben. Welchen Geschmack haben sie – Vintage Style oder doch alles hoch modern? Vor zwei Jahren wurde das Projekt Freunde von Freunden ins Leben gerufen. Eine Plattform die für uns hinter die Kulissen zu schaut. Denn wir alle lieben es hinter fremde Türen zu blicken – Wie lebt wohl Olaf Hajek, Kostas Murkudis oder Leyla von Lala Berlin? Was bislang, und immer noch, online für viele Leser sorgt, ist nun seit November letzten Jahres auch als Buch erhältlich. Zusammen mit dem Distanz Verlag haben die Jungs und Mädels von FvF exklusive Interviews und OnlineHighlights der letzten zwei Jahre auf Papier gebracht. Szenige Wohnungen, eine Villa im Grunewald oder ein Loft in Neukölln. Das Buch hat visuell viel zu bieten. Und nach all den Endrücken will man am liebsten alles aus seiner Wohnung werfen und sie neu dekorieren. Ab sofort verlosen wir zusammen mit Freunde von Freunden und dem Distanz Verlag zwei Exemplare auf www.mitteschoen.com

man authors. Publishers had completely concentrated

at best. I haven’t enough

on buying foreign licenses, instead of looking for tal-

time at the moment to

Fachfrau Berlin | Bötzowstr. 37 | 10407 Berlin

ented German authors. They’d forgotten that our chil-

concentrate on it. I have

www.fachfrau-berlin.de | Facebook: Fachfrau Berlin

dren are socialized differently. We neither have “high

to read at least 200 pages

Öffnungszeiten: Mo-Fr 11-19 Uhr, Sa 10-18 Uhr

schools” or “boarding schools” like in England. Why

a day. When I’m old, at the

should children read about them? We get up to five

latest, I’ll set my sights on

manuscripts per day and by the fourth page I know if

the picture book again. For-

it’s any good. I can feel it. You can feel it when you’ve

tunately, you can become

got a good book in your hands. It feels like you’ve just

an author when you’re 109.

fallen in love. You just can’t stop reading and absolutely have to know what happens. Our agency focuses

Scriptzz

on debut authors. That’s why we have a very close re-

Agency for contemporary

lationship with our authors. Also, thorough editing of

literature

the orthography and content is very important to us.

Waldesruher Strasse 37

Errors in logic are unbearable to me. The job of literary

12623 Berlin

agent in Germany is still relatively new. Yet, almost no

info@scriptzz.de

publisher works without them anymore. Simply be-

www.scriptzz.de

cause we do much of the selecting and editing work for them. They basically just have to read the book. My advice to anyone who wants to write a book? Write every day. At least three pages. It doesn’t matter if it’s good or bad. Just write, write, write. Hemingway already said

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it. Whether I’ll ever write a book myself? Certainly. I’ve been working on a picture book for a long time. But it isn’t easy to write twelve chapters with six to eight lines that are built on one another and should rhyme

Bei der Fachfrau kannst Du in über 160 großen und kleinen Fächern Selbstgemachtes, Sammlerstücke oder VintageSchätze aller Art kaufen und verkaufen.


Kieztalk  45


46   Kolumne

herzlich willkommen Text Martin „Gotti“ Gottschild

Illustration Kristina Wedel

„Hallo Sie! Ja richtig, Sie! Sie strahlen so viel Lebensfreude aus wie ein Barsch im Tiefkühlfach? Ihr bevorzugter Gesichtsausdruck ist der von Marie Antoinette, kurz nachdem ihr Kopf ins Körbchen geplumpst war? Sie besitzen die Reflexe einer Wildschnecke, sind von Natur aus boshaft und hassen alles, was sich bewegt? Sie reden äußerst ungern? Kommunikation beschränkt sich bei Ihnen im Wesentlichen auf die beiden Sätze: ,Wat is los?!‘ und ,Ick will nach Hause‘? Kurzum, Sie haben nur einen Wunsch im Leben: Sie wollen in Ruhe gelassen werden? Dann bewerben Sie sich bei uns. Werden Sie Servicekraft in Berlin! Warum Ihre schlechte Laune für sich behalten? Teilen Sie sie mit den Menschen, die Sie so verachten.“ So oder so ähnlich müssen die Anzeigen wohl gelautet haben, denen so viele Tresenkräfte, Taxifahrer, Verkäufer und Kassiererinnen in Berlin ihre Arbeit zu verdanken haben. „Beim Fresse zieh’n Geld verdien’n. Hier bei uns ist einfach alles möglich.“ Anders ist es ja auch kaum zu erklären, dass zum Beispiel von den Angestellten im Spätkauf immer eine dermaßen eisige Stimmung ausgeht, dass man annehmen muss, der eigentliche Verkäufer liege bereits gefesselt und geknebelt hinter der Theke und man werde stattdessen von dem Typen bedient, der gerade den Laden überfallen hat. Es würde auch erklären, warum man bei einem Beratungsgespräch im Media Markt aufpassen muss, dass man am Ende nicht doch mit einer Waschmaschine von Sony und einem DVD-Player von Miele nach Hause fährt. Oder warum die Kassiererinnen bei Aldi die auf dem Band liegenden Waren immer mit einer dermaßenen Geschwindigkeit über den Scanner jagen, dass man als normaler Mensch, also ohne besondere Superkräfte, überhaupt nicht in der Lage ist, die pfeilschnellen Produkte irgendwie aufzuhalten und unversehrt im Einkaufskorb zu versenken.

Seit der 75-jährige passionierte Schmetterlingssammler Reinhard Springel im Mai 2009 kurz vor Ladenschluss von einem Bund Suppengrün und drei Radieschen durchlöchert wurde, empfehlen Verbraucherschützer bei Supermarkteinkäufen ab 19.45 Uhr mittlerweile ja bundesweit das Tragen von gemüsesicherer Oberbekleidung. Und wer jemals der Fahrkartenverkäuferin am S-Bahnhof Landsberger Allee in die Augen schauen sollte, wird im ersten Moment nicht umhin kommen, bei sich zu denken: „Mein Gott! Ich sehe tote Menschen!“ Ich meine wirklich, hier in Berlin kennt die Lustlosigkeit im Dienstleistungsgewerbe doch keine Grenzen mehr. Ganz objektiv gesehen bin ich als Kunde natürlich auch nur ein lästiges Stück Scheiße, das am Produkt klebt und den Verkaufsvorgang unnötig in die Länge zieht. Aber das muss man mir doch nicht gleich so auf die Nase binden. Mittlerweile habe ich es ja verstanden. Ich sag doch schon gar nichts mehr, wenn mich der Taxifahrer, nachdem ich ihm mitgeteilt habe, dass ich gerne eine Kurzstrecke in die Kniprodestraße in Anspruch nehmen würde, anschaut, als hätte ich ihm meinen angeleckten Finger ins Ohr gesteckt, und er daraufhin die ganze Strecke zur Strafe bei geöffneten Fenstern mit 70 km/h im ersten Gang absolviert, nur um nach exakt zwei Kilometern so abrupt zu bremsen, dass es mir fast die Haut vom Gesicht reißt. Und ich beschwere mich doch auch nicht, wenn mir die Kellnerin in der Grizzly-Bar in Kreuzberg zum zweiten Mal hintereinander das falsche Getränk über die Hose schüttet, bevor sie sich mit den Worten „Bloß nicht verreiben. Trocknen lassen und dann ausbürsten!“ in den Feierabend verabschiedet. Alles, was ich mir wünsche, ist, dass ich keine Angst mehr um Leib und Leben haben muss oder mit einem bösen Fluch belegt werde, nur weil ich in dieser Stadt eine Dienstleistung in Anspruch nehmen will. Also gebt euch einen Ruck und lasst die Freundlichkeit wieder in eure Herzen zurückkehren, ihr Tresenkräfte, Taxifahrer, Verkäufer und Kassiererinnen Berlins, die ihr da draußen lauert und uns das Geld aus der Tasche ziehen wollt. Sonst gibt’s was auf die Fresse!

www.tierestreichelnmenschen.de jeden 3. Sonntag im Frannz!


Stadtplan  47

Illustration: Kristina Wedel

Legende Kultur/Freizeit

Läden

1. Roter Salon/ Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz 1

13. Ave Maria, Potsdamer Straße 75

2. Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10

14. Andreas Murkudis, Potsdamer Straße 81 e

3. Staatsbibliothek zu Berlin, Potsdamer Straße 33

15. Do you read me?! Reading Room, Potsdamer Straße 98

4. 401 Contemporary, Potsdamer Straße 81 b

16. Do you read me?!, Auguststraße 28

5. Lettrétage, Methfesselstraße 23-25

17. Filmgalerie 451, Torstraße 231

Bars/Cafés/Clubs 6. Astra Kulturhaus, Revaler Straße 99 7. Comet Club, Falckensteinstraße 48 8. Gretchen, Obertrautstraße 19-21 9. Joseph-Roth-Diele, Potsdamer Straße 75 10. Café Einstein, Kurfürstenstraße 58 11. Monarch, Skalitzer Straße 134 12. Bar Gelegenheiten, Weserstraße 50



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