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#BLEIBMUTIG

„MUT STEHT AM ANFANG DES HANDELNS, GLÜCK AM ENDE“

Demokrit

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Eine oberflächlich erscheinende Weisheit, und dennoch ein passendes Zitat für die derzeitige Lage der queeren Community.

WIR HABEN SCHON VIEL ERREICHT

Im letzten Jahrzehnt hat sich in Deutschland so viel getan, was die Rechte der Community anbelangt. Nach langem und zähen Kämpfen wurde die Ehe für alle eingeführt, das Transsexuellengesetz von 1981 in weiten Teilen für ungültig erklärt, es gab Fortschritte in puncto Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare. Außerdem eine augenscheinlich wachsende Akzeptanz in der Mehrheitsgesellschaft. Doch wenn man genauer hinschaut, erscheinen schon die ersten Risse in diesen Erfolgsgeschichten. Denn wer hat diese Veränderungen herbeigeführt?

MEHR ENGAGEMENT DURCH DIE GESETZGEBUNG

Wünschenswert wären mehr Veränderungen durch den Bundestag selbst gewesen, durch die Repräsentant:innen des Volkes. Doch meistens war es das Bundesverfassungsgericht, das die Rechte der Community gegen den Staat verteidigt und erweitert hat. Das bedeutet, dass wir in einem Land leben, in dessen Verfassung die Rechte von LSBTIQ* inkludiert sind. Mit anderen Worten, wir haben ein Recht auf unsere Rechte. Es zeigt zudem, dass der Rechtsstaat funktioniert, und das ist auch gut so. Allerdings ebenso, dass die Abgeordneten im Bundestag teilweise zögerlich sind, sich vielleicht einfach nicht vorwagen. Zurzeit wird sehr langatmig am neuen Selbstbestimmungsgesetz gearbeitet.

Woran liegt das? Sind so vielen Abgeordneten die Rechte der Community und zurzeit im Besonderen Rechte für transidente

Menschen egal oder trauen sie sich nicht aus politischen Gründen? Kurzum, fehlt ihnen der Mut?

Ich bin mir nicht sicher, was mir lieber ist. Sollten die Politiker:innen tatsächlich davon überzeugt sein, dass Teilen unserer Gesellschaft ihre in der Verfassung verbürgten Rechte vorenthalten werden dürfen, stellt sich nicht nur die Frage nach der Akzeptanz, sondern auch nach den Grundfesten unserer Demokratie. Wenn sie vor allem Angst vor Verlust von Wähler:innenstimmen haben, stellt sich die Frage, wie akzeptiert die Queere Community in der sogenannten Mehrheitsgesellschaft ist. Wenn den Abgeordneten einfach nur die Courage fehlt, würde dann ein stärkerer Rückhalt in der wählenden Mehrheitsgesellschaft nicht gleichzeitig mehr Rechte bedeuten?

Nicht Alle Importe Sind Gute Importe

Nur, wie sieht es denn zurzeit mit der Stellung von LSBTIQ* aus? Die USA haben, was westliche Kultur anbelangt, eine Vorreiterrolle. Wer auch nur sporadisch den US Medien folgt, kann das verbale Aufrüsten und Festbeißen der konservativen Medien und Teilen der Politik an Trans*rechten beobachten. Dies führt zu weitreichenden Konsequenzen außerhalb der (sozialen) Medien. In einzelnen Staaten gibt eine ganze Welle an diskriminierenden Gesetzen. Dazu gehören rigorose Altersbeschränkungen für die Inanspruchnahme geschlechtsangleichender medizinischer Versorgung, teilweise ein Mindestalter von bis zu 26 Jahren. Von jetzt auf gleich wird das Recht von transidenten Menschen auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit beschnitten. Man mag sich die Verzweiflung der

Betroffenen gar nicht vorstellen. Gleichzeitig werden Bücher mit queeren Inhalten aus Schulbibliotheken verbannt, Redeverbote in den öffentlichen Schulen eingeführt und die Angst vor dem sogenannten Grooming, also dem Vorbereiten von Straftaten gegen Minderjährige, geschürt. Mit anderen Worten, das Gespenst der pädokriminellen Schwulen ist aus den Untiefen der Vergangenheit zurückgekehrt. Es wird eine Drohkulisse aufgebaut, in der die Kinder durch die queere Community erst vereinnahmt, und dann verstümmelt wieder ausgespuckt werden.

Mehr Gewalttaten

GEGEN LSBTIQ*

Und hier in Deutschland? In den letzten Jahren wurde begonnen, die Gewalttaten gegen LSBTIQ* systematischer zu erfassen. Dass hier der Anfang gemacht ist, ist zu begrüßen. Allerdings zeigt sich leider auch, dass die Zahlen stetig ansteigen. Einen kleinen Effekt hat sicher auch eine wachsende Bereitschaft, solche Taten zur Anzeige zu bringen. Die Dunkelziffer aber ist hoch. Diese Entwicklung erodiert das Sicherheitsgefühl, denn die Übergriffe finden auch in bisher sicheren Ausgehvierteln statt. Es wird teilweise wieder überlegt, halten wir Händchen in der Öffentlichkeit? Wie ziehe ich mich an?

DAS GESELLSCHAFTLICHE

KLIMA WIRD RAUER

„Genderwahn“ ist ein so beliebtes wie abgedroschenes Schlagwort der Springerpresse und vor allem auch in den sozialen Medien präsent. „Man“ hat Angst vor Redeverboten, dabei lassen die meisten Medien ihren Mitarbeitenden frei, ob sie gendergerechte Sprache nutzen wollen. Auch nicht alle Behörden nutzen sie, dabei soll die Verwaltung doch für alle Bürger:innen da sein. In den Schulen wird die Sprachregelung diskutiert, in SchleswigHolstein gibt es sogar einen Erlass durch die Kultusminsterin, in dem das Gendersternchen in Schulen verboten wird. Also ein Erlass gegen sprachliche Sichtbarkeit, vor allem die von Teilen der Schüler:innen. Letztlich ist dies eine Reaktion auf das Einstehen von LSBTIQ* für ihre -verfassungsmäßig verbrieften- Rechte.

Wir K Nnen Dankbar Zur Ckblicken

Diese verstärkte Sichtbarkeit der queeren Community fußt auf einer langen Geschichte von mutigen Aktivist:innen, die viel riskiert haben, um für sich und ihre Rechte einzustehen. Dazu zählen nicht nur die bekannten Ereignisse und Gesichter, wie beispielsweise die Geschehnisse am Stonewall Inn, oder ein Corny Littmann, der Klappen-Spiegel zerschlägt, es zählen auch die vielen unbekannten dazu. Diejenigen, die in Deutschland so oft den zähen Klageweg bis zum Verfassungsgericht durchlaufen sind. Diejenigen Ehrenamtlichen, die Gewaltopfer unterstützen. Die Polizist:innen, Soldat:innen, Feuerwehrleute, und andere, die sich getraut haben, sich zu outen und zu sich zu stehen.

WO ALSO STEHEN WIR HEUTE?

Die Erfolge der letzten Jahre, das Aufatmen nach teilweise jahrzehntelangem Versteckspielen und die weitreichende Akzeptanz, gerade bei jungen Menschen, machen Hoffnung. Hoffnung auf eine echte Gleichstellung. Hoffnung auf das persönliche Lebensglück. Die Aggressivität auf der anderen Seite, die sich auszubreiten scheint, macht Angst. Es gibt wieder mehr Gewalt. Können wir die Sichtbarkeit aufrechterhalten? Wie genau werden die Rechte für transidente Menschen in Deutschland aussehen? Hier werden zurzeit wichtige Weichen gestellt. Erfreulich ist das Miteinbeziehen von Interessenverbänden transidenter Menschen, weniger erfreulich der Eingang transphober Klischees aus den sozialen Medien in den Gesetzesentwurf.

Wir M Ssen Uns Entscheiden

Was für Menschen sind wir also? Was für ein Mensch bist Du? Wie lautet unsere Entscheidung? Wie lautet Deine Entscheidung?

Sind wir diejenigen, die schweigen oder die, die laut sind?

Ängstlich oder mutig? Wir sind beides, denn erst die Angst macht den Mut erforderlich. Es ist jeden Tag eine neue Entscheidung, zu sich selbst und seinem eigenen Leben zu stehen, deshalb #bleibMUTIG