Heimfocus #03 - 12/2010

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Inhalt-Inside Pages

Editorial ......................................................................................................................... 3 DIE WÜRDE DES MENSCHEN IST UNANTASTBAR........................................................ ...5 Dignity of Man is Inviolable.................................................................................... 7 Würzburg kann noch bunter!....................................................................................9 „Landschaften der Heimatlosigkeit“ : Die Nobelpreisträgerin Herta Müller als Asylbewerberin und ihr Roman Reisende auf einem Bein............................... 11 „Die Welt umarmt Würzburg“.................................................................................... 12 Exhausted sound..........................................................................................................14 Für ein menschen würdiges Asylrecht.................................................................. 15 „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde“ ............................................16 Schiffbrüchige auf dem Weg nach....................................................................... 17 Vorurteile über Asylbewerber................................................................................18 Interview ........................................................................................................................ 20 Wer sind diese Asylbewerber??............................................................................. 23 First footsteps to new horizons............................................................................ 25 MIGRANTEN MIT HIV – SPRECHEN WIR DARÜBER!..........................................................26 Hund ODER Mensch?....................................................................................................28 Impressum.............................................................................................................30 Für dich und das leben, das wir dir genommen haben...................................... 31


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Editorial

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Integration? Warum nicht mit Flüchtlingen? strukturen im Heimatland, rasch Bodenlose. Was für eine Verschwenin eine bedrohliche Lage gelangen. dung an Fähigkeiten und Talenten – Vielleicht stehen sie einer einfluss- auch für die deutsche Gesellschaft! reichen Persönlichkeit oder einem Verschmäht, verloren und nutzlos: Günstling des Systems im Weg oder Sie geben auf, nun, da alles in Trümsie äußern Kritik an den politischen mern liegt. oder sozialen Verwerfungen im Land. Addis Dann ändert sich ihr Leben oft dra- Die Bewegungsfreiheit und das Mulugeta matisch und sie müssen einen hohen Recht auf Arbeit dieser und aller Es stimmt, Migrationsströme von Preis für ihre Zivilcourage zahlen. Flüchtlinge sind sehr eingeschränkt, einem Ort zum anderen sind nichts Einige verlieren ihre Arbeit, andere Bildungsmöglichkeiten nicht gestatNeues in der Geschichte der Mensch- werden vielleicht aus dem Land ge- tet oder nur sehr spärlich vorhanden. heit. Doch bis heute sind gerade wiesen oder bekommen eine War- Dies macht alle Ambitionen und die Flüchtlinge auf der dunklen Seite der nung, die sie zur Flucht zwingt, um oft verzweifelten Bemühungen der Mobilität. Allzu leicht wird verdrängt, ihr nacktes Leben zu retten. Flüchtlinge um ein Weiterkommen, dass diese Menschen ihr Land nicht um ein selbstständiges Leben und einfach so verlassen, sondern dass In dieser Ausgabe widmet sich so letztlich auch um einen wertvolsie gehen, weil ihnen keine andere „Heimfocus“ denjenigen gebildeten len Beitrag zu dieser Gesellschaft, Wahl bleibt. Was sind die Hinter- Flüchtlingen, die in der Asylbewer- zunichte. gründe? Das ist ein vielschichtiges berunterkunft in Würzburg leben Thema, mit dem sich „Heimfocus – müssen. Manche sind hier schon seit Ob die gegenwärtige Debatte um Stimme für Flüchtlinge“ in Zukunft Jahren, andere erst seit Kurzem. Es zügige Anerkennung ausländischer näher befassen wird. sind, nur um Einige zu nennen, Pro- Berufsabschlüsse im Interesse Aller Die aktuelle öffentliche Debatte fessoren, Ärzte, Ingenieure, Jour- wohl auch diejenigen Menschen einkonzentriert sich auf Migranten, die nalisten, Sprachstudenten mit Ab- schließt, die als Flüchtlinge in deutbereits im Land wohnen oder auch schluss, Manager, Handelsfachleute, schen Lagern leben? auf jene glücklichen Flüchtlinge, die Lehrer, IT-Spezialisten, Anwälte, tatsächlich Asyl in Deutschland be- Designer, Künstler, aber auch Mekamen. Dies kommt jedoch einem chaniker, Gastronomie- und HotelLottogewinn gleich. Außen vor blei- lerie-Fachleute und viele andere mit Herzlichen Dank für jeden Beitrag zu ben all die vielen Flüchtlinge, die auf bereits langjähriger Berufserfah- dieser großen Idee! ihrem Weg nach Europa und leider rung in verschiedenen Fertigungsauch nach ihrer Ankunft hier mit und Dienstleistungsbranchen. kostenloses Magazin schwierigen, gefährlichen, ja, oft genug auch aussichtslosen Situatio- Die Meisten von ihnen leiden unter nen fertig werden müssen. Spende dringend erbeten an dem Mangel an Integrations- und Beschäftigungsmöglichkeiten. VieWie gesagt, niemand verlässt seine le sitzen notgedrungen einfach in Vivovolo e.V. Heimat einfach zum Spaß, sondern ihrem Zimmer herum und werden er wagt diesen Schritt aus einem sehr verzweifelt und depressiv – als ob Sparkasse Mainfranken ernsthaften, zwingenden Grund. sie schon tot wären, obwohl sie noch BLZ 790 500 00 Das Leben bietet nicht nur hier, son- leben. Nichts ist in Sicht, was ihnen Kto 44 936 490 dern überall auf der Welt eben nicht eine Chance oder Perspektive für ein nur viele wunderbare Möglichkeiten, selbstbestimmtes Leben eröffnet, sondern auch schmerzliche und radi- was ihre Motivation und ihren WisStichwort: HEIMFOCUS kale Wendungen. Dann haben viele sensstand erhält und was sie hoffen keine andere Wahl, als zu fliehen, lässt auf ein berufliches Weiterkomungeachtet ihres sozialen Status. men. E- MAIL: Sie waren früher engagiert in ihrem heimfocus@yahoo.de Gerade gebildete Bürger und Akade- Beruf, erfolgreich, ehrgeizig und miker können, je nach Herrschafts- motiviert und nun stürzen sie ab ins



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DIE WÜRDE DES MENSCHEN IST UNANTASTBAR TEIL1

ALLGEMEINE ERKLÄRUNG DER MENSCHENRECHTE Resolution 217A(III) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10.12.1948 Artikel 1 Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.

CHARTA DER GRUNDRECHTE DER EUROPÄISCHEN UNION

(Nizza, 7. Dezember 2000) Artikel 1 Würde des Menschen Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.

GRUNDGESETZ FÜR DIE BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND

vom 23.05.1949 Artikel 1 Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

VERFASSUNG DES FREISTAATES BAYERN

Art. 100 1Die Würde des Menschen ist unantastbar. 2Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Art.1 GG (1) Ein Satz wie ein Fels; würdig, um Fundament, Ankerpunkt und Leuchtturm jeder Gesellschaft zu sein. Wie oft wurde er schon zitiert, benutzt – und missbraucht. Wenn die Unantastbarkeit dieser Würde also die Gallionsfigur unserer Verfassung darstellt, dann muss es doch von elementarer Bedeutung sein, sie in der Mitte der Gesellschaft wieder zu finden. Wie steht es also um die unantastbare Menschenwürde im Hier und Heute, in Deutschland, in unserer Stadt, in Ihrer Nachbarschaft? Sie ist allen zugesagt ist, gleich welcher Nationalität, Hautfarbe, Schicht, Kultur, Religion, welchen Geschlechts. Doch was stellen Sie fest, wenn Sie

Anspruch und Realität vergleichen? Sie werden womöglich staunen – auch über sich selbst; vielleicht erschüttert sein – auch über sich selbst; hoffentlich nachdenken und umdenken. Denn ist die Würde des Menschen nicht angetastet, wenn er gute Arbeit leistet und dafür nicht angemessen und gerecht entlohnt wird? Ist die Würde des Menschen nicht angetastet, wenn er im Bahnhof jedes Mal kontrolliert wird, nur weil er sich in seinem Aussehen von Anderen unterscheidet oder weil er erkennbar Ausländer ist? Ist die Würde des Arbeitslosen, des Flüchtlings nicht angetastet, wenn er in Amtsstuben mit Arroganz und Willkür abgefertigt wird? Ist die Würde nicht angetastet, wenn die Existenz von immer mehr Menschen unverschuldet und politisch gewollt immer prekärer wird und sie

zudem unter den Generalverdacht von Sozialschmarotzern gestellt werden? Ist die Würde nicht angetastet, wenn medial und öffentlich Menschen anderer Kulturen und Religionen an den Pranger gestellt werden für unsere eigenen Defizite und Missstände? Ist ihre Würde nicht angetastet, wenn Hauptschüler in Bussen gehänselt werden, wenn sie sich nur als Verlierer wahrgenommen fühlen? Ist die Würde des Menschen nicht angetastet, wenn Flüchtlinge wie Tiere in Lagern gehalten werden ohne Selbstbestimmung, mit nichts als Essen und Schlafen und Verzweiflung? Das alles und viel, viel mehr ist Realität im Hier und Heute, in Ihrer Nachbarschaft, in unserer Stadt, in Deutschland, in der EU und anderswo. Tausende Nadelstiche direkt ins Herz jeder zivilisierten, erst recht christlich orien



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12 / 2010 sönliche Einstellung ändern, damit aus dem leeren Begriff Wirklichkeit wird? Wer ermutigt dazu, fordert es ein, erzwingt es? Wer, wenn nicht ich, wenn nicht wir alle! Wer entlarvt die Wortspiele und Lügen, die entwürdigen und uns als Sachzwang verkauft werden? Wer, wenn nicht ich, wenn nicht wir alle! Wir sind das Volk, schon vergessen? Und wir haben, jeder von uns, nicht nur eine unantastbare Würde, die wir end-

lich in Besitz nehmen sollten, sondern auch einen Verstand zum Denken und Entscheiden , Augen zum Hinsehen und Erkennen, Ohren zum Hinhören und Unterscheiden, einen Mund zum Stimme erheben und Widersprechen, Hände zum Reichen und zum Handeln und Füße zum Aufrecht stehen und in Bewegung setzen. Warum benutzen wir nicht alle diese Fähigkeiten zu Höherem, anstatt angepasst, klein und genügsam hinzunehmen, was uns als „alternativlos“ suggeriert wird?

Die Würde des Menschen ist antastbar und sie wird tausendfach angetastet. Jeden Tag. Das kann uns nicht gleichgültig sein – nicht für uns, nicht für andere, nicht für heute und morgen. Und nichts führt daran vorbei, dass nur wir, jeder für sich und alle zusammen, daran etwas ändern können und müssen. Eva Peteler

Dignity of Man is Inviolable Part I

Dignity of Man is Inviolable. Art.1 GG =German Constitution (1) A sentence as strong as a rock; worthy being the foundation, anchor point and lightfire of any society. How often these words have been quoted, used – and abused. If the inviolability of this Dignity of Man is the crucial point of our Constitution, then it must be of vital importance to find it located in the centre of society. So what about it here and today, in Germany, in our town, in your neighbourhood? The universal Dignity of Man is a promise for everybody regardless his or her nationality, colour of the skin, social class, culture, religion or gender. Have a closer look then and compare pretence and reality. Possibly you will be embarrassed – even by yourself; maybe you will be shattered – even by yourself; and hopefully you will start reflecting on the facts and focusing your mind. Because is Dignity of Man not being violated if people don‘t earn enough for living in spite of working hard? Is Dignity of Man not being violated if people are being checked by the police every time in the railway station

just because of their different appearance or because they are obviously foreigners? Is the Dignity of an unemployed person or of a refugee not being violated when he is being harassed by officials? Is Dignity of Man not being violated if a fast growing number of people is getting poorer and poorer, additionally suffering from the general suspicion of abusing the social systems? Is Dignity of Man not being violated if in media and in public people of other cultures and religions are being blamed for our own deficiency and failure? Is Dignity of Man not being violated if pupils of basic schools are being harassed and condemned as loosers? Is Dignity of Man not being violated if refugees are being kept like animals in camps without self-determination, with nothing to live for but eating, sleeping and turning desperate? All of this and much, much more is the reality of Dignity of Man here and today, in your neighbourhood, in our town, in Germany, in the EU and elsewhere. And each and every depreciation of an individual like this is a prick in the heart of humanity. So what is it all about the implementation of Dignity of Man as the very ba-

sics of each civilised and human society? First of all it is an obvious fact that the universal Dignity of Man, the mother of all human rights, is not available for everybody just by birth as being falsely proclaimed in all conventions and constitutions. So if this is a fact, who is the one to grant this Dignity to an individual and to refuse it? And who puts somebody in this outstanding position? It would be too easy now to blame „those on the top“ once again, those who know how to preserve their superiority and privilege by telling us nice stories about rights being respected while abolishing them through the back door. No,the inviolable Dignity of Man is, first of all, mine and only mine, very personal . Even the English translation itself indicates this truth: „Man“ is „one“, singular, individual in the first place. So I am authorized to take possession of it because it is supposed to be the very basis of my existence. Only because of this new and strong appreciation of myself I will feel the need for the second step: I have got this Dignity, so it is also there for you, him, her , all of us! Only what I truly possess and appreciate I will be


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8 willing to defend for me and others and I won‘t allow anybody to violate it. This truth will go for change and for real life. Think about this question: What are the crucial points of Dignity of Man just for you? Is it all about sufficient food, a bed and a secure shelter for the night? That‘s just the standard of living for animals in the ZOO - and also for the refugees in this country as mentioned before. But what about the essentials of Dignity of Man not mentioned yet and still of utmost priority: What about the basic need of being rooted somewhere, being part of society, what about appreciation, perspective, self-determination and the confidence of being loved, needed and respected? If real Dignity goes far beyond the basic minimum of human needs it leaves it up to us to find an answer for the question what kind of community it requires. Strong words, just words, like „values“ or „Leitkultur“ (leading culture principles) are currently very popular in all German media and discussions. We are being told to defend these Christian and humanistic leading principles against the threatening impact of foreign, especially Moslem „invasion“ in our society. Well, to be honest, are these values really established in our hearts, in our heads and, most of all, in our achievements? And if it is like this, do we realize that none of these leading principles and none of their Christian and philosophic roots has just fallen from the sky one day but that all of them have always been and will ever be products of a permanently ongoing process influenced and promoted by multicultural impacts? I her feature article of the „Mainpost“ on 15th Oct. 2010, Carolin Kreil points it out like this: „ Thilo Sarazzin is right: If Germany goes on this way it will really abolish itself (=the title of his book). Not because of moslems and immigration. But because we betray our own values which have made us strong, openminded and prosperous: Solidarity with the underprivileged, tolerance of different ways of thinking and belief...“ So what kind of values are present in

a society allowing politicians and economic leaders to use the elitist expression „top performer“ for themselves without objecting? Are only the privileged decision makers in top positions the „top performers“ of the society indicating superiority in importance and value? Wouldn‘t they be stuck without the driver of the fuel truck, without the guys of the litter service or the girl providing the supply in the supermarket? All of us are „top performers“ in our special place necessary for the reliable function of the whole of society. Let us stop this vicious seed of different values of individuals poisoning our ways of thinking. And let us ask for which purpose we are being manipulated like this... So what kind of values are present in a society which accepts or ignores the fact that people who had no choice but to leave their home countries asking us for shelter and their rights as asylum seekers are forced into a life depriving them of their Dignity of Man? And all of this even for years. What kind of impact does it have on a young human waisting his or her best years without self-determination, forced to be fed by unfamiliar food packages , crowded in camps sharing one room with strangers without privacy, suffering from desastrous hygienic conditions ? If all your hopes for a future worth to live for are shattered , if you are kept voiceless being denied the opportunity to learn the language for integration, if you are being harassed by officials and nobody cares. And if you don‘t even have access to sufficient medical treatment. Looking the other way is no solution. First and foremost it is all those outcast, abandoned and betrayed, Germans or foreigners, who should be brought into focus of any Christian and civilised citizen of this country. But to tell the truth it is a matter of vital importance for ourselves as well, for all of us, for everyone and everything. For a livable future it needs a society being serious about its own values by insisting in Dignity of Man as the benchmark of all its objectives. How can we answer the crucial question what kind of society we desire to live in tomorrow without focusing on Dignity of Man? And how can we look our

children and grandchildren in the eye if we miss it? For now just close your eyes and make this new society come true in your imagination, the society obedient to the claims of Dignity of Man in all of its structures, laws and first of all in the reality of daily life. You understand the meaning of this comparison of vision and reality? That means we should no longer avoid these heretical basic questions: Who am I to accept being deprived of my Dignity? Who is responsible for it and what is his purpose to do so? And if being violated individually, is it not the business of us all to resist and to defend this supreme value alltogether? How radical must be the change in politics and society, in my personal attitude to give birth to Dignity of Man in real life? Who is the one to encourage it, to force it? Who, if not me, if not all of us! Who is the one to unmask playing on words and lies degrading the individual ? Who, if not me, if not all of us! We are the people, have we forgotten this outcry of liberation already? Why don‘t we use all our abilites at their best? Why do we willingly remain weak, obedient and modest? For each of us is not only entitled to an inviolable personal Dignity we should at last take possession of. We have also got an intellect – let us think and decide! Eyes – let uns perceive and bring to light! Ears – let us listen and distinguish! A mouth – let us raise our voice! Hands -let us hold together and act! Feet – let us stand upright and move things! Dignity of Man is violable and it is being violated a thousand times every second. How can we remain untouched by this fact? We should change our minds -for us, for others, for today and for tomorrow. And there‘s no way around it: We are the change, each one and all together! Eva Peteler


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Würzburg kann noch bunter!

Der Ombudsrat der Stadt Würzburg gegen gesellschaftliche Diskriminierung und für Zivilcourage Konkrete Erfahrungen mit Diskriminierung und rassistischen Übergriffen in Würzburg führten vor fünf Jahren zu der Idee, sich aktiv für Zivilcourage und ein friedliches Miteinander in Würzburg einzusetzen. Gemeinsame Überzeugung war: Wenn eine junge Muslima, die ein Kopftuch trägt, in der Straßenbahn beleidigt und angegriffen wird, fühlen auch wir als demokratische Gesellschaft uns angegriffen. Wenn Menschen in Würzburg Diskriminierung erfahren, dann betrifft das alle, die in einer toleranten, weltoffenen und bunten Stadt leben wollen. Diese Erkenntnis und die Bereitschaft vieler, sich zu engagieren, ermöglichten im Februar 2006 die Gründung des „Würzburger Bündnisses für Zivilcourage“. Die Koordination übernahm zunächst die Jugendbildungsstätte des Bezirks Unterfranken. Inzwischen liegt die Organisation der Veranstaltungen und die Betreuung der Einzelfälle in der Verantwortung zahlreicher Ehrenamtlicher. Die Zahl der Unterstützerorganisationen ist auf 58 angestiegen. Darunter sind viele Gruppierungen aus dem gesellschaftlichen Leben, die sich schon lange für ein friedliches und tolerantes Zusammenleben in Würzburg einsetzen. Auch eine ganze Reihe von

Einzelpersonen, die keiner Organisation angehören, haben sich im Bündnis eingefunden und ihre Mitarbeit angeboten. Die Koordination der Arbeit wird im Sprecherrat geleistet, der sich ursprünglich aus jeweils einer Vertreterin bzw. einem Vertreter folgender Arbeitskreise zusammensetzte: „Interreligiöser Dialog“, „Dokumentation und Fallbehandlung“, „Symposium“, „Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung“, „Training für Zivilcourage“. Die genannten Stichworte machen deutlich, wie das Bündnis seine Arbeit versteht: Es geht zum einen um unmittelbare und konkrete Hilfestellungen für Menschen, die Diskriminierungserfahrungen in Würzburg machen. Hierfür bietet das Bündnis mit einer eigenen Hotline eine direkte Anlaufstelle. Zum anderen geht es den Bündnispartnern in ihrer Arbeit um den Ausbau und die Vernetzung präventiver Maßnahmen, die zu einem toleranten Klima in der Stadt, zu besserem gegenseitigen Verstehen und zu einem Abbau von Vorurteilen beitragen sollen. Um diese Idee weiter zu entwickeln, wurden bisher zum Beispiel folgende Aktionen durchgeführt: Plakataktion in Würzburger Bussen und Straßenbahnen, ein „Festival für Zivilcourage“

sowie „Interreligiöse Shuttle-Touren“. Die Shuttle-Touren ermöglichen Jugendlichen und Multiplikatoren bei Besuchen einer christlichen Kirche, einer Moschee, im jüdischen Gemeindezentrum und im buddhistischen Zentrum einen Einblick in die verschiedenen in Würzburg vertretenen Religionen. Sie tragen so zum Austausch und Dialog zwischen den verschiedenen Religionen bei. Die „Trainings für Zivilcourage“ sind ein Angebot für Multiplikatoren, Schulklassen, Jugendgruppen oder interessierte Erwachsenengruppen. Die Kurse können über das Bündnis gebucht werden und werden von einem Team in Zusammenarbeit mit der Jugendbildungsstätte durchgeführt. Das erste „Würzburger Symposium für Zivilcourage“ widmete sich 2007 dem Thema, wie Menschen in ihrem Alltag Diskriminierungen, individuelle Beleidigungen und rassistische Übergriffe in Würzburg erleben. Die Tagung wandte sich an Einzelpersonen und Multiplikatoren, z.B. PädagogInnen, um zu erreichen, dass solche Vorfälle überhaupt als Diskriminierungserfahrung benannt und ins Bewusstsein gerückt werden. Gastreferenten waren der Antidiskriminierungsbeauftragte der Stadt Frankfurt und die Bundes-


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koordinatorin der Aktion „Schule ohne rage“ in die städtischen Strukturen ein. Gesprächs DiskriminierungserfahrunRassismus – Schule mit Courage“. In Ziel ist es, vor allem auf strukturelle gen zur Sprache gebracht und konkreFolge des Symposiums beschloss das Diskriminierung zu reagieren bzw. die- te Verbesserungen erreicht werden. Bündnis, für die Einrichtung einer An- ser vorzubeugen. Die Errichtung die- So ist in den vergangenen fünf Jahtidiskriminierungsstelle in der Stadt ses Ombudsrates und die Bestätigung ren ohne Zweifel das Bewusstsein Würzburg einzutreten. Ebenfalls wur- der Mitglieder erfolgte im Stadtrat für vorhandene Diskriminierungsde eine Partnerschaft mit der Aktion einstimmig im September 2010. An- erfahrungen und die Einsicht in die „Schule ohne Rassismus“ vereinbart. fang Dezember nimmt der Ombudsrat Notwendigkeit präventiver Arbeit für mehr Toleranz in der Stadt Würzburg Die Koordination für Nordbayern hat offiziell seine Arbeit auf. inzwischen die Jugendbildungsstätte Neben der Schaffung neuer Strukturen gewachsen. Vielleicht ist Würzburg in der Stadt, die für mehr Toleranz sor- dadurch sogar schon etwas vielfältiger übernommen. Beim zweiten Würzburger Symposium gen sollen und neben der Organisation und bunter geworden. Die Mitglieder für Zivilcourage im Jahr 2008 stand öffentlicher Veranstaltungen arbeitet des „Würzburger Bündnisses für Zivilkurz vor den Kommunalwahlen die das Bündnis natürlich weiterhin vor al- courage“ sind aber davon überzeugt: Politik im Mittelpunkt. Die Kandidatin lem an der Behandlung einzelner Dis- Würzburg kann noch bunter!Burkhard und Kandidaten für das Oberbürger- kriminierungsvorfälle. Unter anderem Hose, Mitglied im Sprecherrat des meisteramt nahmen Stellung zu Fra- kam es nach zahlreichen Beschwerden „Bündnisses für Zivilcourage“ gen der Diskriminierung in Würzburg auf Initiative des Bündnisses zu einem Weitere Informationen über und legten dar, wie sie die Rahmen- Treffen mit Würzburger Diskothekendas Bündnis unter: bedingungen gegen jegliche Form der betreibern und Türstehern. Dort wurw w w. zi v ilcou rag e -w ue r zden Diskriminierungserfahrungen JuDiskriminierung verbessern wollen. burg.de Aus dieser Diskussion entstand in Zu- gendlicher mit Migrationshintergrund Email: sprecherrat@zivilcousammenarbeit mit der Stadt Würz- zur Sprache gebracht und ein Schurage-wuerzburg.de burg die Idee für einen „Ombudsrat der lungsangebot für Türsteher vereinbart. Stadt Würzburg gegen Diskriminie- Es fanden aber auch Gespräche mit Kontakt zum Ombudsrat: rung und für Zivilcourage“. Dieser Rat, der Polizei, mit privaten Firmen und Email ombudsrat@zivilcourader aus Mitgliedern des Sprecherrates Einzelpersonen statt. Immer wieder ge-wuerzburg.de und einem Sprecher besteht, bindet konnten auf diesem Weg des direkten Tel.:(03 21 21) 36 05 71 die Arbeit des „Bündnisses für Zivilcou-

WÜRZBURG EVEN MORE COLOURFUL! Starting from very real and personal experience of discrimination a number of committed people initiated the „Würzburg Alliance for Civil Courage“ in 2006. In the meantime the number of supporting NGOs has increased up to 58, additionally many private activists are contributing as well. The objectives of the alliance are numerous: Individual support of victims of discrimination and harassing. Networking for prevention of discrimination. Reduction of prejudice and creation of tolerance and deeper understanding among the citizens of Würzburg. Activities promoting these objectives have been so far: „Festival for Civil courage“ „Interreligious Shuttle-Tours“ giving es-

pecially young people the opportunity to meet places and representatives of the four big religions in town. Preventive Trainings for Civil Courage for schools, youth groups and adult groups. Two big conferences on the question of discrimination and its prevention. NEW in town, starting December 2010: „Councel of the City of Würzburg Against Discrimination and for Civil Courage“. It offers individual help additionally to developing strategies for tolerance and communication as prevention. Würzburg is already colourful – and we are going for more of it! Burkhard Hose, Board Member of the „Alliance for Civil Courage“

for further information please contact us: www.zivilcourage-wuerzburg. de Email: sprecherrat@zivilcourage-wuerzburg.de for support and advice: Ombudsrat for Civil Courage in Würzburg Email: ombudsrat@zivilcourage-wuerzburg.de Tel. 032121 36 05 71summary: elos


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„Landschaften der Heimatlosigkeit“ : Die Nobelpreisträgerin Herta Müller als Asylbewerberin und ihr Roman Reisende auf einem Bein Die Autorin Herta Müller wurde 1963 in Nitzkydorf, einem deutschsprachigen Dorf im Banat, geboren. Diese Region wurde nach dem Ersten Weltkrieg Teil Rumäniens. Sie arbeitete als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik in Temeswar, als 1979 die rumänische Geheimpolizei Securitate versuchte, sie dazu zu bringen, ihre Kollegen und ausländische Gäste zu bespitzeln. Sie weigerte sich, und in Folge dessen verlor sie ihre Stelle und konnte nur noch Gelegenheitsarbeiten finden. Ihre ersten Werke stammen aus der Zeit. Da Herta Müller die kommunistische Diktatur offen kritisierte, wurde ihr das Publizieren verboten, und sie wurde immer wieder zu Verhören von der Securitate vorgeladen, mit absurden Beschuldigungen konfrontiert und mit dem Tode bedroht. Das kommunistische Regime spielte eine zweideutige Rolle in Müllers Leben: es initiierte ihre Existenz als Schriftstellerin und machte diese gleichzeitig unmöglich. 1987 reiste sie mit den Autor Richard Wagner, ihrem damaligen Mann, nach Deutschland aus. Ihre Erfahrung bei ihrer Ankunft in der Deutschen Bundesrepublik beschrieb sie als “absurd und bizarr“. Als Deutschstämmige wäre eine Einbürgerung für sie leicht gewesen. Zwischen 1967 und 1989 ermöglichte die Bundesregierung die Ausreise von 226.654 Deutschrumänen, indem sie bis zu 10.000 Deutsche Mark pro Person an das rumänische Regime zahlte. Schätzungen zufolge wurden über eine Milliarde Deutsche Mark für diese sogenannte Kopfgeld bezahlt. Für Müller war dies eine Art Menschenhandel. Sie bestand darauf, ebenso politischer Flüchtling wie deutschstämmig zu sein. Daher war sie neuen Schikanen der deutschen Behörde ausgesetzt. Sie und Richard wurden drei Tagen „Verhör“ durch den Bundesnachrichtendienst ausgesetzt, der „ausführliche Recherche“ als notwendig erachtete und über ihre Köpfe hinweg entschied. Am meisten schockierte sie wohl die Tatsache, dass sie in einem freien Land der Spionage für das kommunistische Regime verdächtigt wurde, anstatt Anerkennung zu bekommen für all die Risiken, die sie eingegangen war, um ihre Integrität zu bewahren. „Damit habe ich nicht gerechnet, und ich habe mich gefragt, wo bist du hier eigentlich? Ich dachte, am besten wäre es, den Koffer wieder zu nehmen und wegzutragen - aber wohin?“

Eine zeitlang lebte sie im Auffanglager, wo sie die Stimmung als sehr erdrückend empfand. Sie merkte, dass sie absolut keinen sicheren Hafen gefunden hatte: „Ich habe die Welt nicht mehr verstanden. [...] Die ganze Atmosphäre in dem Auffanglager war unerhört. Das war alles nicht sehr schön. Man ist mit den Menschen höchst problematisch umgegangen. Und ich habe häufig gedacht, wie mag es Menschen gehen, die in dieses Land kommen, die nicht einmal die Sprache können.“ Müller empfand es auch als Skandal, dass sich das Lager ausgerechnet gegenüber einem ehemaligen Gebäude der NSDAP befand. In dem Roman Reisende auf einem Bein, ihrem ersten Buch, das sie in Deutschland schrieb und 1989 veröffentlichte, verarbeitet Herta Müller ihre Erfahrungen. Die Protagonistin Irene ist eine junge Frau, die nach Deutschland ausreist, nachdem sie in Rumänien politisch verfolgt wurde. Jedoch ist ihr neues Leben in Westberlin nicht viel besser, sondern voller tiefer Einsamkeit und ohne Kommunikation oder menschliche Wärme. Eine sehr einfühlsame Passage in diesem Roman beschreibt eine groteske und absurde Befragung der Protagonistin durch einen herablassenden Beamten des Bundesnachrichtendienstes. Die Atmosphäre ist genau dieselbe, die Irene während ihrer Verhöre durch die Securitate erlebt hatte: der Raum, das Mobiliar, sogar die Kleidungsfarbe des Sachbearbeiters und seine Köperhaltung erinnern sie an sehr ähnliche Situationen, welche sie „im anderen Land“ durchgemacht hatte. „Hatten Sie vor Ihrer Übersiedlung jemals mit dem dortigen Geheimdienst zu tun.“ Irene antwortet: „Nicht ich mit ihm, er mit mir. Das ist ein Unterschied.“ „Lassen Sie das Differenzieren vorläufig meine Sorge sein. Dafür werde ich schließlich bezahlt.“ Irene soll einige der Leute beschreiben, die sie in Rumänien verhörten. Da sie sich jedoch nicht an alle genauen körperlichen Merkmale erinnern kann, beschreibt sie schließlich den Beamten, der vor ihr sitzt. Als er ihre Erzählungen letztendlich auf ein paar wenige Begegnungen reduziert, denkt sie: „Das war für ihn Irenes Leben: dreißig Jahre unter vier Augen.“ Gegen Ende des Romans beschreibt Irene, wie die Angst nicht vergeht: „In dem anderen Land [...] hab ich verstanden, was die Menschen so ka-

puttmacht. Die Gründe lagen auf der Hand. Es hat sehr weh getan, täglich die Gründe zu sehn. [...] Und hier [...]. Ich weiß , es gibt Gründe. Ich kann sie nicht sehen. Es tut weh, täglich die Gründe nicht zu sehn.“ Die Lektüre von Herta Müllers Essays und die Interviews mit ihr zeigen, dass dieser Roman höchst autobiographisch ist. Einige der Dialoge sind fast wortwörtliche Zitate von dem, was sie selbst erlebt hat. Im Rückblick auf jenen Lebensabschnitt stellt sie fest: „Bei den Behörden muss ein Ausländer als erstes seine Biographie offenlegen. Statt ihr noch einmal zu vertrauen und sie zu erzählen, muss er sie offenlegen. Dies ist das Gegenteil von erzählen. Und angesichts der Chance, die ihm damit gegeben oder genommen wird, ist Offenlegen schon Infragestellen.“ Reisende auf einem Bein ist in erster Linie kein politischer Roman. Er zeichnet eine sehr intime Geschichte einer traumatisieren, entwurzelten Existenz sogar nach der Flucht aus der Diktatur. Herta Müller verwendet einfache und kurze Sätze in ihren Texten, aber sie beschreibt mit ungewöhnlichen, komplexen und suggestiven Bildern. Das macht ihre Sprache gerade so ästhetisch, obwohl ihre Themen alles andere als schön sind. Ihre Literatur hilft ihr dabei, ihr persönliches Trauma zu überwinden, das stellvertretend für die Erfahrungen von Menschen aus aller Welt steht, die Schutz in einem freien Land suchen. Die meisten ihrer Texte handeln im kommunistischen Rumänien. Aus diesem Grund fragen Kritiker immer wieder, wann sie ihren ersten deutschen Gegenwartsroman schreiben wird. Dies überrascht angesichts der Tatsache, dass sie dies bereits mit ihrem ersten Buch getan hat, nachdem sie hier angekommen war. Letztes Jahr wurde ihr der Nobelpreis für Literatur verliehen. Die Nobel-Stiftung begründete ihre Entscheidung mit der Tatsache, dass Herta Müller „mittels der Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit“ zeichne.“ Monika Wolf


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Integration funktioniert – wenn man sie will

„Die Welt umarmt Würzburg“ so lautete das Motto des diesjährigen Interkulturellen Festes, das der Ausländer- und Integrationsbeirat der Stadt Würzburg in Kooperation mit dem Mainfrankentheater am 19. September 2010 im Foyer der Theaters veranstaltete. Es war die Auftaktveranstaltung eines breit gefächerten Angebotes des Interkulturellen Herbstes in der Stadt von September bis November 2010. Das bunte Programm, das den Reichtum der Kulturenvielfalt in unserer Stadt eindrucksvoll demonstrierte, wurde mit Begeisterung angenommen. Von Tanz und Musikdarbietungen, schauspielerischen Glanzleistungen im Foyer und in den Kammerspielen („Barfuß Nackt Herz in der Hand“) bis hin zur Vernissage mit berührenden und aufwühlenden Bildern von Maneis Arbab, einem Künstler aus der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in Würzburg: Wer sich hier offen und interessiert auf die Angebote der internationalen kleinen und großen Künstler eingelassen hat, dem muss die aktuelle Verengung auf die Frage „deutsch oder nicht“ geradezu absurd vorgekommen sein. Wie viel Wertvolles würde uns entgehen, wie und wo wäre eigentlich unsere eigene Kultur ohne die vielen fruchtbaren Impulse und Einflüsse aus anderen Ländern – und das seit es „Kultur“ überhaupt gibt? Diese bereichernden historischen Hintergründe beleuchtete Herr Oberbürgermeister Georg Rosenthal in seinem eindrucksvollen Grußwort, das für viele sicherlich auch Balsam auf die Wunden der aufgeheizten Integrationsdebatte der letzten Wochen war. Und spätestens in der langen Schlange vor dem Essensstand äthiopischer Frauen waren Nationalität und Hautfarbe nicht einmal mehr Nebensache: es waren alles einfach nur gut gelaunte Menschen, die sich bei köstlichen exotischen Speisen in lockerer Runde nahe waren. Und das ist es doch, worum es geht, oder?? Eva Peteler

Die HEIMFOCUS-Redakteure Addis Mulugeta und Abay Kiros überreichen dem Oberbürgermeister der Stadt Würzburg, Herrn Georg Rosenthal, und dem Stadtrat Antonino Pecoraro die erste Ausgabe des Magazins

Der iranische Künstler Maneis Arbab stellt bei der Vernissage seine Bilder vor

Sambagruppe als Stimmungsmacher


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„HOMA“ Einer der vielen Beiträge zum Interkulturellen Fest war die persische Tanz-Performance der Gruppe „HOMA“ mit Begleitung der persischen Trommel Tonbak. Neben den abgebildeten Künstlerinnen ist an erster Stelle der bildende Künstler Maneis Arbab zu erwähnen sowie Navid an der Tonbak. Besonderer Dank an den künstlenischen Direktor des Mainfrankentheaters,Herrn Alexander Jansen,für seine Unterstützung. Räna und Mina Assistance und Kleidung -Mina und Nahid Tanz -Navid Tonbak (persische Trommel)

v.l.n.r.Nahid Carls, Räna Taghizade und Mina Arydee


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Exhausted sound Friday night, October 22, 2010: I was walking alone in the middle of this particular night to see my Sister Moon. For me, it is the perfect moment and time to get at least some relief from the stress and worry that comes to my mind during the day light. Kedir Siad (changed), 36 years old, came from the Sudan to Germany as a refugee three years ago. Like me he is always walking at night. However, this Friday it was a special night for him and me. We were discussing a lot of things from his parents to wife, from his children to business in the Sudan, from the political situation in Sudan to Europe, from our life in the camp to various issues. He is obviously a very educated and experienced person and he has achieved a lot when he was in the Sudan. But now, he is really exhausted, becoming desperate and hopeless in the camp. After he had come to this country as a refugee, he lost and missed a lot of things, he says. During the day, he is simply sitting on the ground next to the post office of the camp for hours. In regard to his asylum procedure, he has not received a single

part 2

letter from the Foreign Office for the last one and a half years. He told me that he does not have a lawyer; of course many people in the camp do no have lawyers to defend their cases. It is always the question of money. We refugees who are living in different parts of Germany have complicated problems that are not being solved for years. For instance, the long time of uncertainty about the issue of having the permission to stay in the country is a big challenge and a psychical burden for us. So the fact of getting or not getting the passport has its own merit and demerit, it is the crucial question for our perspective of a future life in security. For instance, not having it means we do not have the right to move from one place to the other, we are not allowed to work, we don‘t have permission to learn the language and so we remain in a difficult position for integration with the local people. More than that we often face mostly hostile and not welcoming faces of the officials for all of us except a few. And also it is mandatory to stay in one place for years. Finally we simply put our hands on our mouth and become voice-

less. As refugees in this country we want to forward some questions to those Germans who have already experienced escaping their country as a refugee in former times: Can you remember how you felt or suffered in your situation when you fled your home or the country as a refugee during the Second World War? How was your integration in the countries of arrival? What about your food delivery system and human dignity? Etc... Likewise, we are suffering being harassed here, particularly for black people the harassment is far worse than for others. We want to underline the response of the national and international community on the current situations of refugees. Because there is no answer yet for these questions; Who is really responsible for all these facts: international organizations, governments, local people and /or others? And who is really committed to amplify our voices?

Isaa Yakubu

Stimme der Erschöpfung Freitag Nacht, den 22.Oktober 2010. Ich war unterwegs, alleine mitten in der Nacht, um Schwester Mond zu sehen. Das ist für mich stets der einzige Augenblick, um wenigstens etwas Erlösung zu finden von all den Sorgen und Ängsten, die mich bei Tageslicht quälen. Kedir Siad (Name geändert), 36 Jahre alt, kam als Flüchtling vor drei Jahren aus dem Sudan nach Deutschland. Wie ich ist auch er immer nachts unterwegs. Diese Freitagnacht war jedoch etwas Besonderes für ihn und für mich. Wir redeten viel, von seinen Eltern bis zu seiner Frau, von seinen Kindern bis zu

seinem Beruf im Sudan, von der politischen Lage im Sudan bis zu Europa, von unserer Lage im Lager bis zu verschiedensten Themen. Er ist offensichtlich ein sehr gebildeter und erfahrener Mensch und er hat viel erreicht in seinem Leben im Sudan. Nun aber wirkt er durch das Lagerleben wirklich erschöpft, verzweifelt und ohne Hoffnung. Nachdem er als Flüchtling in dieses Land kam, hat er viel verloren und vermisst sehr vieles in seinem Leben. Tagsüber sitzt er einfach stundenlang vor dem Postbüro des Lagers. Hinsichtlich seines Asylverfahrens hat er schon seit rund eineinhalb Jahren

Teil 2

keine Nachricht mehr von der Ausländerbehörde bekommen. Er sagte mir, er habe keinen Anwalt – wie so viele andere im Lager, deren Interessen nicht von Anwälten vertreten werden. Es ist wie immer eine Frage des Geldes. Wir Flüchtlinge in verschiedenen Landesteilen Deutschlands haben schwierige und schwerwiegende Probleme, die jahrelang ungelöst bleiben. Zum Beispiel ist die oft lange Zeit der Ungewissheit, ob wir nun hier bleiben dürfen oder nicht, eine enorme Herausforderung und psychische Belastung für uns. Pass haben oder nicht haben ist die Schlüsselfrage unserer


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12 / 2010 Perspektive eines künftigen Lebens in Sicherheit. Die Entscheidung, ob wir uns nun frei bewegen dürfen von einem Ort zum anderen, ob wir uns eine Arbeit suchen dürfen, ob wir die Sprache lernen dürfen und somit eine Integration in diese Gesellschaft möglich wird, all das ist eine Frage des Passes. Darüber hinaus blicken wir meistens in feindselige und abweisende Gesichter von Beamten in den einschlägigen Ämtern. Und wir sind gezwungen, oft über Jahre an einem Ort, in einer Unterkunft zu verharren. So verschließen wir irgendwann einfach unseren Mund mit der

Hand und werden sprachlos. unter zu leiden. Als Füchtlinge in diesem Land wenden Wir mahnen die Verantwortung der wir uns mit einigen Fragen an diejeni- nationalen und internationalen Gegen von Ihnen, die in früheren Zeiten meinschaft für die derzeitige Situatidiese Flucht aus der Heimat erfahren on der Flüchtlinge an! Und weil es derzeit keine Antwort auf haben: Können Sie sich erinnern, wie Sie ge- diesen Ruf gibt: Wer fühlt sich wirklich fühlt oder gelitten haben in Ihrer Situ- verantwortlich für all das, was mit uns ation, als Sie von Ihrem Zuhause, aus geschieht: internationale OrganisatioIhrer Heimat fliehen mussten während nen, Regierungen, die lokale Bevölkeder Zweiten Weltkrieges? Wie war Ihre rung und/oder andere? Integration in den Zufluchtsländern? Und wer fühlt sich mit uns verbunden Wie wurden Sie verpflegt, wie stand und verstärkt unsere Stimmen, damit es um Ihre Menschenwürde? Usw... sie gehört werden?? Wie dem auch sei, wir leiden in diesem Land, wir werden schikaniert, die Übersetzung:elos Schwarzen haben ganz besonders dar-

Für ein menschenwürdiges Asylrecht Leitartikel Mainpost,14.05.2009 Schönheitsreparaturen künften reichen nicht

in

Unter-

Von WOLFGANG JUNG wolfgang.jung@mainpost.de Von 1933 bis 1941 flüchteten rund 500 000 Deutsche vor ihren NS-begeisterten Landsleuten ins Ausland. 1986 enthüllte die Universität Istanbul eine Marmortafel zum Gedenken an jene, die in der Türkei Asyl fanden. Bundespräsident Richard von Weizsäcker war dabei: „Alle aber“, sprach er, „die damals in der Türkei Zuflucht fanden, haben die überwältigende Gastfreundschaft, die Offenheit und Hilfsbereitschaft des türkischen Volkes als großes Geschenk dankbar empfunden.“ In dieser Beziehung ist die muslimische Türkei ein schönes Vorbild für das christliche Bayern. Aber die bayerische Staatsregierung eifert dem nicht nach; sie macht Asylsuchenden das Leben sauer. Sie weist ihre Bezirksregierungen in einer „Durchführungsverordnung“ zum Asylrecht an, die Bereitschaft der Flüchtlinge „zur Rückkehr in das Heimatland zu fördern“. Als

wäre die Flucht ein Urlaub, der ir- Verbesserungen in den Unterkünfgendwann zu Ende gehen muss. ten, als wäre damit etwas gewonDie Menschen, die hier ankommen, nen. Die Lager würden vielleicht haben Entbehrungen und trauma- ansehnlicher, aber die Lage bliebe tische Erlebnisse hinter sich. Nicht für die Flüchtlinge dieselbe. Nötig von ungefähr stammt mehr als die sind keine Schönheitsreparaturen, sondern Grundsatzentscheidungen: Hälfte von ihnen aus dem Irak. In Bayern erleben sie keine Gast- Die Flüchtlinge brauchen klare Ausfreundschaft, sondern dieses: Sie sichten; ihr Aufenthaltsstatus darf nicht über Jahre hinweg unsicher werden, einander fremd, für Jahre in Gemeinschaftsunterkünften auf bleiben. Wer eine Privatwohnung engem Raum zusammengepfercht. findet, soll sie beziehen dürfen. Wer Ihre Integration ist unerwünscht. Arbeit findet, soll arbeiten dürfen. Das Lagerleben, eine Zeit lang wo- Wer sich integrieren möchte, soll möglich erträglich, auf die Dauer sich integrieren dürfen. Bundesläneine Qual, macht sie physisch und der wie Nordrhein-Westfalen hanpsychisch fertig. Die Missionsärzt- deln so, nach dem Motto: Was du liche Klinik dokumentierte das aus- nicht willst, dass man dir tu, das füg' auch keinem andern zu. Sie zeigen, führlich. dass das geht, und sparen auch Selbst CSU-Mitglieder sprechen noch den kostenträchtigen Betrieb mittlerweile von menschenunwür- der Unterkünfte. digen Zuständen. Und Bayerns Sozialministerin Christine Hadert- Das Flüchtlingskommissariat der hauer reagiert: Sie wolle für die Vereinten Nationen zählt weltweit Bewohner der Gemeinschaftsunter- knapp 32 Millionen Menschen auf künfte „eine adäquate Wohnquali- der Flucht vor Krieg, Verfolgung, tät gewährleisten“, sagt sie, es sei Menschenrechtsverletzungen und ihr wichtig, „auf die Bedürfnisse den Folgen des Klimawandels. Vor von Familien zu achten“. Und rüf- einem Jahr berichtete Tansanias Infelt unter anderem Unterfrankens nenminister Lawrence Masha, sein Regierungspräsident Paul Beinho- Land, eines der ärmsten der Welt, fer für die miserable Situation in beherberge rund 410 000 Flüchtlinge. Zum Vergleich: In Bayern der Gemeinschaftsunterkunft. Was für eine Heuchelei! Die Ministe- wohnen nach Angaben des Sozirin prügelt ihre Beamten dafür, dass alministeriums derzeit 7600. Eine Behandlung sie das bayerische Asylrecht so voll- menschenwürdige ziehen, wie es die Staatsregierung dieser Flüchtlinge ist möglich. Man will. Haderthauer fordert rasche muss es nur wollen.


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„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde“ Am 10. Dezember 1948 ratifizierte die Vollversammlung der Vereinten Nationen ohne Gegenstimme die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, deren Kern folgender Grundsatz ist: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Erstmals in der Geschichte der Menschheit hatte man sich nach den beispiellosen Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands auf eine

weltweit geltende Definition geeinigt. Niemand sollte mehr wegen seiner Herkunft oder sonstiger Merkmale diskriminiert werden. Anlässlich dieses Gedenktags widmet sich die soziokulturelle Reihe „Wegmarken“ des Mainfranken Theaters Würzburg (Leitung: Alexander Jansen) dem Komplex Menschenrecht und Asyl, das Staaten nicht nur zur Aufnahme von Flüchtlingen, sondern auch zu deren menschenwürdigen Behandlung verpflichtet.

Wegmarke II:

Menschenrecht (und) Asyl Sonntag, den 12. Dezember 2010 11 Uhr Mainfranken Theater Würzburg, Foyer Offizielle Vorstellung des Magazins HEIMFOCUS – Stimme für Flüchtlinge Grußwort der Stadt Würzburg: Bürgermeisterin Frau Marion Schäfer-Blake

Podiumsdiskussion zum Thema: Menschenrecht (und) Asyl auch am Beispiel der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in Würzburg: mit MdL Oliver Jörg, CSU Michael Koch, Rechtsanwalt, Freundeskreis für ausländische Flüchtlinge in Unterfranken e.V. PD Dr.med. August Stich, Chefarzt der Abteilung Tropenmedizin, Missionsärztliche Klinik Würzburg Burkhard Hose, Hochschulpfarrer, Mitglied des Ombudsrates der Stadt Würzburg gegen gesellschaftliche Diskriminierung und für Zivilcourage Werner Steinmetz, Landesbeauftragter für politische Flüchtlinge, Amnesty International Eva Dannenhauer, Sprecherin des Asyl-Arbeitskreises der Katholischen Hochschulgemeinde Würzburg Moderation: Ansgar Nöth, Journalist des Bayerischen Rundfunks Herzliche Einladung! Eintritt frei


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Schiffbrüchige auf dem Weg nach Amnesty Journal Februar 2010 Europa lässt einsperren In den libyschen Gefangenenlagern, in die Migranten und Flüchtlinge nach ihrer Festnahme auf dem Mittelmeer abgeschoben werden, herrschen unmenschliche Zustände. Das zeigt die Reportage von Gabriele Del Grande, der sich in Libyen auf Spurensuche gemacht hat. Das Eisentor ist doppelt verriegelt. Aus der kleinen Luke blicken die Gesichter zweier junger Schwarzafrikaner und eines Ägypters. Der herbe Geruch, der aus der Zelle strömt, brennt in der Nase. Ich bitte die drei, zur Seite zu gehen. Es öffnet sich der Blick auf zwei Räume von drei mal vier Metern. Etwa 30 Personen sind hier zusammengepfercht. Es gibt keine Betten, die Menschen schlafen am Boden, auf einigen schmutzigen Schaumgummimatratzen. Auf eine der Mauern hat jemand „Guantánamo“ geschrieben.

mit Kugelschreiber. Die Vorwahl ist die von Gambia. Ich stecke es ein, bevor die Polizei etwas merkt. Der Junge heißt Outhman. Er bittet mich, seiner Mutter zu sagen, dass er noch lebe. Er ist seit fünf Monaten im Gefängnis. Fabrice ist schon seit neun Monaten hier. Beide wurden bei Razzien in den Migrantenvierteln von Tripolis verhaftet. Seit einigen Jahren führt Libyen systematische Kontrollen an der südlichen Außengrenze Europas durch. 2003 schloss Italien ein Abkommen mit Muammar al-Gaddafi und belieferte den Wüstenstaat mit Schnellbooten, Geländewagen und Leichensäcken. Italien finanziert auch Gefängnisse und Abschiebungsflüge. Seither werden jährlich Zehntausende von Migranten und Flüchtlingen in Libyen festgenommen und unter unmenschlichen Bedingungen eingesperrt. „Den Menschen geht es schlecht hier. Das Essen ist miserabel, und das Wasser ist verschmutzt. Wir sind krank. Es gibt hier auch schwangere Frauen.“ Gift ist 29 Jahre alt und kommt aus Nigeria. Sie wurde vor drei Monaten festgenommen, während eines Spaziergangs mit ihrem Mann. Ihre beiden Kinder musste sie in Tripolis zurücklassen, erzählt sie. Anrufen darf sie die beiden nicht. Ihr Mann ist inzwischen abgeschoben worden. Sie ist immer noch hier, allein, sie trägt dieselben Kleider, die sie getragen hat, als sie festgenommen wurde. Sie lebt seit drei Jahren in Libyen und arbeitete als Friseurin. Gift hatte nie die Absicht, übers Meer nach Italien zu gehen. Das gleiche sagen viele der Migranten, die hier festgehalten werden.

Aber wir sind nicht auf dem US-amerikanischen Stützpunkt. Wir sind in Zlitan, in Libyen. Und die Häftlinge sind keine mutmaßlichen Terroristen, sondern Migranten, die südlich von Lampedusa festgenommen wurden. Seit Mai 2009 drängen italienische Patrouillen Migranten und Flüchtlinge, die sie in internationalen Gewässern abfangen, nach Libyen zurück. Die Zahl der Migranten, die übers Meer nach Italien gelangen, ging innerhalb von wenigen Monaten um 90 Prozent zurück. Aber was geschieht mit den abgeschobenen Men- Der Traum von Europa schen? Ist Libyen ein sicheres Land Bei Yonas ist das anders: Er träumte für Flüchtlinge? wirklich von Europa. Er ist Eritreer Die Häftlinge drängen sich an die Zel- und aus der Armee desertiert, um lentür. Sie haben seit Monaten keinen in Europa politisches Asyl zu beanBesuch erhalten. Einige rufen: „Helft tragen. Er wurde bei der Überfahrt uns!“ Ein Junge streckt die Hand über nach Italien von der libyschen Polizei die erste Reihe hinaus und reicht mir gefasst und wird seither in Zlitan ein Stückchen Karton. Darauf steht festgehalten. Bevor er ins Büro von eine Telefonnummer, geschrieben Gefängnisdirektor Ahmed Salim

geführt wird, flüstert ihm ein Polizist etwas ins Ohr. Als wir ihn nach den Zuständen im Gefängnis fragen, antwortet er mit zitternder Stimme: „Everything is good“, „alles in Ordnung“. Aber er hat Angst. Wird er jede falsche Antwort später, wenn wir weg sind, mit Schlägen bezahlen? Der Direktor lächelt und versichert uns, dass Yonas nicht abgeschoben werde. In den nächsten Wochen soll er in das Gefängnis von Misratah, 210 Kilometer östlich von Tripolis, überführt werden. Dort werden alle eritreischen Flüchtlinge zusammengeführt. Seit 2005 sind mindestens 6.000 Flüchtlinge aus der ehemaligen italienischen Kolonie an den Stränden von Sizilien gelandet, auf der Flucht vor der Diktatur von Isayas Afewerki. Amnesty International wirft der Regierung die Verhaftung und Misshandlung von Oppositionellen und Journalisten vor. Auch die Spannungen zwischen Eritrea und Äthiopien halten an. Mindestens 320.000 Eritreer und Eritreerinnen werden auf unbestimmte Zeit in den Militärdienst gezwungen - in einem Land mit 4,7 Millionen Einwohnern. Es gibt viele, die aus der ­Armee desertieren und ein neues Leben anfangen wollen. Die meisten, bisher mehr als 130.000 Personen, sind in den Sudan geflüchtet. Aber ein Teil der Deserteure durchquert die Sahara, erreicht Libyen und versucht per Boot, nach Europa zu gelangen. In Container gesperrt Menghistu ist einer von ihnen. Während der Reise wurde er von der libyschen Polizei festgenommen und abtransportiert. „In unserem Lastwagen waren auch ein vierjähriges Kind und seine Mutter. Wir waren zusammengepfercht wie Tiere, ohne Luft und Platz, um uns zu bewegen. Ich war entsetzt darüber, dass ein Kind so behandelt werden kann. Es war sehr heiß im Container. Die Reise dauerte 21 Stunden, von vier Uhr nachmittags bis ein Uhr mittags am nächsten Tag. Wir haben nichts


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18 zu essen bekommen. Die Menschen mussten vor den Augen der anderen urinieren.“ Menghistu ist nicht der einzige, der in einen Container gesperrt und deportiert wurde. In Libyen ist das üblich. Container werden eingesetzt, um Migranten, die auf dem Weg nach Europa festgenommen worden sind, in die verschiedenen Gefangenenlager zu transportieren. Als wir das Gefängnis von Sebha besuchten, stand dort einer dieser Container. Nicht besichtigen konnten wir das Gefangenenlager von Kufrah, im Südosten des Landes, dort wo die Flüchtlinge vom Horn von Afrika ins Land kommen. Aber Dutzende von Zeugenaussagen vermitteln einen Eindruck von der Behandlung der Gefangenen in diesem Lager: „Wir waren 78 Gefangene in einer Zelle von sechs mal acht Metern.“ - „Wir mussten auf dem Boden schlafen, den Kopf bei den Füßen des Nachbarn.“ - „Wir haben gehungert. Acht Personen mussten sich einen Teller Reis teilen.“

- „Polizisten holten mich nachts in den Hof. Sie ließen mich Liegestütze zu machen. Als ich nicht mehr konnte, begannen sie mich zu treten und verfluchten mich und meine christliche Religion.“ - „60 Personen mussten einen Waschraum teilen, sodass es in der Zelle dauernd gestunken hat. Wir konnten uns nicht waschen.“ - „Überall waren Läuse und Flöhe, in den Matratzen, den Kleidern, den Haaren.“ - „Manchmal sind Polizisten in die Zelle gekommen und haben vor den Augen der Gruppe eine Frau vergewaltigt.“ Was ehemalige Gefangene beschreiben, ist die Hölle. Aber Kufrah ist auch ein Ort, an dem Geschäfte gemacht werden. Hier verkauft die Polizei die Gefangenen an die Schlepper, die sie zum Mittelmeer bringen. Der Preis für die Freiheit eines Mannes beträgt rund 30 libysche Dinar, etwa 16 Euro 50 Cent. Seit 2003 arbeiten Italien und die EU mit Libyen zusammen, um die Einwan-

derung nach Europa zu bekämpfen. Die Frage muss also lauten: Wieso tun alle immer noch so, als wüssten sie nicht, was afrikanischen Flüchtlingen in Libyen angetan wird? Die italienischen Behörden werden die Antwort direkt dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg geben müssen. Der italienische Anwalt Anton Giulio Lana hat dort im Namen von 24 Mandanten, 13 Eritreer und elf Somalier, eine Beschwerde gegen Italien eingelegt. Sie gehörten zu einer Gruppe von 527 Personen, die zwischen dem 7. und 10. Mai 2009 als erste nach Libyen abgeschoben worden sind. Gabriele Del Grande ist Journalist und Autor. Er hat 2006 „Fortress Europe“ gegründet, ein Netzwerk, das Nachrichten über Opfer der irregulären Migration sammelt und veröffentlicht.

Vorurteile über Asylbewerber Asylbewerber sind Menschen von unserem Planeten. Sie haben Würde, Gefühle, Träume, Ziele, aber auch Hoffnungen und Ängste wie alle Menschen dieses Landes. Sie sind Menschen, die ihre Länder wegen Krieg, Verfolgung, Unterdrückung oder wegen ihrer Überzeugungen verlassen mussten. Sie hofften auf Schutz in einer zivilisierten demokratischen Welt. Einer Welt, die sich für Freiheit, Menschenrechte und Gleichheit einsetzt - und dafür plädiert. Muss man sich schämen, Asylbewerber zu sein? Warum wird man so ablehnend angeschaut, sobald man sich als Asylbewerber ausgibt? Manche scheuen sich sogar nicht, negative Vorurteile zu äußern. Ich kann mich recht daran erinnern, als Essam Abdel Mahmoud ich einer alten Frau beim Einstieg sind ja nicht so wie ich gedacht in der Straßenbahn half. Die Frau habe!“ Daraus schließe ich, dass fragte mich, was ich hier in Würz- es einige gibt, die den Menschen burg mache; als sie erfuhr, dass ich Angst machen zu irgendwelchen Asylbewerber bin, sagte sie: „Sie Zwecken.

Was aber viele nicht wissen, dass unsere Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in Würzburg ein Spiegelbild der Gesellschaft darstellt, sprich die verschiedensten Lebensbereiche (u.a. Ärzte, Juristen, Pädagogen, Musiker, Zauberer, Journalisten, Künstler, Historiker, Ingenieure, Handwerker, Biologen und viele mehr). Jeder dieser Menschen hat einen Stellungswert in seiner Gesellschaft; als Mensch und als Verantwortlicher in seinem Bereich. Keiner auf dieser Erde konnte sich jemals aussuchen, aus welcher Nation er/sie abstammen möchte. Deswegen sollten die Menschen sich gegenseitig nicht diskriminieren. Flüchtling zu sein kann jeden treffen.

Essam Abdel Mahmoud


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Was wir zu sagen haben.... Voice for refugees -Voice of refugees

Heimfocus Magazine has talked to some refugees in the GU Würzburg about the on going discussion of changing Gemeinschaftsunterkunft (GU) into Erstaufnameeinrichtung (EA), meaning possible reallocation of the residents for changing the facility to a place for newcomers in Bavaria. According to their comments most of them are really worried and shocked about this issue. Some of them pointed out that they have been living in the camp for long years and that it would be very difficult to adjust themselves in another place without support and assistance provided by social, medical and volunteer services like in Würzburg .

Here are their comments: -A woman from Armenia: When sion Clinic in the GU will possibly be -A man from Iraq: It gives us an ad- officials are deciding something pushed out of here after one month. ditional stress for us being transfer- about concerning refugees’ life, You see it is very difficult for pregred to other refugee camps, maybe they should put into consideration nant women like me and also for even to small places and villages. other patients. our wants and needs. - A 32 old man from Africa: We do -A man from Iraq: Our human digni- -Another Man from Russia: It is a not have the power to stop this kind ty has been violated since we have bad---bad ----bad … story. of embarrassing refugees and play- come here. They are deciding what -A father of one child: Even though ing on human life. Anyway we are we are eating, our freedom of mo- we have very complicated problems under their control and they can do ment is restricted in any way, and here in the GU, it is not good to rise what they want. we do not have the right to work. up children by moving from place to This current discussion to change place. Please!!! Stop the suffering -A woman from Afghanistan: It is the GU into EU is also another ne- of refugees !! not easy being transferred to ano- gative gift of officials. ther place for people like having already a big family like me. -A woman from Africa: It is a shocking story when I heard about Mis-


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„Der Dialog, das Gespräch, ist der Anfang von jedem Verstehen.“ Addis Mulugeta und Eva Peteler vom „Heimfocus-Magazin“ im Gespräch mit dem Oberbürgermeister der Stadt Würzburg, Herrn Georg Rosenthal. Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit für das „Heimfocus Magazin“ nehmen! Heimfocus: Lassen Sie uns das Gespräch in der Stadtratssitzung am 20.05.2010 beginnen, wo Sie die vielen zuhörenden Flüchtlinge aus der Gemeinschaftsunterkunft Würzburg als „unsere ausländischen GÄSTE“ begrüßt und damit tief beeindruckt haben. Daran schließt sich die Erinnerung an Ihre denkwürdige Rede zum Interkulturellen Fest im Theater am 19.09.2010 an. Was ist also Ihre Botschaft an diese Flüchtlinge, die Sie respektvoll als „Gäste“ tituliert haben? Herr Oberbürgermeister Georg Rosenthal: Was mich leitet, ist eigentlich die Erfahrung, die wir in Deutschland gemacht haben und die unsere Verfassungsväter in ein Grundgesetz gekleidet haben. Dieses war sehr stark geprägt von ihren eigenen Lebenserfahrungen, dass sie in Europa 1933 – 1945 sehr oft verzweifelt versucht haben, politisches Asyl zu finden. Um es korrekterweise zu sagen, auch die Verfassungsmütter: am deutschen Grundgesetz haben maßgeblich auch Frauen des deutschen Bundestages mitgewirkt, die da ihre eigene Lebenserfahrung oder die ihrer Freunde eingebracht haben. So haben wir einen Auftrag, und den haben wir ernst zu nehmen. Und das alles fließt dann zusammen in einer Rede; mir war es gar nicht bewusst, dass diese Rede so besonders ist , weil es schon immer so meine Einstellung war.

Herr Oberbürgermeister Georg Rosenthal

Wir leben in Europa, und ein kultureller Austausch ist da eigentlich nichts Besonderes, wenn man in die Geschichte Europas hereinschaut, oder um es weiter zu fassen, in die Geschichte der Welt. Wir bewundern diejenigen , die auf der Seidenstraße nach China gegangen sind, die uns Tee oder edle Stoffe gebracht haben; wir trinken leidenschaftlich gerne Kaffee. Das erste Kaffeehaus in Würzburg wurde von Türken eröffnet, und zwar als Nachwehen der Kriege, weil die Menschen dann hier geblieben sind. Von daher wären wir sehr arm, wenn man all das wegnehmen würde, was an kulturellen Ideen aus anderen Ländern, aus anderen Ethnien zu uns gekommen ist, alles das, was wir heute wie selbstverständlich einnehmen, trinken, mit dem wir leben. Schauen wir uns doch die Residenz an, die unser Weltkulturerbe ist. Das Deckenfresko ist von einem Italiener, das heißt, eigentlich ist das Weltkulturerbe eine italienische Arbeit. Der Architekt der Residenz kam aus Böhmen, aus Eger. Also ist die Residenz auch nicht fränkisch. Nach dem Krieg haben die zerstörten Fresken und den

Stuck polnische Stukkateure aufgebaut, also bewundern wir heute polnische Arbeit und sind stolz darauf. Das prächtigste Zimmer der Residenz, das Spiegelkabinett, kam aus Venedig. Ich könnte die Geschichte weiter auf unser Essen ausdehnen, dass wir heute eigentlich einen Speisezettel haben, der international ist. Also, es gibt viele Möglichkeiten, das zu untermauern und zu belegen – und wir sollten diesen Reichtum als einen Schatz ansehen. Im Grunde sage ich das so, damit vielleicht mehr Menschen sehen, dass in diesem Austausch eigentlich die Verbesserung unserer eigenen Lebensbedingungen, unseres kulturellen Reichtums liegt. Wir benutzen Wörter in unserer Sprache, die Lehnwörter aus anderen Sprachen sind. Wer kommt darauf, dass das Wort „Fenster“ nicht germanisch ist, das Wort „Wein“ ist es auch nicht und der „Weinbau“ ist es auch nicht. Das heißt, wenn wir uns reduzieren würden auf das, was wir nur wirklich hier bei uns lokal und regional an Schätzen haben , dann wäre das Leben eigentlich ziemlich arm. Die Universität, unsere Hochschulen leben ja auch davon, dass sie einen internationalen Austausch pflegen, sei es in der Medizin, sei es in Naturwissenschaften, da könnte man es genauso fortsetzen. Wir leben auch davon, dass die Welt uns unsere Waren und Dienstleistungen abkauft. Viel von dem Reichtum, den wir in Deutschland haben, ist das Ergebnis dessen und wir haben damit wirtschaftliche Prosperität in unser Land bekommen. Im Gegenzug kaufen wir Rohstoffe und Dienstleistungen aus anderen Ländern. Das heißt, ohne einen internationalen Handel wären wir sehr viel ärmer, aber auch viele andere Länder könnten sehr viel ärmer sein. Daher sind wir ja auch in einer Diskussion über faire Wettbewerbsbedingungen. Wir haben uns


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Addis Mulugeta im Gespräch mit Herrn Rosenthal schon früh intensiv damit befasst. Nur - das Weltklima; das beeinflussen sehr viele. Auch da sind wir auf Austausch und Kooperation angewiesen, auf Gesprächsmöglichkeiten. Auf Würzburg bezogen: Es ein Ort vieler Kulturen. Wir haben hier ca. 10 000 Menschen aus 130 Nationen! In der Universität zählt nicht, welchen Pass man hat, sondern da ist der Austausch selbstverständlich. Studenten, die in ihrem zukünftigen Beruf erfolgreich sein wollen, tun gut daran, auch an einem internationalen Austausch teilzunehmen.

Herr Oberbürgermeister Georg Rosenthal: Dem kann ich nur voll zustimmen. Wir sind in der Anerkennung von Berufsabschlüssen sehr holzschnitzartig und sehr unklug. Als unsere Tochter aus Indonesien zurück kam - sie hatte dort ein Internationales Baccalaureat gemacht - wurde der Bildungsabschluss in Deutschland erst einmal nicht anerkannt. Das Internationale Baccalaureat ist ein Abschluss, der international standardisiert ist und von allen Ländern dieser Erde als Abschluss anerkannt wird. Ich sage immer ganz einfach: Reisen Man kann ohne weitere Prüfungen dabildet! mit auf der ganzen Welt studieren. Wir mussten zum Kultusministerium, und Heimfocus: Bei uns geht es aktuell da musste meine Tochter dann den um eine beschleunigte Anerkennung Bildungsabschluss vorlegen zur Überausländischer Berufsabschlüsse. Auch prüfung. Das war so aberwitzig, weil unter den Asylsuchenden gibt es hoch Diejenige, die das prüfte, eine junge qualifizierte Menschen. Sie bringen Frau war, die offensichtlich nie über ihr Wissen als Blankoscheck mit, eine ihren Landkreis hinausgekommen war. Qualifikation, die Deutschland kei- Das konnte man den Fragen entnehnen Cent gekostet hat, und sind doch men. Noch übler erging es der Freunin Lagern zur Untätigkeit verdammt. din meiner Tochter, die nicht direkt aus Was ist Ihre Meinung dazu, dass die- Deutschland kam, sondern aus Lateinsen Menschen immer noch Chancen amerika. Sie musste nachweisen, dass verweigert werden? sie über Deutschkenntnisse verfügte;

wohlgemerkt, als deutsche Staatsbürgerin. Die Freundin bekam ihren Abschluss nicht als Abitur anerkannt, da sie statt der erforderlichen vier Semester Deutsch nur die Belegung von dreien nachweisen konnte. Sie hätte dazu eine Zusatzprüfung machen müssen. Das hat sie nicht gemacht, sie ist nach Cambridge gegangen und nie wieder zurückgekommen. Was ich damit sagen will: Wir verlieren unglaublich gut ausgebildete Leute, die in verschiedenen Kulturen gut zurecht gekommen sind, indem wir Hürden aufbauen, die lächerlich sind. Man kann viele Belege finden, dass Länder, die aufnehmende Länder sind, eigentlich von dem Reichtum an Wissen und Geist enorm profitieren. Der Aufstieg Amerikas ist der Aufstieg durch Wanderungen, durch Vertreibung, durch Untersagen der Ausübung von Religion in Europa, neben dem Hunger. Auch da sind die Menschen gewandert, weil sie keine Lebens- und Arbeitsbedingungen mehr vorfanden. Amerikas Nobelpreisträger sind sehr oft aus anderen Länder gekommen. Die Menschen sind eigentlich schon immer dahin gegangen, wo es Arbeit


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gibt. Mein Großvater, mein Urgroßsetzen und trotzdem den anderen revater lebten in einem kleinen Dorf, in Herr Oberbürgermeister Georg Ro- spektieren, aber man muss nicht uneinem Handwerkerdorf, das man hier senthal: bedingt dessen Meinung eins zu eins in Unterfranken auch kannte. Sie wa- Ich habe den Eindruck, nur einige we- übernehmen. ren den Winter über unterwegs auf der nige Stimmen besetzen die Medien Immer, wenn Kulturen aufeinander Suche nach Arbeit, weil es dort eben und vermitteln den Eindruck, dass sie treffen, bedarf es einmal einer Verkeine Arbeit gab. Erst nach und nach die Diskussion beherrschen. mittlung. Fremdsein ist Anderssein, wurde Arbeit ganzjährig verfügbar, Wenn ich an die törichten Argumente mit Anderssein können viele Menund dann blieb man auch dort und von Herrn Sarazzin denke, hat man schen nicht umgehen und dadurch hat sich angesiedelt. Das ist Tausen- das Gefühl, dass ganz Deutschland so kommt Unsicherheit auf, durch Unden, Hunderttausenden so ähnlich denkt wie Herr Sarazzin; das wage ich sicherheit Angst – und Angst ist der gegangen. Das waren friedliche Wan- zu bezweifeln. Und sein Werk ist eine schlechteste Ratgeber. derungsbewegungen. In den meisten intellektuelle Beleidigung. Ich habe Ich glaube, man kann Menschen zum Jahrhunderten waren diese Bewegun- selten etwas Dämlicheres gesehen Dialog und zum Miteinander nur mogen andere. Preussischer Aufstieg ist und etwas Arroganteres, etwas weni- tivieren, wenn das Ergebnis auch in ihdas Ergebnis von Vertreibungen in ger Durchdachtes. Eigentlich wäre es rem eigenen Interesse ist. Solidarität Frankreich. Die Hugenotten konnten gut gewesen, wenn man es ihm wie- funktioniert nur, wenn man das orgasich dann hier ansiedeln. Sie waren der hingelegt hätte und ihm gesagt nisieren kann im Interesse beider Seigut ausgebildete Menschen und ha- hätte, Sie müssen noch viel lernen und ten. Solidarität, ohne dass man seine ben dann mit dazu beigetragen, dass viel daran arbeiten. Statt dessen ist es eigene Identität im Ergebnis erkennt, das Land reicher geworden ist. ein Business geworden für ihn und für ist eine leere Hülle. seinen Verleger, und er hat dann den Bei der gestrigen Gedächtnisveran- Raum bekommen, der ihm eigentlich Heute Abend werde ich einen Empstaltung anlässlich der Reichspog- intellektuell nicht gegeben war. fang geben für diejenigen Neubürger, romnacht habe ich versucht , deutlich Gesellschaften, so wie sie sind, sind die zu uns aus vielen Nationen gekomzu machen, dass der größte Verlust von Spannungen geprägt. Vorder- men sind und die die deutsche Staatsneben dem Leid und dem vielfachen gründig ethnische Gründe sind oft bürgerschaft erworben haben. Das Mord, den wir über die Menschen ge- nicht Konflikte einer Ethnie, sondern sind etwas über 80 Menschen. Wer bracht haben, der Exodus an Wissen- überbordende soziale Konflikte. Wer sich jetzt entschieden hat, die deutschaft und an Geist war, mit dem wir den Zugang zu Esstöpfen verweigert, sche Staatsbürgerschaft anzunehmen, uns selbst geschädigt haben. der darf sich nicht wundern, wenn er hat sich auch entschieden, auf dem Die Veranstaltung in der Staatlichen anschließend 24 Stunden am Tag hin- Boden des Grundgesetzes KonflikHofkellerei war auch dem fränki- ter drei Meter hohen Mauern sitzen te auszutragen und bedarf einer beschen Weinbau geschuldet, weil vie- muss. stimmten Basis. Da bin ich dann schon le Zwangsarbeiter hier in den Wein- Wenn wir in der Lage sind, die sozia- auch sehr selbstbewusst und sage, das baubetrieben beschäftigt waren Der len Bedingungen zu verbessern, wer- ist die Grundlage, die ist nicht verhanWeingutsleiter erzählte, vor 1933 sei den wir schneller ein höheres Maß an delbar. Und auf die haben auch andere durch die Weinhändler jüdischen Glau- Sicherheit erreichen. Vom Ausgren- sich einzulassen. Wer den Boden des bens hier der Frankenwein vor dem zen profitieren immer die Leute, die Grundgesetzes verlässt, der hat hier Bordeaux-Wein in Europa die Nr. 1 im zuspitzen wollen, und die Politik und die Basis verwirkt in der BundesrepubHandel gewesen. Diese Basis haben politische Erfolge auf Angst und Unsi- lik, da es praktisch wie Kitt die Gesellwir unwiederbringlich verloren. Und cherheit aufbauen. schaft zusammenhält. damit haben wir wirklich einen Han- Die Vielfalt ist nicht “Multikulti“. Vieldelsvorteil eingebüßt. Man könnte falt ist Reichtum , mit dem man auch Und die Basis für alles ist ferner doch die Liste verlängern in jede beliebige umgehen muss. Da müssen wir viele auch die Sprache. Man muss seine Richtung, und trotzdem haben wir es Begegnungen organisieren. Man darf kulturelle Identität erhalten können, noch immer zu tun mit tumben Argu- den Dialog nicht abreißen lassen, die das ist ganz wichtig, aber gleichzeitig menten von Menschen, die über den Worte wohl wählen. Denn sich über muss man sich ausdrücken können in Tellerrand noch nie hinaus geschaut den anderen zu erheben, ist schon die der Sprache der Menschen, in deren haben... erste Form der Zurückweisung. Natür- Land man lebt. Ansonsten hat man lich gibt es auch Spannungen, aber um gar keinen Zugang, und man wird nie Heimfocus: Die Integrationsdebatte einen Dialog offen zu führen, braucht auch nur annähernd erfolgreich im Bein Deutschland wird dominiert von man eine bestimmte Basis an Wissen. ruf sein können. Bedrohungsszenarien, die meist un- Ich bin nicht bereit, alles zu überneh- Man muss soviel Sprachkenntnis hadifferenziert bestimmten ethnischen men, so wie ich es auch von dem an- ben, dass man ein einfaches Gespräch Gruppen angelastet werden. Ver- deren nicht verlangen kann und will. führen kann und dass man zum Beischleiert diese Diskussion nicht die ei- Aber man braucht ein bestimmtes spiel zum Elternsprechtag gehen kann. gentlichen, weniger ethnisch als sozial Fundament und da ist auch das Wort Wenn man 30 Jahre in Deutschland bedingten Ursachen und schürt nur „Toleranz“ schon oft missverständlich. weiter auf S.24... Diskriminierung und Rassismus? Man kann sich auch hart auseinander


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Wer sind diese Asylbewerber?? Erfahrungsbericht einer Studentin aus dem Asyl-Arbeitskreis (Asyl-AK) der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) Würzburg Seit nunmehr drei Jahren bin ich aktiv dabei im Asyl-AK der KHG. Aktiv sein, das heißt für mich, ich fahre hinaus an die Stadtgrenze zur Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge (GU) in der Dürrbachau, sooft es meine Zeit erlaubt. Besonders wichtig ist mir der Mittwoch Abend, die sogenannte „Teestube“, ein offener Treff für alle Bewohner der GU. Bei Kaffee, Tee, Obst und Knabberzeug kommen wir alle ins Gespräch über die unterschiedlichsten Themen. Die meisten Flüchtlinge haben einen ungesicherten Aufenthaltsstatus. So möchten manche über ihre Alltagssorgen reden und darüber, wie sie mit ihren Problemen hier weiterkommen, aber auch über ganz normale Dinge wie Familie, Geschichten aus der Heimat, über Musik, Kunst oder Berufswünsche. Alles ist möglich, in der „Teestube“ geht es einfach nur um Vertrauen, Freundschaft, darum, den Menschen dort Zeit zu widmen, sie kennenzulernen, sie zu unterstützen, wo es eben möglich ist und insgesamt mehr über ihre Lebenssituation zu erfahren. Andere Male wird gemeinsam gefeiert, wenn z.B. jemand endlich seinen Pass bekommen hat, Geburtstag hat oder ein religiöses Fest gemeinsam begangen wird. In unserer „Teestube“ geht es immer etwas chaotisch zu, aber eben auch sehr lebendig. Es wird viel gelacht und in allen möglichen Sprachen parliert. Für viele GU-ler ist dies auch eine der wenigen Möglichkeiten, ihr in den (meist ehrenamtlichen) Sprachkursen erlerntes Deutsch auszuprobieren oder überhaupt mit Deutschen in Kontakt zu kommen. Jeder kann sich hier einbringen, wo und wie er möchte, das gilt für uns Studenten und andere Ehrenamtliche genauso wie für die Asylbewerber. Wer sind nun diese „Asylbewerber“? Genauso wie in der deutschen Bevölkerung auch findet sich in der GU ein Querschnitt durch alle Schichten. Es leben dort auch Menschen, die in ihren Heimatländern zur intellektuellen Elite gehörten und wegen Regimekritik fliehen mussten, um ihr Leben zu retten. Hier findet man z.B. Künstler, Lehrer, Journalisten, Professoren, Ingenieure, Ärzte, Informatiker, Studenten

und Beamte. Gleichzeitig gibt es einen Personenkreis von Kriegsflüchtlingen unterschiedlichster Schichten, in blanker Angst geflohen, deren Angehörige tot, im Gefängnis oder verschollen sind. Ja, und es gibt auch jene, die für sich in ihren desolaten Heimatländern aus existentiellen wirtschaftlichen Gründen keine Zukunft mehr sehen. Wer wird sie dafür verurteilen in einer globalisierten Welt vieler Verlierer? Es gibt hier am Rande der Stadt, den meisten Bürgern nicht einmal bekannt, in eine Kaserne gedrängt an die 400 Menschen aus über 40 Ländern, verschiedener Kulturen, Religionen, Bildungsgrade, allesamt Individuen mit eigener Lebensgeschichte, persönlichen Traumata und Eigenarten. Sie müssen irgendwie miteinander und mit ihren eigenen Sorgen und Ängsten zurechtkommen. Der Alltag? Für die meisten essen, schlafen, die Zeit totschlagen, essen, schlafen.... Neben der langen Wartezeit auf eine Entscheidung im Asylverfahren, also der Ungewissheit, wie es überhaupt weitergeht, ist diese erzwungene Untätigkeit gerade für die vielen jungen Menschen dort die größte Belastung, die sie kaputt macht: Sinnlos und stupide herum sitzen, die (kostbare Lebens-) Zeit totschlagen, Monate, auch Jahre... Viele haben einen richtigen Bildungshunger und Tatendrang, sie möchten unbedingt Deutsch lernen, eine Ausbildung machen, vielleicht auch studieren, jedenfalls auf eigenen Beinen stehen und ihr Leben selbst meistern. Oder überhaupt erst einmal lesen und schreiben lernen. Andere haben sich und ihre Zukunft schon aufgegeben, sie sehen keine Lebensperspektive mehr. Das tut besonders weh. Denn solange sie nicht anerkannt werden, keinen Pass bekommen – und da sucht der Staat jedes Haar in der Suppe, um dies zu verweigern – ist fast alles Fehlanzeige, denn sie sollen ja wieder gehen: kein Sprachkurs, keine Arbeit, keine Bewegungsfreiheit über den Regierungsbezirk hinaus, Essenspakete, Kleidergutscheine, eine sehr, sehr eingeschränkte medizinische Grundversorgung, keine Psychotherapie für die Traumatisierten...

Da Erwachsene nur 40€ Taschengeld im Monat bekommen, die bei „Nichtkooperation“ auch rigoros gestrichen werden können, ist es ihnen auch nicht möglich, z.B. einen Vereinsbeitrag für einen Sportverein zu zahlen, ganz zu schweigen von den Fahrtkosten dorthin. Dies wäre aber z.B. eine der Möglichkeiten, um mit Deutschen ungezwungen und auf Augenhöhe in Kontakt zu kommen. Aber was kann man denn tun?? Wenn du/ihr ein bisschen Zeit oder Geld übrig habt und es euch wichtig ist, gibt es viele Möglichkeiten, den Menschen dort das Leben erträglicher zu machen:z.B. sich eines Flüchtlings oder einer Familie als „Pate“ anzunehmen, Sprachunterricht - auch auf Gegenseitigkeit , bei der Wohnungssuche behilflich sein oder Begleitdienste, aber auch Projekte der kreativen Art in der GU anbieten... Auch andere Kursangebote sind willkommen. Jeder, der sein professionelles Wissen zur Verfügung stellt, hilft damit, die Kenntnisse und Fähigkeiten der Flüchtlinge zu erweitern und Fertigkeiten zu erwerben, die ihnen sowohl hier als auch in ihren Heimatländern nützlich sein könnten. Möglichkeiten, sich zu engagieren, gibt es viele, ich habe hier nur einige wenige genannt. Das Wichtigste aber ist, zunächst einmal überhaupt hin zu schauen und Interesse zu zeigen für die Lebenssituation unserer „Nachbarn“ am Rande der Stadt. Der erste Schritt, die erste Kontaktaufnahme, mag für viele – auch wegen der abschreckenden baulichen Gegebenheiten – noch eine Überwindung darstellen, aber man merkt sehr schnell, wie einfach es eigentlich ist und wie beide Seiten davon profitieren. In meinem persönlichen Fall kann ich nur sagen, dass ich durch meine Arbeit in der GU Menschen kennengelernt und Erfahrungen gemacht habe, die ich nicht mehr missen möchte!!! Hanna Greve (Bearbeitung E. Peteler) Kontaktdaten Asyl-AK der KHG: asylak@web.de www.khg-wuerzburg.de


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Heimfocus

lebt, und man muss die kleine Toch- gert ihnen die bayerische Asylpolitik tun. ter mitnehmen, um zu dolmetschen ganz bewusst und beraubt sie so in bei ganz einfachen Fragestellungen, Jahren des erzwungenen Stillstan- Heimfocus: Mauern abtragen und Brücken bauen - um diese Drehung der Debatte muss es doch gehen: Wie bekommt man zum Beispiel Mitbürger dieser 130 verschiedenen Nationen, die in Würzburg leben, so in die Mitte der Stadt, dass sie als Bereicherung für alle wahrgenommen werden? Zum Beispiel ein internationales Straßenfest für alle Würzburger, um sich zu zeigen und ins Gespräch zu kommen...? Herr Oberbürgermeister Georg Rosenthal: „Frühling International“ ist so ein Versuch. „Ausländer stellen ihre Heimat vor“ ist in der Akademie Frankenwarte ein erfolgreiches Format: ein Ausländerabend als Dreiklang: Die Menschen dieses Landes stellen ihre Heimat politisch vor, kulinarisch und kulturell. Alle, die daran teilnehmen, haben diesen Abend immer als sehr bereichernd empfunden. Begegnung, interkulturelle Erfahrung, muss ab dem Kindergarten an ein selbstverständlicher Teil einer jeden Ausbildung sein. Und von daher ist es für mich schön , wenn ich heute von Kindergartenleiterinnen höre, dass sie im Liedgut zum Beispiel andere Musikrichtungen wieder aufnehmen, dass sie in verschiedenen Sprachen mit den v.l.n.r. Eva Peteler, Addis Mulugeta, Herrn Georg Rosenthal und Abay Kiros. Kindern singen , um ihnen letztendlich da schädigt man sich selber. Und das des ihrer Chancen auf ein erfolgrei- über diesen Weg Sicherheit zu geben muss jedem mitgeteilt werden. Wenn ches, eigenverantwortliches Leben. im Umgang mit anderen Kulturen. ich Treffen hier habe, ist das immer Warum wird dies immer noch hingewieder etwas, was ich an Vorsitzende nommen? Heimfocus: Ein letztes Wort mit auf von Organisationen zurückgebe: Das den Weg für die Flüchtlinge und alle ist Ihre Verantwortung, unmissver- Herr Oberbürgermeister Georg Ro- ausländischen Mitbürger, insbesondeständlich und unverhandelbar, dies senthal: re aber für unser Magazin „Heimfocus ihren Leuten mitzuteilen. Das sage ich Das Problem kann ich sehr gut nach- “, das auch das Ziel verfolgt: „teilhaben allerdings auch denen, die zu uns kom- vollziehen. – Teil werden“: men. Unsere Aufgabe, unser Beitrag Der Würzburger Stadtrat hat in seinen muss sein, dass alle diejenigen, die das Beschlüssen sehr deutlich gemacht, Herr Oberbürgermeister Georg Rowollen, es auch tatsächlich können. was er davon hält; und wenn man senthal: Das ist eigentlich das, was wir zu er- sich gerade heute in der Zeitung die Wenn wir beide es wollen, wenn beifüllen haben, aber die anderen haben Anerkennung des politischen Asyls in de Seiten etwas wollen, dann erreicht genauso eine Bringschuld. Bayern anschaut im Verhältnis zu allen man auch das Ziel. Insofern ist der DiDie erfolgreiche Basis, um in Deutsch- anderen Bundesländern... alog , das Gespräch, der Anfang von land und in jedem anderen Land zu- Mit dem Thema hat man erfolgreich jedem Verstehen. recht zu kommen, ist die Sprache. Wahlkampf betrieben und jede Menge Porzellan in einer Kultur kaputt Herr Oberbürgermeister, wir danken Heimfocus: Aber das ist genau eines gemacht. Hier endet leider auch mein Ihnen ganz herzlich für dieses Geder großen Probleme der Flüchtlin- Einfluss als Oberbürgermeister. Des- spräch! ge in der Gemeinschaftsunterkunft. wegen kann ich aber trotzdem meine Das Erlernen der Sprache verwei- persönliche politische Meinung kund-


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First footsteps to new horizons When I arrived in Germany for the first time at Frankfurt airport, it was an unforgettable moment.When I heard a voice from the plane service delivery center saying that after 10 minutes the plane would be landing at Frankfurt airport my heart was beating and my eyes went out down to the earth and saw an incredible view of Frankfurt. It was even my first foreign country that I arrived in. I enjoyed the upper view of the huge flat plain seen clearly with mixture of the colored roofs and the vast fields next to the city of Frankfurt. I was so eager to have a look more. I was sure that nobody was waiting to pick me up. What is unforgetable in my mind right now is, the impression of this busy place with a large variety of people rushing aound. The movement of passengers in the airport looked different. From that day onwards, it was strange for me that the people were always in rush hour. It was exciting to observe different models of vehicles, pedestrians and cyclists hurrying. That is what we lack in my continent Africa. Today, I would like to make some positive remarks regarding some German people I have had relation with. I met some impressive people those who have different social status in the city of Würzburg where I have been transferred to. During my last 8 months in this city I was able to experience a unique feature of life. The people I know so far have got a superb time management and are serious on time issues. They are punctual and they give great value to time. It was incredible for me to hear a woman telling me that she has got a headache due to being late just a few minute for a ceremony. I heard that good habit of work is among the outstanding specific characteristics of Germans. It was an exciting phenomenon for me to see that most people are efficient at work. In all

service areas people are committed to professional service. The other positive remark is that most of them are well disciplined. People respect each other regardless the age, gender or religion. I haven‘t encountered people so far fighting in public. It is impressive to hear my friends using polite phrases like “Bitte!”, ”Darf ich?” and” Kannst du?” An important point for me to mention is the general freedom of speech I experienced in this country. I have been attending some round table discussions and there the people discussed things freely. Additionally to my appreciation of these outstanding characteristics of the German society it is important for me also to compare them to the real situation of my home country and continent. How are all these virtues found here being put into people‘s heads and behaviour? Is it the positive result of parental influence, of the system of education or of society itself? Anyway any positive change in society must be started in early childhood. That means one of the key points has to be a high quality educational system provided for any child in the country. Unfortunately, the importance of education and ethics still have got no priorities in the current politics of African leaders. I am aware of my privilege having the opportunity of communication with the local people and even friends outside the refugee camp. Only in this way I have got the chance to point out all these positive characteristic and virtues of the society. The majority of refugees unfortunately never get the opportunity for this experience. I say thank you to all my new friends here in Germany for their friendship which gives me new hope and confidence for my future life. Abay Kiros

Erste Schritte zu neuen Ufern Mein erster Flug im Leben führt mich ausgerechnet zum Frankfurter Flughafen! Als junger Afrikaner, ganz allein in Deutschland angekommen, komme ich aus dem Staunen nicht heraus: Alles bestens durchorganisiert, eine Vielfalt von Menschen, Transportmitteln, jeder ist in Eile. Ja, ich entdecke später, sie sind hier immer in Eile, betriebsam, strebsam, zielgerichtet. Als Flüchtling bin ich nun in Würzburg gelandet und habe in den acht Monaten dort unterschiedliche Menschen kennengelernt und Einblick bekommen in Eigenarten der einheimischen Bevölkerung, die mich positiv beeindruckten. Einige davon will ich hier näher vorstellen: Einmal ist es die Bedeutung der Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, das Zeitgefühl an sich. Die Menschen messen der Verbindlichkeit von Verabredungen große Bedeutung zu und legen Wert auf gutes Zeitmanagement. Diese Effizienz zeigt sich in allen Bereichen, auch in der Arbeitseinstellung und höflichen Professionalität bei jeder Dienstleistung. Auch die Höflichkeit im Umgang miteinander beeindruckt mich immer wieder, auch im Freundeskreis, wo man selbst nach hitziger Diskussion schließlich versöhnt auseinander geht. Ich frage mich, warum sind diese Tugenden in Afrika so wenig verbreitet? Was können wir von euch hier lernen? Und wie pflanzt man es in die Gesellschaft ein? Ich hatte das Glück, hier Freunde außerhalb des Flüchtlingslagers zu finden und so einen Einblick in die deutsche Gesellschaft zu bekommen. Nur auf diese Weise konnte ich auch ihre wertvollen Tugenden entdecken. Leider wird diese gute Erfahrung den meisten Flüchtlingen in der Isolation ihrer Unterkünfte verwehrt. Dank an euch, meine Freunde hier, durch die Begegnung mit euch habe ich wieder Hoffnung und Zuversicht für meine Zukunft. Übersetzung: elos


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Heimfocus

MIGRANTEN MIT HIV – SPRECHEN WIR DARÜBER! ständigung und Suche nach UnterstütSoziale Situation: Neu in der Fremde, Unsicherheit, meist zung. Die Betroffenen wissen oft nicht, noch ungeklärter Aufenthaltsstatus; wo sie Hilfe finden können und haben Leben in der Gemeinschaftsunterkunft, wenig Möglichkeiten, sich psychisch zu mit völlig Fremden ein Zimmer teilen entlasten. müssen, keine Privatsphäre mehr, zu- Wer dann doch den Weg in die Berageteilte Essenspakete, kaum Kontakt zu tungsstelle gefunden hat, steht gleich vor der nächsten Schwierigkeit: Deutschen. Eine stressbelastete, schwere Zeit für Seine Sorgen, Ängste und Probleme in die meisten Flüchtlinge, unabhängig einer Sprache auszudrücken, die sowohl für ihn wie oft auch für den Berater eine von ihrer gesundheitlichen Situation. Fremdsprache ist. Manchmal ist das Sprachlich-kulturelle Probleme: Das deutsche Sozialsystem ist den Gespräch nur mit Dolmetscher möglich, meisten Flüchtlingen völlig fremd, die eine weitere Hürde bei diesem sensiblen Sprachbarriere verhindert zudem Ver- Thema.

Psychosoziale Probleme: Eine große weitere Belastung für einen Migranten ist oft die Erfahrung mit dieser Infektion, die er in seinem Heimatland gemacht hat: Eine dramatisch verlaufende Krankheit mit schnellem tödlichen Ausgang. So werden oft Informationen über Behandlungsmöglichkeiten und Medikamente in Deutschland zwar aufgenommen, können sich aber gegen die mitgebrachten existentiellen Ängste zunächst nur schwer behaupten. Gleichzeitig ist diese Erkrankung in den Herkunftsländern häufig mit Ausgren-


12 / 2010 zung und Stigma verbunden. Die Betroffenen haben deshalb große Angst, dass andere von ihrer Infektion erfahren könnten, Medikamente werden versteckt und heimlich eingenommen, Arztbesuche erfolgen unter Vorwänden und wer in die Beratungsstelle kommt, hofft, dass ihn niemand beobachtet hat. „Wenn meine Freunde von HIV wüssten, würden sie nicht mehr mit mir reden“, diese Aussage höre ich immer wieder. Sorgen machen sich Migranten auch um ihre Familienmitglieder in der Heimat, die natürlich nichts von der Diagnose erfahren dürfen, denen sie vorlügen müssen, dass alles in Ordnung ist. Das Leiden ist immens. Wir sind da, um zu helfen.

27 Ines Richter-Schulz the home country: It mostly means AIDS-Beratung Unterfranken a disease you avoid to mention, you Röntgenring 3 suffer from badly and die soon of. No97070 Würzburg body should know about your infecTel. 0931 386 58 200 tion, neither the family nor friends or kontakt@aidsberatung-unterfranken. neighbours. A heavy burden on your de shoulders to be carried secretly. HIV – LET‘S TALK ABOUT IT! Like this it is hard to be open-minded … because NOT talking about and ready for medical and psychologiit is no solution... cal aid provided for you in this country. The new life in Germany is stressful Yet there are many options for confianyway for every refugee regardless dential help and advice once you find his or her health condition. Where can your way to us. There is support and you find help, who can explain to you help waiting for you. the complicated German social system, where can you find a confidential Summary: elos place for psychical relief? And furthermore talking about HIV in


Heimfocus

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Hund oder Mensch? Teil 2

Suppose that one day when you wake up from your sleep, your dog found dead, what do you feel? Let me take you then to your TV room, when you turn on your television, you hear about 30 people are dead on a boat trying to cross the sea on their way to Europe. That is a shocking story, isn’t it? In addition, suppose that one of your hands is holding your morning coffee or tea; the other hand takes hold of the daily newspaper. One of the headlines says people are suffering your next door. If you‘re still open-minded and committed then you maybe will even stop drinking your morning coffee or tea now and continue reading the newspaper to get the answer for your immediate questions: What is happening? Why and how many people are suffering? Maybe something is coming in your mind like reaching out your hands to support these people as much as you can. I hope a lot of people were impressed by the first article of Dog or Human. And I am glad to write this second part of the article to Heimfocus Magazine to inform my readers about my situation and experience being a refugee. I would like to repeat once again what this official person in Zirndorf, first refugee arriving place in Bayern apart from Munich, said to me: “I do not have the time and energy to talk to you and to respond your immediate questions right now because I want to save my energy and time to play with my dog.” Of course it is difficult to present my humanitarian questions here which I asked myself in Zirndorf that very moment. However, my eyes were closed down then and I heard the sound of a dog which has been barking at my human dignity. I heard the sound of pain, the sound of terror and the sound of shock. It was an unexpected replay from an official person like this one. I deliberately would have put myself even in the position of his dog for a while of course to get the answers for my ardent human rights questions.

The fact is I don’t have the ability to transform my human nature to one of a dog; I can’t do that because I am human. Now I can open my eyes a little bit at least by writing this article to my readers. Don’t ask me why I was strong enough to manage myself at that time. Even now, I feel like I have lost my selfrespect and natural rights as being human by that experience. In addition to this, in this nightmare I will never forget the face of this official demonstrating his superiority over me. Yet another kind of harassment is everywhere else, even in the place where I have been transferred to. We are living in a country now where human rights are supposed to be respected and obeyed. Though we are living in the middle of a society including international human rights organizations, charity organizations such as Caritas, strong politicians and religious leaders, volunteers and very honourable and respected people, we are not part of it. Going back to Zirndorf and to my crucial questions in that particular situation: Zirndorf was my first arrival place as a refugee. I did not know anything where to go, where to find access to medical treatment, where to fulfill my faith, where to eat and sleep... In addition, I did not know my rights and obligations as a refugee in the country in general. So my important questions were justified but still ignored and I do not have clear information about my humanitarian rights and obligations even in the place where I am transferred in right now. The basic questions are: How much is your life worth to you? To your loved ones? Your mother and your father? Your children? Your friends? And so on and so forth. What about violating someone else’s personal dignity? The fact is people obviously want to hurt other people intentionally for their own sake. It is

A blue sky not fair when refugees are being purposely ignored by officials when they need help. It is not fair humiliating those people by hanging on the phone over a long period during the opening hours when refugees are standing in front of you like beggars. It is not fair deliberately playing games on your computer when refugees badly need services. It is not fair laughing over others‘ pains. I am optimistic that, in spite of all these hurting eperiences, one day we will see a blue sky especially if we are really committed and standing for human life. But for all those who still close their eyes, lock their ears and shut their mouths, I hope that this article will change their attitude towards human life and make them realize that it is a unique and precious gift of nature. Abasi Kibwana Stellen Sie sich vor, Sie wachen eines Tages auf und finden Ihren Hund tot vor, was empfinden Sie dann? Gestatten Sie mir andererseits, Sie in Ihr Wohnzimmer mitzunehmen, wo


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Dog or human being? Part 2

Sie, nachdem Sie den Fernseher einschaltet haben, von 30 Menschen erfahren, die ertrunken sind bei ihrem Versuch, Europa auf dem Seeweg zu erreichen. Das ist eine erschütternde Nachricht, nicht wahr? In der einen Hand halten Sie Ihren Morgenkaffee oder -tee und in der anderen die Morgenzeitung. Eine der Schlagzeilen beschreibt das Leiden von Menschen in Ihrer Nachbarschaft. Wenn Sie immer noch mitfühlend und engagiert sind, werden Sie nun vielleicht sogar ihre Tasse beiseite stellen und sich aufmerksam der Zeitung zuwenden, um nach Antworten auf Fragen zu suchen, die Ihnen jetzt durch den Kopf gehen: Was geht hier vor? Wie viele Menschen leiden und warum? Und vielleicht kommt in Ihnen das Bedürfnis auf, diesen Menschen die Hand zu reichen und sie nach Kräften zu unterstützen. Ich hoffe, dass viele Menschen durch den ersten Artikel „Hund oder Mensch“ erschüttert wurden. Und ich bin froh, nun diesen zweiten Artikel zum Thema für das Heimfocus Magazin zu schreiben und Ihnen meine Erfahrungen und meine Situation als Flüchtling mitzuteilen. Ich möchte noch einmal mit der Aussage jenes Beamten beginnen, damals in Zirndorf, neben München der einzigen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Bayern: „Ich habe weder Zeit noch Energie, mit Ihnen zu reden und Ihre Fragen zu beantworten, weil ich meine Energie und Zeit für das Spielen mit meinem Hund aufsparen will.“ Natürlich ist es sehr schwierig, die humanitären Fragen wiederzugeben, die mir in diesem Moment in Zirndorf auf den Lippen brannten. Ich schloss damals meine Augen und hörte den

Hund meine Menschenwürde anbellen. Ich hörte da den schmerzvollen Widerhall von Betroffenheit, Erschütterung und Verletzung in mir. Es war damals für mich eine so unerwartete Erwiderung von einem Vertreter eines Landes. Ich würde mich für einen Augenblick sogar in die Position des Hundes jenes Beamten begeben, wenn dies die Weise wäre, die Antworten auf meine brennenden Menschenrechtsfragen zu bekommen. Doch es geht nicht. Ich besitze nicht die Fähigkeit, mein menschliches Dasein in das eines Hundes zu verwandeln: Ich kann es nicht, denn ich bin ein Mensch! Nun kann ich meine Augen wenigstens ein klein wenig wieder aufmachen, indem ich dies alles meinen Lesern mitteile. Fragen Sie mich nicht, wie ich in jener Situation stark genug sein konnte, die Fassung zu bewahren. Sogar jetzt noch spüre ich in mir das betäubende Gefühl, durch diesen Vorfall meine Selbstachtung und meine natürlichen Rechte als Mensch verloren zu haben. Zudem werde ich in dieseAlptraum nie das Bild des Gesichtsausdrucks los, mit dem der Beamte seine Überlegenheit mir gegenüber zelebrierte. Die eine oder andere Art der Unterdrückung und Schikane findet man jedoch in jedem anderen Lager auch, so wie dort, wohin ich dann verlegt worden bin. Wir leben hier in einem Land, von dem man annimmt, Menschenrechte würden dort respektiert und befolgt werden. Obwohl wir dort in der Mitte der Gesellschaft leben, eingeschlossen internationale humanitäre Organisationen, Wohlfahrtsverbände wie Caritas, starke Politiker und religiöse Führer, Ehrenamtliche und viele ehrbare und honorige Bürger, haben wir keinen Anteil daran. Noch einmal zurück nach Zirndorf und zu meinen Schlüsselfragen in der besonderen Situation dort: Zirndorf war mein erster Anlaufpunkt als Flüchtling

in Deutschland überhaupt. Ich hatte von nichts eine Ahnung, wo finde ich was, wen kann ich fragen, wo Zugang zu medizinischer Versorgung, wo einen Platz für mein religiöses Leben finden, wo schlafen, wo essen... Obendrein kannte ich weder meine humanitären Rechte noch meine Pflichten als Flüchtling in diesem Lande. So gesehen waren meine wichtigen Fragen berechtigt und wurden dennoch ignoriert und selbst an dem Ort, an dem ich jetzt untergebracht bin, habe ich keine klaren Informationen darüber. Wie viel ist Ihnen Ihr Leben wert? Wie viel Ihren Lieben? Ihrer Mutter und Ihrem Vater? Ihren Kindern? Ihren Freunden? Und so weiter und so fort... Wie ist es, die persönliche Würde eines anderen Menschen zu verletzen? Es ist eine Tatsache, dass Menschen offenkundig zur eigenen Befriedigung danach trachten, anderen absichtlich weh zu tun. Es ist nicht fair, wenn Flüchtlinge von Beamten ignoriert werden, wenn sie Hilfe brauchen. Es ist nicht fair, sie zu demütigen, indem man während der Öffnungszeiten ungerührt lange Telefonate führt angesichts einer Schlange wartender Flüchtlinge, die sich wie Bettler vorkommen. Es ist nicht fair, sich in deren Angesicht die Zeit ostentativ lieber mit Computerspielen zu vertreiben, anstatt sich ihnen mit Anstand zuzuwenden, wenn sie dringend Unterstützung brauchen. Er ist nicht fair, sich über die Not und den Schmerz anderer lustig zu machen. Ich bin zuversichtlich, dass wir dennoch eines Tages das Blau des Himmels sehen werden, wenn wir uns für andere einsetzen und für menschliches und menschenwürdiges Leben einstehen. Und für alle, die immer noch ihre Augen schließen, sich die Ohren zuhalten und die Lippen fest zusammenpressen, hoffe ich, dass dieser Artikel ihre Einstellung zu menschlichem Leben verändern wird und ihnen die Erkenntnis vermittelt, dass es ein einzigartiges und wertvolles Geschenk der Natur ist. Übersetzung elos



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Für dich und das leben, das wir dir genommen haben

For you whose life we took

du hattest diesen traum ein leben ohne armut angst ausweglosigkeit ein leben mit rechten menschenwürde zukunft

you had this dream a life without poverty fear despair a life with rights human dignity future

du hattest diese hoffnung hoffnung im vertrauen auf deine rechte auf zukunft in menschenwürde

you had this hope hope believing in your rights of a future in human dignity

du machtest dich auf den weg alles hinter dir und alles vor dir träumtest du hofftest du

you took up your long way leaving all behind and having all ahead of you that‘s what you dreamed and hoped

sie reden viel von rechten menschenwürde zukunft sie reden und du glaubtest ihnen

they talk a lot about rights human dignity future they talk and you believed what they say

aber sie wollen dich nicht nicht hier wo sie nur reden von recht auf menschenwürde zukunft

but they don‘t want you not here where they just talk about rights of human dignity future

sie wissen sich zu helfen, dir nicht zu helfen abgedrängte boote stacheldraht wüstentod sie reden weiter

they know how to help themselves not to help you repelled boats barbed wire desert death they keep on talking

du hattest diesen traum den traum vom leben was sonst

you had this dream the dream of life what else

Eva Peteler

Mahnmal mit Namenslisten von Flüchtlingen, die auf der Flucht ums Leben gekommen sind, insbesondere auf ihrem Weg über das Meer

Ein symbolischer Sarg für all die jungen Flüchtlinge, die verschollen sind und deren Familien niemals ein Grab haben werden, um dort trauern zu können



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