Heimfocus #11 - 11/2012

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No 11 • 11 / 2012

VOICE FOR REFUGEES

„Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren!“ Bundesverfassungsgericht 18.07.2012

Die Würde des Menschen ist unantastbar Teil 9

Gebt uns eine Chance!

Die Grundleistungen für Asylbewerber und leistungsberechtigte Ausländer nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind verfassungswidrig! Weiter auf S.6

Wird das Leben jemals in das Flüchtlingslager zurückkehren? Es ist wohl wahr, dass die menschliche Psyche der Motor des ganzen Körpers ist. Weiter auf S.20

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Inhalt-Inside Pages Editorial .........................................................................................................................................3 DIE WÜRDE DES MENSCHEN IST UNANTASTBAR ......................................................................6 Geht doch!.....................................................................................................................................9 „Das Land, das die Fremden nicht beschützt................................................................................. 10 Es tut sich was in der Auber Gemeinschaftsunterkunft................................................................. 11 Aus dem Brief eines Asylbewerbers.............................................................................................. 13 »AusgeLAGERt«...........................................................................................................................14 Die Einstellung zu Ausländern und Asylsuchenden als Schauspiel ................................................ 16 Traum vom Menschen .................................................................................................................. 18 Give us one chance !..................................................................................................................... 19 Gebt uns eine Chance! .................................................................................................................20 Zu Besuch beim „Grüffelo“........................................................................................................... 21 Menschenwürde ist nicht verhandelbar ........................................................................................22 Cui bono? Wem nützt es eigentlich? .............................................................................................24 Exhausted sound Part 10 ............................................................................................................. 25 Stimme der Erschöpfung Teil 10...................................................................................................26 In den Seilen hängen? Nein, zum Boxtraining gehen! ................................................................... 27 Identität und Asyl ........................................................................................................................28 „Wir leben im gleichen Land, aber nicht in derselben Welt“...........................................................30 Mitten in unserem Land – wieso eigentlich? Teil 2........................................................................ 32 Sprache ist Macht ........................................................................................................................ 33 Flucht ist kein Verbrechen!............................................................................................................34 „Fremde Freunde“ Teil 2................................................................................................................ 38 Damit Menschen frei werden ......................................................................................................40 Was wird mich dort erwarten?......................................................................................................42 FLUCHT und ASYL Kurznachrichten............................................................................................. 43 Till GU-spiegel Teil 1 ....................................................................................................................44 Impressum ..................................................................................................................................46

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Editorial

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Spiel ohne Schiedsrichter In ein fremdes Land zu ziehen, ob geschäftlich, aus einer bedrohlichen Gesamtsituation heraus oder aus persönlichen Gründen, ist wohl die größte Herausforderung und die größte Wende, die das Leben jemals nehmen kann. Geordnet und gut vorbereitet ist dies wohl zu bewältigen. Von der vertrauten Heimat in die Fremde zu fliehen ist jedoch viel schwieriger. Niemals hätte man sich das für sein Leben gewünscht. Die Gefahr ist groß, dabei die Zuversicht zu verlieren. Mit anderen Worten, andere spielen nun den Ball deines Lebens und deiner Identität in jede Richtung, die ihnen beliebt. Die Zuschauer applaudieren dazu, selbst wenn der Ball ins Abseits gekickt wird oder sie wollen von diesem Ball gar nicht wissen; andere ahnen nicht einmal, wo das Spielfeld ist. Eine der größten Herausforderungen überhaupt ist das Leben in der Isolation eines abgelegenen Flüchtlingslagers. Nicht nur in Bayern befinden sich die meisten dieser Lager am Rande von Ortschaften, in Industriegebieten oder noch weiter außerhalb. Das ist in der Tat eine Anfrage an ein demokratisches Land wie Deutschland. So hört man von den meisten Flüchtlingen in den Unterkünften: „Sind wir in Deutschland?“ Sie sind abgeschnitten von jeglicher Innensicht und Teilhabe an

diesem Land, sie leben wie Robinson Crusoe auf einer einsamen Insel. Das ist nicht das, was wir erwartet haben, als wir uns auf den Weg nach Deutschland machten. Die meisten Flüchtlinge fliehen aus den problematischsten Regionen dieser Welt. Wie entscheiden Sie sich angesichts lebensbedrohlicher Probleme in Ihrem Land? Flucht ist dann die letzte Möglichkeit, bevor man stirbt, ins Gefängnis geworfen wird oder wenn keine Hoffnung auf eine Zukunft mehr bleibt. Warum zum Beispiel verlassen so viele Menschen aus Afrika ihre Heimat? Eine der Hauptursachen sind die dortigen Diktaturen und deren Missachtung des Werts eines Menschen und seiner Existenz. Keinerlei Persönlichkeitsrechte, das ist die Realität, nicht einmal das Recht auf den eigenen Grund und Boden als Lebensgrundlage. Die Menschen brauchen ihr Stück Land, ihren Ertrag, um zu überleben – eines der wenigen Dinge, die bisher allen Gesellschaften heilig gewesen sind. Die Menschen wollen überleben in ihrer Existenz auf Erden. Glauben Sie mir, wenn die Entwicklung so weiter fortschreitet, werden die Ströme entwurzelter Menschen auf der Suche nach einem Ort zum Überleben dramatisch anschwellen. Nehmen

Sie, was Sie wollen: Landraub riesigen Ausmaßes oder Wüstenbildung und Dürrekatastrophen, verursacht durch den Klimawandel. Millionen werden fliehen müssen, um ihr Leben zu retten, wenn die Welt weiter weg schaut. Alle diese Fluchtgründe sind in letzter Konsequenz absolut politische Gründe! Zuverlässige Daten belegen, dass der Landraub vor allem in Afrika – beispielsweise in Äthiopien, Südsudan, Tansania, Mosambik, Mali oder Sierra Leone – immer wieder Nahrungsmittelkrisen hervorruft, begünstigt durch eine Mischung politischer, finanzieller und ökologischer Faktoren. Untersuchungen decken auf, dass nicht nur die gigantischen Landraub-Geschäfte mit China und den arabischen Ländern von den Medien zu Recht angeprangert werden, sondern dass hier ein großer Teil des Kapitals von amerikanischen und europäischen Investoren kommt. Nach Angaben der Hilfsorganisation Oxfam ist allein in den letzten zehn Jahren weltweit der einheimischen Bevölkerung die fast sechsfache Fläche Deutschlands entrissen und an Investoren verpachtet oder verkauft worden! Und das meist in Ländern, die ohnehin schwer vom Hunger betroffen sind! Die Lokalbevölkerung ist diesem Treiben schutzlos ausgesetzt; kaum jemand hat das Recht,


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4 sich zu wehren oder Fragen zu stellen, um diese seit Jahren verdeckten Strategien und Ziele zu entlarven. Die einzige Option nach Enteignung ist die Flucht. Viele Flüchtlinge kommen von den Brennpunkten der Gewalt in Afghanistan, Irak, Somalia und Syrien. Im Irak wie auch in den meisten dieser Konfliktregionen ist die Lage immer noch lebensbedrohlich, Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung. Dennoch wird dies aus strategischen Überlegungen in der Politik und in den Medien des Westens oft heruntergespielt. Es ist mehr als verständlich, dass Menschen überleben wollen; deswegen fliehen sie nach Europa, nach Deutschland. Aber auch hier hören die Probleme und Herausforderungen für die Asylsuchenden nicht auf. Das Bundesverfassungsgericht hat zu der humanitären Lage der Flüchtlinge in Deutschland Stellung bezogen in seinem Urteil vom 18. Juli 2012. Die Verfassungsrichter entschieden zugunsten der Flüchtlinge auf der Grundlage des Art. 1a des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Ausdrücklich bezogen sie alle in diesem Land lebenden Menschen mit ein, also auch alle Flüchtlinge und Asylbewerber. Das Urteil bezieht sich auf die finanzielle Lebensgrundlage der Flüchtlinge und Asylbewerber; unter anderem wurde daraufhin das monatliche Taschengeld für Erwachsene von 40,90€ auf 134 € angehoben. Darüber hinaus werden die Flüchtlinge und Asylbewerber in Bayern anders behandelt als in anderen Bundesländern. In Baden-Württemberg zum Beispiel bewegt sich die Asylpolitik seit Kurzem in eine bessere, menschenwürdige Richtung. Dort können sich die Flüchtlinge frei im ganzen Bundesland bewegen – nicht so in Bayern. Dort bekommen die meisten Flüchtlinge eine Vollzeit-Arbeitserlaubnis – nicht so in Bayern. In Tübingen zum Beispiel ist es sehr engagierten Studenten und Unterstützern gelungen, tägliche Deutschkurse für Flüchtlinge anzu-

bieten; dort gibt es für diese auch freie Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Wie gelingt so etwas? Studenten kaufen dort jeden Mittwoch Lebensmittelpakete von den Flüchtlingen auf, sie kochen gemeinsam mit ihnen und laden dann Passanten, Politiker und Geschäftsleute zu einem gemeinsamen Essen mit den Flüchtlingen ein. So klären sie auf und ermöglichen eine Begegnung. Die Initiatoren berichteten dem Heimfocus-Magazin, dass viele Bürger sehr betroffen reagierten und Politiker sich daraufhin der Sache annahmen, um eine Änderung herbeizuführen. Und so wird dank des Engagements vieler Unterstützer ab Januar 2013 auch den Flüchtlingen und Asylbewerbern im Landkreis Tübingen Bargeld ausgezahlt, damit sie sich endlich ihre Lebensmittel selbst kaufen können – nicht so in Bayern. Doch auch in Bayern geht der Einsatz Vieler für einen grundsätzlichen Wandel in der Asylpolitik weiter. Was hier die Flüchtlinge am dringendsten brauchen, ist zuallererst eine gastfreundliche, offene Haltung, zweitens aber auch Bewegungsfreiheit zumindest im ganzen Bundesland, Bargeld für Lebensmittelkauf statt Essenspakete, Sprachkurse von Anfang an und Arbeitserlaubnis, um sich selbst versorgen zu können. Einer der Autoren dieses Heftes berichtet von seinem Freund, der nach drei Jahren endlich die Aufenthaltsgestattung bekommen hat. Dieser sagt: “Ich fühle mich nun wie aus dem Gefängnis entlassen. Aber ich kann mich nicht verständigen, ich hatte bisher keine Möglichkeit zur Integration! So ist jedes Formular, jeder der vielen Behördengänge eine große Herausforderung. Wenn ich Glück habe und jemand begleitet mich als Übersetzer, sitze ich stumm da und fühle mich wie ein Kleinkind.“ Wissen Sie, was morgen kommt? Helfen Sie doch den Flüchtlingen heute! Sie können Pläne für morgen schmieden wie Sie wollen, doch wer kann schon sicher sein, was geschieht? Es sind nicht nur Erdbeben wie in China, nukleare Katastrophen

wie in Japan, blutige Konflikte wie in Syrien, Wirtschafts- und Finanzkrise wie besonders in Griechenland und Spanien... Alle diese Ereignisse klopfen auch an Ihre eigene Tür. Sie können selbstgefällig sein, aber nicht für immer. Denn die Welt ist klein geworden, jedes Land ist Ihr Nachbar, so oder so. Addis Mulugeta


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Die Würde des Menschen ist unantastbar

Teil 9

Im Namen der Volkes:

„Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“ Klare Ansage des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 18.07.2012: Die Grundleistungen für Asylbewerber und leistungsberechtigte Ausländer nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind verfassungswidrig! Euer Menschenbild und die Entscheidungen und Handlungen, die ihr daraus ableitet, stehen nicht auf dem Boden unseres Grundgesetzes: Das ist die eigentliche, mehr als deutliche Botschaft hinter dem Paragraphenund Zahlenwerk dieses Urteils. Die Adressaten der Verfassungsrichter sind die Politiker in Bundestag und Bundesregierung, die trotz aller Proteste und Appelle seit fast 20 Jahren für vorsätzliche Klassentrennung und Diskriminierung tausender Mitbürger verantwortlich zeichnen. Das ist jedoch auch ein mahnendes Wort an uns alle: Es geht um fundamentale Missstände, die viel über den Zustand unserer Gesellschaft und über unser Selbstverständnis aussagen. Was zahlreiche für Flüchtlinge und Asylbewerber engagierte Organisationen, Verbände und Ehrenamtliche immer wieder angeprangert und zum Gegenstand vieler Proteste und Aktionen gemacht haben, ist nun von höchster Stelle zu einer schallenden Ohrfeige für die Politik geworden – wieder einmal. Einerseits haben die Verfassungsrichter den Geltungsbereich des Art. 1 GG unmissverständlich definiert: „ Art.1 Abs. 1 GG erklärt die Würde des Menschen für unantastbar und verpflichtet alle staatliche Gewalt, sie zu achten und zu schützen. ... Als Menschenrecht steht dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu.“[Abs.89] „Auch eine kurze Aufenthaltsdau-

Das seit 1993 geltende Asylbewerberleistungsgesetz, die rechtliche Grundlage für die Leistungsbemessung zur Unterbringung, Versorgung und Lebenshaltung der Flüchtlinge, steht im Widerspruch zum Art. 1 des Grundgesetzes!

© Interkulturelle Woche er oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland“, so das Bundesverfassungsgericht weiter, „ rechtfertigte es im Übrigen nicht, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken... Ausländische Staatsangehörige verlieren den Geltungsanspruch als soziale Individuen nicht dadurch, dass sie ihre Heimat verlassen und sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf Dauer aufhalten. Die einheitlich zu verstehende menschenwürdige Existenz muss daher ab Beginn des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland realisiert werden.“ [Abs.120bb)] Zum eigentlichen Kern der Klage gegen das Asylbewerberleistungsgesetz erging das folgende wegweisende Urteil:

Intransparent, nur auf Schätzungen beruhend und ohne tatsächliche Bedarfsermittlung, auf niedrigstem Niveau deutlich unter Bedarfssätzen für Deutsche, so wurde es damals beschlossen - und seit fast 20 Jahren trotz einer Teuerungsrate von rund 30% nicht mehr angepasst: „Der Gesetzgeber hat bereits in das Asylbewerberleistungsgesetz 1993 eine bis heute geltende Verordnungsermächtigung zur Anpassung der Leistungen an die Entwicklung der tatsächlichen Lebenshaltungskosten aufgenommen, von der jedoch trotz der seither erheblichen Preissteigerungen nie Gebrauch gemacht wurde. Eine Anpassung der Beträge ...an die gestiegenen Lebenshaltungskosten lehnte der Bundesrat mit Beschluss vom 20. Dezember 2001 ab.“ [Abs. 5] Beschämend für die Politik auch die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts: „Dass die im Jahr 1993 das Existenzminimum abdeckenden Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz den existenznotwendigen Bedarf eines auch nur kurzzeitigen Aufenthalts bereits 2007 nicht mehr sichern konnten, ist offensichtlich.“ [Abs.110bb)] Dies kann niemanden von jenen wirklich überraschen, die schon seit


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11 / 2012 Jahren unermüdlich auf das von der Politik beharrlich ignorierte und geleugnete Unrecht hinweisen: Für die einen mussten also nach dem HartzIV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2010 die Sätze neu berechnet werden, um ein der Menschenwürde entsprechendes Existenzminimum zu sichern. Für die anderen hingegen sollten gerade mal 65% dieses gesetzeswidrigen Satzes fast 20 Jahre unverändert ausreichend sein? Alle Menschen sind bei uns gleich in ihrer Würde und in ihren Menschenrechten? Das Urteil lässt tief blicken, wie es wirklich um Grundwerte und um das christlichem Menschenbild in unserer Politik bestellt ist.

dem Asylbewerberleistungsgesetz hat sich seit der ersten Regelung 1993 erheblich verringert. Im Jahr 2009 bezogen 121.918 Personen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. ...Die Zahl der Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger lag demgegenüber in den Anfangsjahren des Asylbewerberleistungsgesetzes bei knapp 500.000 Personen. Die Ausgaben für soziale Leistungen in diesem Bereich reduzierten sich entsprechend von 5,6 Mrd. auf 0,77 Mrd. €.“ [Abs. 7]

Mensch ist Mensch, Menschenwürde ist nicht relativierbar. Und das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum des Menschen, eines jeden Menschen ungeachtet der Herkunft und Nationalität, umfasst in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weit mehr als die Sicherung seiner physischen Existenz: „Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch ... gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen.“ [Abs. 90 b)] Da langen die bisher immerzu ins Feld geführten behördlichen Zielvorgaben wohl nicht so ganz: Sie haben doch zu essen, ein Bett, ein Dach über dem Kopf und Taschengeld, was wollen sie denn noch? Gemessen an der von den Verfassungsrichtern vorgegebenen Definition werden wohl die vielen menschenrechtlichen Hinterbänkler in Parlamenten, Regierungen und Behörden, aber auch so mancher Mitbürger da draußen, dringend Nachhilfe nehmen müssen.

Auch wenn die Zahl der Leistungsberechtigten seither leicht gestiegen ist auf rund 130.000, entbehrt dennoch die große Angst vor dem Ruin durch die „Asylantenflut“, die besonders die Parteigänger der C- Parteien umtreibt, jeder Grundlage - ganz abgesehen von der gesetzlichen, humanitären und ur-christlichen Verpflichtung, solidarisch und gerecht zu handeln, egal, was es kostet. Und doch: Man muss sie ernst nehmen, die Wurzeln und Ursachen der Fremdenangst und auch des Rassismus. Drücken sie doch ein Gefühl der Unsicherheit und Furcht aus, uns entgleitet alles, wir fühlen uns als Verlierer oder zumindest von einer instabilen, ungewissen Zukunft bedroht. Nur, die Asylbewerber sind die falschen Adressaten! Nichts am System ändert sich, ob nun mehr oder weniger ausländische Mitbürger da sind. Aber diese Furcht und die Fremdenangst der Bürger kann man benutzen: «Wir werden wohl angesichts dieser zusätzlichen Zahllasten dafür sorgen müssen, dass vorzeitiger oder frühzeitiger wieder ausgewiesen wird oder zur Not auch abgeschoben wird», zückte nach der Urteilsverkündung der CSU-Populist Hans-Peter Uhl postwendend den Colt. Nicht jedem ist es gegeben, Zusammenhänge intellektuell zu erfassen. Aber er

© Maneis Arbab Kompetente Nachhilfelehrer von angesehenen und engagierten Flüchtlingsorganisationen sind sicherlich gerne behilflich. Und schließlich die populistische, ebenso stammtisch- wie wahlkampftaugliche Mär von der drohenden Invasion der „Wirtschaftsflüchtlinge“ in unsere Sozialsysteme,: Sie wird in den Ausführungen des Gerichts auf die realen Zahlen gestutzt, die ein ganz anderes Bild zeigen: „Die Belastung der öffentlichen Haushalte durch Leistungen nach


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8 wird mit dieser Meinung nicht alleine da stehen. Alles eine Frage des Geldes – oder der Prioritäten: Unser Militäreinsatz in Afghanistan kostet 20 Millionen Euro - pro Woche!(4) Und während sich die Verantwortlichen fast zwei Jahrzehnte dem menschenwürdigen Existenzminimum tausender Flüchtlinge verweigern, liefert Deutschland am Parlament und an den geltenden eigenen Rüstungsexportrichtlinien vorbei an die Atommacht Israel „sechs atomwaffenfähige U-Boote der Dolphin-Klasse, beginnend 1999, an deren Kosten sich der hiesige Steuerzahler mit rund 1,2 Milliarden Euro beteiligt“.² Rein rechnerisch kann allein dieser Betrag, bei Mehrkosten von 216 Mio. € / Jahr durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mehr als fünf Jahre lang 130.000 Menschen finanziell ein menschenwürdiges Existenzminimum sichern. Fast genauso viel Zeit ist der Gegenwert von einem Jahr Bundeswehr-Einsatz am Hindukusch... Auch wenn es bei der Frage der Menschenwürde und Gerechtigkeit für alle Menschen in diesem Lande, gleich welcher Herkunft, um Wichtigeres geht, auch wenn Geld bei Weitem nicht alles ist: Wenn das in bar ausgezahlte „Taschengeld“ z.B. für einen alleinstehenden Erwachsenen nun ab dem 01.August 2012 nicht mehr 40,90€ beträgt, sondern 130,00€, wenn für seine Unterkunft und Versorgung monatlich statt 225,00€ nun wenigstens 336,00€ bereitgestellt werden müssen, dann ist es zumindest ein Zeichen, dass er als Mensch mit seinen Bedürfnissen wahr- und ernst genommen wird. Es ist ein erfreulicher Zwischenschritt auf dem Weg zur fundierten Neuberechnung der gesamten Sicherung, die das Gericht der Regierung zur Aufgabe gemacht hat. Und eigentlich stellt sich nach der Gleichstellung aller in Deutschland lebenden Menschen in der Grundsicherung des menschenwürdigen Existenzminimums durch das Bundesverfassungsgericht die Frage, warum das Asylbewerberleistungsgesetz nicht gleich eingestampft wird. Das ist

überfällig, darauf drängen schon seit langem in der Asylpolitik engagierte und erfahrene Organisationen und Aktivisten. Es ist nicht akzeptabel, es ist peinlich und provinziell, über Menschen in vielerlei Hinsicht eine diskr iminierende Käseglocke zu stülpen in einem Land, das zu den Profiteuren der Globalisierung zählt. Nun gilt es genau hinzuschauen, was © Interkulturelle Woche sich in der Versorgung und Unterbringung der leistungsberechtigten ¹ für alle Zitate aus dem Urteil des Mitbürger in Bayern ändert. Mehr Bundesverfassungerichts vom Geld ist ja da. Es wäre noch wesent- 18.07.2012 mit Angabe des Absätze [ lich mehr da: Gebt endlich das un- ] gilt:Zitierung: BVerfG, 1 BvL 10/10 sägliche System der Essenpakete vom 18.7.2012, Absatz-Nr. (1 - 140), mit seinen hohen Nebenkosten auf http://www.bverfg.de/entscheidunund statt dessen den Menschen Bar- gen/ls20120718_1bvl001010.html geld in die Hand. Sie haben sich in Copyright © 2012 BVerfG ihrer Heimat doch tatsächlich selbst versorgen können, ob man es glaubt ² Michael Lüders: „Iran: Der falsche oder nicht, und sie haben auch um- Krieg“, S. 149; ISBN: 978-3-406sichtig mit Geld umgehen müssen. 64026-1, Dass es funktioniert, daran lassen auch „Der Spiegel“ 23/2012: “Made Erfahrungen aus anderen Bundes- in Germany“ ländern keinen Zweifel. Man muss es nur wollen. ³ Christopher Senf: „Grundrecht für Flüchtlinge“, Neues Deutschland Im Namen des Volkes gesprochen: 19.07.2012; „Die in Art.1 Abs. 1 GG garantierh t tp:// w w w.neues- deu t schland. te Menschenwürde ist migratide/artikel/233080.grundrecht-fueronspolitisch nicht zu relativieren fluechtlinge.html .“[Abs.121c ] Es liegt noch ein weiter Weg vor uns, bis diese Worte der Verfassungsrichter eine Selbstverständlichkeit geworden sind. Aber ihr Urteil gibt die allgemeingültige Richtung vor – und lässt hoffen und weiter kämpfen. Die ketzerische Frage von Christopher Senf aus seinem Artikel „Grundrecht für Flüchtlinge“³ jedoch bleibt und verlangt nach einer Antwort: „Eine Frage des Klassenstandpunkts: Verlassen Asylbewerber den Bereich der Menschen zweiter Klasse oder steigen sie dorthin auf?“ Eva Peteler

4ht tp:// w w w. 20 millionen - mehrvom-militaer.de/warum-20-millionen Ziviler Friedensdienst, www.forumZFD.de


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Geht doch! Länderinitiative zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Brandenburg haben angekündigt, im Bundesrat eine Gesetzesinitiative zur Abschaffung des AsylbLg einzubringen. Noch ist nicht klar, ob die beiden rot-grünen Bundesländer und das rot-rote Brandenburg mit ihrem geplanten Antrag durchdringen werden. Die Hoffnungen liegen auf den Stimmen der beiden großen Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Würde das Gesetz endlich abgeschafft werden, müssten Asylsuchende und Geduldete dieselben Leistungen bekommen wie andere Bedürftige. Fast 20 Jahre lang, bis das Bundesverfassungsgericht das AsylbLg im Juli 2012 teilweise für verfassungswidrig erklärte, mussten Flüchtlinge mit bis zu 50 % niedrigeren Sozialleistungen auskommen als Hartz-IV-Empfänger. In Folge des Karlsruher Urteils wurden zwar die Leistungssätze für Asylbewerber auf beinahe Hartz-Niveau angehoben. Doch andere Diskriminierungen durch das Sondergesetz für Flüchtlinge sind durch das Urteil nicht berührt - etwa die entwürdigende Praxis, Flüchtlingen Einkaufsgutscheine oder Sachleistungen statt Bargeld auszugeben, blieben erhalten. Viele Kommunen sind inzwischen aus eigener Initiative auf Bargeld anstelle von Sachleistungen umgestiegen. Menschenfreundlichkeit ist aber nicht immer der Grund, sondern dass die Auszahlung von Bargeld häufig Verwaltungskosten spart. Bisher tragen Länder und Kommunen die Leistungen für Asylsuchende alleine. Würden Asylsuchende Hartz-IV-Leistungen erhalten, müsste der Bund einen Teil der Kosten übernehmen. © Pro Asyl 02.10.2012

Baden Württemberg: AusländerbeaufBargeld statt Sachtragte fordert leistungen!? Arbeitserlaubnis Erste Landkreise stellen um! für Asylbewerber Mit den seit 1. August 2012 geltenden Übergangsregelungen des Integrationsministeriums zum Flüchtlingsaufnahmegesetz von Baden-Württemberg können die Landkreise auch die Diskriminierung durch Sachleistungen beenden und auf Bargeld umstellen. Als erster der 44 Stadt- und Landkreise kündigte die Stadt Heidelberg am 31. August den Umstieg auf Bargeldzahlungen an. Am 20. September folgte der Landkreis Tübingen, der den Vertrag mit dem EssenspaketLieferanten Dreikönig (Schwäbisch Gmünd) zum Jahresende kündigte. Am 26. September erklärte die Stadt Mannheim den Umstieg auf Bargeld. Diesem Beispiel sollten möglichst viele weitere Landkreise folgen, hierfür setzt sich der Flüchtlingsrat ein. Einige Landkreise tendieren jedoch zum Verbleib im Sachleistungssystem, so hat der Landkreis Karlsruhe lediglich von Essenspaketen auf Gutscheinsystem umgestellt. © Flüchtlingsrat Baden-Württemberg 04.10.2012

„Spätestens nach sechs Monaten“ sollen Asylbewerber nach dem Willen der Ausländerbeauftragten Arbeit annehmen dürfen. Für langjährig geduldete Flüchtlinge fordert Maria Böhmer ein Bleiberecht ohne Stichtag. ...Böhmer sprach von einem „notwendigen Paradigmenwechsel“ – und schloss sich auch anderen Handlungsempfehlungen ihres Beirats an. Demnach müssten alle hier lebenden Ausländer „vom ersten Tag an“ Sprachkurs-Angebote erhalten. von Rainer Woratschka © Rainer Woratschka, Potsdamer Neueste Nachrichten 05.10.2012 http://www.pnn.de/politik/686849/


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„Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter“ J.W. von Goethe

Erfahrungsbericht aus der studentischen Asylarbeit Seit einigen Jahren bin ich, Studentin der Theologie und Germanistik, aktiv im Asyl-Arbeitskreis der Katholischen Hochschulgemeinde. Aus verschiedensten Gründen wollte ich dort mitarbeiten, doch der Hauptgrund lag für mich in der Begegnung mit mir zunächst völlig fremden Menschen. Menschen aus anderen Kulturkreisen, mit anderen Lebensgewohnheiten und Religionen kennen zu lernen war für mich schon immer reizvoll und eine stete Bereicherung für mein Leben.

turen. Mein Glaube an eine christliche Gesellschaft geriet mehr und mehr ins Wanken, nachdem ich erleben musste, wie vor allem Politiker der sogenannten christlichen Parteien Flüchtlinge zu Sündenböcken vor allem für wirtschaftliche Probleme wie Arbeitslosigkeit machten.

deutlicher. Ich kann wirklich nur im ganz kleinen Bereich etwas verändern; die wahre Not der Asylsuchenden kann ich jedoch nicht lindern. Ich freue mich zwar jedesmal, wenn ich nach Aub fahre, doch ich fahre jedesmal mit einem beklemmenden, unbefriedigten, hoffnungslosen Gefühl wieder weg. Ich glaube, nur wenn sich ein breiter Teil der Bevölkerung für die Probleme der Flüchtlinge einsetzt, kann etwas auf eine menschenwürdige, gerechtere Entwicklung hin verändert werden.

Mein eigenes Leben wurde mehr und mehr politisch. Gerade die menschenunwürdige Behandlung von Flüchtlingen machte mir deutlich, dass mein Engagement nicht im sozial-caritativen Bereich stecken bleiAls ich mich für eine Mitarbeit im ben darf, sondern einhergehen muss Asyl-Arbeitskreis entschied, hatte mit einer verstärkten politischen Ar- Was mir trotz allem Mut macht, weiich keine Ahnung, unter welchen beit im Bereich der Öffentlichkeits- terhin in der Asylarbeit tätig zu sein, Bedingungen zu uns kommende arbeit. Es wäre für mich unmöglich ist die Gewissheit, ich stehe nicht alFlüchtlinge leben müssen, wie es gewesen,wenn ich z.B. einen Flücht- leine da: Es gibt für mich die Freunum ihre Chancen, als Asylberech- ling zum Kleiderlager begleitet hätte, de des Asyl-Arbeitskreises mit detigte anerkannt zu werden, bestellt ohne in irgendeiner weise Gespräch nen ich mich austauschen kann, die ist. Mein erster Besuch der Sammel- mit den dort angestellten Leuten zu ebenso denken und handeln wie ich, unterkunft für Asylsuchende in Aub führen oder bei der nächsten Diskus- und ich sehe, dass sich langsam imwar war deshalb ein regelrechter sionsveranstaltung auf die Diskrimi- mer mehr Menschen für die ProbleSchock für mich. Trotz allem wurde nierung von Flüchtlingen z.B. In Be- me der Asylsuchenden einsetzen. ich überaus herzlich und freundlich hörden aufmerksam zu machen. von einigen Flüchtlingen zum Tee Wer sich in der Asylarbeit engagieeingeladen. Mit ihnen ins Gespräch An der Situation der Flüchtlinge ren will, braucht zwar eine hohe zu kommen stellte sich als viel un- hat sich trotz all unserer Bemü- Frustrationsgrenze, doch die Wärkomplizierter heraus, als ich es je hungen nichts geändert. Die Blicke me und Herzlichkeit, die einem von vermutet hatte. Bei meinen wei- der Flüchtlinge, welche anfangs vielen Flüchtlingen entgegen geteren Besuchen in Aub versuchte noch mit strahlenden Augen in die bracht wird, gibt immer wieder Mut ich dann, gemeinsam mit einigen Zukunft blickten, werden immer und Hoffnung, an eine gerechtere, anderen Leuten aus dem Asyl-Ar- hoffnungsloser und leerer. Flücht- friedlichere, für alle Menschen trotz beitskreis Deutschunterricht zu ge- linge, die ich vor vier Jahren in Aub unterschiedlicher Herkunft und Leben, da dies von vielen Flüchtlingen kennengelernt habe, leben zum Teil bensgeschichte offene Gesellschaft gewünscht wurde. Am Ende kamen immer noch hier. Es fällt mir schwer, zu glauben. dann viele auf mich zu, zeigten mir ihren fragenden Blicken, wann sie Briefe von Behörden und fragten um denn endlich anerkannt werden und Christine Vey im „Schaukasten“, das Lager verlassen dürfen, Stand zu der Zeitschrift von Studenten des Rat. halten. Priesterseminars Würzburg, Die Begegnung mit Flüchtlingen ver- Ich muss hier mit ansehen, wie Men- Heft 22, Sommersemester 1987 änderte auch mein eigenes Leben. schen, die voller Lebensmut hier anIch wurde mehr und mehr aufmerk- kamen, durch die lange Warterei kasam auf Randgruppen in unserer Ge- putt gemacht werden. Die Grenzen sellschaft, ihre Behandlung und die meines Handelns, meiner MöglichUrsachen solch ungerechter Struk- keiten, zu helfen, werden mir immer


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Es tut sich was in der Auber Gemeinschaftsunterkunft Bis vor kurzem schienen die Menschen in der Gemeinschaftsunterkunft Aub von allen vergessen. Scheinbar ans Ende der Welt verbannt, wussten sie nicht, wie sie ihren Alltag sinnvoll gestalten, geschweige denn Deutsch lernen oder am kulturellen und gesellschaftlichen Leben in diesem fremden Land teilnehmen könnten. Selbst die Fahrt zum Anwalt oder zum Arzt war ein Problem. Im Mai hatte der Freundeskreis für ausländische Flüchtlinge e.V. mit einer Essenspaketaktion auf die schwierigen Lebensumstände in Aub aufmerksam gemacht. Hierbei wurden von den Flüchtlingen dort Essenspakete zur Verfügung gestellt und an Bürgerinnen und Bürger, darunter auch Mitglieder des Stadtrats Würzburg, verteilt. Zum Einen sollten sich Einheimische wenigstens für ein paar Tage in die abhängige Position der Flüchtlinge hineinversetzen können. Ziel war aber auch, die Gemeinschaftsunterkunft dort mehr in den Blickpunkt zu rücken und darauf hinzuweisen, dass es auch an weitaus abgelegeneren Orten als an der Veitshöchheimerstraße 100 in Würzburg Flüchtlinge gibt, die auf

ehrenamtliches Engagement und Unterstützung durch den Landkreis angewiesen sind. Seit Juni 2012 hat sich einiges verändert. Einen großen Beitrag zu dieser Verbesserung der Lebensumstände in der Auber Unterkunft leisten Judith Vollmond und Jutta A. Wilke. Frau Vollmond wurde über die Würzburger Montagsspaziergänger, die ihren Protestgang durch die Innenstadt einmal pro Monat dem Thema Asyl widmen, auf die Probleme in der Auber Gemeinschaftsunterkunft aufmerksam. Ehrenamtliche, die seit Jahren für Flüchtlinge in Würzburg aktiv sind, führten sie in die Welt der Essenspakete und der Residenzpflicht ein. Sobald sie sich ein Bild von der Situation gemacht hatte, legte Judith Vollmond los. Sie schaffte einen Computer für die Gemeinschaftsunterkunft an und sorgte erstmals und aus eigener Tasche für Internetanschluss. Auch Jutta A. Wilke versucht, den Bewohner in der GU Aub das Leben ein wenig leichter zu machen, indem sie Zeit mit ihnen gemeinsam verbringt, bei Behördengänge begleitet und mit Unterstützung zahlreicher

Auber BürgerInnen und des Ersten Bürgermeisters Melber das, was gebraucht wird, organisiert. Neben Sachspenden z.B. Mitfahrgelegenheiten, denn für die meisten Flüchtlinge, insbesondere die Familien, ist eine Fahrt nach Würzburg mit öffentlichen Verkehrsmitteln schier unerschwinglich. Ein wichtiges Anliegen ist dabei immer auch, die Isolation, in der sich die Flüchtlinge befinden, aufzubrechen, da das gegenseitige „Fremd bleiben“ Vorurteile und Argwohn auf beiden Seiten schürt. Dagegen hilft ein behutsames Sich-nähern, das immer wieder neu Anstöße braucht und in vielen kleinen Schritten geschieht. Man muss sich nur trauen. Mit Hilfe der Montagsspaziergänger, welche gemeinsam mit V!VOVOLO in ihrem Spendenaufruf um Geldund Sachspenden baten, konnten mehrere hochwertige Fitnessgeräte von privaten Spendern und angeschriebenen Fitnessstudios zusammengetragen werden. Die Fitnessgeräte bringen einigen Bewohnern der Unterkunft eine Möglichkeit der Abwechslung in ihrem tristen, eintönigen Alltag und lassen sie vielleicht


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12 für einen kurzen Moment ihre Sorgen und Ängste vergessen. Damit verbessert sich auch ihre die psychische und physische Gesundheit. Der bekannte Kabarettist aus Würzburg, Frank-Markus Barwasser, spendierte den Menschen dort eine übertragbare Monatskarte, mit der sie nun eher Arzt- und Anwaltstermine in Würzburg wahrnehmen und einkaufen gehen können. Denn die Sachgutscheine, mit denen sie statt mit Bargeld beispielsweise Kleidung „kaufen“ können, werden nur in bestimmten Geschäften akzeptiert. Einen großen Teil dieser Aktionen für die Auber GU-Bewohner hat Judith Vollmond arrangiert. Für Judith Vollmond und Jut ta A . Wilke ist es jedoch mit dem Sammeln von Spenden nicht getan. Frau Vollmond sagt: „Wenn sich jemand über diese Dinge freut, ist das zwar schön, aber ich möchte keinen Dank. Diese Menschen haben es nicht verdient, auf Almosen zu hoffen, für die normalsten Dinge dankbar sein zu sollen oder schlimmstenfalls Mitleid entgegengebracht zu bekommen. Es ist ihr Menschenrecht bei uns zu sein, wir sollten froh und dankbar sein, dass sie hier sein und sich mit ihren Fähigkeiten einbringen möchten. Wichtiger als jede Sachspende finde ich daher die Unterstützung beim Kampf um menschenwürdige Asylgesetze. Ziel darf nicht die Verschönerung der Gemeinschaftsunterkünfte sein, sondern deren Abschaffung, die Abschaffung der Residenzpflicht und schnellere Bearbeitung von Asylanträgen, bestenfalls ein sofortiges Abschiebestopp. Ja, wir sollten teilen und zusammenhalten. Aber bitte nicht vergessen, dass diese Unterstützung eigentlich von weiter oben kommen sollte. Der Bitte, Fotos für diesen Artikel zuzustimmen, möchte ich nicht nachkommen, da ich von einem Foto über die „glücklichen Besitzer eines gebrauchten Fitnessgeräts“ aus Respekt vor den Bewohnern der Gemeinschaftsunterkunft Aub absehen möchte.“ Wie Jutta A. Wilke setzt sich Judith Vollmond nun auch vermehrt für Einzelpersonen ein, hilft beim Beantragen von Arbeitserlaubnissen, bei der Job- und Wohnungssuche. Ihrem

Beispiel folgen immer mehr Freiwillige. So kann das Sprachkursangebot von Navid Zabihi, der bereits einmal wöchentlich einen Deutschunterricht in Aub hält, durch weitere Ehrenamtliche erweitert werden. Neben dem Unterricht ist auch eine durch den Lions Club Würzburg geförderte Teestube in Planung, wie sie bereits in ähnlicher Form in der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft existiert. Hierzu soll ein Raum eingerichtet werden, in dem sich Flüchtlinge und Menschen aus Aub und Umgebung regelmäßig treffen, um gemeinsam zu essen und Spaß zu haben. In Würzburg steht hierzu beispielsweise ein Raum mit kleiner Küche, Sitz- und Essgelegenheiten, Tischkicker und Tischtennisplatten zur Verfügung. Sie alle haben gezeigt, wie man sich für Menschen einsetzen kann, die sich bereits von der Gesellschaft verlassen glaubten. Durch diese wichtigen Schritte zur Aufhebung der Isolation konnten die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft wieder Kraft schöpfen. Die ersten Schritte sind getan. Um diesen Weg weitergehen zu können, braucht es noch mehr Menschen, die sich für die Flüchtlinge in Aub einsetzen. Die Möglichkeiten zu helfen reichen vom Engagement als Deutschlehrer/ Konversationspartner über Geld-, Computer- oder Fahrradspenden bis

hin zur Unterstützung beim Ausfüllen von Anträgen oder gemeinsamen Tischkickerturnieren. Der Einsatz jedes Einzelnen zählt, um den Menschen in Aub das Gefühl zu nehmen, von den Menschen in diesem Land vergessen zu sein. Gemeinsam können wir zeigen, dass sie uns nicht egal sind und wir sie gerne in unserer Gesellschaft empfangen! Über V!VOVOLO e.V. Kontonummer: 44936490 Sparkasse Mainfranken, Bankleitzahl: 79050000 Stichwort „Aub“

kommen die Spenden direkt den Menschen in der Gemeinschaftsunterkunft Aub zugute. Bei Fragen kann man sich gerne an vivovolo@gmx.de wenden. Wahid Feizy und Sophia Löble


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Aus dem Brief eines Asylbewerbers Wir leben jetzt vier Jahre in Aub. Alle Behörden behandeln uns unfreundlich. Wenn ich Englisch spreche, sprechen sie Deutsch. Wenn ich Deutsch spreche, sagen sie, sie können mich nicht verstehen. Ich soll einen Dolmetscher mitbringen. Wenn wir einen Dolmetscher bringen, sagen sie:“Heute ist es zu spät, kommen Sie morgen wieder!“ Wenn wir eine Arbeitserlaubnis bekommen, muss das Arbeitsamt zustimmen. Wenn wir eine Stelle finden, erlaubt es uns das Arbeitsamt nicht, weil es erst für diese Stelle einen Deutschen oder EG-Ausländer suchen muss. Das Arbeitsamt schickt andere Leute an die Stelle, die wir gefunden haben. Wir sind wie eine Agentur, die Stellen fürs Arbeitsamt sucht. Leider werden wir dafür nicht bezahlt. Wenn wir auf der Straße laufen und zu den Leuten „Grüß Gott“ sagen, grüßen sie uns oft nicht und manche schimpfen auch. Einmal hat uns ein Mann, der mitten in der Fahrbahn anhielt und aus seinem LKW ausstieg, beschimpft: „Warum seid ihr hier, was wollt ihr hier; ihr wollt unser Land, wir zahlen Steuern für euch... Arschlöcher, Schweine...“ Wir dachten erst, er wollte irgendwas von seinem LKW abladen. Aber abgeladen hat er ganz andere Sachen: Schimpfwörter. Viele Deutsche meinen, wir kommen, weil Deutschland reich ist, wegen Geld, Arbeit und sozialer Sicherheit. Aber das ist nicht wahr. Wir kommen wegen Krieg und Gewalt. Wir haben viele Tote gesehen, Verletzungen außen und innen; Verwandte, Freunde sind gestorben. Sie haben auch vor 40 Jahren so einen Krieg gehabt. Haben Sie diese Zeit vergessen? Wenn wir nach Würzburg fahren, werden wir von der Polizei kontrolliert und müssen unsere Aufenthaltsgestattung zeigen. Die Polizei hat das Recht, zu fragen. Für uns ist das aber etwas Besonderes. Z.B. ein Unfall in Würzburg: Eine alte Dame hat beim Wenden ihr Auto angekratzt. Sie fragt uns, ob wir ihr helfen könnten ; ihr Mann schimpft, als er das

© Interkulturelle Woche sieht. Wir wollten helfen, die Polizei kam, viele Leute waren da. Die Polizei ist sofort auf uns zu, wollte Ausweise sehen. Sie haben nicht mit den anderen Leuten gesprochen. Sie wollten nur Ausweise von uns. Wir fragten sie, warum sie die anderen Leute nicht fragen. Dafür wurden wir geschimpft. Warum? Gott sei Dank hat die alte Dame der Polizei die Wahrheit gesagt. Einmal hat ein Polizist einen unserer Kollegen kontrolliert und fragte: „Warum gehst du nicht zurück?“ Er machte Witze über uns, obwohl er genau weiß, was uns dort passiert. Wie eine Katze, die mit einer Maus spielt. In der Bundesrepublik sind wir keine Besucher. Sie haben auf uns nicht gewartet, aber wir sind trotzdem gekommen. Wir denken, die Regierung, die Verwaltung und die Gerichte handeln ungerecht. Sie schicken Waffen an die Regierung in unserer

Heimat, die sie benutzt, um [andere] zu töten. Stellen Sie sich vor, in der Bundesrepublik gäbe es zwei Völker, die sich bekämpfen und [unser Land] würde für eine der beiden Seiten Waffen liefern! Wir haben viel zu viel verloren. Wir bekommen immer schlechte Nachrichten aus der Heimat, und hier sind auch keine freundlichen Verhältnisse. Wir haben die Hoffnung auf ein gutes Ergebnis in der Bundesrepublik aufgegeben. Wir denken manchmal, wir haben etwas falsch gemacht, dass wir hierher gekommen sind. Aber wir hatten keine andere Wahl, zu überleben. Aus dem Brief eines Asylbewerbers , veröffentlicht im „Schaukasten“, der Zeitschrift von Studenten des Priesterseminars Würzburg zum Sommersemester 1987


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»AusgeLAGERt« Gerne werden sie als „Randgruppe“ bezeichnet: AsylbewerberInnen in Deutschland. Doch haben sie sich den Platz am Rand der Gesellschaft selbst ausgesucht? Ein Blick in den Alltag von Flüchtlingen. „Ab-schie-bung“. „Resi-denz-pflicht“. „Lager“. Diese Wörter kennt Manuel. Doch die Frage „Wie geht es dir?“ kann er nicht beantworten. Der schlaksige Junge steht im Flur vor seinem Zimmer im Erstaufnahmelager für Flüchtlinge, Baierbrunner Straße14, in München. Er wartet auf seine serbischen Freunde, um in der Innenstadt an einer Demonstration gegen die Lebensbedingungen in Lagern teilzunehmen. Nächste Woche Dienstag soll er abgeschoben werden, zusammen mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester. Es ist Mittwoch Vormittag, kurz vor zwölf. Fast alle Türen im Lager sind geschlossen. Die kobaltblauen, blanken Wände und der graue Linoleumboden lassen an verlassene Schwimmbadgänge erinnern. Abgestandene Luft, Wasserflecken, Schimmel, Risse in den Wänden und der Geruch von Urin. In Deutschland gibt es hunderte solcher Flüchtlingsheime. Mehrstöckige Gebäude, ein Gang wie der andere. Rechts Zimmer, links Zimmer. Zwei Bäder pro Etage. Menschen waschen sich in Waschbecken. Oft genug Frauen, Männer, Kinder, alle gemeinsam. Eine Großküche. „Das Leben besteht aus essen und schlafen und essen und schlafen. Du kannst nicht mehr denken. Mit deinem Leben geht dein Kopf zugrunde“, erzählt Phoebe. Sie lebt im Lager in Hennigsdorf, 40 Kilometer entfernt von Berlin. „Du isst nicht mehr zu normalen Zeiten. Manchmal wartest du bis vier Uhr nachts, bis die Küche frei ist. Dann kochst du. Dann schläfst du um sieben Uhr morgens. Da stehen andere Leute schon wieder auf”. Wie das Lager in Hennigsdorf liegen die meisten Unterkünfte außerhalb des Stadtzentrums, abgeschirmt von deutschen Mitbürgern. Und abgeschirmt vom Leben.

„Man bringt die Flüchtlinge nicht ohne Grund isoliert am Rande der Städte unter“, sagt Lukas von der Karawane München, einem Zusammenschluss von politisch aktiven Menschen in Bayern, die sich für Flüchtlingsrechte einsetzen. „Die Staatsregierung will verhindern, dass die Flüchtlinge soziale Kontakte knüpfen, sich ihrer Rechte bewusst werden und am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Denn das könnte die Abschiebung erschweren“, fügt er hinzu. Auch versuchen die bayerischen Behörden, die Zustände in den Lagern zu verleugnen. Beim Erstaufnahmelager in der Baierbrunnerstraße in München wurde letztes Jahr die Außenfassade in einem schönen, warmen goldgelb gestrichen. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. „Dir ist nicht erlaubt zu arbeiten. Dir ist nicht erlaubt, dich überall frei zu bewegen. Eigentlich ist dir überhaupt nichts erlaubt. Du bist an einem Ort eingesperrt. Du kriegst etwas zu essen und einen Platz zum Schlafen“, meint Manuel, „aber ich denke, das ist kein Leben. Du hörst auf zu denken.“

die Bayerische Asyldurchführungsverordnung (DV Asyl) vom 04.06.2002, »die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern« (§7 Abs. 5). Die ca. 10.000 Plätze in Flüchtlingsunterkünften in Bayern reichen bei weitem nicht für alle AsylbewerberInnen, was starke Überfüllung der Unterkünfte zur Folge hat. Schuld sei nach Informationen des bayerischen Flüchtlingsrates jedoch nicht eine steigende Anzahl von Flüchtlingen, sondern die vehemente Weigerung der Staatsregierung, die Lagerpflicht aufzuheben und geflüchteten Menschen die Möglichkeit zu geben, sich selbst eine Wohnung zu suchen. In einigen Bundesländern erhalten die Flüchtlinge Leistungen meist nicht in Bargeld, sondern in Form von Gutscheinen oder Essenspaketen. Im Lager Hennigsdorf in Berlin bekommen sie Gutscheine, die nach dem Asylbewerberleistungesetz allerdings ausschließlich in bestimmten Supermärkten und ausschließlich für Nahrung ausgegeben werden dürfen. Zusätzlich erhält jeder Flüchtling Taschengeld in bar. Damit sollen alle restlichen Ausgaben gedeckt werden: Hygieneartikel, Geschirr, Telefon, Nahverkehr und auch der eigene Anwalt müssen davon bezahlt werden. Diese früher 40, ab August dieses Jahres nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts immerhin 130 Euro kriegt auch Manuel in München. Doch sein Essen darf er nicht selbst auswählen. Wie die anderen 350 Mitbewohner in der Baierbrunnerstraße erhält er zwei Mal in der Woche ein Essenspaket. Pizza, Dosenessen, Bananen, Nudeln. Es ist immer das gleiche.

Aufgrund der sog. Lagerpflicht, die auf Bundesebene das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) und das Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) regeln, müssen AsylbewerberInnen in Deutschland meist so lange in Lagern oder Gemeinschaftsunterkünften leben, bis ihr Asylantrag entweder positiv entschieden wird oder sie in ihr Heimatland abgeschoben werden. Die Form des Wohnens unterscheidet sich jedoch von Bundesland zu Bundesland, wobei es in Bayern, das mit mehr als 125 Unterkünften für AsylbewerberInnen Spitzenreiter ist, mit Abstand die strengste Lagerpflicht gibt. Die „Manchmal fühle ich mich wie ein Verteilung auf Sammellager soll, so Mülleimer“. Phoebe sitzt auf einem


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11 / 2012 schwarzen Sofa in Hennigsdorf im Zimmer ihrer Freundin Sarah. „Diese Gutscheine sind eine Art Papier, das versucht Menschen zu diskriminieren und ihr Selbstbewusstsein zu verringern. Du bist darauf beschränkt, nur –sie nennen es – Le-bens-mit-tel zu kaufen. Jedes Mal, wenn du die Dinge auswählst, musst du zählen oder einen Taschenrechner mitnehmen. Ich sehe etwas für zwei Euro und ich habe zum Beispiel einen Gutschein über fünf Euro. Also werde ich nicht genau das nehmen, was ich will. Denn es könnte mehr kosten. Oder weniger. Und du wirst kein Wechselgeld erhalten. Und wenn es mehr kostet, dann fehlt dir das Geld um den Unterschied zum Gutschein auszugleichen.“ Während Phoebe das erzählt, lacht sie. „Die anderen Leute werden genervt, wenn sie in der Schlange hinter uns stehen. Vielleicht denken sie: Kann die nicht schneller machen? Kann sie nicht warten, bis wir mit unserem Geld bezahlt haben? - Ich weiß es nicht.“

nen Wagen hinterher. »Gegen Essens- ne Gut-Scheine, es sind Bad-Scheine, pakete! Gegen Lagerbedingungen! schrie er. Der Junge drehte durch und Gegen Residenzpflicht! « Der Mann begann, sein Zimmer zu verwüsten auf dem Wagen ruft ins Mikrofon, die und auf den Kopf zu stellen. Bevor er Leute hinter ihm schreien die gleichen fertig war, kam die Polizei.“ Sarah, Slogans. Auch Manuel schreit mit. Phoebes Freundin, nickt mit dem Kopf. »Re-si-denz-pflicht! Das kenne ich.« „Es ist alles schmerzhaft, und deshalb Die DemonstrantInnen halten Trans- kämpfst du gegen dein Zimmer, doch parente in die Höhe, auf denen „Lager auch das wollen sie nicht. Du kannst machen krank“ oder „Essenspakete nicht glücklich sein, deshalb musst du abschaffen“ steht. »Ich kann nicht le- mit etwas kämpfen. Ich kann nicht gesen, was da drauf steht«, sagt Salam gen meine Leute hier kämpfen, denn aus Somalia, 24. »Ich würde so gern sie haben das gleiche Problem. Aber Deutsch lernen, aber der Sprachkurs wenn ich gegen mein Zimmer kämpfe, kostet 100 Euro, soviel habe ich nicht.« ist es auch ein Problem. Dann kommt die Polizei.“ Zurück in Berlin Hennigsdorf. „Du hast Angst, irgendwo hinzugehen“, sagt Vier Wochen später. Manuel ist wiePhoebe leise. „Denn du weißt nicht, der in Serbien. Er weiß, was Strafe was dann passieren kann. Vielleicht auf deutsch bedeutet. Er weiß, was es gibt es irgendwo unterwegs Ärger und heißt, eine Pflicht zu erfüllen. Er weiß du als Ausländer erhältst eine Strafe. wie es ist, sich nicht mehr als Mensch Dann hättest du kaum Geld, um sie zu zu fühlen. Als wir mit ihm sprachen hat bezahlen. Also musst du hier drin blei- er gesagt, dass er nun nicht mehr nach ben. Und das ist der Grund, wieso du Deutschland wolle. manchmal ausrastest, denn dein Kopf denkt nicht mehr richtig. Manchmal Hanne Bohmhammel, Wir sind mit Manuel auf dem Weg zur fühlst du dich so erdrückt, dass du Verena Nitsche Demonstration vor dem bayerischen Lust hast etwas zu zerschlagen. Aber Sozialministerium. Auf dem Flyer du beherrschst dich. Ich erinnere mich, Danke an die Macher_Innen des Films: ist der Inhalt eines Essenspaketes zu dass einmal ein Junge hier war. Er Lagerland sehen, darüber steht „Return to Sen- wurde sehr wütend, als er diese Gut- Siehe auch: www.lagerland-derfilm. der!“. Über hundert Menschen laufen scheine abholte und hörte, dass sie de die Lothstraße hinunter, einem offe- sie Gut-Scheine nennen. Es sind kei-

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Die Einstellung zu Ausländern und Asylsuchenden als Schauspiel

Das Mainfranken Theater Würzburg gibt seinem Jahres-Spielplan häufig ein bestimmtes Motto. Alle drei Sparten des Hauses, Schauspiel, Oper und Ballett, beteiligen sich daran, indem sie einige ihrer Stücke unter das gemeinsam vereinbarte Leitthema stellen. Für die Spielzeit 2011 / 2012 hatte man sich auf das Thema ›Fremde – Ferne – Heimat‹ verständigt. Namhafte Bühnenwerke hatte man dazu ausgewählt. So kam unter anderem Giacomo Meyerbeers Oper „Die Afrikanerin“ zur Aufführung; das Ballett tanzte eine an William Shakespeares „Othello“ orientierte Choreographie. Im Mittelpunkt des Schauspielbeitrags standen zwei Uraufführungen. Von Mitte Oktober bis Ende Dezember stand das Stück „Les funérailles du désert – Die Stadt der Einsamen“ auf dem Spielplan. Gemeinsam haben Künstler aus Burkina Faso und Würzburg Fragen und Eigenheiten

des gesellschaftlichen und familiären Lebens in ihrer jeweiligen Heimat szenisch aufbereitet und mehrsprachig in ihrer jeweiligen Muttersprache (Burkinische Landessprache Mooré, französisch und deutsch) auf die Bühne gebracht. Das mutige Experiment ist gelungen. Viele der Aufführungen waren ausverkauft, fast immer erhob sich das begeisterte Publikum und bezeugte den Künstlern stehend Respekt. Diese so nicht vorhersehbare positive Reaktion der Zuschauer war ein eindrucksvolles Signal der Bereitschaft des Würzburger Publikums, sich mit der Mentalität von Angehörigen fremder Kulturen offen auseinanderzusetzen. Diese höchst erfreuliche Erfahrung wiederholte sich bei den Aufführungen des etwa zeitgleich für Kinder ab 5 Jahren gezeigten Weihnachtsmärchens „Ayana Rabenschwester“. In den 34 stets ausverkauften Aufführungen wurden die Kinder in die

fremdartige Welt Afrikas geführt – und verfolgten das interaktiv gestaltete Bühnengeschehen mit der gleichen Begeisterung und Freude wie zum Beispiel im Vorjahr bei „Pippi Langstrumpf.“ Als drittes Werk, mit dem das Schauspiel des Mainfranken Theaters sein Publikum zu einer Beschäftigung mit Menschen aus fremden Regionen und Kulturen herausforderte, kamen im März 2012 „Die Schutzflehenden“ von Hans-Werner Kroesinger nach Euripides auf die Bühne. Aus verschiedenen Gründen waren die Reaktionen des Publikums bei diesem Stück am wenigsten vorhersehbar: Behandelt wurde das Thema ›Asyl‹. Es ist nicht sonderlich populär, vielfach schwingt bei der Nennung des Wortes ›Asylant‹ eine negative bis ablehnende Haltung mit. Auch die Darbietungsform auf der Bühne war für fast alle Besucher neuartig, wurden sie doch zwei Stunden hindurch,


11 / 2012 ohne Pause, mit einer umfangrei- rung bekannt, sich bisher ungeachchen Textsammlung konfrontiert, tet mancher Berichte in der Presse die der wenig bekannten Gattung nicht wirklich mit den Zuständen in des ‚Dokumentartheaters’ zuge- der Würzburger Sammelunterkunft ordnet ist. Es gab weder eine span- („Gemeinschaftsunterkunft / GU“) nungsvolle, sich sukzessive auf ein in der Veitshöchheimer Straße belogisches Ende entwickelnde Hand- fasst zu haben. Wir wissen von vielen, lung, noch traten die Darsteller in dass sie daraus spontan die Konsefesten Rollen auf. Doch schon die quenz gezogen haben, sich nun einer Resonanz auf das Angebot einer vor- der – auch im Programmheft vorgebereitenden Vortragsreihe ließ ein stellten – Initiativen anzuschließen, starkes Interesse der Bürgerschaft denen ein menschenwürdiger Umerkennen. Auch zur Matinee kamen gang mit den Schutzbedürftigen am weit mehr Besucher in das Theater- Herzen liegt. foyer als üblicherweise. Dieser Zuspruch setzte sich bei den insgesamt Aber auch neue Initiativen entstan14 Aufführungen sogar mit steigen- den: So bietet der Verein der Würz-

17 tuation der Asylsuchenden einzugehen. Das galt zunächst dem öffentlich vollzogen Hungerstreik einer Gruppe aus der „GU“, der später zu der umstrittenen Aktion der zugenähten Münder führte – eine Form des Protestes, der auch in der „GU“ selbst auf Unverständnis und Unmut stieß. Auf vielfältige Bitten aus der „GU“ konnte diese Distanzierung im Rahmen der Einführungen in die Würzburger Bürgerschaft vermittelt werden. Als sich die Katholische Hochschulgemeinde vor die Situation gestellt sah, die lebensbedrohende Abschiebung eines Asylsuchenden nur noch

Alle Bilder : © Falk von Traubenberg der Tendenz fort. burger Gästeführer e.V. jetzt auch durch das Instrument des KirchenIn der Besucherstatistik spiegelt sich eigens Führungen für Bewohner der asyls verhindern zu können, bot das das hier positiv gestimmte Resümee „GU“ an, um ihnen die Stadt, in die Forum des Theaters auch in diesem bei einer Auslastung von knapp 50% sie ihr Schicksal geführt hat, näher Fall eine zusätzliche Möglichkeit, die nicht unmittelbar wider. Doch wäh- zu bringen, um sie spüren zu lassen, Grundlagen und die Intention dieser rend andernorts dokumentarisches dass sie hier für die Dauer ihres Auf- humanitären Maßnahme öffentlich Theater oftmals nur einem mit dem enthaltes als Mitbürger willkommen darzulegen und dem verantwortGenre vertrauten überschaubaren sind. lichen Studentenpfarrer Burkhard Publikum gezeigt wird, wurde das Hose dadurch den Rücken zu stärken. Würzburger Stück im Großen Haus Auch das Mainfranken Theater selbst dem regulären Abonnentenpubli- hat sich wiederholt für die Bewohner Als verantwortlicher Dramaturg dieser kum angeboten und zog etwa 3700 der Sammelunterkunft geöffnet. Produktion war es für mich schon wähZuschauer an. Etwa 80 Bewohner der „GU“ folg- rend der vorbereitenden Recherche ten der Einladung zur Premiere des und dann während der Aufführungen Viel wichtiger als die Analyse sol- Stücks. Eine stattliche Gruppe von eindrucksvoll zu erleben, mit welcher cher Zahlen ist freilich der Blick auf Kindern aus der Sammelunterkunft Sympathie dieses Angebot des Theadie Wirkung, die das Stück erzielen war wenig später – begleitet von stu- ters von der Bürgerschaft aufgenomkonnte. Die Aufführungen haben bei dentischen Mitgliedern des Arbeits- men wurde und wie viel Rückhalt es dem Publikum ganz überwiegend kreises Asyl der Katholischen Hoch- auch im Theater selbst für diese Arbeit die dem Thema angemessene Nach- schulgemeinde (KHG) – zu Gast bei gab. Es bleibt zu hoffen, dass diese so denklichkeit bewirkt und oftmals einer Aufführung des Kinderstücks positive Grundhaltung so lange anhält, die Bereitschaft ausgelöst, vorhan- „Der Fischer und seine Frau.“ wie es die durch staatliche Vorgaben dene Vorurteile abzulegen und sich Schließlich boten die jeder Auffüh- unbefriedigenden Rahmenbedingen intensiver mit der Problematik zu rung vorangehenden Einführungen erforderlich macht. befassen. Nicht wenige Besucher ha- immer wieder auch die Möglichkeit, ben unter dem Eindruck der Auffüh- auf aktuelle Entwicklungen in der SiUlrich Sinn


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Traum vom Menschen Ein Stück von und mit Flüchtlingen Dieses Theaterprojekt ist einzigartig: Flüchtlinge aus der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende spielen Momente ihres Lebens, Szenen aus der Heimat, Szenen in Deutschland. Sie spüren dabei auf eindringliche, poetische und manchmal auch tragikomische Weise dem Wesen des Menschen nach, der trotz unterschiedlicher Prägung gemeinsame

Sehnsüchte und Hoffnungen besitzt. „Traum vom Menschen“ setzt die überregional beachtete Arbeit der Würzburger Flüchtlingstheatergruppe fort, über deren erste große Inszenierung „Traum vom Leben“ der Bayerische Rundfunk schrieb: „Das, was auf der improvisierten Bühne präsentiert wird, geht direkt ins Herz“.

Künstlerische Leitung: Barbara Duss / Alexander Jansen Mit Darstellern der Würzburger Flüchtlingstheatergruppe aus Afghanistan, dem Irak dem Iran und dem Sudan.

Aufführungen im November: Freitag, 16. November 2012, 20 Uhr, Katholische Hochschulgemeinde Würzburg, Theatersaal Samstag, 17. November 2012, 20 Uhr, Katholische Hochschulgemeinde Würzburg, Theatersaal Sonntag, 18. November 2012, 18 Uhr, Marienkapelle Würzburg (Eröffnung der Friedensdekade) Einführung in das Stück auf der Bühne, im Anschluss Publikumsgespräch

Mit freundlicher Unterstützung von: Freundeskreis für ausländische Flüchtlinge im Regierungsbezirk Unterfranken e.V.(www.faf-unterfranken.de), V!vovolo e. V. ( www.vivovolo.de) und der KHG Würzburg Mina und Said © Katrin Heyer


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Give us one chance!

Will life ever come again to the refugee camp? It is true that human mind is the motor of the whole body. In this case, unwillingly, the mind of refugees gets idle and fixed only on sleeping and eating. One of the refugees told me that in this country prisoners have more rights than refugees who seem to be condemned to suffer wherever they go, in the home or on their way or in the host country. No question then that finally people are mentally more exhausted than their bodies. As a refugee who has the right to move in Unterfranken, almost all refugee camps that I visited so far, I don’t know the reason, they are isolated from the local people. Most of the local people don’t have any information about these camps. That is one of the major problems why the locals keep at a distance from the refugee camps and many of them are just passing by indifferently. They don’t like to meet, even to see refugees. Why ignoring people in a Christian country like Germany? We are people like you whom God had made in his likeness and image. I remember in Münnerstadt, we had an opposition political discussion. Almost all members from Unterfranken were walking from the train station to the camp and we met an old man on the way who said: “Was macht ihr hier, das Land gehört uns. Raus, das ist unser Vaterland!” We had no words and finally one guy from the group told him: “Thank you very much for your friendly welcoming approach. We know that you have been working very hard for your country to build the economy and democracy at the same time. Otherwise who is fleeing to this land without your positive contribution?” That is true that nobody is coming to this country if there is not the right to speech and opinion, the right to move and democracy in general etc. I understand some of the local people. They don’t have real information from politicians and officials about the situation of refugees. I guess, the only information given to people, mostly in a threatening way, is about the number of foreigners and

refugees living in this country. That’s it. Come and visit us and see the reality including small but essential details. Take a few days from your holidays by your very personal experience and then you can decide about refugees whatever you like. Some of the refugee camps don’t have local volunteers, only the housekeepers are the king of the camp. And the story about housekeepers is everywhere the same: some are friendly, committed and others are cruel tyrants. In many of those small, remote camps even if some hours of social service per week are granted, those housekeepers can do whatever they like, not only by food distribution, by picking up the letters, by giving cleaning materials etc. You can not imagine these small details what is happening on refugees then. That is behind the scene!

I am experiencing the same thing every day and no change at all for years. When I was in my homeland I had a vision and plans and I had a meaning for life. Now, all these things disappeared as I became refugee. Everything is meaningless for me. No change at all for three years. Lost days and years of my life which will never come back for a second chance. I live with a friend in a small room. 7 qm each refugee, that’s the regulations - for three years now. Thanks to God my friend has got the permission to stay outside. He will start a new life after three years in the camp. He told me: “Now I am mentally free, but it is very difficult to adapt to the life outside because it looks like totally another world.” And he continued: “For me, I feel like I am out of prison. But although I sleep in a silent place now, how can I forget the noise from the people in the camp and the cars’ and the trains’ sound disturbing noise next to our refugee camp? It is very difficult to adapt my sleeping hour.” He said again: ”Don`t ask me about the stress of the language barrier, how difficult it is, going from office to office and filling forms, with no idea

what it is all about. If you don’t have an interpreter, forget about it!” Anyway, step by step he can enjoy freedom after all, in comparison to the rest of the refugees. He can learn the language if his mind has remained ready to study at all after three years in the refugee camp. He can work if he still has the energy to stand up and go for a new life and he can move allover Germany. We can not forget what has happened to us, what we have experienced, suffered, felt and heard, ever even if we get the second chance in life. And there are so many details of experience breaking your mind and body, for instance, nothing to accomplish every single meaningless day but sitting almost the whole time in an old sofa and watching movies, of which we don’t understand the language. Then people coming to our rooms without any appointment including the housekeeper and disturbing our privacy any time, day and night. Knocking of door from neighbouring refugees; they are asking a lot of things, tomato, potato, onion, salt, sugar, water, cooking materials etc. The permanent stress and noise of an overcrowded place with all kinds of different people living together by force for long, whether they can get along with it or not. The other thing, I never forget what the housekeeper was telling me frequently. He said: “You know what, Germany has no money any more, unemployment is increasing in this country because we are paying a lot of money for European countries which are in a crisis right now like Greek, Spain and Portugal etc. Now we don’t have the money to invest on refugees, and let me tell you, we don’t accept any refugees no more.” No one knows what comes tomorrow. So before this unknown tomorrow is coming, give us one chance today! David John


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Gebt uns eine Chance!

Wird das Leben jemals in das Flüchtlingslager zurückkehren? Es ist wohl wahr, dass die menschliche Psyche der Motor des ganzen Körpers ist. So bleibt es nicht aus, dass der Lebenswille des Flüchtlings erlahmt, ob er will oder nicht; er wird träge und nur ausgerichtet auf Schlafen und Essen. Einer der Flüchtlinge erzählte mir einmal, in diesem Land hätten Gefangene mehr Rechte als Flüchtlinge. Diese scheinen überall zum Leiden verdammt zu sein, egal wo: ob in ihrer Heimat, auf der Flucht oder hier im Gastland. Kein Wunder, dass sie schließlich psychisch mehr erschöpft sind als körperlich. Fast alle Lager, die ich bisher als Flüchtling in dem mir gestatteten Regierungsbezirk Unterfranken besucht habe, sind aus irgendeinem Grund isoliert von der Lokalbevölkerung. Die meisten der Einheimischen haben keine Informationen über diese Lager. Das ist eines der Hauptprobleme, warum sie einen großen Bogen um die Unterkünfte machen oder einfach nur gleichgültig vorbeigehen. Sie mögen es nicht, Flüchtlingen zu begegnen, ja, Flüchtlinge nur zu sehen. Wieso werden Mitmenschen so missachtet in einem christlichen Land wie Deutsch-

land? Wir sind ebenso Menschen wie ihr und genauso geschaffen in Gottes Bild. Ich kann mich an den Tag erinnern, als wir in Münnerstadt ein Oppositionstreffen hatten. Fast alle Mitglieder aus Unterfranken reisten mit dem Zug an. Als wir nun alle vom Bahnhof zum Lager liefen, sprach uns ein alter Mann an: „Was macht ihr hier, das Land gehört uns! Raus, das ist unser Vaterland!“ Uns fehlten die Worte, schließlich erwiderte einer aus der Gruppe: „Herzlichen Dank für Ihre netten Worte des Willkommens. Wir wissen, dass Sie für Ihr Land sehr hart gearbeitet haben, um gleichzeitig die Wirtschaft und die Demokratie wieder aufzubauen Wer würde sonst in diesem Land Zuflucht suchen wollen, ohne Ihren positiven Beitrag?“ Das stimmt wohl, dass niemand in dieses Land käme ohne Redefreiheit und Recht auf freie Meinungsäußerung, ohne Bewegungsfreiheit und Demokratie im Allgemeinen. Ich habe Verständnis für einige der Einheimischen. Sie bekommen von den Politikern und den Behördenmitarbeitern nicht die richtige Information über die Lage der Flüchtlinge. Ich denke, die einzige In-

formation, die die Menschen erreicht, ist meist die Zahl der Flüchtlinge und Ausländer allgemein; sie wirkt bedrohlich und macht ihnen Angst. Kommen Sie doch zu uns und erfahren Sie die ganze Wahrheit in ihren kleinen, aber entscheidenden Details! Nehmen Sie sich einige Tage Ihres Urlaubs Zeit und lernen Sie uns wirklich kennen, und dann entscheiden sie über Flüchtlinge, wie Sie möchten. In manchen Flüchtlingsunterkünften gibt es keine ehrenamtlichen Unterstützer, nur die Hausmeister halten das Zepter in der Hand. Und wie es so mit Hausmeistern ist: Da gibt es menschenfreundliche, verantwortungsvolle Persönlichkeiten oder auch raue Tyrannen. Es mag in vielen kleinen, abgelegenen Lagern wohl einige wenige Stunden Sozialberatung in der Woche geben; es sind jedoch die Hausmeister, die nach eigenem Gutdünken schalten und walten können, wie sie wollen.Sie geben Essen aus und Reinigungsmaterialien, sie sind die Poststelle und sie entscheiden über fast alle Abläufe im Haus. Wo es faktisch keine wirksame Aufsicht gibt, dort sind es mitunter kleine Begebenheiten, die in der Summe den Flüchtlingen das Leben zur


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11 / 2012 Hölle machen können. Das geschieht alles hinter den Kulissen. Seit Jahren nun ist für mich ein Tag wie der andere ohne Entwicklung und Abwechslung. Zu Hause hatte ich Visionen und Pläne für mein Leben, Ziele, für die sich Anstrengung und Einsatz gelohnt haben. Mein Leben hatte einen Sinn. All das verschwand mit dem Tag, an dem ich zu einem Flüchtling wurde. Es gibt jetzt nichts mehr von Bedeutung in meinem Leben. Nicht die kleinste Bewegung in drei Jahren. Verlorene Tage und Jahre meines Lebens, die niemals wiederkommen werden. Ich lebe in einem kleinen Zimmer mit einem Freund. 7 m² für jeden, das sind die Vorschriften. Nun schon für drei Jahre. Glücklich darf sich mein Freund schätzen, der endlich die Erlaubnis bekommen hat, draußen zu leben. Er wird nun nach den Jahren im Lager ein neues Leben anfangen.“Ich bin nun innerlich frei,“ so sagte er mir, „ aber es ist sehr schwierig, da draußen Fuß zu fassen, das Leben ist so anders hier.“ Und er fuhr fort:“Ich fühle mich nun wie ein entlassener Strafgefangener. Obwohl ich endlich einen ruhigen Platz zum Schlafen habe, wie kann ich den Dauerlärm des Lagers aus meinem Kopf bekommen, die Geräusche der Autos und der Züge direkt vor dem Lager?

Es fällt mir schwer, mich umzustellen und zu meinem Schlafrhythmus zu finden.“ Schließlich seufzte er: “Frag mich besser nicht nach den hohen Hürden im Alltagskampf ohne Sprachkenntnis, nach dem Stress, von Amt zu Amt zu rennen, unverständliche Formulare auszufüllen, nichts zu verstehen. Wenn du keinen Dolmetscher an der Hand hast, vergiss es!“ Immerhin kann er Schritt für Schritt seine neue Freiheit genießen, verglichen mit dem Rest der Flüchtlinge. Er kann nun die Sprache erlernen, wenn sein Verstand nach der zermürbenden Lagerzeit dazu noch im Stande ist. Er kann Arbeit finden, wenn er noch genug Lebenswillen und Energie aufbringen kann, aufzustehen und für sich zu kämpfen nach all den Jahren. Er kann sich ein neues Leben aufbauen und sich überall in Deutschland frei bewegen. Auch wenn wir irgendwann vielleicht eine zweite Lebenschance bekommen, keiner von uns wird jemals vergessen können, was ihm widerfahren ist, was er durchlitten, gehört und gefühlt hat. All die vielen Erfahrungen, die Geist und Körper brechen, wie die Sinnlosigkeit eines jeden Tages, auf dem verschlissenen Sofa vor dem Fernseher sitzen, Filme in einer Sprache schauen, die man nicht versteht

und warten, bis es Abend wird. Alle möglichen Personen oder Hausmeister, die Tag und Nacht unerwartet und ungefragt ins Zimmer poltern können und Privatsphäre, Ruhe, Rückzug zum Fremdwort machen. Mitbewohner, die an die Türen klopfen zu jeder Zeit, die dies und das wollen, eine Tomate, Kartoffeln, Zwiebeln, Salz , Zucker, eine Wasserflasche, Kochgeschirr usw. Der Dauerlärm und die drangvolle Enge einer überfüllten Unterkunft, wo die unterschiedlichsten Menschen gezwungen sind, auf lange Zeit zusammen zu leben, ob sie es wollen und ertragen können oder nicht. Und dann sagte doch dieser Hausmeister öfters etwas zu mir, was ich nicht vergessen kann: „Weißt du, Deutschland hat kein Geld mehr; die Arbeitslosigkeit nimmt bei uns zu, weil wir der Zahlmeister für andere europäische Krisenländer wie Griechenland, Spanien , Portugal usw. sind. Wir haben kein Geld für Flüchtlinge und wir wollen sie hier nicht mehr!“ Niemand kann sagen, was morgen sein wird. Warten Sie also nicht auf dieses unbekannte Morgen, sondern geben Sie uns heute noch eine Chance! David John

Zu Besuch beim „Grüffelo“ Am 17. Juni 2012 luden die Kinderfestspiele Giebelstadt (Leitung Brigitte Obermeyer und Hannes Hirth) Familien mit Kindern aus der Gemeinschaftsunterkunft Würzburg zu einem unvergesslichen Theatererlebnis ein. Das Kinderstück „Der Grüffelo“ zog die 30 kleinen und großen Besucher in seinen Bann: das mutige Mäuschen und seine wuselige Mausfamilie, das liebenwerte Nusshörnchen, der coole Fuchs, die hinterlistige Eule, die aalglatte Schlange und erst recht der wuchtige Grüffelo mit seinen Krallen, Zähnen und Stacheln. Gerade auch die im Stück eingestreuten rhythmisch flotten Lieder kamen sehr gut an. Anke Bub


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Menschenwürde ist nicht verhandelbar „Die Zustände in diesen Auffanglagern sind entsetzlich. Dort werden tagtäglich Menschenrechte verletzt“, so die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/ Die Grünen am 14.12. 2011 zu den menschenrechtswidrigen Bedingungen für Flüchtlinge in Griechenland. Im Jahr 2011 wurden rund 55.000 Flüchtlinge und Migranten an der griechischen Grenze aufgegriffen und inhaftiert. Ein großer Teil von ihnen sind Menschen, die aus dem Irak, dem Iran, aus Syrien oder Afghanistan und Somalia über die Türkei nach Europa geflohen sind.


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(c)UHCR Mathias Depardon

Es ist einfach, mit dem Finger auf Griechenland zu zeigen. Doch wer über die dramatische Situation in Griechenland spricht, darf über die eigene Verantwortung nicht schweigen. Europa bürdet die Verantwortung für die Durchführung von Asylverfahren einem der ökonomisch und politisch schwächsten Mitgliedsstaat der Europäischen Union auf. Nach dem geltenden Dublin-II-Abkommen ist der Staat für das Asylverfahren zuständig, der einen Flüchtling einreisen lässt.

(c)UHCR Mathias Depardon

erhalten. Wenn sie jedoch die türkisch-griechische Grenze überschreiten, sind sie im offiziellen Jargon Illegale, die es abzuwehren gilt.

Hartnäckig blockiert die Bundesregierung alle Verbesserungsvorschläge für das europäische Asylrecht und für eine solidarische Aufteilung der Verantwortung für den Flüchtlingsschutz in Europa. Im September 2011 hat das Europäische Parlament dem weiteren Ausbau der europäischen Grenzagentur Frontex zugestimmt. »Griechenland braucht Hilfe – Griechenland bekommt Hil- Verbindungsbeamte sollen auch in Drittstaaten entsandt fe«, so äußerte sich der damalige Bundesinnenminister De werden. Ihr Auftrag: die dortigen Behörden zu beraten und Maizière im Oktober 2010. Ein Frontex ( = EU-Grenzschutz- bei Maßnahmen zur Grenzsicherung und zur Abwehr von agentur, Anm.d.Red.)-Einsatz an der griechisch-türkischen angeblich illegaler Migration zu unterstützen. Grenze folgte. Die vier Fraktionen des Deutschen Bundestages wollen nun festgestellt haben, »dass der Frontex-ko- Die Fraktionen sind sich einig, Menschenwürde ist nicht ordinierte Einsatz an der griechisch-türkischen Landgrenze verhandelbar. Doch dies darf nicht nur für Griechenland, zu einer Verbesserung der Situation vor Ort beigetragen sondern muss auch für Deutschland und ganz Europa gelhat. Menschenrechte werden besser eingehalten und die ten. Die zunehmende Auslagerung des FlüchtlingsschutZusammenarbeit mit dem türkischen Militär hat sich signi- zes kann nicht die Lösung sein. Europa braucht eine solifikant verbessert.« darische Antwort auf die Flüchtlingskrisen der Welt, dazu gehört ein Asylsystem, das das Abdrängen an die AußenSeit Beginn der Recherchen von PRO ASYL in Griechenland grenzen Europas beendet. Flüchtlinge müssen die Länder und der Kooperation mit griechischen AnwältInnen und In- im Zentrum Europas erreichen können. itiativen ist keine Verbesserung der Situation an den Grenzen festzustellen – auch und erst recht nicht durch Frontex. Wenn Kinder allein in Athens Straßen umherirren und voller Die menschenrechtswidrige Inhaftierungspraxis, die Zu- Verzweiflung versuchen, Griechenland zu verlassen, darf rückweisungen und Überstellungen an der Grenze gehen Europa nicht tatenlos zusehen. Ein erster Schritt wäre ein weiter. In der Türkei haben Flüchtlinge keinen Schutz zu Ad-hoc-Aufnahmeprogramm für Minderjährige, die an den erwarten – gerade wenn sie aus Staaten wie dem Iran, dem Grenzen Europas stranden. Doch dies ist gegenwärtig nicht Irak, Syrien und anderen Verfolgerstaaten kommen. Ihnen in der politischen Diskussion. droht die weitere Abschiebung. Insofern fragt sich, was deutsche Politiker eigentlich meinen, wenn sie von einer Stattdessen drängen Deutschland, Österreich, Belgien, Verbesserung der Zusammenarbeit mit dem türkischen Frankreich, Niederlande, Schweden und Großbritannien Militär sprechen? Griechenland im März 2012 zu Maßnahmen, um die angeblich illegale Einwanderung in die EU einzudämmen. Statt Frontex führt in nur Minuten dauernden Verfahren ein so- den Flüchtlingsschutz treibt man den Ausbau der Festung genanntes Screening durch, mit dem das Herkunftsland voran. des Flüchtlings festgestellt werden soll. Haarsträubende Fehler sind Teil des Systems. So werden beispielsweise aus dem Artikel von Günter Burkhardt, PRO ASYL Afghanen oft als Iraner etikettiert. Es droht die Zurückschiebung in die Türkei. Gelingt es Menschen etwa aus Afghanistan, dem Iran und anderen Staaten Deutschland zu erreichen, so haben sie hier eine hohe Chance, einen Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu


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(c)UHCR Mathias Depardon

(c)UHCR H.J.Davies

Cui bono? Wem nützt es eigentlich? „Ein Euro für den Flüchtlingsschutz, 20 Euro für die Flüchtlingsabwehr“,

Waffen. Griechenland war 2007-2011 der größte Empfänger deutscher [Waffen-] Exporte, 13% der deutschen Exportvolumina von Großwaffen gingen nach Griechenland. so in PRO ASYL - news vom 26.01.2012 : Griechenland reduzierte seine Waffenimporte zwischen EU-Finanzhilfen im Asylwesen 2012 für Griechenland: 2002-2006 und 2007-20011 um 18%. 2007-20011 war Grie3.601.857 € aus dem Europäischen Flüchtlingsfonds chenland der zehntgrößte Waffenimporteur weltweit, zur Flüchtlingsaufnahme. in 2002-2006 der viertgrößte!! 82.103.416 € für Flüchtlingsabwehr und „RückfühIn 2011 hat Griechenland keine neuen Bestellungen größerung“, davon werden 44.745.804 € aus dem Außengrenzen-Fonds rer konventioneller Waffen aufgegeben, aber es nahm die und 37.357.612 € aus dem Rückkehrfonds , also für die Lieferung des zweiten von vier Super Vita SchnellangriffSchiffen aus Großbritannien und von Bezugssystemen aus Flüchtlings- und Migrationsabwehr, bereitgestellt. Italien und den Niederlanden an. Es erhielt auch den ersten Und wohin mit all diesem Geld, und das nicht vermutlich von 20 NH-90-Hubschraubern aus Frankreich. Griechenland hat noch ausstehende Bestellungen von nicht nur in diesem Jahr? fünf Typ-214-U-Booten aus Deutschland. Dazu sagt das international renommierte SIPRI, Stock*SIPRI Fact Sheet March 2012 holm International Peace Research Institute, Folgendes*: Der Umfang deutscher Waffenexporte nahm zwischen Eva Peteler 2002-2006 und 2007-2011 um 37 % zu. Europa war mit 41% des Exportvolumens der größte Empfänger deutscher

„EU-Parlament fordert Quote für Asylbewerber: Nach einem klaren Ja in den Ausschüssen vor der Som-

merpause ist klar, dass das Europaparlament eine quotengesteuerte Verteilung der Asylbewerber auf die EU-Staaten will. „Wir sind uns quer durch alle Lager einig, dass das Dublin-System nicht funktioniert,“ sagt die FDP-Europaabgeordnete Nadja Hirsch. Das Europaparlament sieht … die Überforderung und mangelnde innereuropäische Solidarität bei der Flüchtlingsaufnahme als Hauptproblem an. Auf 1000 Einwohner kommen in der Bundesrepublik gerade einmal 0,65 Asylanträge 4,4 sind es in Malta, 4,2 in Luxemburg, 3,1 in Schweden , 2,9 in Belgien oder 1,7 in Österreich. Das Parlament weist darauf hin, dass vergangenes Jahr nur 4125 Flüchtlinge in einen anderen Staat verlegt wurden, um etwa das kleine Malta zu entlasten... Nun soll es nach Ansicht des Europaparlaments ein fester Verteilungsschlüssel richten. Die EU-Kommission wird aufgefordert, eine Machbarkeitsstudie vorzulegen.“ © Der Tagesspiegel 10.09.2012 http://www.tagesspiegel.de/politik/fluechtlingspolitik-in-europa-eu-parlament-fordert-quote-fuer-asylbewerber/7113122.html


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Exhausted sound Part 10

Referendum about refugees – your decision! The issue of refugees and asylum seekers is not a recent phenomenon, rather as long as suppressed and undemocratic governments still exist all over the world, hundreds of thousands of people are leaving homes. In this case, acceptance of refugees and asylum seekers by the local people is different from people to people, culture to culture and country to country. Of course there is a considerable confusion and misinformation of the local people about refugees and asylum seekers. In this case, the role and responsibility of the media is high to inform the people. The media have generally presented refugees and asylum seekers in negative ways and failing to cover the real stories which are happening on the way. We appreciate the growing awareness and recent interest of some politicians, local media and citizens towards sympathy for refugees and asylum seekers and also the current High Court decision. Now, let us forget about the political debate which is turning public opinion whatsoever direction for a while and ask you personally as a reader and citizen of a democratic country like this one. Without any doubt in this position you have got the chance and the privilege to elect your own government. We are refugees who have nothing to choose or to decide about. Others are doing this for us. We have been living in different camps for years, getting more and more exhausted. Although there are some positive hopes and news in favour of refugees, the acceptance of the local citizens is a key issue.

being heard on this issue! In this case you decide about this country’s political and social position towards those knocking at your door asking for refuge and future. What do people, what do you personally know and think about refugees and asylum seekers in this country including the media? We know the word referendum in the area of politics when all the citizens are asked to decide about important issues of general public interest. Now this referendum asks you to vote for completely other issues and it needs your YES or NO answer! In this case, we don’t give you a ballot paper rather your mind and heart is enough. Be honest yourself! Of course, we are not coming in this country as students, tourists or those most welcome bluecard-professionals rather we are coming in a refugee and asylum seeker status. In this case, what is your personal attitude towards refugees? What does first come to your mind when you hear or read about refugees? Fear, rejection, even disgust? Do you really appreciate other countries, cultures, religions and other mentalities – including their people, coming to your country? Do you really want to accept and to support those people who fled their countries from fear of persecution, conflict and violence? Because this phenomenon is not a new issue, rather it has been a universal part of history since human kind is existing on earth. Ready to help us as a citizen and fellow human? And the most important question is, do you accept us as human and give us opportunities and chances to regain our own lives?

In this case, we are asking you a refe- I know some citizens who are coming rendum – your decision! As a citizen to support refugees in a camp where of this country, your voice and vote is I live right now. They have a positive

attitude towards refugees. Some of them have friends amongst the refugees and accompany and help them wherever they go. On the other hand some people have had a bad experience with refugees. Don’t take me wrong, I am not saying that all refugees are good guys, nice, honest and friendly. They are the same as you, not better and not worse. However, if you approach most refugees, you can find a lot of heart breaking personalized stories which were happening on the way to cross boarders and to get flight tickets. Then you will also appreciate some of the refugees and asylum seekers for what they have achieved and accomplished in their homelands. Some of them were standing up for their rights; they didn’t like to leave their fellow citizens for dictators. In this case, fighting with undemocratic governments by any means was the only option for some of the refugees, regardless their personal risk. The people in the refugee camps need your attention because for us this is a completely new country with unfamiliar rules, traditions, culture and environment. It is an issue of humanity, of human beings with families, objectives, dreams and personalities: We are discussing and talking about individuals who have their own memories, abilities and skills, humans who deserve respect, opportunities, chances and who want to enjoy the same freedom as you. So what is your vote then? Isaa Yakubu


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Stimme der Erschöpfung Teil 10

Referendum über Flüchtlinge – Sie entscheiden!

Das Thema Flucht und Asyl ist kein neuzeitliches Phänomen. Seit und solange es überall auf der Welt immer noch unterdrückende und undemokratische Regierungen gibt, verlassen hunderttausende Menschen ihr Zuhause. Die Annahme dieser Flüchtlinge und Asylsuchenden durch die lokale Bevölkerung unterscheidet sich von Volk zu Volk, von Kultur zu Kultur und von Land zu Land. Sicherlich gibt es beträchtliche Verwirrung und Fehlinformation der Einheimischen über Flüchtlinge und Asylsuchende. Hier haben die Medien eine große Verantwortung, um den Menschen entsprechende Informationen zu liefern. Die Meldungen und Berichte sind bisher größtenteils negativ gewesen. Sie erzählen nichts von den wirklichen Hintergründen und von dem, was den Fliehenden auf ihrem Weg widerfährt. Wir schätzen die wachsende Aufmerksamkeit und das neu erwachende Interesse einiger Politiker, lokaler Medien und Bürger an Flüchtlingen und Asylbewerbern wie auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Lassen Sie uns nun die politischen Debatten beiseite schieben, die die öffentliche Meinung in die eine oder andere Richtung befördern. Beziehen Sie persönlich Stellung als Leser und als Bürger eines demokratischen Landes wie der Bundesrepublik. Zweifellos haben Sie als Bürger einer Demokratie die Gelegenheit und das Privileg, Ihre Regierung frei zu wählen. Wir als Flüchtlinge haben nichts zu wählen und zu entscheiden. Andere tun dies für und über uns. So leben wir in vielen Lagern, jahrelang. Und unsere Erschöpfung nimmt von Tag zu Tag zu. Obwohl es da und dort kleine Hoffnungsschimmer und Neuerungen zugunsten von Flüchtlingen gibt, bleibt die Grundeinstellung der Einheimischen und ihre annehmende Haltung eine Kernfrage.

Daher bitten wir Sie eine Volksab- über uns Flüchtlingen? Was fühlen Sie stimmung, um ein Referendum über als Erstes, wenn etwas über FlüchtlinFlüchtlinge – Sie entscheiden! Sie ge hören oder lesen? Furcht vor dem sind wahlberechtigter Bürger dieses Fremden, Ablehnung, gar Abscheu? Landes und Ihre Stimme zählt! In der Schätzen Sie wirklich andere Länder, Regel befassen sich Volksabstimmun- Kulturen, Religionen, andere Weltgen ja mit politischen Vorlagen, die sichten und Mentalitäten – die Menvon der Politik formuliert worden sind schen eingeschlossen, wenn sie in und Ihnen, den Bürgern, zur Entschei- Ihr Land kommen? Wollen Sie diese dung angeboten werden. Nicht so in Menschen annehmen und unterstütdiesem Fall: Hier steht ein ganz an- zen, wenn sie aus ihrer Heimat fliehen deres Thema an und es verlangt nach aus Angst vor Verfolgung, Konflikten Ihrem JA oder NEIN! Diesmal bekom- und Gewalt? Denn dieses Phänomen men Sie von uns keinen Wahlzettel , ist nicht neu, es ist schon immer ein Ihr Verstand und Ihr Herz sind genug. Teil der Menschheitsgeschichte geweSeien Sie ehrlich! Entscheiden Sie mit sen. Sind Sie dann bereit, uns als Mitüber die politische und gesellschaftli- mensch und Bürger dieses Landes zu che Haltung in Ihrem Land gegenüber helfen? Und die wichtigste Frage von Flüchtlingen und Asylbewerbern, die allen: Nehmen Sie uns als Menschen Sie um Schutz und Zukunft bitten. an und geben uns Gelegenheit und Möglichkeit, unser eigenes Leben wieWas wissen Sie, was denken SIE per- derzufinden? sönlich über Flüchtlinge und Asyl- Ich weiß, einige Bürger kommen in bewerber in diesem Land, die Be- das Lager, in dem ich jetzt lebe, um richterstattung eingeschlossen? Wir Flüchtlinge zu unterstützen. Sie hakommen in Ihr Land nicht als Touris- ben eine positive Einstellung zu uns. ten, Studenten oder als die heißbe- Manche haben Freundschaften mit gehrten gesuchten Fachkräfte, son- Flüchtlingen geschlossen und unterdern als Flüchtlinge im Status von stützen sie auf Schritt und Tritt. Asylsuchenden. Was ist in diesem Fall Ihre persönliche Einstellung gegen- Andererseits gibt es auch Bürger, die


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11 / 2012 keine guten Erfahrungen mit Flüchtlingen gemacht haben. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich behaupte nicht, dass alle Flüchtlinge gute Menschen sind, nett, ehrlich und freundlich. Sie sind wie Sie alle auch, nicht besser oder schlechter. Von den meisten Flüchtlinge jedoch, denen Sie näher kommen, werden Sie bewegende persönliche Geschichten hören über das, was ihnen auf ihren Fluchtwegen über Grenzen widerfahren ist oder bei ihrem Ringen um Flugtickets. Sie werden auch Wertschätzung empfinden für all das, was manche der Geflohenen in ihren Hei-

matländern geleistet und erreicht lichkeit für menschliche Wesen mit haben. Manche haben sich für ihre eigener Persönlichkeit, mit Familie, Rechte eingesetzt und wollten ihre Zielen und Träumen: Wir reden hier Landsleute nicht den Diktatoren über- über Individuen mit ihren eigenen Erlassen. In diesen Fällen gab es für sie innerungen, Fähigkeiten und Fertigkeine Alternative zum Kampf gegen keiten, über Menschen, die Respekt die undemokratischen Regierungen, und Chancen verdienen und die sich mit allen Mitteln, ohne auf das per- der gleichen Freiheiten erfreuen wolsönliche Risiko zu achten. len wie Sie selbst. Also, wie entscheiden Sie nun? Die Menschen in den Flüchtlingslagern brauchen Ihre Aufmerksamkeit, Isaa Yakubu denn für uns ist dies ein völlig unbekanntes Land mit eigener Kultur und ungewohnten Regeln und Gepflogenheiten. Es ist eine Frage der Mensch-

In den Seilen hängen? Nein, zum Boxtraining gehen!

Der Boxsport unter vernünftiger und sachkundiger Anleitung schult nicht nur Kraft und körperliche Geschicklichkeit, sondern auch generell die schnelle Reaktion. Boxtraining in der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge (GU)? Ja, das gibt es tatsächlich – einmal pro Woche eine gute Stunde lang! Mitmachen kann jeder, der Lust dazu hat, Männer, Frauen, Jugendliche. Die Trainer Christoph Ritz, Diplomsportlehrer und der Student Max Jaetzold sind sehr engagierte junge Männer und selbst begeisterte und erfolgreiche Boxer. Sie verbringen gerne einen Teil ihrer freien Zeit mit interessierten Teilnehmern aus der GU.

Fairness ist – und eigentlich in extremer Form – beim schwierigen Zusammenleben in einer GU gefragt. Fairness ist grundsätzlich eine der wichtigsten Komponenten des Sports; eine Kampfsportart wie Boxen erfordert ganz besonders die Fairness der jeweiligen Gegner. Auch kann es durchaus sein, dass der Boxer so ein gutes, ein geregeltes Ventil für seine Aggressionen findet. Und Aggressionen entstehen zwangsläufig beim Zusammenleben von Menschen in einer so schwierigen Lebenssituation, wie Flüchtlinge sie ertragen müssen. Es ist bekannt, wie öde, deprimierend und oft einfach langweilig das Leben

in einer GU ist, wie wenig Möglichkeiten es gibt, die nicht enden wollende „Freizeit“ sinnvoll zu gestalten. Das Boxtraining bietet eine gute Abwechslung, zumindest ein Nachmittag ist „gerettet“... Aber nicht nur von Abwechslung und sinnvoller Beschäftigung können GUBewohner profitieren, sondern die körperliche Tätigkeit leistet auch Gesundheitsvorsorge, bietet Training für Muskeln, Gelenke und Kreislauf! Ganz besonders beim aufwärmenden Seilspringen! Herzliche Einladung an alle GU-BewohnerInnen: MACHEN SIE MIT! Lindi Weinberger


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Identität und Asyl Identität haben wir alle. Meine Identität ist, wer ich bin. Wer ich bin, weiß niemand besser als ich, schließlich bestimme ich, wer ich bin. Könnte man meinen. Als wissenschaftlicher Begriff ist Identität indes komplexer. Zwei Aspekte, die gerne vernachlässigt werden, sind: Erstens hat das, was ich bin, viel damit zu tun, was ich tue, tun kann, tun darf. Zweitens hängt unsere Identität in gewissem Maße davon ab, wie unsere soziale Umwelt auf uns reagiert. Wende ich diese beiden Gedanken auf die Situation vieler Flüchtlinge in Deutschland an, muss ich zu verheerenden Ergebnissen kommen, was die Bedingungen für ihre Identitätsentwicklung angeht. Tun dürfen und können sie wenig. Und ihre soziale Umwelt? Spiegelt ihnen entweder Mitleid, Gleichgültigkeit oder kaum verhohlene Abneigung: „Flüchtlinge wollen nur ein Stück vom Wohlstandskuchen abhaben, der hierzulande hart erarbeitet wird“. Wie gesagt: Keine günstigen Bedingungen für die Identität. Dachte ich vergangenen Dezember. Vorher bin ich auf diese Idee nicht gekommen. Der Grund ist einfach: Mir war die Situation vieler Asylbewerber schlicht nicht bekannt. Sensibilisiert worden bin ich durch einen Vortrag, den der Bayerische Flüchtlingsrat im November 2011 für das Lehrprogramm „Globale Systeme und interkulturelle Kompetenz“ (GSiK) an der Universität Würzburg gehalten hat zum Thema „Freies Wohnen auch für Flüchtlinge?“. Frei Wohnen? Selbstverständlich tue ich das. Heilig ist mir meine selbst ausgesuchte und eingerichtete Wohnung, mein Refugium vor dem Alltag, wo ich Ruhe habe, wo ich ich sein darf, wo meine Fotos an der Wand hängen, meine Musik gespielt wird und die Fernsehsendung läuft, die ich sehen möchte. Für viele Flüchtlinge ist das

jedoch ein schwer erreichbarer Luxus, soweit sie Regelungen unterliegen, die sie zunächst zum Wohnen in Gemeinschaftsunterkünften verpflichten. Ein kleines Zimmer, geteilt mit mehreren Fremden, ist kein Refugium, und auch wenn aus den Fremden Bekannte oder gar Freunde werden sollten: Der Ort, wo ich ungestört machen darf, was ich möchte, wird es dadurch nicht. Im interkulturellen Diskurs thematisiert man die Auswirkungen, die es auf Menschen hat, wenn sie sich in fremdkulturellen Umgebungen bewegen. Meine Identität, das ist natürlich das Bild, das ich von mir selbst habe. Aber dieses Selbstbild hängt von meinem Selbstwertgefühl ab und das wiederum davon, was ich tun und erreichen kann. Kontrollüberzeugung nennt man das im Fachjargon. Bin ich überzeugt, dass ich die Ziele, die ich habe – im Großen (Lebensplan) wie im Kleinen (ein erfolgreicher Behördengang) – erreichen kann? In der interkulturellen Vorbereitung sagt man der Studentin, die ein Auslandsstudium anvisiert: „Du musst Dich darauf einstellen, dass Dir alltägliche Dinge wie der Gang zum Arzt oder das bloße Abholen einer Bescheinigung an der Universität viel schwerer fallen. Gerade am Anfang wirst Du länger brauchen zu verstehen, wo Du was findest, und sprachlich musst Du erst lernen auszudrücken, was Du genau willst. Das kann frustrierend sein, und Du wirst Dir vielleicht ein wenig unsicher oder doof vorkommen. Oder vielleicht das Ausland und die Menschen dort doof finden. Aber das geht bald vorbei.“ Zurückübersetzt ins wissenschaftliche: In einer Umgebung, deren Regeln, Organisation und Kommunikationsgewohnheiten wir nicht kennen, fällt es uns schwerer zu handeln. Darunter leiden unsere Kontrollüberzeugungen.

Sind wir dauerhaft nicht in der Lage, diese Schwierigkeiten zu bewältigen, gerät unser Selbstwertgefühl und unser Selbstbild in Mitleidenschaft, mit anderen Worten: unsere Identität. Während sich die Studentin im Ausland jedoch in der Regel frei bewegen und ihr Leben leben darf, während sie im Zweifel zügig die neue Sprache erlernt, während sie sich also das Rüstzeug zulegt, um die Herausforderungen zu meistern, fehlt den meisten Flüchtlingen die Möglichkeit, sich zu entfalten und ihre Situation ihren Bedürfnissen entsprechend zu gestalten. Anders als bei der Studentin kann man nicht einfach beruhigen: „Aber das geht bald vorbei.“ Sprach- und Integrationskurse beispielsweise stehen in der Regel nur denjenigen zur Verfügung, die bereits einen Aufenthaltstitel haben. Alle anderen müssen sich die Sprache entweder selbst aneignen oder auf der Stufe der Verständigungsunfähigkeit verharren. Was den Alltag zur Mammutaufgabe macht, denn für einen Flüchtling sind vielen Alltäglichkeiten behördliche Verfahren vorgeschaltet: Bestellung des Essenspakets. Den Bezirk verlassen dürfen, um z.B. Verwandte zu besuchen, die außerhalb desselben leben. Eine ärztliche Behandlung genehmigen lassen. Die Zustimmung für die Aufnahme einer Arbeit einholen. Es gehört mittlerweile zu den Binsenweisheiten, dass die gefährlichste Nebenwirkung der Arbeitslosigkeit – neben den finanziellen Schwierigkeiten – die Depressionsgefahr ist. Arbeitslos zu sein bedeutet für viele Menschen, sich nutzlos zu fühlen. Dieses Gefühl hat mindestens zwei Quellen, die in Wechselwirkung miteinander stehen. Zum einen identifizieren sich die Menschen mit ihrer Tätigkeit oder doch zumindest damit, eine arbeitende Person zu sein. Zum anderen ist der Ruf von Arbeitslosen in der Gesellschaft


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11 / 2012 denkbar schlecht. Wer arbeitslos ist, Aus diesen Erkenntnissen entstand gerät schnell in den Verdacht, faul zu letzten Dezember eine Workshopsein (oder in der Ausbildungszeit ge- Idee. wesen zu sein), und das auf Kosten Der Einfluss der Flüchtlingssituation anderer, die mit ihren Steuern des Ar- auf die Identität, die rechtlichen Bebeitslosen Lebensunterhalt bezahlen. dingungen dieser Situation in Theorie und vor allem in der Praxis: Diese drei Für Flüchtlinge gilt zu Beginn ein 1jäh- Themen haben die Herausgeberin des riges Arbeitsverbot für Tätigkeiten Heimfocus, Frau Peteler, Herr Feizy, außerhalb der Gemeinschaftsunter- sowie Herr Gauß von der Juristischen kunft. Danach sind die Hürden hoch: Fakultät der Universität Würzburg zuNur bestimmte Tätigkeiten dürfen sammen mit mir am 30.06.2012 am 2. durchgeführt werden und nur dann, Projekttag des Projekts „Globale Syswenn die Bundesagentur für Arbeit teme und interkulturelle Kompetenz“ zugestimmt hat, was bedeutet, dass (GSiK) knapp 60 Studierenden in zwei sie die vom Flüchtling selbst aufge- Workshops* präsentiert. Mit, wie ich tane Arbeitsgelegenheit erst einmal hoffe, ähnlich augenöffnendem Efeinem Deutschen oder EU-Ausländer fekt wie bei mir, letzten Dezember. angeboten haben muss. Arbeitslosigkeit ist Alltag unter Flüchtlingen mit Dr. Jan-Christoph Marschelke allen Folgen, die das hat. Nicht zuletzt für viele, die hoch qualifiziert sind, z.B. *Die Zusammenfassung ist im Internet als Ärzte oder IT-Fachleute gearbeitet abrufbar unter www.gsik.de (Menühatten. punkt „Aktivitäten“, Untermenüpunkt GSiK-Tage 2 �. GSiK-Tag � Workshops Nicht arbeiten heißt zudem, über wenig Geld zu verfügen. In Bayern hieß das knapp 20 Jahre lang, mit einem Taschengeld von 40,90 € pro Monat auskommen zu müssen. Dass sich damit schwerlich ein selbstbestimmtes Leben mit einem Minimum an gesellschaftlich-kultureller Teilhabe (eine Kinokarte kostet 6-8 €) führen lässt, liegt auf der Hand. Nichts tun dürfen und können. Aus diesem Grunde vor sich selbst und vor anderen an Achtung nicht einzubüßen, die negativen Einflüsse auf die Identität abzuwehren – das sind für die meisten Flüchtlinge alltägliche Herausforderungen. Die bewältigt nicht jeder, bedenkt man, dass es zugleich mit dem Damoklesschwert einer möglichen Abschiebung zurecht zu kommen gilt.

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Vielfach sind diese schlechten Bedingungen für die Identitätsentwicklung rechtlich vorgegeben. Sie stellen staatliche Eingriffe in persönliche Rechtsgüter dar und bedürfen der Rechtfertigung. Diese Rechtfertigung ist keinesfalls immer gegeben, wie das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 18.07.2012 bestätigt, in dem es die Verfassungswidrigkeit von § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes (Regelung der finanziellen Grundleistungen) festgestellt hat.

Was ist GSiK? „Globale Systeme und interkulturelle Kompetenz“ (GSiK) ist ein deutschlandweit einmaliges Gemeinschaftsprojekt von zehn Institutionen aus sechs Fakultäten der Universität Würzburg. Ziel des Projekts ist es, ein differenziertes und wissenschaftlich fundiertes Lehrangebot zum Erwerb interkultureller Kompetenz zu schaffen.“ http://www.jura.uni-wuerzburg. de/studium/gsik4/ueber_das_ projekt/

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„Wir leben im gleichen Land, aber nicht in derselben Welt“ Manuela Ritz bei einer Lesung auf dem Afrika Festival in Aschaffenburg 2011

Manuela Ritz und ihr biographisches Buch „Die Farbe meiner Haut“ „Ich fuhr mit meinen Klassenkameradinnen im Zug nach Leipzig zur Bezirksmeisterschaft im Geräteturnen. ...unsere Laune: Glänzend! Da saßen sechs 11- oder 12-jährige Mädchen in einem Zugabteil und schnatterten ausgelassen kichernd vor sich hin. Ein Afrikaner ging an der geschlossenen Abteiltür vorbei. Ich nahm ihn kaum wahr. Doch dann kam er zurück. Er öffnete die Tür. Das Kichern und Schnattern verstummte. Wir starrten ihn alle sechs wortlos an. Seine Aufmerksamkeit galt mir ganz allein. Er fragte nach meinem Namen und wollte wissen, wo ich lebe. Als ich pflichtbewusst antwortete, wurde er plötzlich laut und fahrig. ...Es sei nicht recht, dass ich in einer weißen Familie aufwüchse...Ich gehöre nach Afrika. Er würde mich mitnehmen, wenn er wieder zurück gehe, versprach er und ging. Da saß ich, ein vorpubertäres Mädchen, dem kaum etwas wichtiger war, als der Norm zu entsprechen, nicht aus dem

viele Enttäuschungen, Verletzungen, unerfüllte Sehnsucht, Fragen ohne Antworten: Manuela Ritz nimmt den Leser mit auf eine jahrelange Suche nach sich selbst, nach innerer Heimat und Verwurzelung, nach Heilung. Und wir lernen die Schattenseiten unsere Gesellschaft kennen: Ob subtil oder unverhohlen brutal rassistisch, Manuela Ritz, eine selbstbewusste, ob versteckt in kleinen Nuancen des lebhafte, wortgewandte Deutsche Wortspiels oder in selektiven Persomit dunkler Hautfarbe, beschreibt nenkontrollen, die Autorin zeigt uns ihr Leben als schmerzhaften Prozess die riesige Bandbreite des alltäglichen der Identitätssuche, des Ringens um Rassismus. Normalität und innere Stärke in einer „Heimat“, welche sie äußerlich Pointiert und mitunter sarkastisch als nicht zugehörig identifiziert. Als beschreibt sie die Absurdität und Siungewolltes Produkt des „Fehltritts“ tuationskomik unterschiedlichster Ereiner dreifachen Mutter und Ehefrau fahrungen und Begegnungen mit dem gleich nach der Geburt abgegeben, „Wir-deutsch-du-Afrikanerin“-Alltag hatte das kleine Mädchen viel Glück, und nimmt den Leser mit auf die Reiadoptiert von einer liebevollen neuen se in ein verletztes, sehnsüchtiges Ich, Mama, äußerlich eigentlich „gut in- das von Kindesbeinen an auf der Suche tegriert“ zu einer gebildeten, starken nach seiner Identität ist. Vieles geht Frau geworden zu sein. Und doch: So unter die Haut, manche Begebenhei-

Rahmen zu fallen, den die Gesellschaft, in diesem Fall die Freundinnen, steckte. Ich hatte so hart an dieser Selbstinszenierung gearbeitet und nun das! Da kommt ein schwarzer Mann, den ich nie zuvor gesehen hatte, auf mich zu und reißt mir meine weißgemalte Maske vom Gesicht.“


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11 / 2012 ten führen dem Leser erstaunt vor Augen, wie leichtfertig, unbedacht, unbewusst rassistische Diskriminierung oft daher kommt. Das könnte ich auch so gesagt, getan haben, schießt es da einem irritiert durch den Kopf. Manuela Ritz öffnet dem Leser die Augen ohne Sentimentalität, ohne zu moralisieren oder anzuklagen, einfach dadurch, dass sie uns unsere alltägliche Welt durch ihre Brille der „Andersartigen wider Willen“ sehen lehrt. Berührend und mitunter beschämend gehen viele Episoden unter die Haut, machen uns erst bewusst, wie viele Facetten Diskriminierung und Rassismus haben können. Rückblickend auf das Scheitern ihrer ersten Liebesbeziehung erinnert sich Manuela Ritz: „Die Mutter eines späteren Freundes hörte ich sagen: ‚Die Manu...naja, zum Hörner abstoßen, meinetwegen. Aber das ist doch hoffentlich nichts ernstes, oder?‘ Eine andere Mutter ermahnte mich häufig bei Tisch, mit leicht angewidertem Gesicht, nicht zu viel zu überdies zahlreiche ehrenamtliche Täessen: ‚Oder willst du so fett werden, tigkeiten ausübt.“ wie diese dicken afrikanischen Mamas im Film?‘ Eine Großmutter, die mich „Weisen sie sich aus, oder Sie werden mit ihrem Enkel kuscheln sah, stürzte ausgewiesen!“, so tituliert Manuela kopflos davon und redete hernach un- Ritz das Kapitel über eine skurrile Beaufhörlich von Rassenschande.“ gegnung im Zug von Berlin nach Görlitz. In ihrer ganzen Absurdität wäre Ganz einfach so sein wie ihr und nicht die Szene mit zwei recht einfachgeanders und vor allem so gesehen, an- strickten Herren vom Bundesgrenzgenommen sein wie ihr und nicht schutz und der Autorin eine Steilvoranders – weil ich so bin! Was so sim- lage für jeden Loriot-Sketch. Wenn pel und einleuchtend daher kommt, sie nicht so bitterböse wäre. „Mir ist scheint im realen Leben alles andere aufgefallen, dass Sie vor mir in dieals selbstverständlich zu sein , in den sem Wagen die einzigen beiden Leute einfachsten Dingen, und oftmals un- angesprochen haben, die nicht in ihr reflektiert aus unserem Klischee- und offenbar recht eingeschränktes Bild Schubladendenken heraus. Auch wer eines braven deutschen Bürgers pasniemals „Mohrenkopf“ alias ‚“Neger- sen, und nun möchte ich gern wissen, kuss“ über die Lippen bringt oder das nach welchen Kriterien Sie Ihre veraltbekannte, rassistische Kinderlied dachtsunabhängigen – oder waren es von den „Zehn kleinen Negerlein“ ent- doch verdachtsabhängige? - … Persorüstet von sich weist, tappt leichtfüßig nenkontrollen durchführen.“ Sie spielt in die Falle: „ ‚Schwester! Eine weiße wortgewandt und souverän in einem Frau hat mich gerade angequatscht entlarvenden Kabarettstück die Uniund mir von der ‚Berliner Tafel‘ er- formierten an die Wand. zählt (natürlich hat sie mich geduzt). Sie wollte mir nicht glauben, dass ich Doch es tut auch richtig weh, beispielsdiese Adresse nicht brauche. Schei- weise das Kapitel „So deutsch im Kaltße!‘“ Die Absenderin dieser SMS : eine land oder Ein deutsches Requiem“ mit Freundin der Autorin, „die an einer zahlreichen kleinen Totentafeln, in Londoner Universität Unternehmens- denen namentlich derer gedacht wird, führung und Germanistik studiert die in den letzten Jahren rassistischen hat,... die als allein erziehende Mutter Gewalttaten mitten in Deutschland dreier Kinder zwei Jobs hat und die zum Opfer gefallen sind - eingebettet

in harte Zahlen und Fakten über diese dunkle, offiziell und öffentlich verharmloste Kapitel unsere Gesellschaft. Oder das berührende Interview der Autorin mit ihren beiden Kindern. „Es hatte lange gedauert, bis ich lernte, davonzulaufen, einfach wegzugehen, wenn mir etwas weh tat. Es sollte noch länger dauern zu lernen, da zu bleiben und für mich einzustehen, wenn mir weh getan wurde. Und das musste ich lernen, weil keiner meiner weißen Freunde das jemals zur Genüge getan hatte.“ Sie hat es gelernt, sie hat viel gelernt in einem jahrelangen Prozess: Manuela Ritz, ausgebildete Erzieherin und Dipl. Sozialpädagogin, arbeitet als Drehbuchautorin und seit mehr als einem Jahrzehnt als freiberufliche Trainerin gegen Rassismus und Adultismus. Empowerment, SelbstErmächtigung, ist eines der Schlüsselelemente. Wozu? „ In der Auswertung eines Blue-Eyed-Workshops sagte einmal eine Person, die in der Übung als blauäugig klassifiziert wurde und Diskriminierung am eigenen Leib gespürt hatte: ‚Ich fühlte mich entkernt.‘ Das ist die Macht, die Rassismus und seine Verinnerlichung hat. Verinnerlichter Rassismus vermag den Kern einer Persönlichkeit anzugreifen und zu deformieren.“ Ein empfehlenswertes, Buch:

wichtiges

Manuela Ritz „Die Farbe meiner Haut“ Herder ISBN 978-3-451-29987-2 Eva Peteler © alle Zitate aus Manuela Ritz „Die Farbe meiner Haut“


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Mitten in unserem Land – wieso eigentlich? Teil 2 Sie erinnern sich? weise aus, wie es Flüchtlingen geht Im letzten Himfocus drückten Fachabi- – ich denke einfach nicht darüber nach. turienten der Klasse FW 12 a der Fach- Aber es gibt auch in den öffentlichen oberschule Schweinfurt/Dittelbrunn Medien wenig Information über die ihre Empfindungen nach einer Infor- tatsächlichen Umstände. Ich möchte mationsveranstaltung über Flüchtlin- helfen, bin mir aber selbst nicht sicher, ge aus. „Unabhängig davon, ob es sich ob ich das kann - allein vom psychium Asylsuchende handelt oder nicht, schen Druck her. Dennoch sollte man hat doch jeder Mensch die gleichen vor allem durch Informationen an anBedürfnisse und das gleiche Recht auf dere einen Schritt weiter gehen und so Freiheit und Entfaltung“, so hatte da- etwas verändern – das kann auch ich!“ mals Thomas Englert die Gedanken seiner Mitschüler zusammengefasst. „Es sollte keine Diskriminierung geSie sind es wert, hier in einem zweiten ben und jeder Mensch sollte mit ReTeil wiedergegeben zu werden. spekt behandelt werden, denn jeder Mensch ist etwas Kostbares.“ „Mich hat das Gespräch mit Ihnen sehr bewegt, weil viele Dinge ans Ta- „Ohne Heimat, ohne Zuhause, ohne geslicht kamen,von denen ich einfach Familie im fremden Land unter nichts wusste. Und ich bin mir sicher, schweren Bedingungen, das können dass die meisten Menschen wie ich vor nur sehr starke Menschen überleben. diesem Vortrag keine Ahnung über Aber sie sollen nicht nur eine Chance die Hintergründe und die menschen- auf Überleben haben, sondern auch verachtenden Lebensverhältnisse auf ein normales Leben.“ von Asylbewerbern haben. Hier besteht ein großer Aufklärungsbedarf in „Ich finde es gut, dass ein AsylbewerDeutschland! Vielleicht können dann ber bei uns zu Besuch war. Vor dieviele Menschen das Thema in die Po- ser Stunde wusste ich eigentlich gar litik bringen und in Erinnerung rufen, nichts über Asylbewerber. Ich verstedamit sich etwas verändert! Ich habe he nicht, warum sie sich nur in Untergroßes Mitgefühl und großen Respekt franken aufhalten können, obwohl es vor denen, die solch ein Leben bewäl- eigentlich ein Menschenrecht ist, frei tigen!“ zu leben. Ebenso erschüttert es mich, dass sie nicht Deutsch lernen sollen „Wahnsinn! Menschen mit einer sol- und nicht arbeiten dürfen. Das und chen schwierigen Vergangenheit vieles andere, was ich heute gehört sollten doch hier in dem „freien“ Land, habe, verstehe ich persönlich nicht!“ in dem sie nach dieser harten Flucht ankommen, diese Freiheit auch spü- „Unfassbarkeit und Entsetzen über ren. Ihnen sollte des Weg nicht noch die Willkür der Behörden und die mehr oder weiterhin verbaut werden. Ohnmacht der Betroffenen. Aber Man sollte diesen Menschen helfen, auch, wie mit den Flüchtlingen umgeihre Hoffnungen und Träume zu leben, gangen wird, wie sie leben, ist schreckdenn wir sind alle gleich und jeder von lich. Schließlich sollte in Deutschland uns sollte die Chance bekommen, sei- jeder die gleichen Rechte haben, vor ne Zeit auf Erden in Freiheit und Frie- allem in existentiellen Dingen.“ den zu leben.“ „Ich finde es eine Frechheit, sich die „Als Deutsche blende ich normaler- Bundesbehörde eines demokrati-

schen Staates zu nennen und dann Menschen, die unverschuldet in eine kritische Lage geraten sind, so zu behandeln. Insbesondere sollte man Flüchtlingen mehr Zuspruch geben, sonst sind wir nicht ansatzweise besser als die Länder, aus denen sie fliehen mussten. Ich wünsche mir, dass solche Menschen auf mehr Zustimmung und Unterstützung treffen statt auf Ablehnung.“ „Ich bin fassungslos! Fassungslos über das, was mit Menschen in Deutschland passiert, die als Flüchtlinge zu uns kommen. Auch diese Flüchtlinge haben ein Recht auf ihre Würde und deren Achtung. Ich finde, wir müssen umdenken, und zwar zugunsten dieser von Angst verfolgten Menschen.“ „Mir wurde klar, wie schlecht es den Flüchtlingen geht, nur weil der Staat sie daran hindert, sich in Deutschland zu entfalten. Ich verstehe nicht, wieso sie, obwohl sie arbeiten und Deutsch lernen wollen, es nicht dürfen. Ich verstehe die Gründe für dieses Verbot nicht.“ „Mehr Rechte für Asylbewerber, da sie in einer Demokratie leben und ein Recht auf ihre Menschenrechte und ihr Naturrecht als Mensch besitzen.“ „Asylbewerber haben harte und lange Wege hinter sich und sollten deshalb aufgenommen und mit Respekt behandelt werden. Des weiteren steht ihnen das Recht auf Arbeit zu, um ihren Lebensstandard zu verbessern und um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren.“ Heimfocus-Redaktion


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Sprache ist Macht

Zum Umgang mit dem Begriff „Rasse“ Die Verwendung des Begriffs „Rasse“ zur Einteilung von Menschen reicht bis ins Spätmittelalter zurück. Mit dem Verweis auf die „Reinheit des Blutes“ versuchte sich der Adel vom gemeinen Volk zu unterscheiden. Bald darauf wurden Menschen allgemein in Kategorien eingeteilt, und es wurden ihnen bestimmte Eigenschaften zugewiesen. Bereits zu Ende des 15. Jahrhunderts wurde diese Klassifizierung in Bezug auf die Juden vorgenommen. Der schwedische Naturforscher Carl von Linné (1707–1778) wies ganzen Menschengruppen körperliche und charakterliche Merkmale zu. Seiner Meinung nach seien die Afrikaner besonders boshaft und faul. Nach dem französischen Naturforscher GeorgesLouis Leclerc de Buffon (1707–1788) hingegen sei die „weiße“, „europäische Rasse“ die schönste und beste. Dieses Konstrukt diente über Jahrhunderte hinweg dazu, mit der darin implizierten Minderwertigkeit afrikanischer und asiatischer Völker die kolonialen Eroberungen der Europäer zu rechtfertigen. Im Nationalsozialismus war die Rassenlehre ein wesentlicher Bestandteil der Staatsdoktrin. Der Rassenkampf bildete das Zentrum einer menschenverachtenden Ideologie. Die „Arier“ stellten dabei die vermeintliche Herrenrasse dar, die „unwertes Leben“ wie das der Juden oder das der Sinti und Roma vernichten mussten. Begründet wurde dies mit der Reinhaltung des Blutes. Auch nach dem Untergang des Nationalsozialismus wird der Begriff „Rasse“ immer noch verwendet. Dieser Terminus hat in Deutschland Eingang in das Grundgesetz (Art. 3 Abs. 3) gefunden, und er stellt sogar im erst seit 2006 geltenden Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz einen Diskriminierungsgrund dar (§ 1). Dies geschah, obwohl sich zahlreiche internationale Appelle gegen die Verwendung des Begriffes „Rasse“ wenden. Bereits 1950 hat die UNESCO in ihrem „Statement on Race“ darauf hingewiesen, dass die Ka-

tegorie „Rasse“ einen sozialen Mythos darstellt, der ein enormes Ausmaß an Gewalt verursacht hat. „Rasse“ ist ein historisch extrem belasteter Begriff. Die Einteilung von Menschen in Rassen stellt keine objektive wissenschaftliche Kategorie dar. Die mit dem Rassebegriff verbundene Verknüpfung von Biologie und Kultur dient vielmehr der Aufrechterhaltung von Herrschaftsverhältnissen durch den Verweis auf scheinbar objektive Fakten. In ihrem beachtenswer ten Buch „Deutschland Schwarz Weiß“ verbindet Noah Sow die Rasse-Idee mit dem weißen Bedürfnis, eine Projektionsfläche für alles Böse, Unheimliche, Verbotene oder Begehrte zu schaffen. Nach Noah Sow etabliert das Rassekonstrukt eine Hierarchie, in der sich Weiße ganz oben einordnen. Durch Wissenschaft und Gesellschaft gestützt, wurde diese Weltsicht zu einer Weltordnung, so die Autorin. Wer den Begriff „Rasse“ verwendet, handelt letztendlich rassistisch, denn er hält damit den Mechanismus von Machterhalt durch Ausgrenzung aufrecht. Es ist das Wesen des Rassismus, Menschen in Kategorien einzuteilen und ihnen aufgrund ihrer Herkunft und ihres Aussehens negative bzw. positive Eigenschaften zuzusprechen. Mit der Verwendung des Wortes „Rasse“ gehen unweigerlich rassistische Implikationen einher. Zukünftig sollte darum im privaten und gesellschaftlichen Sprachgebrauch, aber auch in der Formulierung von Gesetzen gänzlich auf den Begriff der „Rasse“ verzichtet werden. In Gesetzen

sollte nur noch von rassistischen Benachteiligungen gesprochen werden. Denn es gibt im Bezug auf Menschen keine Verwendung des Begriffs „Rasse“, der nicht rassistisch wäre. Br. Jürgen Heß OSA

Karikatur von Maneis Arbab Für diesen Artikel wurden folgende Publikationen verwendet: „... und welcher Rasse gehören Sie an?“ von Hendrik Cremer. Policy Paper des Deutschen Institutes für Menschenrechte (Berlin, 2008) „Deutschland Schwarz Weiß“ von Noah Sow (München, 2008) „Rassismus auf gut Deutsch“ von den Hrsg. Adibeli Nduka-Agwu und Antje Lann Hornscheidt (Frankfurt am Main, 2010)


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Flucht ist kein Verbrechen! »Sie legten mir Handschellen an und brachten mich mit dem Polizeiauto nach Debrecen. An den Handschellen war eine Kette befestigt. Sie zogen mich an dieser Kette, gefesselt wie ein Schwerverbrecher, bis in den Raum der Psychologin. Sie zerrten mich wie eine Kuh durch das ganze Lager an all den Leuten vorbei. Ich kann dir nicht sagen, wie beschämt ich war.« Dies berichtet ein Flüchtling über seine Aufnahme in Ungarn.

Ungarn verletzt systematisch die Menschenrechte von Flüchtlingen. Schutzsuchende werden routinemäßig und bis zu zwölf Monate lang inhaftiert. Misshandlungen durch Polizeikräfte sind in den teils extra für Flüchtlinge errichteten Hafteinrichtungen an der Tagesordnung. Die unmenschliche Behandlung von Flüchtlingen in Ungarn scheint also nicht durch Mängel oder Fahrlässigkeit verursacht – dahinter steckt ein System.

Flucht ist kein Verbrechen, Flüchtlinge sind keine Kriminellen. Sie brauchen Schutz und Unterstützung. Eigentlich. Doch wie ist die Realität? Wie kommen wir zu so einer Situation, mitten in Europa? Früher war die Inhaftierung, die Misshandlung von Menschen in Haft ein Zeichen von Diktaturen und Verfolgerstaaten. Heute ist dies Praxis in einigen Staaten der Europäischen Union. Wer es schafft, die Grenzen Europas zu überwinden, wird inhaf-

tiert – in Griechenland, in Ungarn oder auf Malta. Flüchtlinge werden weggesperrt, häufig für Monate. Wer freikommt, wird der Obdachlosigkeit ausgesetzt. Die Grenzstaaten Europas zwingen die Menschen dazu, weiter zu fliehen. Sie machen sich auf den Weg in andere europäische Länder, weiterhin auf der Suche nach Schutz und in der Hoffnung auf ein neues Leben. Doch auch hier erfahren sie keine Hilfe. Die Menschen werden unmittel-


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(c)UHCR F.Noy

bar aufgegriffen und häufig erneut inhaftiert – auch in Deutschland. Diese Praxis stößt international auf scharfe Kritik. Der UN-Ausschuss gegen Folter äußerte im November 2011 seine schwere Besorgnis darüber, dass mehrere tausend abgelehnte Asylbewerber sowie die überwiegende Mehrheit der sogenannten Dublin-Fälle nach wie vor sofort im Anschluss an ihre Einreise nach Deutschland in Gewahrsameinrichtungen untergebracht werden, in einigen Fällen für lange Zeiträume. Das Ziel der Inhaftierung ist die Abschiebung der Menschen. Ihre Fingerabdrücke werden im EURODACSystem registriert, ihre Daten in einer Zentralstelle in Deutschland erfasst. Nach der sogenannten Dublin-II-Verordnung sollen sie schnell wieder in die EU-Staaten abgeschoben werden, in denen sie erstmals den Boden der Europäischen Union betreten haben. 2011 geschah dies in rund 3.000 Fällen. Statt den Menschen Schutz und die Hilfe zukommen zu lassen, wird die Mühle der Verfahrenszuständigkeit angeworfen. In Nacht- und Nebelaktionen werden die Abschiebungen durchgeführt. Asylsuchende erfahren oft erst Stunden vor dem Abflug von ihrer Zwangsreise. Auch das hat System: Erst am Überstellungstag, also am Tag der Abschiebung, werden sie über ihr Schicksal informiert. So sieht es der Standardbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge für Dublin-Verfahren vor. Den Betroffenen soll so die Möglichkeit genommen werden, rechtlich gegen ihre Überstellung vor-

(c)UHCR C.Caux

zugehen. Berechtigte Gründe, sich gegen die Abschiebung zu wehren, haben die Flüchtlinge allemal – die unmenschlichen Aufnahmebedingungen in den jeweiligen Zielländern werden in der Öffentlichkeit immer stärker kritisiert. Auch Gerichten sind die Zustände in den Ländern an der EU-Außengrenze bekannt. Im Jahr 2007 hat PRO ASYL diese Debatte europaweit losgetreten. Zug um Zug setzte sich die Erkenntnis durch: Griechenland verletzt die Menschenrechte, behandelt Menschen erniedrigend und entwürdigend. Abschiebungen in solche Zustände sind ohne Frage rechtswidrig. Dies hat der Europäische Gerichtshof am 21. Dezember 2011 entschieden. Es darf nun in der EU keine Abschiebungen mehr in Staaten geben, in denen es systemische Mängel im Asylverfahren und im Aufnahmesystem gibt. Doch da die abschiebenden Behörden und ihre Regierungen diese Mängel oft bestreiten, haben die Flüchtlinge meist keine andere Chance als zu versuchen, vor Gericht zu ihrem Recht zu kommen. Doch dazu braucht man Rechtsanwälte und Zugang zu einem Gerichtsverfahren. In Deutschland wurde im Jahr 2007 den Gerichten per Gesetz das Recht genommen, im Eilverfahren Abschiebungen zu stoppen. Dies wurde im Asylverfahrensgesetz (§ 34a) festgelegt. Der im Rechtsstaat übliche Eilrechtsschutz wurde per Gesetz ausgeschlossen. Deutschland will um jeden Preis am Dublin-System festhalten. Um die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz weiterhin an Länder an der EU-Außengrenze abgeben zu kön-

nen, stellt man sich bei den Klagen über menschenrechtswidrige Zustände in diesen Staaten taub, solange es geht. Zugleich werden diese zunehmend und in immer schärferem Ton angehalten, ihre Außengrenzen gegenüber Flüchtlingen abzuschotten. »Wenn Länder wie Griechenland bei der Kontrolle der Außengrenzen versagen, müssen wir die Binnengrenzen vorübergehend wieder kontrollieren können«, sagte Bundesinnenminister Friedrich am 3. April 2012 gegenüber der Presse. Die offenen Grenzen im Schengen-Raum dürften »kein Einfallstor für illegale Migrationsbewegungen werden«. Allein im Jahr 2011 wurden 55.000 Menschen als angeblich illegale Migranten in Griechenland an der Grenze zur Türkei inhaftiert. In hohem Maße waren es Menschen aus dem Iran, Afghanistan, Irak und anderen Staaten, in denen es zu Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen kommt. Erreichen sie Deutschland, werden viele von ihnen als schutzbedürftig anerkannt. Friedrichs Aussage denunziert schutzsuchende Menschen als illegale Migranten. Seine Forderungen nach Grenzkontrollen innerhalb des Schengengebiets sind blanker Populismus und zielen auf eine noch rigidere Abschottung der europäischen Außengrenzen. Künftig könnte es noch deutlich schlimmer werden: Auf EU-Ebene will Bundesinnenminister Friedrich nun erreichen, dass es EU-Staaten künftig offiziell erlaubt wird, an den Grenzen Flüchtlinge einzusperren – vorgeblich, um ihre Identität fest-


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stellen zu können. Faktisch bekämen die EU-Staaten damit einen Freibrief für die willkürliche Inhaftierung von Flüchtlingen.

(c)UHCR C.Caux

Statt die Festung Europa weiter auszubauen und die Grenzkontrollen zu verschärfen, müssen die EUStaaten gemeinsam für ein

Parks und auf der Straße, nachts kampierten wir oft in verlassenen Wagons am Bahnhof.«

(c)UHCR A.Duclos

Von einem Elend ins nächste: der minderjährige Ahmed* im Labyrinth des Dublin-Systems Der zwölfjährige Waise Ahmed flieht mit zwei Verwandten aus Afghanistan in den Iran. Als es dort nach zwei Jahren für sie unerträglich wird, fliehen sie teils zu Fuß, teils mit dem Auto Richtung Europa. An der türkisch-griechischen Grenze werden die drei von der griechischen Polizei festgenommen. In einer Polizeistation hält man sie fest und nimmt ihnen Fingerabdrücke ab. Schließlich werden sie nach Athen gebracht. »Vor der Abfahrt bekamen wir alle noch ein Papier, auf dem stand, dass wir Griechenland innerhalb von vier Wochen verlassen müssten. […] Tagsüber lebten wir in

Ahmed und seine Verwandten fliehen mit Booten nach Italien. Auch dort leben sie zumeist auf der Straße. Sie versuchen nach Schweden zu einem Verwandten zu fliehen. Doch in Hamburg werden sie erneut festgenommen. Ahmed erzählt: »Ich sagte den Polizisten, dass ich minderjährig sei. Sie glaubten mir aber nicht und machten mich zu einem Volljährigen.« Ahmed wird nach Dortmund geschickt und dort registriert. Dann kommt er in Hemer in einem großen Heim für Flüchtlinge unter. Nach einiger Zeit muss er nach Düsseldorf zur Asylanhörung. »Ich gab dem Mann eine Kopie meiner Geburtsurkunde und sagte, dass ich minderjährig sei. Er nahm sie zu seinen Akten. Eine Antwort bekam ich von ihm nicht.« Im Januar 2011 holt die Polizei Ahmed ab – ohne Erklärung oder Vorwarnung. Er wird nach Rom abgeschoben und lebt dort wieder auf der Straße. Notgedrungen versucht er über Frankreich wieder nach Deutschland zurückzukommen. Er wird an der deutsch-französischen Grenze aufgegriffen und im deutschen Abschiebegefängnis Ingel-

Schutzsystem für Flüchtlinge und für eine solidarische Teilung der Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen eintreten. Dies ist das Ziel der PRO ASYL-Kampagne »Flucht ist kein Verbrechen!«. Günter Burkhardt. PRO ASYL

heim inhaftiert. Alle Versuche, seine erneute Abschiebung nach Italien zu verhindern, sind vergeblich. Sämtliche Anträge werden abgelehnt. Am 18. April 2011 wird er von der Polizei zum Flughafen Frankfurt gebracht. Er sei sehr apathisch und verängstigt gewesen, berichten Augenzeugen später. Ahmeds Zustand ist selbst dem Kapitän des Flugzeugs aufgefallen. Er unterhielt sich mit ihm und gab ihm zu verstehen, dass er nicht fliegen müsse, wenn er nicht wolle. Er solle einfach mit dem Daumen hoch oder runter zeigen. Als keine Reaktion von ihm kam, wurde Ahmed in das Flugzeug gebracht und wieder nach Italien abgeschoben. * Name geändert


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Der Fall der Familie Ghubar* Familie Ghubar ist aus Afghanistan und über den Iran nach Griechenland geflohen. In Griechenland lebt die Familie ca. ein Jahr lang ohne Chance, einen Asylantrag zu stellen, auf der Straße. Frau Ghubar ist schwer krank, erhält jedoch keine medizinische Versorgung. Erst nach einem Zusammenbruch bekommt sie Hilfe von einer Wohlfahrtsorganisation. Die fünfköpfige Familie beschließt weiterzufliehen. Die unsichtbaren Mauern zwischen den einzelnen EUStaaten sind hoch und zumeist nur unter Zuhilfenahme von Schleppern und viel Geld zu bewerkstelligen. Daher flieht erst der älteste Sohn alleine weiter nach Deutschland und stellt dort einen Asylantrag, ein halbes Jahr später versucht es auch die Mutter mit ihren beiden jüngeren Kindern.

Flucht ist kein Verbrechen! Schutzsuchende, denen es gelingt, die Außengrenze Europas zu überwinden, werden in Ländern wie Griechenland, Ungarn oder Malta regelmäßig eingesperrt – häufig für Monate. Ganz gleich, ob Männer, Frauen, Familien oder Kinder – wer freikommt, landet über kurz oder lang auf der Straße. Wer kann, flieht weiter in andere Staaten Europas. Doch auch dort ist keine Hilfe zu erwarten. Die Menschen werden aufgegriffen und inhaftiert. Auf ein faires Asylverfahren warten die Betroffenen vergeblich. Dann schiebt man sie gemäß der europäischen Dublin-II-Zuständigkeitsverordnung wieder in das Land ihrer Einreise in die EU ab. Nach schweren Strapazen und einer Kette von Abschiebungen finden sich viele Flüchtlinge in einer völlig hoffnungslosen Situation wieder, in der ihnen keinerlei Rechte auf Schutz gewährt werden.

Der Vater bleibt in Griechenland, weil das Geld für die Weiterflucht nur für Frau und Kinder reicht. Doch deren Versuch, nach Deutschland zu kommen, misslingt. Sie werden in Ungarn aufgegriffen und sofort inhaftiert. Zu ihren Asylgründen werden sie nicht angehört, stattdessen droht man ihnen die Abschiebung nach Serbien oder Griechenland an. Der Gesundheitszustand der Mutter verschlechtert sich. Sie kommt in ein Krankenhaus. Dann sollen sie nach Serbien abgeschoben werden. Als die Familie in ein offenes Lager verlegt wird, entschließt sie sich zur Flucht. Die erneute Flucht reißt die Familie weiter auseinander. Der 14-jährige Sohn landet alleine in Österreich. Er soll von dort nach Ungarn überstellt werden. Zu diesem Zeitpunkt schafft es der Vater, aus Griechenland in die Niederlande zu fliehen. Mutter und Tochter schaffen es nach Deutschland und werden verhaftet. Der von Bisher missachtet Deutschland die Geltung europäischer Grundrechte und liefert Flüchtlinge den unerträglichen Bedingungen in Ungarn oder Italien aus. Auf europäischer Ebene blockiert der Innenminister alle Bestrebungen, die europäische Asylzuständigkeitsverordnung (Dublin II) zu verändern. Diese Verordnung sorgt EU-weit dafür, dass Flüchtlinge von Land zu Land abgeschoben, immer wieder inhaftiert oder Obdachlosigkeit und Elend ausgesetzt werden. PRO ASYL fordert: •Die Inhaftierung von Flüchtlingen muss europaweit beendet werden. Sie brauchen menschenwürdige Aufnahme und Schutz, nicht Inhaftierung und Willkür. •Deutschland darf Schutzsuchende nicht in EU-Länder abschieben, in denen elende Aufnahmebedingungen herrschen, kein faires Asylverfahren möglich ist und Flüchtlinge

ihnen gestellte Asylantrag wird vom zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zunächst »nicht in Bearbeitung genommen«. Mutter und Tochter kämpfen vor Gericht gegen ihre Abschiebung nach Ungarn. Frau Ghubar erleidet einen Zusammenbruch. Erst nach Vorlage mehrerer ärztlicher und psychiatrischer Stellungnahmen erfolgt eine Untersuchung durch das Gesundheitsamt. Nach fast einem halben Jahr Ungewissheit lenken die Behörden schließlich ein. Die Bundespolizei verzichtet auf die sofortige Rücküberstellung, das Bundesamt erklärt den »Selbsteintritt«. Ob der Vater aus den Niederlanden und der 14-jährige Sohn aus Österreich nach Deutschland kommen dürfen, ist noch nicht geklärt. * Name geändert

ständig fürchten müssen, in Haft genommen zu werden. •Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs muss in Deutschland umgesetzt werden. Alle Schutzsuchenden müssen das Recht haben, sich vor Gericht gegen Abschiebungen effektiv zu wehren – auch im DublinII-Verfahren. •Europa braucht mehr Solidarität und Menschlichkeit bei der Flüchtlingsaufnahme. Die Staaten im Inneren der EU dürfen die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz nicht an die EU-Außengrenze abschieben. Die unfaire Asylzuständigkeitsregelung muss grundlegend verändert werden. Weitere Informationen zur PRO ASYL-Kampagne unter: www.flucht-ist-kein-verbrechen.de


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„Fremde Freunde“ Teil II

Gedichte von Kindern und Jugendlichen aus der Schreibwerkstatt.

Über 100 Kinder und Jugendliche verschiedener Schulen im Alter von 12 bis 16 Jahren haben an der von dem Dramaturgen Alexander Jansen in der Stadtbibliothek Würzburg geleiteten Schreibwerkstatt teilgenommen. Die Veranstaltungsserie im Rahmen der Jugendbuchwochen 2012 wollte das Verständnis und das Mitgefühl für Flüchtlinge und Asylsuchende auf kreative Weise wecken und fördern. Zu Beginn eines jeden Kurses stellten sich Asylsuchende aus der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft vor – etwa die aus dem Iran stammende Mina Nejad oder der Äthiopier Addis Mulugeta. Sie berichteten über ihr Schicksal, die Heimat, die Flucht, die Ankunft und ihr Leben in Deutschland. Im Anschluss wurde darüber diskutiert und dann geschrieben – Gedichte und Kurzprosa.. Creative-Writing-Methoden leisteten dabei Hilfestellung. Angelika Riedel von der Stadtbücherei und Alexander Jansen waren begeistert vom Einfühlungsvermögen der jungen Autoren und deren Phantasie, die in kürzester Zeit sich entfaltete. Die interessantesten Beiträge wurden von Schauspielern Robin Bohn und Max De Nil bei der Eröffnung der diesjährigen Schultheatertage des Mainfranken Theaters am 2. Juli rezitiert. „Heimfocus“ präsentiert in zwei Teilen ausgewählte Texte. Diese Folge beschäftigt sich vor allem mit der Gemeinschaftsunterkunft.

Erinnerung In der Kindheit kommt einem alles viel größer vor Alles war schöner und friedlicher Da war Papa noch der größte Mann der Welt In der Kindheit kommt einem alles viel größer vor Der Schulweg von zehn Minuten kam einem wie ein Stundenlauf vor Und die Mauer vom Nachbarn schien unbezwingbar In der Kindheit kommt einem alles viel größer vor Alles war schöner und friedlicher Mathilde Mai, 9. Klasse, Jakob-Stoll-Realschule

Variationen über GEMEINSCHAFTSUNTERKUNFT I. Sie leben zusammen, fühlen sich aber doch allein Gemeinschaftsunterkunft verbindet Menschen in Einsamkeit, sie leben zusammen, fühlen sich aber doch allein. Es herrschen dort moralische Missstände. Einwanderer werden bewacht. Integration in die Gesellschaft ist nicht möglich. Natürliche Verhaltensweise kommen selten zum Vorschein. Christina flüchtete aus ihrer Heimat und bat umAsyl.

Sie sucht vergeblich Freiheit und eine neue Heimat, treue Freunde und eine Schutz bietende Familie. Doch so unrealistisch, wie dieser allgegenwärtige Traum den Leuten in der Notunterkunft erscheint, so unrealistisch ist die Hoffnung auf Freiheit. Traurigkeit und Erinnerung an die alte Heimat verbinden ratlose Menschen. Doch wenn sie für ihr Recht kämpfen und langfristig in Deutschland überleben wollen, dürfen sie nicht aufhören, von der Freiheit zu träumen. Alena Appel, 9. Klasse, Jakob-Stoll-Realschule

II. Ein Ort, der keine Farben hat Gemeinsam und doch so einsam, Menschen leben miteinander, helfen einander, in Zimmern ganz nah nebeneinander sind sie gefangen. Christentum, Islam, Buddhismus, ja auch Hinduismus – alle Religionen sind vorhanden. Sie werden vielleicht zu Freunden, tun das, was man für Freunde tut, sie unterstützen sich in dieser schweren Zeit. Nebenbei trösten sie sich, wenn Kummer und Sorge nicht mehr auszuhalten sind. Erzählen sich Geschichten, vielleicht die sie zu Hause erlebt haben


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11 / 2012 oder auf der langen Reise hierher, in ein weiteres Gefängnis. Kulturen vermischen sich an diesem Ort. Und sie werden zu Freunden an einem Ort, wo Nähe und Geborgenheit nicht zu finden sind, in der Unterkunft, Tränen sind da, Trauer, an einem Ort, der keine Farben hat. Lea Eckert, 9. Klasse, Jakob-Stoll-Realschule

III. Enge ist Teil des Lebens Graue Gebäude sind überall. Enge ist Teil des Lebens. Menschen sind verschieden und vielfältig. Einsamkeit fühlt man häufig. Innere Gefühle sind anders. Niemand ist einem vertraut. Sehnsucht nach der Heimat. Chance auf ein besseres Leben. Hohe Mauern schirmen ab. Abwertung bekommt man zu spüren. Familie ist oft nicht da. Täglich gleiche Tagesabläufe. Spaß bleibt auf der Strecke. Umgebung ist fremd. Nicht kann man tun. Tore und Schranken wie im Gefängnis. Eigene Dinge sind selten. Religionen sind anders. Kultur ist unterschiedlich. Unterkünfte sind einfach und klein. Nahes Aufeinanderleben. Freunde hofft man zu finden. Tausend neue Eindrücke. Mara Bernegan, 9. Klasse, Jakob-Stoll-Realschule

IV. Trenne dich nie von deiner Vergangenheit! Gemeinschaft ist wichtig Entscheidungen gemeinsam treffen

Meinungen teilen Erlebnisse gemeinsam haben Internationale Geschichten erzählen Nie wieder Angst vor der Heimat haben Schutz in einem fremden Land Christliches Land respektieren Hebe die Arme in die Luft Asyl wird dir hier gewährt Freundschaften kannst du hier schließen Träume verwirklichen Sieh den Armen tief in die Augen Und schätze den Schutz, den du hier kriegst Nimm die Beine in die Hand und fang’ an zu leben Trenne dich nie wieder von deiner Hoffnung Endlich hast du es geschafft Rette nun deine Lieblinge Kannst du ihnen helfen? Ihnen Unterkunft gewähren? Natürlich! Denn du hast es geschafft! Die Fremde ist zu deiner neuen Heimat geworden! Trenne dich nie von deiner Vergangenheit! Semran Aktas, 9. Klasse, Jakob-Stoll-Realschule

Iran Iran Unterdrücktes Land Diktator unterdrückt Volk Ich finde das schlecht Doof Noah Rügamer, 6. Klasse, Waldorfschule Würzburg

Depression Schwarz Steigende Depression Ein Mensch stirbt

Ich trauere um ihn Unnötig Frédéric Janßen, 9. Klasse, Jakob-Stoll-Realschule

Depression Endlos Die Spirale In meinem Leben Ich kann nicht mehr Ende Semran Aktas, 9. Klasse, Jakob-Stoll-Realschule

Endlich! Licht Ein Hoffnungsschimmer Mein letzter Gedanke Ich verschmelze mit ihm Endlich Semran Aktas, 9. Klasse, Jakob-Stoll-Realschule

Leben Bunt Das Leben Meine freie Welt Ich liebe das Leben Freiheit! Zaha Al Ghusain, 6. Klasse, Waldorfschule Würzburg


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Damit Menschen frei werden Würzburger am Amazonas: Vom Besuch einer Delegation aus dem Bistum Würzburg in der Diözese Obidos in Brasilien

Gemeinsam protestieren und kämpfen

Schon lange gab es bei weltkirchlich engagierten Katholiken in Würzburg den Wunsch, neben Mbinga in Tansania auch eine lateinamerikanische Partnerdiözese zu haben. Letztes Jahr war es dann so weit, die Diözesanleitung gab grünes Licht für die Gründung einer Partnerschaft mit Obidos im Amazonasgebiet, ganz im Norden Brasiliens. Zwei Ordensschwestern aus Würzburg arbeiten schon seit Jahrzehnten dort und einige Jugendliche aus unserem Bistum haben dort schon einen einjährigen Freiwilligendienst geleistet. Zudem ist der Bischof deutschstämmig, was die Kommunikation sehr erleichtert.

pe aus Obidos für drei Wochen Würzburg besucht hatte, startete in den Pfingstferien eine 7-köpfige Delegation zu einem zweiwöchigen Gegenbesuch an den Amazonas. Schon der lange Flug über das Land nach Rio de Janeiro und von dort weitere vier Stunden in den Norden gaben uns einen Eindruck von der unermesslichen Weite des Landes, leider auch von den Möglichkeiten seiner Ausbeutung: deutlich zu erkennen von oben waren die unzähligen, riesigen rechteckigen Felder, auf denen v.a. Soja angebaut wird, das zum großen Teil in den Futtertrögen unserer Massentierhaltungen landet. Der Fleischhunger der reichen Länder ist mitverantwortlich Nachdem Ende 2011 eine kleine Grup- dafür, dass der einstige Regenwald-

Staat Matto Grosso in eine Agrarwüste verwandelt wurde. Fast noch bedenkenloser als die Militärherrscher sind die demokratisch gewählten Regierungen unter Präsident Lula und seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff bereit, die Natur dem wirtschaftlichen Profit zu opfern. Von einem industriellen Großprojekt, dem Abbau von Bauxit zur Herstellung von Aluminium, ist auch Obidos betroffen. Im Regenwald des Gemeindegebiets von Juruti Velho baut der Bergbaukonzern ALCOA seit 2001 Bauxit ab, er hat eine Lizenz für 70 Jahre über 40 000 ha. Seit 1991 lebt Sr. Brunhilde aus Randers-


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...und beten

acker dort, mit drei Mitschwestern errichtete sie Kindergärten und eine Schule und sorgte für bessere Wohnverhältnisse. Nach ihren Plänen baut die staatliche Entwicklungsgesellschaft nun Steinhäuser für die Familien, die getrennte Schlafzimmer für Eltern, Jungen und Mädchen haben. Ihr ist es auch zu verdanken, dass die Bevölkerung nicht ganz und gar von ALCOA ausgebootet wurde. Da juristisch gegen das Projekt nichts zu machen war, organisierte die Schwester mit 1000 Leuten eine neuntägige Blockade des Geländes, um der Firma wenigstens eine Entschädigung der Bevölkerung für die Zerstörung ihres Lebensraums abzutrotzen. „Die Männer haben Pflöcke eingeschlagen, damit wir die Hängematten aufhängen konnten, drei Mal am Tag haben wir gebetet und gesungen. Als sie gemerkt haben, dass wir ohne Zusage nicht gehen, haben sie nachgegeben, bloß damit wir abziehen“, erzählte die Schwester schmunzelnd. Im Zuge dieser Auseinandersetzung initiierte sie auch die Gründung der „Acorjuve“, der Gesellschaft der Communidades von Juruti Velho. Die setzte schließlich juristisch durch, dass das ALCOA Gelände als Gemeinschaftseigentum gilt und 1,5% des Erlöses aus dem Bauxit Abbau an die Menschen dort geht: 50% direkt an die Familien, 50% für Gemeinschaftsprojekte, die die Acorjuve beschließt. Zudem ist die ALCOA verpflichtet, die ausgebeuteten Flächen wieder aufzuforsten, was aber natürlich reine Schadensbegrenzung ist, denn jahrhundertealten Re-

Zerstörung der Heimat- wohin gehen ?

genwald kann man niemals ersetzen.

landwirtschaftlich, ökologisch und natürlich auch religiös. Dabei bedeutet Glücklicherweise ist es im Zusam- letzteres nicht feste Glaubenssätze menhang mit diesem Projekt nicht zu lernen und befolgen sondern die Bibel Vertreibungen oder umfangreichen lesen und von der Bibel her OrientieUmsiedlungen gekommen. Bei an- rung für das eigene Leben finden. Der deren Baumaßnahmen, wie z.B. dem Begriff, der mir bei unseren Gespräriesigen Staudamm Belo Monte in der chen immer wieder in den Sinn kam Nachbardiözese Xingu, sieht das an- war „Empowerment“, die Menschen ders aus. Dieser erste von mehreren befähigen, die Macht über ihr eigenes geplanten Dämmen am Xingu und Leben zu übernehmen – politisch, soseinen Nebenflüssen wird dazu führen, zial und religiös. dass Gemeinschaften aus mehr als 20 indigenen Ethnien ihr Land verlas- Wir haben in Obidos eine sehr engasen müssen, weil es geflutet wird, die gierte, lebendige Kirche kennengeLandrechtsansprüche der Menschen, lernt, Gemeinden, die völlig eigenständie ihnen die Verfassung von 1988 dig sind, Priester und Ordensleute, die garantiert, werden ausgehebelt – ein ganz nah an den Menschen sind, ihnen böses Omen für die Amazonasvölker, auf Augenhöhe begegnen und Anteil denn die Gier nach Land und Boden- nehmen an ihrem Leben, und deren schätzen nimmt zu. Darum haben sich erster Leitsatz lautet: Was brauchen in allen Diözesen Arbeitsgruppen zum unsere Gemeinden, und wie können Schutz Amazoniens gegründet, um wir als Bischof, Priester, Schwester sich dieser zerstörerischen Entwick- ihnen helfen, das zu bekommen. Wir lung entgegenzustellen: David gegen haben gesehen, welchen Beitrag ReGoliath. ligion und Glaube leisten können, damit Menschen sich emanzipieren, frei Sr. Brunhilde war für uns deutsche Be- werden und sich ihrer Menschenrechsucher das Lehrbeispiel dafür, wie in te-und würde bewusst werden. Diese der Diözese Obidos pastorale Arbeit Erfahrung beflügelt uns Amazonasreiverstanden wird: orientiert an der Le- sende für unsere eigene Arbeit hier in benswirklichkeit der Menschen, in ers- Würzburg, und wir freuen uns darauf, ter Linie der Armen –und arm sind fast dass am ersten Adventssonntag die alle in dieser Region. Die meisten sind neue Partnerschaft offiziell mit GäsIndigenas, die im und vom Regenwald ten aus Obidos eröffnet wird. und vom Fluss leben. Es gilt deren Rechte zu wahren und ihren LebensUta Deitert raum zu schützen. Das heißt bei einem Bildungsstand, der in der Regel nicht mehr ist als Grundschule, zuallererst die Leute zu bilden – in weltlichen Belangen: z.B. juristisch, gesundheitlich,


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Was wird mich dort erwarten? Begegnung und Partnerschaft als Weg zu Verständigung und Freundschaft

Die Schüler der Franz-Oberthür-Schule mit Lehrer Ralf Geisler und Homaira Mansury (rechts im Bild) sowie Michael Stolz (links im Bild) auf ihrem Vorbereitungsseminar in der Akademie Frankenwarte.

„Was wird mich in Tansania erwarten? Ich bin schon sehr gespannt, die Lebenssituation und den Alltag dort zu erleben“, meinte zu Beginn des Seminars ein Würzburger Berufsschüler. bereits zum vierten Mal, zuletzt mit Nun hat er dazu ausreichend Gele- der Klara-Oppenheimer-Schule. Im genheit. Die Akademie Frankenwar- letzten Jahr waren Hauswirtschaftste, der Städtepartnerschaftsverein schülerinnen aus Mwanza zwei WoM.W.A.N.Z.A. e.V. und die Würzbur- chen lang in Würzburg zu Besuch, die ger Franz-Oberthür-Berufsschule ha- jungen Frauen arbeiteten und lebten ben ein besonderes Schulaustausch- miteinander. Die Begegnungen waren projekt mit Würzburgs Partnerstadt bisher sehr erfolgreich und in beiden Mwanza in Tansania organisiert: Ländern „Stadtgespräch“. „Wir fliegen nach Mwanza und werden in unserem Berufsbereich der Zur Vorbereitung hielt die Akademie Installation eine Solaranlage in der Frankenwarte ein Seminar für die tansanischen Schule anbringen, ge- Schüler, gemeinsam mit Dozentin meinsam mit unseren tansanischen Homaira Mansury, Berufsschullehrer Partnerschülern“, so ein weiterer der Ralf Geisler und Michael Stolz vom 12 reisenden Schüler. So könnte die M.W.A.N.Z.A. e.V. ab. Mit fachkuntansanische Partnerschule eine De- digen Referierenden bildeten sich die monstrationsanlage zu Lehrzwecken Schüler in Landeskunde, Geographie, Geschichte und Lebenswelten in Tanunterhalten. sania fort. Sie hatten Gelegenheit, FraEs ist nicht der erste Austausch. gen zu stellen, ihren Aufenthalt mitAkademie Frankenwarte und zuorganisieren und Grundkenntnisse M.W.A.N.Z.A. e.V. organisieren diese in Kiswahili zu erlangen, „damit wir beruflichen und entwicklungspoliti- uns richtig vorstellen können, wenn schen Begegnungen mit jungen Men- wir bei unseren afrikanischen Partschen aus Deutschland und Tansania nern ankommen“, so der engagierte Berufsschullehrer. Themen wie Ge-

schlechterrollen in Tansania, HIV und Aids, die Rolle von Religionen, aber auch berufliche Bildung in Afrika und aktuelle politische Herausforderungen standen auf der Agenda, so Homaira Mansury: „Der Austausch über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Lebens- und Arbeitsbedingungen, von Menschen und Kulturen machen die entwicklungspolitische Begegnung erst zur nachhaltigen Erfahrung.“ Die deutsche Schülergruppe wird nicht nur in der tansanischen Berufsschule arbeiten, sondern auch viel über das Land und die Menschen kennen lernen: „Es sind Besuche von sozialen Projekten, kulturellen Einrichtungen und auch ein Empfang bei der Stadt Mwanza geplant“, so Michael Stolz. Ein Gegenbesuch zu diesem Austausch mit den afrikanischen Schülern auf Augenhöhe ist für das kommende Jahr in Würzburg geplant.


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FLUCHT und ASYL Kurznachrichten Flüchtlingsprotestmarsch erreicht am 5. Oktober Berlin: Am 8. September 2012 startete in Würzburg der Protestmarsch von Flüchtlingen Richtung Berlin, um der Forderung nach besseren Lebensbedingungen für Flüchtlinge bundesweit Ausdruck zu verleihen. Nach über 500 km Fußmarsch haben die protestierenden Flüchtlinge am 5. Oktober über die Glienicker Brücke Berlin erreicht. PRO ASYL und der Flüchtlingsrat Berlin teilen die Forderung der Flüchtlinge nach Abschaffung diskriminierender Sondergesetze wie der Residenzpflicht, dem Asylbewerberleistungsgesetz der Einweisung in Sammellager, den Arbeits- und Ausbildungsverboten. Georg Classen, Sprecher des Flüchtlingsrats Berlin: „Der Protestmarsch ist ein mutiges Zeichen gegen die Ausgrenzung, Isolierung und Entrechtung von Flüchtlingen in Deutschland. Die Flüchtlinge organisieren sich selbst und fordern, was ihnen zusteht: ein selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben in Sicherheit und Würde. Dies unterstützen wir nach Kräften.“ www.refugeetentaction.net © PRO ASYL 04.10.2012

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 05. September 2012 den Beschluss über die See-Operationen von Frontex für nichtig erklärt.Die nun für rechtswidrig erklärten Frontex-Leitlinien regeln, welche menschenrechtlichen Maßstäbe Seepatrouillen einhalten müssen. Zum Beispiel ist darin festgelegt, dass die Frontex-Patrouillen das Zurückweisungsverbot nach der Genfer Flüchtlingskonvention beachten müssen. Der EuGH hat die Frontex-Leitlinien nun jedoch nicht aus inhaltliche Gründen gekippt, sondern weil sie nicht unter ausreichend demokratischer Beteiligung zustande gekommen sind. Sie wurden nämlich nur vom Rat und nicht auch vom EU-Parlament verabschiedet. Die Gesetzgebungskompetenz des EU-Parlaments wurde durch den Beschluss der Leitlinien also in unzulässiger Weise umgangen. © PRO ASYL 07.09.2012

Den Toten Gerechtigkeit : Gedenkveranstaltung für die Toten an Europas Außengrenzen am 6. Oktober in Frankfurt am Main: Mehr als 18 500 Flüchtlinge starben seit 1988 an den Außengrenzen Europas. Im Mittelmeer waren es allein 2011 mehr als 2 500 Menschen – das ist die traurige Bilanz, die Fortress Europe zieht. Auch dieses Jahr sterben Bootsflüchtlinge, weil die für die Seenotrettung verantwortlichen Staaten kollektiv versagen und sich über Zuständigkeiten streiten, anstatt Flüchtlinge zu retten. © PRO ASYL 01.10.2012

Der Menschenrechtspreis der STIFTUNG PRO ASYL 2012 geht an Gergishu Yohannes für ihren Einsatz dafür, dass der Opfer an den Außengrenzen Europas gedacht wird und ihnen Gerechtigkeit widerfährt. Ihr eigener Bruder starb im August 2009 zusammen mit 76 anderen Flüchtlingen auf dem Mittelmeer. Das in Seenot geratene Boot der Schutzsuchenden trieb 23 Tage lang im Kanal von Sizilien. Obwohl der Aufenthaltsort des Bootes bekannt war, wurden die Flüchtlinge nicht gerettet. Gergishu Yohannes versammelte weltweit die Angehörigen der Toten in einer Interessengemeinschaft. Mit den Vollmachten der Angehörigen erstattete Sie Anzeige gegen den italienischen Staat wegen unterlassener Hilfeleistung mit Todesfolge. Ihr Engagment zeigt der Öffentlichkeit, dass die Opfer der europäischen Flüchtlingspolitik keine Namenlosen sind: Hinter jedem Menschen, der bei der Überquerung des Meeres umkommt, stehen Angehörige, die der Tod ihrer Lieben in Trauer und Verzweiflung hinterlässt. Der Preis wurde Gergishu Yohannes am 8. September 2012 in Frankfurt verliehen. © PRO ASYL


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Schwere Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen an der Grenze zu Melilla: Nach dem revolutionären Umsturz in Tunesien und dem Bürgerkrieg in Libyen suchen Tausende afrikanische Flüchtlinge, die zuvor dort gelebt hatten, Schutz in den Nachbarstaaten. Viele wollen über Marokko auf spanisches Territorium gelangen. An den meterhohen Grenzzäunen der spanischen Exklave Melilla droht die Situation ähnlich zu eskalieren wie in den Jahren 2005/2006, befürchtet die spanische Menschenrechtsorganisation PRODEIN. Der Zugang zu der Grenzwallanlage wird Journalisten und Menschenrechtsbeobachtern systematisch verwehrt. Wer beim Überqueren des Zauns oder an der Küste entdeckt wird, wird häufig illegal nach Marokko abgeschoben. Besorgnis erregt auch die Praxis der spanischen Behörden, Flüchtlinge zu inhaftieren, um sie über das spanische Festland direkt in ihre Herkunftsländer abzuschieben. Insbesondere die kollektive Abschiebung von Flüchtlingen in die Demokratischen Republik Kongo im März 2012 – ohne existierendes Rückübernahmeabkommen und ohne Prüfung der Staatsangehörigkeit der Betroffenen – stellt einen Skandal dar. © PRO ASYL

Hamburg startet Bundesratsinitiative für eine Bleiberechtsregelung: Heute bringt das Bundesland Hamburg eine Gesetzgebungsinitiative für eine Bleiberechtsregelung in den Bundesrat ein. Verschiedene Bundesländer – darunter Niedersachsen – hatten bereits vor einigen Monaten Vorschläge für eine solche Bleiberechtsregelung gemacht. Während Niedersachsen einen eigenen Ansatz mit besonders hohen Hürden für die Betroffenen vorsieht, stimmen die Initiativen aus Schleswig-Holstein, NRW, Baden-Württemberg, Bremen und RheinlandPfalz mit dem Gesetzentwurf aus Hamburg weitgehend überein. Die zahlreichen Länderinitiativen zeigen deutlich den politischen Handlungsbedarf, um die Situation von langjährig geduldeten Menschen wirksam zu verbessern. © PRO ASYL 21.09.2012

Till GU-spiegel Teil 1

Sehr geehrte Frau Haderthauer, wir teilen aus Überzeugung die weitblickende Asylpolitik unserer Landesregierung. Insbesondere der restriktiven harten Hand Ihrer Ministerialadministration gilt unsere aufrichtige Wertschätzung. Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, das muss doch gerade in diesen schweren Zeiten die oberste Pflicht nicht nur der Politik, sondern aller verantwortungsvollen Bürger unseres geliebten Heimatlandes sein. Dass die Herren Bundesverfassungsrichter mit ihrem Fehlurteil zum Asylbewerberleistungsgesetz gewaltig

über das Ziel hinausgeschossen sind, kommt einem fahrlässigen Ausverkauf der Heimat gleich. Wie die aktuellen Zahlen zeigen, ist wohl zu befürchten, die Asylantenströme werden nun derart anschwellen, dass sie für unser Gemeinwohl zu einer ernsthaften Bedrohung werden. Daher stehen wir voll hinter Ihrer Strategie, die untragbare Last des nun per Gerichtsbeschluss von 40,90€ auf unglaubliche 134,00€ pro Erwachsenen förmlich explodierten Taschengeldes für diese Nutznießer unserer Sozialsysteme durch geeignete Maßnahmen zu

©proasyl kompensieren. Wie unsere tapferen Bundeswehrjungmänner sind diese Leute in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht; dies allerdings ohne Gegenleistung, obendrein mit behaglicher Rundumversorgung auf der faulen Haut liegend. Für dieses sorglose Gammelleben in den Tag hinein zahlt derweil der ausgebeutete deutsche Steuerzahler die Zeche. Welch‘ weise Standhaftigkeit, dem Ungeist des Integrationswahns zu widerstehen und diesen ungebildeten und ungewollten Subjekten nicht gar noch Bargeld statt


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11 / 2012 Essenspaketen in die Hand zu geben! Wie jeder rechtschaffene bayerische Bürger sehen auch wir uns in der Pflicht, Sie auf unsere Weise in Ihrem selbstlosen Einsatz gegen Überfremdung unserer Heimat zu unterstützen. Als ausgewiesene Experten in globaler Ressourcenverwertung auf dem Ernährungssektor und als geschätzte Partner unseres innovativen Bundesministeriums für profitable Auslandsbeziehungen, in der gottlob vergangenen Ära naiver Sozialromantiker auch als Entwicklungsministerium bekannt, sehen wir das Einsparpotential in der Versorgung dieser lästigen Ausländer bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Die uns vorliegenden aktuellen Kostproben aus der Sparte „Fleisch“ der geltenden Bestelllisten sind unseres Erachtens geeignet, weiteren Zustrom illegaler Eindringlinge massiv zu befördern, sind doch die angebotenen Rindfleisch-Portionen vor und auch nach der Zubereitung in Menge und Qualität nicht geeignet, Anreize gegen die parasitäre Invasion unserer Heimat zu setzen. Schauen Sie, sehr verehrte Frau Staatsministerin, doch die Originalaufnahmen der beschlagnahmten Rindfleischstücke an. Es ist noch immer eine erheblich Menge soliden Fleisches an den Schwartenund Fettstücken erkennbar! Selbst nach Zubereitung bleibt ein gewisser optischer und geschmacklicher Eindruck von Rindfleisch wahrnehmbar, wenngleich die Konsistenz zwischen Radiergummi und Zahnfüllung dann zugegebenermaßen unserem erklärten erzieherischen Ziel schon erheblich näher kommt. Und erst recht diese üppigen Hühnerdelikatessen, gemeinhin als Partyrenner unter dem Namen Chickenwings angeboten! Ja, wo kommen wir denn hin, wenn wir diesen ungebetenen Kostgängern solche trendigen Gaumenfreuden bereiten, ohne dass sie dafür einen Finger krumm machen müssen! Sie hätten am Sonntag nach dem Kirchgang beim Stammtisch im „Röhrenden Hirschen“ den bebenden Unmut der rechtschaffenen Bürger erleben sollen! Und das ein Jahr vor den Landtagswahlen, bitten wir zu bedenken. Sehr verehrte Frau Staatsministerin,

unsere renommierte Alleresteweg-Ver wertungs-GmbH & Co.KG unterbreitet Ihnen daher zur zweckdienlichen Optimierung der Versorgung der Asylanten und aus staatsbürgerlichem Pflichtbewusstsein heraus das folgende Angebot: Wir selektieren aus unserem Separatorenfleisch- und Tierverwertungskontingent die geeigneten Sonderposten, die für die Verpflegung in Asylantenheimen noch geeignet sind. Dank unserer hervorragenden internationalen Kontakte können wir ferner das Sortiment durch Lieferungen anreichern, die als Retouren in der osteuropäischen Haustierfutterindus- nisterin, und danken Ihnen im Namen trie anfallen. Schließlich gelten für die unserer gesamten Belegschaft. Auf Verpflegung der besten Freunde des uns können Sie sich stets verlassen Menschen zurecht strengste Quali- im Kampf gegen aufrührerische linke tätsstandards, denen nicht alle an- Elemente, die die Stirn haben, diese gebotenen Rohstoffe genügen. Aus ungebildeten Wilden unseren kultidem Retourenaufkommen unserer vierten Landsleuten gleichzusetzen Geflügelreste-Abnehmer aus West- und für sie die gleichen Rechte und afrika werden wir handliche Tiefkühl- Freiheiten zu fordern. portionen pressen, die wir Ihnen zu Abschließend empfehlen wir Ihnen Sonderkonditionen anbieten können. unsere Geschäftspartner aus weiteren So leisten wir als Global Player gerne Geschäftsbereichen. Diese werden Ihunseren staatsbürgerlichen Beitrag zu nen gerne mit ihrer vielfältigen Expereiner effektiven Regulierung des Aus- tise bei Ihrem weitsichtigen und oft länderzustroms. nicht hoch genug geschätzten Einsatz für die Reinhaltung der Heimat selbstWir gehen in aller Bescheidenheit da- los und aus voller patriotischer Übervon aus, dass Sie uns als Zeichen Ih- zeugung zur Seite stehen. rer Wertschätzung wie gewohnt aus den Mitteln Ihres Asylanten-Versor- Wir freuen uns auf eine harmonische gungsbudgets bei der Deckung unse- und für beide Seiten höchst ergiebige rer Unkosten in Lagerhaltung, Logis- Zusammenarbeit und verbleiben tik, Administration und Distribution großzügig entgegenkommen werden. hochachtungsvoll Auf diese Weise kommt ja seit Jahren Ihre unter Ihrer Regie ein beträchtlicher Teil der für Versorgung der Auslän- Dr. Karl-Heinrich von Hühnerklein der vorgesehenen Bundesmittel zum Walther A. Rechtslastig Glück keineswegs den ausländischen Inhaber der Empfängern selbst zugute, sondern Alleresteweg-Verwertungs-GmbH & schafft und sichert deutsche Arbeits- Co. KG plätze. Das nennen wir Volksverbundenheit, hochverehrte Frau Staatsmi-


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No2 • 10/2010 2010

Impressum

VOICE FOR REFUGEES

teilhaben – Teil werden

3.Jahrgang, 1.Ausgabe, 11 / 2012 Redaktion: Addis Mulugeta, Abay Kiros Redaktionskontakt: contact@heimfocus.net Erscheinungstermin: 01.11.2012 Erscheinungsweise: vierteljährlich Auflage: Exemplare 1000 Herausgeber: Eva Peteler c/o Ausländer-und Integrationsbeirat der Stadt Würzburg Rückermainstr.2 97070 Würzburg

Die in der Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung der Redaktion in irgendeiner Form reproduziert werden. Die Beiträge geben eine persönliche Meinung des Autors wieder, die nicht mit der der Herausgeber übereinstimmen muss. Die Verantwortung für den Inhalt der Beiträge liegt ausschließlich beim Verfasser.

cont. on p 20

Hund oder Mensch? Manche Menschen glauben immer noch, ihre Rasse sei allen anderen überlegen und habe eine Monopolstellung auf diesem Planeten … weiter auf S.24

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Where is my home!? S.18

Der Bischof in der GU

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e wo kämeja nichts gegen Aus man den n hin … länder, aber Weiter auf S.

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vom Leb gen für Flüchtlinge en“ Flüc S.38 htlin Von

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unantastbar

Weiter auf S.36

Hund oder Vertra ist wichtiger als Worte … S.12 Mensch? Teil 6 nochuen Arzt, sone Ich bin weder Psycholog . Seit Jahdern einfach nur ein Flüchtling dieser Lager ren schon lebe ich in einem , Weiter auf S.20 in Bayern, ohne Hoffnung

Die Würde des Menschen ist unantastbar Teil 6

… denn in der Herberge war kein Platz für sie … Weiter auf S.5

© Falk von Traubenberg

Fotos: Redaktion, diverse Titelbild: Redaktion Layout: Maneis Arbab, Anette Hainz Druck und Produktion: flyeralarm GmbH

VIVOVOLO reach out your hand for refugees …

Hund oder Mensch?

Teil 7

Eins, zwei, drei …einfach nur

Zahlen … Weiter auf S.32

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No 10 • 07 / 2012

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Teil 8

Flucht ist kein Verbrechen! In Europa angekommen Gefängnis? 2102– Sund GNgleich ILTHinsCÜ LF S E D Das darf nicht sein! zur PRO ASYL-Kampagne auf auf S.18

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Keine Frage des Geldes

„Ach, das Geschenk hätt‘s doch nicht gebraucht! Hauptsache, ihr seid da!“ Weiter auf S.5

Hund oder Mensch? Teil 9

Demosthenes sagte einmal: „Jeder Diktator ist ein Feind der Freiheit, ein Widersacher des Rechts.“ Weiter auf S.34

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DER GEGENSATZ VON LIEBE IST NICHT HASS, DER GEGENSATZ VON HOFFNUNG IST NICHT VERZWEIFLUNG, DER GEGENSATZ VON GEISTIGER GESUNDHEIT UND VON GESUNDEM MENSCHENVERSTAND IST NICHT WAHNSINN UND DER GEGENSATZ VON ERINNERUNG HEISST NICHT VERGESSEN, SONDERN ES IST NICHTS ANDERES ALS JEDES MAL DIE

In Würzburg: Rathaus Stadtbücherei Falkenhaus Akademie Frankenwarte Weltladen Mainpost-Geschäftsstelle Plattnerstraße Kath. Hochschulgemeinde Evang. Hochschulgemeinde Bücherei Am Bahnhof, Veitshöchheim

GLEICHGÜLTIGKEIT

Elie Wiesel

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