Komplex N°9 2016

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Vom Bauen ohne Grunderwerb

130 Kapital

Text: Dr. Thomas Aebersold, Simone Mülchi

Das Baurecht mit seiner über hundert Jahre alten Tradition ist aus der schweizerischen Bodenpolitik nicht mehr wegzudenken. Als Rechtsinstitut mit einem hohen Mass an Vertragsfreiheit birgt es Chancen, aber auch Risiken für alle Beteiligten. Individuelle Lösungen tun mehr denn je not.

Im Zivilgesetzbuch von 1912 beschränkte sich die gesetzliche Regelung des Baurechts auf zwei Artikel: Art. 675 und 779 ZGB. Der Gesetzgeber regelte einzig den Grundsatz: Es soll möglich sein, Boden und Baute in Form einer Dienstbarkeit verschiedenen Eigentümern zuzuweisen. Die ursprüngliche gesetzgeberische Idee war, mit diesem Rechtsinstitut technische und landwirtschaftliche Anlagen auf fremdem Land zu sichern. In den 1960er-Jahren gelangte man zur Erkenntnis, dass die beiden Artikel nicht ausreichen, um Vorhaben in der Grösse von Wohnüberbauungen zu regeln. Es wurden zusätzlich die Artikel 779a bis l ZGB in das Gesetz aufgenommen, mit deren Inkrafttreten am 1. Juli 1965 dem Baurecht zum Durchbruch verholfen wurde. Gedacht als Möglichkeit, eine Trafostation zu sichern, hat sich das Baurecht schliesslich zu einem der wichtigsten Instrumente der Bodenpolitik der öffentlichen Hand entwickelt. Städte wie Bern und Basel sind bekannt als Hochburgen der Baurechte. Im Jahr 2011 machten Baurechte in Zentren und deren Agglomerationen zusammen rund zwei Drittel der gesamten Baurechte aus. Als Baurechtsgeber trat in mehr als 50 Prozent der Fälle die öffentliche Hand auf («Immo-Monitoring», 2011, Wüest & Partner). Trotz dieser offensichtlichen Beliebtheit hat das Baurecht seine Tücken. Die lange Dauer des Baurechts

Eine lange Vertragsdauer ist typisch für dieses Rechtsinstitut. Gesetzlich vorgegeben sind mindestens 30, höchstens 99 Jahre. Dieser lange Zeitraum kann sich für eine Partei über die Jahre als Fluch oder Segen erweisen. Mechanismen, die den Unwägbarkeiten der langen Laufzeit Rechnung tragen, fehlen im Gesetz. Es gilt die Vertragsfreiheit, und ein sozialpolitisch motivierter Schutz des – vermeintlich – Schwächeren ist nicht vorgesehen. So fehlen im Gesetz insbesondere Regeln für die Anpassung des Baurechtszinses. In der Praxis findet man jedoch diverse Anpassungsmechanismen. Häufig gewählt – weil einfach – ist die Anpassung des Baurechtszinses an den Landesindex der Konsumentenpreise. Doch selbst dieser einfache und transparente Mechanismus kann für beide Parteien ein schlechtes Geschäft sein, denn der Baurechtsnehmer einer Wohnliegenschaft muss in Zeiten hoher Teuerung damit rechnen, dass seine Rendite schwindet. Grund: Die Mietzinse steigen nicht bzw. nicht im gleichen Tempo wie der Baurechtszins.


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