66 sie bewegt sich doch noch
Gute Nachrichten sehen anders aus: Franz von Stucks Der Engel des Gerichts (ca. 1922)
Rede, die Gottes Herrschaft auf Erden währen soll, bevor Satan entfesselt wird, bevor Gott den Endkampf entscheidet, bevor Er Gericht hält und die Erlösten in ein neues Reich führt. Tausend Jahre. Ein schwacher, ein auslegungsbedürfti ger Anhaltspunkt. Tausend Jahre, die mit Christi Geburt begannen? Oder erst mit seiner prophezeiten Wiederkehr? Oder, für die Juden, mit der Ankunft des wahren Messias? Brach das Tausendjährige Reich mit der Etablierung der Kir che an? Oder war nur eine bildliche »Fülle der Zeit« gemeint, wie der Klerus eilig versicherte, als die Welt nach dem ers ten Jahrtausendwechsel den Untergang verweigerte? Wann die tausend Jahre anbrechen, wann sie enden, darü ber streiten in den Kirchen bis heute Prämillennialisten und Postmillennialisten, Adventisten, Preteristen und Dispen sationalisten. Gemeinsam ist diesen apokalyptischen Strö mungen, dass sich ihr Bild vom Jüngsten Tag radikal von dem unterscheidet, was man heute mit dem Weltuntergang in
Verbindung bringt – nämlich die Ausrottung der Spezies Mensch, die Vernichtung des Planeten Erde, das totale, end gültige Ende. In der religiösen Apokalypse dagegen ist das Ende die Bedingung für den Neuanfang: Erst wenn die irdi sche Welt vergangen ist, kann die Zeit Gottes anbrechen, »der da herrschen wird von Ewigkeit zu Ewigkeit«. Der religiöse Weltuntergang ist somit nicht das Ende der Zeit, sondern nur das Ende der Geschichte, dieses unwürdigen Vorspiels der Ewigkeit. Den Schritt in die Ewigkeit aber ermöglicht Gott nur den Auserwählten, deren Erlösung der eigentliche Sinn der Apokalypse ist. Kein Wunder also, dass der Weltuntergang ein so mächti ges Instrument in den Händen religiöser Führer wurde: Je glaubwürdiger das Nahen des Jüngsten Gerichts, je flammen der das apokalyptische Menetekel, desto leichter lassen sich Gemeinden zu gottgefälligem Verhalten bewegen. Denn wer will schon auf der falschen Seite stehen, wenn Gottes großer