Gorny & Mosch Auktionskatalog 235

Page 78

74

74 Apulische Knopfhenkelschale (Lekane) des Unterwelt-Malers. 330 - 320 v. Chr. („late style“). H ohne/mit Henkel 12,7/18,8cm, ø ohne Henkel 43cm, ø Tondo 29,1cm, ø Fuß 15,2cm. Rotfigurig, Details in Rot, Weiß u. Gelb. Große, flache Schale mit Fuß u. zwei Bügelhenkeln, auf Rand u. Henkeln sechs Knöpfe. Im Inneren der Schale eine weiße Blätterranke auf schwarzem Grund, die einen großen Tondo umschließt, der nochmals von einem Wellenband gerahmt wird. Darin entführt Hades in einer Quadriga Persephone, die er fest mit der Rechten umschlungen hat. Die ein durchsichtiges Gewand tragende Kore (Persephone) wiederum rauft sich das Haar u. streckt hilfesuchend einen Arm aus. Die Köpfe beider sind von einem dreifachen, strahlenbesetzten Nimbus umfangen. Vor den Pferden geleitet der dreiköpfige Kerberos mit Schlangenschwanz das Gespann auf dem Weg in die Unterwelt. Rechts oben schwebt Eros, vor ihm Hesperos, der Abendstern. In einem unteren Abschnitt der Kopf der Demeter mit Ährenkranz, der einer Ranke entspringt, die mit fantastischen Blättern u. Blüten geschmückt ist. Die Außenbilder zeigen zwischen Wellenbändern u. Palmetten zwei Paare. Auf der einen Seite sitzen hintereinander eine junge Frau mit Kranz u. Schale sowie ein Eros mit Fächer, auf der anderen ein Jüngling mit Zweig u. Schale sowie eine junge Frau mit Schale u. Kalathos. Meisterwerk der apulischen Vasenmalerei! Aus großen Fragmenten zusammengesetzt, kleine Retuschen an den Bruchkanten, sonst vollständig mit gut erhaltenen Farben. 25.000,– Provenienz: Aus der süddeutschen Privatslg. A. und W. H., erworben in den 1970er und frühen 1980er Jahren. Publiziert: R. Lindner, Der Raub der Persephone in der antiken Kunst (1984) S. 27 f. mit Taf. 6-7; K. Schauenburg, Unterweltsbilder aus Grossgriechenland, RM 91, 1984, S. 378 mit Taf. 118,3; RVAp Suppl. 2,1 164,331b (mit Zuweisung [„late style“] u. dem Vermerk „ehemals Wiener Privatsammlung“); LIMC IV (1988) 382 Nr. 87 [R. Lindner]; Chr. Aellen, A la recherche de l´ordre cosmique (1994) S. 83 Anm. 10 (o. Abb.); E. Simon, Hades raubt Persephone im: Philipp von Zabern Archäologischer Kalender 2006, Juni/ Juli; dies., Pferde in Mythos und Kunst der Antike (2006) S. 90 mit Abb. 27 und Taf. 3; G. Grimm, Heroen - Götter - Scharlatane. Heilserwartungen und Heilsbringer in der Antike (2008) S. 14 Anm. 2 u. Abb. auf S. 16.

76

Zum Unterwelt-Maler s. RAVp 2 531 ff. Benannt ist der Maler nach der Hades-Darstellung auf einem berühmten Krater in den Staatlichen Antikensammlungen in München (Inv. 3297: RVAp 2 533,282 mit Taf. 194). Vgl. zum Beispiel die Nimben, die Quadriga oder den Kopf zwischen Ranken. Gemäß dem Homerischen Hymnos 2 an Demeter (2. Hälfte 6. Jh. v. Chr.) entführt Hades mit Zustimmung seines Bruders Zeus Kore (nach ihrer Heirat Persephone), die Tocher der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter, um sie zu ehelichen. Letztere, ihrer Tochter beraubt, zieht sich in Trauer zurück, so dass nichts mehr auf der Erde wächst und die Menschheit bedroht ist. Deshalb ordnet Zeus an, dass Persephone ein Drittel des Jahres bei ihrem Gemahl in der Unterwelt verweilt (Winter), den Rest der Zeit aber bei ihrer Mutter im Olymp (Frühling, Sommer und Herbst) verbringt. Unsere Lekane zeigt den dramatischen Moment der Entführung. Während Kore sich vergeblich wehrt, verweisen Details bereits auf den Ausgang der Geschichte. Wie bei der Dichterin Sappho (Fragment 104: „Hesperos, alles ... bringst Du heim, doch fort von der Mutter die Tochter.“) beschrieben, steht der Abendstern für den Moment, in dem der Bräutigam während der Hochzeitzeremonie zur abendlichen Stunde die Braut aus dem Haus der Mutter und in das neue, gemeinsame Heim führt. Der fliegende Eros wiederum steht für die bevorstehende Hochzeit. Und der gemeinsame Nimbus strahlt hinter dem neuen Götterpaar. Dem Bildthema entspricht auch die Vasenform, da solche Schalen für die rituelle Brautwaschung vor der Hochzeit verwendet wurden. Die intendierte Funktion unserer Lekane war allerdings die einer Grabbeigabe. Dabei dachte man sicherlich an ein jung verstorbenes, unverheiratetes Mädchen, dem man eine Hochzeit im jenseitigen Leben wünschte. Diese Vorstellung spiegeln auch die jugendlichen, durch Eros/Liebe verbundenen Paare auf den Außenbildern wider (s. auch den Kothon Losnummer 73). Apulian red-figure knob-handled patera (lekane) of the Underworld Painter (attributed by A.D. Trendall). 330 - 320 B.C. (“late style”). Inside between a white tendril on black ground a large tondo with the Rape of Persephone: Hades in a quadriga abducting the daughter of Demeter. Behind of both heads a large radiant nimbus which couples the two gods. Above a flying Eros who indicates the upcoming wedding and the evening star Hesperos symbolizing the separation of mother and daughter. In front of the quadriga the Cerberus on the way to the underworld. In a lower segment the head of Demeter between a tendril with fanciful flowers and leafs. Outside between palmettes two couples, on one side Eros and a girl, on the other side a naked youth and a girl. Reassembled from large fragments, cracks partially retouched, otherwise complete with good preserved colors. Masterpiece of Apulian vase-painting!


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.