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Versicherungen für Freiberufler – Auf einem Auge blind

Auf einem Auge blind

Ein selbstbestimmtes Leben, frei einteilbare Arbeitszeit, größeren finanziellen Spielraum und manchmal sogar den ganz großen Wurf – Hoffnungen und Erwartungen hat jeder, der sich beruflich selbstständig macht. Oft geht es gut, manchmal aber auch nicht. In letzterem Fall kann es auch daran scheitern, dass man das Thema Versicherungsschutz nicht richtig oder ausreichend einkalkuliert hatte.

Die Lust der Deutschen auf ein eigenes Unternehmen ist ungebrochen – lediglich Corona hat im vergangenen Jahr zu einer eher kurzfristigen Delle bei der Zahl der Neugründungen geführt. Bis zu einer halben Million Bundesbürger entscheidet sich Jahr für Jahr für die berufliche Selbstständigkeit. Und läuft dabei Gefahr, Fehler über Fehler zu machen, weil die notwendige persönliche und berufliche Absicherung gravierende Mängel aufweist. Während die zum Betrieb erforderlichen Deckungen wie Haftpflicht- oder Inhaltsversicherung noch auf der Prio-Liste ganz oben stehen, werden Themen wie die Absicherung der eigenen Arbeitskraft rasch mal nach hinten geschoben und nicht sonderlich favorisiert. Noch mehr leidet die Altersvorsorge, denn die wird gerne auf die lange Bank geschoben. Das wichtigste ist für die Betroffenen natürlich die eine zündende Geschäftsidee, dann kommen das Gespräch mit Bank und Steuerberater. Dann sollte aber auch mindestens ähnlich wichtig die Beratung durch einen Versicherungs- und Vorsorgeexperten folgen. Einmal was die Absicherung des neuen Unternehmens angeht, aber eben auch sofort die Absicherung der Arbeitskraft, der Gesundheit und des eigenen Alters. Alles Positionen, die unbedingt von Beginn an in der finanziellen Kalkulation berücksichtigt werden müssen, denn nur so ist der faire Unternehmerlohn auch realistisch.

Start mit großen Hoffnungen

Wer in eine freiberufliche Existenz wechselt, startet mit großen Hoffnungen. Wie groß ist erfahrungsgemäß die Gefahr, dass er dabei den erforderlichen Versicherungsschutz vernachlässigt? Martin Gräfer, Vorstand der Bayerischen, sieht die Gefahr, wichtige Dinge einfach zu übergehen, klar und deutlich: „Der unternehmerische Erfolg steht bei einer selbstständigen Tätigkeit immer im Fokus des Unternehmers/Freiberuflers. Durch diese Fokussierung, die eine existentielle Bedeutung hat, werden oft die erforderlichen Absicherungen vernachlässigt.“ Daher sei jedem Existenzgründer dringend zu empfehlen, sich professionelle Unterstützung nicht nur beim Steuer- oder Bankberater, sondern auch bei einem Versicherungsprofi zu holen. Genaue Zahlen, wie oft Existenz-

Martin Gräfer Vorstand Versicherungsgruppe die Bayerische

Ulrich Scheele

Generalbevollmächtigter SIGNAL IDUNA Gruppe gründer erst Monate, teilweise auch Jahre später eine Absicherung zum Beispiel für eine Betriebs- oder Berufshaftpflicht tätigten, seien der Bayerischen zwar nicht bekannt. Aus Erfahrung bei der täglichen Angebotserstellung für KMUKunden, berichteten deren Experten jedoch, dass bei zehn Angebotsanfragen zur Gewerbeabsicherung zwei bis drei Unternehmen über keine Vorversicherung verfügten, obwohl die Unternehmungsgründung in der Vergangenheit liege. Vergleichbar sei dies mit der Absicherung einer KBU, BU im KMU-Bereich. Hier seien zum Bespiel nur rund 28 % der KMU mit einer Betriebsunterbrechung abgesichert. Ulrich Scheele, Generalbevollmächtigter der SIGNAL IDUNA Gruppe Vertriebsentwicklung/Freie Vertriebe, erkennt für derlei Fahrlässigkeit noch einen ganz speziellen Grund: „Diese Gefahr ist groß, da der Unternehmer vor vielen neuen Herausforderungen steht. Am Anfang sind zudem die Investitionen hoch, aber die Einnahmeseite baut sich erst langsam auf. Somit werden Absicherungen erstmal zurückgestellt, obwohl diese außerordentlich wichtig sind.“ Insbesondere die Personenversicherungen kämen am Anfang zu kurz, während die Pflichtversicherungen wie beispielsweise Haftpflichtversicherungen erstmal Priorität genießen würden.

…und dann ist da noch die Familie

Manchmal spielt aber auch die Familie eine Rolle. Gräfer: „Das hängt von der Ausrichtung der Unternehmung/ des Freiberuflers ab. Hier ist immer eine differenzierte Betrachtung/Beratung zwingend erforderlich. Ein Familienbetrieb ist anders zu bewerten als ein Solo-Selbständiger, im Zusammenhang, in welchem privaten Umfeld der Selbstständige/Freiberufler lebt.“ Kernpunkt

bleibe jedoch immer das Risiko des Berufsbildes, in dem private Absicherungen einfließen könnten, wie zum Beispiel bei einer Berufshaftpflicht mit dem Einschluss der PHV. Scheele ergänzt: „Unserer Erkenntnis nach orientieren sich die Policen zunächst am Berufsbild. Somit werden zumeist am Anfang die Policen rund um die neuen beruflichen Belange geschlossen. Später kommen im Idealfall auch die Verträge zur Arbeitskraftabsicherung und Altersversorge dazu.“ Oft vermischen sich aber auch die Horizonte zwischen Beruflichem und Privatem. Es stellt sich dem Vertrieb deshalb schnell die Frage, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, einen neuen Kleingewerbe-Kunden gleichzeitig auch als Privatkunden zu gewinnen. Laut Scheele sollte es für den Berater immer das Ziel sein, den Kleingewerbekunden gleichzeitig als Privatkunden zu gewinnen. Allerdings sei dies nicht immer möglich, etwa wegen einer anfänglich schwachen Einnahmesituation. In diesem Fall würden Prioritäten seitens des Kunden definiert, an denen sich der Beratungsprozess orientiere. Gräfer sieht‘s genauso, lässt aber auch deutliche Kritik erkennen: „Das ist keine Frage der Wahrscheinlichkeit, sondern der Zielsetzung in der Beratung des Kunden. Eine Trennung zwischen dem Gewerbekunden und Privatkunden sollte gar nicht erst erfolgen. Hier ist der Vermittler/Berater gefragt und dies setzt natürlich Wissen, sowohl im Gewerbebereich wie auch in der Privatabsicherung voraus – siehe oben ganzheitliche Beratung – welche teilweise immer noch zu wenig erfolgt.“ Dies liege daran, dass es bei einzelnen Vermittlern/Beratern zu oft um den Produktverkauf statt um die ganzheitliche Beratung gehe.

Vorteile noch nicht erkannt

Und er sieht auch anderweitig Besserungsbedarf, etwa bei der Frage, warum sich noch immer so wenige Kleinbetriebe für die bAV erreichen ließen. Zwar erlebe er dies zunehmend anders. Aber: „Mitunter fehlt die Zeit, die Priorität und manchmal auch das Wissen, um kleinere Unternehmer:innen oder Freiberufler:innen für die Frage der betrieblichen Vorsorge zu sensibilisieren.“ Daher mache es viel Sinn, so Gräfer, sich über die unternehmerischen Ziele, die Bedeutung qualifizierter Mitarbeitenden Gedanken zu machen. Und wenn man das ernstnehme, führe kein Weg an der betrieblichen Vorsorge vorbei. Gräfer: „Und das Beste ist, es lohnt sich sowohl für das Unternehmen und auch für den Mitarbeitenden. Eine sehr gute Idee, das direkt bei den eigenen unternehmerischen Gedanken zu berücksichtigen.“ Beratungsbedarf erkennt schließlich auch Scheele: „Viele Kleinbetriebe haben Bedenken, da sie den Verwaltungsaufwand für hoch halten und mögliche Haftungsprobleme/ Verpflichtungen in der Zukunft fürchten. Darüber hinaus haben einige Kleinbetriebe die Vorteile bezüglich Mitarbeiterbindung noch nicht erkannt.“ (hdm)

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